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London 1876 Der Anwalt Charles Bravo stirbt einen schrecklichen Tod durch Antimonvergiftung. Schnell wird klar, dass der Täter aus seinem eigenen Haus, der Priory, kommen muss. Selbst Jane Cox, die Hausdame, gerät unter Verdacht. Was aber verbirgt die ebenso attraktive wie vermögende Witwe Florence Bravo, die bald in die Schusslinie der Zeitungen gerät? Man beginnt zu graben – und je mehr man findet, desto tiefer gerät Florence in einen Strudel aus Verdächtigungen und Schande. Der neue Roman von Petra von Straks basiert auf der wahren Geschichte der Florence Bravo. Minutiös recherchiert, präsentiert er nicht nur den seither ungelösten Mord, sondern das Leben einer ungewöhnlichen Frau, die den höchsten Preis für ihre Haltung zahlte.
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Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Die Personen
PROLOG
Hockham Hall - Spätsommer 1868
Gatcombe Park – Winter 1868
Gatcombe Park – Dezember 1869
Buscot Park - Dezember 1869
Buscot Park – April 1870
Buscot Park – Mitte April 1870
Holyrood House, Malvern – Mai 1870
Orwell Lodge/ Malvern - Juni 1870
Buscot Park – April 1871
Malvern - April 1871
Baden-Baden – Sommer 1871
The Priory, Balham, London – Sommer 1871
Broadstairs – Juli 1872
Balham / London – Spätsommer 1871
The Priory – Spätsommer 1871
Bad Kissingen - Frühling 1873
The Priory – Sommer 1873
Balham – Sommer 1875
Brighton – Oktober 1875
The Priory – November 1875
London – Dezember 1875
Buscot – Februar 1876
The Priory – Februar 1876
The Priory – März 1876
Bahnhof Balham – Frühling 1876
The Priory – April 1876
The Priory – Kurz vor Ostern 1876
The Priory – 18. April 1876
Brighton – Mai 1876
The Priory - Juni 1876
Bedford Hotel/ Balham – Juli 1876
Epilog:
Ein Wort an meine LeserInnen ...
Bildteil
Mord in der Priory
Das Geheimnis der Florence Bravo
Von Petra von Straks
IMPRESSUM
Petra von Straks
Lessingstraße 17
67317 Altleiningen
Covergestaltung: Michael Troy, MT-DESIGN
Bildnachweis:
©setory, www.123RF.com
©cheschhh, www.123RF.com
©bangkokhappiness, www.123RF.com
Independently published
© 2023 Petra von Straks
Druckerei:
Amazon Media EU S.à r.l.,
5 Rue Plaetis, L-2338, Luxembourg
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
ISBN: 979-8-375391-36-6
Kein Autor ist eine Insel.
Mein Dank gilt deswegen meinen Kindern Cosima Katharina und Erik- Nicolai, sowie meinem Mann Thorsten, die mich immer unterstützen und meine Besessenheit mit Liebe, Verständnis (und manchmal Kopfschütteln) begleiten.
Wir stehen auf den Schultern von Riesen.
Deswegen gilt mein weiterer Dank Professor Robert („Bob“) Flanagan, der mich in der Gluthitze eines englischen Sommertages über den West Norwood Cemetery begleitet hat und mich zu dem Grab von Charles Bravo führte.
Er hat sich Stunden Zeit genommen und mich an seinem unglaublichen Wissensschatz teilhaben lassen.
Ich möchte deswegen auch die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, die mühevolle und gleichzeitig wunderbare Leistung der Friends of the West Norwood Cemetery hervorzuheben, deren Vorsitzender er ist.
Wer mal auf deren Seite schauen möchte: https://www.fownc.org
Mein weiterer Dank gilt Dr. Katherine D. Watson und Nicholas Reed, zwei herausragenden Sachbuchautoren und Wissenschaftlern, für ihre Freundlichkeit und Gesprächsbereitschaft.
Die Familie & Co.
