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Sina Müller

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Beschreibung

**Bist du bereit, dein Herz zu verlieren?** Toni liebt Musik – und hört sie in ihrem Herzen. Selbst Gefühle, Bilder, Erlebnisse nimmt die begabte Geigerin in Tönen wahr. Dass diese Art eine seltene und besondere Begabung ist, erfährt sie erst durch Vincent. Der Talentscout der Academy of Arts ist fasziniert von Toni und will sie unbedingt für die Hochschule gewinnen, auf die es nur die begabtesten Künstler schaffen. Dabei ahnt er nicht, dass Toni für ihn weitaus mehr sein könnte als nur eine talentierte Studentin. Doch Vincent eilt sein Ruf als Draufgänger voraus. Ob Toni den Gerüchten traut, oder doch ihr Herz im selben Takt mit Vincents schlägt? Herzklopfen pur! Begleite Toni auf ihrer Suche nach sich selbst und der Musik in ihrem Leben! Diese New Adult-Romance begeistert auf ganzer Linie und lässt dich im Rhythmus deines Herzens durch die Wohnung tanzen. //»Almost Speechless. Die Tiefe deiner Worte« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Sina Müller

Academy of Arts: Herzensmelodie

**Bist du bereit, dein Herz zu verlieren?**Nach einer missglückten Aufnahmeprüfung scheint Tonis Traum vom Leben einer Violinistin unerreichbar. Bis sie vom charmanten Talentscout Vincent angesprochen wird, der ausgerechnet sie für die Academy of Arts gewinnen will – eine Hochschule, für die nur die begabtesten Künstler ausgewählt werden. Ihrem Musiker-Traum endlich ein Stück näher hofft sie auf ein Wiedersehen mit Vincent, dessen faszinierend grüne Augen ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Doch sein Ruf als Bad Boy der Akademie eilt ihm voraus und Toni muss sich entscheiden, ob sie den Gerüchten glaubt oder auf ihr eigenes Herz hört …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

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Sina Müller lebt mit ihrem Sohn, ihrem Freund und ihren beiden Katzen im Süden Deutschlands. Hoffnungsvoll romantisch – das trifft nicht nur auf die Autorin selbst zu, sondern auch auf die Protagonistinnen ihrer gefühlvollen Romane, die sie neben ihrem Beruf als Marketingspezialistin in jeder freien Minute schreibt. Findet sich dann doch noch etwas Zeit, tanzt die Freiburgerin gerne auf Konzerten oder widmet sich allerlei kreativen Näh- und Bastelprojekten.

PROLOG

Treffen in Amsterdam

Toni

Hoppla! Was war das denn? Ungläubig starrte ich auf das Schloss, das mein schwarzes Leih-Fahrrad an das Gitter der Herengracht gegenüber dem Hostel kettete. Verdammt. Ich kickte gegen den Reifen und stemmte die Hände in die Hüften. Ratlos schaute ich mich um. Irgendjemand musste beim Abschließen seines Fahrrades nicht ganz bei Sinnen gewesen sein und die Kette auch noch um meinen Rahmen geschlungen haben. Bei der Masse an Rädern kein Wunder. Trotzdem: Vollidiot!

Vielleicht sollte ich zu Fuß laufen? Es war ein herrlich warmer Herbstabend und den kurzen Spaziergang ins pulsierende Zentrum Amsterdams könnte ich nutzen, um meine durchdrehenden Nerven zu beruhigen.

Ich atmete tief ein, zählte in Gedanken bis zehn und atmete wieder aus. Nach dem Vorspiel am Konservatorium sollte es mir doch eigentlich besser gehen. Ging es aber nicht. Die Prüfungskommission hatte undurchdringlich gewirkt. Nichts in ihren Gesichtern ließ darauf schließen, ob ich die Aufnahmeprüfung geschafft hatte und ab dem Sommersemester in Amsterdam Musik studieren durfte. Ich würde benachrichtigt werden, hatte mir eine steife, knochige Dame gesagt, deren streng zurückgebundenes Haar die Haut im Gesicht glatt zog. Ihr verkniffenes Lächeln werde ich wohl nie vergessen.

War es so, wie mir meine Geigenlehrer vorhergesagt hatten? War mein Spiel wirklich zu unkonventionell, meine Stückauswahl zu gewagt gewesen?

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich stolz auf mich sein sollte. Schließlich hatte ich mein Bestes gegeben und konnte nichts dafür, wenn die Leute hier zu konservativ waren, um Neuem eine Chance zu geben. Dennoch nagten die Selbstzweifel an mir.

Heute Abend hatte ich feiern wollen. Ein ausgiebiger Stadtbummel, ein oder zwei Cocktails und ein Nachtspaziergang über den Museumplein waren mir als passende Belohnung vorgeschwebt, schließlich war ich über meinen Schatten gesprungen und hatte an diesem Vorspiel teilgenommen. Gar keine so leichte Sache für mich. Ein letztes Mal wollte ich die vor Kreativität pulsierende Atmosphäre Amsterdams schnuppern, bevor es morgen in aller Frühe wieder nach Hause ging. Zurück in die erstickende Enge meines Heimatkaffs – wobei die Ansammlung von drei Höfen in dem dunklen Tal im Schwarzwald nicht einmal die Bezeichnung Kaff verdiente.

Nun hatte mir jemand mit seinem unachtsam angeketteten Fahrradschloss einen Strich durch die Rechnung gemacht. Trotzig wie ein kleines Kind stampfte ich auf und schnaubte verärgert. Ein paar Gäste kamen aus dem Hostel. Lachend zogen sie an mir vorüber und beachteten mich nicht weiter. Fünf Minuten. So lange würde ich noch warten. Vielleicht kam ja derjenige zufällig raus, um mein Rad freizugeben.

Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und setzte mich auf die Stufen, die zur schweren Eingangstür des Jugendhotels führten. Den Geigenkoffer legte ich auf meinen Schoß und stützte darauf meine Ellenbogen ab. Meine Eltern waren sicher schon ganz gespannt, wie es gelaufen war. Sie verstanden zwar nicht viel von Musik und taten meine Leidenschaft für die Geige anfangs als Kleinmädchenspinnerei ab. Inzwischen hatten sie aber dank meiner Beharrlichkeit und der vielen Stunden, die ich mit dem Üben verbrachte, eingesehen, dass die Musik mir verdammt wichtig war. Bei meiner Studienplatzwahl fieberten sie jedenfalls intensiv mit.

Eines der unzähligen Rundfahrtboote, die in Amsterdams Grachten Menschenmassen umherschipperten, trieb in der Herengracht vorüber. Die Zeit war leider zu kurz gewesen, um eine Sightseeingtour zu unternehmen. Dabei wollte ich diese prachtvolle Stadt so gerne näher kennenlernen. Wehmut breitete sich in mir aus, vermischte sich mit den traurigen Tönen, die in meinem Inneren hallten und mich zu überschwemmen drohten. Etwas in mir wusste bereits, dass ich hier nicht studieren würde.

Ein Rempler in meinen Rücken holte mich unsanft aus meinen Gedanken. »Autsch«, empörte ich mich und konnte gerade noch mein Handy davor retten auf den Boden zu prallen und in tausend Einzelteile zu zerspringen. Als ich hochblickte, um zu schauen, wer über mich gestolpert war, hüpfte mein Herz aus einem unerklärlichen Grund für einen kleinen Augenblick.

»Whaaa, verdammt … was … Warum sitzt du auch hier mitten im Weg?«, polterte ein Typ Mitte zwanzig sogleich los und versuchte sich händeringend auf den Beinen zu halten.

Geschickt klammerte sich der Kerl am gegenüberliegenden Geländer fest und fand sein Gleichgewicht wieder. »Gott, das hat mir heute echt noch gefehlt … wie doof hier einfach im Weg rumzusitzen.«

Ohne mich weiter zu beachten oder sich gar zu entschuldigen, quetschte er sich an mir vorbei und lief zielstrebig auf die Fahrräder zu. Ich sah ihm nach und stellte dabei erstaunt fest, dass er derjenige war, der mein Fahrrad versehentlich angekettet hatte. Auch das noch. Ich atmete tief ein.

