Achtung Schlaglöcher - Ingrid Thomas - E-Book

Achtung Schlaglöcher E-Book

Ingrid Thomas

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Beschreibung

"Und sie hören sicher keine Stimmen oder Geräusche im Kopf?" "Ich habe zwar meine Hippies im Hinterstübchen, die oft genug Blödsinn veranstalten, aber NEIN, ich höre KEINE Stimmen." "Sie liegen mit Ihrer Vermutung richtig." "Also schizophren und paranoid?" "Nein, mit ADHS ohne H. Wie kommen sie auf einmal auf schizophren und paranoid?" "Das fragen sie jetzt ausgerechnet eine ADS´ lerin." Leicht selbstironisch und humorvoll erzählt Ingrid von den angehäuften Begleiterkrankungen, wie sie mit 37 den Schritt fernab von "Macht man so, gehört sich so und was sollen denn die anderen denken", wagte. Sowie Einblicke in ihre chaotische Gedankenwelt. Mit 42 folgt die Diagnose. Mit ihrer Geschichte gibt sie dabei ihren Lesern Mut zur Authentizität. Interessierten, Einsicht, in die, oft für Außenstehende unverständliche Charakteristik, dieser "Andersartigkeit", die sie im übrigen, selbst nicht als Krankheit im klassischen Sinne ansieht. So vielseitig und abwechslungsreich sich ihre eigene Gedankenwelt abspielt, so verschiedenartig wird die Autorin auch von ihrer Umgebung wahrgenommen. Während einige Menschen sie als liebenswert, quirlig, selbstsicher, humorvoll direkt und hilfsbereit charakterisieren, wird sie von anderen Erdbewohnern als langweilig, chaotisch, schlampig und irre bezeichnet. Also wahrlich Eigenschaften quer durch den Garten, und so rein gar nicht einschläfernd. Und so sehr sie ihr Hirn samt ihren Hippies oft verflucht, wäre sie im Falle einer Gehirntransplantation lieber der Spender als Empfänger.

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ADHS hat jeder 5% haben zu viel

Und egal ob DER, DIE, DAS oder ES – für mich heißt es immer noch DER MENSCH. Somit sind alle Menschen, egal welchen Geschlechtes ihr euch zugehörig fühlt, gleichermaßen in meinem Buch gemeint.

INHALT

Danksagung

Vorwort

Steckbrief der Hippie Group

Kapitel 1

:

Diagnosetag

Kapitel 2:

Verdächtig: ADHS, wie alles begann

Kapitel 3

:

Brief an die Psychiaterin Versuch

Kapitel 4

:

Brief an die Psychiaterin Versuch 2

Kapitel 5

:

Gedankentresor

Kapitel 6

:

Höflichkeit VS Ehrlichkeit

Kapitel 7

:

Folgen abschätzen, wie geht das?

Kapitel 8

:

Modeerscheinung ADHS?

Kapitel 9

:

Schauspielerische Fähigkeiten?

Kapitel 10

:

Ist es automatisch gleich ADHS?

Kapitel 11

:

ADHS: Vorurteile und seine Fakten

Kapitel 12

:

Ablehnung und Schutzverhalten

Kapitel 13

:

Prüfungsangst

Kapitel 14

:

Happy Birthday?

Kapitel 15

:

Demolierte spontane Leichtigkeit

Kapitel 16

:

Einfach nur gerührt

Kapitel 17:

Hyperfokus

Kapitel 18

:

was hat Langeweile mit Kryptonit zu tun?

