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Wie man Postkartentexte richtig deutet, warum es sinnvoll ist, die Sprache des Urlaubslandes zu sprechen, was man unter »authentischem Ambiente« versteht und wer einem in der schönsten Zeit des Jahres den letzten Nerv rauben kann ... Bestsellerautorin Kerstin Gier schildert mit viel Humor all die Missgeschicke, die einem bevorzugt im Urlaub passieren. Und sie kennt auch die Antwort auf die Frage, warum sie eigentlich jedes Jahr wieder auf Reisen geht: damit wir alle so richtig was zum Lachen haben.
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Zeit:4 Std. 9 min
Cover
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Fürchte dich nicht
Aviotophobie
Arachnophobie, Batrachophobie und Entomophobie
Ein richtiger Held
Das patentierte Easy-Click-System
Im Schatten der Olivenbäume
Holykuhphobie
Biellaphobie
Kapadokiophobie
Ferientaschengeld
Warum in die Ferne schweifen?
Der ökologisch-politisch-pädagogische Effekt von Reisen innerhalb Deutschlands
Frau-Schachtmann-Phobie
Eine Kiste voller Erinnerungen
Helena muss Pipi
Weißt du noch?
Mein schönstes Ferienerlebnis
Nicht ohne meine Katze
Eine Villa in der Toskana
Gebratenes Affenhirn
Sechzig Kilo Steine
Kleider machen Leute
Das geheimnisvolle Wetterphänomen
Die Mühle des Einarmigen Müllers
Es lebe das Ambiente
Gibt es die große Urlaubsliebe wirklich
Sechsbettzimmer
Stockholm-Syndrom in Griechenland
Was ich noch zu sagen hätte
Kerstin Gier hat als mehr oder weniger arbeitslose Diplompädagogin 1995 mit dem Schreiben von Frauenromanen begonnen. Mit Erfolg: Ihr Erstling Männer und andere Katastrophen wurde mit Heike Makatsch in der Hauptrolle verfilmt, und auch die nachfolgenden Romane erfreuen sich großer Beliebtheit. Das unmoralische Sonderangebot wurde mit der »DeLiA« für den besten deutschsprachigen Liebesroman 2005 ausgezeichnet. Heute lebt Kerstin Gier, Jahrgang 1966, als freie Autorin mit Mann, Sohn, zwei Katzen und drei Hühnern in einem Dorf in der Nähe von Bergisch Gladbach.
Kerstin Gier
Ach, wär ich nur zu Hause geblieben
Lustige Geschichten rund ums Verreisen
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
© 2007 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titelabbildung: getty-images / Kaz Mori
Umschlaggestaltung: Bianca Sebastian
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-0063-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für Frank
Ich bin ein Angsthase. Vor allem auf Reisen. Neben der Angst, nicht genug Unterhosen eingepackt zu haben, und der Angst, den Herd nicht ausgeschaltet zu haben, habe ich noch diverse andere Ängste vorzuweisen, die man alle unter einer Art Oberangst zusammenfassen kann: der Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen. Ich habe im Internet recherchiert, um mit den passenden Fachbegriffen prahlen zu können, aber diese Ängste konnte ich leider nicht finden. Das hat mich doch sehr erstaunt, weil ich sie für weiter verbreitet hielt als zum Beispiel die Aulophobie, die Angst vor Flöten, oder auch die Geniophobie, die Angst vor einem Kinn. (Ist allerdings schon furchterregend, so ein Kinn! Besonders, wenn ein Grübchen drin ist.)
Es hat mich auch gewundert, dass die Angst, im entscheidenden Moment das Bahnticket nicht finden zu können, keinen eigenen Namen hat, im Gegensatz zur Lachanophobie, der Angst vor Gemüse, oder der Medecophobie, der Angst, man sähe seine Erektion an der Ausbeulung der Hose. Hallo?
