ADHS ist kein Makel - Edward M. Hallowell - E-Book
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ADHS ist kein Makel E-Book

Edward M. Hallowell

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Beschreibung

Ein Verstand wie ein Rennwagen ... mit Fahrradbremsen. Edward Hallowell und John Ratey richten den Fokus in diesem leicht zugänglichen Ratgeber auf die positiven Seiten von ADHS. Denn: Was Menschen mit ADHS auf der einen Seite daran hindert, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren, verschafft ihnen auf der anderen die Fähigkeit zum Superfokus. Dem Hang zu Prokrastination steht die Gabe gegenüber, viele Dinge in kurzer Zeit erledigen zu können. Und die Tendenz zu impulsiven Entscheidungen? Ermöglicht kreative Problemlösungen! Die Autoren stellen in diesem Buch einfache Strategien vor, diese Stärken hervorzubringen und die negativen Begleiterscheinungen von ADHS so zu kanalisieren, dass sie im Alltag weniger hinderlich sind - eine inspirierende und hilfreiche Anleitung für das Leben mit einem Gehirn, das im Bruchteil von Sekunden von 0 auf 100 springen kann, aber mit dem Bremsen so seine Probleme hat. Zum Inhalt dieses Ratgebers - Die «richtige» Herausforderung: Finden Sie heraus, welche Arbeit, Aktivität oder kreative Tätigkeit am besten zu Ihren oder den individuellen Stärken Ihres Kindes passt. - Eine neues Umfeld schaffen: An diesen Stellschrauben sollten sie zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz drehen, um die Kreativität und die Unternehmungslust zu fördern, die dem ADHS-Geist innewohnen. - Angeborene neurologische Tendenzen richtig verstehen: Erfahren Sie mehr über neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung, die für Menschen mit ADHS von großem Nutzen sind. - Die heilende Kraft der Verbindung: Tipps für den Aufbau und die Stärkung tiefer Beziehungen - das «andere Vitamin C» und das beste Gegenmittel gegen quälende Gedanken, die so viele Menschen mit ADHS plagen. - Medikamente - Ein wertvolles Hilfsmittel?: Informieren Sie sich über Zusammensetzung,  Nebenwirkungen und den nachgewiesenen Nutzen der zugelassenen pharmazeutischen Optionen. - Hilfe suchen und finden: Greifen Sie auf ein umfangreiches Verzeichnis von Anlaufstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und Literatur zum Thema ADHS zu.

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Seitenzahl: 253

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Edward M. Hallowell • John J. Ratey

ADHS ist kein Makel

Hilfreiche Strategien für Kinder und Erwachsene

 

 

Aus dem Englischen von Jorunn Wissmann und Monika Niehaus

 

Über dieses Buch

Ein Verstand wie ein Rennwagen … mit Fahrradbremsen.

Edward Hallowell und John Ratey richten den Fokus in diesem leicht zugänglichen Ratgeber auf die positiven Seiten von ADHS. Denn: Was Menschen mit ADHS auf der einen Seite daran hindert, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren, verschafft ihnen auf der anderen die Fähigkeit zum Superfokus. Dem Hang zu Prokrastination steht die Gabe gegenüber, viele Dinge in kurzer Zeit erledigen zu können. Und die Tendenz zu impulsiven Entscheidungen? Ermöglicht kreative Problemlösungen! Die Autoren stellen in diesem Buch einfache Strategien vor, diese Stärken hervorzubringen und die negativen Begleiterscheinungen von ADHS so zu kanalisieren, dass sie im Alltag weniger hinderlich sind – eine inspirierende und hilfreiche Anleitung für das Leben mit einem Gehirn, das im Bruchteil von Sekunden von 0 auf 100 springen kann, aber mit dem Bremsen so seine Probleme hat.

 

Zum Inhalt dieses Ratgebers

Die «richtige» Herausforderung: Finden Sie heraus, welche Arbeit, Aktivität oder kreative Tätigkeit am besten zu Ihren oder den individuellen Stärken Ihres Kindes passt.

Ein neues Umfeld schaffen: An diesen Stellschrauben sollten Sie zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz drehen, um die Kreativität und die Unternehmungslust zu fördern, die dem ADHS-Geist innewohnen.

Angeborene neurologische Tendenzen richtig verstehen: Erfahren Sie mehr über neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung, die für Menschen mit ADHS von großem Nutzen sind.

Die heilende Kraft der Verbindung: Tipps für den Aufbau und die Stärkung tiefer Beziehungen – das «andere Vitamin C» und das beste Gegenmittel gegen quälende Gedanken, die so viele Menschen mit ADHS plagen.

Medikamente – ein wertvolles Hilfsmittel? Informieren Sie sich über Zusammensetzung, Nebenwirkungen und den nachgewiesenen Nutzen der zugelassenen pharmazeutischen Optionen.

Hilfe suchen und finden: Greifen Sie auf ein umfangreiches Verzeichnis von Anlaufstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und Literatur zum Thema ADHS zu.