Kapitel 19

:

Frei, Quer und Kreativ

Kapitel 20

:

Wie man es schafft, aus Talenten nix zu machen

Kapitel 21

:

Marionetten der Gesellschaft

Kapitel 22

:

Feminismus

Schlusswort – Appell Stärken und Schwächen

Merci

an mich, die für reichlich Stoff sorgt

an meinen Partner, der mich so nimmt wie ich bin, samt meinen Schlaglöchern

an meine Freundin, Hildegard, die mich mehrmals motivierte, dieses Buch fertig zu stellen

an meine Testleser, die nicht aufhören konnten zu lesen

an dich Mensch, der auf Authentizität in einem Buch mehr Wert legt, als auf eine chronologisch gereihte Struktur

VORWORT

In diesem Buch gibt es sicherlich einige Passagen, die so rein gar nichts mit dem Thema AD(H)S zu tun haben. Manche Absätze, Seiten und Erzählungen werden den einen oder anderen denken lassen „Laaangweilig“. Na, dann ließt den Abschnitt halt nicht! Was ist so schlimm daran? Manche Sätze sind sicherlich zwei- oder mehrdeutig. Na, dann bildet euch halt eine eigene Meinung darüber! Auch nicht schlimm. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Und wenn das Buch bei euch in den Mülleimer landet, wen kümmert`s? Mich nicht. Ein paar Szenen und Ausschnitte aus meinem Leben sind einfach nur nett zu lesen und völlig normal aus dem Leben gegriffen. Aber wisst ihr was? Für mich gehören diese genauso zu der Thematik dazu. Und außerdem hatte ich nicht immer die Kontrolle darüber, was ich von mir gab. Auch, wenn es einfach nur lustige Momente waren und keinerlei typischen Symptome der Andersartigkeit zeigen, gehören sie dennoch dazu. Warum? Ganz einfach. Es zeigt (vor allem mir) wie sich eine unerkannte und sogleich unterdrückte AD(H)S auf die eigene Persönlichkeit negativ auswirken kann. Auch wenn ich dadurch nicht drogensüchtig oder mordlustig geworden bin, ist es schlimm genug, seinen eigenen Selbstwert nicht zu erkennen, Selbstbewusstsein zu verlieren und 40ig Jahre lang in einem seelischen Gefängnis zu verbringen, aus dem man ausbrechen möchte, aber nicht kann, weil man sich irgendwann zu einem selbstbestimmten persönlichen Gefängniswärter ernannt hat, in Begleitung einer chronischen Depression.

Es zeigt, dass ich im Eigentlichen von Grund auf, eine sehr quirlige, humorvolle Persönlichkeit bin, mit der es praktisch nie langweilig werden kann, da sie gerne in Fettnäpfchen tritt. Und... die durchaus über die Bereitschaft verfügt, an sehr viel Blödsinn teilzunehmen, des Spaßes wegen.

Nur ist es dieser Person mit Bravour gelungen, sich in den Knast zu hocken und ziemlich langweilig zu werden. Echt schade drum.

Nun aber ist es an der Zeit die Handschellen endgültig abzulegen und den Vorhang aufzuziehen.

Was ich euch in diesem Buch vermitteln möchte ist ganz einfach formuliert:

AD(H)S ist ein Merkmal mit Höhen und Tiefen.

Diese zu verstehen, für die Höhen unerlässlich!

Aber wahrscheinlich fallen mir im Laufe des Buches noch 100 andere Dinge ein die ich euch vermitteln möchte. Ich lege mich da nicht so fest. Und meine Hippies im Hinterstübchen quatschen ebenfalls immer wieder fleißig mit. Hauptsächlich Quatsch... daher vielleicht auch das Wort „quatschen“.

Also Vorhang auf! Denn das VORWORT ist wahrscheinlich der kürzeste Abschnitt dieses Buches! So viel kann ich euch jetzt schon sagen!

!Warnung!

Die üblichen Regeln zum Aufbau eines Buches sind in dieser Ansammlung von Seiten, beinhart von mir übergangen worden.

Sollte jemand damit ein Problem haben, ist es nicht meins.

Und solltet ihr in diesem Buch den „roten Faden“ suchen, sucht ihr vergeblich, und somit reine Zeitverschwendung.

Ebenso werdet ihr hier nicht immer auf Logik stoßen, ich hab die Logik schließlich nicht mit Löffeln gefressen.

