Abnehmen, Kinderkriegen und andere Katastrophen - Andre Wiesler - E-Book

Abnehmen, Kinderkriegen und andere Katastrophen E-Book

André Wiesler

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Beschreibung

Bulimische Ernährungsberaterinnen, Stress mit der Telekom, linguistische Streitgespräche mit dem Präkariat, Sex mit hohen Sternenflotten-Offizieren, Kalorien-Tourette, Schwierigkeiten bei der Geburt und dann all die Dinge, die in einem Leben mit Kind und Bauch so schief gehen können ... wenn man dieses Buch durch hat, wird man dem Autor André Wiesler Mitleidsbriefe schreiben wollen. Sofern man vor lauter Lachen dazu kommt. Wiesler erzählt Geschichten aus seinem Leben auf ungewöhnliche und komische Weise so, dass sie jeder nachempfinden kann – und froh ist, dass ihm so etwas erspart bleibt. Als Poetry-Slam-Künstler und Autor hat er die Kunst der kurzen, humorvollen Geschichte gemeistert und geht damit sogar als Lesekomiker auf Tour, die ebenfalls: Abnehmen, Kinderkriegen und anderen Katastrophen heißt.

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André Wiesler

Abnehmen, Kinderkriegen

und andere Katastrophen

ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH

BAND 4041

1. Auflage: September 2011

VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2011 BY ELYSION BOOKS, GELSENKIRCHEN

ALL RIGHTS RESERVED

Sämtliche Namen, Orte, Charaktere und Handlungen sind frei erfunden und reine Fiction der Autoren/innen. Alle Ähnlichkeiten mit Personen, lebend oder tot, sind Zufall.

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert

www.dreamaddiction.de

FOTO: © Sonja Beck

www.beck-art.com

LAYOUT & WERKSATZ: Hanspeter Ludwig

www.imaginary-world.de

Lektorat und Korrektorat: Janina Wiesler

PRINTED IN POLAND

ISBN 978-3-942602-20-4

Mehr himmlisch heißen und teuflisch guten Lesespaß finden Sie auf:

www.Elysion-Books.com

Es muss der Moment gewesen sein, als ich in enger Strumpfhose, Hotpants, hautengem Leoparden-Oberteil mit Hilfe des Minitrampolins auf die Bühne schnellte, meine Sportball-Möpse fest umklammernd, und die Leute lachten.

In diesem Moment wurden mir einige Dinge klar:

Erstens: Es ist toll, die Leute zum Lachen zu bringen.

Zweitens: Es ist toll, auf einer Bühne zu stehen.

Drittens: Es ist toll, Möpse in der Hand zu halten, wenn auch vorzugsweise nicht die eignen.

Das oben Beschriebene war mein erster Auftritt auf der Bühne meiner Schule, nachdem ich kurz zuvor der Theater-AG beigetreten war. Wie das Stück hieß, habe ich bereits vergessen, aber diese fünf Minuten, in denen ich als Amüsierdame auf der Bühne das restliche Ensemble dazu zwingen konnte, meine albernen Bewegungen nachzuahmen, gaben den Ausschlag. Ich wusste, ich wollte auf die Bühne, ich wollte Leute zum Lachen zu bringen und ich wollte Strumpfhosen tragen. Letzteres hat sich zum Glück nach einer kurzen Weile wieder gegeben.

Der Weg zum Bühnen-Soloprogramm, dessen schriftgewordene Manifestation Sie gerade in der Hand halten, sollte jedoch noch lang sein. Lange Zeit versumpfte ich in meiner Schreibkammer und schrieb zwar viel Humoreskes, kam aber nur zu den seltenen Lesungen auf die Bühne.

Dann machte mich mein Compagnon auf das Phänomen des Poetry-Slams aufmerksam und nachdem ich mir beim ersten Auftritt in der Krefelder Kneipe Jules Papp eine fette Schlappe abholte, kehrte ich einen Monat später dorthin zurück und gewann. Das ist der Stoff, aus dem echte Heldengeschichten gemacht sind.

