Adrien English: Tod eines Piratenkönigs - Josh Lanyon - E-Book

Adrien English: Tod eines Piratenkönigs E-Book

Josh Lanyon

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Beschreibung

And it is, it is a glorious thing to be a Pirate King! Als während einer Dinnerparty ein Mord geschieht, wird ausgerechnet Adriens ehemaliger Geliebter, der gutaussehende, heimlich schwule Detective Jake Riordan, jetzt Lieutenant beim LAPD, hinzugezogen – was Adriens neuen Freund, den sexy UCLA-Professor Guy Snowden, dazu bringen könnte, selbst einen Mord zu begehen. Tod eines Piratenkönigs ist Band 4 der Adrien-English-Reihe

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Josh Lanyon

Adrien English:

Tod eines Piratenkönigs

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2024

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe: Death of a Pirate King

Übersetzung: Julie Werner

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© TIMDAVIDCOLLECTION – stock.adobe.com

© donfiore – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-713-2

ISBN 978-3-96089-714-9 (ebook)

Inhalt

And it is, it is a glorious thing to be a Pirate King!

Als während einer Dinnerparty ein Mord geschieht, wird ausgerechnet Adriens ehemaliger Geliebter, der gutaussehende, heimlich schwule Detective Jake Riordan, jetzt Lieutenant beim LAPD, hinzugezogen – was Adriens neuen Freund, den sexy UCLA-Professor Guy Snowden, dazu bringen könnte, selbst einen Mord zu begehen.

Kapitel Eins

Eswar einfach nicht meine Art von Party.

Sicher, einige Leute mögen annehmen, dass der Tote es zu meiner Art von Party machte, aber das wäre keine faire Einschätzung meiner Unterhaltungsbedürfnisse oder meines gesellschaftlichen Terminkalenders. Schließlich war es schon gute zwei Jahre her, dass ich das letzte Mal in einen Mordfall involviert gewesen war.

Ich verkaufe Bücher, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich schreibe auch Bücher, aber nicht genug, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Tatsächlich hatte ich ein Buch, das ich geschrieben hatte, an die Filmbranche verkauft, weshalb ich auch zu Gast bei einer Hollywood-Party war, die, wie gesagt, nicht meine Welt ist. Oder zumindest war es nicht meine Welt, bis Porter Jones zusammenbrach und mit dem Gesicht voran in seine Schüssel mit Vichyssoise fiel.

Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass meine erste Reaktion, als er in sich zusammensank, Erleichterung war.

Während der letzten zehn Minuten hatte ich höflich genickt und versucht, nicht zusammenzuzucken, wenn er in seinen seltenen Redepausen tiefe, alkoholgetränkte Seufzer in meine Richtung stieß. Meine eigentliche Aufmerksamkeit galt allerdings dem Drehbuchautor Al January, der mir an dem langen, überfüllten Tisch gegenübersaß. January sollte an der Verfilmung meines ersten Romans, Murder Will Out, arbeiten. Ich wollte hören, was er zu sagen hatte.

Stattdessen erfuhr ich alles über das Hochseefischen von Weißem Marlin in St. Lucia.

Ich schob meinen Stuhl vom Tisch zurück, während die milchige Suppe über das Leinentischtuch schwappte. Jemand kicherte. Das Stimmengewirr und das Klappern von Silberbesteck auf Porzellan verstummten.

„Um Himmels willen, Porter!“, rief Mrs. Jones von der anderen Seite des Tisches aus.

Porters Schultern zuckten, und einen Moment lang glaubte ich, dass er lachte, obwohl ich keine Ahnung hatte, was am Einatmen von Suppe so lustig war – nachdem ich es kurz vorher selbst auf eine gewisse Art und Weise mitgemacht hatte.

„Was hast du denn bloß zu ihm gesagt, Adrien?“, witzelte Paul Kane, unser Gastgeber, in meine Richtung. Er stand auf, als wolle er Jones genauer begutachten. Er hatte einen dieser britischen Public-School-Akzente, die banale Kommentare wie Würdest du mir die Butter reichen so interessant klingen lassen wie Feuer frei!

Suppe tropfte vom Tisch auf meinen leeren Sitz. Ich starrte auf Porters inzwischen reglose Gestalt: die Falten an seinem dicken, gebräunten Hals, die braunen Speckröllchen, die unter dem indigoblauen Lacoste-Polo hervorlugten, sein fleischiger, regloser Arm mit der goldenen Rolex. Wenn man es ganz genau nachzählte, hatte es vielleicht zwanzig Sekunden gedauert von dem Moment an, als er umkippte, bis zu dem Moment, als mir endlich dämmerte, was eigentlich passiert war.

„Oh, verdammt“, sagte ich und zog Porter aus seinem Teller. Er sackte nach rechts und stürzte auf den Teppich, wobei er meinen und seinen eigenen Stuhl mit sich riss.

„Porter!“, kreischte seine Frau, die jetzt aufgestanden war und deren blondiertes Haar über ihre plumpen, sommersprossigen Schultern fiel.

„Verdammte Scheiße!“, rief Paul Kane und starrte nach unten, während seine sonst so unerschütterliche Haltung ihn im Stich ließ. „Ist er …?“

Schwer zu sagen, was genau Porter war. Sein Gesicht glänzte, sein silbriger Schnurrbart glitzerte suppennass. Seine blassen Augen quollen hervor, als wäre er empört darüber, sich in dieser Position wiederzufinden. Seine fleischigen Lippen waren geöffnet, aber er protestierte nicht. Er atmete nicht.

Ich kniete mich hin und sagte: „Kennt sich jemand mit Herz-Lungen-Massage aus? Ich glaube nicht, dass ich es schaffe.“

„Jemand soll den Notruf wählen!“, befahl Kane. Er sah aus und klang so wie auf der Brücke der Brigantine in Der letzte Korsar.

„Wir können tauschen“, sagte Al January und hockte sich auf die andere Seite von Porters Körper. Er war ein schlanker Mann um die sechzig, elegant trotz der kirschroten Hose, die er trug. Ich mochte seine ruhige Art; von einem Mann, der kirschrote Hosen trägt, erwartet man keine Gelassenheit.

„Ich kuriere gerade eine Lungenentzündung aus“, sagte ich ihm. Ich schob die umgefallenen Stühle zur Seite und machte neben Porter Platz.

„Oh-oh“, machte January und beugte sich über Porter.

* * * * *

Als die Sanitäter eintrafen, war schon alles vorbei.

Mittlerweile hatten wir uns in den Salon der alten Villa im Laurel Canyon zurückgezogen. Wir waren etwa dreißig Leute, die alle – mit Ausnahme von mir – auf die eine oder andere Weise mit Filmen und Filmemachen zu tun hatten.

Ich warf einen Blick auf die Ormolu-Uhr auf dem eleganten Kaminsims und überlegte, ob ich Natalie anrufen sollte. Sie hatte an diesem Abend ein Date und wollte den Buchladen früher schließen. Ich musste auch Guy anrufen. Auf keinen Fall würde ich heute Abend noch die Energie haben, um auswärts essen zu gehen – selbst, wenn wir in der nächsten Stunde oder so hier wegkämen.

Porters Frau, die jung genug aussah, um seine Tochter sein zu können, saß am Klavier und weinte. Ein paar der anderen Frauen trösteten sie geistesabwesend. Ich fragte mich, warum sie nicht bei ihm sein durfte. Wenn ich im Sterben läge, würde ich sicher wollen, dass jemand, den ich liebe, bei mir ist.

Paul Kane verschwand eine Zeit lang im Speisesaal, wo die Sanitäter noch immer das taten, was es noch zu tun gab.

Dann kam er wieder herein und sagte: „Sie haben die Polizei gerufen.“

Es folgten Ausrufe des Entsetzens und der Bestürzung.

Okay, also war es kein natürlicher Tod. Das hatte ich befürchtet. Nicht, weil ich eine besondere Ausbildung oder ein besonderes Gespür für Verbrechen hatte – nein, ich hatte einfach nur sehr, sehr viel Pech.

