Küsse, fliegende Tomaten & sonstige Leidenschaften - Peter Klein - E-Book

Küsse, fliegende Tomaten & sonstige Leidenschaften E-Book

Peter Klein

0,0

Beschreibung

Niklas muss pünktlich in Düsseldorf am Bahnhof sein, um seine Freundin Leonie abzuholen. Sie hat ihm angedroht: Wenn du wieder zu spät kommst, weiß ich, du legst auf unsere Beziehung keinen Wert. An diesem Freitag geht alles schief. Er findet seine Autoschlüssel nicht und bittet seinen Freund Jean, ihn zu fahren. Im Treppenhaus rempelt er eine junge Frau an, deren gesamter Einkauf auf die Treppe fällt. Er rennt weiter und sie wirft ihm eine Tomate nach, die an die Wand klatscht. Auf der Fahrt überredet Niklas Jean ein Überholverbot zu missachten. Sie werden von der Polizei angehalten. Am Bahnhof angekommen ist seine Freundin weg. Per Mobilbox erklärt sie, es sei Schluss. Weil sein Freund wegen des Überholens im Verbot seinen Führerschein abgeben muss, fährt ihn Niklas jeden Freitag zum Einkaufen zu einem Hofladen. Dort arbeitet eine Gemüseverkäuferin, schlank, lange, dunkle Haare, leuchtend braune Augen, in die sich Niklas sofort verliebt. Aber hat er eine Chance bei ihr? Außerdem muss er sich dringend bei der jungen Frau, die er beinahe die Treppe hinuntergeschubst hätte, entschuldigen und den Schaden wieder gutmachen. Aber wie? Vielleicht mit Gemüse, das er im Hofladen eingekauft hat? Und so stolpert Niklas ins emotionale Chaos ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 257

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Klein lebt mit seiner Ehefrau in Damp an der Ostsee. Er schreibt gerne, er reist gerne, er kocht gerne. Schon seit seiner Jugend ist er ein begeisterter Geschichtenerzähler.

Vor drei Jahren veröffentlichte er seinen ersten Liebesroman: blue eyes – so strahlend himmelblaue Augen. Derzeit arbeitet er an einem Bericht über seine Fahrradreisen von Wien bis Kirgistan.

Unter [email protected] freut er sich auf Kontakte mit seinen Leserinnen und Lesern.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Prolog

In dem Moment, in dem Niklas die Tür zur Tiefgarage aufriss, zischte etwas an seinem Ohr vorbei. Er hörte jemanden wütend schreien, aber er bekam nicht mehr mit, wie eine Tomate an der Wand zerplatzte. Schon öffnete er die Beifahrertür und stieg zu seinem Freund ins Auto. Jean saß bereits abfahrbereit drin.

Maike setzte sich auf eine Treppenstufe und schaute auf ihr Gemüse und den Rest ihrer Einkaufstüte, die der Mistkerl, der an ihr vorbeigerast war, soeben aus ihrer Hand gefetzt hatte. Ein Jammer, dass die geworfene Tomate ihn verfehlt hatte.

Wie wundervoll ihre Welt vor wenigen Minuten noch war. Wenn sie die Zeit nur um eine halbe Stunde zurückdrehen könnte! Schließlich stand sie auf und sammelte mit Tränen in den Augen die Reste ihres Einkaufs zusammen.

Kapitel 1

Seit vielen Jahren führte Guiseppe mit seiner Frau Maria einen Gemüse- und Obstverkauf in der Bürostadt am Rand Düsseldorfs. In dem kleinen Laden, über dem ein überdimensioniertes Schild Mediterraner Gemüsesalon hing, waren ein Imbiss und eine Café-Bar integriert. Maike kaufte hier ein, seit sie im Hochhaus nebenan arbeitete, und schmunzelte immer wieder über den Namen des Ladens. Vielleicht würde sie heute fragen, wie er zustande gekommen war.

Guiseppe, ein charmanter älterer Italiener, der hinter dem Tresen eine rote Paprika mit einem weichen Tuch polierte, begrüßte Maike herzlich: „Buongiorno, bella Signorina!“

„Hey Guiseppe“, antwortete sie, „Wie geht’s?“ Sie setzte an: „Wer hat sich eigentlich diesen –“

„Was haben Sie mit Ihren Haaren gemacht?“, fiel ihr Guiseppe ins Wort, seine linke Augenbraue wanderte in die Höhe und sein Blick demonstrierte Entsetzen.

„Sieht doch cool aus“, konterte Maike und strich mit einer Hand durch den kurz geschnittenen Bob, dessen leicht fransiger Pony bis über die Augenbrauen reichte. Bevor Guiseppe sich von seinem Schrecken erholen konnte, fuhr Maike fort: „Ja, ja, ich ahne schon, alle Italiener – vielleicht sogar alle Männer dieser Welt mögen Frauen nur, wenn sie lange Haare haben, am besten bis zum Po. Und wie finden Sie die neue Farbe?“

Guiseppe schluckte kurz, dann stotterte er: „Oh …, ähm …“, und nahm verlegen eine weitere Paprika in die Hand.