 

Über die Autoren

Edward M. Hallowell ist Psychiater und Co-Autor des Bestsellers «Zwanghaft zerstreut» und «Liebe in Zeiten der Ablenkung». Er hat zwanzig Jahre an der Harvard Medical School unterrichtet und leitet heute die Hallowell Centers for Cognitive and Emotional Health in Sudbury, Massachusetts, und New York City. Seit 2015 hat er einen wöchentlichen ADHS-Podcast. Im Jahr 2018 wurde er von der National Alliance on Mental Illness mit dem «Leader of Mental Health Awareness Award» ausgezeichnet. Er ist selbst von ADHS betroffen.

John J. Ratey ist Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School. Er ist Autor zahlreicher Bestseller über das Gehirn und zu Gesundheitsfragen.

Vita

Jorunn Wissmann, Jahrgang 1969, studierte zunächst Tiermedizin in Hannover und fand dann über verschlungene Pfade zum Übersetzen. Seit 1996 übersetzt sie wissenschaftliche Sachbücher sowie Kinder- und Jugendsachbücher aus dem Englischen; außerdem ist sie als Lektorin und Autorin tätig. Sie lebt mit ihrer Familie auf dem Land in Niedersachsen.

Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde.

 

 

Für meine liebe Frau, meine lieben Töchter und Enkelkinder.

(JJR)

 

 

Für Pippy, Honey und Ziggy, die uns bis zum letzten Atemzug mit überschwänglich leckender Zunge ihre Liebe bekundeten. Und für Layla und Max, quicklebendig und von Liebe überströmend. Es ist kein Zufall, dass «god» rückwärts gelesen «dog» ergibt.

(EMH)

Kein Gehirn ist wie das andere.

Kein Gehirn ist das beste.

Jedes Gehirn findet seinen ganz eigenen Weg.

 

Aus einem Gedicht von Edward Hallowell für seine fünfjährige Tochter

Einführung

Im Jahr 1994 schrieben wir das Buch Zwanghaft zerstreut oder Die Unfähigkeit, aufmerksam zu sein und machten so die Öffentlichkeit mit einer Störung bekannt, von der die meisten Menschen kaum oder noch nie etwas gehört hatten: der Aufmerksamkeitsdefizitstörung, kurz ADS. Da wir beide ADS haben, konnten wir die Störung von innen her beschreiben und den Leserinnen und Lesern vermitteln, was die Symptome bedeuten und wie es sich mit ihnen lebt. Da wir zudem beide Psychiater und auf diesem Gebiet tätig sind, haben wir im Laufe der Jahre und aufbauend auf den jeweils verfügbaren Informationen und Forschungsergebnissen sieben Bücher darüber verfasst, wie man diese Störung beurteilen und diagnostizieren kann, was Eltern sowie Partnerinnen und Partner von Betroffenen beachten sollten und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Zum Zeitpunkt, da wir das vorliegende Buch verfassen – mehr als 25 Jahre nach jenem gemeinsamen Erstling –, liegen die Dinge in vielerlei Hinsicht ziemlich anders. Inzwischen ist ADS nicht nur den meisten Menschen ein Begriff, nein: Viele sind selbst betroffen oder kennen jemanden, der es ist – ein Klassenkamerad, eine Kollegin, ein Partner.

Lehrende achten stets besonders auf mögliche Anzeichen, denn ein Kind mit nicht diagnostizierter (oder falsch behandelter) ADS kann auch den kleinsten Klassenverband sprengen und dabei sein eigenes Potenzial nicht voll ausschöpfen. Manchmal muss der Begriff sogar als Rundum-Erklärung für Schusseligkeiten, Vergesslichkeit oder unpassendes Benehmen herhalten: «Ich glaube, ich hab ein bisschen ADS», ob diagnostiziert oder nicht.

Und noch etwas ist anders: Statt von ADS spricht man heute von ADHS, der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Diese Bezeichnung soll dem Erleben der Betroffenen mit allen Höhen und Tiefen besser gerecht werden. In diesem Buch benutzen wir diese modernere – und offizielle – Abkürzung.

So allgegenwärtig der Begriff auch sein mag, in einem Punkt hat sich doch frustrierend wenig getan: Auch heute verstehen die meisten Menschen nicht, wie machtvoll, umfassend und komplex dieses Leiden ist. Ebenso wenig ist bekannt, welch enorme Fortschritte in der Erforschung und Behandlung in den letzten Jahren erzielt wurden. Stattdessen kursieren immer noch Zerrbilder und falsche oder unvollständige Informationen. Diese Fehlinformationen fügen Millionen von Menschen Schaden zu, indem diese sie davon abhalten, sich Hilfe zu suchen oder die richtige Hilfe zu finden. In Bezug auf ADHS ist Unkenntnis bis heute sozusagen der Staatsfeind Nr. 1.