Porters Frau – Ally, so hieß sie – sah auf und fragte: „Er ist tot?“ Ich dachte, es wäre ziemlich eindeutig gewesen, dass er tot war, spätestens, als er wie ein harpuniertes Walross auf dem Rücken gelandet war. Aber vielleicht war sie auch einfach von der optimistischen Sorte. Oder möglicherweise hatte ich einfach nur zu viele schlechte Erfahrungen gemacht.

Die Frauen um sie herum begannen wieder wie automatisch, sie zu beruhigen.

Kane kam zu mir herüber und fragte mit diesem charmanten, routinierten Lächeln: „Wie kommst du damit klar?“

„Ich? Gut.“

Sein Lächeln teilte mir mit, dass ich niemandem etwas vormachen konnte, aber ich fühlte mich wirklich ganz gut. Nach fast einer Woche im Krankenhaus war jeder Tapetenwechsel eine Verbesserung, und im Gegensatz zu den meisten Menschen hier wusste ich, was einen erwartete, wenn jemand eines öffentlichen und unerwarteten Todes starb.

Kane setzte sich auf eine riesige, mit Chintz bezogene Ottomane – der Raum war offensichtlich sehr professionell eingerichtet worden, denn nichts an Paul Kane ließ auf Rosen oder Ormolu-Uhren schließen –, heftete seine atemberaubenden blauen Augen auf mich und sagte: „Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei.“

„Nun ja“, sagte ich. Ein gewaltsamer Tod im Esszimmer? Grundsätzlich keine gute Sache.

„Hat Porter etwas zu dir gesagt? Mir ist aufgefallen, dass er dich ziemlich in Beschlag genommen hat.“

„Er hat hauptsächlich über das Angeln von Hochseefischen gesprochen.“

„Ah. Seine Leidenschaft.“

„Leidenschaft ist gut“, sagte ich.

Kane sah mir lächelnd in die Augen. „Das kann es sein.“

Ich lächelte müde zurück. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich an mich ranmachte; er war eher … wie ein Schauspieler, der sein Stichwort aufgreift.

Er tätschelte mein Knie und erhob sich. „Es sollte nicht mehr lange dauern“, sagte er mit dem vollen Optimismus der Unerfahrenheit.

Sie ließen uns noch weitere vierzig Minuten warten. Dann öffneten sich die Türen des Salons lautlos in ihren gut geölten Scharnieren und zwei Polizisten in Anzügen kamen herein. Einer war um die dreißig, hispanisch, mit der geballten Energie eines ehrgeizigen jungen Polizisten, und der andere war Jake Riordan.

Das war ein Schock. Jake war jetzt Lieutenant, deswegen konnte ich mir nicht erklären, warum er hier an einem Tatort war – abgesehen davon, dass dies ein sehr prominenter Tatort war.

Als ich ihn anstarrte, war es, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen, nur dass ich dieses Mal Insiderwissen hatte.

Er sah älter aus. Immer noch gutaussehend, auf diese raue, große, blonde Art, die keine Gefangenen macht. Aber dünner, mit schärferen Konturen. Härter. Es war zwei Jahre her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es schienen keine besonders glücklichen zwei Jahre gewesen zu sein, aber er hatte immer noch dieses undefinierbare Etwas. Wie ein junger Steve McQueen oder ein gereifter Russell Crowe. Wenn man sich in der Filmwelt herumtreibt, fängt man an, in cineastischen Bildern zu denken.

Ich beobachtete, wie seine gelbbraunen Augen den Raum absuchten und Paul Kane fanden. Ich sah die Erleichterung auf Kanes Gesicht und mir wurde klar, dass sie sich kannten: etwas in der Art, wie sich ihre Blicke trafen, sich miteinander verbanden und dann lösten – nichts, was ein Außenstehender bemerkt hätte. Ich war nur zufällig in der Situation zu wissen, was dieser besondere Blick von Jake bedeutete.

Und da ich mit den außerdienstlichen Aktivitäten des ehemaligen Detectives Riordan vertraut war, nahm ich an, dass die Gerüchte über Paul Kane stimmten.

„Herrschaften, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“, sagte der jüngere Detective. „Das ist Leutnant Riordan und ich bin Detective Alonzo.“ Er erklärte uns, dass die genaue Todesursache von Porter Jones noch nicht feststehe, dass sie uns aber ein paar Fragen stellen würden, und zwar beginnend mit der Person, die während des Essens neben dem Opfer gesessen hatte.

Paul Kane sagte: „Das wären Valarie und Adrien.“

Jakes Blick folgte Paul Kanes Wink. Seine Augen funkelten mich an. Nur eine Sekunde lang schien sein Gesicht zu erstarren. Ich war froh, dass ich einige Sekunden Vorsprung hatte. So konnte ich direkt durch ihn hindurchsehen, was eine kleine Genugtuung war.

„Ich verstehe das nicht“, protestierte die frisch verwitwete Ally. „Wollen Sie damit sagen … was sagen Sie da? Dass Porter ermordet wurde?“

„Ma’am“, sagte Detective Alonzo schmerzerfüllt.

Jake sagte leise etwas zu Paul Kane, der antwortete. Jake unterbrach Alonzo.

„Mrs. Jones, warum gehen wir nicht nach nebenan?“ Er führte sie zu einer Seitentür des Salons. Er nickte Alonzo zu, ihm zu folgen.

Trotz Detective Alonzos „ungeklärter Todesursache“ schien mir klar zu sein, dass die Polizei einen Unfall oder einen natürlichen Tod ausgeschlossen hatte, wenn sie uns verhörten.

Ein uniformierter Officer nahm Alonzos Platz ein und bat uns, Geduld zu haben und nicht miteinander zu sprechen – und sofort fingen alle an zu reden, die meisten protestierten.

Nach ein paar Minuten öffnete sich die Seitentür wieder und alle schauten schuldbewusst zur Tür. Ally Porter wurde direkt hinauskomplimentiert.

„Der Auftritt ihres Lebens“, kommentierte Al January neben mir.

Ich warf ihm einen Blick zu, und er lächelte.

„Valarie Rose“, verlangte Detective Alonzo.

Eine gepflegte Brünette in den Vierzigern stand auf. Rose sollte die Regie bei Murder Will Out übernehmen, vorausgesetzt, wir würden es tatsächlich zum Dreh schaffen – was sich im Moment eher unwahrscheinlich anfühlte. Sie trug minimales Make-up und einen dunklen Hosenanzug. Sie sah vollkommen gelassen aus, als sie an Detective Alonzo vorbeiging und in der Tür zum Nebenzimmer verschwand.

Sie war etwa eine Viertelstunde drin und dann öffnete sich die Tür; ohne mit jemandem zu sprechen, ging sie hinüber in den Hauptraum. Detective Alonzo verkündete: „Adrien English?“

Ungefähr so, wie wenn dein Name in der Arztpraxis aufgerufen wird: So ist es gut, Adrien. Es wird überhaupt nicht wehtun. Wie eine stumme Wand spürte ich die Blicke hinter mir, während ich hineinging.

Es war ein gemütlicher Raum, wahrscheinlich das Arbeitszimmer von Paul Kane. Er schien der Typ zu sein, der so tun würde, als ob er ein Arbeitszimmer brauchen würde. Bücherschränke mit Glasfronten, ein großer Kamin und viele Ledermöbel. Ein Tisch und Stühle standen auf der einen Seite, dort, wo sie ihre Befragung durchführten. Jake stand an einem großen Erkerfenster, das auf den hinteren Garten blickte. Ich sah kurz auf sein versteinertes Profil, dann setzte ich mich an den Tisch gegenüber von Detective Alonzo.

„Okay …“, Alonzo kratzte eine erste Notiz auf einen Block.

