Aber ich liebe dich - Gudrun Leyendecker - E-Book

Aber ich liebe dich E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Die junge Melody lebt am Rand der Stadt in einer Wasserburg, die in einem märchenhaften Naturpark liegt. Sie träumt von einem Leben in Freiheit und von einem liebevollen Partner. In das Pförtnerhaus ist gerade Chili eingezogen, der das Leben von einer humorvollen Seite betrachtet und stets zu Scherzen aufgelegt ist. Über die Ordnung im Anwesen wacht Professor Sterntaler, der Melodys Alltag mit vielen Regeln behaftet. Gibt es eine Möglichkeit, in ein Leben ohne Einschränkung und voller Glück zu entfliehen?

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher circa 95 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsangabe

Die junge Melody lebt am Rand der Stadt in einer Wasserburg, die in einem märchenhaften Naturpark liegt. Sie träumt von einem Leben in Freiheit und von einem liebevollen Partner. In das Pförtnerhaus ist gerade Chili eingezogen, der das Leben von einer humorvollen Seite betrachtet und stets zu Scherzen aufgelegt ist. Über die Ordnung im Anwesen wacht Professor Sterntaler, der Melodys Alltag mit vielen Regeln behaftet. Gibt es eine Möglichkeit, in ein Leben ohne Einschränkung und voller Glück zu entfliehen?

Vor den meterhohen Sonnenblumen leuchten die himmelblauen Vergissmeinnichte, die sich um Bartnelken und Löwenmäulchen gruppieren. Dazwischen drängen sich mehrere Löwenzahn-Pflanzen und eine lange Ackerwinde, die sich am Zaun emporrankt.

Melody streicht sich die Haare aus der Stirn. „Ist das eine Hitze! Ein Plätzchen im Schatten wäre jetzt optimal.“

„Lass das Unkraut doch einfach wachsen!“ schlägt Chili vor. „Dann freuen sich die Insekten, und du hast doppelt so viele Schmetterlinge wie im Augenblick.“

Sie seufzt. „Der Schlossherr hat leider bestimmt, dass dieses Stück Garten wie ein gepflegtes Beet behandelt werden soll. Professor Sterntaler wäre bei diesem Thema auf deiner Seite, die Natur sieht er auch am liebsten unbelassen.“

„Don Camisi ist weit weg. Im Augenblick brauchst du ihn nicht zu fürchten. Wir könnten zum Brunnen gehen, dort ist es schattig und kühl.“

Sie legt die kleine Harke beiseite. „Hast du deine Gitarre mit?“

„Nein, sie hängt in meinem Zimmer an der Wand. Soll ich sie holen?“

„Nein, lass nur! Ich will ja nur eine kleine Pause machen, bis die Sonne hinter der dicken Wolke da oben verschwunden ist.“

„Ich habe übrigens einen neuen Song geschrieben“, verrät ihr Chili. „Soll ich ihn dir einmal vorsummen?“

Melody setzt sich ins Gras. „Ich bin schon ganz gespannt. Du hast mir so viel von deinen Kompositionen vorgeschwärmt, da bin ich richtig neugierig.“

Er stellt sich vor sie hin und summt ein paar Töne, die sich zu einer einschmeichelnden Melodie aneinanderreihen.

„Aber es ist traurig“, findet die junge Frau und sieht den Jungen erstaunt an.

„Es ist ja auch ein Abschiedslied“, erklärt er fröhlich.

„Und für wen ist es gedacht? Wem

trauerst du nach?“

„Dem glücklichen Tag von gestern, ich lasse ihn ziehen.“

Melody staunt. „War denn da etwas Besonderes? Hast du etwas Außergewöhnliches erlebt?“

„Mir ging es gut, ich war gesund und hatte alles, was ich zum Leben brauche. Das ist nicht selbstverständlich. Und es gab noch nicht einmal Menschen, über die ich mich geärgert habe.“

„Du warst ja auch allein im Pförtnerhäuschen und hast dich von deiner langen Reise ausgeruht. Bis auf deinen alten Onkel hast du niemanden gesehen.“

„Eben, und dass ist schon ein Geschenk. James ist ein sehr liebenswürdiger Mensch, allgemein sagt man von ihm, er sei sehr umgänglich. So spricht man häufig von den Leuten, die man gut gängeln kann.“

Melody horcht auf. „Fühlt er sich denn hier nicht wohl? Bisher hatte ich den Eindruck, dass er sich sehr gut mit Professor Sterntaler versteht.“

„Die beiden wissen, was sie aneinander haben. Einer braucht den anderen, das ist eine gute Symbiose. Sie waren gestern noch bis weit nach Mitternacht gemeinsam im Labor.“

„Schade, dass ich nicht weiß, was die beiden da drinnen treiben“, bedauert sie und blickt in die dunkle Wolke, die soeben die Sonne verfinstert.