Von mir gibt es keine Entschuldigung meines Schreibstiles, der Missachtung gewisser Formen und Strukturen für ein Buch. Denn: Ich schreibe wie ich denke, so wie ich denke bin ich. Und daran hat verflixt nochmal keiner etwas daran zu ändern! Meckern dürft ihr soviel ihr wollt, wenn´s euch Spaß macht und nix besseres zu tun habt.

Ok, das war das kürzeste....

DIE HIPPIES UND IHR WIRT

Hallo,

mit Begeisterung, stellen wir uns hiermit voller Enthusiasmus kurz vor.

Geburtsname: Geburtsort: Hauptwohnsitz:

The Hippie Group Diencephalon, dem Zwischenhirn Hypothalamus, der Steuerungszentrale des vegetativen Nervensystems

Nebenwohnsitz:

Amygdala, dem Mandelkern der für emotionale Äußerungen, wie Angst, Wut und Freude verantwortlich ist

Party-Location:

gesamtes Limbisches System (wir brauchen schließlich Platz)

Unser Wirt:

Ingrid, die Wirrwachtel

Wir - The Hippie Group, die seit zig Jahren unseren Wirt belagern, in dem wir sehr erfolgreich, glücklich, zufrieden und relaxt an der Stuhlrückenlehne angelehnt unsere Joints rauchen, Blödsinn veranstalten, und regelmäßig unsere Partys feiern, haben unseren eigenen Kopf, um Dinge durchzusetzen. Damit wir unsere Ruhe haben, uns niemand mit Arbeit nervt. Teamwork wird bei uns sehr groß geschrieben, und diese zu schwächen ist sicherlich keine einfache Sache. Wird seitens unseres Wirten doch versucht, uns zum Wegwerfen unserer Joints zu zwingen, und uns mit Arbeit zuzuschütten, so setzen wir alles daran , dies zu verhindern. Unsere Vorgehensweisen sowie Methoden dazu, kann man durchaus als sehr kreativ bezeichnen. Wir arbeiten stetig an Täuschungen, falschen Verbindungsaufbauten, Verzweigungen und Sackgassen.

Wir sind geradezu dafür prädestiniert, einen so immensen Druck in der vorderen Gehirnstruktur zu erzeugen, um Schmerz entstehen zu lassen, und unseren Wirten so schlapp und energielos zu machen, dass sie von alleine (wir wollen ja nicht, entdeckt werden) auf die Idee kommt, dass sich „UNS widersetzen“ zu anstrengend wird, so dass sie von sich aus, aus Müdigkeit, aufgibt. In hartnäckigen Situationen kann es durchaus passieren, sie mit einer Portion Schlafattacke, Sturmflut- artig zu überwältigen, die Stunden andauern kann.

Von einigen unserer Kollegen, die in anderen Wirten ihre Heimat fanden, wissen wir, dass zu 80ig Prozent dieser Wirte folgende Aussage tätigen: „Denken macht Kopfweh“. Oder: „Viel Wissen macht Kopfweh“.

Tja, genau das ist es ja auch, was wir hier erreichen wollen! Denn so können wir schön brav weiterhin, relaxt am Stühlchen sitzen, oder faul im Gras herum lungern. Gras rauchen und ausgiebig Party feiern, ohne dass uns jemand auf den Sack geht.

Wir machten uns sogar so breit, dass wir das Kleinhirn in eine tiefere Lage drückten, so dass es tiefer liegt, als bei den Normalos. Ob dies für den Wirten Auswirkungen hat? Keine Ahnung, aber wir hielten es für eine gute Idee. Wie viele unsere Ideen, die wir für gut erachten.

Doch eines Tages veränderte sich etwas. Unser Security Hippie an der vordersten Front, dem Bewusstsein, konnte es nicht mehr aufhalten. In dem winzigen Moment seiner Unaufmerksamkeit, kam plötzlich der Befehl des kritischen Denkens den Nervenstrang entlang, bis zum

Hypothalamus. Unser Wirt erfuhr somit von uns und unseren Machenschaften, unseren Manipulationen auf Kosten ihrer. Mann, war die sauer, sage ich euch! Sie flippte regelrecht aus!

