Aufstehen oder jetzt erst recht - Peter Klein - E-Book

Aufstehen oder jetzt erst recht E-Book

Peter Klein

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Beschreibung

Im Jahr 1699 siedelte Graf Johann Philipp von Isenburg in Offenbach die in Frankreich verfolgten Hugenotten und Juden an. Etwa hundert Jahre später waren diese Menschen hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich Offenbach vom Fischer- und Handwerkerdorf zu einer industriellen Großstadt wandelte. Ein Rückblick in die Geschichte. Auch heute noch, kommen Menschen, oft nicht freiwillig, hierher und bauen sich eine neue Existenz auf, mit der sie die Gesellschaft bereichern. Sieben Menschen berichten aus ihrem Leben

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Der Autor Peter Klein, geboren 1965 arbeitet seit dem Ende seines Journalistik-Studiums als Freier Journalist und Bildjournalist. Seit 2005 arbeitet und lebt er in Offenbach am Main, der Stadt mit dem prozentual höchsten Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund. Sein Schwerpunkt sind interkulturelle Themen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Erster Teil: Die Geschichte

1) Von den Anfängen

Die Hugenotten

Die Juden

2) Vom dreißigjährigen Krieg bis zum Großherzogtum Darmstadt

3) Vom Großherzogtum bis zum Zweiten Weltkrieg

4) Der Neuanfang

5) Salvatore Milazzo – einer der ersten Gastarbeiter

Zweiter Teil: Und heute? Porträts

Ivanka Baraschka

Naime Demirezen

Adem Husic

Ali Karakale

Michael Karminsky

Mahshid Najafi

Nadia Qani

Quellen

Danksagung

Vorwort

Der weltoffene Geist Offenbachs bietet auch heute noch den Hintergrund dafür, dass Menschen seit über 300 Jahren, trotz allem was ihnen widerfahren ist, aufstehen und sich mit einem „jetzt erst recht“ aktiv in die Gesellschaft einbringen.

Im Jahr 1699 siedelte der Graf Johann Philipp von Isenburg in Offenbach die französischen Hugenotten an. Die protestantischen Glaubensflüchtlinge, die im Nachbarland um Leib und Leben fürchten mussten, wurden hier mit zahlreichen Privilegien ausgestattet. Etwa hundert Jahre später waren sie hauptsächlich daran beteiligt, dass sich Offenbach vom Fischer- und Handwerkerdorf zu einer industriellen Großstadt wandelte.

Fast gleichzeigt gab der Graf den Juden Raum, ihren Glauben zu leben und bestimmten Berufen nachzugehen. Sie mussten hier nicht in Ghettos leben. 1714 erhält der jüdische Verleger Seligmann Hirz Reis die Erlaubnis ein Druckhaus zu eröffnen. 1803 schaffte Fürst Carl von Isenburg als erster den sogenannten „Judenleibzoll“ ab. Offenbach entwickelt sich zu einem Zentrum des modernen Judentums. 1935 wird hier die Berlinerin Regina Jonas als weltweit erste Rabbinerin ordiniert.

Und heute? Vor diesen Hintergrund beschäftigt sich das Buch im zweiten Teil mit Menschen, die auch heute noch, oft nicht freiwillig, hier ankommen und sich trotzdem eine neue Existenz aufbauen, mit der sie die Gemeinschaft bereichern.

Heute sind es nicht mehr hoheitliche Beschränkungen und Privilegien, die Menschen daran hindern, ihr Potenzial in die Gesellschaft einzubringen, sondern es ist oft die Bürokratie. Lässt sich die Geschichte auch augenzwinkernd und etwas ironisch betrachten, dann hört hier der Spaß auf.

Allzu oft haben Bürokraten darauf verwiesen, dass sie nur ihre Pflicht erfüllen, beziehungsweise Befehle befolgt hätten, egal was das für die betroffenen Menschen bedeutete. Trotzdem - in vielen Porträts tauchen auch solche Amtsmitarbeiter auf, denen Menschlichkeit wichtiger ist als die Durchsetzung starrer Vorschriften. Leider sind es immer noch viel zu wenige.