„Das ist Edelmetall Silber Violett, find ich total schick, ist derzeit sowas von angesagt. Okay, ich sehe es Ihnen an, auch nichts für Ihren Geschmack. Ach Guiseppe“, fuhr sie fort, „ich weiß, ihr Italiener wollt, dass eure Frauen wie Sophia Loren aussehen mit einer langen wallenden Mähne, oder mit so langen dunklen Haaren wie Claudia Cardinale, mit …“, sie machte eine kleine Pause, ging dann zum Regal mit den Orangen und zeigte mit ihren Händen, „… auf jeden Fall nicht mit so kleinen …“

In diesem Moment trat Maria lachend aus der Küche und unterbrach Maikes Redefluss. „Si, si, geben Sie ihm kräftig contra, der braucht mal wieder einen Dämpfer. Sonst wird er übermütig. Was meinen Sie, was los war, als ich mir vor vielen Jahren meinen langen Zopf abschneiden ließ. Er ist sofort zum Friseursalon gerannt und wollte den Friseur verprügeln. Es war aber eine Friseurin, eine ganz junge. Da hat er dann geflötet: ‚Ich hab die langen Haare meiner Frau geliebt, aber, naja, so schlecht sieht die neue Frisur nicht aus.‘“

Sie zog ihren Mann spielerisch am Ohr. Guiseppe war ein bisschen rot geworden. „Männer lieben eben die langen Haare ihrer Frauen.“

„Wissen Sie, Signorina Maike“, fuhr Maria fort, „als ich ihn kennengelernt habe, musste ich ihn erst mal daran erinnern, dass er gar kein richtiger Italiener ist. Schließlich ist er in Deutschland zur Welt gekommen und seine Eltern sind aus Südtirol. Da bezweifle ich, dass er überhaupt ein Italiener ist.“ Sie überlegte einen Moment. „Das war vor ungefähr 30 Jahren, und ich war gerade erst aus Mailand hergezogen.“

Maike lachte. „Auch deutsche Männer haben Probleme mit meinen Haarfarben. Aber jetzt“, sie wandte sich wieder Guiseppe zu, „hätte ich gerne zwei schöne Auberginen, drei gelbe Paprika, ungefähr ein Kilo Tomaten, dürfen schon sehr reif sein, und Mozzarella. Ich hab morgen einige Kolleginnen zum Essen einladen.“

„Haben Sie Geburtstag?“, wollte Maria wissen.

„Nein“, antwortete Maike, „viel besser, ich bin befördert worden. Ich bin jetzt No. 1 unseres Design-Studios in Düsseldorf, Chefin, Creative Director.“

„Toll!“ Guiseppe strahlte sie an. „Ich hab’s schon immer gewusst, Sie werden eines Tages die Modewelt in London, Paris und Mailand aufmischen, und dann“, er zupfte an seinem Kittel, „bitte ich um eine speziell für mich gestaltete Küchenschürze mit Autogramm.“

Maike versuchte, streng zu wirken: „Für Männer, denen meine Frisur nicht gefällt, designe ich nicht.“

Guiseppe schaute ein bisschen verlegen. Er verstaute das gewünschte Gemüse sorgfältig in einer Papiertüte. Maike bezahlte bei Maria, lächelte beide an: „Ciao, bis demnächst.“

„Aber …, bella Signorina“, versuchte Guiseppe sie charmant zu umgarnen. „Selbst wenn Sie auf Männer derzeit nicht so gut zu sprechen sind, ich hab so ein Gefühl, dass Sie Ihren Traummann bald treffen werden.“

Er blickte zu seiner Frau. „Stimmt doch, oder?“

Maria lachte, und Maike meinte: „Verkaufen Sie jetzt auch noch Horoskope? Ciao.“

Es nieselte ein wenig, und sie beeilte sich, ins Studio zurückzukommen, solange der Personalmanager aus der Zentrale in Helsinki noch Gespräche mit anderen Mitarbeiterinnen führte. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, kurz vor Ladenschluss noch schnell beim Italiener einzukaufen.

Ihr glockenförmiger Mantel mit dem Muster von kelchförmigen blauen Blüten wippte im Takt ihrer Schritte, und ihre extra dazu ausgesuchten schmalen, langen, blauschimmernden Ohrringe schwangen mit. Maike beschloss, heute nicht mit dem Aufzug in den vierten Stock zu fahren, sondern die Treppen des Bürohauses zu nutzen.

Kapitel 2

Mist, Mist, Mist! Niklas stand neben seinem Auto in der Tiefgarage, durchwühlte seine Hosentaschen, seine Jackentaschen, suchte verzweifelt seine Autoschlüssel. Die Sorgenfalte auf seiner Stirn wuchs und wuchs. „Wo habe ich sie nur hingesteckt“, grummelte er vor sich hin, um Sekunden später laut zu brüllen: „Bin ich blöd!“

Er hatte die Schlüssel, weil sie ihn in der Hose störten, zu einem Gutachten gelegt, in eine Mappe gesteckt und alles vor etwa einer Stunde einem Mitarbeiter gegeben, damit dieser das Schriftstück in aller Ruhe am Wochenende gegenlesen konnte. Niklas flitzte, weiter vor sich hin schimpfend, zurück in sein Büro, um von dort ein Taxi zu rufen. In der Tiefgarage war schlechter Handyempfang, und außerdem lag auf seinem Schreibtisch eine Visitenkarte mit der Nummer eines Taxiunternehmens. Da musste er nicht lange suchen.