„Es sind medizinische Forschungen“, weiß Chili. „Wenn ich mehr darüber herausfinde, kann ich dir gern darüber berichten. Natürlich nur, wenn es dich interessiert.“

„Da fragst du noch?! Ich habe schon versucht, hinter den verschlossenen Türen zu horchen, aber es ist alles schalldicht.“

Er beginnt, ein fröhliches Lied zu summen, pfeift zwischendurch wie ein Vogel.

Sie hört aufmerksam zu „Was ist das jetzt wieder für ein Lied? Es klingt ausgesprochen heiter und vergnügt.“

„Ich freue mich über den heutigen Tag. Gute Tage sind wie ein warmer Sommerregen, da sprießen die Gedanken und Melodien.“

In diesem Augenblick erscheint ein großer älterer Mann mit grauen langen Haaren. Er blickt Melody ernst an. „Bist du noch nicht fertig mit dem Unkraut hier? Es ist schon spät, und ich habe eine neue Aufgabe für dich.“

„Entschuldige bitte, aber es war so furchtbar heiß. Ich habe mir eine kleine Pause gemacht.“

„Du solltest dir einen Hut ansehen, dann kann dir die Sonne nichts anhaben. Der Mensch braucht Licht und Luft und Sonne, all diese Einflüsse sind wichtig für einen gesunden Menschen.“

„Ich werde jetzt sofort weitermachen“, verspricht sie. „Und ich beeilte mich. Dann kann ich in einer halben Stunde fertig sein.“

„Wahrscheinlich hast du dich von Chili ablenken lassen“, vermutet er. „Vielleicht ist es besser, wenn du allein weiter machst.“

Melody seufzt leise. „Er hat überhaupt nicht gestört, im Gegenteil, Chili hat mir sogar geholfen. Es war wirklich sehr viel zu tun, und allein hätte ich es heute gar nicht mehr geschafft.“

„Ich nehme an, dass er sicher etwas Besseres zu tun hat. Unkraut jäten ist nichts für einen Jungen in dem Alter.“

„Ich habe gern geholfen“, verteidigt sich Chili. „James braucht mich im Moment nicht und hat mir frei gegeben. Mein Onkel hat sich gerade ein bisschen hingelegt, das tut er immer in der Mittagszeit. So hat er es mir jedenfalls bei meiner Ankunft mitgeteilt. In den letzten sieben Tagen fand ich ihn jeden Nachmittag schlafend vor, er ist eben nicht mehr der Jüngste.“

„Unsere Arbeit im Labor ist sehr anstrengend, sie verlangt alles von uns ab. Aber wir sind uns auch im Klaren darüber, wie wichtig sie für die Menschheit ist.“

„Onkel James hat mir verraten, dass es um den medizinischen Bereich geht. Kein Wunder, dass Sie dann schnell vorankommen möchten. Obwohl ich erst sechzehn Jahre alt bin, konnte ich doch bisher schon allerlei von der Welt sehen und viele Erfahrungen sammeln. Wenn Sie mich einmal für unbedeutendere Arbeiten brauchen, können Sie mir gern Bescheid geben“, bietet er dem Professor an.

„Bei uns gibt es keine unbedeutenden Arbeiten“, erklärt Sterntaler und verleiht seiner Stimme stärkeren Ausdruck. „Es geht um die bedeutendsten Entwicklungen der Menschheit.“

Chili sieht ihn fröhlich an. „Und darüber dürfen Sie wirklich nichts verraten? Vielleicht könnte man den Menschen jetzt schon Hoffnung machen, und Vorfreude ist immer etwas ganz Besonderes.“

Der Professor lässt sich nicht provozieren. „Zunächst einmal müssen wir uns auf die Arbeit konzentrieren. Ohne Fleiß erwirbt man keinen Preis. Und jetzt ruft mich die Pflicht.“

*

Lina, die Haushälterin, eine ältere Frau mit einer fülligen Figur, erscheint in der Bibliothek.

