Afra - Die Geliebte des Hexenjägers - Petra von Straks - E-Book

Afra - Die Geliebte des Hexenjägers E-Book

Petra von Straks

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Beschreibung

Afra Wilson und ihr Bruder tun gut daran, auf einem kleinen Hof außerhalb des Weilers Brook on Creek in Nord- England zu leben. Sie sind nicht nur Katholiken - Afra wird der Hexerei verdächtigt. Als ihr Bruder verschwindet, scheint die junge Frau verloren. Doch das Schlimmste steht ihr noch bevor: In einem heftigen Schneesturm verschafft sich ein Fremder Zutritt zu dem kleinen Bauernhaus. Was sie nicht ahnt: Sie hat dem obersten Hexenjäger von König James I. Obdach gewährt. Und der Schnee fällt weiter ...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: In dem das Böse seinen Ausgang nimmt.

Kapitel 2: In dem wir lernen, dass auch Könige nicht immer das sind, was sie scheinen.

Kapitel 3: Von den Qualen und der Hoffnung der Verdammten.

Kapitel 4: Von jenen die gebeugt werden und jenen, die sich verbeugen.

Kapitel 5: Wo wir sehen, dass man Menschen allenthalben nicht nach dem ersten Eindruck bewerten sollte.

Kapitel 6: In dem ein Mann sich auf den Weg macht und eine Frau zurückbleibt.

Kapitel 7: Über die Art und Weise, wie man dem Teufel auf die Schliche kommen kann. Wenn der sich denn auf die Schliche kommen lassen will.

Kapitel 8: Von überraschenden Enthüllungen und wie man mit ihnen umgehen sollte, vor allem in Anwesenheit des künftigen Königs.

Kapitel 9: Wo wir einen namenlosen Kapitän kennenlernen, sowie einen ebenso namenlosen Hund.

Kapitel 10: In dem wir zwei Freundinnen bei ihrem Blick in den Abgrund beobachten.

Kapitel 11: Noch mehr Hexen.

Kapitel 12: Wo wir erkennen, welche Macht Schnee besitzt, aber nicht, wer wiederum die Macht über den Schnee.

Kapitel 13: Wo wir sehen werden, dass Bedrohungen nicht immer als solche erkannt werden.

Kapitel 14: Wo wir lernen, dass des einen Mensch des anderen Satan ist. Und umgekehrt.

Kapitel 15: Wo wir lernen, wie ein Mann sich ein Schiff nimmt und die Besitzer sich auch noch bedanken.

Kapitel 16: Wo wir unseren Kapitän (ein) wenig überraschend im Hurenhaus vorfinden.

Kapitel 17: Wo wir sehen, dass ein gewisses Maß an Schnee natürlich ist und auch hingenommen werden muss, dass es sich aber in unserer Geschichte anders verhält.

Kapitel 18: In welchem wir sehen, dass auch hohe Herren ab und an nützlich sein können.

Kapitel 19: In dem man einem Ertrinkenden die Hand hinstreckt, doch dieser sie ausschlägt.

Kapitel 20: Wo Umdenken nicht mehr reicht.

Kapitel 21: Wo sich ein Kapitän auf die vielleicht wichtigste Reise seines Lebens vorbereitet.

Kapitel 22: In dem nichts unversucht gelassen wird, dem Teufel auf die Schliche zu kommen.

Kapitel 23: Worin der Kapitän eine Entscheidung treffen muss, oder zumindest sollte.

Kapitel 24: In dem man sich die Frage zu stellen beginnt, wo die Wirklichkeit endet und der Wahn beginnt

Kapitel 25: Wo wir jemanden wiedertreffen, mit dem wir nicht gerechnet hätten. (Rufus und Afra auch nicht ...)

Aus unserem Verlagsprogramm

IMPRESSUM

GREEN EYES BOOKS

www.green-eyes-books.de

Covergestaltung:

Michael Troy, MT-DESIGN

Bildnachweis:

© KathySG, www.shutterstock.com

© Heartland Arts, www.shutterstock.com

Originalausgabe Juli 2021

© 2021 Green Eyes Books GbR

Lessingstr. 17

67317 Altleiningen

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

ISBN: 978-3-949502-04-0

Petra von Straks

Afra - Die Geliebte des Hexenjägers

Cursum Perficio.

Kapitel 1: In dem das Böse seinen Ausgang nimmt.

He da!“

Der Mann hielt kurz inne und ging dann – ein klein wenig schneller – weiter.

„So wart doch ...“

Er hatte die junge Frau gar nicht bemerkt, als er an ihr vorüber gegangen war. Ihr braunes Kleid mit der dreckigen Schürze und der fadenscheinigen Jacke passte sich perfekt an das bräunliche Geäst an, in dem sie sich verborgen gehalten hatte.

Schnell sah er sich um, ob sich nicht vielleicht etwas tiefer im Gestrüpp irgendwelche Kumpane des Mädchens aufhielten.

Es war bitterkalt und er wollte nach Hause. Er hatte noch ein paar Stunden zu gehen und seine Knochen taten ihm weh.

Außerdem hatte er Kopfschmerzen, dass er dachte, sein Schädel zerspringe ihm.

„Was ist, Mädchen? Was willst du?“

Sie straffte sich und legte sodann einen gewissen Schwung in die Hüften.

„Bist du nicht John Law, der Hausierer aus Halifax?“

Sie kratzte sich energisch unter ihrer fleckigen Haube, zog dann eine Strähne heraus und zwirbelte sie um den Zeigefinger, wobei sie den Kopf leicht schräg legte.

„Wer will das wissen?“

„Alizon heiß ich.“

Sie trat auf ihn zu. Ein wenig zu dicht, fand er und machte seinerseits einen Schritt rückwärts.

Vielleicht hatte er ihre Spießgesellen nur übersehen ... Abermals durchforschten seine Blicke die Bäume und Sträucher, die erst einen Hauch von frühlingshaftem Grün zeigten.

Da war niemand.

„Wo kommst‘ n her?“

„Pendle Forest, wenn’s beliebt. Hast de noch einen weiten Weg?“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Wenn das so weiter ging, würde sie ihn noch ins Dickicht abdrängen.

„Wenn de Lust hast, könnt‘ ich dir was bieten“, schnurrte sie und beugte sich ein wenig vor, sodass er ihre Brüste erkennen konnte, um die sich ihre Jacke spannte.

„Nee, danke. Ich bin n glücklich verheirateter Mann. Mach dich an nen andern ran.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Hast du Stecknadeln?“, fragte sie mit einem abrupten Wechsel des Themas.