Florence Bravo, geb. Campbell – Ehefrau und Verdächtige
Charles Delauney Bravo – Rechtsanwalt, Ehemann und Opfer
Robert Tertius Campbell – Unternehmer, Vater von Florence
Ann Campbell – Mutter von Florence
William Campbell – Bruder von Florence
James Orr – Onkel von Florence
Alexander Lewis Ricardo – 1. Ehemann von Florence, Offizier
Jane Cannon Cox – Gesellschaftsdame von Florence
Joseph Bravo – Unternehmer, Stiefvater von Charles Bravo
Mary Hougham Bravo – Mutter von Charles Bravo
Hutchinson Royes Bell – Arzt, Cousin und Freund von Charles Bravo
Alice Turner – Charles Bravos Schwester
George Henry Brookes – Anwalt und Freund von Florence Bravo
Henry Smith – Arzt und Verwandter von Charles
Dr. James Manby Gully – Arzt, Leiter der Wasser-Klinik in Malvern
Die Ärzte
George Harrison – Arzt in Streatham
Joseph Moore – Arzt aus Balham
George Johnson – Arzt am King’s College Hospital
Sir William Gull – Leibarzt von Königin Victoria
William Carter – Gerichtsmediziner
Theophilus Redwood – Professor für Chemie
Die Dienerschaft
Charles Field – Diener Alexander Ricardo
Frederick Mark Rowe – Butler in der Priory
Mary Ann Keeber – Dienstmädchen in der Priory
George Griffith – Kutscher
Die Anwälte
John Reid – Anwalt, Freund von Charles Bravo
Sir John Holker – Kronanwalt
Sir Henry James – Anwalt Florence Bravo
John Biron – Anwalt Florence Bravo
John Patrick Murphy – Anwalt Jane Cannon Cox
R. M. Bray – Anwalt Jane Cannon Cox
George Lewis – Anwalt Joseph Bravo
Die letzte Schaufel Erde war gerade über dem kleinen Hügel umgedreht worden, als die vier Männer bereits den Sarg über das Loch hoben, um ihm sodann langsam herabzulassen.
Es musste kurz vor fünf sein, denn gerade hatten die Vögel begonnen zu zwitschern.
Der Wind rauschte im dichten Laub der umstehenden Bäume und der Umriss der St. Mary’ s Church erhob sich undeutlich am Horizont.
Ende September. Es würde nicht mehr lange dauern, und das Grün würde sich verlieren. Das Zwitschern würde enden.
Die kleine Frau in dem schwarzen Umhang – sie hielt ihn mit zwei Fingern zusammen und versuchte gleichzeitig, die Hände im Gebet zu verschränken – blickte in den dunklen Abgrund, der den Sarg aufgenommen hatte. Man konnte bereits riechen, dass der Herbst nahte. Im kühlen Nachtwind verlor sich der sanfte Duft von Astern und den letzten Rosen.
Sie sprach ein leises Vaterunser, währenddessen die Arbeiter – die Mützen in Händen, die Köpfe gesenkt – schweigend mitbeteten.
Als die Frau, deren Gesicht selbst ohne den Schleier nicht zu erkennen gewesen wäre, in dieser nur von Fackeln erhellten Nacht, geendet hatte, hoben sie fast gleichzeitig die Köpfe, setzten ihre Mützen auf und begannen, die Erde in das Loch zurück zu schaufeln.
Einer von ihnen stand schon mit der ersten Grassode bereit, um diese sorgsam auf das frische Grab zu legen.
Sie würden sich in ein paar Wochen wieder darum kümmern, wenn sich das Grab gesenkt hatte.
Wie in stummem Gruß nickte die kleine Frau noch einmal in Richtung des Grabes, wobei nicht klar war, ob diese Geste nicht vielleicht auch den Arbeitern gelten mochte.
Dann wandte sie sich ab und bewegte sich wie schwebend in Richtung der Kirchhofpforte mit dem kleinen Dach.
Der Himmel riss in der Ferne auf und das tiefe Anthrazit machte an jener Stelle einem matten Blau Platz.
Als sie sich dem Tor näherte, traten drei kleine Gestalten unter dem hölzernen Bogen hervor.
Die kleine Frau hob eine Reisetasche an, auf die die drei Buben scheinbar aufgepasst hatten, und verließ sodann den Friedhof.
Jeder der Jungen hatte seinerseits eine Tasche oder einen kleinen Koffer.
„Es ist vorbei“, sagte sie verhalten, als wollte sie keinerlei Aufmerksamkeit mit ihren Worten erregen.
Die Jungen antworteten nicht, sondern gingen schweigend neben ihr her in Richtung der Dorfstraße von Faringdon.
Als sie das Knirschen vom Kies vor dem Haus gehört hatte, wollte Florence ihrem ersten Impuls folgen und hinausrennen.