„Wir schicken Ihnen gerne einen Wagen“, erklärte eine freundliche Stimme am Telefon. „Aber derzeit, am Freitagspätnachmittag, ist immer viel Betrieb. Es kann 20 Minuten dauern, bis ein Taxi bei Ihnen sein kann.“

„Sorry, so viel Zeit hab ich nicht, danke.“ Niklas wischte über den roten Hörer seines Handys. Was sollte er nun tun?

Niklas war als Manager für Hurrikan- und große Sturmschäden bei einem großen weltweit agierenden Sachversicherer beschäftigt, der in dem mehrstöckigen Bürocenter die ganze erste Etage belegte. Er schaute durch das Innenfenster seines Büros und sah weit hinten im Großraumoffice seinen Freund Jean sitzen.

„Der muss mir helfen“, murmelte er vor sich hin und durchquerte im 100-Meter-Sprint den Raum.

„Jean, fahr mich bitte zum Bahnhof, ich hab meinen Autoschlüssel dooferweise verlegt.“

Jean, der gerade dabei war, eine E-Mail zu schreiben, schaute ihn groß an. „Was ist los? Was soll ich?“

„Du musst mich zum Bahnhof fahren, Leonie kommt in einer halben Stunde an, und sie hat mir gedroht, dass sie mich endgültig verlässt, wenn ich diesmal wieder nicht pünktlich bin.“

„Und wäre das schlimm?“, neckte Jean seinen Freund, der total ernst erwiderte: „Natürlich, eine absolute Katastrophe.“

„War doch nur ein Scherz“, meinte Jean und nahm seine Jacke vom Stuhl. „Komm!“

Sie flitzten los. „Auf den Fahrstuhl warten wir nicht, komm.“ Jean riss die Tür zum Treppenhaus auf, begann die Stufen hinunterzuspringen und konnte eben noch einer jungen Dame ausweichen, die fröhlich vor sich hin summend die Treppen hochstieg. Niklas dagegen rempelte sie an, murmelte „Tschuldigung“ und rannte weiter.

Die Papptüte mit dem Gemüse riss. „Mistkerl!“, brüllte Maike, bückte sich blitzschnell, griff eine Tomate und warf sie hinter Niklas her. „Dreckskerl!“

Die Tomate zischte knapp an Niklas’ Kopf vorbei und knallte gegen die weiße Treppenhauswand.

Kapitel 3

„Beeil dich, fahr schneller“, bat Niklas.

„Was hast du da Rotes am Ohr, Blut?“, fragte Jean. Niklas fühlte mit der Hand. „Ih“, er nahm ein Taschentuch und wischte sein Ohr ab. „Mist“, sagte er, „kein Blut, könnte Tomate sein.“

„Wie kommt sowas dahin?“ Jean schüttelte ungläubig den Kopf.

„Du erinnerst dich an die junge Frau, die uns im Treppenhaus entgegenkam?“ Niklas merkte, wie eine leichte Röte seine Wangen hochzog.

„Nicht wirklich“, meinte Jean, „was war mit ihr?“

„Ich hab sie angerempelt, die Einkaufstasche ist runtergefallen, und ganz viel Zeug ist rausgerollt. Ich glaube, sie hat was nach mir geworfen. Könnte eine Tomate gewesen sein.“

„Bitte, was?“ Jean blickte seinen Freund ungläubig an. „Du bist nicht stehengeblieben und hast ihr nicht geholfen, alles wieder aufzusammeln?“ Er schüttelte den Kopf und schaute Niklas strafend an. „Und ich habe dich bisher als den perfekten Gentleman gesehen.“

„Tut mir wirklich leid, aber ich muss unbedingt pünktlich sein, Leonie wartet nicht. Bitte fahr schneller.“

„Da stehen rechts und links so Schilder mit ’ner 80 drauf, und die möchte ich gerne beachten. Was ist eigentlich los, dass du so pünktlich sein musst? Ruf Leonie an und sag ihr, dass es dir leid tut, dass du ein klein bisschen später kommst. Es werden bestimmt nicht mehr als fünf Minuten. Wir liegen gut in der Zeit.“

„Du weißt, wir haben seit einigen Wochen Stress. Sie wird stinkwütend sein.“ Niklas seufzte, wählte aber gehorsam ihre Nummer. Sofort sprang die Mailbox an.