»Ich würde sagen, wir sind quitt«, gab ich betont ruhig zurück, nahm den Geigenkoffer in die Hand und stand auf. Meinen Gymbag schulterte ich und ergötzte mich einen Moment lang an seinem schockierten Gesichtsausdruck. Idiot. Süßer Idiot!

Er hielt in seiner Bewegung inne, riss den Kopf herum und schaute mich zerknirscht aus seinen faszinierend grünen Augen an.

»Oh Gott, du sprichst deutsch?«

Das Fahrradschloss glitt ihm aus den Händen und schepperte anklagend an den Metallrahmen der Räder. Eindringlich musterte er mich. Sein Blick wanderte ungeniert von meinem Gesicht über meinen Körper, scannte mich förmlich und automatisch schlang ich meine Arme um den Oberkörper, damit ich mich nicht mehr so nackt fühlte. »Hey, ich kenne dich! Du warst doch heute im Konservatorium«, rief er schließlich.

Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag. Nach der ersten Verwunderung machte sich Freude in mir breit.

»Du warst da? Hast du auch vorgespielt?«

Vielleicht konnte ich mich ja mit ihm über die Kommission austauschen.

»Nein. Mir war nach etwas Entspannung. Die Aufnahmeprüfungen sind öffentlich«, erklärte er, als sei es eine gewöhnliche Nachmittagsbeschäftigung, sich im Konservatorium herumzutreiben und Prüflingen beim Musizieren zu lauschen. Wäre er ein weißhaariger Greis, könnte ich die Begründung ja glauben, aber der Kerl war nur wenige Jahre älter als ich. Er war gutaussehend, smart und ganz offensichtlich ähnlich durchgeknallt wie ich, wenn er auf Klassik stand.

»Du warst echt gut. Glückwunsch!« Der Blick aus seinen grünen Augen war durchdringend. Ich erschauderte.

»Ah, ich glaube eher, ich habe das Vorspielen verkackt«, kam es mir unwillkürlich über die Lippen. Warum vertraute ich ausgerechnet einem Fremden meine Zweifel an? »Vielleicht hätte ich Beethoven spielen sollen. Oder Mozart. Oder –« Im Orchester suchte man keine Menschen, die nur schwer in Schubladen passten. Man musste sich anpassen, sich akkurat einfügen und dem großen Ganzen unterordnen. Und fehlerfrei vom Blatt spielen können.

»Quatsch. Du warst fantastisch!«, versicherte mir der Unbekannte mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und einem Strahlen in den Augen, angesichts dessen die Sonne blass vor Neid werden könnte. Und obwohl mir klar war, dass er mir nur schmeicheln wollte, freute ich mich, dass ich ihm offensichtlich gut genug gefiel, um mir Komplimente zu machen. Ich verzog meinen Mund zu einem zaghaften Lächeln.

»Von wem war das Stück? Ich kenne es nicht«, hakte er neugierig nach.

»Na, selbst wenn du dich mit Musik auskennst, wirst du wohl schwerlich alle Stücke dieser Welt gehört haben«, wich ich aus. Ich versuchte mich auf den Trubel in der nahegelegenen Gracht zu konzentrieren. Aber alles, was ich wahrnahm, war das viel zu laute Pochen meines Herzens. Das Dröhnen in meinen Ohren, das so scheppernd war, dass ich selbst zusammenzuckte. Ob er es wohl hören konnte?

»Komm, trau dich. Ich weiß ohnehin, dass du es selbst komponiert hast.«

Ein Touristenboot hupte, Wellen schwappten an die steinernen Mauern des Kanals. Aber das interessierte mich nicht. Die Worte des Kerls hallten in Dauerschleife in meinem Kopf. Ich weiß ohnehin, dass du es selbst komponiert hast …

Abwartend legte er den Kopf schief, als wollte er meine Reaktion ganz genau einfangen. Mir klappte der Mund auf, mein Herz galoppierte und ich spürte, wie Hitze in mir aufstieg. Sicher gaben meine Wangen inzwischen preis, wie unangenehm mir die Situation war. Automatisch senkte ich den Blick.

»Woher …? Oh Gott … du fandest es so schlecht, dass …« Ich legte meine Hände über die Augen, schüttelte den Kopf und lief los. Weg. Nur weg von dieser Blamage. Argh! Ich wollte im Erdboden versinken. Zu Staub zerfallen. Mich in Luft auflösen.

»Weil es brillant war.«

Diese Worte trafen mich unvorbereitet und ließen mich wie angewurzelt stehenbleiben. Unfähig mich zu bewegen, brachen sie mit der Kraft eines Tsunamis über mir zusammen. Ich schaute erstaunt hoch, als ich die Bedeutung greifen konnte. Flüchtig nur, aber es war ein Lob, das ich zuvor noch nie gehört hatte. Der Unbekannte war zu mir aufgeschlossen. Der Blick aus seinen grünen Augen bohrte sich in mich, nahm mich gefangen und ließ mich nicht mehr los. Als wollte er die Ernsthaftigkeit seiner Worte unterstreichen, lächelte er nicht. Sekunden verharrten wir. Brillant – welch großes Wort. Zu groß, als dass ich damit umgehen konnte. Zu mächtig.

»Ich würde dich gerne zu einem Kaffee einladen, ein bisschen mehr von dir erfahren. Hast du Zeit?«

»Ich …« Ich war es nicht gewohnt eingeladen zu werden und fühlte mich überrumpelt. Normalerweise machten die Leute einen Bogen um mich. Sie beachteten mich trotz meiner roten Haare kaum. Zugegeben, mit meinen schwarzen Klamotten versuchte ich auch nicht allzu sehr aufzufallen. Dennoch war ich den meisten einfach suspekt. Menschen spürten, wenn man anders war.

»Oder: Ich wollte gerade noch einen Abstecher ins Reichsmuseum machen. Vielleicht hast du ja Lust da mitzukommen, wenn Kaffee nicht so dein Fall ist«, setzte der Unbekannte nach, da ich noch immer nicht auf seine Einladung reagiert hatte. Mein Sprachzentrum war wie betäubt und dem Blick aus seinen unverschämt hübschen Augen nach zu urteilen, schaute ich ziemlich verwirrt aus der Wäsche.

Museum? Verführerischer Gedanke. Aber ich konnte doch unmöglich mit einem wildfremden Kerl …

»Komm schon. Da ist nichts dabei«, bohrte er weiter und nickte einladend in die Richtung, in der die Innenstadt und somit die Museen lagen. Ich haderte noch einen Moment. Oft genug verbrachte ich besondere Momente alleine. Warum sollte ich den Abend meiner ersten Aufnahmeprüfung nicht mit einem Mann verbringen? Er war nett, er wollte sich mit mir über Musik unterhalten – meine Musik. Das konnte doch nicht schlecht sein.

»Okay, warum nicht?« Ich zuckte unsicher mit den Schultern und spürte ein unbekanntes Kribbeln in meiner Mitte. Spontan mit einem Fremden etwas zu unternehmen war nicht meine Art. Aber vielleicht würde es mich von diesem fiesen Gefühl in meiner Magengegend, dass mein Traum hier zu studieren durch meine Performance zu platzen drohte, ablenken.

»Prima. Weißt du was? Lass uns laufen. Durch die Stadt ist immer so megamäßig viel los.«

»Gibt es da, wo du herkommst, keine Fahrräder?«, neckte ich ihn und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Auch mir war die Fahrweise der Holländer zu wild und wenn ich mit meiner Geige unterwegs war, bangte ich ohnehin immer, ob ich heil ankam. Das wertvolle Instrument konnte ich allerdings keinesfalls in dem Hostel zurücklassen. Nicht auszudenken, wenn es geklaut würde.

»Da, wo ich herkomme, geht es zumindest nicht so kriminell zu«, entgegnete er belustigt, schloss wieder sein Fahrrad an und achtete diesmal offensichtlich darauf, kein anderes Rad in Gefangenschaft zu nehmen. Sein Tun unterstrich er mit einer zirkusreifen Geste auf sein Ergebnis und einem schiefen Grinsen. Dann lief er, ohne auf meine Zustimmung, tatsächlich mitzukommen, zu warten, los. Kurz schaute ich ihm hinterher, kämpfte meine Unentschlossenheit nieder und schloss zu ihm auf.