„Schon.“

Seine Blicke wanderten über ihre schäbigen Kleider.

„Nun? Pack ma aus! Ich will sehen, ob s gute Stecknadeln sind, oder so n Dreck, der gleich abbricht, wenn man ihn in...“

„...Ton reinsteckt?“, half der Hausierer mit schiefem Grinsen.

„Nee ... Sowas mach ich nich. Kannste vergessen. Nix mit schwarzer Magie und so.“

„Ich hatt auch eher an n Liebeszauber gedacht ... Das kannste aber schon, ja?“

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kniff die Augen zusammen.

„Wir könntn ins Geschäft kommen“, erklärte sie. „Du gibst mir die Nadeln – sagn wir n halbes Dutzend – und ich mach den Zauber für dich.“

Law warf lachend den Kopf in den Nacken, was sofort mit einem scharfen Stich mitten ins Gehirn bestraft wurde.

Er zischte und sein Gesicht verzerrte sich.

„Vergiss es! N halbes Dutzend feine Stecknadeln der bestn Sorte ... Nee nee. Wenn de gutes Geld dabei hast, kannste welche kaufen. Sonst isses Essig mit deinem Geschäft.“

Sie schnaubte und presste die vollen Lippen zusammen.

Würde man dich waschen und die Haare kämmen, würdest du nicht mal schlecht aussehen, dachte der Hausierer.

„Glaubste wohl nich, dass ich hexen kann, hä?“

„Klar glaub ich das. Aber weißte, an was ich noch viel mehr glaub?“

„Hä?“

„An Geld. So und nu sieh zu, dass de weiter kommst.“

„Ich kann hexen. Echt! Jetzt komm schon ... Ich beweis es dir ... Gib mir die Nadeln und ich mach, dass ...“

„... Deine Schwester sich in mich verliebt?“

Er tippte sich gegen die Stirn und setzte an, weiterzugehen.

„Ich kann das!“, keifte sie mit einem Anflug kindlichen Trotzes, der nicht mehr recht zu ihr passen wollte.

Das Mädchen wurde immer wütender. Law hatte keine Lust auf Theater. Nicht bei seinen Kopfschmerzen und dem seltsamen stumpfen Druck, der sich von seinem Hinterkopf abwärts zu ziehen begann.

Seine Zunge fühlte sich an, als würde sie in seinem Mund anschwellen.

Er stolperte und fluchte innerlich, weil er den Stein übersehen hatte.

Was für ein beschissener Tag, dachte er.

„Du dämlicher alter Sack! Ich kann hexen! Echt!“

Offensichtlich hatte sie aufgegeben, denn sie kam ihm nicht hinterher. Jedenfalls sah er sie nicht mehr.

Law fluchte auf den Nebel, der sich plötzlich um ihn herum erhob.

„Verflucht sollste sein, du alter Arsch! Fall doch um!“

Sie keifte weiter und weiter durch den Nebel.

Was für ein absolut und vollkommen beschissener Tag ...

Kapitel 2: In dem wir lernen, dass auch Könige nicht immer das sind, was sie scheinen.

Der König beugte sich tief über den Folianten, der - teilweise bedeckt von Pergamenten – aufgeschlagen vor ihm lag.

Sein kleiner Kopf bewegte sich mit den Zeilen die er las hin und her.

Er wirkte plump, beinahe klobig und die dick wattierte Jacke verstärkte noch den grotesken Gegensatz zu seinen spindeldürren Beinchen.

„Ingram ... Was haltet Ihr von diesem ...“ Er beugte sich noch tiefer über das Buch.

Der hochgewachsene, schlanke Mann neben ihm atmete tief durch.

Er hatte sein Barett auf den fein geschnitzten Holztisch gelegt und suchte offensichtlich den geeigneten Abstand, um zum einen dem Geruch des Königs zu entgehen, und zum anderen doch dem Folianten nah genug zu kommen, um darin lesen zu können.

Es misslang.

Also holte er Luft, hielt sie an und näherte sich dann dem Herrscher.

Als James sich abrupt aufrichtete, um die eigene Achse drehte und dann mit energischen Schritten vom Tisch wegging, war das Ärgste ausgestanden.

„Majestät ...“

Der König schüttelte seine braunen Locken.

„Nein. Ich kann und kann mich nicht konzentrieren.“

Der schwere schottische Akzent machte es vielen englischen Höflingen schwer, den König zu verstehen, doch Ingram, der selbst aus der Nähe der schottischen Grenze stammte, hatte keine Probleme.

Was ihn allerdings zu Beginn ihrer – sollte er es Freundschaft nennen? – irritiert hatte, war die Tatsache, dass die Zunge des Königs zu groß geraten schien, um in seinen Mund zu passen. So stand der Mund des Königs immer ein Stück weit offen und die Zunge quoll über seine Unterlippe.

„Majestät?“

Der Herrscher schien nach Worten zu suchen. Seine Blicke wanderten über den Boden, als lägen die Buchstaben dort verstreut.

„Wenn ich nur jemanden schicken könnte ...“

Ingram sah ein, dass der König eigentlich zu sich selbst sprach und so verharrte er schweigend. Das Licht der langsam untergehenden Sonne ließ sein silbriges Haar funkeln, das er entgegen der Mode kurz geschnitten trug.

Der König richtete sich auf und drehte sich in der Taille, was von einem dumpfen Geräusch begleitet wurde.

Es war sein gepolstertes Wams, das wie ein Kissen um ihn herumgewickelt schien.

„Verräter ... Meuchelmörder ... Ingram! Das ist es. Alles um mich herum wetzt die Messer und sammelt das Kanonenpulver.“

Er funkelte ihn wild an.

„Hat man nicht meinen Vater erwürgt, nachdem man ihn nicht in die Luft zu sprengen vermocht hatte? Und meine Mutter? Den Kopf hat man ihr abgeschlagen, wo sie geglaubt hatte, ihrer eigenen Cousine trauen zu können!“

Er ging zu einem gewaltigen hölzernen Sessel, der mit Fellen und Kissen bedeckt war, und setzte sich.

Der bizarr große Fuß an dem ästchendürren Unterschenkel wackelte nervös hin und her.

„Schießpulver ... Schießpulver ... Auch bei mir hat man es versucht. Nicht wahr?“

Der König nickte sich selbst und seinen Worten zu.