Jake drehte sich um. „Das ist Adrien mit einem e“, informierte er seinen Untergebenen. Sein Blick traf meinen. „Mr. English und ich kennen uns bereits.“

So konnte man es auch ausdrücken. Plötzlich schoss mir die unangenehm lebendige Erinnerung daran durch den Kopf, wie Jake mir ins Haar flüsterte: „Baby, was du mit mir machst…“ Wenn es je eine äußerst unpassende Erinnerung gab, dann diese.

„Ja?“ Falls Alonzo spürte, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag, ließ er sich nichts anmerken, wahrscheinlich, weil um Cops herum immer Spannung in der Luft liegt. „Und wo wohnen Sie, Mr. English?“

Die Details darüber, wo ich wohnte und womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente, hatten wir schnell geklärt. Dann fragte Alonzo: „Wie gut kannten Sie Mr. Jones?“

„Ich habe ihn heute Nachmittag zum ersten Mal getroffen.“

„Ms. Beaton-Jones sagt, Sie und der Verstorbene haben sich während des Essens lange, lange unterhalten?“

Beaton-Jones? Oh, richtig. Das war Hollywood. Bindestriche waren ein modisches Accessoire. Ms. Beaton-Jones würde Porters Frau sein, vermutete ich.

Ich erwiderte: „Er hat geredet, ich habe zugehört.“ Eine Sache, die ich auf die harte Tour gelernt habe, ist, dass man der Polizei keine zusätzlichen Informationen freiwillig gibt.

Ich warf einen Blick auf Jake. Er starrte wieder aus dem Fenster. An seiner linken Hand trug er einen goldenen Ehering. Er spiegelte das Licht wider. Wie ein Sonnenfleck.

„Worüber hat er gesprochen?“

„Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht mehr an die Details. Es ging hauptsächlich um Hochseefischen. Auf Marline. Von seiner Fünfzehn-Meter-Hatteras-Luxus-Sportjacht aus.“

Jakes Lippen zuckten, während er weiter aus dem Fenster blickte.

„Sie interessieren sich für die Hochseefischerei, Mr. English?“

„Nicht besonders.“

„Und wie lange haben Sie sich unterhalten?“

„Vielleicht zehn Minuten.“

„Können Sie uns sagen, was dann passiert ist?“

„Ich wandte mich ab, um einen Drink zu nehmen. Er – Porter – fiel einfach nach vorne auf den Tisch.“

„Und was haben Sie getan?“

„Als ich merkte, dass er sich nicht mehr rührte, packte ich ihn an der Schulter. Er rutschte aus seinem Stuhl und landete auf dem Boden. Al January begann mit der Herzdruckmassage.“

„Sie kennen sich mit Herzdruckmassage aus, Sir?“

„Ja.“

„Ms. Beaton-Jones sagte, Sie hätten sich geweigert, ihren Mann wiederzubeleben.“

Ich blinzelte ihn an. Sah Jake an. Seine gelbbraunen Augen nahmen mich ins Visier.

„Gibt es dafür einen Grund, Sir? Sind Sie zufällig HIV-positiv?“

„Nein.“ Es überraschte mich ein wenig, wie wütend mich die Frage machte. Knapp erwiderte ich: „Ich habe gerade eine Lungenentzündung hinter mir. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht in der Lage war, ihn erfolgreich wiederzubeleben. Wenn sich niemand anderes gemeldet hätte, hätte ich es versucht.“

„Lungenentzündung? Das ist kein Spaß.“ Auch das kam vom Juniorpartner der Firma. „Waren Sie zufällig im Krankenhaus?“

„Ja. Fünf vergnügliche Tage und Nächte im Huntington Hospital. Ich gebe Ihnen gerne den Namen und die Nummer meines Arztes.“

„Wann sind Sie entlassen worden?“

„Dienstagmorgen.“

„Und dann schon wieder in der Partyszene unterwegs?“ Das war Jake mit pseudofreundlichem Spott. „Woher kennen Sie Paul Kane?“

„Wir haben uns schon einmal getroffen. Er hat die Option auf die Verfilmung meines ersten Buches erworben. Er hielt es für eine gute Idee, dass ich den Regisseur und die Drehbuchautorin kennenlerne, und hat dafür diese Party vorgeschlagen.“

„Sie sind also Schriftsteller?“, erkundigte sich Detective Alonzo. Er überprüfte seine Notizen, als wollte er betonen, dass ich diesen entscheidenden Punkt nicht erwähnt hatte.

Ich nickte.

„Unter anderem“, bemerkte Jake.

Ich hatte das Gefühl, dass er sich besser zurückhalten sollte, wenn er nicht wollte, dass Spekulationen über unsere frühere Freundschaft aufkamen. Aber vielleicht fühlte er sich auch durch seine Heirat und seine Stellung als Leutnant völlig kugelsicher. Er unterbrach die Befragung nicht mehr, als Detective Alonzo weiter nachbohrte.

Ich beantwortete seine Fragen, dachte währenddessen aber daran zurück, als ich Paul Kane zum ersten Mal begegnet war. Wenn man in Südkalifornien lebt, gewöhnt man sich daran, Filmstars zu sehen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass sie in der Regel kleiner, dünner, sommersprossiger und weniger makellos sind, als sie auf der Leinwand erscheinen. Und im wahren Leben sind ihre Haare fast nie so gepflegt. Paul Kane war die Ausnahme. Er war auf eine altmodische Kino-Idol-Art umwerfend. Auf Errol Flynn-Art. Groß, athletisch gebaut und wie aus Marmor gemeißelt, mitternachtsblaue Augen, sonnengeküsstes, braunes Haar. Fast zu gutaussehend, wirklich. Ich bevorzuge sie mit etwas raueren Ecken und Kanten. Wie Jake.

„Hey, ziemlich aufregend!“, verkündete Alonzo, gerade so, als ob wir nicht in Hollywood wären, wo alle gerade an einem Drehbuch schreiben oder kurz davor sind, ein Buch auf den Markt zu werfen. „Und worum geht es in Ihrem Buch?“

Etwas trocken erklärte ich, worum es in meinem Buch ging.

Alonzo hob die Augenbrauen bei der Vorstellung, dass ein schwuler Shakespeare-Schauspieler und Amateurdetektiv es auf die große Leinwand schaffen könnte, schrieb aber weiter vor sich hin.

Jake kam zu uns an den Tisch und setzte sich mir gegenüber. Meine Nackenmuskeln verkrampften sich so sehr, dass ich Angst hatte, mein Kopf würde anfangen zu zittern.

„Aber Sie betreiben auch diesen Cloak and Dagger-Krimibuchladen in Pasadena?“, erkundigte sich Alonzo. „War Porter Jones ein Kunde?“

„Nicht, dass ich wüsste. Soweit ich das beurteilen kann, habe ich ihn heute zum ersten Mal gesehen.“ Ich zwang mich, Jake anzuschauen. Er starrte nach unten. Ich sah an mir herunter, um zu überprüfen, ob meine Körpersprache auf Mordlust schließen ließ. In dem Licht, das durch das Erkerfenster hereinströmte, sahen meine Hände dünn und weiß aus, ein Netz aus blauen Adern direkt unter der Oberfläche.

Ich verschränkte die Arme und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, versuchte, eher ungezwungen als defensiv zu wirken.

Wir unterhielten uns schon seit dreißig Minuten. Das schien mir eine unverhältnismäßig lange Zeit, um jemanden zu befragen, der das Opfer nicht einmal gekannt hatte. Sie konnten doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ein Verdächtiger war. Jake konnte nicht ernsthaft glauben, dass ich diesen Kerl umgelegt hatte. Ich warf einen Blick auf die Standuhr in der Ecke. Fünf Uhr.

Alonzo kam wieder auf die allgemeinen Hintergrundinformationen zurück, die zwar meistens irrelevant sind, aber manchmal eine unerwartete Spur liefern.

Zu seiner Überraschung und meiner Erleichterung sagte Jake abrupt: „Ich glaube, das wars. Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. English. Wir werden uns melden, wenn wir noch etwas brauchen.“

Ich öffnete den Mund, um automatisch und höflich irgendetwas zu sagen  – aber was herauskam, war ein Lachen. Kurz und höhnisch. Es überraschte uns beide.