Es kam so selten Besuch. Noch dazu unangemeldeter...
Im letzten Moment überlegte sie es sich jedoch anders. Immerhin war sie kein Wildfang mehr, sondern eine Hausherrin. Und als solche schickte es sich nicht, nach draußen zu rennen und zu starren.
Sie blieb also im Gelben Salon und presste ihr Gesicht gegen das kühle Glas des Fensters, in der Hoffnung, einen Blick auf den Besucher zu erhaschen.
Doch das Einzige, was sie sehen konnte, war die Schnauze eines der Kutschpferde.
So blieb ihr also nichts übrig, als sich wieder aufzurichten, den Rücken durchzudrücken und eine würdevolle Miene aufzusetzen, bevor der Butler käme und sie in das Empfangszimmer geleiten würde, wo der Gast dann bereits warten würde.
Als die hohe Türe geöffnet wurde, strich sie ihren Rock glatt und sah Fredericks ein klein wenig hochmütig entgegen.
„Mr. Campbell für Sie, Madam“, sagte er in passend hochnäsigem Ton.
„Ich erwarte keinen Mr. Campbell“, erwiderte sie und war für einen Moment entmutigt. Ein Geschäftsfreund von Alexander ... Die einzige Unterhaltung, die sie mit diesem führen würde, geschähe, um die Wartezeit bis zur Rückkehr ihres Mannes vom Ausritt zu überbrücken.
Sie schnaubte leise und überlegte, mit welchen Themen man einen solchen Mann unterhalten konnte ...
„Ihr Vater ... Mr. Robert Campbell, Madam“, erklärte der Butler, als habe er ein törichtes Kind vor sich.
„Mein Vater?“
Augenblicklich setzte sie sich in Bewegung.
„Papa!“, rief sie, noch bevor sie das Empfangszimmer erreicht hatte und streckte dabei die Arme aus.
Groß und stattlich stand er mitten im Raum. Hatte sie wirklich vergessen, wie gut ihr Vater in den maßgeschneiderten Anzügen aus der Savile Row aussah?
Sein dicker Backenbart schien grauer geworden zu sein, doch das gab ihm etwas Distinguiertes, das ihm mindestens genauso gut stand wie sein Anzug.
„Mein Herz!“, rief er aus und schloss sie fest in seine Arme. „Wie geht es dir?“ Mit diesen Worten schob er sie ein wenig von sich weg und begutachtete sie eingehend.
„Gut ... Ja. Die Ehe bekommt dir. Wo ist dein Mann?“
„Er reitet aus ... Dein erster Besuch Hockham Hall – Da muss ich dich doch ein wenig herumführen. Ja?“
Energisch hakte sie sich bei ihm unter und zog ihn in die Eingangshalle, durch die er gekommen war.
Sie erläuterte die Blumenarrangements und, dass sie die Gobelins aus Frankreich hatten.
Bei einer Vase, die ihm bis zur Hüfte reichte, blieb er stehen. Er zog den Kopf ein wenig zurück, dann legte er ihn schräg.
„Meißen“, erklärte er kategorisch, als habe es daran einen Zweifel gegeben.
„Ja! Sie ist wunderbar, nicht wahr?“
Es ließ ihr Herz hüpfen, dass sie ihren Vater offensichtlich zu beeindrucken vermochte.
„Und dazu war es eine Okkasion!“ Sie spürte die aufgeregte Hitze in ihren Wangen als er nachdenklich nickte.
„Selbst als Okkasion dürfte sie noch ein Vermögen gekostet haben.“
Florence wusste nicht, ob seine Anmerkung kritisch gemeint und beschloss, sie für Wertschätzung zu halten.
„Oh, Papa ... Alexander versteht so viel von diesen Dingen. Ich kann nur nebenherlaufen und nicken. Du wirst Augen machen, wenn du erst das Kaffeeservice siehst, das vorletzte Woche geliefert wurde!“
„Ja – es wimmelt hier nur so von ... Okkasionen ...“
Jetzt schmunzelte er.
„Das klingt, als hätten wir dich ohne einen Teller in diese Ehe entlassen ...“
„Zumindest keine Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur- Teller!“
Es war ein echter Zungenbrecher, doch sie fand, sie habe ihn mehr als gut gemeistert.
„Nun, offensichtlich versteht dein Mann zu leben.“
Jetzt war die Kritik nicht mehr zu überhören.