***

Ein bisschen seltsam war es schon mit einem wildfremden Typen durch Amsterdam zu schlendern. Ich lachte ungläubig auf und wusste einfach nicht, wohin mit meinen Armen. Schließlich umklammerte ich mit einer Hand meinen Geigenkoffer, die andere steckte ich in eine Hosentasche meiner Jeans und wagte einen unauffälligen Blick in die Richtung des Unbekannten. Er war einen halben Kopf größer als ich und somit kein Riese. Seine Gestalt war schlank und durchtrainiert, seine Finger waren lang und gepflegt. Ich schaute bei Menschen immer auf die Hände. Vielleicht lag es daran, dass ich selbst durch das Geigespielen sehr darauf achtete, dass sie ordentlich waren.

»Ich bin übrigens Toni. Eigentlich heiße ich Antonia, aber …«, stellte ich mich aus einem inneren Drang heraus vor. Tat man das bei Fremden nicht so?

»Toni …«, wiederholte er nachdenklich und ließ dabei meinen Namen auf seiner Zunge zergehen. Seine Stimme war warm und freundlich, ein bisschen rau vielleicht, was ihr einen interessanten Klang verlieh. »Das … ich finde, das passt zu dir.« Er grinste vielsagend und zu gerne hätte ich gewusst, was er über mich dachte. »Meine Leute nennen mich … Vincent.«

»Und wie heißt du wirklich?«, fragte ich neugierig nach.

»Vincent.«

Ich blickte ihn verwirrt an und lachte laut auf, als mir klar wurde, dass er mich drangekriegt hatte.

»Sehr kreativ, deine Leute!«, flachste ich, doch noch immer klebte dieses Lächeln auf meinen Lippen. Vincent. Der Name gefiel mir. Genauso wie der ganze Kerl. Schnell wandte ich meinen Blick ab.

Vincent lotste mich über eine Brücke, die mit unzähligen Blumenkübeln verziert war, in denen die buntesten Blüten um die Wette strahlten, und bedeutete mir in eine kleine Gasse abzubiegen. Er lief durch Amsterdam, als wäre er hier heimisch und kein Tourist. Aber vielleicht kam mir das nur so vor, weil ich mich selbst schon in einem Haus verirrte, das mehr als drei Zimmer hatte.

»Und? Wo kommst du her?«, fragte ich neugierig nach und versuchte damit den Smalltalk, in dem ich zugegebenermaßen nicht sonderlich geübt war, am Laufen zu halten.

»Aus Deutschland«, kam prompt seine Antwort, die mir ein amüsiertes Lächeln entlockte.

»Ach?«, spottete ich. »Aber woher genau?«

Es dauerte einen Moment, bis er antwortete.

»Von überall und nirgends«, druckste er schließlich herum und mied meinen Blick.

»Du magst es wohl geheimnisvoll, oder?«, neckte ich ihn, um die seltsame Stimmung, die plötzlich über uns hing, aufzulockern. Und doch erschauderte ich, denn ich vermutete mehr hinter seinen scheinbar dahergesagten Worten. Nur, was war es? Meine Neugier hatte er damit jedenfalls geweckt.

»Nein, nein! Es ist nur … Meine Mutter ist gestorben, als ich vier war und mein Vater war viel unterwegs. Also bin ich schon früh viel herumgekommen. Ich war einfach nirgends wirklich zuhause. Das ist alles.« Er zuckte mit den Schultern, als würde ihm das nichts ausmachen. Aber das nahm ich ihm nicht ab. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt und erreichte seine Augen nicht.

Doch bevor ich etwas Mitfühlendes entgegnen konnte, spürte ich seine Hand auf meinem Rücken. Bestimmt wies er mir die Richtung, in die wir gehen mussten. Nur für einen kurzen Moment. Aber der reichte aus, um mir eine Gänsehaut über den Körper zu jagen. Und mich für den entscheidenden Moment abzulenken.

»Was ist mit dir?«

»Was?«, fragte ich hirnlos, da die Berührung noch immer in mir nachhallte und mir das Denken unmöglich machte.

»Na, wo kommst du her?«, half er mir belustigt aus und grinste breit, wie ich aus den Augenwinkeln wahrnahm. Schnell heftete ich meinen Blick wieder auf die Pflastersteine der Amsterdamer Altstadt.

»Aus einem Kaff in Süddeutschland, in dem Kreativität ein Schimpfwort ist«, spuckte ich aus. Ich spürte förmlich die erdrückende Enge des dunklen Tals, die Schwermut, die einen dort unwillkürlich überkam.

Meine Gedanken wanderten weiter. Wie sehr ich mich nach einem Ort sehnte, an dem ich sein konnte, wie ich war. Einfach hundert Prozent ich. Doch wo sollte dieser Ort sein, wenn ich sogar in einer für ihre Kreativität bekannten Metropole wie Amsterdam offensichtlich aneckte? Vielleicht sollte ich einfach aufgeben, meinen Traum begraben und irgendeinen Job in einem Büro annehmen. Von neun bis fünf mein Hirn auszuschalten konnte doch nicht so schwer sein, oder?

»Toni?«, riss mich Vincent aus meinen Gedanken.

»Was?« Ich hatte seine Frage gar nicht gehört, so tief war ich in meiner Grübelei versunken.

»Wo genau du herkommst, wollte ich wissen.« Sein Lächeln war nachsichtig, so als kannte er den Zustand, in dem man das Außen nicht wahrnahm.

»Ach so. Aus der Nähe von Freiburg. Bei Himmelreich.«

Vincent nickte. Wir schlenderten über die große Rasenfläche, die von unzähligen Museen umrahmt wurde. Hier strotzte alles vor Entspanntheit. Paare, Gruppen, Familien saßen zusammen, spielten oder genossen die Nachmittagssonne. Ein paar Leute warfen Frisbees und lachten.

Vincent schob mich vorbei an dem großen Wasserspiel, hinter dem sich der berühmte Schriftzug »I AMsterdam« aus riesigen Buchstaben befand. Vincent überredete mich zu einem Foto vor dieser Attraktion und schob mich schließlich durch einen Torbogen.

»Nach dir«, raunte er und deutete auf die Drehtür, die ins Reichsmuseum führte.

Andächtig schaute ich mich in dem historischen Gebäude um, in das mich Vincent gelotst hatte. Es glich einem Kunstwerk. Das riesige Glasdach, das sich über eine Art Innenhof spannte, musste eine architektonische Meisterleistung sein und bildete einen tollen Gegensatz zu den historischen Mauern. Während ich noch immer die vielen Eindrücke aufsaugte und zaghaft über die alten Steine strich, kümmerte sich Vincent um die Eintrittskarten. Jetzt, da ein bisschen Raum zwischen uns war, traute ich mich ihn eindringlicher zu betrachten.

Er trug unspektakuläre Kleidung. Blue Jeans und ein weißes T-Shirt, das er unter ein kariertes Flanell-Hemd gezogen hatte. Seine dunklen Haare konnten mal wieder einen neuen Schnitt gebrauchen. Oder aber es war Absicht, dass sie etwas wirr von seinem Kopf abstanden. Ich fand es eigentlich ganz niedlich, auf diese glatt gebügelten Hipster stand ich sowieso nicht.

»Komm, ich will dir etwas zeigen.« Vincent lief mit einem breiten Lächeln auf mich zu und deutete auf den Eingang. Das Museum würde in rund zwei Stunden schließen. Dafür, dass es als Touristenmagnet galt, war ungewöhnlich wenig los. Vielleicht lag es am strahlenden Sonnenschein draußen. Oder daran, dass die meisten ihren Museumsbesuch auf den Vormittag legten? Mir sollte es recht sein. Mich vor einem Bild anzustellen und dann hin- und hergeschubst zu werden, während ich darin versank, war nicht mein Ding. Ich brauchte Zeit und Platz, um den Kunstwerken den Tribut zu zollen, den sie verdient hatten.

»Willst du deine Geige einschließen?«, fragte Vincent, als wir die Kartenkontrolle passiert hatten, und deutete auf die Garderobe.