Ich kann doch unmöglich die Einzige sein, die das Ticket zwanzigmal in einem sicheren, aber schnell zugänglichen Fach in der Handtasche verstaut und dreißigmal in der Minute nachschaut, ob es auch noch da ist, um dann, wenn der Schaffner kommt, fünf Minuten danach suchen zu müssen. Oder doch?
Und warum muss man den Fahrschein auf der Strecke Köln-Lüneburg gleich dreimal vorzeigen? Ich hätte gar nichts dagegen, wenn man mir einen Mikrochip unter die Haut nähte, auch wenn Datenschützer vermutlich dagegen heftig protestieren würden. Der Schaffner könnte mich einfach scannen, und der Fahrpreis würde automatisch von meinem Konto abgebucht. Herrlich. Aber solange das nicht passiert, muss ich wohl weiterhin zusammenzucken, wenn jemand »Personalwechsel: Die Fahrkarten bitte«, sagt, um dann hektisch alle sicheren, aber dennoch leicht zugänglichen Fächer in meiner Handtasche abzusuchen.
Nicht selten wird als zusätzliche Schikane der vordere Zugteil auf halber Strecke abgekoppelt und fährt dann ganz woanders hin als der hintere Zugteil, da muss man höllisch aufpassen, sonst ist die Fahrkarte, wenn man sie endlich gefunden hat, gar nicht mehr gültig.
Zu allem Überfluss ist man im Zug von lauter mürrisch dreinschauenden Männern umgeben, die ununterbrochen telefonieren und Laptops auf dem Schoß haben, wahrscheinlich um ihre Medecophobie zu kaschieren.
Im Flugzeug ist das schon deutlich angenehmer. Kein Halt in Hagen Hauptbahnhof, kein Umsteigen in Hannover, kein Personalwechsel in Wuppertal, kein Abkoppeln des vorderen Zugteils in Bielefeld. Wenn man einmal sitzt, muss man sich um das Ticket keine Sorgen mehr machen. Man kann sich zurücklehnen und entspannen.
Es sei denn man leidet an Flugangst, auch Aviotophobie genannt.
Du hast Flugangst? Wirklich?«, sagt Gina und lacht. »Wie lustig!«
»Nicht, wenn man in einem Flugzeug sitzt«, sage ich. Meine Handflächen sind feucht, mein Magen schmerzt. Lieber Gott, ich will noch nicht sterben. Und die anderen sicher auch nicht. Verstohlen sehe ich mich um: In diesem Flugzeug werden doch hoffentlich ein paar Menschen sitzen, die in ihrem Leben noch Großes vollbringen werden, Menschen, die heute auf keinen Fall abstürzen dürfen, weil das Schicksal noch Pläne mit ihnen hat.
»Flugangst! Eine erwachsene Frau!« Gina schüttelt lachend den Kopf. Es würde mich wundern, wenn das Schicksal mit ihr noch große Pläne hätte, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. »Wovor genau hat man denn da Angst?«
Vivi, die den Fensterplatz bekommen hat, murmelt: »Vermutlich davor, zwei Stunden neben jemandem sitzen zu müssen, der nach Trésor riecht.«
»Also, ich liebe das Fliegen!«, sagt Gina, die so viel Trésor aufgelegt hat, dass auch die Leute ganz hinten im Flugzeug noch was davon haben. »Immer schon! Ich finde es einfach faszinierend, wie so ein riesiges Ungetüm aus Stahl voller Menschen und Koffer sich mir nichts, dir nichts in die Luft erhebt und in zwei Stunden die Alpen überquert.«
Ja, ja. Eben deshalb kommt es mir auch immer durchaus vernünftig vor, das Flugzeug zu nehmen, wenn man die Alpen überqueren will. Jedenfalls bei der Reiseplanung. Wenn es dann wirklich soweit ist, würde ich für die Überquerung lieber Elefanten nehmen.
»Angst vorm Fliegen! Eine erwachsene Frau!« Gina schlägt sich vor Lachen auf ihre Schenkel. Sie kriegt sich gar nicht mehr ein.