„Wenn ich nur wüsste, was ich ihnen getan habe ...“

Ingram wusste, wann er den Mund zu halten hatte.

„Ich lese. Schreibe Bücher. Kümmere mich um die Rechtsprechung und die Bildung. Ich blute mein Land nicht aus mit Verschwendungssucht und sinnlosen Kriegen. Ja! Ich bin ein Friedensfürst. Habe eine rechtgläubige Frau und kräftige, gesunde Kinder. Was zum Teufel wollen sie von mir?“

Ingram schloss – scheinbar in Gedanken versunken – den mächtigen Folianten. Als die Seiten sich mit einem dumpfen Laut schlossen, riss dies den König aus seinen Gedanken.

„Schottland ... Ingram ... Schottland. Das ist es. Ich bin ein Fremder in meinem eigenen Königreich. Wäre ich in Schottland geblieben ... Sie hören es mir an. Mit jedem meiner Worte rufe ich ihnen gleichzeitig entgegen: Ich bin Schotte! Und so können sie nicht vergessen, wer oder besser – was ich bin.“

Ingram, der nun wieder hochaufgerichtet an dem wuchtigen Tisch stand, atmete ruhig und wog seine Worte mit Bedacht.

„Ich weiß, was Ihr meint, Sire.“

Der König hob den Kopf, als wolle er Ingram mittels seiner Aufmerksamkeit ermuntern, fortzufahren.

„Es ist schwer in Worte zu fassen... Es ist, als gebe es eine Macht außerhalb des eigenen Einflussbereiches... Und diese Macht lenkt das eigene Dasein.“

Er dachte an seinen Sohn.

„Genau! Hexen, Ingram! Hexen!“

Nun war es an dem grauhaarigen Mann, aufzublicken und seinen König fragend anzusehen.

„Mit Verlaub?“

„Nun ... Ich bin mir sicher ... Als mich damals das Schicksal mit meiner Königin vereinte ... als ich nach Dänemark reiste, um sie persönlich abzuholen ... Da waren es jene Mächte, die versuchten ... die das Äußerste versuchten ... um mich abzuhalten. Zuerst trieben Stürme, wie sie noch keine lebende Seele je erlebt hatte, meine Gemahlin zu ihrem Vater zurück und dann schienen die gleichen Stürme, mich von ihr fernhalten zu wollen. Ihr wisst – ich war wild entschlossen, sie zu der meinen zu machen. Und wenn sie es nicht vermochte, zu mir zu kommen, so würde ich zu ihr kommen. Und dann – glücklich in Dänemark angekommen – wen traf ich da am Hofe meines Schwiegervaters? Den großen Mann. Den größten, wenn ich das so sagen darf, ohne meinen Schwiegervater herabzusetzen.“

Ingram hob die Brauen, doch hatte er nicht vor, den Redeschwall seines Herrschers in irgendeiner Form zu unterbrechen.

„Tycho Brahe!“

Der König reckte seinen Oberkörper ganz gerade und blickte sein Gegenüber beinahe triumphierend an. Gerade so, als wolle er rufen: Ja! Damit hast du nicht gerechnet, wie?

„Ach, so manchen Abend habe ich mit ihm gesessen und mich belehren lassen. Habe seinen Worten gelauscht und mir seine Berechnungen zeigen lassen. Oh – welches Erlebnis. Und mehr noch als über Gestirne und das Himmelszelt, sprachen wir über ...“

Abermals hielt er inne und sah Ingram mit weit geöffneten Augen an.

„Hexen, Ingram. Hexen ...“

Die Pause dehnte sich. Sie dehnte sich weiter. Sie eröffnete ein gähnendes Loch zwischen den beiden Männern.

„König Friedrich- ja. Hat sich mit den größten Geistern umgeben. Ihm alleine habe ich es zu verdanken, dass ich diese Stürme als das erkannte, was sie tatsächlich waren: Hexerei.“

Ingram wusste, um was es dem König ging.

„Wisst Ihr, dass ich schon oft gedacht habe, dass ich einen Großteil dieser Sache mit mir hierher gebracht habe? Dass die Flüche der Hexen an mir kleben.“

Es war ihm keine Neuigkeit, dass die Flüche einen Menschen begleiteten. Ihn hätte eher das Gegenteil überrascht.

Und, dass eben jene Stürme keines natürlichen Ursprungs waren – auch das war nichts Neues für ihn.

Was also bezweckte der König mit all diesen Erzählungen?

Der Herrscher seinerseits deutete den Blick falsch.

„Ja. Verhext, Ingram. Das ist, was ich bin. Verhext!“

Er nickte. Das war durchaus möglich. Die dänischen Hexen hatten Ihresgleichen auf den König losgelassen. Deswegen all die Anschläge auf ihn.

„Ich habe sie alle studiert.“

Die Majestät erhob sich von seinem Stuhl und kam an den Tisch, wobei der Geruch, der von ihm ausging, mit jedem Schritt intensiver wurde.

Ingram blieb standhaft.

Der König schlug mit der flachen Hand auf einen der geschlossenen Ledereinbände.

„Bodin ... Rémys Démonolâtrie ... Das Compendium Maleficarum ...“

Er deutete auf eines der weiter weg liegenden Bücher.

„Ich stehe in Briefkontakt mit Guazzo und studiere seine Arbeit. Das Malleus Maleficarum kenne ich praktisch auswendig ... Und doch habe ich sie bislang nicht finden können ...“

Nun war er doch irritiert.

„Majestät?“

„Ihr seid doch des Deutschen sowie des Lateinischen mächtig...“

Ingram nickte kurz und es wirkte wie eine Verbeugung.

„Gut. Dann nehme ich an, Ihr kennt die maßgeblichen Prozessakten?“

Abermals verbeugte sich Ingram. Wenn auch zögernder als zu vor.

„Hattet Ihr bereits mit Hexen zu tun? Ich meine, dass sie Euch verfolgt hätten ...“

„Nicht, dass es mir bewusst wäre, Sire.“

Der König blickte über die Bücher und Manuskripte auf dem Tisch hinweg wie über eine gewaltige Landkarte.

„Ich überlasse euch meine vollständige Bibliothek. Nehmt Kontakt auf, zu wem Ihr wollt. Wenn Ihr reisen müsst, so geschieht dies auf meine persönlichen Kosten.“

Nun begriff er, was hier vor sich ging.

Doch er war nicht der Mann, dem König zu widersprechen. Niemand war das.

Im gleichen Moment flog die Türe auf und ein großgewachsener Gentleman kam, einer Woge funkelnden Goldes auf tiefgrünem Moos gleich, in den Raum gerauscht.