Kapitel Zwei

„Gott, du siehst ja furchtbar aus!“, rief Natalie.

Ich klimperte mit den Wimpern. „Du findest einfach immer die richtigen Worte.“ Ich blätterte durch die Verkaufsbelege des Tages.

Ich hatte Natalie vor zwei Jahren eingestellt, als Angus, mein früherer Angestellter im Buchladen, sich in unbekannte Gefilde verabschiedet hatte. Nach einer Reihe von Aushilfskräften hatte ich mich wider besseres Wissen von meiner Mutter überreden lassen, Natalie einzustellen.

Natalie war damals gerade mein brandneues Stiefschwesterchen gewesen. Nach über dreißig Jahren Witwenschaft hatte meine Mutter Lisa plötzlich beschlossen, wieder zu heiraten, und zusammen mit dem Stadtrat Bill Dauten waren auch drei Stiefschwestern im Paket gewesen. In chronologischer Reihenfolge: die etwa dreißigjährige Lauren, die etwa zwanzigjährige Natalie und die zwölfjährige Emma.

Die Dautens waren die netteste Familie der Welt. Ich hielt weiter Ausschau nach heimtückischen Unterströmungen, nach Hinweisen, dass nicht alles so war, wie es sein sollte, aber nein. Nichts. Okay, vielleicht übertrieb es Bill an den Feiertagen mit dem Jägermeister und wurde dann peinlich sentimental, und auf Lauren und ihre vielen Missionen hätte ich auch verzichten können (und Natalie hatte den schlechtesten Männergeschmack, der mir je begegnet war, außer meinem eigenen), aber Emma war ein echter Knaller.

„Wo bist du gewesen? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

Ich antwortete vage: „Es hat länger gedauert, als ich dachte.“ Alles, was ich ihr erzählen würde, würde innerhalb einer Stunde in den Familiennachrichten erscheinen, und im Moment wollte ich, dass es eine Exklusivmeldung blieb.

„Hast du dich amüsiert?“ Sie wollte es wirklich wissen; sie hoffte tatsächlich, dass ich mich amüsiert hatte. Das war eine der Sachen, an die ich mich nur schwer gewöhnen konnte, die aber zu einer Großfamilie gehörten. All dieses freundliche Interesse war zwar nett, aber seltsam.

Nachdem es jahrelang nur Lisa und mich gegeben hatte – okay, eigentlich meistens nur mich – verursachten mir diese interessierten und involvierten Zuschauer Unbehagen.

Ohne jegliches Wohlwollen warf ich einen Blick auf den Freund du jour: Warren Irgendwas. Er lümmelte in einem der Clubsessel neben der Rezeption und sah gelangweilt aus. Strähniges Haar, ein ausgemergelter Körper und einer dieser dünnen Ziegenbärte, bei dem ich mich nach einem scharfen Rasiermesser sehnte – und zwar nicht, damit ich ihn rasieren konnte. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift Chicks Hate Me. Angeblich war er eine Art Musiker, aber bis jetzt schien er nur auf der Klaviatur meiner Nerven zu spielen.

Natalie einzustellen, hatte sich als eine meiner besten Entscheidungen herausgestellt. Mein einziges Problem mit ihr war, dass sie immer wieder versuchte, mich zu überreden, auch noch Warren zu beschäftigen.

„Es war okay“, sagte ich. „Wolltet ihr zwei nicht zu einem Konzert oder so?“

Warren zeigte ein paar Lebenszeichen. „Ja, Nat, wir werden zu spät kommen.“

„Lisa hat viermal angerufen. Sie ist ziemlich sauer, dass du so kurz nach deiner Entlassung schon wieder ausgegangen bist. Du rufst sie besser an.“

Ich murmelte etwas und fing Natalies Blick auf. Sie gluckste. „Du bist immer noch ihr Baby.“

Warren lachte spöttisch.

Ja, ich hatte den alten Warren langsam wirklich satt.

„Ich werde sie anrufen. Schließ ab, ja?“

Natalie bejahte und ich ging nach oben in meine Wohnräume. Vor Jahren hatte ich das Gebäude, in dem sich jetzt Cloak and Dagger Books befindet, mit dem Geld gekauft, das ich von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt hatte. Damals hatte ich gedacht, dass ich damit über die Runden kommen würde, bis meine Schriftstellerkarriere so richtig in Fahrt kam.

Ich schaltete das Licht ein. Das Licht des Anrufbeantworters blinkte rot. Acht Nachrichten. Ich drückte auf Play.

„Darling …“

Lisa. Ich spulte vor.

„Darling …“

Vorspulen.

„Darling …“

Heiliger Strohsack. Vorspulen.

„Darling …“

Jeeeeeesus. Vorspulen.

Vorspulen.

Vorspulen.

Vorspulen.

Guys aufgezeichnete Stimme durchbrach die Stille in der Wohnung. „Hallo, Geliebter. Wie ist es gelaufen?“

Guy Snowden und ich hatten uns vor ein paar Jahren kennengelernt und waren zusammen, seit Jake und ich getrennter Wege gingen. Ich drückte die Stopptaste, nahm den Hörer ab und überlegte dann.

Wenn ich Guy jetzt anrufen würde, würde es kein kurzes Telefonat werden und ich hatte nicht genug Energie, um mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Ganz zu schweigen von seiner möglichen Reaktion.

Ich legte den Hörer auf und ging ins Bad, wobei ich es vermied, mein hohläugiges Spiegelbild zu betrachten. Ich brauchte keine Erinnerung daran, dass ich aussah wie etwas, das die Katze hereingeschleppt hatte. Ich fühlte mich wie etwas, das die Katze hereingeschleppt hatte – nachdem sie ein paar Stunden lang darauf herumgekaut hatte. Meine Brust tat weh, meine Rippen taten weh. Husten tat wirklich weh, aber den Husten zu unterdrücken war tabu, denn meine Lunge musste frei werden. Ein wirklich erfreulicher Vorgang.

Ich nahm meine Antibiotika und streckte mich auf der Couch aus. Nur fünfzehn Minuten und ich würde Lisa anrufen. Und dann, wenn ich noch Kraft hätte, würde ich Guy anrufen und ihm von der Party, Porter Jones und Jake erzählen. Guy würde darüber nicht gerade begeistert sein, vor allem nicht über die Sache mit Jake. Nicht, dass ich jemals viel über meine Beziehung zu Jake erzählt hätte, aber Guy, der an der University of California, Los Angeles, kurz UCLA, Geschichte und okkulte Studien unterrichtete, war ein Verdächtiger in einer von Jakes Mordermittlungen gewesen, und das hatte dazu geführt, dass er Cops im Allgemeinen und Jake im Besonderen nicht gerade freundlich gesonnen war.

Ich dachte an die Party bei Paul Kane. Nicht, dass Party das treffende Wort für die Ereignisse des Nachmittags gewesen wäre. Ich versuchte mich ganz genau zu erinnern, wann ich Porter Jones kennengelernt hatte. Paul Kane, der hinter der Bar Cocktails gemixt hatte, hatte uns einander vorgestellt. Er hatte mir ein Glas gereicht, das schon ein paar Minuten auf der Bar gestanden hatte, und gesagt: „Das ist für Porter. Mein Geheimrezept.“

Ich hatte das Glas an Porter weitergereicht.

Natürlich hatte Porter an diesem Nachmittag viel getrunken. Viele Gläser waren in seine Richtung gewandert …

* * * * *

Als ich aufwachte, klingelte es unten an der Tür.

Ich setzte mich auf, groggy und ein wenig verwirrt von einer ganzen Reihe merkwürdiger Träume. Die Ecken des Zimmers lagen tief im Schatten. Für einen Augenblick sah es aus wie ein anderer Ort, ein fremder Ort, das Haus eines anderen Menschen. Es sah aus wie das Haus von jemandem, der hier noch jahrelang leben würde, wenn ich schon lange nicht mehr da war.