»Niemals«, rief ich empört aus und umschlang automatisch den schwarzen Koffer. Die Geige war ein Vermögen wert und meine Eltern hatten einen Kredit aufgenommen, um die Summe eines Mittelklassewagens in meine Zukunft als Geigerin zu investieren.

»Okay.« Vincent zuckte mit den Schultern und ließ die Garderobe links liegen.

So zielstrebig, wie er sich durch die Flure bewegte, war er offensichtlich nicht zum ersten Mal hier. Ich hatte Mühe ihm zu folgen. Plötzlich blieb er stehen und ich rannte fast in ihn rein. Aufregung lag in seinem Blick, als er sich zu mir umwandte.

»Du musst die Augen schließen«, bat er mich. Verwirrt schaute ich ihn an. Wir standen mitten in einem Flur, der wohl ziemlich alt war. Er war schön, keine Frage. Aber nichts war hier besonders ausgefallen, nirgends war von Kunst auch nur ansatzweise etwas zu sehen. Deshalb zog ich unentschlossen die Schultern hoch. Doch Vincent plapperte weiter. »Wenn ich Jetzt sage, kannst du deine Augen wieder öffnen und zur Decke schauen.«

Automatisch wanderte mein Kopf in den Nacken, aber bevor ich einen Blick erhaschen konnte, spürte ich kühle Hände auf meinen Lidern. Ich erschauderte. Dabei war die unerwartete Erfrischung auf meiner Haut durchaus angenehm.

»Gleich ist es so weit«, flüsterte Vincent. Sein Atem streifte über mein Gesicht. Nervös spielte ich an meinem Fingerring. Ich war es nicht gewohnt angefasst zu werden. Schon gar nicht von einem völlig Fremden.

»Jetzt«, sagte er erwartungsvoll und löste blitzartig die Finger von meinem Gesicht. Ich schaute zur weißen Stuckdecke hinauf und versuchte auszumachen, was für ein Spektakel sich über mir abspielte. Ich brauchte einen Moment, bis ich mich wieder an die Helligkeit gewöhnt hatte. Doch dann sah ich, was Vincent mir zeigen wollte.

Lautlos schwebte ein weißer, von warmem Licht beleuchteter Lampenschirm über mir. Als würde er aus seiner Verankerung plumpsen, fiel er auf mich zu, bauschte sich in seinem zarten, seidenen Kleid auf und stoppte abrupt, um sogleich wieder nach oben zu gleiten. Es war, als würde ich der Geburt einer wunderschönen Blume beiwohnen. Kraftvoll entfaltete sie ihre wahre Schönheit. Wieder veränderte die Lampe ihre Form. Zog sich zusammen zu einem Tropfen und verharrte einen kleinen, lautlosen Augenblick. Wie in einem einstudierten Tanz vollführte der weiße Traum seine Darbietung erneut. Immer und immer wieder wechselte er seine Form, schwebte und tanzte, hüpfte und bremste wieder ab. Nahezu geräuschlos vollführte er eine zarte Choreografie, die so wunderschön und elegant war, dass ich die Luft anhielt. Nur ein leises Rascheln, ähnlich einem Windhauch begleitete die immerwährende Verwandlung der Stoffblume. Dabei wechselte auch die Beleuchtung ihre Intensität. Tag und Nacht. Nacht und Tag.

Ein breites Lächeln schlich sich auf mein Gesicht und ich strahlte Vincent beeindruckt an.

»Schön, nicht? Komm, oben sind noch mehr davon.« Schon griff er nach meiner Hand und zog mich die breite ausgetretene Holztreppe hoch. Überfordert stolperte ich hinterher. Die Stufen knarzten unter unseren eiligen Schritten. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Auf die Finger, die meine Hand umschlungen hielten. Oder auf die durchscheinenden, hellen Lampenschirme, die zu einer stummen Musik an der Decke über uns tanzten.

Mein Herz hüpfte im tonlosen Takt der Schönheit dieses Moments. Ich schloss für einen Augenblick die Augen, versuchte das Gefühl, das so neu und wundervoll war, in seiner Gänze aufzusaugen. Wärme. Leichtigkeit. Und dieses Flattern in meinem Bauch, das mich wahnsinnig machte, mir aber ausgesprochen gut gefiel.

»Es ist … unbeschreiblich schön«, wisperte ich benommen, als wir oben ankamen. Dabei wusste ich selbst nicht so genau, ob ich das Gefühl beschrieb, das mich durchströmte. Oder den Anblick der Lampeninstallation, die so zart und erfüllend war.

Mit einem kleinen Stich in meinem Herz stellte ich fest, dass Vincent meine Hand wieder losließ und sich voll und ganz dem Schauspiel über uns widmete. Ich hielt unwillkürlich die Luft an. Damit sich mein Herz etwas beruhigte. Damit nichts von dem nach außen drang, was mich so wohlig ausfüllte.

Ich tat es Vincent gleich, legte meinen Kopf in den Nacken und versank in der rhythmischen Formation. Je länger ich nach oben schaute, desto mehr Details konnte ich erkennen. Formen, die sich änderten, Muster in dem zarten Stoff. Es war, als könnte ich die Luft sehen, die durch den Tanz der Lampenschirme bewegt wurde.

»Was hörst du?« Ich zuckte zusammen, als ich Vincent dicht hinter mir spürte. Sein Atem streifte meinen Nacken und ich zog unwillkürlich die Schultern hoch. Was für eine seltsame Frage. Wir standen vor einem außergewöhnlichen Kunstwerk und Vincent interessierten die Geräusche, die um uns herum herrschten. Sollte er nicht eher fragen, was ich sah?

Ich brauchte einen Moment, bis ich antwortete. Schließlich räusperte ich mich, schloss die Augen und konzentrierte mich auf die Gegenwart. Gar nicht so einfach, wenn der ganze Raum von Kunst ausgefüllt war.

»Das Rauschen der Klimaanlage, das kaum wahrnehmbare Rascheln der Lampenschirme …«, setzte ich an.

»Nein«, unterbrach mich Vincent. »Nicht, was du mit den Ohren hörst. Dein Herz … welche Melodie spielt dein Herz, wenn du die Installation betrachtest?«

Entsetzt drehte ich mich zu ihm um und starrte Vincent an. Woher wusste er davon, dass besonders intensive Situationen, Kunstwerke, Bücher oder auch der Anblick von reizvollen Landschaften etwas in mir auslöste, das einer Melodie glich? Stimmungen klangen in meinem Inneren nach Musik. Mal waren sie düster. Mal fröhlich. Und manchmal waren sie alles durcheinander – wie jetzt gerade. Hoch und tief, dumpf und hell. Aufgeregt leicht und bedrohlich monoton. Bislang hatte ich dieses Geheimnis gehütet wie einen Schatz. Na ja, eher wie eine ansteckende Krankheit, denn ich fürchtete, andere könnten glauben, ich wäre nicht ganz normal. Nicht einmal meine Eltern wussten davon.

»Woher …?«, setzte ich an und schüttelte den Kopf. Langsam ergriff mich die Panik. Ich suchte Antworten in seiner Mimik. »Wer bist du? Woher weißt du all das über mich? Was mir gefällt? Was mir etwas bedeutet? Und was in mir vorgeht?« Einem inneren Drang folgend lief ich rückwärts, brachte Raum zwischen den Unbekannten und mich. Ich hätte vorsichtiger sein müssen, hätte nicht mit einem Fremden mitgehen dürfen.

»Schschsch«, säuselte er beruhigend und streckte seine Hände nach mir aus. Obwohl mein Herz stolperte und meine Alarmglocken ohrenbetäubend laut schrillten, ließ ich es zu, dass er zu mir aufschloss und mich berührte. Seine Finger brannten durch den Stoff meines Pullis, als er meine Oberarme zaghaft umschlang. »Was, wenn es eine Hochschule gäbe, in der du deine Kreativität voll und ganz ausleben könntest? Eine Akademie, wo dich niemand schräg anschaut, wenn du dich ausprobierst? Wo du dich der Kunst hingeben kannst, ohne Angst zu haben, als verrückt abgestempelt zu werden? Ein Raum, wo alle außerordentlich kreativ sind. So wie du.« Vincents Begeisterung sprühte aus jeder seiner Poren. Seine Wangen glühten. Seine Worte pochten gegen meine Schläfen. Wie Kanonenkugeln hinterließen sie tiefe Spuren in meinen Gedanken. In meinem Kopf tauchten Bilder all der biederen Musikhochschulen auf, in denen Musiker dazu getrimmt wurden die Stücke längst vergangener Epochen auf den Ton genau so zu spielen, wie es seit jeher getan wurde. Wo bitte sollte da Kreativität reinpassen? Als Musiker hatte man perfekt vom Blatt zu spielen. Oder etwa nicht?