„Sire!“, rief er laut und breitete die Arme aus. Ingram hielt schockiert die Luft an, erwartete er doch, der junge Mann risse den Herrscher im nächsten Moment in seine Arme.

Stattdessen aber fiel der Mann in Grün und Gold auf die Knie und küsste den Saum des Capes, das vom Rücken des Königs wallte.

Nie zuvor hatte Ingram einen derart schönen Mann gesehen. Die Züge ebenmäßig und die Haut hell und von einem rosigen Hauch überzogen.

Seine dunkelblonden Locken wallten leicht nach vorne, als er sich herab beugte, um den Saum zu küssen.

Wenn er - wie jetzt - sprach, bewegte sich sein Spitzbart leicht hin und her und bot so einen perfekten Rahmen für seine elegant geschwungenen Lippen.

Seine Beine waren außergewöhnlich muskulös, doch da sie gleichzeitig sehr lang waren, wirkten sie nicht plump.

Und dann bemerkte Ingram James‘ Blick, als dieser eine Hand unter den Ellenbogen des jungen Mannes legte und ihn so auf die Füße zog.

„Ihr habt es wohl nicht mehr nötig, Euch bei eurem Herrscher ankündigen zu lassen“, sagte er in strengem Ton und lächelte doch dabei.

Der junge Mann aber reagierte überhaupt nicht mehr, sondern stemmte seine Hände auf den Tisch und überflog die Unterlagen.

„Was ist das hier?“, fragte er. „Ah – ich sehe schon. Euer Steckenpferd, Sire. Hexen jagen!“

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte zu Ingram.

„Seine Majestät fürchten, verhext zu sein. Also, dass alles, was ihm widerfährt, durch schwarze Magie und verdammenswerte Weiber zustande kommt.“

Diese Erklärung hatte Ingram nicht gebraucht.

Mit einem eleganten Schwung drehte der Höfling – denn um einen solchen musste es sich handeln - sich wieder zum König hin. Er war mit Sicherheit ein äußerst begabter Tänzer, schoss es Ingram durch den Kopf. Und so, wie er den jungen Mann einschätzte, tanzte dieser nicht nur zu seinem eigenen Vergnügen.

„Wobei ich mich dann frage, ob auch ich nur eine Ausgeburt der Hölle bin ...“

Mit einem Schlag war jegliche Tändelei aus seinen Zügen verschwunden und der König sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Wie könnt Ihr so etwas nur sagen? Anna und Ihr seid ein paar der wenigen ...“

Mit einem kurzen Kopfschütteln unterbrach er sich selbst, schaute kurz zu Ingram hin und lachte dann.

„Nein! Wo war ich stehengeblieben? Der Herzog von Buckingham verwirrt mich stets, wenn er auftaucht. Ich fürchte, es bereitet ihm Freude, mich so zu ... Ach ja ...“

Seine Hand fuhr unter sein Wams und tauchte mit einem gefalteten Pergament wieder auf.

Ingram erkannte ein Stück eines dunklen Wachssiegels.

„Ein Geleitbrief. Ich habe ihn unterzeichnet, damit Euch keine Türen verschlossen bleiben in meinem Königreich. Dazu noch eine größere Summe, um Eure ersten Unkosten zu decken. Den Rest begleicht Ihr mit meinem Schatzmeister.“

„Was soll dieser Herr denn für Euch tun, Sire?“

Ingram entging ein seltsam angespannter Unterton in der Stimme des Herzogs nicht.

Offensichtlich gefiel es ihm nicht, wenn etwas ohne sein Wissen oder Zutun in die Wege geleitet wurde.

„Grundgütiger, Villiers ... Habt Euch nicht so. Ich erkläre Euch heute Abend, was Master Ingram für mich tun soll.“

Damit wandte er sich wieder seinem anderen Gast zu.

„Hiermit ernenne ich Euch, Charles Ingram, zum Generalissimus aller Hexenjäger.“

Er hatte sich sehr gerade vor dem wesentlich größeren Mann aufgestellt und überreichte ihm dabei das gefaltete Pergament.

„Eine gewaltige Aufgabe lastet auf diesen Schultern. Ihr sollt es sein, der Euren König und sein ganzes Reich vom Fluch der Hexerei befreit. Was immer Ihr zu Eurem Feldzug benötigt – ich werde es Euch beschaffen, Generalissimus Ingram.“

Der Blick des so Angesprochenen wanderte irritiert über die Schulter des Königs hinweg zu Villiers hin. Dessen Lippen versteiften sich, wenn auch nur um einen Hauch, so doch offensichtlich genug, dass Ingram erkannte, dass es durchaus auch Neider gab. Wenn sich der Neid vielleicht auch weniger auf die Aufgabe an sich erstreckte.

Ingram besann sich und machte eine tiefe Verbeugung.

„Ihr werdet sie finden, jene Hexe, der ich den Fluch verdanke, der meine Tage vergiftet und meine Nächte in Tage verwandelt.“

„Mylord Buckingham ... begleitet den Generalissimus hinaus und kommt dann in den Garten. Ich habe ein paar wundervolle Blumen aus den Niederlanden geschickt bekommen. Die muss ich Euch zeigen.“

Ingram und der Herzog bewegten sich auf die Tür zu.

„Die Folianten lasse ich heute noch zu Euch senden, Generalissimus. Dann habt Ihr sie noch vor Eurer Abreise.“

Ingram verbeugte sich tief.

Einer der bewaffneten Wachposten schloss die Türe hinter den beiden Männern.

Villiers richtete sich auf und lockerte seine Nackenmuskeln, als wolle er demonstrieren, dass er sich jetzt zu entspannen gedachte.

„Nun, mein lieber Freund – was habt Ihr dem König gesagt, dass der Euch derart erhöht?“

Sie gingen nebeneinander den langen Gang hinunter und nichts ließ einen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei ihnen um alte Bekannte handeln müsse.

„Nichts, Eure Gnaden.“

„Ach, kommt schon. Natürlich habt Ihr ihm irgendetwas eingeflüstert. Mir könnt Ihr es doch sagen. Man geht doch nicht in die Audienz hinein als normaler Untertan und kommt als Generalissimus der Hexenjäger wieder raus ...“

Ingram atmete tief durch.

„Ich kann nur immer wieder betonen – ich weiß es nicht.“

Kapitel 3: Von den Qualen und der Hoffnung der Verdammten.