„Aber er verdient ja auch gut. Bei dir ...“
Wie sollte sie aus diesem Dilemma herauskommen? Etwas stimmte nicht. Deswegen auch dieser merkwürdig suchende Blick ihres Vaters.
Und mit jedem Satz, den sie sagte, bohrte sich die Schraube tiefer.
„Wo ist Alexander denn hingeritten?“
„Nirgendwo Bestimmtes. Er reitet einfach umher ...“
Offensichtlich entzog es sich dem Verständnis ihres Vaters, dass man mitten am Tag einfach so umherritt.
„Alleine?“
„Ich denke schon.“
„Weißt du es nicht?“
„Doch. Ja. Er ist alleine.“
„Habt ihr nicht viele Gäste?“
Florence fühlte sich so unwohl wie nur irgend möglich. Sie wurde das Gefühl nicht los, ausgehorcht zu werden.
Unsicher fuhr sie mit einer Hand über die weißen Lilien auf dem Kaminsims, wodurch sie die Staubgefäße berührte und das penetrante gelbe Pulver abgestreift wurde. Es blieb an ihrem Ärmel haften.
„Verflixt“, knurrte sie. „Wir erwarten morgen Freunde von Alexander ... Von den Grenadier Guards.“
Energisch rieb sie an ihrem Ärmel, wodurch die gelbe Farbe noch tiefer ins Gewebe getrieben wurde.
Mit starrem Blick nickte ihr Vater langsam.
„Warum hast du Mama nicht mitgebracht?“ Welch glückliche Fügung, dass ihr dieser wunderbare Themenwechsel gelungen war!
„Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier“, erwiderte ihr Vater knapp und Florence begriff, dass ihr keineswegs ein Themenwechsel gelungen war.
„Wollen wir eine Tasse Tee nehmen, während wir auf Alexander warten?“
„Aber nur, wenn ich das Königlich Preußische Porzellan bekomme!“
Er lächelte. Wenigstens etwas.
Tief Luft holend ging sie zum Klingelzug und informierte den Butler.
„Wo möchtest du den Tee nehmen?“, fragte sie ihn höflich, doch er blickte sie überrascht an. Ein Fauxpas. Als Hausherrin bestimmte man selbst, wo der Tee genommen werden sollte.
„Ich denke, wir gehen in den Gelben Salon. Von dort hat man so einen wunderbaren Blick über die Wiesen ...“, fügte sie schnell an.
Seine Lippen hatten einen etwas angestrengten Zug angenommen, doch sobald sie den Salon betreten hatten, entspannte er sich offensichtlich.
„Wenn du dich dorthin setzen magst ... Aus dem Fenster kann man fast bis Minchinhampton schauen.“
Ergeben blickte ihr Vater aus den bodentiefen Fenstern.
„Wie geht es William?“
„Gut. Danke der Nachfrage.“
„Fein.“
Sie nickte langsam und grübelte, nach wem sie sich noch erkundigen konnte.
„Onkel James?“
„Oh, ja. Soweit ich weiß, geht es ihm auch gut. Er hat erzählt, dass er vor Kurzem ein Porträt hat anfertigen lassen.“
Begeistert über die Vorlage beugte Florence sich in Richtung ihres Vaters.
„Und wie ist es geworden?“
Er löste seine Blicke von der Landschaft.
„Das kann ich dir nicht sagen. Er scheint jedenfalls zufrieden.“
„Ah. Fein.“
Als der Tee kam, atmete sie auf.
Sie dankte dem Butler und erklärte, dass sie selbst den Tee einschenken werde.
„Warum sprichst du eigentlich nicht direkt mit Alexander in der Firma?“
Seine Brauen wanderten in Richtung seines sehr hohen Haaransatzes.
„Das ist der Grund, warum ich hergekommen bin.“
Nicht wegen mir, dachte sie und empfand einen leichten Schmerz bei der Erkenntnis, dass sie das nicht überraschte.
„Was ist passiert?“
„Würdest du mir wohl etwas Tee einschenken?“
Er lächelte sie über den Tisch hinweg an.
„Es wäre angenehm, wenn ich nicht mehr so sehr lange auf deinen Mann warten müsste. Wann erwartest du ihn denn zurück?“
„Eigentlich wollte er gegen fünf wieder da sein. Dann badet er für Gewöhnlich und macht sich für das Abendessen zurecht.“
Scheinbar entspannt hob ihr Vater ein Bein über das andere, doch seine Finger, die begannen, auf der Sofalehne eine rhytmuslose Melodie zu trommeln, straften die Pose Lügen.