So sah mich die Bühne bei diesen Dichterwettstreiten häufiger und mit wechselndem Erfolg, aber zum Lachen brachte ich das Publikum eigentlich immer. Folgerichtig sind viele Texte in diesem Buch auch Teile meines dortigen Schaffens.

Einen zweiten großen Batzen macht die Reihe »Unser Leben mit Lorenz aus«, zu der ich jedoch später etwas erzählen will.

Der große Nachteil beim Poetry Slam ist jedoch, dass jeder Künstler nur fünf Minuten Zeit hat, sich zu beweisen, und selbst wenn die Gunst des Publikums einen durch die verschiedenen Runden des Wettbewerbs trägt, liest man an einem Abend maximal drei oder vier Texte.

Irgendwann reichte mir das nicht mehr und ich wollte mehr, ich wollte Größeres. So kam es zum Soloprogramm, das den gleichen Titel wie dieses Buch trägt: Abnehmen, Kinderkriegen und andere Katastrophen.

Und genau darum geht es auch. Viel Vergnügen bei der Lektüre, und vielleicht besuchen Sie mich ja mal bei einem Auftritt. Meine Internetseite www.andrewiesler.de verrät Ihnen mehr.

Ihr André Wiesler

Ich wollte dieses Kapitel eigentlich Sex, Drugs & Rock’n’Roll nennen, aber da ich verheiratet bin, keine Drogen nehme und lieber Metal oder Reggea höre, war selbst mir das zu offensichtlich erfunden.

Das ändert aber nichts daran, dass Murphy – der Erfinder des gleichnamigen Gesetzes, nach dem alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird – bei uns so regelmäßig ein- und ausgeht, dass er schon einen eigenen Schlüssel besitzt. Selbst wenn man noch keinen kleinen Derwisch durch die Bude rennen hat, gibt es zahlreiche Möglichkeiten für das Schicksal, einen an der Nase herumzuführen, wie einen Technofan am Intimpiercing.

Da sind die Klassiker wie das Einkaufen oder die Telekom, die diversen Versuche, eine Beziehung zu starten oder zu erhalten, das Ringen mit der Muttersprache oder das Bemühen, männlichen Klischees zu entsprechen. Von all dem und mehr berichtet dieses erste Kapitel.

Vielleicht möchten Sie sich schon mal einen Cognac oder eine Tafel Schokolade bereitlegen, damit sie das Mitleid nicht übermannt. Wenn Sie ein bisschen weinen müssen, nur zu. Und wenn sie sich schnäuzen müssen: Mit Seite 22 bis 24 bin ich ohnehin nicht richtig zufrieden.

In diesem Sinne: Möge der grausame Tanz des Schicksals beginnen!

Ich hasse das Einkaufen. Als freiberuflicher Autor kann ich mir ja eigentlich aussuchen, wann ich die Wirtschaft ankurble. Aber irgendwie rutsche ich dann doch immer wieder in den Altersheimausflug am Vormittag oder in den fackeltragenden Feierabendmob.

So auch diesmal – schon als ich auf den Parkplatz fahre, lässt mich ein Blick auf die silberköpfigen Scharen an den Musikantenstadl denken. Und kaum drinnen, lauert die erste Schikane. Eine Mittvierzigerin am Pudding-Probenstand springt mir so vehement in den Weg, dass ich im Ausweichen versehentlich ein Kleinkind ins Reinigungsmittelregal trete. Sie lächelt mich mit der Aufrichtigkeit eines bettelnden Junkies an und fragt: »Möchtense ma probieren?«

Ich habe mehr Appetit auf Rache als auf Pudding, darum sage ich: »Hören Sie mal! Schämen Sie sich nicht?«