Ich höre eine Männerstimme von weiter hinten sagen: »Kann denn nicht mal jemand den Lachsack ausmachen?«
Gerne! Kommen Sie doch bitte nach vorne und suchen nach dem Aus-Knopf.
»Viele Menschen haben Flugangst«, sagt Vivi.
»Ja, aber die fliegen dann auch nicht«, sagt der Lachsack.
Ja, und das finde ich auch konsequent und richtig. Wie kann man nur so blöd sein und sich mit Flugangst in ein Flugzeug begeben?
Aber jetzt ist es zu spät.
Es fängt an zu brummen und zu vibrieren, etwas klackert laut, dann rollt die Maschine langsam los, zur Startbahn. Die Stewardessen fangen mit den Sicherheitseinweisungen an. Ich nehme nicht an, dass wir bei einem Absturz über den Alpen unsere Schwimmwesten brauchen werden und erspare mir für dieses Mal das Tasten unter den Sitz. Ich wette aber, meine Sauerstoffmaske klemmt und kommt im Falle eines plötzlichen Druckausgleichs nicht von allein von der Decke. Kann man das nicht mal überprüfen? Warum können wir die Sauerstoffmasken eigentlich nicht einfach die ganze Zeit über tragen? Das würde im Ernstfall viel Stress ersparen. Außerdem kriege ich jetzt schon kaum noch Luft.
Ich sehe mich misstrauisch um, als die Durchsage kommt, dass Handys und andere elektronische Geräte während des Flugs ausgeschaltet bleiben sollen. Sicher sitzen hier jede Menge Ignoranten, die ihr Handy anlassen, aus Angst, einen Anruf zu verpassen. Anstatt den Leuten ihre Nagelfeilen wegzunehmen, sollten sie besser die Handys beschlagnahmen.
Da! Zwei Sitze weiter hinten sitzt so ein Paris-Hilton-Verschnitt, der noch seelenruhig eine SMS verschickt. Ich sehe schon ihr Foto in der BILD-Zeitung, darunter die Schlagzeile: Sie liebte ihr Handy mehr als ihr Leben – hundertsechzig Menschen riss sie mit in den Tod.
Vivi hält normalerweise unaufgefordert meine Hand beim Start und der Landung, und bei den geringsten Turbulenzen in der Luft versucht sie mich abzulenken.
»Sieh mal da vorne, der Mann am Gang«, sagt sie dann beispielsweise. »Der sieht wirklich gut aus.«
»Der da links? Gutaussehend? Für einen Umpalumpa, vielleicht.« Diese Art Ablenkung hilft nur für ein paar Sekunden, aber immerhin. Im Flugzeug habe ich ohnehin keinen Blick für Männer. Ich halte stets die Stewardessen im Auge. Wenn die aufhören zu lächeln, steht ein Absturz unmittelbar bevor. Einmal haben sich alle Stewardessen hingesetzt und angeschnallt. Da wusste ich, dass mein letztes Stündchen geschlagen hatte. Vivi hat damals meine Hand gehalten, bis wir zu meinem großen Erstaunen sicher gelandet waren.
Aber jetzt kann Vivi meine Hand nicht halten, weil Gina zwischen uns sitzt und lacht. Ich atme flach und bete stumm, so wie ich das immer tue. Ich bitte Gott um Vergebung aller Sünden, die ich seit dem letzten Flug begangen habe. Ich denke an Mann und Kind und daran, dass ich schon wieder kein Testament gemacht habe.
Plötzlich hört Gina auf zu lachen.
Wir haben die Startbahn erreicht, das Flugzeug dreht sich in Position, bleibt stehen und macht einen mörderischen Krach.
Gina krallt ihre Hand in mein Hosenbein. »Was ist das?«, fragt sie.
»Meine Hose«, sage ich.
»Ich meine das Geräusch«, sagt Gina.
»Die Turbinen?«, sage ich und sehe hilfesuchend zu Vivi hinüber. Die kramt in ihrer Handtasche herum, vermutlich sucht sie einen Kaugummi.