Nach einer Weile des Schweigens zog er seine Uhr aus der Westentasche, ließ den Deckel aufspringen und studierte da Ziffernblatt. Dann schnappte er den Deckel wieder zu und schob sie zurück.
„Er sollte langsam auftauchen, wie?“
„Gewiss.“ Mehr fiel ihr nicht ein.
Die Zeit zog sich wie Hefeteig und die Anspannung wuchs dermaßen, dass Florence, als sie das Wiehern des Pferdes hörte, von ihrem Sitz aufsprang.
„Das ist er.“
„Wo kann ich ihn unter vier Augen sprechen?“
Hatte sie noch kurz zuvor gedacht, ihr Vater könnte sie nicht mehr überraschen, wusste sie nun, dass sie sich geirrt hatte.
Schnell überlegte sie.
„In der Bibliothek. Dort brennt ein Feuer.“
„Papa?“ Die Türe ging auf und Alexander trat ein. Sie fragte sich, ob das hochrote Gesicht vom anstrengenden Ritt, oder vom unwillkommenen Besucher herrührte, denn dass er sich nicht über den Anblick des Schwiegervaters freute, war nur all zu offensichtlich.
„Wie schön dich zu sehen!“
„Florence empfahl die Bibliothek“, sagte ihr Vater kurz angebunden. „Wenn du vorausgehen willst ...“
Das Blut verschwand aus Alexanders Wangen und machte wächserner Bleiche Platz.
Die beiden Männer verschwanden.
So schnell sie konnte, raffte Florence ihre Röcke und eilte in den kleinen angrenzenden Dienerraum, von dem eine schmale Wendeltreppe hinauf zur Empore der Bibliothek führte.
So schmal war die Treppe, dass ihre Röcke nach hinten gedrückt, und sie mit jedem Schritt gebremst wurde.
Energisch presste sie die Stoffmassen beiseite und schob sich Stufe um Stufe nach oben.
Endlich hatte sie die Empore erreicht.
Zwischen den Bücherregalen schlich sie langsam in Richtung der Balustrade, von der aus man nach unten sehen konnte.
Wenn man es denn wollte.
Florence zog es vor, sich zu verstecken und zu lauschen ...
„Um was geht es, Vater?“
Alexander klang so ernsthaft, als stünde er vor seinem vorgesetzten Offizier.
„Wir vermissen dich im Kontor.“
Stille.
„Ja?“
„Ja.“
Florence atmete so flach als möglich. Man durfte sie auf keinen Fall bemerken.
„Mir war nicht wohl.“
„Wohl genug, um in den Club zu gehen.“
Diese Stimmlage kannte sie nur allzu gut.
„Man hat Verpflichtungen ...“
„Verpflichtungen?“
Ihr Vater brüllte das Wort so überraschend, dass Florence zusammenzuckte.
„Ja – das hat man gesehen, was der Herr Schwiegersohn für Verpflichtungen hat. Grundgütiger. Ganz London spricht davon. Sie entblöden sich nicht, in einem der ersten Clubs des Königreichs ... einem Club, in dem die hervorragendsten Kaufleute ... der Adel ... Wissenschaftler ... zusammenkommen ... Sie entblöden sich nicht, dort zu erklären, dass Kaufleute doch zuallererst Diebe und Lumpen seien?!“
Ein lautes Krachen folgte. Offensichtlich hatte ihr Vater mit der flachen Hand auf den Tisch oder gegen eines der Regale geschlagen.
„Ein Scherz ... Sie können doch nicht etwa annehmen, dass ich dies ...“
„Zum Teufel! Ricardo! Was denken Sie sich? Es ist mir seit Jahrzehnten oberste Verpflichtung, für mich und mein Unternehmen einen ta - del – lo – sen Ruf zu sichern. Nicht das winzigste Stäubchen darf sich an meine Weste heften. Mit diesem Ruf steht und fällt ein Kaufmannshaus! Und was machen Sie? Sie stampfen los und erklären, dass jeder Kaufmann ein Dieb sei ...“
„Ich hatte getrunken.“
„Morgens um zehn? Mann!“
„Ja“, murmelte Alexander kleinlaut. Wobei Florence nur allzu gut wusste, dass zehn Uhr sogar vergleichsweise spät für ihn war. Irgendwo auf der Welt ist immer Mittag, pflegte ihr Mann lachend zu erklären.