Umso mehr gilt der Respekt denjenigen, die es trotzdem geschafft haben, nach dem Motto „Aufstehen oder jetzt erst recht“.

Viel Spaß beim Lesen.

Erster Teil: Die Geschichte

1. Von den Anfängen

Im Jahr 977 wird Offenbach erstmals historisch erwähnt. Wer sich mit seiner Geschichte auseinandersetzt kommt um die Wechselwirkung mit dem großen Nachbarn Frankfurt, damals bereits Königspfalz, nicht herum. In herzlicher gegenseitiger Abneigung haben sie sich wechselseitig beeinflusst. Ohne Frankfurt wäre die Großstadt Offenbach nicht entstanden. So schrieb der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Alexander Dietz in seiner „Frankfurter Handelsgeschichte,“ Anfang des 20. Jahrhunderts: „Frankfurt war der Beschaffungsmarkt für das Offenbacher Gewerbe“. Ohne Offenbach aber hätte sich der von hier ausgehende, weltoffene Geist nicht über eine ganze Region ausdehnen können. Herrschte Jahrhunderte lang der Glaube vor, sollten beide einmal gemeinsam etwas bauen, so wird es eine Mauer sein, arbeiten die Städte heute im Regionalverband Frankfurt/Rhein-Main zusammen.

Der Ärger zwischen beiden Städten beginnt bereits im Jahre 1417. Damals beschwert sich die Stadt Frankfurt empört beim Reich. Angehörige des niederen Adels schickten sich an, in Offenbach eine Burg zu bauen. Ein schwerer Verstoß. Schließlich genossen die Frankfurter das im 14. Jahrhundert von Kaiser Ludwig dem Bayern verliehene Privileg, dass im Umkreis von zehn Stunden keine Burg oder Schloss gebaut werden durfte. Ihre Beschwerde beim Offenbacher Landesherrn dem Erzbischof und Kurfürst von Trier, Werner von Falkenstein aber blieb erfolglos. Also beschwerte sich Frankfurt drei Jahre später beim Kaiser, wieder ohne Erfolg.

Nach wechselnden Besitzverhältnissen fiel Offenbach 1486 an die Grafen zu Isenburg. In der Weltgeschichte war dies eine spannende Zeit. Kolumbus entdeckte Amerika und Luther nagelte seine 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg, mit denen er gegen den Ablasshandel protestierte.

Ein neues Zeitalter begann. Graf Reinhard legte 1541 den Grundstein zum Bau eines Schlosses. 1542 schaffte er in seinem Machtbereich das Papsttum ab und führte das lutherische Bekenntnis ein.

Während die erste Burgruine verfiel, musste Frankfurt die nächste Demütigung ertragen. Im 30jährigen Krieg nahm der Schwedenkönig Gustav Adolf 1631 im Offenbacher Schloss Quartier und forderte die Übergabe der Reichsstadt Frankfurt. Der Rat der Stadt schickte guter Hoffnung eine Verhandlungsdelegation, die mit Verweis auf Bedeutung und Ansehen von Frankfurt Schonung verlangte. Doch Gustav Adolf ließ nicht mit sich verhandeln. Bedingungslos forderte er die Unterwerfung der Stadt. Gedemütigt mussten die Frankfurter Bürger den Einmarsch der schwedischen Truppen ertragen.

Im Isenburger Schloss machte Schwedenkönig König Gustav II. Adolf von Schweden auf seinem Feldzug im 30jährigen Krieg Station

Lange freuen konnten sich aber die protestantischen Offenbacher nicht über die Demütigung Frankfurts. Bereits drei Jahre nachdem König Gustaf Adolf in Offenbach Quartier genommen hatte, brach 1634 die Pest aus. Der Krieg der dreißig Jahre dauerte und den keiner gewinnen konnte, hatte bis zu 1648 Millionen Opfer gefordert. Auch Offenbach war durch Truppendurchmärsche und Hungersnöte verwüstet.