Sie würde zerbrechen.

Es gab keine Rettung.

Sie war verdammt.

Als sie sie ins Schloss gebracht hatten, war eine winzige Flamme der Hoffnung in ihrem von Schmerzen zermahlenen Verstand aufgeflackert.

Sie hatten sie in einen großen Raum gebracht, durch dessen Fenster kaum Tageslicht drang.

Die Wände waren im unteren Bereich mit Fließen überzogen und selbst ihre alten Augen hatten die dunkelroten, beinahe braunen Reste getrockneten Blutes erkannt, das noch an ihnen haftete.

An der Seite gab es Manschetten und von der Decke hingen Ketten.

Sie wollte nur, dass es endlich aufhörte.

Müde war sie.

„Agnes Sampson?“, sagte eine tiefe Stimme und sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der diese kam.

Sie nickte.

„Ausziehen!“, kommandierte er.

Mit gefesselten Händen griff sie nach dem Band, das ihr verdrecktes Unterkleid zusammenhielt und öffnete es.

Es war gerade mal ein paar Tagen her, da war die Gicht in ihren Fingern noch ihre größte Sorge gewesen. Sie musste beinahe schmunzeln bei dieser Erinnerung.

„Ich bin ein altes Weib. Was soll ich mich da vor Euch ausziehen?“

„Ich sag‘ s dir und du hörst auf, zu widersprechen!“

Der Mann hatte begonnen, sich an einem seitlich aufgestellten Tisch zu schaffen zu machen. Es klirrte leise und Agnes ahnte, was er da sortierte.

„Solange meine Hände gefesselt sind, kann ich‘ s nicht ausziehn.“

Wie um ihre gute Absicht zu demonstrieren, schüttelte sie sich. Das Unterkleid rutschte über ihre Schultern und blieb auf Höhe ihrer Ellenbogen hängen. Stattdessen wallte ihr langes, graues Haar nach vorne.

Der Mann wandte sich zu ihr um.

Er hatte ein Messer in der Hand und sie zuckte zusammen.

„Was habt Ihr vor? Wurde ich noch nicht genug gequält, Gevatter?“

Ohne zu antworten, machte er einen Schritt auf sie zu.

Ihr Mund wurde trocken und ein Beben lief durch ihren Leib. Was würde er ihr abschneiden? Finger? Würde er vielleicht einen Arm ...

„Macht ein Ende, gütiger Herr. Ich flehe Euch an!“

Noch immer schweigend trat er hinter sie, und es war ihr in diesem Moment, als müsse sie zusammenbrechen.

Mit einer Faust packte er da ihr Haar und riss ihren Kopf so rabiat nach hinten, dass ihr Genick knackte.

Die Wunden am Gesäß hatten sich entzündet und jede Bewegung löste Fieberschübe in ihr aus.

Und dann begann er zu schneiden. Vor und zurück, vor und zurück, ging das Messer und mit einem lauten Ratschen fiel Strähne um Strähne ihres langen, welligen Haares.

Er achtete nicht darauf, ihren Kopf nicht mit der Klinge zu berühren. Im Gegenteil. Es schien Agnes fast, als lege er es darauf an, ihr tiefe Schnitte zuzufügen.

Blut rann warm an ihrem Hals herab.

Mit Tränen in den Augen blickte sie auf den kleinen Hügel aus Haar zu ihren Füßen.

Ihre Schultern bebten.

„Hör auf zu flennen, böses Weib. Hast doch auch nicht geflennt, als der Satan dich gefickt hat. Und hast auch nicht geflennt, als du dem König ans Leder wolltest.“

War das eine Chance? Jetzt ahnte sie, was man ihr vorwarf. Das konnte sie widerlegen!

„Wie soll ich denn hinter dem König hersein, Master? Ich kenne den König doch gar nicht!“

Er stieß sie mit dem Rücken gegen die Wand und sie keuchte auf von der Wucht des Schlages.

„Du solltest besser gestehen. Sie kriegen es ja doch raus ...“

Mit diesen Worten ging er vor ihr in die Hocke und begann, ihre Scham zu rasieren.

„Guter ... Mann ...“, stammelte Agnes. „Wie könnt ihr mich so erniedrigen, wo ich doch Eure Frau Mutter sein könnte!“

Er blickte kurz mit seinen schwarzen Augen zu ihr empor. Im gleichen Moment schnitt die Klinge tief in ihren Venushügel. Sie schrie auf.

„An meine Mutter darf eine Ausgeburt der Hölle wie du nicht mal denken, geschweige denn von ihr sprechen!“

„Ich bin unschuldig. Wenn Ihr mir doch nur glauben wolltet ...“

„Du bist verloren, Weib.“

Seine Stimme klang müde. Als habe er all das schon viel zu oft gesehen.

„Ich wünschte nur, Ihr würdet von Satan ablassen, und keine guten Menschen mehr mit Euren Flüchen überziehen.“

Wie merkwürdig, dachte sie, dass er meine Fesseln löst ...

An ihren Handgelenken sah sie nun das rohe Fleisch. Gelbliche Eiterblasen, die sich gebildet hatten.

Selbst wenn er sie jetzt und hier hätte gehen lassen – dessen war sie sich nur allzu bewusst – würde sie die nächsten Wochen nicht überleben.

„Nimm die Hände auf den Rücken!“

Zu früh gefreut, schoss es Agnes durch den Kopf, als er sie neuerlich band und diesmal mit eisernen Manschetten, die wiederum mit einem Seil verbunden wurden, dessen Ende über eine Rolle lief und dann an der Wand verknotet war.

Sie wusste, was das bedeutete.

Der Knecht ging nun zu jenem Ende des Seils und zog an ihm.

Im gleichen Moment wurden ihre Arme bis zum Anschlag hochgezogen. Sie wollte gerade in Erwartung des Schmerzes schreien, als er aufhörte und sie in dieser Position fixierte.

„Wir sind bereit“, sagte er so laut, dass Agnes klar war, dass diese Worte nicht an sie gerichtet wurden.

Und so überraschte es sie auch nicht, als plötzlich drei Männer einen hölzernen Verschlag ihr gegenüber betraten.

„Friedensrichter Henry Newell. Beisitzer David Griffin und Schreiber Edward Knollys.“

Wie merkwürdig, dachte sie und fühlte sich an die Puppenbühnen ihrer Kindheit erinnert, die durch die Dörfer zogen und nicht nur die Kinder unterhielten.