»Ja, aber das klingt wirklich komisch«, sagt Gina.
»Blödsinn«, sage ich streng. HALLO? Will sie, dass ich mir vor Angst in die Hosen pinkele, oder was?
Offensichtlich. »Hier stimmt was nicht!«, sagt Gina kategorisch.
Ich spüre, wie mir kalter Schweiß ausbricht. Ich suche mit den Augen nach den Stewardessen, aber ich kann keine finden. Sind sie etwa ausgestiegen, als sie das komische Geräusch gehört haben?
Das Flugzeug setzt sich wieder in Bewegung, und Gina macht sich stocksteif in ihrem Sitz. »Na dann, gute Nacht«, sagt sie. »Ich bin wirklich schon oft geflogen, aber solche Geräusche habe ich noch nie gehört.«
Oh nein.
»Da ist was kaputt, und sie haben es nicht gemerkt«, sagt Gina.
Jetzt nimmt meine Angst eine ganz neue Dimension an.
»Hilfe! Stoppt das Flugzeug!«, will ich rufen, aber ich bekomme keinen Ton heraus. Mit einem Affenzahn brettern wir die Startbahn entlang und dann – viel zu früh für mein Gefühl – heben wir ab und steigen in die Luft.
Vivi schaut wie immer fasziniert aus dem Fenster.
»Oneinoneinonein!« Gina hat die Augen fest zusammengekniffen und ihre Hand immer noch in mein Hosenbein verkrallt. Sie ist schneeweiß im Gesicht.
»Vivi!«, jammere ich.
»Ich kann Danis und Caros Haus sehen! Sogar das Kinderplanschbecken!«, sagt Vivi, die Nase ans Fenster gedrückt.
Das Flugzeug macht einen Hüpfer durch ein Luftloch, und Gina reißt ihre Augen auf.
»Jetzt!«, flüstert sie.
Jetzt also! Das Ende ist nah. Ich kann nur hoffen, dass wir nicht auf Danis und Caros Haus stürzen werden. In meine Panik mischt sich Wut auf Vivi, die ja partout diesen Billigflieger buchen musste.
»Hilfe!«, flüstere ich, aber Vivi hört mich nicht.
Ich greife nach Ginas Hand. Irgendjemanden will ich festhalten, wenn ich sterbe, auch wenn dieser Jemand nach Trésor riecht.
Stocksteif, händchenhaltend und mit fest zusammengekniffenen Augen erwarten wir das Ende. Sekunden dehnen sich zu Minuten, Minuten zu Stunden, ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit.
»Haben Sie auch Rotwein?«, höre ich Vivi fragen. »Oder was Stärkeres?«
Vorsichtig öffne ich die Augen. Da vorne sind die Stewardessen wieder. Sie schieben lächelnd ihr Wägelchen durch den Gang und machen einen entspannten Eindruck.
Durch das Fenster sehe ich watteweiße Wolkenfelder unter uns. Gina neben mir wimmert leise vor sich hin.
»Wir haben unsere Reiseflughöhe erreicht«, sagt der Lautsprecher.
»Und sind schon wieder nicht abgestürzt!« Vivi grinst mich an, bezahlt ein Glas Whisky und hält es Gina unter die Nase.
Langsam kehrt die Farbe in Ginas Gesicht zurück. Wortlos greift sie nach dem Whisky und kippt ihn in einem Zug hinunter. Dann dreht sie sich zu mir um und mustert mich besorgt.
»Na, du Arme, war es sehr schlimm?«, fragt sie. »Flugangst muss ja schrecklich sein!«
Ich schaue sie fassungslos an.