‚Hier ist Leonies Mailbox. Niklas, wenn du jetzt sagen willst, ich möge auf dich warten, vergiss es. Du bist total unzuverlässig geworden. Solltest du nicht am Bahnsteig sein, bevor der Gegenzug einläuft, bin ich wieder auf dem Weg zurück nach Hamburg, nach Hause. Und dann ist Schluss mit uns beiden. Finito. Endgültig.‘

Niklas wurde kreidebleich. Jean, der alles mit angehört hatte, blies die Backen auf, ließ vernehmlich die Luft raus: „Puh, das war deutlich. Aber keine Angst, Niklas, du bist rechtzeitig am Gleis.“

Niklas atmete tief durch. „Nur, wenn du schneller fährst und jetzt diesen Lastwagen überholst. Gib Gas“, und fügte rasch hinzu (das Schild Überholverbot war deutlich zu sehen gewesen), „ich übernehme heute alle Strafmandate.“

„Oui, oui.“ Jean, ein Franzose, der vor vielen Jahren aus Paris nach Düsseldorf ins europäische Zentralbüro versetzt worden war, drückte aufs Gaspedal und grummelte. „Ich weiß überhaupt nicht, warum ihr Deutschen immer überpünktlich sein müsst. Warten kann doch nett sein. Man geht einen Kaffee trinken, oder, viel besser, Leonie setzt sich in eine Bar, bestellt eine Flute de Champagne, alles natürlich auf deine Rechnung.“

Jean überholte den Lastwagen nur wenige Meter, bevor die Schnellstraße wegen einer Baustelle einspurig wurde. „Zufrieden?“ Er grinste seinen Freund an. Nur wenig später ertönte hinter ihnen eine Stimme aus einem Lautsprecher:

„Hier spricht die Polizei, bitte fahren Sie am nächsten Parkplatz rechts raus.“

Niklas schlug die Hände vors Gesicht, schüttelte den Kopf. Das war’s. Adieu Leonie, meine große Liebe.

Kapitel 4

Maike sammelte die auf die Treppe gefallenen Tomaten, Paprika und Auberginen mürrisch ein. Der Mozzarella war das einzige Teil, das in der Papptasche liegen geblieben war. Die Paprika hatten heftige Druckstellen, die Tomaten waren aufgeplatzt, der Traum vom kunstvoll designten Tomaten-Mozzarella-Teller war ausgeträumt. Maike trug die Tüte mühsam auf den Armen, der Griff war abgerissen. In der nächsten Etage wechselte sie vom Treppenhaus in den Fahrstuhl. Als sie ihr Büro betrat, schaute ihr Chef, der dort am Telefonieren war, Maike erschrocken an.

„Was ist passiert? Sie sind ganz bleich!“

„Ach“, seufzte Maike und sprach dann empört weiter. „So ein Mistkerl, so ein Anzugträger, hat mich auf der Treppe angerempelt. Hier“, sie zeigte auf die zerdrückte Einkaufstüte, „meine schönen Tomaten sind auf die Stufen geknallt, totaler Mist, nicht mehr für ein Vorspeisen-Bouquet geeignet. Ich hab doch meine Kolleginnen morgen zum Essen eingeladen, um mit ihnen meinen neuen Job zu feiern.“

„Das tut mir leid“, sagte ihr Chef. „Aber das können Sie Ihren Mitarbeiterinnen doch erklären. Ihnen fällt bestimmt ein anderes tolles Essen ein.“

„Das schon.“ Maike hatte sich ein wenig beruhigt und nickte. „Ich hab außerdem Paprika und Auberginen eingekauft, gibt’s eben ein Ratatouille. Aber“, sie verzog ärgerlich den Mund, „das sieht eben nicht so ästhetisch aus wie die gestylte wunderschöne Tomaten-Mozzarella-Platte mit Balsamico und Basilikum drauf, die ich geplant hatte.“

„Ich bin sicher, Sie zaubern was Tolles auf den Tisch, mit Ihrer Kreativität fürs Design“, versuchte ihr Chef sie zu trösten. „Ratatouille ist eine meiner Lieblingsspeisen, da hätte ich große Lust zu kommen, aber“, er lachte, „erstens bin gar nicht eingeladen, zweitens fliege ich heute Abend eh zurück.“ Er legte einen großen Umschlag auf den Schreibtisch. „Ich möchte mit Ihnen noch den Besuch der Fashion Week in Mailand besprechen. Sie fliegen am Sonntag hin, um bei den ausstellenden Webereien die neuesten Stoffe zu begutachten und Ihre Design-Ideen zu besprechen. Flug und Hotel hab ich bereits buchen lassen.“

Wow. Maike strahlte ihn an. Sie war völlig überrascht.

„Ich – darf – dorthin?“ Sie zog die Worte lang auseinander. „Ich soll auf die Fashion Week nach Mailand?“

„Klar“, ihr Chef nickte. „Sie sind jetzt die Creativ Art Directorin hier in Düsseldorf und müssen sich die Stoffe vor Ort anschauen, anfühlen und mit den Herstellern sprechen.“

„Danke, danke“, stammelte Maike, und der Zwischenfall auf der Treppe, mit diesem Mistkerl, diesem Anzugsträger, war vergessen.

Kapitel 5

Jean drückte auf den Knopf und das Seitenfenster fuhr runter.