Der Friedensrichter war ein vornehmer Herr mit langem, grauem Bart und einem bodenlangen schwarzen Gewand.

Er trug eine dunkle Kappe und seine Nase war schmal und so lang, dass sie beinahe seine Oberlippe berührte. Den Beisitzer konnte sie nicht wirklich erkennen, er blieb im Schatten des Verschlags halb verborgen. Der Schreiber hingegen hatte ein Brett auf dem Schoss, in dessen Seite ein Tintenfass steckte.

Ein Platz war noch frei.

„Sollen wir beginnen?“

Und da wusste sie, dass alles, was sie bis jetzt durchlitten hatte - Hunger, Angst, Erniedrigung, Verletzungen – nur ein Vorspiel gewesen war.

Es hatte so viel mit dem was kommen würde zu tun, wie die Zeichnung einer Sonne mit der wirklichen Sonne.

Und diese Sonne würde sie verbrennen.

Seltsamerweise fühlte sie sich jetzt nicht mehr entblößt, da sie nackt vor diesen Männern hing.

Es konnte nur am geschorenen Haar liegen, denn sie stellte fest, dass sie sich nicht mehr wie sie selbst fühlte.

Die Frau, die hier hing, war nicht Agnes Sampson. Sie war nur noch die Idee von einer Frau.

„Führ er die Instrumente vor!“, bestimmte der Friedensrichter und der Knecht griff nach einem zangenartigen Instrument.

„Das ist der Brustreißer.“ Er öffnete die spitzen, kreisförmig angeordneten Enden. „Er wird an deiner Brust angesetzt und geschlossen. Sodann wird deine Brust damit gequetscht. Wenn du dann noch stur bist, werde ich den Reißer drehen.“

Er legte die Zange beiseite.

„Hier nun ...“, er hielt einen hölzernen Schaft in die Höhe. „...haben wir den spanischen Stiefel. Den lege ich dir an und schließe ihn. Die Dornen in seinem Inneren zerfetzten deine Waden und Schienbeine.“

Agnes hörte nicht mehr wirklich, was er sagte.

„Die Daumenschrauben ... Nun ... Wir legen deine Finger hier hinein und drehen zu. Das hier ...“ Er deutete auf verschiedene Griffe, deren Enden in einem offenen Feuer an der anderen Seite des Raumes lagen. „... sind die glühenden Zangen, mit denen ich dich kneifen werde.“

„Aber ... Ich habe doch nichts getan“, rief sie so laut und mit so fester Stimme, wie sie nur irgend konnte.

„Du bist verstockt?“, fragte der Friedensrichter und schien doch wenig überrascht.

„Nein, Herr. Euer Gnaden. Ich bin nicht verstockt. Ich bin unschuldig. Ich bin keine Hexe.“

Agnes wusste, dass es keinen Sinn hatte. Nicht heute. Nicht für sie. Für niemanden, der in diesem Raum endete.

Sie würden es ihr nicht ersparen. Außer, sie gestand.

„Meine ehrwürdigen Herren – ich gestehe. Ja. Ich bin eine Hexe.“

„Oh. Das hören wir gerne“, erklärte der Friedensrichter und erhob sich. „Dann macht das Protokoll fertig, Schreiber, und legt es mir hernach vor.“

Agnes wusste, dass sie ihr Leben verwirkt hatte.

Sie würde in die Ewigkeit einkehren und Gott wusste, wie es wirklich um sie stand.

Wem wäre da mit weiterem Leid gedient? Gott und sie kannten die Wahrheit in ihrem Herzen.

Gerade aber, da der Knecht an sie herantrat, um die Fesseln zu lösen, kam eine Bewegung in die Düsternis des Verschlags.

„Nicht so eilig, meine Herren!“, sagte eine freundliche, besonnene Stimme.

Agnes und der Knecht sahen sich nach dem Mann um, zu dem die Stimme gehörte.

„Sir?“, sagte der Friedensrichter mit einer gewissen Verblüffung und auch Enttäuschung in der Stimme.

„Was gesteht Ihr denn nun, Mistress Sampson?“

Eine weiße Hand hob sich aus dem Schatten und der Friedensrichter setzte sich wieder.

Agnes hörte auf zu atmen.

„Alles“, stieß sie beim Ausatmen hervor.

„Alles also ... Fein. Dann wären wir, wie soeben ganz richtig festgestellt wurde, an dieser Stelle fertig?“

Jeder im Raum hörte die Frage, die gar keine Frage war.

„Euer Gnaden?“

„Ich bin nicht von Adel“, erläuterte die Stimme in verbindlichem Ton. „Du solltest uns mehr Details nennen.“

„Sir?“

„Wen hast du verhext?“

Der Friedensrichter beugte sich aus dem Verschlag heraus.

„Den König? Hast du den König verhext?“

„Wieso den König?“ Sie war irritiert. Glaubte, den Friedensrichter falsch verstanden zu haben.

„Weil Ihre Majestät, die Königin anlässlich ihrer Eheschließung mit unserem Herrscher versucht hat, aus ihrer Heimat Dänemark hierher zu reisen. Das wurde von ungewöhnlich schweren Stürmen vereitelt. Und als unser aller Herr, Seine Majestät, der König versucht hat, zu seiner Braut zu kommen, wurde er beinahe von den Stürmen getötet ...“

„Hat der König wieder geheiratet?“ Sie versuchte zu verstehen, was der Friedensrichter von ihr wollte. Sie schwebte in Lebensgefahr und durfte keinen Fehler machen, nur weil sie nicht verstand, was man von ihr erwartete.

„Nein. Er ist noch mit seiner ersten Gemahlin verheiratet. Aber Ihr wurdet genannt, als diejenige Hexe, die die Stürme gegen die Majestäten heraufbeschworen hat.“

Die Stimme aus dem Dunkel klang weder böse noch ungeduldig.

Höflich und ruhig sprach er mit ihr.

„Wer sagt das?“

„Geillis Duncan. Sie hat Euch als verantwortliche Hexe benannt. Ward Ihr es?“

Geillis Duncan – wer immer das auch war.

„Ja. Es trifft zu, Sir. Mistress Duncan hat die Wahrheit gesagt. Ich habe die Stürme heraufbeschworen, um den König ...“

Sie sah aus dem Augenwinkel, wie der Knecht seine Finger über die Folterwerkzeuge wandern ließ, als zähle er sie ab.

Was sollte sie nur sagen? Dass sie den König habe töten wollen? Aber wieso hätte sie das denn sollen? Er hatte ihr doch nichts getan.