„Jetzt mach aber endlich mal Pause, Kindchen!“ fordert sie Melody auf. „Du sitzt jetzt hier schon drei Stunden am Schreibtisch und verdirbst dir die Augen.“

„Das muss ich doch“, antwortete die junge Frau seufzend. „Ich muss hier die ganzen lateinischen Formeln, die auf den Notizzetteln stehen, in den Computer eintragen. Das ist ziemlich schwierig, ich muss doch alles mehrfach kontrollieren, damit alles fehlerlos notiert werden kann.“

„Aber deswegen kannst du doch mal eine Pause machen!“

„Das geht eben nicht. Nur der Professor kennt das Code-Wort. Er hat den Server hochgefahren und wird ihn auch wieder herunterfahren, wenn ich fertig bin. Vorher darf ich diesen Raum nicht verlassen. Du weißt ja, dass hier drinnen Handys verboten sind.“

„Diese Geheimniskrämerei!“ schimpft Lina. „Wenn diese Forschung für den guten Zweck ist, muss sie doch nicht geheim bleiben. Überall protzt man damit, wenn ein neues Medikament in Entwicklung ist. Und du bist schließlich schon seit deinem ersten Lebensjahr unter den Fittichen des Professors. Wenn er einem Menschen vertrauen könnte, dann doch auf jeden Fall dir.“

Melody nickt. „Ich bin fast wie seine Tochter. Aber ich finde schon, dass er extrem streng zu mir ist.“

Die ältere Dame überlegt. „Vielleicht ist er gerade deswegen so streng, weil er sich wie ein Vater fühlt. Deine Augen sehen schon ganz müde aus. Kannst du dich wenigstens nach dieser Arbeit ausruhen?“

„Naja, ausruhen wäre zu viel gesagt. Er hat mir ein Geschichtsbuch hingelegt und mir aufgetragen, einige Kapitel darin zu lesen.“

„Das werde ich nicht zulassen“, empört sich Lina. „Wenn du hier am Computer fertig bist, musst du erst einmal etwas essen. Ich habe eine schöne Gemüsesuppe gekocht, die wir dir guttun und ist auch nicht schwer verdaulich.“

„Du bist ein Engel! Ich freue mich schon darauf. Wie sieht es denn mit dem Professor aus? Hat er schon gegessen?“

„Nein, du kennst ihn ja. Er isst erst abends spät, wenn er glaubt, mit der Arbeit fertig zu sein. Das ist auch nicht gut für den Magen. Ich sage ihm das jeden Tag, aber er hört nicht auf mich.“

Melody stöhnt. „Er hört auf niemanden. Er macht genau das, was er will. Und mich erzieht er ganz despotisch, so wie das vor vielen Jahrzehnten in der Epoche des Kaiser Wilhelm gewesen ist. Das ist total veraltet und unsinnig.“

„Ja, diese Erziehung ist nicht gesund. Es ist ein Wunder, dass du dabei normal geblieben bist. Alle anderen Menschen wären dadurch zu willenlosen Geschöpfen und Duckmäusern geworden.“

Melody seufzt. „Ich könnte schon ein bisschen mehr Freiheit gebrauchen. Weißt du, wie gern ich einmal verreisen möchte?!“

„Chili hat dir wohl davon vorgeschwärmt“, vermutet Lina.

„Ja, natürlich. Er ist noch so jung, gerade mal sechzehn Jahre alt und hat schon die halbe Welt gesehen. Ich bin vierundzwanzig und kaum vor die Tür gekommen.“

„Der Junge hat dir viel erzählt, sicherlich hat er einiges erlebt und seine Erfahrungen gemacht, und jetzt bist du auf den Geschmack gekommen. Das kann ich verstehen. Hast du denn einmal mit dem Professor geredet. Es könnte doch sein, dass er seine Meinung inzwischen geändert hat.“

„Das hat er leider nicht. Ich habe ihn neulich noch einmal gefragt, wann ich endlich eine Reise in die Berge unternehmen kann, aber er hat mir gesagt, dass die Zeit noch nicht reif sei. Zuerst müsse ich all meine Aufgaben erledigen, und auch er müsse in seiner Forschung ein paar Ergebnisse vorweisen können.“

Linas Augen weiten sich. „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“

„Das weiß ich auch nicht. Er tut immer so geheimnisvoll. Bisher habe ich nicht viel gefragt und alles getan, was er sagte. Aber Chili hat eine neue Welt hier hereingebracht. Zum ersten Mal sehe ich, dass es auch noch ganz andere Welten gibt. Hier besteht der Tag aus Arbeit. Und in der restlichen Zeit lerne ich aus Büchern. Jetzt möchte ich einmal aus der lebendigen Welt etwas lernen.“