»Träum weiter. Wo sollte es so eine Hochschule schon geben?«, wehrte ich mich dagegen, dass sich etwas wie Vorfreude in meinem Innern auftat. Allein die Vorstellung von so einem Ort war so abgefahren, dass ich Vincents Worten nicht glauben konnte.

Als könnte er in meinen Gedanken lesen, wie durchgeknallt ich seine Idee fand, legte er den Kopf schief. Ein enttäuschter Ausdruck lag um seine grünen Augen und ließ sie traurig erscheinen. Ein Mundwinkel zuckte resigniert. Er ließ die Arme sinken und augenblicklich verließ mich dieses prickelnde Gefühl, das sich in den letzten Minuten in mir eingenistet hatte.

»Ich hätte mehr Begeisterung von dir erwartet.«

Nach einem tiefen Blick in meine Augen wendete er sich ab und lief auf die Treppe zu, auf der wir gerade erst nach oben gestiegen waren. Er konnte mich doch nicht einfach so stehen lassen. Nicht mit all den Fragen in meinem Kopf.

»Vincent! Du musst nicht gehen … es … erzähl mir doch mehr über diese Idee.«

Tatsächlich hielt er für einen Moment inne, dann drehte er sich mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen zu mir um.

»Beim nächsten Mal. Mach’s gut, Toni!« Schon steuerte er weiter auf die Treppenstufen zu.

Was? Wie konnte ich ihn aufhalten? Ich wollte nicht, dass er ging. Der Abend hatte doch erst angefangen. Jetzt, wo ich seine Gesellschaft genossen hatte, wollte ich nicht schon wieder allein sein. Ohne ihn.

»Warte!« Ich lief ihm hinterher und hielt ihn zaghaft an der Schulter fest. »Was ist mit meinem Kaffee?«, hakte ich in dem verzweifelten Versuch, ihn aufzuhalten, nach.

Vincent blieb stehen und hob verständnislos die Augenbrauen. »Na, du hast mein Fahrrad gekidnappt! Und mich auf einen Kaffee eingeladen.«

Das Rauschen meines Blutes vermischte sich mit dem Surren der Klimaanlage. Sekunden vergingen, in denen ich nur in diese grünen Augen schaute. In ihnen ertrank wie in einem Bergsee. Tief, kalt und doch so einladend.

»Das hole ich nach. Mitten im Nirgendwo.« Bevor ich auch nur ansatzweise die Bedeutung seiner Worte erfassen konnte, hauchte er mir einen zaghaften Kuss auf die Lippen, drehte sich um und lief die ausgetretenen Holzstufen nach unten.

Perplex starrte ich dem Unbekannten hinterher. Unfähig mich zu rühren. Unfähig zu erahnen, dass diese Begegnung mein ganzes Leben verändern würde. Mitten im Nirgendwo.

KAPITEL 1

Wo liegt Nirgendwo?

Toni

Unentschlossen drehe ich die schwarze Karte in meinen Händen. Silberne geschwungene Lettern zieren das edle matte Papier, das eher einer Einladung zu einem Maskenball gleicht als der Zusage einer Akademie für kreative Künste.

Sechs Monate ist es nun her, dass ich Vincent in Amsterdam kennengelernt habe. Bis diese Karte vor ein paar Wochen in meinem Briefkasten lag, habe ich gerätselt, ob es diesen Ort, von dem er schwärmte, tatsächlich gibt. Die Idee hat mich nie ganz losgelassen. Dass es sich bei der Hochschule um die Academy of Arts handeln soll, hat mich dennoch sprachlos gemacht. Denn auf diese Akademie schaffen es nur die Allerbesten. An dieser Hochschule kann man sich nicht bewerben – entweder man wird eingeladen oder kommt nie dorthin. Sie wird als Talentschmiede gehandelt und hat viele der heute berühmten Solokünstler hervorgebracht – dies haben meine stundenlangen Recherchen ergeben.

Es ist ein verlockendes Angebot, das mir natürlich schmeichelt. Aber auf der AcA – wie sie in Fachkreisen abgekürzt wird – zu studieren, fühlt sich so verdammt groß an. Was, wenn ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin? Wenn ich den Ansprüchen nicht genüge? Zweifel nagen an mir und werfen ihre Schatten auf meine Vorfreude.

Und dennoch sitze ich gerade auf gepackten Koffern in dem Wohnzimmer meines Elternhauses und warte darauf, dass es endlich losgeht. Doch jetzt, wo ich kurz vor der Abreise stehe, beginnen meine Selbstzweifel mich aufzufressen.

Was, wenn ich all den Erwartungen nicht gewachsen bin? Ich habe nicht den klassischen Lebenslauf, den man als angehende Berufsmusikerin mitbringt. Habe weder Unterricht bei hochrangigen Musikprofessoren genossen noch irgendwelche Wettbewerbe gewonnen, da ich nie an so etwas teilgenommen habe. Alles, was ich kann, ist ein bisschen Geigespielen. Gut, ich tue das aus vollem Herzen und glaube, dass ich nicht schlecht bin. Aber die AcA …

Sie wissen kaum etwas über mich. Von mir gibt es keine aussagekräftigen Videos im Netz, wie es sonst für Bewerber auf Musikhochschulen üblich ist. Was also war es, das die AcA dazu bewogen hat, mir diese Einladung zu schicken?

»Bist du bereit?«, fragt meine Mutter mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. Sie streicht ihren geblümten Rock glatt und wirkt fahrig. Es ist ungewohnt sie in Ausgehklamotten zu sehen, trägt sie doch sonst bequeme Sachen, die sie in ihrer Arbeit auf dem Hof nicht einschränken. Aber sie wollte mich unbedingt gemeinsam mit meinem Vater zum Bahnhof begleiten. Das rechne ich den beiden nach all den Diskussionen über meine Schulwahl hoch an. Natürlich sind sie stolz, dass eine Talentschmiede wie die AcA auf mich aufmerksam geworden ist. Eine Hochschule in der Nähe wäre ihnen allerdings lieber gewesen.

»Das bin ich«, sage ich überzeugt, stehe auf und stecke die Karte der AcA in meinen Rucksack zu meinen Reiseunterlagen. Mein Blick huscht über mein spärliches Gepäck und ich gehe in Gedanken noch einmal durch, ob ich alles habe. Die Packliste, die ich mit der Karte und den Einschreibungsunterlagen bekommen habe, enthielt neben den üblichen Sachen, die man auf einer Musikhochschule wohl benötigte, auch zahlreiche Sportsachen. Mir graute schon jetzt vor dem Gedanken, dass wir offensichtlich Ausgleichssport machen würden.

Ansonsten habe ich nur das Nötigste eingepackt. Ein paar Klamotten, meine Lieblingsbücher. Meine Lieblingsfotos von meinem verstorbenen Opapa und meinem Kater Florence und natürlich das Notizbuch mit all den Stücken, die ich in den letzten Wochen und Monaten geschrieben habe.

»Hast du genügend zu trinken dabei?«, fragt meine Mutter. Ich nicke brav. »Und was zu essen? Schließlich ist es eine halbe Weltreise bis …«

»Lieberose«, helfe ich ihr aus, da sie sich einfach nicht merken kann, wo für die nächsten Jahre mein Zuhause sein wird. »Jaaa!« Zugegeben, ich habe selbst noch nie von diesem kleinen Nest in Brandenburg gehört. Und wenn ich der Beschreibung der AcA Glauben schenke, liegt das Anwesen, auf dem die Akademie und die Unterkünfte untergebracht sind, auch nicht direkt in der – winzigen – Stadt, sondern ein ganzes Stück außerhalb. Weit weg von jeglicher Zivilisation, die die Kreativität ersticken könnte. Mir macht das nicht viel aus, ich bin es schließlich gewohnt in der Einöde zu leben. Und der Ortsname, der aus Liebe und Rose zusammengesetzt ist, gefällt mir deutlich besser als das verlorene Wort, das Vincent dafür genutzt hat: Nirgendwo.