Der Polizist sagte: „Bitte die Fahrzeugpapiere und den Führerschein.“

Niklas beugte sich zum Fahrerfenster rüber. „Sorry, könnten Sie sich nicht einfach unsere Fahrzeugnummer notieren und uns weiterfahren lassen? Wir haben es furchtbar eilig.“

„Das habe ich gemerkt“, grinste der Polizist und schaute beide intensiv an. „Aber weder sind sie noch ihr Freund schwanger, einen sonstigen medizinischen Notfall kann ich ebenfalls nicht erkennen. Jetzt schauen wir erstmal, was das Zentralregister zu Ihnen und Ihrem Fahrzeug sagt.“

Er beugte sich zu Jean: „Haben Sie Alkohol getrunken?“

„Nein, nein“, erwiderte Jean sofort, „wir kommen direkt aus dem Büro und wollen zum Bahnhof, die Partnerin meines Freundes“, er zeigte auf Niklas, „abholen.“

Der Polizist gab die Fahrzeug- und Führerscheindaten in sein Tablet. „Am Bahnhof gibt’s doch nette Cafés, da kann Ihre Frau gemütlich im Trocknen stehen, nicht so wie wir hier im Nieselregen.“

Er gab Jean die Papiere zurück. „Kein Eintrag im Zentralregister, bislang scheinen Sie die Verkehrsregeln eingehalten zu haben. Das ist positiv. Heute waren Sie jedoch viel zu schnell, und vor allem haben Sie im Überholverbot überholt. Die durchgezogene Linie zu überfahren, ich befürchte, das wird teuer.“

Der Polizist gab die Fahrzeugpapiere mit einem leichten Lächeln zurück, sprach jedoch streng weiter. „Sie dürfen jetzt weiterfahren.“ Er hob mahnend den Zeigefinger: „Bitte die Schilder beachten.“

Niklas schaute auf die Uhr. Der Zug mit Leonie war vor etwa 15 Minuten angekommen, in ungefähr 5 Minuten fuhr der Gegenzug ab. Rechtzeitig am Bahnhof anzukommen und zum Gleis zu spurten war unmöglich. Nur eine Zugverspätung konnte ihn jetzt noch retten. Als er jedoch außer Atem den Bahnsteig erreichte, sah er nur noch die Rückleuchten des ICE, der nach Hamburg fuhr. Er nahm sein Handy und wählte Leonies Nummer. Keine Antwort.

Mit einem Mal fühlte er sich mitten im quirligen Bahnhof sehr einsam. Er stand mehrere Minuten nahezu unbeweglich zwischen den um ihn herum hastenden Menschen. Nochmal versuchte er, Leonie zu erreichen. Diesmal sprang die Mailbox an.

„Tschüss, Niklas. Wir passen einfach nicht zueinander. Such dir ein Hausmütterchen, das geduldig auf dich im trauten Heim wartet. Es ist aus, Schluss, vorbei.“

Niklas schlich geknickt zu Jean zurück, der vor dem Bahnhof im Auto auf ihn wartete.

„Sag nichts“, meinte Jean, „ich seh dir alles an. Du kommst jetzt erstmal mit zu uns nach Hause. Vorher muss ich nur noch Gemüse kaufen.“

Jean wohnte mit seiner Frau Anna, ebenfalls Französin, und ihrer gemeinsamen Tochter Lucy in einem Dorf ein Stück außerhalb Düsseldorfs auf der linken Rheinseite. Ein paar Kilometer von ihnen entfernt befand sich ein großer Bauernhof, auf dem man freitagnachmittags Gemüse und Obst einkaufen konnte.

Niklas stieg seufzend ein. „Weiß eh nicht, wie es mit meinem Leben weitergeht. Weißt du, Jean, ich hatte für mich und Leonie einen Tisch reserviert in dem romantischen Restaurant am Hafen.“ Er sah seinen Freund an und schaute dann gedankenverloren aus dem Fenster, während Jean über die Rheinbrücke fuhr.

„Tja“, Niklas hockte zusammengesunken im Autositz, „das war unser Ritual, ein Wochenende kam Leonie zu mir, wir sind toll ausgegangen. Am nächsten bin ich zu ihr nach Hamburg gefahren. Hab in ihrer Wohnung an der Küchenbar gesessen, beim Kochen zugeschaut. Sie kocht so super. Nebenbei haben wir den Wein probiert, den ich mitgebracht habe, oder an einem Prosecco genippt.“

„Trotzdem“, er richtete sich auf und betonte laut und trotzig: „Ich fahr nach Hamburg. Dann wird sie mit mir reden müssen! Das bringe ich wieder in Ordnung.“

„Klingt gut“, erwiderte Jean. „Ein weiser Entschluss aus deiner Sicht. Ob Leonie so mitmacht, wie du dir das vorstellst, bezweifle ich.“

Jean blickte kurz zu seinem Freund auf dem Beifahrersitz und erkannte, dass Niklas in seiner Trauer diesen Einwand nicht gehört hatte.

Kapitel 6

Vor einer Pyramide aus roten, gelben und grünen Paprika stand eine junge Frau und überlegte, wo die letzte Frucht, die sie noch in der Hand hielt, hinpassen könnte, ohne dass sie das Kunstwerk zerstören würde.

„Ça va, Emmi“, hörte sie eine Stimme.

Sie drehte sich um: „Bien, et toi?“

Jean hatte mit Niklas im Schlepptau den Hofladen betreten.

„Lass mich im Auto sitzen“, hatte Niklas seinen Freund gebeten, als sie auf dem Parkplatz angekommen waren.

„Nichts da, du kommst mit, keine Widerrede“, hatte dieser geantwortet.

So standen sie nun im Laden, der wie eine große Garage aussah. Jeden Freitagnachmittag wurden hier auf Holzregalen Kisten mit Gemüse und Obst aufgebaut. Auf einem Tisch stand eine große Waage, ein moderner Bildschirm mit Touchscreen, ein Drucker für den Kassenbon und eine kleine Geldkassette.