„Möglicherweise will dich der Professor auch vor dieser Welt da draußen beschützen. Es ist ja nicht alles nur schön und friedlich.“

„Das weiß ich doch, Lina. Und trotzdem fühle ich mich sehr hungrig. Das Wort „Leben“ hat doch mit dem Verb „erleben“ zu tun.“

Die Haushälterin hebt die Augenbrauen. „Dann bleibt dir nichts anderes übrig, dann musst du noch einmal mit dem Professor sprechen.“ „Ich will es noch einmal versuchen.“ Sie lächelt. „Schließlich heißt er „Sterntaler“, und mit diesen Namen sollte man doch die Sterne vom Himmel holen können.“

*

„Hübsch siehst du aus mit dem Blumenkranz“, findet Chili und sieht Melody fröhlich an. „Jetzt musst du dich nur vor den Gänsen in Acht nehmen!“

Sie sieht ihn verdutzt an. „Vor welchen Gänsen?“

Er schmunzelt. „Du hast deinen Kranz aus Gänseblümchen geflochten. Vermutlich haben sie diesen Namen, weil sie ein Leckerbissen für Gänse sind. Magst du noch ein Lied hören?“

„Ja, deine Gitarre wartet schon darauf“, scherzt sie. „Ich sehe es ihr förmlich an. Spiel mir ein Lied aus den Bergen, dann kann ich träumen, ich wäre dort.“

„Mit dem Kränzchen siehst du aus wie ein kleines Mädchen. Und kleine Mädchen glauben an ihre Träume. Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“

Melody freut sich. „Oh ja, bitte!“

„Onkel James hat im Schlaf gesprochen. Und das ziemlich deutlich.“

„Tatsächlich? Was hat er gesagt? Konntest du es verstehen?“

„Alles konnte ich nicht verstehen. Aber doch einige sehr wichtige Sätze. Daraus habe ich mir dann etwas zusammengereimt, und ich bin sicher, dass er über die Forschung gesprochen hat.“

„Weißt du jetzt etwa, an welchem Thema er und der Professor arbeiten?“

„Auf jeden Fall sind es einige Medikamente, die auch mit der Psyche zu tun haben. Und es geht um die Träume, die Menschen haben.“

„Sie betreiben Traumforschung?“

„Aus seinen Worten habe ich mir zusammengereimt, dass sie schon viel weiter sind. Sie haben wohl einen besonderen Stoff gefunden, der die positiven Träume beeinflusst und die Menschen optimistischer stimmt, damit sie ihre Ziele energischer verfolgen.“

„Um Himmels willen! Ist das etwa eine Droge?! Das hört sich aber sehr gefährlich an.“

„Nein, es geht dabei nicht um Illusionen oder Wahnvorstellungen. Es geht eher um die Wunschträume, die ein Mensch hat, um die, die er auch im Wachzustand gern verfolgen möchte.“

Melody sieht ihn ungläubig an. „Und das alles hat er im Schlaf verraten? Bist du dir sicher, dass all das der Wirklichkeit entspricht? Vielleicht hat er nur geträumt.“

„Nein, nein. Möglicherweise hat er dieses Mittel auch schon selbst ausprobiert. Offenbar hat er sich im Schlaf mit dem Professor unterhalten. Er schien immer wieder Antworten auf gestellte Fragen zu geben.“

Sie zweifelt immer noch. „Der Professor hat mir die ganze Zeit versichert, dass es sich um lebensnotwendige Medikamente handelt. Dann hätte er doch gelogen. Für seine Wünsche und Träume muss man arbeiten und beten.“

„Oh, das würde ich nicht genauso sagen“, widerspricht er. „Es ist kein Luxus, zufrieden zu sein. Die Gesundheit der Seele ist auch lebensnotwendig. Und glücklich sein, das gehört dazu.“

„Das stimmt schon. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie solch ein Medikament funktioniert, also wirken soll. Hat James denn noch mehr darüber gesagt?“

Er verzieht das Gesicht. „Leider nicht. Aber natürlich bin ich jetzt sehr neugierig geworden. Auf jeden Fall werde ich alles tun, um mehr darüber zu erfahren. Ich hatte schon befürchtet, dass es mir hier sehr langweilig werden könnte. Quasi eingesperrt, eine Zeit lang hier in der Burg, da konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich mich dabei wohlfühlen kann.“