Dass ich ein Angsthase bin, sagte ich ja schon. Und dass meine Ängste offenbar so exotisch sind, dass sie keine eigenen Namen haben, erwähnte ich ebenfalls. Dabei dachte ich wirklich, meine Phobien wären weit verbreitet, also quasi normal. Zum Beispiel die Angst, im Feriendomizil keinen funktionierenden Korkenzieher vorzufinden. Oder die Angst, aus Versehen den flauschigen Bademantel einzupacken, der dem Hotel gehört – ich habe das ganze Internet nach den Fachbegriffen dafür durchsucht, aber nichts Passendes gefunden.
Stattdessen bin ich auf zahllose andere Phobien gestoßen, die ebenfalls beim Reisen hinderlich sind, und leider muss ich sagen, dass etliche davon auf mich zutreffen, außer vielleicht der Koniophobie, der Angst vor Staub. Würde ich darunter leiden, könnte ich jetzt ganz sicher nicht so ruhig hier sitzen und schreiben. Ein einziger Blick unter mein Bett würde reichen, um einen echten Koniophobiker wohl für immer in eine geschlossene Abteilung zu bringen.
Aufgrund meiner Recherchen weiß ich jetzt, dass die Angst vor nackten Bäuchen, die mich an Stränden und in der gemischten Sauna manchmal überfällt, gar nicht selten ist, denn sonst hätte sie keinen eigenen Namen und schon gar nicht so einen schönen. Man muss ihn eine Weile üben, aber dann kommt er einem lässig über die Lippen.
Beim nächsten Mal, wenn ein zutraulicher älterer Herr an einem ansonsten menschenleeren Strand sein Handtuch einen Zentimeter neben meinem ausbreitet, mir zuzwinkert und sich anfängt zu entkleiden, werde ich meine Hand heben und sagen: »Um Himmels willen, lassen Sie das T-Shirt an, ich leide unter einer schlimmen Gymnogasterphobie.«
Und vielleicht habe ich ja Glück und der Mann rennt in Panik davon, weil er selber unter Sesquipedalophobie leidet, der Angst vor langen Wörtern. In diesem Fall würde es vielleicht Sinn machen, ein Schild hochzuhalten: Sesquipedalophobiker? Dann halten Sie besser Abstand. Für alle Fälle könnte man noch paar Kruzifixe, Haarbälle und Knoblauchzehen rund um das Handtuch arrangieren, am besten symmetrisch, denn dann würde man garantiert auch alle Staurophobiker, Sphairachättophobiker, Scorodophobiker und Symmetrophobiker abschrecken.
Gut, das mögen jetzt vielleicht an den Haarbällen herbeigezogene Phobien sein, aber unter der Angst vor Spinnen, diversen Amphibien und krabbelnden, stechenden und beißenden Insekten leide sicher nicht nur ich.
Vor allem ausländische Spinnen, Amphibien und Insekten sind nun mal zum Fürchten! Jeder kennt doch jemanden, der jemanden kennt, der im Ausland von einer Spinne in die Wange gebissen wurde und einen hässlichen Abszess bekam. Dieser Bekannte eines Bekannten sieht eines Morgens in den Spiegel, da öffnet sich der Abszess, und Hunderte winzig kleiner Spinnen krabbeln heraus und seilen sich zum Boden ab.
Als ich zwecks Inspiration im Bekannten- und Verwandtenkreis nach »lustigen« Urlaubserlebnissen fragte, bekam ich diese Geschichte gleich dreimal zu hören, einmal war die Cousine der Freundin meiner Schwägerin das Opfer, ein anderes Mal der Schwager eines Bekannten unserer Bäckereifachverkäuferin.
Meine Schwester sagte: »Ich frage mich auch, was daran lustig sein soll. Lustig war es aber damals am Gardasee auf dem Campingplatz, als der Tiger ausgebrochen war, weißt du noch? Mit einem einzigen Prankenhieb hätte er unser Zelt zerfetzen und uns zum Abendessen verspeisen können. Was hatten wir für einen Spaß.«
Meine Mutter sagte: »Es war ein Gepard, kein Tiger. Und er war zahm wie ein Kätzchen. Die Besitzerin musste ihn von einem Baum herunterlocken, auf dem er saß und kläglich miaute.«
Ich bedauerte zutiefst, mich an diese Episode nicht erinnern zu können, sehr wohl aber an die Spinne, die sich in unser Zelt verirrt hatte und die mein Vater in einem Kochtopf einfangen und aussetzen musste, weil meine Mutter nicht wollte, dass ihr etwas geschah. Wenn ich die Wahl zwischen einem zahmen Geparden und einer Spinne im Zelt/Kochtopf hätte, würde ich mich jederzeit für den Geparden entscheiden.