„Nun?“

Sie brachte es nicht fertig, einen Mordversuch am König zu gestehen. Es war nicht möglich. Sich gegen den König zu versündigen, hieß, sich gegen Gott versündigen.

„Um ihn für mich zu haben!“, erklärte sie so schnell, dass sich die Worte noch in ihrem Mund zu überschlagen schienen.

Der Friedensrichter zog sich abrupt ins Dunkel zurück, als sei ein übelriechender Wind an ihm vorübergezogen.

„Mistress ... Sampson?“, kam es ungläubig aus den Schatten. „Ihr wolltet die Majestät ... für ... Euch?“

Da es nun einmal gesagt war, konnte sie auch weitermachen.

„Ja, Sir. So war es. Ich habe mich in den König verliebt und als ich hörte, dass er vorhabe, sich zu vermählen ... da ... da musste ich eingreifen. Und ich wusste mir nicht anders zu helfen.“

Stille.

Absolute Stille. Kein Nachfragen. Keine Forderung nach Einzelheiten.

Agnes biss auf ihre Unterlippe und begann zu beten, dass man ihr dies abnahm und einen schmerzlosen Tod zubilligte.

Nur das Eine wollte sie noch. Im Beisein eines Geistlichen schnell in die Ewigkeit eingehen. Und von allen möglichen Lügen war dies noch die einfachste.

„Und wie hättet Ihr die Majestät für Euch gewinnen wollen? Also ... nachdem die Eheschließung mit der Prinzessin gescheitert wäre ...“

„Durch Magie natürlich.“

„Ah ja“, kam es verhalten.

„Dazu braucht man machtvolle Zauber, nicht wahr? Um einen solch christlichen König zu verhexen ...“

„Gewiss.“

Er glaubte ihr. Das war alles, was zählte.

„Und Ihr beherrscht solche mächtigen Zauber?“

„Jawohl, Euer Gnaden.“

Nun mischte sich der Friedensrichter ein.

„Duncan sagte aus, es hätten sich mehrere Hexen zusammengefunden, um diesen Zauber zu wirken ... Sie hat doch nicht gelogen, oder?“

„Welchen Zauber habt Ihr benutzt, um König James zu verhexen? Wiederholt ihn! Hier und jetzt!“

Der Friedensrichter flog förmlich herum und starrte wohl den Mann im Dunkel an.

„Um Gottes Willen, nein! Ihr könnt ihr doch nicht allen Ernstes befehlen, den Zauber zu wiederholen!“

Offene Panik sprach aus den Worten des bislang so gefassten Mannes.

„Nicht den ganzen Zauber, Nowell. Ich will nur die Worte hören.“

„Seid Ihr des Wahns? Wenn der Zauber einmal gewirkt hat, so wird er es wieder tun. Und stellt Euch vor, der Majestät geschieht ein Unglück – das wäret nicht zuletzt Ihr daran schuld!“

„Ganz mit der Ruhe. Nowell. Nur die Worte. Von mir aus muss sie nicht alles sagen.“

Lange weiße Finger kamen aus dem Schatten und machten eine lockende Bewegung.

„Dann eben nur die ersten Worte. Sagt sie uns! Wir wollen sie hören. Hier und jetzt!“

Alles in ihrem Kopf wirbelte durcheinander.

Ihr war schwindelig.

Angst und Hunger raubten ihr die Konzentration.

„Nun ja ... da besteht natürlich eine gewisse Gefahr. Ich bin keine so begabte Hexe ...“

Tatsächlich hatte sie nicht die entfernteste Ahnung von solchen Zaubersprüchen.

Und die wenigen, die sie kannte, wirbelten jetzt durch ihren Kopf.

Sie versuchte verzweifelt, nach ihnen zu greifen, doch es gelang ihr nicht.

„Ich kann nicht, Sirs. Ich kann nicht. Um Vergebung, aber ich ...“

„Du kannst nicht, oder du willst nicht?“, sagte die körperlose Stimme ruhig.

Sie hatte es nicht bemerkt, doch der Mann musste dem Knecht ein Zeichen gegeben haben.

Dieser griff zu einem Seil.

Vielleicht würde er sie hängen. Ohne Urteil? Wer konnte das wissen?

Der Knecht trat hinter sie und umwickelte ihren Kopf mehrmals mit dem Seil. Was auch immer jetzt geschehen würde, es hatte nichts mit Erhängen zu tun.

Ihr Atem ging so schnell, dass sie glaubte, ersticken zu müssen.

Ihre Brust hob und senkte sich hektisch.

Und dann zog der Foltermeister das Seil an. Es presste ihren Kopf zusammen.

Agnes versuchte, zu sprechen. Ihn zum Einhalten zu bewegen, doch ihr Kopf brannte und mit jedem Atemzug wurde die Qual unerträglicher. Sie hörte ein Krachen durch ihren Schädel dröhnen.

Ihre Augäpfel wurden nach innen gepresst. Und jemand schrie. Gellend.

Urplötzlich endete die Qual.

„Sag die Worte!“, mahnte die Stimme.

„Stabat Ihesus“, keuchte Agnes und die Worte strömten nur so aus ihr heraus.

„... contra flummen Jordanis et posuit ...“Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte es nicht abstellen können. Als habe ihr Körper die Kraft, die er zum Ertragen des Schmerzes genutzt hatte, nun für die Worte freigegeben. „... pedem suum et dixit: Sancta aqua per deum te coniuro. Longinus miles latus Domini nostri.“

„Halt!“, rief es gebieterisch.

Sie sah aus den Augenwinkeln, dass sich der Friedensrichter bekreuzigte.

„Was willst du uns weismachen? Was du hier widergibst, ist ein Zauber, der dem Blutfluss dienlich sein soll. Damit kann man die Elemente gar nicht beeinflussen.“

Das Seil wurde abermals angezogen, doch diesmal schien der Foltermeister dort anzufangen, wo er zuvor aufgehört hatte.

Sie schrie, bis ihre Kehle zu bersten drohte.

Sie spürte Blut in ihrem Mund.

Herr im Himmel, süßer Herr Jesus ... Nimm mich zu dir. Hier und jetzt. Ich ertrage diese Qualen nicht.

„Mistress Sampson – ich kann Euch nur ermahnen, nichts für Euch zu behalten! Bedenkt, was für Euch auf dem Spiel steht! Die ewige Verdammnis ...“

Bilder von funkensprühenden Leibern im Fegefeuer erstanden vor ihrem inneren Auge. Sie roch den Gestank brennenden Menschenfleisches und hörte die Schreie der Gequälten. Nichts würde sie aus diesem Terror befreien. Gott hatte ihrer vergessen. Oder – hatte beschlossen, ihrer zu vergessen, wenn sie erst mal dort war.