Sie lächelt. „Und jetzt ist es dir nicht mehr langweilig.“

„Ganz bestimmt nicht. Ich brenne darauf, mehr zu erfahren.“

„Und was hast du genau vor?“

„Natürlich werde ich nachts weiter aufpassen, ob er wieder im Schlaf spricht. Aber das reicht mir nicht. Ich werde ihn auch am Tag darauf ansprechen.“

„Er wird dir nichts sagen“, vermutet Melody. „Professor Sterntaler ist mir gegenüber diesbezüglich auch total verschwiegen.“

„Oh, ich glaube, da kennst du mich noch nicht“, entgegnet er schmunzelnd. „Ich bin weltgewandt. Du weißt doch, dass ich schon viel herumgekommen bin, und ich habe viele Menschen mit unterschiedlichen Mentalitäten kennengelernt. Ich behaupte von mir, zu wissen, wie man mit Menschen umgeht. Natürlich kann man auch geradeheraus provozieren. Aber das würde weder bei Onkel James noch bei Professor Sterntaler Erfolg bringen.“

„Ganz gewiss nicht. Sie sind beide nicht nur intelligent, sondern auch clever.“

Er sieht sie zuversichtlich an. „Das macht gar nichts. Ich bin genauso schlau und werde die beiden austricksen. Aber jetzt habe ich erst mal Hunger. Kommst du auch mit zu Lina in die Küche? Es duftet dort schon nach einem Braten. Wenn ich mich nicht täusche, gibt es gegrillte Hähnchen.“

„Du täuschst dich bestimmt. Hier gibt es nur in Ausnahmefällen Fleisch. Und zwar immer nur dann, wenn es etwas zu feiern gibt.“

„Dann ist heute bestimmt so ein Tag. Also, was ist los? Kommst du mit?“

„Ich muss mir noch mehrere Arien aus einer Oper anhören. Das ist heute mein Pflichtprogramm. Professor Sterntaler hatte mir Wagner hingelegt, aber ich kann ihn nicht ausstehen. Stattdessen habe ich mir einen Verdi hervorgeholt, der ist zwar auch sehr theatralisch, aber wenn du dir mal seine Biografie anschaust, wirst du das verstehen.“

„Ich war zwar schon in Mailand und Venedig und auch in Paris, wo seine Opern aufgeführt wurden, aber seine Biografie habe ich tatsächlich noch nicht gelesen.“

„Als er jung war, starb nicht nur seine erste Ehefrau, sondern er verlor auch zwei Kinder in einem sehr frühen Alter, als sie noch ganz klein waren. Und bevor er berühmt wurde, gab es Zeiten, in denen er hungern musste.“

„Tatsächlich haben einige Künstler ähnliche Schicksale“, bemerkt Chili. „Und ich habe jetzt auch Hunger, da kann ich den armen Verdi schon verstehen. Oder möchtest du lieber, dass ich auf dich warte?“

Melody lacht. „Bloß nicht! Sonst knurrt dein Magen nachher so laut, dass die Arien von Misstönen gestört werden. Es ist mir jetzt sowieso zu warm, da kann ich nicht so viel essen. Etwas Obst reicht mir später.“

„Gut, dann kannst du mir am Nachmittag etwas darüber erzählen. Oder hat dir Professor Sterntaler noch andere Aufgaben aufgetragen?“

„Nein. Hast du vergessen, dass Sonntag ist? Heute darf ich mich den schönen Künsten widmen. Und für später habe ich mir einen weiteren Spaziergang durch den Park vorgemerkt.“

Er zwinkert ihr zu. „Dann sehen wir uns später.“

*

Professor Sterntaler hebt die Kaffeetasse, nimmt einen kleinen Schluck und sieht Melody erwartungsvoll an. „Das ist eine feine Röstung. Hast du bemerkt, wie dieser Kaffee duftet?“

Die junge Frau nickt. „Woher kommt er? Aus Brasilien?“

„Richtig. Es ist die Sorte Arabika. Ich denke, du kannst den feinen Geschmack wahrnehmen. Aber was mir viel wichtiger ist, hast du dir gestern die kleinen Bücher über Astronomie und Astrologie durchgelesen?“

„Ich habe mit beiden angefangen, aber ich bin nicht fertig geworden. Am Abend war ich so müde, dass ich darüber eingeschlafen bin. Kann es sein, dass ich so müde bin, weil mich die stets gleiche Umgebung etwas langweilt?“