Viele glauben beispielsweise, ADHS gebe es nur bei Kindern und die Störung würde sich von selbst auswachsen. Wir wissen aber, dass sich ADHS, auch wenn schon im Kindesalter diagnostiziert, keineswegs auswächst. Menschen, bei denen dies scheinbar der Fall ist, haben schlichtweg gelernt, die Störung so weit zu kompensieren, dass sie für andere nicht mehr augenfällig ist. Wir wissen auch, dass ADHS bei manchen erst im Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, oft dann, wenn die Anforderungen des Lebens dem oder der Betroffenen über den Kopf wachsen. Klassische Beispiele sind Frauen, die ihr erstes Kind bekommen haben, oder Anfängerinnen und Anfänger im Medizinstudium. In beiden Fällen stellen sich plötzlich ungeheure organisatorische Herausforderungen, und Betroffene zeigen dann Symptome von ADHS, die sie bislang kompensieren konnten. Zu diesem Zeitpunkt kann und sollte ADHS diagnostiziert werden. ADHS bei Erwachsenen ist sogar ein anerkanntes Leiden, das in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD), nach welcher Vertragsärzte und -psychotherapeuten ihre Diagnosen verschlüsseln müssen, verzeichnet ist.

Andere glauben, ADHS sei bloß eine Erfindung der Pharmakonzerne, um Produkte verkaufen zu können. Das ist nicht der Fall, auch wenn im Laufe der Jahre zweifellos viele Scharlatane das Unwissen darüber verstärkt haben, wie und wann welche Medikamente helfen können.

Wieder andere, weniger freundlich gesonnene Menschen sehen in ADHS nur einen schicken Begriff für Faulheit und meinen, dass Leute, die «das haben», einfach ein bisschen Disziplin bräuchten! Tatsächlich aber ist das Gehirn von jemandem mit ADHS ganz und gar nicht «faul», sondern vielmehr pausenlos aktiv. Das schlägt sich vielleicht nicht immer in Produktivität nieder, doch liegt dies nicht an einem Mangel an Antrieb oder Energie!

Der allumfassende Irrtum, dem allzu viele Menschen im Hinblick auf ADHS unterliegen, besteht darin, dass sie diesen Berg von einem Leiden als Problem in Maulwurfshaufengröße betrachten, das lediglich einige wenige betrifft. Doch damit liegen sie völlig daneben.

Zunächst einmal ist ADHS nicht selten, sondern betrifft etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Wir glauben allerdings, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt, weil viele Betroffene ihr Leben scheinbar gut meistern (es aber eigentlich viel besser meistern könnten) und keine entsprechende Diagnose erhalten. Der relative Mangel an Fachleuten, die wissen, wie man ADHS diagnostiziert, drückt die Zahlen ebenfalls. Weil wir außerdem heute in Sekundenschnelle Zugang zu Informationen haben und in rasendem Tempo Reize – Bilder, Klänge und Daten überall – auf uns einstürmen, ist es durchaus möglich, dass wir alle «ein bisschen ADHS» haben: Wir sind schusseliger, vergesslicher und unkonzentrierter als je zuvor. Nun, für diese moderne Sprunghaftigkeit haben wir eine neue Bezeichnung gefunden; dazu mehr in Kapitel 1.

Tatsächlich kostet das Unwissen über ADHS Menschenleben. ADHS kann eine Geißel sein, eine nicht nachlassende, lebenslange Belastung, der Grund dafür, dass ein brillanter Mensch niemals Erfolg hat, sondern frustriert und beschämt als «Versager» dahinvegetiert und sich noch anhören muss, er solle sich mehr anstrengen, endlich tun, was man von ihm erwarte, erwachsen werden oder sich sonst wie grundlegend ändern. All das kann zum Suizid führen, zu Süchten jeglicher Art, zu Verbrechen (die Gefängnisse sind voll mit Menschen mit nicht diagnostizierter ADHS), Gewalttätigkeit und einer verkürzten Lebenserwartung.

 

Der Psychologe Russell Barkley ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der ADHS und fasst die Gefahren nüchterner Statistiken so zusammen:

Aus Sicht des öffentlichen Gesundheitswesens ist ADHS verglichen mit anderen Killern wirklich schlimm. Rauchen verkürzt das Leben beispielsweise um 2,4 Jahre, und wenn man mehr als 20 Zigaretten pro Tag raucht, sind es sogar 6,5 Jahre. Auch Diabetes und Fettleibigkeit kosten einige Lebensjahre, erhöhte Blutcholesterinwerte neun Monate. ADHS aber ist schlimmer als die Top 5 der Todesursachen in den USA zusammen.

ADHS verringert die Lebenserwartung der Betroffenen durchschnittlich um fast 13 Jahre. Barkley fährt fort:

Und das zusätzlich zu dem gefundenen erhöhten Risiko für Verletzungen durch Unfälle sowie für Suizid. […] Etwa zwei Drittel der Menschen mit ADHS haben eine um bis zu 21 Jahre verringerte Lebenserwartung.