Die Uhr des Videorekorders informierte darüber, dass es acht Uhr war. Mist. Ich hatte das Abendessen mit Guy vergessen.

Die Klingel unten läutete wieder, laut und ungeduldig.

Das war nicht Guy, denn er hatte einen Schlüssel.

Auf keinen Fall, dachte ich. Ich fing an zu husten, als hätte ich einen Mund voll Staub eingeatmet. Verstaubte Erinnerungen vielleicht.

Ich stand auf, und Adrenalin schoss durch meinen Körper, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Auf dem Weg nach unten knipste ich das Licht im Erdgeschoss an. Ich durchquerte die stille Ebene mit den hohen Regalen und den strategisch platzierten Stühlen und behielt dabei die hochgewachsene Silhouette im Auge, die hinter dem Gitter des Sicherheitstors lauerte.

Irgendwie wusste ich es – noch bevor er in den trübgelben Schein des Eingangslichts trat. Ich fluchte leise vor mich hin und schloss die Vordertür auf. Schob das Sicherheitstor zur Seite.

„Kann ich reinkommen?“

Ich zögerte, dann zuckte ich mit den Schultern. „Klar.“ Ich trat zur Seite. „Noch Fragen?“

„So ist es.“ Jake trat in den Laden und schaute sich gründlich um.

Im letzten Frühjahr hatte ich das Gebäude nebenan gekauft, und zwischen dem Buchladen und den entkernten Räumen befand sich eine Trennwand aus durchsichtigem, schwerem Plastik. Ansonsten sah es nicht viel anders aus: dieselben bequemen Stühle, der künstliche Kamin, die hohen Bücherregale aus Walnussholz, dasselbe rätselhafte Lächeln der Kabuki-Masken an der Wand. Alles so wie immer. Mit Ausnahme von mir. Ich hatte mich zweifellos verändert.

Ich erinnerte mich daran, wie ich Jake kennengelernt hatte, als er in dem Mordfall Robert Hersey ermittelt hatte. Er hatte mich zu Tode geängstigt, und ich fragte mich jetzt, warum ich nicht auf diesen ersten gesunden Instinkt vertraut hatte.

Endlich blieb sein Blick bei mir hängen. Er sagte kein Wort.

„Déjà-vu“, sagte ich und war erleichtert, dass mein Tonfall genau richtig klang.

Jake dagegen schien es zu ärgern. Oder vielleicht ärgerte es ihn, dass er dazu gezwungen wurde, sich daran zu erinnern, dass es zwischen uns einmal etwas anderes als polizeiliche Ermittlungen gegeben hatte.

Er sagte ohne Umschweife: „Ich möchte wissen, was du verschwiegen hast, als wir dich heute Nachmittag befragt haben.“

Das erwischte mich unvorbereitet. „Nichts.“

„Blödsinn. Ich kenne dich. Du hast etwas verheimlicht.“

Das war jetzt wirklich Ironie. „Meinst du?“

Er starrte nur, unbeweglich, unerbittlich, einfach unmöglich. „Ja.“

„Ich schätze, manche Dinge ändern sich nie.“

„Ja“, sagte er gedehnt. „Zwei Jahre später treffe ich dich schon wieder mittendrin in einem neuen Mordfall. Zufall?“

„Du meinst nicht?“ Ich fing wieder an zu husten, was verdammt ärgerlich war.

Er stand nur da und sah zu.

Als ich wieder zu Atem gekommen war, krächzte ich: „Wenn ich etwas verheimlicht habe, dann war es wohl die Erkenntnis, dass du und Paul Kane auch schon miteinander … vertraut seid.“

Er sagte kein Wort.

„Derselbe Club, alter Knabe?“

Er hob eine Augenbraue. „Du klingst eifersüchtig, Adrien. Und verbittert.“

Tat ich das? Die Vorstellung erschreckte mich.

„Nö. Nur neugierig.“

„Worauf?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Geht mich eigentlich nichts an.“

„Das hast du richtig erkannt.“ Er war ziemlich kurz angebunden. Nach einem kurzen Moment sagte er langsam: „Das war also alles? Du hast vermutet, dass Paul und ich … uns kennen.“

„Im biblischen Sinne?“, spöttelte ich. „Ja.“

Schweigen.

Nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, hatte er zweimal angerufen, aber ich war nie da gewesen, um seinen Anruf entgegenzunehmen. Oder vielleicht war ich auch da gewesen, hatte aber einfach nicht abgenommen. Jedenfalls wusste ich anhand der Anruferkennung, von wem die aufgelegten Anrufe stammten.

Und dann, elf Monate, nachdem alles vorbei gewesen war, hatte er angerufen und tatsächlich eine Nachricht hinterlassen.

Hier ist Jake.

Dachte er etwa, ich hätte seine Stimme und seine Nummer vergessen?

Schweigen.

Es wäre schön, mal wieder mit dir zu reden.

Wie er selbst gesagt hätte: A-ha.

Stille.

Freizeichen.

Was hatte er sich vorgestellt, worüber wir reden würden? Seine Ehe? Die Arbeit? Das Wetter?

„Sind wir jetzt fertig?“ Ich hörte die Anspannung in meiner Stimme knistern und wusste, dass auch er sie hörte. Ich hatte nicht die Kraft, mich weiter mit ihm zu messen. Ich hatte nicht die Kraft, weiter so zu tun, als würde mich das alles nicht belasten und als würde es nicht viele Wunden aufreißen, die doch nicht so gut verheilt waren, wie ich geglaubt hatte.

Er erwiderte nur: „Ja, wir sind fertig.“

Kapitel Drei

„Ich glaube es einfach nicht“, sagte Guy. „Mit meinem Karma stimmt etwas nicht.“

„Überprüfe das Verfallsdatum“, schlug ich vor.

Er stellte die kleinen weißen Kartons mit Reis und Shrimps in Hummersoße ab und zeigte mir den britischen Zwei-Finger-Gruß.

„Zwei Worte“, sagte ich. „So ähnlich wie Duck flu.“

Sein Lächeln war widerstrebend. Seine Augen, grün wie der Kamm einer Welle, studierten mein Gesicht und verengten sich. „Du hast es heute übertrieben, Liebster.“

„Ich bin nicht mehr in Form. Ich finde Mord ermüdend.“

Das erinnerte ihn an die eine Sache, von der ich gehofft hatte, dass er sie vergessen würde. „Und warum zum Teufel taucht von allen Cops der Welt ausgerechnet dieses Arschloch Riordan heute bei Paul Kane auf? Das ist verdammt unfassbar. Ich dachte, er sei Lieutenant oder so?“

„Ist er. Ich glaube, er kennt Paul Kane. Es ist ein prominenter Fall. Das Medieninteresse wird bestimmt sehr groß sein.“

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie denken …, dass er glaubt, dass du darin verwickelt bist?“

„Nein.“

Guy schenkte sich selbst Wein und mir Mineralwasser ein. Er setzte sich an den Küchentisch und begann mit finsterer Miene zu essen. „Du hast doch nicht etwa vor …“

„Nein. Habe ich nicht.“

Er entspannte sich etwas.

Mit Bezug auf den Mordfall, bei dem Guy und ich uns kennengelernt hatten, sagte ich: „Als du mit den Polizisten über Garibaldi gesprochen hast, hast du mich da rausgehalten, richtig?“

„Soweit es nur möglich war.“

„Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass Detective Riordan eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, woher ich meine Informationen hatte.“ Er musterte mich. „Er hat es nicht weiterverfolgt und ich habe auch nichts gesagt, weil du mich gebeten hattest, dich da rauszuhalten. Ich konnte nicht umhin, zu bemerken …“

„Was?“

„Er hat diesen kleinen Muskel in seinem Kiefer.“ Guy deutete auf seinen eigenen schlanken, gebräunten Kiefer. „Und jedes Mal, wenn dein Name fiel, bewegte sich der Muskel.“

„Das war dann ja schon fast ein Dauerzucken.“

Guy lachte nicht.

