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In dieser Rezensions widmet sich Thomas Mann Werken des expressionistischen Schriftstellers Adolf von Hatzfeld, auf den er wenige Jahre zuvor dank der Vermittlung des Germanisten Philipp Witkop aufmerksam geworden war und den er in der Zwischenzeit auch persönlich kennengelernt hatte. Mann bewunderte die »kluge Umsicht und sittliche Lebensanteilnahme eines Dichters, der seit dem tragischen Abschluss schwerer Jugendwirren in ewigem Dunkel lebt«. Hatzfeld war in Folge eines Selbstmordversuchs erblindet. Nachdem die Rezension in der Frankfurter Zeitung vom 27. Januar 1923 abgedruckt worden war, nahm Mann sie 1925 in die Sammlung ›Bemühungen‹ auf. Auch in späteren Werkausgaben wurde der Text berücksichtigt. Noch im Jahre 1953 verfasste Mann zudem eine Rezension zu einem weiteren Erzählungsband des jüngeren Kollegen.
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Seitenzahl: 16
Thomas Mann
Adolf von Hatzfeld
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Unter einigen guten Dingen, die ich kürzlich las, gedenke ich der Bücher Adolf von Hatzfelds besonders dankbar. Der junge westfälische Dichter brachte den Lesern dieser Zeitung seinen Namen neulich durch einige bewegte Worte in Erinnerung, die er hier über Ernst Bertrams Streitschrift gegen Barrès veröffentlichte. Er lenkte die Aufmerksamkeit der Literaturfreunde vor Jahr und Tag durch seinen Erstlingsroman Franziskus auf sich, eine Jünglings-Autobiographie, zarte Tragik, deren nobler und empfundener Vortrag unvergessen ist. Eine neue Auflage wird eben ausgegeben, zusammen mit neuen Werken desselben Verfassers, der sich unterdessen auch als Lyriker und selbst als gern gehörter Rezitator seiner Verse einen Namen gemacht hat. Ein Band Gedichte liegt vor, dazu ein zweiter Roman Die Lemminge, endlich eine Sammlung von Aufsätzen über geistige und soziale Gegenstände, deren Vielfalt Zeugnis ablegt für die kluge Umsicht und sittliche Lebensanteilnahme eines Dichters, der seit dem tragischen Abschluß schwerer Jugendwirren in ewigem Dunkel lebt.
Ich las Die Lemminge mit größtem Anteil. Das dichterische Geheimnis des Buches ist beschlossen in anderthalb Seiten, die auch räumlich in seiner Mitte stehen und zugleich die Erklärung seines sonderbaren Titels geben. Es ist da die Rede von einer Tierart des nördlichen Schweden, kleinen Nagetieren, Wühlmäusen, die einer merkwürdigen Massenpsychose unterliegen, einem fanatischen Wandertriebe ins Verderben. Aus den Höhen der Berge brechen sie ohne erkennbaren Grund zu Tausenden auf, wimmeln in unaufhaltsamem Zuge, getrieben von einem unbezähmbaren Drang, zur Ebene, zur Küste hinab, stürzen sich kopfüber ins Meer und finden so in den Wellen {604}