Nach allem, was wir heute über ADHS wissen, und basierend auf neuesten Forschungsergebnissen, können wir kategorisch und aus tiefster Überzeugung Folgendes sagen: So muss es nicht sein! Es ist höchste Zeit für eine neue Sicht auf ADHS.

Am Anfang sind Medikamente oft hilfreich. Dr. Barkley selbst merkt an:

ADHS ist ohne Frage die am besten behandelbare Störung in der Psychiatrie. Wir verfügen über mehr Medikamente mit … größerer Effektstärke, höherer Ansprechrate und mehr Verabreichungsformen, die das Leben der Menschen stärker verändern als bei jeder anderen Störung. Sie zählen zu den sichersten Medikamenten in der Psychiatrie.

Außer den Medikamenten (oder zusätzlich zu ihnen) kennen wir eine ganze Reihe von Verhaltens- und Lebensführungsstrategien, die Ihnen (oder jemandem, der Ihnen lieb ist) dabei helfen können, mit ADHS zurechtzukommen – von der beruhigenden und fokussierenden Kraft des Sports bis hin zu verschiedenen Methoden, die lebhafte, immerzu aktive Vorstellungskraft eines Menschen mit ADHS zu zügeln, sowie Wegen, die «richtige» Herausforderung zu finden, also die Arbeit oder Aktivität, die sich am besten für einen Geist eignet, der aktiv sein muss.

Wir sind selbst Kliniker und wissen aus Erfahrung, dass jede dieser Strategien funktioniert und das Leben unserer Patienten (von denen wir einige – natürlich durch Pseudonyme geschützt – auf diesen Seiten beschreiben) grundlegend verändert. Dank der unglaublichen Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren zur Darstellung des Gehirns (Hirnscans) und des großen Interesses etlicher Forschender auf dem Gebiet der Neuropsychiatrie wird uns auch immer klarer, warum diese Strategien eigentlich funktionieren; Kapitel 2 und 3 ergründen die faszinierende Erklärung und vermitteln damit eine umfassende und grundlegende Vorstellung vom ADHS-Gehirn.

Bevor wir aber zum praktischen Teil unseres Programms übergehen, müssen wir auf die Macht von ADHS zu sprechen kommen, im Leben so vieler Menschen Schmerz und Leid zu verursachen. Lernen wir jedoch, die Störung zu meistern, bringt sie Talente ans Tageslicht, die man weder lehren noch kaufen kann. Oft ist sie der Lebenssaft von Kreativität und künstlerischem Talent. Sie befeuert Einfallsreichtum und iteratives Denken. Sie kann für Sie oder Ihr Kind eine besondere Kraft bedeuten, ja eine echte Superkraft sein. Wenn Sie sie wirklich verstehen und sich zu eigen machen, kann die ADHS Sie zu ungeahntem Erfolg führen und der Schlüssel zu Ihrem Potenzial sein. Davon werden wir in unserer Praxis täglich Zeuge.

Kindern erklären wir ADHS oft mithilfe einer einfachen Analogie, die zweifellos auch für Erwachsene eingängig ist: Eine Person mit ADHS hat die Kraft eines Ferrari-Motors, aber die Bremsen eines Fahrrads. Dieses Missverhältnis zwischen Antriebsstärke und Bremsvermögen ist der Ursprung der Probleme. Die Devise lautet: Bremskraft verstärken!

Kurzum, ADHS kann eine große Bereicherung sein, ein Geschenk, wenn man mit Sachverstand damit umzugehen weiß – die Betonung liegt hier auf «mit Sachverstand». Je nachdem, ob wir die Störung verstehen oder nicht, kann es uns belasten oder bereichern, dass wir uns anders fühlen und anders verhalten als andere Menschen. Einer der wichtigsten Gründe für uns, dieses Buch zu schreiben, ist der Wunsch, Ihnen (oder jemandem, der Ihnen am Herzen liegt) dabei zu helfen, anders zu sein und sich dabei verdammt gut zu fühlen. Wenn Sie wissen, wer Sie sind, fällt es leichter, sich selbst zu mögen. «Wissen ist Macht» – dieses Klischee trifft hier voll ins Schwarze. Erkunden wir also gemeinsam den heutigen Wissensstand zu dieser rastlosen, zuweilen schwer greifbaren Störung.

Kapitel 1Die ganze Vielfalt

Wer sind wir Menschen mit ADHS?

Wir sind das Problemkind, das seine Eltern in den Wahnsinn treibt, weil es so unorganisiert ist, nie länger bei einer Sache bleiben kann, weil es niemals schafft, sein Zimmer aufzuräumen, abzuwaschen oder irgendeine andere Aufgabe zu erledigen, nie um Entschuldigungen für nicht Erledigtes verlegen ist und auf den meisten Gebieten weit unterhalb seines Potenzials agiert. Wir sind das Kind, dem täglich Vorträge darüber gehalten werden, dass es sein Talent vergeudet, mit seinen Fähigkeiten zu glänzen versäumt und all das, was seine Eltern ihm bieten, einfach nicht nutzt.