Ich streckte ihm meine Hand über den Tisch entgegen. „Hey, Guy, es tut mir leid, dass das bei dir schlechte Erinnerungen weckt. Ich bin nicht involviert. Ich habe auch nicht die Absicht, mich einzumischen.“

Er nahm meine Hand, aber er lächelte immer noch nicht.

„Du bist nicht derjenige, um den ich mir Sorgen mache. Ich traue diesem Bastard Riordan nicht.“

* * * * *

Lisa rief an, als wir im Bett lagen und Michael Palins Palin’s New Europe sahen. Eigentlich hatte Guy zugeschaut und ich hatte gedöst. Stets ritterlich, fing Guy die Kugel für mich ab.

Dankbar hörte ich mir seine Seite des Dialogs an.

„Es geht ihm gut, Lisa. Er ist hier. Er ist nur früh ins Bett gegangen.“

Armer Guy. Keiner rechnet aus dem Nichts mit der spanischen Inquisition. Glaubte meine Mutter, wir schliefen in getrennten Zimmern? In Etagenbetten? Ich stellte den Fernseher mit der Fernbedienung leiser. Der Fernseher im Schlafzimmer war Guys Idee gewesen. Er fand es geselliger, zusammen fernzusehen als zu lesen – nicht, dass wir viel Zeit im Bett mit intellektuellen Aktivitäten verbracht hätten.

„Ja, er nimmt alle seine Medikamente.“

„Oh mein Gott“, sagte ich.

Guys Augen lachten mich an.

„Er isst. Er ruht sich aus. Er wird dich morgen anrufen. Ich gebe dir mein Wort.“

Daraufhin hob ich meine Augenbrauen. Guy hob seine als Antwort.

Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte auf die Straßenlaterne, die durch die Spitzenvorhänge ins Fenster schien. Nicht, dass ich es irgendjemandem gegenüber zugegeben hätte, aber meine fehlende Energie machte mir Angst. Ich wusste, dass das nach einer Lungenentzündung normal war, genau wie die schmerzenden Rippen und der hässliche Husten, aber die Müdigkeit und die Kurzatmigkeit hatten unangenehme Erinnerungen geweckt. Genauso wie der Krankenhausaufenthalt.

Wenn ich dran war, wollte ich, dass es blitzschnell ging. Auf gar keinen Fall wollte ich in einem Krankenhausbett nach Luft ringen, an Maschinen angeschlossen und mit Nadeln gespickt sein.

„Süße Träume“, schnurrte Guy und beugte sich vor, um den Hörer wieder aufzulegen.

„Ich schulde dir was, Mann.“

„Sie ist ein Engel, wirklich.“

„Mm. Chuckies Braut.“

Er gluckste und beugte sich über mich, sein Atem strich leicht und kühl über meinen Mund. „Sag nur ein Wort und ich mache das Rückenfreihalten zu einem festen Bestandteil meiner Stellenbeschreibung.“

Ich erwiderte seinen Kuss sanft.

„Nein?“ Er hob eine Augenbraue.

Ich seufzte.

„Was ist nötig, um dich zu überzeugen, dass ich auf Dauer hier bin?“

„Vielleicht bin ich einfach zu festgefahren in meinen Gewohnheiten“, sagte ich. „Ich lebe schon sehr lange allein.“

„Du bist fünfunddreißig, Adrien. Es ist nicht so, als hättest du deine besten Jahre schon hinter dir.“

Sie lagen hinter mir, dachte ich, während ich spürte, wie mein Herz mir flatternd bis zum Halse schlug, so wie es jetzt immer häufiger der Fall war. Aber das konnte ich Guy nicht sagen. Das konnte ich niemandem sagen.

„Du weißt, dass ich dich liebe“, sagte Guy. „Richtig? Was ist also das Problem?“

„Ich weiß es nicht. Ich schätze, ich bin das Problem.“

„Nein. Du brauchst nur Zeit.“ Er küsste mich wieder. „Das ist okay, Geliebter. Du nimmst dir alle Zeit, die du brauchst.“

* * * * *

Am nächsten Morgen, es war Montag, diskutierten Natalie und ich gerade über die Kontrolle von Inventarverlusten – Natalie vertrat die Ansicht, dass der Diebstahl von Büchern nicht wirklich ein Verbrechen sei, sondern eher ein Hilferuf –, als Detective Alonzo mit Jake im Schlepptau auftauchte.

„Können wir ein paar Minuten mit Ihnen sprechen, Mr. English?“, fragte Alonzo über den Lärm der Werkzeuge hinter dem Plastikvorhang hinweg.

Ich sah Jake an. Sein Gesicht verriet nichts.

Wir gingen zurück in mein Büro. Jake lehnte sich an die Wand, als wäre er ausschließlich in offizieller Funktion als Beobachter bei einer Übung für Alonzo dabei.

Alonzo sagte: „Wir haben uns gefragt, ob Sie sich nach Ihrer gestrigen Aussage noch an etwas anderes erinnern können.“

„Sie meinen, ob es mir eingefallen ist, dass ich Porter Jones getötet habe?“

Er lächelte, wie eine freundliche Katze eine neunmalkluge Maus anlächeln würde. „So etwas in der Art.“

„Nicht, dass ich wüsste.“

Er sah interessiert aus. „Was soll das heißen?“

Ich hatte seit gestern Abend hin- und herüberlegt, ob ich die Sache mit dem Getränk erwähnen sollte, das ich Porter vor dem Mittagessen weitergereicht hatte, und entschied, dass es einfacher und sicherer wäre, es jetzt anzusprechen. Ich sagte: „Das soll heißen, wenn er vergiftet wurde, dann halte ich es für möglich, dass ich ihm den Drink gegeben habe, der ihn getötet hat.“

„Sie glauben, er wurde vergiftet, Mr. English?“

„Ich denke, ich hätte es bemerkt, wenn er erschossen oder erstochen worden wäre.“

Alonzo schaute Jake an, als suchte er Bestätigung. „Sie sind ein bisschen überheblich, Mr. English, wenn Sie mir das nicht übelnehmen.“

„Ich nehme es Ihnen nicht übel.“

Seine schwarzen Brauen zogen sich zusammen.

„Es wird Sie sicher nicht überraschen zu hören, dass die vorläufigen Ergebnisse des Gerichtsmediziners darauf hindeuten, dass Mr. Jones vergiftet wurde.“

„Ich verstehe.“ Und ich dachte, das täte ich wirklich.

„Wir haben das Glas gefunden, in dem das Gift vermutlich verabreicht wurde. Es lag zersplittert in einem Müllsack, aber es war noch genug da, um Fingerabdrücke zu nehmen.“

„Lassen Sie mich raten. Meine.“

„Jackpot“, sagte Detective Alonzo. Er schien wirklich Spaß an seiner Arbeit zu haben.

Ich hielt mir vor Augen, dass ich schon öfter von der Polizei befragt worden war und nichts zu verbergen hatte. „Ich habe gesagt, dass ich ihm vielleicht versehentlich das Gift gegeben habe. Ich habe ihm sein Glas gereicht, kurz bevor wir zum Mittagessen gingen. Auf dem Glas sollten auch noch andere Abdrücke sein.“

„Die des Opfers.“

„Die Fingerabdrücke von Paul Kane sollten auch auf dem Glas sein.“

„Nun, es ist sein Haus“, sagte Alonzo.

Jake sagte: „Das wirklich Interessante ist das Gift.“

Ich hatte es bis jetzt vermieden, in seine Richtung zu schauen. Sein Blick war unbeteiligt.

Alonzo fragte: „Haben Sie ein Herzleiden, Sir?“

Jakes Blick richtete sich direkt auf Alonzo.

Ich nickte.

„Welche Medikamente nehmen Sie dagegen ein?“

„Digoxin und Aspirin.“

„Digoxin. Das ist eine Art Digitalis, richtig?“

„Richtig. Es verlangsamt und stärkt den Herzschlag.“

„Nehmen Sie Tabletten oder Injektionen oder was?“

„Ich nehme Tabletten.“

Ich wartete. Ich wusste, was kommen würde.