Jetzt lachte er allerdings nicht.
„Dieses Verhalten ... dieses Gerede – absolut inakzeptabel.“
„Kein Mensch denkt, dass ich damit Sie oder Ihre Firma gemeint haben könnte ...“
„Nein? Grundgütiger – sind Sie wirklich so naiv? Wissen Sie, wie viele Konkurrenten da draußen nur auf solch eine Gelegenheit warten, um mit Dreck nach mir zu werfen? Alles nach dem Motto: es wird schon was hängenbleiben ...“
„Es tut mir leid. Ich will es wieder gutmachen. Was kann ich tun?“
Seine Stimme klang so weich und sanft wie die eines Kindes.
„Nichts können Sie tun, mein Herr. Nichts!“
„Was heißt das?“
„Das heißt, dass Sie meine Firma nicht mehr betreten werden. Verdienen Sie ihr Geld, wo Sie wollen, aber nicht bei mir.“
Abermals Stille. Doch diesmal war sie so schwer wie ein Felsblock.
„Aber ...“ Alexander schien nach Worten zu suchen. Wusste nicht, was er erwidern sollte.
„Ihr Aber interessiert mich nicht, mein Herr. Ich muss jetzt zusehen, wie ich diesen Fleck getilgt bekomme.“
„Nun – ich muss doch Geld verdienen ...“
„Das hat Sie doch bislang auch nicht interessiert.“
Florence drückte sich gegen eine Bücherwand, als sie energische Schritte auf dem Parkett hörte. Die Türe wurde geöffnet und sodann zugeschlagen.
Es folgte leises Klirren. Sie wusste, was diese Geräusche bedeuteten: Alexander genehmigte sich einen Drink auf den Schrecken.
So schnell sie versucht hatte, nach oben zu kommen, so schnell eilte sie jetzt wieder hinunter.
Sie erwischte ihren Vater in der Vorhalle, wo er sich gerade vom Butler in den Mantel helfen ließ.
„Liebes ...“
„Du gehst schon?“
Er räusperte sich kurz, wenn sicher auch nicht aus Verlegenheit.
„Ja, man erwartet mich in London.“
Campbell ruckte mit seinen Schultern, sodass der Mantel ein wenig nach vorne rutschte. Dann griff er nach seinem Gehstock, der ihm von einem der Diener hingehalten wurde.
„Ich dachte, du würdest noch mit uns dinieren ...“
„Leider. Ich muss verzichten. Es ist spät geworden.“
Florence heftete sich auf dem Weg zur Tür an seine Fersen.
„Papa ... Es gab doch keine Unstimmigkeiten zwischen dir und Alexander?“
Nun blieb er stehen und sie war sich nicht sicher, ob es geschah, weil er sie direkt ansehen wollte, oder schlicht, weil er darauf wartete, dass der Butler öffnete.
Wie auch immer – er blieb stehen und wandte sich ihr zu.
„Es ist nichts, was dich auch nur im Geringsten besorgen müsste. Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit.“
Seine Stimme war ebenso fest wie sein Blick und Florence wünschte sich über alle Maßen, dass sie ihm glauben könnte. Doch was sie gehört hatte, sprach eine andere Sprache.
Die kühle Abendluft wehte herein, als der Butler die Türe öffnete.
Sie standen einen Augenblick und schauten hinaus. Über den Vorplatz mit seinen Blumenrabatten bis zu den ersten Bäumen des namenlosen Wäldchens zu dessen rechter Seite das Dorf lag.
Der Kopf ihres Vaters wanderte nach links, wo einer der Knechte mit zwei wunderschönen Pferden an seinen Seiten vorüberging.
„Eine Okkasion?“ Es lag keinerlei Zynismus in seiner Stimme.
„Nun ja ... Alexander möchte sich der Zucht widmen.“
Abrupt hielt ihr Vater inne und starrte auf sie herab.
„Er möchte – was?“
„Pferde züchten. Er hat die beiden vor ein paar Wochen gekauft und will jetzt züchten.“
„Alexander kennt sich damit aus? Ich wusste nicht, dass ...“
„Nun ja – er beginnt ja gerade erst.“
„Hat er schon einen Investor?“
Wie sehr sie in diesem Moment hoffte, dass der Vater sich selbst als interessierte Partei anbieten wollte ...