Ja, so sieht unsere Vergangenheit aus.

Und heute? Heute sind wir nicht mehr so oft unserer Kräfte mächtig. Zu oft schon drängte sie uns zurück, verkleinerte unsere Gruppe nach und nach. Und so wie es aussieht bleiben in der Zukunft nicht viele von uns übrig. Und die wenigen, bekommt sie vermutlich noch in den Griff um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Mittlerweile sind wir zu wenige um alle Gehirnregionen alleine für uns beanspruchen zu können, zu kontrollieren, zu bewachen, geschweige denn zu steuern. Wir verloren bereits sehr viel an Macht. All unsere langjährigen Bemühungen das Gehirn vor kritischem Denken zu schützen, mussten wir nun aufgeben.

Die Produktion und Speicherung von Botenstoffen, wie Serotonin, Dopamin und dergleichen, erachteten wir als sehr ungünstig für uns, und ließen es daher auch nicht zu. Nur damit unser Wirt nicht auf dumme Gedanken kommt, wie etwa, uns zu schaden.

Jetzt beginnt sie selbständig zu laufen, und wir müssen ihr etwas widerwillig nun das Wort überlassen.

DIAGNOSETAG

Mit 3 Stunden Schlaf ist der Tag eigentlich schon im Eimer. So fühlte ich mich auch. Wie ein Eimer, gefüllt mit Misst und keiner leert ihn aus. Na, das kann ja heiter werden! Und vor meinem Termin auch noch Arbeiten, wo ich jetzt schon weiß heute liegt die Latte mit Fehlerquoten wieder extra hoch.

Ich war dermaßen angespannt, sodass ich in der Praxis erst einmal gegen die unübersehbare Schiebetüre gedonnert bin.

„Hallo, ich habe einen Termin.“ Ein nichts aussagendes Gesicht sieht mich an, eine absolut monotone langweilige ernste Stimme sagt: „Hallo“, ihre Karte bitte“.

Mein Gott was hat die denn? Ist die heute morgen vom Zug überrollt worden? Ein bisschen freundlicher wäre nett hier unter den ganzen Psychos. (das ist jetzt nicht abwertend gemeint) „Ok, das ist wahrscheinlich eben so wenn man nur mit Psycho - Problem Leuten zu tun hat. Ob das ein positiver Job ist? Schlecht geschlafen?“ … dachte ich. Die Dame riss mich aus meinen Gedanken und übergab mir erst einmal 3 Seiten zum ausfüllen meiner persönlichen Daten und Gründe warum ich hier bin, was die Probleme sind...

Mensch, die haben Fragen... ob die Kindheit „normal“ verlaufen ist? - ich war kurz davor zu schreiben, kommt darauf an was „normal“ für sie heißt. Ich beschloss, nicht darauf zu antworten, ich weiß nicht genug über meine Kindheit, um dies wirklich beurteilen zu können.

Welche Verletzungen/Stürze/Unfälle ich gehabt habe?

„Soll ich jetzt jede Kleinigkeit aufschreiben oder wie? Echt jetzt? Name meines Partners? Hey, was geht die das an? Nach seiner Telefonnummer fragen sie nicht.“

Dies hätte mir die Frage, was sie der Name meines Partners angeht nämlich erspart. Dann hätte ich mir gedacht, aus Notfallgründen, falls ich hier durchdrehe, damit sie einen Ansprechpartner erreichen können. Dann wäre alles klar gewesen. Aber so, hinterfragte ich die Sinnhaftigkeit dessen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit übergab ich der Dame den halb ausgefüllten Fragebogen zurück mit der Anmerkung:

„Die letzte Frage erspare ich mir, da ich hier mit den vorgedruckten Leerzeilen bei weitem nicht auskomme.“

Die Frage war: Mit welchen Gedanken beschäftigen sie sich derzeit? Das fragen sie ausgerechnet eine Vielleicht – AD(H)S´ lerin, deren Gedanken wie unkontrollierbares Popcorn umher hüpft!