„Sie werden das interessant finden. Die Ergebnisse der Autopsie deuten darauf hin, dass Mr. Jones an einem massiven Herzinfarkt gestorben ist, der durch eine tödliche Dosis einer Art Digitalis ausgelöst wurde.“

Beide starrten mich an.

Vor zwei oder drei Mordermittlungen wäre ich vielleicht in Panik geraten. So aber sah ich Detective Alonzo nur perplex an.

„Das Glas stand ein paar Minuten lang da. Es war sehr voll, besonders an der Bar. Alle möglichen Leute hätten etwas in dieses Getränk schütten können.“

„Woher sollten sie wissen, wessen Getränk es war?“

„Woher sollte ich es wissen? Paul Kane hielt es in der Hand und sagte, es sei Porters Drink. Ich habe es Porter gegeben.“

„Sie benötigen ein Rezept für Digitalis, richtig?“

„Nein. Das heißt, es ist ein Herzglykosid, das im Fingerhut vorkommt, der ziemlich weit verbreitet ist.“ Ich dachte an Lisas Haus in Porter Ranch, umgeben von einem klassischen englischen Cottage-Garten voller anmutiger Fingerhut-Turmspitzen. „Die gesamte Pflanze ist giftig, aber die Blätter ganz besonders.“

„Sie scheinen eine Menge darüber zu wissen.“

„Ich sehe viel fern.“

„Und Sie sind ein Krimiautor. Ich wette, Sie wissen eine Menge über Gifte.“

„Genug. Ich bin auch ein Herzpatient, wenn ich also jemanden vergiften wollte, würde ich etwas wählen, das mich nicht sofort zum Hauptverdächtigen macht.“

Detective Alonzo warf Jake wieder einen dieser Blicke zu, als würde er um Rat fragen. Er bekam keinen.

„Wissen Sie, ich muss schon sagen, Mr. English, ich habe schon viele Verdächtige befragt, und normalerweise reagieren die Leute ganz anders, wenn sie im Rahmen einer Morduntersuchung befragt werden. Unschuldige Menschen, meine ich.“

„Das ist nicht meine erste Mordermittlung“, erwiderte ich. Ich wandte mich an Jake. „Vielleicht solltest Du ihn darüber aufklären, woher wir uns kennen.“

Er rührte keinen Muskel. „Er weiß es.“

„Wirklich?“ Ich lächelte schief. „Alles?“

Nicht mal ein Wimpernzucken. „Alles von Relevanz.“

Er wartete darauf, dass ich es sagte. Mein Herz beschleunigte sich, als ich mir vorstellte, wie ich die Worte aussprach und das Geheimnis verriet, das er zweiundvierzig Jahre lang gehütet hatte. Ich könnte ihm genauso wehtun, wie er mir wehgetan hatte – und der Schmerz wäre anhaltend, permanent –, und würde damit alles zerstören, was ihm wichtig war, von seiner Karriere bis zu seiner Ehe. Ich könnte ihn mit ein paar Sätzen zerstören, und er wusste es. Er konnte sehen, dass ich darüber nachdachte.

Er erwartete, dass ich es sagte. Seine Augen blieben unverwandt auf meine gerichtet, aber er bat mich nicht um Gnade. Er wartete nur … Ohne zu atmen.

Ich sagte zu Alonzo: „Dann wissen Sie, dass ich weiß, wie das funktioniert, und dass ich Vertrauen in den Ablauf habe.“

Alonzo, der von Jake zu mir geschaut hatte, legte seine Hand auf seinen Kiefer, als hätte ich ihm einen unerwarteten Fausthieb verpasst.

Jake löste sich von der Wand und sagte mit unerwartet heiserer Stimme: „Danke. Ich glaube, das war’s.“ Er sah Detective Alonzo an, der sagte: „Äh, ja. Ich denke, das war’s für den Moment. Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. English.“

„Was sollte das denn?“, fragte Natalie, sobald sich die Vordertür hinter Jake und Alonzo geschlossen hatte. „Waren die von der Polizei?“

„Ja. Das ist nur Routine“, sagte ich ihr. „Auf der Party, auf der ich gestern war, ist jemand gestorben, also fragen sie einfach nach, ob jemand etwas Verdächtiges bemerkt hat.“

„Oh, wow! Du meinst, es war Mord?“

„Vielleicht.“ Ich war absichtlich vage. Natalie ist ein Krimi-Fan und hatte sich schon oft darüber beklagt, dass sie bei den letzten Mordermittlungen, in die ich verwickelt war, nicht dabei war, um mir zu helfen.

„Wirst du Nachforschungen anstellen?“

„Du machst Witze, oder?“

Sie schien leicht verwirrt. „Nein. Oh, hey, es gab einen Haufen Anrufe für dich. Lisa möchte unbedingt, dass du sie anrufst.“ An dieser Stelle warf sie mir einen Blick zu, der einerseits Mitgefühl, andererseits aber auch Missbilligung darüber ausdrückte, dass ich mich vor meiner familiären Verantwortung drückte. „Dein Arzttermin ist für drei Uhr bestätigt. Und Paul Kane hat angerufen.“

„Was wollte Paul Kane?“

Natalie stieß ein ungläubiges Lachen aus. „Adrien, du hast nie erzählt, dass du den Paul Kane kennst!“

„Tue ich auch nicht. Er ist irgendwie an einem meiner Bücher interessiert.“

„Interessiert? Du meinst an den Filmrechten?“ Bei dem magischen Wort „Film“ stieg ihre Stimme an. Ich zuckte zusammen.

„Er hat nur sein Interesse bekundet“, sagte ich hastig – und nicht ganz wahrheitsgemäß. „Wahrscheinlich wird es nicht darüber hinausgehen.“ Ihr Gesichtsausdruck war ungläubig. „Hat er gesagt, was er will?“, fragte ich noch einmal.

„Hat er nicht. Aber er will, dass du ihn sofort anrufst.“

Ich nickte, ging zurück in mein Büro und wählte Kanes Nummer.

Ich hatte damit gerechnet, wenigstens einen persönlichen Assistenten zu erwischen, aber Kane meldete sich selbst nach dem dritten Klingeln. „Adrien, wie geht es dir?“ Er hatte eine tolle Stimme. Sanft und sexy. Ich fragte mich, ob er jemals daran gedacht hatte, Hörbücher aufzunehmen. „Ich kann mich gar nicht genug für gestern entschuldigen.“

„Ist das ein Geständnis?“

„Ist das ein …?“ Er lachte. „Du hast mit den Cops geplaudert. Anscheinend bin ich ihr Hauptverdächtiger.“

„Den Eindruck hatte ich nicht.“

„Nein? Ich schon. Hör mal, hast du Zeit für ein Mittagessen? Ich möchte was mit dir besprechen.“

Alles, was ich wollte, war, mich hinzulegen und ein oder zwei Stunden zu schlafen. Ich war ständig so verdammt müde. Aber ich wollte, dass dieser Film gedreht wird. Die Vergrößerung des Buchladens kostete eine ganze Menge, und es dauerte noch fünf Jahre, bis ich den Rest des Geldes erben würde, das mir meine Großmutter hinterlassen hatte.

„Ich habe Zeit“, sagte ich. „Wo möchtest du dich treffen?“

„Ich arbeite heute im Studio. Wie wäre es mit dem Formosa Café? Sagen wir um ein Uhr? Ich habe einen Vorschlag, der dich sicher begeistern wird.“

Kapitel Vier

Das Formosa Café zu betreten, ist wie eine Reise ins alte Hollywood: rote Ziegelsteine, eine schwarz-weiße Markise und eine Neonleuchtschrift. Es sieht aus wie ein Ort, an dem vielleicht Raymond Chandler ein paar Highballs gekippt hat, während er für die Studios schrieb; vielleicht hat er das auch tatsächlich getan. Das Formosa gibt es seit 1939 und es wirbt immer noch mit dem Spruch „Wo die Stars dinieren“.