Vincent. Unwillkürlich wandert meine Hand in die Tasche meiner Jeans und ertastet den kleinen Zettel, der auf den Studienunterlagen klebte. Ich bin dir noch einen Kaffee schuldig, steht in krakeliger Handschrift darauf. Keine Unterschrift – aber ich weiß auch so, dass er von ihm sein muss. Obwohl ich den Kerl nur wenige Stunden in Amsterdam kennengelernt habe, freue ich mich darauf ihn wiederzusehen. Langsam verblassen die Erinnerungen an unsere erste Begegnung. Sie werden unschärfer, verwaschener und bald kann ich nicht mehr genau sagen, was ich davon geträumt habe und was real ist. War er es, der ein gutes Wort für mich an der renommierten Kunsthochschule eingelegt hat? Bestimmt – alles andere wäre ein viel zu großer Zufall.

Ich werfe einen letzten Blick in die Wohnstube, streichle noch einmal meinen Kater Florence, der wohl spürt, dass ich ihn verlasse und mich mit Nichtachtung straft.

»Ich komme wieder, Süßer«, murmle ich sanft und richte mich wieder auf. Wehmut verspüre ich keine, denn seit siebzehn Jahren wünsche ich mir endlich diesem engen Tal zu entkommen, in dem sich selbst die Sonne nur an wenigen Tagen im Hochsommer blicken lässt. Jetzt ist es endlich so weit und ich kann es kaum erwarten die Weite des Landes zu erkunden. Atmen. Frei sein. Kreativ sein. Doch bin ich wirklich bereit dazu?

Mein Vater hat den Wagen schon vor dem Haus geparkt und ich bin dankbar, dass er mich nicht mit dem Trecker nach Himmelreich zum Bahnhof fährt.

»Taxi zum Studium für mein kleines Mädchen«, scherzt mein Vater mit einem stolzen Ausdruck im Gesicht, als ich aus dem Haus trete. Er streicht mir liebevoll über meine roten Haare, nimmt mir die Reisetasche ab und verstaut sie im Kofferraum. Dass ich meine Geige nicht aus der Hand gebe, weiß er inzwischen und kommentiert es noch nicht einmal, als ich den schwarzen Koffer und den Rucksack mit auf die Rückbank nehme.

Als sich der Wagen in Bewegung setzt und auf der schmalen Straße ins Tal fährt, schaue ich nicht zurück. Unter das bedrohliche dumpfe Brummen, das ich all die Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre hier verspürt habe, mischt sich ein leises, aufgeregtes Zwitschern. Helle Töne weisen den Bass in seine Schranken und übertönen ihn schon bald. Dass ich meine eigene Aufregung nicht nur spüren, sondern auch hören kann, habe ich all die Jahre niemandem anvertraut – nicht einmal meinem Großvater, der bis zu seinem Tod so etwas wie mein bester Freund war. Woher also wusste Vincent, wie ich ticke?

Vincent – warum schleicht er sich ausgerechnet jetzt in meine Gedanken? In den letzten Monaten habe ich kaum an ihn gedacht. Gut, ab und zu hat er sich in meine Tagträume geschlichen, denn die Stunden in Amsterdam sind verwirrend und wunderschön zugleich gewesen.

Nach einem tränenreichen Abschied am Bahnhof von Himmelreich steige ich in den Zug. Die endlosen Stunden, die mich meinem Ziel im Osten Deutschlands näher bringen, überbrücke ich mit Lesen, Musikhören oder aus dem Fenster schauen. Die Landschaft ist so anders als zuhause. Gierig sauge ich die neuen Eindrücke auf.

***

Als ich nach rund neun Stunden Fahrt aus dem Zug steige, um in den Bus zu wechseln, dämmert es bereits. Hier wirkt alles größer, weiter, aber auch trostloser als daheim, wo bereits die ersten Blumen sprießen und den Frühling willkommen heißen.

Meine Aufregung steigt, als der Busfahrer die Haltestelle in Lieberose ankündigt, die als Treffpunkt für alle Neuankömmlinge der Academy of Arts in den Studienunterlagen vermerkt ist. Von hier werden wir abgeholt und zu dem ehemaligen Stift chauffiert, in dem die Akademie untergebracht ist. Wir – ich schaue mich neugierig in dem heruntergekommenen Bus um, sehe aber außer einem älteren Ehepaar, ein paar knutschenden Teenies und einer müde dreinblickenden Mutter mit Baby keine weiteren Fahrgäste. Niemand, der für ein Studium an der AcA in Frage käme. Also streiche ich das Wir gedanklich durch und ersetze es durch das kleine Wörtchen, das mich schon immer als Sonderling darstellt: Ich.

Kalte Luft strömt mir entgegen, als ich aussteige. Meine Mutter hat recht behalten – bis hierher war es eine halbe Weltreise. Ich bin hundemüde und da hilft auch die Vorfreude wenig, die mich bis in den kleinen Finger durchströmt.

Mit einem seufzenden Geräusch tuckert der altersschwache Bus in die nahende Dämmerung davon. Da stehe ich nun mitten im Nirgendwo, umklammere meine Geige und blicke mich ratlos um. Die kleine Bushaltestelle, an der ich ausgestiegen bin, sieht etwas heruntergekommen aus. Das Plakat ist vergilbt, die Scheiben sind verschmiert. Die Sträucher und Bäume daneben wirken trostlos. Unwillkürlich ziehe ich die Schultern hoch. Hoffentlich ist es nur meiner Müdigkeit geschuldet, dass alles wenig einladend aussieht.

Weit und breit ist niemand zu sehen. Kein Auto, kein Bus, nicht einmal eine Pferdekutsche oder ein Hubschrauber. Ich schüttle den Kopf, da meine Gedanken schon wieder beginnen sich selbstständig zu machen.

Ratlos setze ich mich auf die Holzbank an der Haltestelle und krame das sechsseitige Dokument aus meinem Rucksack hervor, in dem alles Organisatorische aufgeführt ist. Vielleicht hätte ich noch einmal anrufen und nicht nur vor Wochen die Ankunftszeit per Mail durchgeben sollen?

Doch noch während ich mich durch die Unterlagen wühle, hält ein schwarzer Kleinbus mit verdunkelten Scheiben und bringt mein Herz zum Stolpern.

Eilig stecke ich die Unterlagen zurück und raffe mein Gepäck zusammen. Ein älterer Mann um die fünfzig mit dunklem Haar steigt aus dem Auto. Er trägt Blue Jeans, dunkle Schuhe und eine schwarze Lederjacke, die ihn wohl smart und jünger aussehen lassen soll.

»Hey, ich bin Elio. Du musst Antonia sein. Willkommen am Ende der Welt.« Sein Lachen ist tief und warm und nimmt mir sofort meine Befangenheit. Ich ergreife seine ausgestreckte Hand und schrecke angesichts der Stärke seines Händedrucks kurz zurück. Wie immer durchzuckt mich die Angst mit meiner Hand könnte etwas passieren – die persönliche Horrorvorstellung einer Geigerin.

»Toni«, berichtige ich ihn automatisch. »Hallo, schön dich kennenzulernen.« Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, dass es nicht Vincent ist, der mich abholt, denn wenn ich ehrlich bin, hatte ich genau darauf gehofft. Den Kerl, der mich so schnell durchschaut hat, möglichst bald wiederzusehen.

»Ist das alles an Gepäck?«, fragt Elio erstaunt und deutet auf die wenigen Habseligkeiten, die ich mitgenommen habe. Schüchtern nicke ich. Hätte ich doch mehr einpacken sollen? Schickere Klamotten vielleicht? Meine Notenbücher? Eine zweite Geige? Was, wenn es hier so etwas wie eine Kleiderordnung gibt? Falle ich etwa schon wieder aus dem Rahmen? Nein, nein, nein! Vincent hat gesagt, dass man hier sein darf, wie man ist!

Ich atme tief ein, versuche mich zu beruhigen und nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich bin ich und das werde ich auch hier auf der Akademie sein. Schließlich bin ich seltsame Blicke gewohnt. Und notfalls tauche ich in der Masse unter – wie ich es all die Jahre getan habe.