Manchmal sind wir auch die talentierte Führungskraft, die immer wieder versagt, weil sie Deadlines nicht einhält, Verpflichtungen vergisst, in soziale Fettnäpfchen tritt und Gelegenheiten ungenutzt lässt. Allzu oft sind wir auch die Süchtigen, die Außenseiter, die Arbeitslosen und die Kriminellen, die nur eine Diagnose und Behandlung davon entfernt sind, ihrem Leben eine komplette Wendung zu geben. Wir sind die Menschen, für die Marlon Brando 1954 im Filmklassiker Die Faust im Nacken sprach, als er sagte: «Ich hätte was werden können.» So viele von uns hätten was werden können – und sollen.

Andererseits sind wir manchmal richtig gut. Und wie! Wir sind es, die als scheinbar geistig abwesende Meeting-Teilnehmer aus dem Nichts die zündende Idee liefern, die allen den Tag rettet. Oft sind wir das «leistungsschwache» Kind, dessen Talent mit der richtigen Hilfe aufblüht und das trotz holprigem Bildungsweg große Erfolge erzielt. Aus uns wird was!

Wir sind auch fantasievolle, dynamische Lehrerinnen, Priester, Zirkusclowns und Stand-up-Comedians, Marinetaucher oder Army Ranger, Erfinderinnen, Tüftler und Trendsetterinnen. Unter uns sind Selfmade-Millionärinnen und -Milliardäre, Pulitzer- und Nobelpreisträger, Oscar-, Tony-, Emmy- und Grammy-Preisträgerinnen, Top-Anwälte und -Anwältinnen, Hirnchirurgen, Börsenmaklerinnen und Investmentbanker. Und wir sind oft unternehmerisch tätig. Wir selbst sind Unternehmer, und die große Mehrheit unserer erwachsenen ADHS-Patienten sind ebenfalls Unternehmer oder auf dem Weg dahin. Dan Sullivan, selbst ADHS-Betroffener sowie Besitzer und Betreiber der Firma Strategic Coach, die Unternehmen unterstützt, schätzt, dass mindestens 50 Prozent seiner Klienten ebenfalls ADHS haben.

Leute mit ADHS sehen aus wie alle anderen, darum ist unsere Krankheit nicht gleich erkennbar. Das Innere unseres Kopfes aber ist völlig anders. Dort schießen Ideen hervor wie Maiskörner aus der Popcornmaschine, es rattert nur so, und das ohne erkennbaren Plan. Die Ideen kommen spontan, in unregelmäßigen Ausbrüchen. Und da wir diese seltsame Popcornmaschine nicht abstellen können, gelingt es uns oft auch nicht, den Ideenstrom nachts anzuhalten. Unser Geist scheint niemals zu ruhen.

Ja, unser Geist ist hier und dort und überall (gleichzeitig); nach außen erweckt das manchmal den Eindruck, wir wären ganz woanders und träumten vor uns hin. Darum verpassen wir manchmal den Anschluss – im übertragenen, aber auch im Wortsinn. Aber dann bauen wir stattdessen vielleicht ein Flugzeug oder kommen auf andere Weise voran. Möglich, dass wir mitten in einem Vorstellungsgespräch abschalten und dann den Job nicht bekommen, aber vielleicht hängt im Personalraum ein Poster, das uns auf eine Idee bringt, die uns zu einer patentierten Erfindung verhilft. Wir stoßen Menschen vor den Kopf, weil wir vergessen, wie sie heißen oder was wir ihnen versprochen haben, aber dafür verstehen wir vielleicht etwas, das sonst noch keiner verstanden hat. Wir schießen uns selbst in den Fuß, nur um dann spontan eine Methode zu entwickeln, die Kugel schmerzfrei wieder zu entfernen. Der große Mathematiker Alan Turing beschrieb uns eigentlich gut, als er sagte: «Manchmal sind es gerade die Menschen, von denen keiner etwas erwartet, die Unerwartetes vollbringen.» Das trifft es genau.

Will sagen: ADHS ist ein weitaus reicherer, komplizierterer, paradoxerer, gefährlicherer, aber auch potenziell vorteilhafterer Seinszustand als die zu stark vereinfachte Version, die die meisten Menschen darin sehen und die sogar detaillierte Diagnosekriterien uns vorgaukeln. Der Begriff «ADHS» bezeichnet eine Art, auf unserer Welt zu sein. ADHS ist weder ein vollkommenes Leiden noch ein reiner Vorteil. Sie umfasst eine ganze Vielfalt von Eigenschaften, die für einen ganz besonderen Geist spezifisch sind. Und sie kann Fluch oder Segen sein, je nachdem, wie man mit ihr umgeht.