Über zweihundertfünfzig dieser Stars hängen als Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden, darunter Humphrey Bogart, Elizabeth Taylor, James Dean und Elvis. Sogar das neue Hollywood speist im Formosa– oder kehrt zumindest auf einen Drink dort ein. Die Mai Tais sind legendär, und auch Paul Kane genoss gerade einen, als ich mir einen Weg durch das Zwielicht zu seinem Tisch bahnte.

„Du hast es geschafft“, sagte er erleichtert, als hätte es Zweifel an meinem Erscheinen gegeben. Er winkte der Kellnerin zu und deutete auf einen Mai Tai für mich. Ich signalisierte schnell nein danke und glitt auf das rote Ledersofa.

„Sag bloß nicht, du hast Angst, ich würde deinen Drink vergiften“, sagte Kane und zog ein zerknirschtes Gesicht.

„Was sollte dein Motiv sein?“

Er lachte entzückt. „Du bist wirklich ein Krimi-Autor!“

„Erzähl das mal den Kritikern.“ Ich lächelte die Kellnerin an und bestellte einen Orangensaft. „Also, wie kommst du darauf, dass die Polizei dich mehr verdächtigt als alle anderen?“

Er seufzte und legte seine Gesichtszüge zu einem weiteren dieser charmanten Ausdrücke zurecht. „Es wurde mir taktvoll mitgeteilt, dass ich den tödlichen Cocktail gemixt habe.“

Ich betrachtete ihn objektiv – ich versuchte es zumindest: Er sah unverschämt gut aus, und dies hier war der perfekte Rahmen für seine klassische Attraktivität. Ich bezweifelte ernsthaft, dass Jake ihn für einen echten Verdächtigen hielt. Jakes Selbsterhaltungstrieb hätte dafür gesorgt, dass er sich aus Paul Kanes Umfeld fernhielt, wenn er den Verdacht gehegt hätte, dass Kane wirklich involviert war.

Wow. Vielleicht hatte Jake recht. Ich wurde auf meine alten Tage zynisch. Schließlich würde der übereifrige Detective Alonzo – selbst wenn Jake wusste, dass Kane unschuldig war – zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Kane schuldig war. Das sollte er zumindest. Und falls Jake sich in den letzten zwei Jahren nicht grundlegend verändert hatte, würde er es zulassen, dass die Ermittlungen ungehindert fortgesetzt werden konnten.

„Lass uns bestellen“, sagte Kane.

Ich nahm den Gurkensalat mit Möhren, Koriander, Daikon-Radieschen, Bohnensprossen und den Napa-Kohl mit knusprigen Won-Ton-Streifen. Kane bestellte das Lammkarree. Während wir aßen, plauderte er amüsant und boshaft über verschiedene Berühmtheiten – darunter auch über ein Paar, das in Hörweite von uns saß.

Er saß gerade vor seinem dritten Mai Tai – und ich überlegte ernsthaft, ob ich nachgeben und auch einen trinken sollte –, als er sagte: „Ich nehme an, Jake hat erwähnt, dass wir uns kennen … auf sozialer Ebene.“

Es gelang mir, bei der kleinen Pause vor dem sozialen Zusatz nicht zu schnauben. Denn nichts signalisierte eine größere soziale Nähe als Analplugs und Paddles. Ich hatte ein paar Gerüchte darüber gehört, dass Kane, der offen bisexuell war, auch in der BDSM-Szene aktiv war. In dieser Welt kannte ich mich nicht besonders gut aus, aber sie war Jakes Spielwiese – oder war es zumindest vor seiner Ehe gewesen.

„Ich habe es mir zusammengereimt“, sagte ich. Ich ging auch davon aus, dass er etwas über meine frühere Beziehung zu Jake wissen musste, obwohl er – da Jake nun mal Jake ist – auf keinen Fall viel mehr wissen würde als die Tatsache, dass es eine Beziehung gegeben hatte.

Kane lächelte, als würde ihn alles, was ich nicht sagte, sehr amüsieren. „Er hat zufällig erwähnt, dass du nicht nur Krimis schreibst, sondern auch eine Art Amateurdetektiv bist – und zwar kein schlechter.“

Ich verschluckte mich an meinem Orangensaft, was einen meiner Hustenanfälle auslöste. Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte und die besorgt dreinblickenden Kellner sich wieder zurückgezogen hatten, sagte ich: „Niemals hat Jake dir gesagt, dass ich ein Amateurdetektiv bin, geschweige denn ein guter.“

„Er hat nicht gesagt, dass du ein guter bist“, gab Kane mit einem kleinen Augenzwinkern zu – ja, mit einem Augenzwinkern, und wenn das keine echte Bühnenkunst war, dann weiß ich auch nicht. „Aber er hat gesagt, du hättest ein echtes Händchen dafür.“

Das hatte er tatsächlich gesagt? Interessant. Denn ich erinnerte mich deutlich an …

Ja, verschwommene Aquarell-Erinnerungen. Mein Gesichtsausdruck muss wohl etwas Finsteres gehabt haben, denn Kane sagte schnell: „Es wäre keine formelle Abmachung oder so.“

„Was wäre was nicht?“

„Ich habe mir gedacht, dass du – inoffiziell – ein paar Fragen stellen könntest.“

„Worüber?“ Ich blinzelte. „Du bittest mich doch nicht um … Worum bittest du mich?“

Er griff über den Tisch und drückte meine Hand in einer leicht beschwichtigenden Geste. „Es hört sich vielleicht verrückt an, aber ich glaube, jemand wie du hätte mehr Glück, dieser Tragödie auf den Grund zu gehen als Jake und seine Sturmtruppen. Und das sage ich als jemand, der Jake anbetet, ob mit oder ohne Sturmtruppen.“

Ich versuchte immer noch, die Worte „Jake“ und „anbeten“ in einem Satz zusammenzubringen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich folgen kann“, sagte ich langsam. Ich wusste ja schon, dass Jake und Kane Spielgefährten waren – aber waren sie ehemalige Spielgefährten? Oder war Jake wieder in der Clubszene unterwegs? Und sie waren scheinbar Freunde … Also Freunde auf die Art, dass sie sich gegenseitig zu ihren Geburtstagsfeiern besuchten? Das schien unwahrscheinlich, wenn man sich vor Augen hielt, wie zurückhaltend Jake sich im Hinblick auf unsere Freundschaft verhalten hatte. Ich sagte: „Ich glaube, ich muss das einfach fragen: Wie genau ist deine Beziehung zu Jake?“

Kanes Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich dachte, du wüsstest es. Jake und ich sind seit ungefähr fünf Jahren ein Liebespaar.“

Ich sagte kein Wort.

Anscheinend brauchte ich das auch nicht.

Er sagte verlegen: „Ich weiß nicht, warum ich dachte, dass du es wüsstest.“ Sein sinnlicher Mund verzog sich zu einer kleinen Grimasse. „Ich wusste von dir.“

Ein paar Meter von uns entfernt saß eine grinsende Buddha-Statue. Ich konnte sehen, wie sie Paul Kane über die Schulter blickte, und ich hatte das Gefühl, dass ich dieses wissende, steinerne Gesicht schon jahrelang angestarrt hatte und dass ich auch in vielen Jahren noch in der Lage sein würde, meine Augen zu schließen und diese zusammengekniffenen, lachenden Augen, den breiten, fröhlichen Mund und die in leichte Falten gelegten Wangen zu sehen, die in ausgelassener Heiterkeit erstarrt waren. Und ich dachte, dass ich mir vielleicht keine Sorgen mehr um mein Herz machen müsste, weil es vor ein paar Sekunden aufgehört hatte zu schlagen, und ich trotzdem immer noch dasaß und lebte und atmete – obwohl ich zugegebenermaßen kaum noch etwas spürte.

„Nein“, sagte ich. „Ich wusste es nicht.“ Und war erschrocken, als ich diese nüchterne, kühle Stimme aus meinem Mund hörte.