Elio hat meine Reisetasche bereits eingeladen und wartet nur darauf, dass ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme.

»Wie war deine Reise?«, übt sich Elio in Smalltalk, als ich mich angeschnallt habe, und steuert den Wagen auf die Straße. Seit ich hier angekommen bin, habe ich außer Elio weder eine Menschenseele noch ein anderes Fahrzeug gesehen. Sollte Vincent recht behalten und wir befinden uns hier tatsächlich mitten im Nirgendwo?

»Gut«, murmle ich aufgeregt und versuche einen Blick auf den Weg zu erhaschen, der zur Akademie führt, zu jenem Ort, der für die nächsten Jahre mein Zuhause sein wird. »Ist ganz schön weit weg von daheim.«

»Du kommst aus Süddeutschland, oder?«

»Aus den tiefsten Untiefen des Schwarzwaldes«, scherze ich und lächle schief.

»Na dann wirst du dich hier in der Einsamkeit sicher schnell zurechtfinden. Großstadtpflänzchen haben anfangs eher ihre Probleme damit, dass hier weit und breit nichts ist außer bezaubernder, inspirierender Natur.«

Wie aufs Stichwort fahren wir durch Wälder, über Wiesen und von Kilometer zu Kilometer wird es dunkler. Hier im Osten dämmert es früher als zuhause. Selbst in dem engen Tal wird es später dunkel als hier. Ich spüre es deutlich und brauche dafür keine Uhr. Es ist, als hätte mir jemand Zeit geklaut – oder mich zurück in den Winter katapultiert, was auch die eisigen Temperaturen erklären würde. Ich fröstle.

»Ist dir kalt?«, fragt Elio, dem offensichtlich nicht entgangen ist, wie ich den Kragen meiner Jacke hochgeschlagen habe und mich tiefer in den Sitz kuschle.

Ich zucke mit den Schultern.

»Da wo ich herkomme, ist bereits Frühling.« Ein bisschen wehmütig denke ich an all die Blumen zurück, die im Beet meiner Mutter bereits sprießen. Ich mag das Erwachen der Natur. Das Herumstreunern von Florence durch die wachsenden Gräser. Das Zwitschern der Vögel, das den Frühling willkommen heißt. In meinen Ohren klingt das Summen der Bienen wie Musik.

Elio lacht und nickt wissend.

»Keine Sorge. Entgegen der landläufigen Meinung bist du hier nicht in Sibirien gelandet. In ein paar Tagen wird es wärmer und dann ist der Frühling auch bald nicht mehr aufzuhalten. Versprochen.«

Ich hoffe sehr, er behält recht.

Das Rauschen der Klimaanlage, die mir warme Luft ins Gesicht bläst, schmerzt in meinen Ohren. Ich sehne mich nach Ruhe, nach Geborgenheit. Nach einem Ort, an den ich mich zurückziehen kann. Ich bin reisen nicht gewohnt und entsprechend ausgelaugt.

»Wir sind gleich da«, sagt Elio leise, als würde er meine Müdigkeit spüren. Unwillkürlich gähne ich und lache auf. Nach wenigen Kilometern verlangsamt Elio tatsächlich das Tempo und biegt auf eine schmale Seitenstraße ein. Kies knirscht unter den Reifen. Ich umklammere meine Geige etwas fester, als das Auto zu ruckeln beginnt. Wo bin ich hier nur gelandet?, denke ich mit einem amüsierten Kopfschütteln.

Als der Wagen endlich steht und ich aussteige, klappt mir der Mund auf. Nebelschwaden wabern vor mir über das Gelände und tauchen ein majestätisches Gebäude in ein unwirkliches Licht. Ist es ein Schloss? Eine Kirche? Ein Hofstaat? Jedenfalls erinnert die malerische Kulisse an ein Gemälde längst vergangener Zeit.

»Willkommen in der ehemaligen Benediktinerabtei Lieberose.«

»Wow«, entschlüpft es mir beim Anblick der barocken Schönheit. Der Bau wirkt riesig. Die Fassade ist in einem hellen Gelb und Weiß gehalten, die durch den Nebel sehr zart anmutet. Ein von weißen Säulen gesäumter Torbogen gibt den Weg zu einem Innenhof frei.

»Sieht hübsch aus, nicht?«

Ich nicke wie hypnotisiert und starre weiter auf die filmreife Kulisse. Weiße Statuen thronen auf den Dächern, darunter entdecke ich goldene Inschriften, die schon so verblichen sind, dass ich sie in dem schummrigen Licht nicht entziffern kann.

»Es war ziemlich heruntergekommen, bis Phil de Breune es von der Kirche gepachtet und daraus die AcA gemacht hat«, erklärt Elio mit meinem Gepäck in den Händen und bedeutet mir mit einem Kopfnicken, dass ich ihm zum Eingang folgen soll. Ich laufe Elio hinterher, durch den Torbogen hindurch, und finde mich in einem riesigen Innenhof wieder. Wie groß diese Anlage wohl sein muss? Wie viele Schüler hier Platz finden?

»Phil de Breune?«, frage ich lahm nach und trete mir keinen Augenblick später selbst imaginär in den Hintern.

»Er ist der Gründer der Akademie.« Elio klingt freundlich, aber sicher denkt er, ich könnte nicht bis drei zählen. Wer bitte vergisst den Namen des Direktors?

»Stimmt«, murmle ich kleinlaut und atme tief ein. »Entschuldige, ich bin etwas nervös.«

»Musst du nicht sein.« Elio legt eine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich weiter über den mit Kopfsteinpflaster gesäumten Platz. Wieder treten wir durch einen Torbogen und stehen dann in einer kleinen Kuppelhalle. Unwillkürlich wandert mein Blick nach oben. Wunderschöne Fresken breiten sich über mir aus. Blass und in schlechtem Zustand, aber mit einer so magischen Intensität, dass ich ihre Bedeutung förmlich spüren kann.

Elio gibt mir einen Moment, um die Schönheit des Raumes in mir aufzunehmen. Gebannt betrachte ich die hohen goldverzierten Säulen, die bis zur geschwungenen Decke hinaufragen.

»Wunderschön«, kommt es mir ehrfürchtig über die Lippen und ich drehe mich wie ein kleines Kind im Kreis, um alles zu entdecken. Elio scheint diese Reaktion gewohnt zu sein und wartet mit einem wissenden Lächeln, bis ich mich wieder eingekriegt habe.

»Komm«, fordert mich Elio schließlich auf und läuft schon eine dunkle ausgetretene Treppe nach oben. Die Stufen knarzen unter seinem Gewicht. Mit wild klopfendem Herz folge ich ihm. Jeder Schritt wiegt schwer, jede Stufe ist eine Hürde. »Alle freuen sich auf dich. Dir wird es hier sicher gefallen.«

Alle? Aber mich kennt doch keiner! Keiner – außer Vincent. Ob ich ihn gleich wiedersehen werde?

Elios Lächeln ist warm, einladend, und im Zusammenspiel mit seinen Worten dämpft es die bedrohlichen Töne, die in mir hallen.

Mit einem lauten Knarzen öffnet Elio eine riesige, prachtvoll verzierte Eichentür und wir stehen in einem schwach beleuchteten Flur. Kunstvolle Steinfliesen zieren den Boden, die Wände sind in einem matten Weiß gehalten.

»Eleonora Haaf erwartet dich bereits.«

Ich schaue Elio fragend an.

»Ist sie die …« Ich zögere und krame indes in meinem Gedächtnis, ob mir der Name etwas sagen sollte. Aber darin herrscht gähnende Leere.

»Sie leitet neben Phil die Schule. Er ist viel unterwegs«, erklärt er. »Sei einfach ganz du selbst.«

Ich selbst sein – guter Rat. Wenn Elio nur wüsste, dass es manchmal ganz schön hart ist, ich selbst zu sein. Die Verlockung, sich zu verstellen und einen auf ganz normal zu machen, ist groß. Oft bin ich den vermeintlich einfacheren Weg gegangen. Nicht auffallen, in der Masse untertauchen und so tun als sei ich wie alle anderen. Normal.