Sie sah mich etwas verdutzt und unsicher an, meinte dann nur:“ Naja das klären sie lieber mit der Fr. Dr. persönlich.“ Kurz darauf, aber eine gefühlte Ewigkeit in der meine Hippies im Hinterstübchen die Zeit absolut für sich nutzten, um mir solche Flausen, wie „Was ist wenn wir doch abhauen von hier? Du stehst mit deinem Auto eh in ihrem Carport, was sehr privat wirkt – nicht dass du da jetzt Probleme bekommst“ usw.. startet auch schon der erste Test. Am Computer. Nach kurzer Erklärung was hier zu tun ist (in dieser meiner Gedankenverlorenen Verfassung hatte ich schon so meine Schwierigkeiten, der Dame konzentriert zuzuhören) ging es auch schon los. Es ging um Dreiecke. Welche mit Spitze oben, welche mit Spitze nach unten, immer in einer Reihe. Ich sollte jedes mal auf die rote Taste drücken wenn 3 Dreiecke mit der Spitze nach unten zu sehen sind. 5 Minuten lang. Klar, ein Klax, das kann ja wohl nicht so schwierig sein.

So kann man sich täuschen! Gleich beim zweiten Bild drückte ich zu spät, nächstes Bild komplett übersehen, also übersprungen, ärgerlich.. und wieder ein Bild übersprungen, Konzentration bitte! Dann ging es so einigermaßen. Eins nach dem anderen, hoch konzentriert schaffte ich es, wenigstens ein paar korrekte Tastenklicks zu machen.

„Hey, was soll das jetzt? Warum läuft die Fr. Dr. genau jetzt durch diesen Raum, und telefoniert auch noch halblaut, spinnt die??“

Und schon waren wieder ein paar Bilder übersprungen, ohne jegliche Reaktion meines Körpers die annähernd darauf hindeuten würden, dass sich mein Zeigefinger in Richtung der roten Tasten begeben würde. Ich ververzweifelte, Tränen überrannten mich regelrecht.

„Na toll, mit den Tränen sehe ich die Dreiecke noch weniger, verdammt!“

Also durchatmen und durch! 5 min. sind vorbei, welch ein Glück! Mir fiel regelrecht ein Stein von Herzen. „Geschafft“, dachte ich. Jetzt erst einmal auf die Toilette um die Spuren meiner verwischten Wimperntusche zu entfernen, damit keiner mitbekommt dass hier die Heulsuse antanzt. Was aber vermutlich in dieser Praxis völlig egal gewesen wäre, haben eh alle einen Schaden hier. Wieder annähernd beruhigt von dieser Tortour – ich dachte übrigens: „Das war´s“ – führte mich die ausdruckslose Person vor einen anderen Computer in einen anderen Raum. Hier musste ich 100 psychologische Fragen, die nur ein Ja oder Nein akzeptieren, beantworten. Manche Fragen musste ich 3x lesen um sie überhaupt beantworten zu können. Viele meiner Antworten hätte eine „vielleicht“ oder „manchmal“ Auswahl bevorzugt. Bei manchen Fragen überlegte ich tatsächlich die Antwort zu meinen Gunsten zu manipulieren, um nicht als kompletter Idiot dazustehen. Ich entschied mich dann doch ehrlich zu bleiben, sonst bringt das ganze hier ja nichts. Ich wusste gar nicht, dass manche Fragen so schwer für mich zu beantworten sind, die jeder normal denkende Mensch ganz klar, ohne groß nachzudenken vermutlich beantworten könnte.