Ihr Lächeln hält noch stand, aber in ihren Augen flackert Unsicherheit. In einem Musical entspönne sich an dieser Stelle sanfte Musik und sie sänge in die Ferne: »Was kann es sein, was mag er wollen?«

In Wuppertal-Barmen brechen sich solche Gefühle jedoch mit einer einfachen Silbe Bahn: »Watt?«

»Denken Sie doch mal nach. Jetzt denken sie doch bitte mal nach!«, fordere ich, warte aber nicht ab, bis sie an dieser unmöglichen Aufgabe scheitert. »Sie geben hier jedem Kunden einen von diesen kleinen Plastikbechern. Das sind in der Minute etwa 1,2 … also in der Stunde 72, also an einem normalen Tag 612 Becherchen!«

Ihr Gesicht ist so leer wie Heidi Klums Kühlschrank. Ich verwirre sie weiter, indem ich die Becher mit Vanille, Schoko und Mandel-Crisp wie ein Hütchenspieler durcheinander mische.

»Wissen Sie eigentlich, wie viele Kondome für Jugendliche man daraus hätte machen können?«

»Aber …«, will sie einwenden, doch jetzt bin ich in Fahrt, greife an ihr vorbei den Turm aus Bechern und schnippe sie einzeln zu Boden. »Eins, zwei – Zack! Ungewollte Schwangerschaft … Eins, zwei – Hepatitis!«

»Aber ich dachte …«

»Nein, Sie dachten eben nicht«, brülle ich sie aus vollem Hals an. Ich werfe den ganzen Stapel zu Boden. »Tripper! Filzläuse! Schulabbruch! Und wer ist schuld? Wer ist schuld?«

Sie stürmt davon, aufgelöst, verängstigt. Ich warte nicht auf ihre Rückkehr, sondern leere die offenen Packungen und gehe, mit glucksendem Puddingbauch, weiter.

Da setzt sich eine Tussie im engen Kostüm vor mich. Sie telefoniert lautstark und schafft es, mir effektiv den Weg zu versperren. Höfliche Worte, Gesten, sogar Rufe ignoriert sie. In der abgespreizten Hand trägt sie einen Plastikbeutel mit zwei Biokiwis, die von meiner Warte aussehen wie große, haarige Eier. Das nur so als kleine Assoziation für Ihren nächsten Obstkorb.

Als sie zum letzten Päckchen Oriza-Wildreis greift, sehe ich meine Chance. Ich presche vor und schnappe es ihr vor der Nase weg.

Sie blickt mich pikiert an und sagt ins Klapphandy: »Ey, warte mal, da hat mir so ein Dicker gerade was geklaut.«

Ich erwidere: »Aber der Dicke kann heute lecker Reis essen, mjam, mjam.« Und dann schlitze ich mit dem Daumen ihren Kiwi-Beutel auf. Während sie sich nach den Hodenfrüchten bückt, werfe ich den Reis oben aufs Regal und mache mich aus dem Staub.

Jetzt muss ich mich aber wirklich sputen, doch an der einzigen offenen Kasse stehen bereits gefühlte 400 Mann. Also spreche ich eine Verkäuferin an, die gerade Ware ins Regal räumt: »Entschuldigung, würden Sie bitte eine zweite Kasse aufmachen?«

»Nee!«, brüllt sie, und ich kann mich nicht entscheiden, ob sie mich eher an den Yeti oder seinen Bergsteigerliebhaber erinnert, auf dessen Namen ich grad nicht komme. Behaart genug ist sie für beide Varianten. »Kann ich nicht!«

Bei ihr verschleift es sich zu einem Wort und wird von der Wuppertaler-Universal-Vokabel abgerundet: »Kanchnich, woll?«.