Aber was sollte sie denn gestehen? Wo sie doch nichts wusste ...

Der Folterknecht zog das Seil abermals an, doch diesmal bohrten sich ihre Augäpfel förmlich in den Schädel. Sie hörte ihren eigenen Kiefer krachen. Oder kam das Geräusch von den Schläfen?

Agnes Sampson versuchte, zu schreien, doch ihre Ohren hörten nicht mehr. Alles versank in einem dunkelroten und schwarzen Grauen. Fieberhaft betete sie zu ihrem Gott, dass er ihrer gedenken möge.

Und dann war Stille. Kein Knirschen und Knacken mehr. Das Rot löste sich auf und das Schwarz zog sich zurück.

Sie blinzelte, bis das Blut so weit verschwunden war, dass sie den Verschlag wieder erkennen konnte.

„Ich flehe Euch an, Ihr Herren – zeigt Gnade!“, murmelte sie mit geschwollener Zunge, die blutig aus ihrem Mund quoll.

Wobei die alte Frau sich nicht sicher war, ob wirklich sie sprach oder, ob ihre Stimme nur in ihrem Kopf existierte.

Sie wusste nur, dass sie dem Boden jetzt näher war als zuvor und als sie sich zwang, den Schmerzen nachzuspüren, wurde ihr klar, dass ihre Arme ausgekugelt waren. Deswegen berührte sie nun den Boden fast wieder.

Süßer Herr Jesus, murmelte es in ihrem Kopf. Nimm mich zu dir. Heilige Mutter Maria, gedenke der Leiden deines Sohnes und zeige Erbarmen mit mir.

Doch statt der liebenden Stimme der Jungfrau hörte sie die Stimme ohne Körper aus dem Dunkel.

„Wer ist dein Schutzgeist?“

Die Stimme klang wie die eines Lehrers, der sich selbst auf seine unendliche Geduld besinnt, die er bei einem tumben Schüler benötigte.

„Ein ... ein Hund.“

Das war in der Tat ihre Stimme. Der Friedensrichter nickte zufrieden. Der erste Schritt schien in seinen Augen getan.

„Wie hieß der Hund?“, kam es nach einer kurzen Pause aus dem Dunkel.

„Elva. Er hieß Elva!“

Es war ihr wieder eingefallen, wie ihr Hund geheißen hatte. Das musste der Satan gewesen sein. Warum hatte sie das nie begriffen? Warum hatte sie ihn nicht selbst in Elva erkannt? Dann hätte sie sich doch von ihm fernhalten können ...

Zu spät.

„Hatte Satan den Körper des Hundes angenommen?“

„Ja!“ Sie schrie es beinahe hinaus. Sie würden ihr einen schnellen Tod gewähren. Sie würde ihnen alles sagen, was sie wusste. Wenn sie nur nicht in die ewige Verdammnis eingehen musste.

„Ich will ja helfen, Ihr Herren. Will doch nicht meine Seele verlieren ...“

„Das glauben wir Euch, Mistress Agnes.“

Wie sanft seine Stimme klang.

„Wie habt Ihr die Elemente unter Eure Kontrolle gebracht?“

Das war es.

Irgendwo in der Düsternis aus Stimmen und Qualen hatte sie gelauert. Die Frage, auf die sie keine Antwort wusste.

Hatte sie jemals von irgendwem gehört, wie man es anstellte, Stürme heraufzubeschwören? Ihr Schicksal hing nun an dieser Frage.

„Gewährt mir einen Moment, Eure Gnaden. Ich muss ... überlegen ...“

Mistress Purdy hatte ihr vor Jahren erzählt, sie könne Blitze herbeirufen. Aber als sie es hatte demonstrieren wollen, war ihr Schutzgeist nicht zu finden gewesen.

Und Blitze waren keine Stürme.

Aber vielleicht war irgendwo in ihrer Erinnerung der Spruch vergraben, den Mistress Purdy hatte benutzen wollen ...

Fieberhaft grübelte sie. Vocare? Blitz ... vielleicht wenn ihr wieder einfiel, welcher Begriff zu Blitz gehörte ...

Nein. Nichts.

Warum hatte sie damals keinen verdammten Sturm heraufbeschwören wollen? Jetzt würde dies ihre Qualen beenden.

Sitte ge, sīgewīf ... Nein. Das war der Spruch, um Bienenschwärme zu schützen.

Es fiel ihr nichts ein.

Sie war verdammt.

„Ich ... Ich habe ein totes Kind ausgegraben.“

Das war es. Wenn ihr kein Spruch einfallen wollte, würde sie es so schaffen, die Männer zu überzeugen.

„Wo und wann habt Ihr dies getan?“

Wenn die körperlose Stimme jetzt so ruhig klang, dann nur, weil er seine Kräfte sammelte, um ihr umso größeres Leid zuzufügen.

„Es war in ...“

Der Folterknecht zog an dem Seil und mit einem Schrei wurde Agnes in die Höhe gerissen.

„Nun?“

„Ich erinnere mich nicht. Es war dunkel und ich war alleine unterwegs und ich kam an dem Friedhof vorbei und ich sah das frische Grab und ich grub den Sarg mit meinen eigenen, bloßen Händen aus und ich nahm das Kind und trug es unter meiner Schürze bis ich wieder zu Hause war und dort kochte und briet ich es und aß es auf gemeinsam mit Elva, und während wir aßen, rief ich die Stürme an.“

Der Friedensrichter nickte knapp, woraufhin der Folterknecht das Seil lockerließ und Agnes so zu Boden stürzte. Sie hörte Knochen knacken und eine neue Woge der Qual schwappte über sie hinweg.

„Das sollte genügen. Was meint Ihr?“

„Macht weiter. Erst wenn sie bereit ist, die wirkliche Formel wiederzugeben, macht Schluss. Und Namen – wir brauchen Namen! Dies ist ein monströses Bild, zerfetzt von Satanas persönlich. Es ist unsere Aufgabe, es so lange zusammenzusetzen, bis es einen Sinn ergibt und wir anfangen können, die Seelen zu retten. Und Ihr ... Master Sekretär ... Ich will, dass Ihr minutiös alles aufschreibt, was sie sagt.

---ENDE DER LESEPROBE---