Es ist zwar nicht überliefert, wie sich die Bevölkerung 1648 zum Ende des 30jährigen Krieges zusammensetzte, aber es ist anzunehmen, dass die Pestgezeichneten, Kriegsinvaliden und Witwen mit ihren Vergewaltigungskindern die Mehrheit bildeten. Fast 40 Jahre später, im Jahr 1685, hat Offenbach gerade einmal 600 Einwohner. Das war natürlich schlecht für einen Fürsten, der nur von den Abgaben seiner Untertanen lebte. Doch Graf Johann Philipp hatte eine Idee: Die Hugenotten und die Juden könnten es richten.

Die Hugenotten

Wie in Deutschland fand der Protestantismus auch in Frankreich schnell Anhänger. Doch der König war streng katholisch und die Kirche mächtig. Die erste Hinrichtung eines Protestanten wird auf 1523 datiert. Trotzdem konnte der Protestantismus Fuß fassen. Es folgten mehrere Glaubenskriege. Erst das Edikt von Nantes gewährt 1598 den Protestanten religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte. Sind die protestantischen Kirchen in Deutschland entweder von Martin Luther (Lutheraner) oder dem Züricher Reformator Huldrych Zwingli geprägt, so haben sich die französischen Protestanten sehr schnell den Lehren des nachfolgenden Reformators Johannes Calvin angeschlossen. Er war in Noyon in Frankreich geboren und lehrte in Genf. Seine Anhänger werden Hugenotten genannt, was sich aus dem Französischen als Eidgenossen, nach dem Lehrort Calvins übersetzen lässt.

Doch mit dem aufkommenden katholisch geprägten Absolutismus in Frankreich kommt es zu hugenottischen Aufständen und Ludwig der XIII. entzog 1629 den Hugenotten die politischen und militärischen Rechte. Ab 1661 beginnen die massiven Verfolgungen der Protestanten. Den Höhepunkt bildet das Edikt von Fontainebleau unter Ludwig dem XIV. im Jahr 1685. Es verbietet den protestantischen Gottesdienst und ordnet die Zerstörung ihrer Kirchen an. Wer nicht zum Katholizismus konvertiert, verliert seine bürgerlichen Rechte: Er konnte keine Ehe eingehen und kein Eigentum erwerben. Es kommt zum Exodus. Rund 500 000 Hugenotten verlassen das Land. Darunter ein großer Anteil des Adels und des gewerblich aktiven Bürgertums. Wie groß die Not gewesen sein muss, zeigt sich im Wappen der 1718 errichteten französisch-reformierten Gemeinde in Offenbach. „Domine serva nos perimus“ (Herr, rette uns, wir gehen zu Grunde) ist darauf zu lesen.Graf Johann Philipp gab den Hugenotten ein Stück Land in der eigens errichteten Siedlung Philippsdorf, am Rande von Frankfurt, dem heutigen Neu-Isenburg.

34 Familien ließen sich dort nieder. 46 Familien siedelten sich bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Nähe des Schlosses an, wo sie 1718 ihr eigenes Gotteshaus errichteten.

Die 1717/ 1718 erbaute Französisch-Reformierte Kirche in Offenbach am Main

Heute ist die reformierte Kirche mitten in der Stadt, doch damals lag sie am Rande, das eigentliche Offenbach erstreckte sich auf der anderen Seite des Isenburger Schlosses.

Graf Johann Philipp gewährte ihnen das Recht, ihre Gottesdienste im calvinistischen Ritus zu feiern und die französische Sprache zu sprechen. Daneben billigte er ihnen für 10 Jahre Steuerfreiheit zu. Mit den Hugenotten halten neben Gewerbetreibenden neue Handwerksberufe in Offenbach Einzug. Darunter sind: Wollfabrikanten, Strumpfweber, Seidenweber, Leinweber, Hutmacher, Posamentierer, Perückenmacher, Knopfmacher, Gerber, Gießer, Goldwirker, Goldarbeiter und Färber. Graf Johann Philipp gewährt ihnen das Recht, Manufakturen aller Arten zu errichten und zu betreiben. Namentlich erwähnt wird erstmals die Lederherstellung, daneben Manufakturen für Gold, Silber, Seide, Leinen, Wolle, Baumwolle und Hütten. In Frankfurt hingegen ist der Einfluss der Handwerker Zünfte groß und die Errichtung von Manufakturen verboten.

Die Familie Andre