Niklas war direkt am Eingang stehen geblieben, schaute gedankenverloren aus dem Laden hinaus in den Himmel. Er hielt sein Handy in der Hand und hoffte, dass Leonie sich auf seine WhatsApp, SMS und weitere unendliche Nachrichten, die er auf ihre Mobilbox gesprochen hatte, melden würde.

Jean plauderte mit Emmi zunächst auf Französisch, die Fremdsprachen liebte und sich freute, mit Jean nicht nur Small Talk zu betreiben, nein, sie pochte darauf, dass er ihre Sprachfehler korrigierte und ihr umgangssprachliche Idioms beibrachte.

„Was meinst du, wenn ich auf einem Markt“, sie überlegte kurz, „zum Beispiel irgendwo in der Normandie arbeiten würde, könnte ich so tun, als ob ich Französin wäre? Oder würde man mich sofort als Deutsche identifizieren?“

„Noch ja, wir müssen an deiner Aussprache arbeiten, sie muss abgeschliffener, lässiger werden. Vom Aussehen, du mit deinem mediterranen Teint, mit deinen dunklen Augen, deinen dunklen langen Haaren, und deinem Namen, Emmi, das passt zu Frankreich.“ Jean fügte noch hinzu: „So geflochtene Zöpfe, wie eine Krone um den Kopf gewickelt, das ist in Frankreich derzeit angesagt.“

Emmi lachte. „Du kennst dich mit Frisuren aus?“

„Oui! Lucy – das ist meine Tochter, sie wird in Kürze 18 –, die erklärt mir jeden Abend, dass ich total veraltet bin. Trotzdem versucht sie mich up to date zu halten. Außerdem zeigt sie mir Selfies von ihren französischen Cousinen.“

„Bien!“ Emmi nickte zufrieden. „Was steht heute auf deinem Einkaufszettel?“

„Wart mal, ich hab versucht, ihn auswendig zu lernen. Vier Auberginen, vier Zucchini, ein halbes Kilo von den Cocktailtomaten, und dann …“, er tat so, als müsste er angestrengt nachdenken: „Da war noch so Gemüse, das in der Erde wächst, so was Gelbes.“

Emmi schubste ihn an. „Erzähl keinen Nonsens, Möhren stehen immer auf deinem Zettel.“

„Boah!“ Jean bestaunte die Pyramide aus bunten Paprikas. „Ich trau mich gar nicht, davon welche runterzunehmen, hast ein tolles Kunstwerk gebaut. Ich hätte gern die vier gelben aus der untersten Reihe.“

Emmis Lachen schallte durch den Raum. Jean sah Niklas an, keine Reaktion auf diesen Ausbruch von Fröhlichkeit. Niklas blickte starr auf sein Handy.

Emmi verfolgte Jeans Blick. „Schick deinem Freund doch einfach ein Foto vom Gemüse, damit er sieht, was wir hier so haben.“

„Top, ich fotografiere die Pyramide.“

Ruckzuck, erledigt, beide warteten gespannt. Didelim, ertönte eine leise Melodie, Niklas’ Gesichtszüge entspannten sich, blitzschnell schaute er auf sein Smartphone.

„Ach, du, Jean.“ Er blickte kurz zu seinem Freund auf. „Eine Sekunde hatte ich die Hoffnung, Leonie würde sich melden.“ Schon war er wieder in seiner Einsamkeit versunken.

„Keine Chance, Emmi“, Jean wandte sich den Salaten zu. „Den Typ müssen wir heute sich selber überlassen. Willst du wirklich mal auf einem Markt in Frankreich arbeiten? Die Eltern von Anna, meiner Frau, leben in der Champagne in einem kleinen Dorf und haben beste Kontakte zu Bauern, die die Waren direkt vermarkten, wie ihr hier. Wir würden dich gleich als Französin vorstellen, voilà“, und er machte eine ausladende Handbewegung. „C’est Emmi.“

„Eigentlich heiß ich ja Emmanuelle“, warf sie ein.

„Wow, noch viel besser“, entgegnete Jean. „Hatte deine Mutter ein Faible für französische Namen?“

„Non“, Emmi lehnte sich an den Holztisch an. „Das liegt an unserer Familientradition. Die Namen aller Töchter beginnen mit E. Meine Mutter heißt Elise, meine Oma Elisabeth, die Urgroßmutter Ella und die Ururgroßmutter Emmanuelle. Der Klang dieses Namens gefiel meinen Eltern. Weil er meiner Mutter zu lang erschien, wollte sie als Kurzform Emma. Mein Vater meinte, Emmi wäre niedlicher. So wurde ich schließlich als Emmanuelle im Geburtsregister eingetragen, aber gerufen haben mich meine Eltern nur Emmi. Wenn ich angeben will, behaupte ich, ich wäre keine normale Emmi, sondern eine mit Y!“

„Spannende Geschichte.“ Jean stellte seinen Korb mit dem eingekauften Gemüse neben die Waage und hörte interessiert zu. „Gibt es für diese Tradition einen besonderen Anlass oder weiß das niemand mehr?“

„Oui, oui“, und diese Ouis versuchte Emmi so auszusprechen wie Jean, es klang ein wenig wie wää, wää.