Ein strenger Blick trifft sie. „Diese Umgebung hier bietet eine ganze Menge Abwechslung. Im Haus hast du die ganzen Kunstwerke, da sind die Skulpturen, die zahlreichen Bilder, die Schatzkammer und die große Bibliothek und außerdem das Atelier. Sogar in der Küche darfst du dich versuchen. Und welche Vielfalt besitzt der Park?! Da gibt es die Blumenrabatten und die Rasenflächen, mehrere antike Brunnen, das kleine Wäldchen und den Nutzgarten. Dazu noch das Gewächshaus und den Rosengarten. Das alles ist Seelen-Nahrung genug. Was sollen denn die Menschen in der Großstadt sagen, die zum Fenster hinausschauen und gegen eine Betonwand blicken?“

Melody sieht ihn betrübt an. „Aber die Welt ist doch nicht nur so wie hier in dieser Burg und diesem Park! Die Welt ist bunt. Natürlich hat sie auch ihre Schattenseiten und ihre dunklen Ecken. So ist das Leben.“

„Natürlich würde ich dich gern von den Grausamkeiten des Lebens fernhalten, doch das kann ich nicht. Ich möchte dich aber möglichst schonend darauf vorbereiten und deswegen habe ich dir auferlegt, dass du zuerst deine Schulungen absolvierst. Morgen kommt Elvira, und wenn du nicht aufpasst, bringt sie dein Leben durcheinander.“

„Ich würde aber viel lieber mit dir arbeiten. Kann ich nicht stattdessen dir als Assistentin im Labor eine Hilfe sein?“

„Nein. Man kann kein Pferd von hinten aufzäumen. Im Labor kannst du erst mitarbeiten, wenn du deine Reifeprüfung abgelegt hast.“

Die junge Frau seufzt. „Das verstehe ich nicht. Ich könnte ganz vorsichtig sein und wäre mit den einfachsten Arbeiten zufrieden.“

Er sieht sie streng an. „Da gibt es keine einfachen Arbeiten. Auch beim kleinsten Handgriff benötigt man Kenntnisse, eine geübte Fingerfertigkeit und ein großes Verantwortungsgefühl. Das alles musst du dir noch aneignen, erst dann bist du bereit für diese diffizile Arbeit. Es geht immer schön der Reihe nach: Du lernst ja erst auch laufen, bevor du tanzen gehst.“

Melody gibt sich geschlagen. „Also, dann bin ich gespannt auf morgen. Wer ist denn diese Elvira?“

„Darüber darf ich dir nichts erzählen. Wenn du dich eines Tages in die Welt hinausbegibst, begegnest du auch allen Menschen spontan und ohne Möglichkeit, dich auf jeden einzelnen vorzubereiten.“

„Kannst du mir wenigstens verraten, wie lange sie hierbleiben wird?“

Sein Blick misst sie kritisch „Das hängt ganz von dir ab.“

„Also gibt es nichts, womit ich mich vorbereiten kann?“

„Wenn du heute Abend zu einer vernünftigen Zeit ins Bett gehst, bist du morgen ausgeschlafen, das dürfte dann die beste Vorbereitung sein.“

„Sicher hast du einen guten Grund für das alles“, fügt Melody zaghaft ein.

„Wahrhaftig! Elvira wird für dich eine wichtige Erfahrung sein.“

Sie atmet tief. „Das hört sich geheimnisvoll an, und ein bisschen fürchte ich mich davor.“

„Das ist normal“, fährt er ungerührt fort. „Vor dem Ungewissen und von neuen Dingen fürchten sich viele Menschen. Es könnte ja irgendeine Gefahr bergen, und es mahnt einen zur Vorsicht. Sieh es als Herausforderung an, so wie jeder neue Tag im Leben eine Herausforderung ist!“

„Wirst du dann auch mit dabei sein?“

„In den nächsten Tagen werde ich fast immer im Labor sein. Wie ich dir schon sagte, sind wir an einem wichtigen Punkt angekommen und stehen kurz vor dem Durchbruch. Wir erwarten schon in den nächsten Tagen die ersten Erfolge, auf denen wir dann aufbauen können.“

„Dann gratuliere ich dir dazu. Dann bist du bestimmt jetzt sehr froh.“ Leise flüstert sie zu sich selbst. „Und ich werde mit dieser Elvira dann ganz allein dastehen. Hoffentlich ist sie eine umgängliche Person.“

*

„Warum hast du deine Gitarre nicht mitgebracht?“ beschwert sich Melody bei Chili und rückt ein wenig auf der Bank zur Seite, damit er genügend Platz hat.