Wahnwitzige, Poeten und Verliebte

So unterschiedlich sich ADHS auch bei den einzelnen Betroffenen manifestieren mag, gibt es doch einige Eigenschaften, die praktisch alle gemeinsam haben. Ablenkbarkeit, Impulsivität und Hyperaktivität sind klassische Deskriptoren, doch passender finden wir Shakespeares Worte über «Wahnwitzige, Poeten und Verliebte».

ADHS zu haben bedeutet nicht, dass man verrückt ist, daher mag «wahnwitzig» ein zu starkes Wort sein. Risikobereitschaft aber und irrationales Denken gehen Hand in Hand mit ADHS-Verhalten. Wir sind ganz locker, wo andere besorgt sind. Wir sind entspannt, während wir nicht wissen, in welcher Richtung wir unterwegs sind. Eltern von ADHS-Teenagern fragen uns oft: «Was hat er sich bloß dabei gedacht? Er muss den Verstand verloren haben!» Desgleichen der Ehepartner, der uns fragt: «Warum macht er dieselbe dumme Sache immer und immer wieder? Ist das nicht die Definition von verrückt?»

Manche Leute nennen das einfach Nonkonformismus, aber dieser Begriff trifft es nicht. Wir entscheiden uns nicht dafür, nicht konform zu sein. Wir bemerken nicht einmal, wie der Standard ist, dem wir nicht entsprechen!

Menschen mit ADHS sind insofern Verliebte, als sie oft hemmungslose Optimisten sind. Kein Handel, der uns nicht gefällt, keine Möglichkeit, der wir nicht nachgehen, keine Gelegenheit, die wir nicht beim Schopfe packen wollen. Wir werden einfach davongetragen. Wir sehen grenzenlose Möglichkeiten, wo andere nur Grenzen sehen. Der Verliebte kann sich kaum zurückhalten, und mangelnde Zurückhaltung ist ein Hauptmerkmal von ADHS.

Das Poet-Sein lässt sich wohl am besten mit drei Schlagworten beschreiben: kreativ, verträumt und manchmal grüblerisch.

Der Begriff «Kreativität», so wie wir ihn im Zusammenhang mit ADHS verwenden, bezeichnet die angeborene Fähigkeit, das Bedürfnis und den unwiderstehlichen Drang, die eigene Vorstellungskraft regelmäßig und tief ins Leben hereinzuholen – in ein Projekt, eine Idee, ein Musikstück, eine Sandburg. Menschen mit ADHS verspüren beständig und immerfort den Wunsch, kreativ zu sein. Dieser namenlose Appetit ist unser ständiger Begleiter, ob wir ihn nun verstehen oder nicht; wir sind ganz und gar auf das Kreativsein ausgerichtet. Kreativität nimmt uns gefangen, hält uns in der Gegenwart fest und fasziniert uns vollkommen, ganz gleich, in welcher Gestalt sie daherkommt.

Auch wenn wir wach sind, träumen wir, stets schöpferisch, immer darauf aus, mehr aus etwas zu machen. Unsere Fantasie befeuert unsere Neugierde, wir müssen einfach wissen, was das für ein Geräusch war, was unter dem Stein steckte oder warum die Petrischale anders aussieht als letztes Mal, als wir sie betrachtet haben. Aber wir untersuchen das Geräusch, den Untergrund und die Petrischale. Darum ist das Wort «Defizit» in der Bezeichnung unserer Störung so unpassend. Tatsächlich leiden wir nicht unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Ganz im Gegenteil. Wir haben zu viel Aufmerksamkeit, um damit klarzukommen; ständig stehen wir vor der Herausforderung, sie zu beherrschen.

Das Grüblerische ist der besondere Segen und zugleich bittere Fluch von ADHS. Sie haben eine Vision. Vielleicht haben Sie eine neue Technik für einen einzigartigen Messerschleifer erfunden, oder Ihnen ist die Handlung für den perfekten Roman eingefallen. Welcher Art die Vision auch sein mag, Sie gehen ihr mit aller Intensität nach.

Doch dann … enttäuscht das, was Sie geschaffen haben. Es enttäuscht nicht nur, Sie haben plötzlich das Gefühl, dass es ganz furchtbar ist, völlig misslungen, ein totaler Fehlgriff, und Sie verzweifeln zutiefst. Dann aber kehrt, ebenso plötzlich, die Vision wie aus dem Nichts zurück. Ihre Inspiration ist wieder da. Sie sehen alles vor sich, Sie wollen es und können nicht widerstehen – Sie müssen es einfach noch einmal versuchen. Und wieder geht es los, das Träumen, das Erschaffen und wahrscheinlich auch das Grübeln.