Jean lachte: „Nicht schlecht, dieser Versuch.“

„Vor ungefähr zweihundert Jahren“, erzählte Emmi, „hat irgend so einer meiner Vorfahren Expeditionen nach Zentralafrika geleitet und von dort eine Kette mit einem geschwungen E aus purem Gold mitgebracht, verziert mit Diamantensplittern und einem Saphir. Jeweils die älteste Tochter bekommt dieses wertvolle Stück bei der Taufe ihrer ersten Tochter feierlich überreicht.“

„Aha“, Jean staunte. „Du bist die älteste?“

„Ich bin die einzige, hab keine Geschwister. Meine Mutter fragt bei jedem Besuch sehnsüchtig: Wann kann ich dir endlich das Erbstück überreichen?“ Emmi wog nebenbei das von Jean ausgesuchte Gemüse ab. „Weißt du, seit meiner Ururgroßmutter haben die Frauen unserer Familie spätestens bis zum 25. Lebensjahr eine Tochter geboren, aber ich“, sie schüttelte den Kopf, „ich hab kein Interesse an einer Familie. Ich brauch meine Freiheit.“

„Naja“, meinte Jean, „bis du dieses Alter erreichst, hast du noch viel Zeit.“ Er schaute sie lächelnd an. „Manchmal macht es plopp und der Richtige steht bereits in deiner Nähe.“

„Danke für dein Kompliment, aber im nächsten April werde ich dreißig.“ Sie druckte den Kassenzettel aus. „Zweiundvierzig Euro bekomme ich von dir.“

Jean reichte ihr das Geld, Emmi legte es in die Kasse. „Natürlich treffe ich mich mit Jungs, geh tanzen oder so, aber einen festen Partner? Non, merci, ich hab noch so viel vor.“

Jean lachte, nahm seine zwei Körbe voller Gemüse, ging auf Niklas zu, drückte ihm einen Korb in die Hand. „Kannst auch was tragen.“

Jean winkte Emmi zu. „Salut.“

„Salut“, antwortete sie und wandte sich wieder dem Gemüse und dem nächsten Kunden zu.

Kapitel 7

Wenig später stiegen Niklas und Jean mit den beiden vollgepackten Körben aus dem Auto und brachten das Gemüse zu Anna und Lucy in die Küche.

„Das wollt ihr alles sofort essen?“, scherzte Anna.

Sie stammte ebenfalls aus Frankreich und hatte in Düsseldorf studiert. Jean musste irgendwas in der Uni besorgen, hatte normannischen Dialekt gehört, der ihm von seiner Großmutter her vertraut war, und schaute zu den jungen Studentinnen hin, die sich in dieser Sprache lautstark unterhielten. ‚Nur die eine spricht den Dialekt perfekt‘, fand er, und weil sie ihm sofort sympathisch war, startete er mit entsprechenden Worten seinen Flirtversuch, woraufhin Anna losprustete und auf Französisch fragte: „Wie lange hast du denn dafür geübt?“

Aus diesem ersten Treffen wurde mehr, sie gingen zum Tanzen, ins Theater und verbrachten viel Zeit miteinander. Ursprünglich war Annas fester Plan, während ihres Studiums keine feste Beziehung einzugehen, jedoch verliebte sie sich unsterblich in Jean und er sich in sie. Das war inzwischen über zwanzig Jahre her, und seit langem wohnten sie mit ihrer Tochter in einem Reihenhaus in diesem kleinen Dorf auf der linken Rheinseite, ein gutes Stück außerhalb Düsseldorfs.

„Hey, you are looking like the Ghost of Canterville“, sprach Lucy Niklas an, als er in die Küche trat. Niklas’ Vater stammte aus Schottland, deshalb war Niklas zweisprachig aufgewachsen, und Lucy liebte es, mit ihm Englisch zu sprechen. „And where is Leonie?“

Kaum sprach Lucy den Namen Leonie aus, standen Niklas Tränen in den Augen. Jean tippte seiner Tochter sanft auf den Arm. „Schlechtes Thema, Leonie hat Schluss gemacht.“

„Aber wieso?“ Lucy war tief bestürzt. „Was ist passiert?“ Anna ließ vor Schreck einen Kochlöffel fallen und schaute entsetzt.

Niklas schluckte, wollte sprechen, aber es kamen keine Worte aus seinem Mund. „Setz dich erstmal.“ Anna schob ihm einen Stuhl hin, „damit du nicht so traurig rumstehst wie ein einsames, verlorenes Schaf auf einer großen Wiese.“

Lucy räumte das Gemüse in den Kühlschrank, schaute aber alle dreißig Sekunden zu Niklas hin, immer in der Hoffnung, er werde endlich erzählen, was vorgefallen war.

Etwas später standen Camembert und Schinken – vor ein paar Tagen von den Großeltern aus der Normandie geschickt –, Joghurtdip mit Kräutern frisch aus dem Garten, eine Karaffe Wasser und eine Flasche Rotwein auf dem Tisch. Anna fügte noch Paprikastreifen, geviertelte Tomaten und Baguette dazu, stellte Gläser und Brettchen hin, legte Messer dazu. „Voilà, bon appétit.“

„Los, trink was und erzähl endlich“, Lucy schubste Niklas an. „Was war los?“ Er schüttelte nur stumm den Kopf.