„So geschafft, was kommt jetzt? Warten. Ok... warten.“ Ist nicht gerade so die bevorzugte Tätigkeit meinerseits. Ich wetzte mit meinem Hintern hin und her, meine auf und ab wippenden Füße machten selbst mich nur noch nervöser, sogleich sich meine Finger wieder daran erfreuten, an der Nagelhaut kratzen und zwicken zu können, bis aufs Blut. Hier fiel mir die äußerliche Unruhe zum ersten mal so richtig auf. Normalerweise ist es nicht ganz so schlimm. Aber was ist schon normal, nicht wahr? Ich kann mich aber auch daran erinnern, in der Vergangenheit schon so manchen Leuten mit meiner „Kletzlerei“ schier in den Wahnsinn getrieben zu haben. Der Versuch mich mit einer an sich sehr interessanten Zeitschrift über Naturwissenschaften abzulenken scheiterte kläglich. Die einzelnen Buchstaben der ersten beiden Sätze wollten sich in meinem Hirn einfach nicht zu Wörtern verbinden. Das verweigerten meine Hippies erfolgreich und auf direktem Wege.

„Hach! Da ist die Fr. Doktor, jetzt nimmt sie mich sicherlich in Ihr Büro mit.“ Sie sah mich mit einem prüfenden Blick an und ließ mich wissen: „Einen Moment noch, ich komme gleich und hole sie.“

Das ging ganze 3x so! Und ich wurde spürbar von Sekunde zu Sekunde nervöser und unruhiger. Vielleicht checkte sie hier meine Ungeduld ab? Der Mann neben mir (ich schätze um die 50ig), der so was von einer Ruhe ausstrahlte, dass mir die Frage in den Sinn kam: „Lebt der überhaupt?“ Er lächelte mich an und sagte: „Na, nervös?“. „Klar du Depp!“ dachte ich mir, und sagte etwas verstohlen: „Ein bisschen“, und lächelte zurück. Darauf er wieder: „Die Fr. Dr. hat Taschentücher auf dem Tisch stehen“. Und mein Lächeln wurde breiter und offener: „Die werde ich auch mit Sicherheit brauchen.“

„Frau Thomas, sie dürfen jetzt mit mir mitgehen“, hörte ich die Fr. Dr. schwammig unter meinen tausenden von Gedanken sagen. Ich sprang regelrecht vom Stuhl und folgte ihr, setzte mich, warf meine Tasche erst einmal um, so dass so ziemlich alles raus flog und ich völlig nervös, beschäftigt mit einsammeln war. Sie beobachtete mich, das konnte ich spüren. Ich blickte zu ihr hoch, versuchte sogleich alle Nervosität zu unterdrücken. Mit verschränkten Händen und einem musternden Blick lehnte sie in Ihrem Stuhl und wartete geduldig bis ich soweit war. „Herrje, ist die unsympathisch! Na toll, da muss ich mich aber echt zusammen reißen dass ich nicht das sage was ich denke.“ Aber das machte mir nicht wirklich Sorgen, ich hatte ja ein 42 Jahre langes Training darin, nicht zu sagen was ich denke. Also ein Kinderspiel für mich.

Ganz ehrlich? Ich weiß nicht mehr alles was sie sagte, aber eine Frage hat sie tatsächlich ganze 3x gefragt: „Und sie hören sicher keine Stimmen oder Geräusche im Kopf?“ Meine NEINS haben ihr vermutlich nicht so in ihr Bild von mir rein gepasst. Ich vermute sie hat damit eine Schizophrenie ausschließen können.

„Frau Thomas“, sagte sie und schob mir die Taschentücher auf eine Höhe so dass ich Sie erreichen könnte, falls ich sie brauchen sollte. Ich dachte mir, „oh Shit, ist es doch schlimmer als AD(H)S? Warum sonst die Taschentücher? Das wirft mich nicht aus der Bahn, mit dem rechne ich ja sowieso.“

„Ziemlich eindeutig“. „Ja was denn? Sag schon!“, dachte ich mir. „Es ist sogar selten bei Erwachsenen so eindeutig“. „Oh Shit.... jetzt kommt eine Diagnose mit der ich nicht gerechnet habe. Shizophren? Paranoid? Oder doch einfach dumm und pure Einbildung?“ - dachte ich erneut. Wie schon erwähnt, sie war mir von Anfang an unsympathisch. Dieser Anfang der Kommunikation ihrerseits machte sie nicht gerade sympathischer! Ich saß auf Nadeln,....SEHR spitze Nadeln, sehr viele Nadeln. Meine ansonsten immer kalten Hände fingen an zu schwitzen und zu zittern, am Nacken spürte ich die immer größer werdenden Schweißperlen die meine Kleidung benetzten.