Ich bin natürlich sofort voller Sorge. Hat die arme Frau eine seltene Erbkrankheit, die dafür sorgt, dass ihr das Rückgrat bricht, sobald sie sich setzt? So etwas soll vorkommen, wenn die Eltern schon vor der Hochzeit verwandt waren. Den Faltenrock, der unter dem viel zu engen Kittel hervorlugt, hat sie sicher von ihrer Mutter alias Schwester geerbt und er ist schon seit Jahren nicht mehr gewaschen worden. Ich bemerke erst jetzt, dass wir gar nicht in der Nähe der Käsetheke stehen.

In diesem Moment öffnet eine junge, propere Dame vom Typ Hauptschulabbrecherin eine weitere Kasse. Ich tippe der vom Schicksal Geschlagenen kurz mit einer Stange Sellerie tröstend auf die Schulter – anfassen will ich sie dann doch nicht – und sage: »Tut mir sehr leid, Reinhold!«

Während ich mich freue, dass mir der Name wieder eingefallen ist, versucht mich eine Alte mit gehässigem Blick zu überholen und murmelt »lahmarschiger Homo«. Ich gebe Gas, streife sie an einem Überraschungsei-Display ab und erreiche die Kasse so vor ihr.

Während sie »hätte man früher vergast« grummelt, habe ich meine Waren aufs Band geladen und halte der Alten den faustgroßen Sack mit Ein- und Zwei-Cent-Stücken unter die Nase, mit dem ich zu zahlen gedenke.

Und das nächste Mal fährt wieder mein Frau einkaufen – obwohl, eigentlich habe ich genug Duschgel mit Erdbeergeruch.

9:00 Uhr

Bin gerade ins Büro gekommen und musste bemerken, dass sowohl Telefon als auch DSL nicht funktionieren. Zum Glück habe ich das Handy dabei, also rufe ich gleich mal bei der Telekom-Hotline an. Es geht auch sofort jemand dran.

Kleiner Scherz.

Natürlich empfängt mich eine automatisierte Stimme.

»Bitte nennen Sie mir Ihre Telefonnummer«.

Also fange ich an zu diktieren: »9 – 4 – 6 – 2 –»

»Leider kenne ich keinen Ort mit dieser Vorwahl. Aus welcher Stadt rufen Sie an?«

»Wuppertal«

»Sie wohnen in Ückertal, ist das richtig? Sagen Sie Ja oder Nein.«

»Nein.«

»In welcher Stadt wohnen Sie?«

»Wuppertal«

»Sie wohnen in Obertal, ist das richtig? Sagen Sie Ja oder …«

»Nein! Scheiße noch mal, Schwebebahn, Tuffi, Korruption, Wuppertal! Wuppertal!«

Aber der Computer ist eine Frau und Frauen haben mich noch nie verstanden.

»Ich habe Sie leider nicht verstanden. Bitte nennen Sie mir Ihre Vorwahl.«

»Du kannst mich kreuzweise. Ich will jetzt sofort einen echten Menschen sprechen.«

»Ich habe Sie leider nicht verstanden. Ich verbinde Sie jetzt umgehend mit einem Berater.«

Geht doch. Frauen wollen eben schlecht behandelt werden. Bei dem Gedanken blicke ich mit instinktiv schuldbewusst nach meiner Frau um.

»Ein Hinweis noch. Sie können eine Störung ihres Anschlusses auch ganz bequem im Internet melden.«

»Wie das denn, ohne Internet?«, schreie ich.

9:45 Uhr

Immer noch in der Warteschleife. Ich stelle das Handy auf Lautsprecher und werde nun von einer blechernen Bontempi-Orgelversion des achtzigerjahre Hits Slave to the Rythm beschallt. Von dieser Schwarzen, wie heißt die noch? Nicht Tina Turner, die Dünne. Die so aussieht wie diese andere, die in dem zweiten oder dritten Conan-Film mitgespielt hat.

Egal, ich beschließe, ein bisschen zu schreiben, die Zeit zu nutzen, in der mich niemand mit E-Mails oder Anrufen aus dem Flow reißen kann. Ich muss eh noch ein Exposé verfassen.