Eine andere Freundin mailte: »Meinst du so etwas wie Geschichten von Geckos, die dutzendweise an der Wand hochklettern und an der Decke hängen, um einem dann beim Schlafen in den offenen Mund zu fallen?«
Ja, genau so etwas meinte ich. (Danke, Michelle!)
Und dabei mochte ich Geckos bis zu diesem Zeitpunkt immer gern. Gegen Kröten hatte ich auch nie etwas, bis ich eines Morgens in einem kleinen Wäldchen auf Korsika aufwachte und direkt in die goldenen Augen eines ganz besonders stattlichen Exemplars blickte. Dummerweise hüpfte die Riesenkröte bei meinem Aufschrei nicht in den Wald zurück, sondern mit einem Satz in meinen Schlafsack hinein, wo sie sich nicht, wiederhole: nicht! in einen Prinzen verwandelte. Bis heute muss ich einen Schlafsack immer erst einmal umstülpen und abtasten, bevor ich hineinkrieche.
Aber Spinnen sind immer noch am schlimmsten. Spinnen und Skorpione.
In dem hübschen kleinen Hotel auf Kos, wo Frank und ich unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten, entdeckte ich in einer Ecke an der Zimmerdecke einen gelblich-weißen Kokon, in welchem eine überdurchschnittlich große getigerte Spinne wohnte, die dort ein und aus ging und überhaupt einen sehr lebhaften Eindruck machte. Ich wunderte mich, dass eine so große Spinne sich kopfüber an der Decke halten konnte, ohne vom eigenen Gewicht herabgezogen zu werden.
Allerdings wunderte ich mich aus sicherem Abstand, nämlich vom Balkon aus.
»Wahrscheinlich hat sie so eine Art Saugnäpfe an den Füßen«, sagte Frank und betrachtete die Spinne interessiert. »Was meinst du, hat sie Eier in diesem Kokon? Oder vielleicht schon viele, viele kleine Babyspinnen?«
Ich schwang ein Bein über das Balkongeländer.
»Stell dich nicht so an«, sagte Frank. »In Mexiko habe ich eine Spinne gesehen, die war dreimal so groß wie diese. Und sie hatte haarige Beine. Ich war heilfroh, dass ich in einer Hängematte lag.«
»Oh, mein Gott«, sagte ich. »In dieser Hängematte würde ich wohl heute noch liegen. Und zwar mausetot.«
»Es kommt noch besser«, sagte Frank. »Als ich da so lag und die riesige Spinne auf dem Fußboden beobachtete, hörte ich plötzlich Schritte näherkommen. So wie von einer Frau mit hohen Absätzen. Aber es war kein Mensch, der da kam, es war – ein Käfer.«
»Mit Pumps?«
»Quatsch«, sagte Frank. »Ein Käfer mit einem Körper so groß wie meine Hand.« Frank hat sehr große Hände.
»Herrje«, sagte ich. »Jetzt habe ich auch noch Angst vor Käfern.«
»Der Käfer und die Spinne begannen, miteinander zu kämpfen. Der Kampf dauerte eine ganze Stunde«, fuhr Frank fort. »Und die Geräusche, die diese Tiere dabei machten, werde ich niemals vergessen. Was meinst du, wer gewonnen hat?«
»Ich tippe auf die Spinne.«
»Es war aber der Käfer«, sagte Frank. »Der Käfer hat die Spinne am Ende besiegt. Und dann hat er sie aufgefressen und ist klack, klack, klack davongegangen. Oh, jetzt ist sie weg.«
Unsere Spinne war in ihrem Kokon verschwunden. Das fand Frank ausgesprochen schade.