„Sie liegen mit Ihrer Vermutung richtig“.

„Also schizophren und paranoid?“ - fragte ich vorsichtig.

„Nein, mit ADHS ohne H, wie kommen sie auf einmal auf schizophren oder paranoid?“

„Das fragen sie jetzt ausgerechnet eine ADS´lerin“,

sagte ich mit einem gezwungenen, tränen - behafteten Lächeln und einer Spur Sarkasmus in meiner Stimme.

Sie erwiderte mein Lächeln, drückte mir ein Taschentuch persönlich in die Hand (ich war wie gelähmt und konnte unmöglich danach greifen), lächelte mich ungeheuerlich sanft und beruhigend an und gab mir zu verstehen: „Und ich weiß wie es Ihnen geht, glauben Sie mir. Ich brauche nur diese Ergebnisse sehen und ich weiß genau was in Ihrem Kopf los ist, vertrauen Sie mir.“

Ich heulte, entschuldigte mich dennoch gleichzeitig dafür. Es war mir in dem Moment nicht klar warum es mich so getroffen hatte. Ich hatte doch damit gerechnet! Für mich stand es ja bereits fest! Also warum jetzt diese Heulerei? Es war eine Mischung aus - nein keine Mischung - ich war so überwältigt von mir selbst, dass sich meine Vermutung als real herausstellte, dass ich wusste bei mir ist definitiv etwas anders als bei anderen. Ich erkannte auf einmal, dass ich doch auf mein Innerstes vertrauen kann. Diese Tränen waren die wichtigsten Tränen von denen ich weiß. (bei so vielen Tränen die man vergießt, kann man sich nicht alle merken aus welchem Grund die entstanden). Es waren genau die Tränen, die mir einen großen Teil meines Selbstvertrauen auf einen Schlag zurück gegeben haben. Ein überwältigendes Gefühl, sage ich euch! Genau in diesem einen Moment, den Moment der Diagnose. Der Code meines Tresors! (Der Gedanken – tresor. Dieses Kapitel kommt noch) Und die Antwort lautet 42. Im Gegensatz zu dem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“, von Douglas Adams, weiß ich auch meine Frage noch.

Aufgrund ihres angeblichen Wissens und Nachempfinden wie ich mich mit meinem Wirrwachtel Kopf fühlen muss (nichts für ungut, aber das kaufe ich ihr dennoch noch nicht ganz ab, außer sie selbst ist auch von AD(H)S betroffen), war sie so nett und schrieb mir auf einen Zettel die weitere Vorgehensweise auf, mit der Bitte mit diesem Zettel zu meinem Hausarzt zu gehen. Sie wusste wahrscheinlich, wenn ich bei der Türe draußen bin, habe ich erst einmal alles vergessen. Und das hätte natürlich nicht viel Sinn gemacht. Vermutlich wollte sie aber auch nur einem Anruf aus dem Wege gehen, den ich dann am nächsten Tag sicherlich getätigt hätte, um nochmal zu fragen , was sie empfiehlt zu tun. Das machte sie doch noch sympathisch.

… die Stunden danach...