Wie die drei beschriebenen Charaktere – Wahnwitzige, Poeten und Verliebte – haben auch wir eine tiefe Abneigung gegen Langeweile. Langeweile ist für uns das reinste Gift, so wie Kryptonit für Superman. Sobald wir Langeweile (also einen Mangel an Stimulation) empfinden, suchen wir reflexhaft, augenblicklich, automatisch und unbewusst nach Stimulation. Ganz gleich, welcher Art diese ist, wir müssen einfach dem mentalen Notfall, dem «Hirnschmerz» begegnen, den Langeweile bei uns auslöst. Wir treten in Aktion wie mentale Rettungssanitäter. Vielleicht zetteln wir einen Streit an, um ein bisschen Stimulation zu erleben, vielleicht verfallen wir in einen wahren Kaufrausch, überfallen eine Bank, schnupfen Kokain – vielleicht erfinden wir aber auch das beste Gerät, das die Welt bisher gesehen hat, oder finden heraus, wie unser Geschäft endlich in Schwung kommt.

Widersprüchliche Neigungen

Die offizielle Definition von ADHS finden Sie im Anhang A. So können Sie nachvollziehen, wovon Ihre Psychiaterin oder Ihr Gutachter spricht, wenn sie oder er die Diagnose äußert. Abseits der klinischen Beschreibung aber könnte man sich ADHS als komplexe Ansammlung widersprüchlicher oder paradoxer Neigungen vorstellen: mangelnde Konzentrationsfähigkeit in Kombination mit der Fähigkeit zu absoluter Höchstkonzentration; mangelnde Zielstrebigkeit und zugleich höchst zielstrebiges Unternehmertum; ein Hang zur Prokrastination («Aufschieberitis») im Gespann mit der Gabe, die Arbeit einer Woche innerhalb von zwei Stunden zu erledigen; impulsive, starrköpfige Entscheidungen kombiniert mit erfindungsreichen, spontanen Problemlösungen; Ratlosigkeit im Umgang mit anderen einerseits und verblüffende Intuition und Empathie andererseits – die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.

Im Folgenden beschreiben wir etwas formaler die typischen Anzeichen von ADHS, aufgrund derer Sie vielleicht die klinische Diagnostik in Anspruch nehmen wollen.

Unerklärlicher Leistungsrückstand: Betroffene erreichen einfach nicht das, was ihr Talent und ihre Intelligenz erwarten lassen. Es gibt dafür keine offensichtliche Erklärung, wie etwa eine Sehschwäche, Krankheit oder kognitive Beeinträchtigung infolge einer Kopfverletzung.

Geistige Abwesenheit: Lehrerinnen und Lehrer, bei Erwachsenen auch Vorgesetzte und Partner äußern oft, dass der oder die Betroffene geistig abwesend ist, sich nur schwer konzentrieren und bei einer Aufgabe bleiben kann, keine kontinuierliche Leistung bringt, gute und schlechte Tage, helle und stockfinstere Momente hat. All dies bringt Lehrerinnen und Lehrer, Vorgesetzte und Partnerinnen oder Partner oft zu dem Schluss, dass die fragliche Person mehr Disziplin an den Tag legen, sich mehr bemühen solle und lernen müsse, aufzupassen. Das zeugt von dem Unwissen hinsichtlich ADHS – die Menschen unterstellen noch immer zu geringes Bemühen als Ursache für Desorganisation und mangelnde Aufmerksamkeit der Betroffenen. Biologische Tatsache ist jedoch, dass sie dies ohne Stimulation nicht können. Nicht etwa nicht wollen. Nicht können.

Schwierigkeiten mit Organisation und Planung: Im klinischen Jargon spricht man von Beeinträchtigungen der «exekutiven Funktionen». Ein Kind tut sich beispielsweise schwer damit, sich morgens anzuziehen. Sie schicken Ihre Tochter vielleicht mit dem Auftrag in ihr Zimmer, sich anzuziehen, und finden sie dann eine Viertelstunde später immer noch im Schlafanzug auf dem Bett, wo sie sich angeregt mit ihrer Puppe unterhält. Oder Sie bitten Ihren Ehemann, den Müll hinauszubringen, und er vergisst auf dem Weg zur Mülltonne, was er tun sollte, und geht ganz langsam daran vorbei.Sie regen sich furchtbar auf – wie Sie es in der Vergangenheit schon so oft taten – und denken, Ihr Ehemann wolle Sie provozieren, sei passiv-aggressiv, zeige Trotzverhalten oder sei nur auf sich konzentriert. Doch es könnte den Gang zum Scheidungsanwalt ersparen, wenn Ihnen beiden jemand erklärte, dass das An-der-Mülltonne-Vorbeigehen wie Hunderte anderer scheinbar egoistisch-ignoranter Verhaltensweisen eben nicht auf Egoismus oder eine andere Charakterschwäche zurückgehen, sondern auf ein neurologisches Leiden, das zu inkonsistenter Aufmerksamkeit und einem so löchrigen Kurzzeitgedächtnis führt, dass eine Aufgabe binnen Sekunden wieder vergessen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass dieselben Betroffenen hyperfokussiert sein, brillante Präsentationen punktgenau abliefern und vollkommen zuverlässig sein können, wenn sie stimuliert sind. Das lässt Außenstehende oft an der Diagnose zweifeln. Doch wie gesagt, Langeweile wirkt wie Kryptonit; der ADHS-Geist weicht vor Langweiligem zurück und entschwindet auf der fieberhaften Suche nach Stimulation, während der Mülleimer ungeleert bleibt.