Jean fing schließlich an, von den ereignisreichen Stunden des Nachmittags zu erzählen. Wie sein Freund zu ihm gekommen war, weil sein Autoschlüssel weg sei, er dringend zum Bahnhof müsse, von der Lautsprecherstimme, vom Schrecken, dass die Polizei hinter ihnen herfuhr. „Leider war ich zu schnell unterwegs und hab im Überholverbot überholt“, gab er kleinlaut zu. An dieser Stelle prusteten seine Frau und seine Tochter gleichzeitig los.

„Du bist zu schnell gefahren?“ Seine Tochter kicherte und seine Frau schüttelte sich vor Lachen. „Du hast das Schild Überholverbot missachtet?“ Beide klatschten sich ab und grinsten.

„Papa! Ständig knurrst du mich an, fahr immer ein wenig langsamer als erlaubt ist, und vor allem“, jetzt richtete sich Lucy auf, straffte ihre Schultern und sprach todernst: „Meine Tochter, wozu stehen dort am Straßenrand Verkehrsschilder? Damit sie nicht beachtet werden?“

Und sofort schüttelten sich ihre Mutter und sie wieder vor Lachen. Zaghaft meldet sich Niklas zu Wort.

„Ich war’s. Ich hab ihn angefleht, schneller zu fahren, damit wir rechtzeitig am Bahnhof ankommen, ich wollte Leonie nicht warten lassen.“

Jean setzte hinzu: „Naja, weil sie Niklas angedroht hatte, ihn endgültig zu verlassen, wenn er wieder zu spät kommt.“

Lucy schaute Niklas an. „Ist das wahr? Nur weil du mal zu spät kommst?“

Niklas musste kleinlaut gestehen, dass das leider in letzter Zeit häufig vorgekommen sei und sie deshalb oft gestritten hätten. ‚Alles andere sei wichtiger als sie‘, habe Leonie ihm dann immer vorgeworfen.

„Ich hab sie gleich angerufen, nachdem Jean losgefahren war, um ihr zu sagen, wir sind auf dem Weg. Aber es war nur ihre Mailbox dran. Sie hatte extra für mich eine Ansage aufgesprochen: ‚Wenn du diesmal wieder zu spät kommst, nehme ich den ersten Zug, der zurück nach Hamburg fährt, und dann ist Schluss.‘“

Lucy staunte. „Schlussmachen per Mobilbox, echt krass!“

„Wegen der Sache mit der Polizei sind wir natürlich zu spät am Bahnhof gewesen und Leonie war weg. Ich hab versucht sie anzurufen. Erst war besetzt, und als ich sie endlich erreicht habe, war schon ein neuer Spruch auf der Mailbox.“

„Und?“ Lucy schaute ihn eindringlich an, sie platzte fast vor Neugier.

„Sie hat gesagt: ‚Tschüss, vorbei und aus. Niklas, wir passen nicht zueinander.‘“ Niklas holte tief Luft, setzte sich gerade auf, „Aber nächstes Wochenende muss sie mit mir reden, da fahr ich zu ihr hin. Ich liebe sie doch!“

„Was?!“ Anna und Lucy schauten sich entsetzt an, „erst nächstes Wochenende?“

Anna schüttelte den Kopf, beugte sich vor und tippte mit ihrem Zeigefinger dreimal an Niklas’ Stirn. „Du spinnst! Du magst ein toller Versicherungsmanager sein, Großschäden super bearbeiten, dein Leben top sortiert haben, aber von Frauen, lieber Niklas …“, und sie sprach sehr langsam und deutlich, blickte ihm dabei tief in seine dunkelblauen Augen, „… von Frauen hast du keine Ahnung, aber überhaupt keine!“

„Yeah“, Lucy nickte. „Aber das muss ich mir merken, Schlussmachen per Mobilbox, wirklich cool, deine Leonie.“

Anna sprach weiter: „Du hättest sofort mit dem nächsten Zug nachfahren müssen, vielleicht hätte sie das umgestimmt. Manchmal sprengt das Leben alle Strukturen, oder Jean?“ Sie schaute ihren Mann lächelnd an. Der nickte bloß. Obwohl er die temperamentvollen Ausbrüche seiner Frau und Tochter kannte, musste er sich jedes Mal aufs Neue davon erholen.

Niklas seufzte, holte tief Luft. „Gut, wenn ihr meint, okay, dann fahre ich morgen ganz früh hin, heute gibt’s eh keinen Zug mehr.“

Sein Handy klingelte, er schaute überrascht, strahlte übers ganze Gesicht. „Das ist sie bestimmt.“ Er schaute Anna glücklich an, holte das Telefon aus der Hosentasche, schaute aufs Display und sein Strahlen erstarb.

„Hallo, was gibt’s?“ – „Ach so, ja, meine Autoschlüssel“, antwortete Niklas. „Nein, die brauch ich heute nicht. Das Auto bleibt in der Tiefgarage. Bring die Schlüssel am Montag zur Arbeit wieder mit.“