10:10 Uhr

War das nicht sogar die gleiche, also die Sängerin und die Tussi aus dem Conanstreifen? Und bei James Bond hat die doch auch mitgespielt? Wie hieß die denn nur? Die sieht aus wie eine schwarze Version von dieser Blonden, die in Police Academy mitgespielt hat. Also bevor sie sich die Tüten hat aufblasen lassen. Die Perle von Sylvester Stalone.

Ich rufe den Browser auf und will bei Wikipedia nachschlagen, aber natürlich findet er keine Seite, denn die Leitung ist ja tot. Egal, arbeite ich erstmal weiter.

10:30 Uhr

Beverly Hills Cop! Nicht Police Academy. In Beverly Hills Cop hat sie mitgespielt, diese andere, die Blonde. Brigitte Nilsen heißt sie! Hab ich mich dran erinnert, weil ich dabei immer an den Affen Herrn Nilson denken muss, aus diesem Kinderbuch von der Schwedin da. Mit diesem Mädchen mit den Strapsen.

10:45 Uhr

Ich bin immer noch nicht weiter mit dem Exposé, weil ich mich bei diesem verdammten, immer gleichen Song einfach nicht konzentrieren kann. Aus lauter Verzweiflung schreibe ich: Mädchen mit Strapsen, schwarzes Conan-Bond-Girl und Schwedische Autorin. Kalle Blomquist schreibe ich dahinter, aber schon während ich es schreibe, wird mir offenbar, dass es der nicht gewesen sein kann.

Ich muss dringend Pipi.

10:46 Uhr

Pippi Langstrumpf! Natürlich, wie konnte ich das vergessen? Pippi Langstrumpf von … es liegt mir auf der Zunge. Wie von selbst öffnet sich der Browser und spottet mir das gleiche Fehlerfenster entgegen. Ich werde noch bekloppt. Ich muss meine Frau anrufen, die weiß so was. Das Telefon ist tot, also nehme ich das Handy, will auflegen, da verstummt die Musik. Ich halte inne, flehe, dass sie jetzt wie im Radio den Titel und Interpreten sagen, aber stattdessen höre ich nur: »Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert. Bitte bleiben Sie dran.«

Toll, jetzt traue ich mich nicht mehr, aufzulegen.

10:48 Uhr

Ich nehme das Handy mit aufs Klo und da klingelt der Postbote. So ein Postbote kommt ja weit rum, weiß einiges, also springe ich auf, ziehe die Hose hoch – aufwischen kann ich später – und stürme auf Socken die Treppe herunter in den Hausflur. Er ist schon wieder auf dem Weg nach draußen und kriegt große Augen, als ich auf ihn zustürme. Wir hatten in den letzten Tagen schon mehrfach Streit miteinander, weil er nie »Post« ruft und ich nach dem Aufdrücken dann minutenlang in der offenen Wohnungstür stehe und darauf warte, dass jemand hochkommt. Heute hat er auch wieder nicht gerufen und jetzt ist er wohl der Meinung, dass ich ihm deswegen ein paar auf die Fresse geben will, denn er wirbelt herum und stürmt davon. Draußen liegt Schnee, deswegen schafft er es, mich nach einigen Schritten abzuschütteln, weil ich wegrutsche und auf einem Smart lande, der gerade ausparkt.

»Pippi Langstrumpf«, rufe ich der entsetzten älteren Dame am Steuer zu, während ich quer über ihre Windschutzscheibe liege. »Wer hat das geschrieben?«

Die Alte reißt das Steuer rum und lässt mich vom Wagen rutschen, hält dann aber einige Meter weiter, kurbelt die Scheibe runter und ruft mir zu: »Astrid Lindgren.«

Ich bleibe dankbar schluchzend einige Augenblicke im Schnee sitzen, dann fällt mir ein, dass ich das Handy auf dem Klo habe liegen lassen und sprinte wieder ins Haus.