Als er versuchte, sie mit einem Kleiderbügel wieder hinauszulocken, bekamen wir das erste Mal in unserer noch frischen Beziehung Streit. Während die Spinne den Kleiderbügel angriff und Frank begeistert rief: »Hast du diese Beißwerkzeuge gesehen?«, bekam ich hysterische Schreianfälle, aus denen man die Worte »Rezeption!«, »Zoo!« und »sofort!« heraushören konnte, wenn man sich Mühe gab.
Dann sprang ich vom Balkon.
Frank beugte sich über das Geländer und fragte, ob ich mir was gebrochen hätte.
Ich war unverletzt. Das einzig Dumme war, dass ich nur eine Unterhose und ein T-Shirt anhatte und die Leute mich etwas befremdet anschauten.
»Ich rufe bei der Rezeption an, damit sie jemanden für die Spinne schicken«, sagte Frank.
»Ich warte so lange hier«, sagte ich und stellte mich hinter einen kleinen Busch.
»Ich weiß nicht«, sagte Frank. »Vielleicht gibt es da unten Schlangen. Mir ist vor zwei Jahren in Südafrika mal eine Schlange in die Boxershorts gekrochen, und das war kein wirklich tolles Gefühl.«
Dass einem so etwas widerfahren und man danach noch ein normales Leben führen konnte, war mir ein absolutes Rätsel. »Es würde mich auch nicht wundern, wenn du am Ende noch der Typ mit dem Spinnenbiss im Gesicht wärst«, sagte ich.
»Du meinst den, der in den Spiegel guckte und sah, wie Hunderte von Spinnen aus ihm herauskrabbelten?« Frank schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, das war ein Bekannter von einem Bekannten von der Schwester eines Freundes von mir.« Ein bisschen widerwillig warf er eine Jeans zu mir hinunter, dann telefonierte er.
Die Hotelleitung schickte sofort ein Spinnen- und Kokonentfernerteam in unser Zimmer, und als sie weg waren, wagte ich mich wieder hinein.
»Und sie hat dich auch wirklich nicht gebissen und ihre Eier in dir abgelegt?«, fragte ich.
»Nein, aber sieh mal!« Frank zeigte mir die tiefen Kerben, die die Spinne in den Kleiderbügel gebissen hatte. Er sagte, dass er den Kleiderbügel als Andenken mit nach Hause nehmen wolle. Wir haben ihn heute noch und zeigen ihn immer gern vor, wenn wir Besuch bekommen.
Da hatte ich wohl endlich mal einen richtigen Mann an Land gezogen. Einen Mann, der mich vor Spinnen, Käfern und Schlangen beschützen konnte. Ich würde ihn fragen, ob er mich heiraten wollte. Morgen, vielleicht.
Vorerst kuschelte ich mich nur an ihn. »Woher hast du diese Narbe?«, fragte ich schläfrig.
»Oh, das war die Geschichte mit dem Krokodil in Australien«, sagte Frank und fing an zu lachen, als ich erschrocken die Augen aufriss. »Nein, da bin ich auf der Kellertreppe mit einem Kasten Sprudelwasser gestolpert.«
Er kraulte meinen Nacken. »Hast du denn noch mehr Phobien, von denen ich wissen müsste?«
»Nur eine sporadisch auftretende Glucodermaphobie«, sagte ich.
»Ach, damit kann ich leben«, sagte Frank. Was für ein mutiger Mann!
Glücklicherweise hat sich meine Glucodermaphobie inzwischen ganz gegeben: Vor der Haut, die sich auf warmer, zu lange stehen gelassener Milch bildet, muss man mich gar nicht mehr beschützen. Mit dem Älterwerden wird eben doch nicht alles schlimmer.