Sie legte alles in diese Frage hinein: keine dumpfe Ablehnung, sondern Interesse seinerseits. Die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg. Anerkennung, nicht zuletzt durch den wirtschaftlich stets erfolgreichen Robert Tertius Campbell.
„Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht solltest du mit ihm sprechen.“
Den Rücken plötzlich straffend und den Stock energisch in den Kies rammend, erklärte er
„Nein. Ich denke nicht.“
Nachdem die Kutsche außer Sichtweite war, wandte Florence sich um und ging wieder ins Haus. Die Sonne war verschwunden und es begann, kalt zu werden.
Warum verstand sie nur so wenig von der Welt der Männer? Sie konnte noch nicht einmal ermessen, wie schwerwiegend die Auseinandersetzung zwischen ihrem Vater und ihrem Mann war.
Eine kurze Standpauke seitens des Firmeninhabers, oder ein klaffender Bruch?
Andererseits hatte sie nie erlebt, dass ihr Vater nur wegen einer Standpauke einen solchen Weg auf sich genommen hätte.
Und sein Zorn war echt gewesen. Er hatte Alexander aus der Firma geworfen. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
Nachdenklich machte sie sich auf den Weg ins Speisezimmer.
Die Tafel, die jederzeit bis zu vierzig Gäste empfangen konnte, war leer, von zwei Gedecken an ihren gegenüberliegenden Enden abgesehen.
Ein einzelner Kerzenleuchter brannte und ein Asterngesteck setzte einen kleinen Farbakzent.
„Ist Mr. Ricardo noch nicht da?“
„Er ist noch in der Bibliothek, Madam.“
Florence musste tief Luft holen. Das bedeutete nichts Gutes.
Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte sich das Essen auf einem Tablett in ihrem Wohnzimmer im Obergeschoss servieren lassen.
Doch jetzt hieß es standhaft bleiben und Haltung bewahren.
Eine Hausherrin lief nicht davon. Sie stellte sich den Problemen.
Mit fahriger Geste gab sie dem Diener zu verstehen, dass er ihr bereits einschenken solle.
Gerade als sie aber das Glas an die Lippen setzte, wurde die Türe geöffnet und Alexander trat ein.
Großgewachsen. Schlank. Noch immer unverkennbar ein Offizier.
Allerdings war sein Schritt ein wenig unsicher. Er schien mit der Schuhspitze nach festem Grund zu tasten.
„Ist dein Vater gegangen?“
Seine Worte tasteten wie seine Füße.
Zweifelnd schaute er den Diener an, der ihm den Stuhl zurückzog.
Die feine Alkoholwolke, die ihren Mann umgab, was nur schwer zu ignorieren.
„Ja. Er wird in London erwartet.“
„Ich hatte gehofft, er werde zum Essen bleiben.“
„Ich auch.“
Es wäre ein Zeichen des guten Willens gewesen. So aber war überdeutlich, dass er noch nicht bereit war, dem Schwiegersohn zu vergeben.
Ohne Zweifel – es handelte sich um einen schwerwiegenden Bruch zwischen den beiden Männern und er stimmte Florence mehr als nur betrübt.
„Ich werde eine Einladung an Mutter nach Buscot schicken. Vielleicht ...“
Sie sprach nicht weiter, denn sie war vom Anblick ihres Mannes gefangengenommen, der seinerseits kaum abwarten zu können schien, bis der Butler sein Glas vollgeschenkt hatte.
Die Flasche war noch nicht richtig zurückgezogen, der Butler hatte sich noch nicht wieder aufgerichtet, da packte er es schon und leerte es.
Florence, die sich plötzlich dessen bewusst wurde, wie ungezogen sie ihn anstarrte, beugte sich über ihren Teller und begann zu essen.
Alexander machte mit dem Finger Zeichen, dass man ihm nachschenken solle.
Während ihre Gabel sinnlose Muster durch die Sauce zog, beobachtete sie ihren Mann. Dass Männer sich betranken, war eine alltägliche Sache. Doch, dass sie es beim Dinner in Anwesenheit ihrer Frauen taten, war eine Ungehörigkeit.
Florence bemühte sich, böse – aber nicht zu böse - zu schauen. Ihm einfach nur zu signalisieren, dass er sich gerade falsch verhielt.