Elio führt mich durch einen Gang und bleibt vor einer überdimensional großen, schweren Holztür stehen. Bevor er klopft, wendet er sich noch mal mir zu.

»Wenn du etwas brauchst … Ich bin hier nicht nur Chauffeur, Hausmeister, Gärtner und für den ganzen technischen Kram zuständig. Ich hab auch immer ein offenes Ohr für euch Talents. Manchmal braucht man jemanden, der mit diesem ganzen kreativen Kram nichts zu tun hat, der ganz normal ist. Hier bin ich, scheu dich also nicht mich einfach anzuquatschen, wenn dir danach ist. Aber das wird dir Lee alles noch erklären, sie wird dich die nächsten Tage unter ihre Fittiche nehmen und dir alles Überlebenswichtige – und, wie ich sie kenne, noch jede Menge andere Dinge – zeigen.« Er zwinkert mir verschwörerisch zu und bevor ich weiter nachfragen kann, klopft er schon an die Tür von Frau Haaf und drückt die Klinke ohne auf ein Zeichen der Direktorin zu warten runter.

»Ah, unser Neuzugang ist da«, vernehme ich eine weibliche Stimme und schon im nächsten Moment läuft eine zierliche ältere Dame auf mich zu. Ihre silberweiße Kurzhaarfrisur ist akkurat geschnitten und das dunkelgraue Kostüm sitzt wie maßgeschneidert. Sie könnte spießig wirken, wären ihre Augen nicht so wach und lebendig und ihr gesamtes Auftreten so freundlich, dass meine Nervosität mit einem Schlag verschwunden ist. »Antonia, ich freue mich dich auf der Academy of Arts willkommen heißen zu dürfen. Ich bin Eleonora Haaf und die leitende Direktorin. Tritt ein.« Sie greift nach meiner Hand, schüttelt sie kurz und deutet dann auf einen Stuhl, während sie sich wieder hinter ihren Schreibtisch setzt. »Danke, Elio. Könntest du bitte Lee Bescheid geben, dass sie Toni gleich in Empfang nehmen kann?«

Mein Chauffeur nickt ergeben und schließt hinter sich die Tür. Ich atme einmal tief durch und setze mich mit der Geige auf dem Schoß auf den mir zugewiesenen Platz. Meine Hände fühlen sich kalt und gleichzeitig verschwitzt an, ich drehe sie nervös ineinander und hoffe, das sonore Brummen in meinem Kopf lässt gleich nach.

Die Direktorin blättert in einem Stapel Unterlagen und ich warte geduldig, bis sie das Wort an mich richtet.

»Also Antonia, ich muss zugeben, dass ich sehr gespannt auf dich bin und es kaum erwarten kann, dich spielen zu hören.« Ihr Blick wandert auf das Blatt Papier, das vor ihr liegt. »Unkonventionelles Spiel, eigenwillige Komposition, mutige Auswahl.« Sie hebt den Blick, den ich nicht deuten kann. Ihre Augenbrauen schnellen nach oben. »Nicht gerade Eigenschaften, die dich für einen Platz im Orchester qualifizieren.«

Mein Herz rast bei den Worten und ich merke, wie ich innerlich einige Zentimeter zusammenschrumpfe. Meine Finger krampfen sich um die Griffe des Geigenkastens. Genau diese Eigenheiten werden die anderen Musikhochschulen davon abgehalten haben mich aufzunehmen. Ich passe nicht ins Orchester und doch will ich mit meinem ganzen Herzen Musik machen. Ich habe keine Ahnung, ob ich gut genug bin, aber ich wünsche es mir so sehr, dass es fast schon wehtut. Vielleicht, wenn ich mich ganz arg anstrenge, wenn ich mich anpasse und der Masse unterordne, kann ich Teil eines Ganzen werden.

In Ermangelung einer Antwort senke ich den Blick. Lasse es zu, dass dieses Gefühl, einfach nicht in diese Gesellschaft zu passen, mich überschwemmt. Nicht gut genug – diesen Stempel werde ich wohl für immer auf meiner Stirn tragen. Dabei hatte ich so sehr gehofft, dass endlich jemand an mich glaubt.

»Aber du hast Glück. Wir suchen keine Klone, die perfekte Zahnrädchen eines Ensembles sind.«

Erstaunt schaue ich auf, blicke in strahlende Augen. »Wir sind auf der Suche nach Solisten. Nach Persönlichkeiten, die etwas Außergewöhnliches erschaffen, etwas Unkonventionelles, Unangepasstes. Und weil unser Scout Vincent genau das in dir gesehen hat, bist du heute hier.«

Bei der Erwähnung von Vincents Namen spüre ich ein kurzes Stolpern meines Herzens. Scout. Also hat er doch etwas damit zu tun, dass ich hier bin. Das erklärt einiges und beantwortet zahlreiche Fragen, die in meinem Kopf herumgeistern. »Wir werden dir nicht beibringen, wie man fehlerfrei vom Blatt spielt. Und auch nicht, wie man die Großen der Musikgeschichte bis ins kleinste Detail kopiert. Aber wir können dir einen geschützten Raum bieten. Einen Raum, in dem du dich ausprobieren kannst. In dem du deine Kreativität entdecken und auch trainieren kannst. Zu scheitern gehört dabei in unserer Akademie genauso dazu, wie deine Grenzen immer wieder aufs Neue zu verschieben und über dich hinauszuwachsen. Uns geht es darum, dass du dich kennenlernst. Mit all deinen Stärken. Und deinen Schwächen.« Sie lächelt sanft, als hätte sie mich schon komplett durchschaut und bereits eine Liste angefertigt mit all meinen negativen Eigenschaften. Doch im Gegensatz zu all den anderen Menschen, denen ich bislang begegnet bin, scheint Frau Haaf keine Angst vor mir zu haben. Sie scheint mich nicht einmal besonders seltsam zu finden. Beinahe wirkt es so, als sei sie furchtbar neugierig und gespannt darauf mich besser kennenzulernen. Ich erlaube mir ein leises Lächeln und nicke zaghaft als Zeichen, dass ich verstanden habe.

»Vincent hast du jedenfalls auf voller Linie von deinem Talent überzeugt. Wir vom Komitee waren zugegebenermaßen …, sagen wir … überrascht, als seine Empfehlung hier eintrudelte. Schließlich bist du ein unbeschriebenes Blatt.«

Ich lege den Kopf schief, weil ich aus ihren Worten nicht ganz schlau werde. Soll das bedeuten, sie stehen doch nicht hinter mir? Habe ich es einzig Vincent zu verdanken, dass ich hier bin?

»Versteh mich bitte nicht falsch, wir vertrauen Vincents Meinung zu hundert Prozent. Allerdings lag sein Schwerpunkt bislang auf anderen Bereichen. Seit … na, egal.«

Sie wirkt plötzlich nachdenklich. Ihr Blick schweift in eine unbestimmte Ferne. Nur für einen winzigen Augenblick, und ich hätte zu gerne gewusst, was sich genau in diesem Moment in ihrem Kopf abspielt.

Sie räuspert sich. »Jedenfalls sind wir gespannt und freuen uns, dass du hier bist.«

Es klopft an der Tür und die Direktorin springt schon auf. Ich drehe mich um und sehe einen blonden Haarschopf, der sich durch einen schmalen Spalt drückt. Über der glatten Haarpracht erspähe ich so eine Art Plüsch-Horn. Es glitzert in Rosa- und Silbertönen. Fasziniert schaue ich auf die Verkleidung des Mädchens und frage mich unwillkürlich, was dieser Aufzug soll. Kommt sie etwa gerade aus einer Theaterprobe und hatte keine Zeit mehr sich umzuziehen?

»Lee, komm doch rein. Antonia und ich sind schon so weit. Außer du hast noch Fragen?«, richtet sie das Wort noch einmal an mich, läuft dennoch um den Schreibtisch herum und streckt mir die Hand zum Abschied entgegen, als sei meine Privataudienz bei ihr damit beendet.

Völlig überfordert nicke ich und schüttle ich den Kopf gleichzeitig. Tausend Fragen wirbeln darin unsortiert herum. Ich weiß noch nicht einmal, was von mir erwartet wird. Was auf mich zukommt.