Der Weg ist das Ziel. Reisen ist schöner als ankommen. Sicher, ja.
Eine solch alte Weisheit kann man nicht infrage stellen, nur weil man selber lange Autofahrten hasst, Zugfahren furchtbar findet und im Flugzeug vor lauter Angst hyperventiliert.
Es ist eben alles eine Frage der Einstellung, und mit etwas gutem Willen kann man jeder Situation etwas Positives abgewinnen. Selber schuld, wenn man es nicht genießt, auf der Fähre von Genua nach Sardinien in einer Kabine zehn Meter unter dem Meeresspiegel in einem versifften Etagenbett zu liegen und dem Rauschen diverser Rohre zu lauschen, während sich draußen auf dem Gang eine Klasse italienischer Spätpubertierender besäuft. Und je länger und anstrengender eine Autofahrt ist, umso mehr hat man sich den Urlaub doch verdient, oder nicht? Man kann doch auch hinterher herzlich darüber lachen, dass das Kind sich in jeder Serpentine zwischen Frutigen und Kandersteg übergeben musste, nicht wahr? Auch, wenn es nicht weniger als zwölf Serpentinen sind und einem in der fünften Kurve die Butterbrottüten ausgehen. (Und dabei habe ich schon so schnell gegessen, wie ich konnte!)
Und was nutzen einem Schneeketten, wenn man sie nicht ausprobieren kann? Nichts! Sie nehmen nur unnütz Platz weg. Also freut man sich doch am besten, wenn sich nachts um drei endlich mal eine geschlossene Schneedecke auf der Fahrbahn bildet und man zu schliddern anfängt.
Frank jedenfalls freut sich. Er schliddert das Auto auf einen Parkplatz und zerrt die Schneeketten unter den Koffern hervor.
»Sekundenschnelle Montage dank patentiertem Easy-Click-System«, liest er laut die Verpackung vor.
Ich bin dafür, dass wir auf den Schneepflug und den Streuwagen warten und solange ein bisschen schlafen. Aber weder Mann noch Kind sind meiner Meinung. Das Kind will hinaus in den Schnee, und Frank will das Easy-Click-System testen.
Er meint, wenn wir einschliefen, würden wir möglicherweise erfrieren, was lächerlich ist, denn die Temperaturanzeige im Armaturenbrett zeigt genau null Grad. Der Schnee wird vermutlich bald in Regen übergehen.
Aber es wäre grausam von mir, Frank den Spaß zu verderben. Er ist so glücklich, endlich mal die Schneeketten montieren zu dürfen. Frank wirft nämlich sein Geld nur ungern für Dinge zum Fenster heraus, die er nie braucht.
»Das Leben ist ein Abenteuer«, sage ich also und setze halbherzig hinzu: »Soll ich dir helfen?«
Aber das brauche ich nicht. Das patentierte Easy-Click-System ist sogar mit einer Hand zu montieren, sagt Frank, und Frank ist sowieso der geschickteste Mann, den ich kenne.
Das Kind und ich bauen im Dunkeln einen Schneemann. Der nasse Schnee klebt wunderbar. Nach ungefähr neunhundert Sekunden ist der Schneemann fertig.
Wir gucken, was Frank und die sekundenschnelle Montage machen. Frank ist neben dem linken Vorderreifen eingeschneit, in gebückter Haltung, die Schneeketten in der Hand.
»Es macht einfach nicht klick«, sagt er verzweifelt.
»Vielleicht sollten wir doch auf den Schneeräumer warten und so lange …«, sage ich, aber Frank unterbricht mich: »Ich hab’s doch gleich!«, ruft er.
Es ist mir klar, dass der Urlaub gelaufen ist, wenn Frank die sekundenschnelle Montage der Schneeketten nicht gelingt. Also bauen wir noch einen Schneemann. Und eine Schneefrau, zwei Schneekinder und einen Schneehund. In der Zwischenzeit ist der Schnee in Regen übergegangen. Es wird allmählich hell.