11:50 Uhr

Ich bemerke, wie ich leise die Warteschleifenmusik mitsumme und mir Brigitte Nilson als Affenfrau mit Strapsen vorstelle, nur um nicht an die verdammte Sängerin zu denken. Wie heißt die? Wie heißt die? Wie heißt die?

13:00 Uhr

Habe gerade eine Banane gegessen. Hat auch nix genützt. Hat mich nur dran erinnert, dass die Schwarze auch ein bisschen was von Josephine Baker hat. Ich glaube, ich bringe mich um.

13:30 Uhr

Habe mich nicht umgebracht, sondern angefangen, wahllos bei den Nachbarn zu klingeln. Keiner macht auf. Liegt vielleicht daran, dass ich die Musik mittlerweile laut mitsinge.

14:01 Uhr

Bin wieder im Büro. Die Musik verstummt erneut. »Ein Hinweis noch. Sie können eine Störung Ihres Anschlusses auch ganz bequem im Internet melden.«

Ich hole mit dem Handy aus, aber das brauche ich ja noch. Wenn ich das jetzt kaputtmache, dann haben die ja gewonnen. Mit ihrem Psychoterror, ihrem Bontempi-Waterboarding. Also trete ich stattdessen das Aquarium ein.

15:00 Uhr

Die Wunden an den Füßen haben aufgehört zu bluten. Fühle mich wie Bruce Lee in Stirb langsam. Nein, das war Bruce Wayne. Nein, Bruce Campell. Nein, Bruce Danell. Ich fange an zu weinen und streichle beschwörend den WLan-Router. »Bitte, nur eine einzige Anfrage bei Wikipedia.«

Die Fische aus dem Aquarium glotzen mich aus ihrer neuen Heimat dumm an. Die achtundvierzig Schnapsgläser mit jeweils einem Guppy darin bilden einen vollständigen Kreis.

15:40 Uhr

Der Inhalt meines DVD-Regals liegt verstreut um mich herum. Bruce Willis ist das in Stirb langsam. Das behauptet zumindest die DVD-Hülle. Ich bin nicht sicher, ob ich das glauben kann. Ist all das hier überhaupt real?

16:10 Uhr

Es geht jemand dran. Eine Frau Schmidt. Sie fragt, wie sie mir helfen kann.

»Wie heißt die Sängerin von dem verdammten Lied in Ihrer verdammten Warteschleife?«

»Äh, welches Lied denn?«

»Ich habe vergessen wie es heißt«, jammere ich. »Aber das müssen Sie doch wissen!«

Ich singe es ihr vor.

»Tut mir leid, das kenne ich nicht.«

Ich beschimpfe sie mit sich überschlagender Stimme, bis sie auflegt. Dann ist es still. Zu still. Schnell drücke ich Wahlwiederholung, und erneut schallt das Lied von Grace Jones durch den Raum.

16:11 Uhr

Grace Jones! Grace Jones! Grace Jones! Das ist ihr Name! Grace Jones! Da soll noch mal jemand sagen, ich wäre ohne das Internet aufgeschmissen.

Als Robert mir an diesem Tag die Tür öffnete, trug er sein rot-blaues Trikot vom WSV.

»Ich dachte, wir gucken heute Bundesliga?«, fragte ich und sein freundliches Grinsen verblasste.

»Arschloch«, sagte er und hob nur pro forma entschuldigend die Bierflasche in seiner Rechten, um mir nicht die Hand geben zu müssen.

Memo an mich, dachte ich, keine Scherze über den WSV. Ich beschloss, mich für den Rest des Abends auf Witze über die Bayern zu verlegen. Erstens hatte ich gelesen, dass man damit bei Mittel- und Norddeutschen Fußballfans eigentlich immer richtig lag und zum anderen hatten es die alten Weißwurstlutscher verdient.