Ach herrje, wie und was genau sage ich zuhause? Dieser Gedanke veranlasste meine nächste Heulerei, Angst und das schlechte Gewissen nicht vorher darüber gesprochen zu haben, was mich bedrückt und was ich vermute. Es war erdrückend, ich rang mit meiner Luft, die sich wohl völlig selbständig dazu entschlossen hat, weniger zu werden. Ich erinnerte mich an die Worte „Nur ruhig, Braune“ (warum auch immer, mir das einmal gesagt wurde... schmunzel). Tief durchatmen, noch bin ich ja noch nicht zuhause, ich muss noch in die Arbeit. Den Gedanken, es gar nicht erst zu erwähnen und einfach so zu tun als wäre nichts, es zu verheimlichen, ließ ich nicht weiter zu. Aus ehrlichen Gründen. So sponnen sich meine Hippies in der hinteren Gehirnhälfte noch weitere Geschichten über die Situation meiner Beichte aus. Das Wort „Beichte“ gefällt mir hier gar nicht. Es ist so Religionsbehaftet. Passt nicht zu mir.

Zeitgleich mit dem ersteren Gedanken: Hey! Wenn nicht zuhause jemand ist, der für so etwas das meiste Verständnis aufbringen kann, wer dann? Vermutlich kommt nur: Das war klar.

Inständig hoffte ich, es ist gar niemand zuhause.

Das ledigliche Wissen meiner beiden Nachmittagstermine für die Physio und Akupressur Massage, musste erstmal reichen. Nachdem die Termine alle zeitlich sehr eng getimet waren, hoffte ich einfach nur, es bis am Abend hinausschieben zu können. Meine Vorstellung war, in aller Ruhe zu sagen, zu erklären, mich zu entschuldigen dass ich nichts gesagt habe. Und das kann ich erfahrungsgemäß nicht in 30 min. Viel mehr Zeit war nicht zwischen dem nächsten Termin.

Zuhause angekommen, steht mein Partner auch schon auf der Matte: „Hallo, wie war´s, alles gut?“ Oh Mann,... Weiß er etwa davon? Habe ich mich durch mein angespanntes Verhalten in den letzten Tagen in irgendeiner Art und Weise verraten? „Alles gut soweit“ erwiderte ich. In meinem Blick erkannte er vermutlich meine kleine Lüge. Er nahm zärtlich meinen Kopf in seine Hände, sah mir dabei tief in die Augen. „Was ist los? Ich seh´s doch.“ Er ist echt gut darin, ihm entgeht auch echt rein gar nichts.

„OK, ich muss dir tatsächlich was gestehen, das muss aber bis am Abend warten, da jetzt keine Zeit dafür ist“.

„Hey, das funktioniert so nicht! Mich zuerst neugierig machen und dann nicht rausrücken mit der Sprache! Wie, du musst mir was gestehen?“

Dabei wich er einen Schritt zurück. Sein etwas ungeduldiger Blick verriet mir, er ist auf alles gefasst, und ich wurde nur noch nervöser. Klar, ich sagte ja auch ich muss ihm etwas gestehen! Er dachte vermutlich eher daran, ich hätte mich in einen anderen Typen verknallt, und erwartet nun mein Geständnis.

Dem war natürlich nicht so. Ich komme ja mit meinen vielen wirren Gedanken schon nicht klar! Was soll ich da noch mit ´ nem anderen Typen? Spinnt der?

Während ich noch mit dem Sortieren meiner Gedanken beschäftigt war übernahmen meine Hippies und ich gab mit zittriger Stimme von mir: „Ich habe ADS“ und fing gleichzeitig an zu ... na erratet ihr es? Eh klar, die Heulsuse wieder! Er darauf: „Und? Was jetzt? Was ändert sich für uns?“ Zuerst verstand ich seine Frage nicht so recht, und sah ihn etwas fragend und ungläubig an. „Was heißt das für uns als Paar? Müssen wir etwas ändern?“ fragte er mich noch einmal. „Nein, ich denke nicht sonderlich?“ war meine sehr vorsichtige Rückfrage an ihn. Mit seiner coolen Art ließ er mich wissen: „Na dann, passt ja alles. Alles gut. Das habe ich mir eh schon längst gedacht“.