Ausgeprägte Kreativität und Vorstellungskraft: Menschen mit ADHS zeigen in jedem Alter oft einen übersprudelnden Intellekt. Leider kann dieser reiche Quell durch jahrelange Kritik, Tadel, Zurechtweisungen, mangelnde Anerkennung sowie wiederholte Enttäuschungen, Frustration und echte Misserfolge irgendwann versiegen.

Schwierigkeiten mit Zeitmanagement, Neigung zur Prokrastination: Auch dies ist ein Element der exekutiven Funktionen, und zwar ein sehr interessantes. Wer von ADHS betroffen ist, erlebt die Zeit anders als andere Menschen. Das übersteigt die Vorstellungskraft vieler, und so stehen etliche Menschen unserem Problem ablehnend gegenüber und führen es auf mangelndes Bemühen, eine schlechte Einstellung oder puren Eigensinn zurück. Tatsächlich aber fehlt uns ein innerer Sinn für das Vergehen der Zeit; wir sind uns nicht bewusst, dass die Sekunden beständig vergehen und zu Minuten, Stunden, Tagen usw. werden. Entgegen den Gesetzen der Physik verändern wir in unserem Kopf das Wesen der Zeit. In unserer Welt sind wir uns der vergehenden Sekunden kaum bewusst; wir haben kaum innere Alarmzeichen oder sonstige Hinweise; uns fehlen vernünftige Zuordnungen von Zeitspannen für dies, dann das und danach das Nächste. Wir umgehen diese ganze Komplexität, indem wir die Zeit auf ihre einfachste Form reduzieren. In unserer Welt gibt es nur zwei Zeiten: «jetzt» und «nicht jetzt». Wenn wir hören, «wir müssen in einer halben Stunde los», dann verstehen wir «wir müssen nicht jetzt los». Aus «der Artikel muss in fünf Tagen fertig sein» wird für uns «er muss jetzt noch nicht fertig sein», und die fünf Tage könnten ebenso gut fünf Monate sein. Wir hören «ich muss irgendwann ins Bett gehen», wenn es tatsächlich hieß «es ist Zeit fürs Bett». Unser reduziertes Zeitempfinden bringt allerlei Kämpfe, Misserfolge, Jobverluste, enttäuschte Freunde und verpasste Romanzen mit sich, aber auch eine verblüffende Fähigkeit, unter extremem Druck hervorragend zu arbeiten, weil man sich des Zeitdrucks, der den meisten Menschen höchsten Stress verursacht, so aufreizend wenig bewusst ist.

Starker Wille, Dickköpfigkeit, Ablehnen von Hilfe: So dumm es auch wirken mag, viele Menschen (vor allem Männer) mit ADHS sagen geradeheraus: «Lieber versage ich auf meine Art, als dass ich mithilfe anderer Erfolg habe.»

Großzügigkeit: So schmerzhaft die Andersartigkeiten auch sein mögen, die wir mit uns herumtragen, ADHS bringt auch ein paar kleine Wunder mit sich, eine positive Energie, die kommt und geht. Wenn sie kommt, sind wir die großzügigsten Menschen überhaupt, mit dem größten Optimismus und Enthusiasmus. Tatsächlich sind wir, obwohl wir oft Hilfe von anderen ablehnen (siehe oben), häufig diejenigen, die Menschen, die es nötig haben, selbstlos Hilfe anbieten, auch dann, wenn wir sie gar nicht kennen. Darum sind so viele von uns so gut im Verkauf. Wir können charismatisch, ansteckend witzig, überzeugend sein und genau das, was Sie brauchen, wenn Sie niedergeschlagen sind.

Rastlosigkeit, besonders bei Jungen und Männern. Tagträumen, vor allem bei Mädchen und Frauen: Weil sie sich oft nicht hyperaktiv oder als Störerinnen präsentieren, sind unter Mädchen und Frauen aller Altersstufen die meisten nicht diagnostizierten Betroffenen zu finden. Es braucht schon sehr aufmerksame Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Partner, Vorgesetzte oder Ärzte, um die ADHS-Ausprägung mit mangelnder Aufmerksamkeit, aber ohne Hyperaktivität bei einem Mädchen oder einer Frau zu erkennen.

Besonderer, aktiver Humor: Schräg, unkonventionell, aber meist auch ziemlich anspruchsvoll. Viele Stand-up-Comedians und Comedy-Autoren haben ADHS, vielleicht auch deswegen, weil wir die Welt so ganz anders sehen. Wir leben außerhalb der sprichwörtlichen Schubladen.

Schon in jungen Jahren Schwierigkeiten, mit anderen zu teilen und zu spielen, zugleich das Bedürfnis, Freundschaften zu schließen: Im Verlauf des Lebens