Doch er sah sie gar nicht an.
„Noch von dem Fisch, Madam?“
Der Diener hielt ihr die Platte mit dem Waller hin, doch Florence lehnte ab.
Daraufhin wandte sich der Diener an Alexander.
„Ach – weg damit!“, knurrte dieser.
Ob es nun mit Absicht geschah, oder nur eine vom Alkohol unsicher gewordene Bewegung – ihr Mann, dabei mit der Hand abzuwinken – schlug gegen die Unterkante der silbernen Platte, welche sofort zu Boden fiel.
Fisch und Sauce verteilten sich auf dem Teppich und besudelten nicht nur die Livree des Dieners, sondern auch Alexanders Hosenbeine.
„Sie absoluter Volltrottel!“, schrie er los.
„Alexander- ich bitte dich. Pierce kann doch nichts dafür.“
„Und du halte deine dumme Klappe. Wem habe ich denn das alles zu verdanken?“
„Wenn du in dieser Verfassung bist, möchte ich nicht mit dir sprechen“, war alles, was ihr einfiel, da sie sich jetzt sicher war, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Ich werde auf mein Zimmer gehen.“
„Zur Hölle mit dir, deinem Zimmer und deinem verfluchten Vater. Zur Hölle mit euch allen!“
Noch in der Bewegung war der Diener hinter ihr und zog den Stuhl zurück.
Ein Pas Devant konnte sie sich jetzt auch schenken. Nur vollkommen tumbes Personal würde noch nicht begriffen haben, was hier gerade ablief.
Der Diener hatte einen erschrockenen Schritt zurück gemacht und eilte nun davon, um das notwendige Werkzeug zu holen, um die Sauerei zu beseitigen.
„Wenn Sie mir bitte ein Tablett zurecht machen würden ...“
„In deinen Augen bin ich wohl auch ein Verlierer, wie?“
„Wir sprechen morgen darüber.“
Überrascht über die eigene Selbstsicherheit, ging sie in Richtung der Türe.
„Du hast wohl nicht den Schneid deines Vaters. Der kommt sofort, wenn er etwas mit einem abzumachen hat.“
Er leerte ein weiteres Glas.
„Aber ihr werdet noch sehen, ihr arrogantes Campbell- Pack ... Ich werde es euch noch allen zeigen. Wenn die Königlichen Ställe sich um meine Pferde reißen ... Dann wird euch...“
Ja, jetzt wusste sie, warum ihr Vater so geschaut hatte.
Alles, was Alexander über Pferde wusste, war das, was er bei den Grenadier Guards gebraucht hatte. Zucht und Haltung hatten ihn nicht interessieren müssen. Und nun hielt er sich auf einmal für einen Experten.
Es würde schiefgehen.
Diese beiden Pferde waren keine Okkasion gewesen, sondern ein augenblicklicher Verlust.
Sie hatte sich vor ihrem Vater blamiert, indem sie unreflektiert alles nachgeplappert hatte, was Alexander ihr gesagt hatte.
Aber war es ein Makel, wenn eine Frau dem Mann glaubte, den sie liebte? Wenn sie ihm vertraute in seinen Entscheidungen?
Nein, es war nicht das Geld ... Es war die Demonstration von Versagen, was sie so unendlich schmerzte.
Indem sie sich in den falschen Mann verliebt hatte und die Ehe mit ihm durchgesetzt, hatte sie dem Vater gezeigt, wie wenig sie sein Vertrauen verdiente.
Mit schwerem Schritt ging sie hinauf in ihr Zimmer.
Diese eine Aufgabe hatte sie als Tochter von Robert Tertius Campbell gehabt: den richtigen Mann heiraten.
Und sie hatte versagt.
Hatte nicht auf die Mahnungen des Vaters gehört, sondern sich mit breiten Schultern vor ihn gestellt, um mit den familiären Verbindungen der Ricardos zu prahlen. Mit Hockham Hall und dem Haus in London.
Mit dem wirtschaftlichen Erfolg und der gesellschaftlichen Anerkennung.
Sie hatte auf der Klaviatur des zugewanderten Australiers gespielt und war sich dabei groß vorgekommen.
Jetzt aber saß sie in ihrem Zimmer vor dem Tablett mit kaltem Essen und starrte auf das Hochzeitsfoto neben dem Spiegel, während unten ihr Mann krakeelte und die Dienstboten kujonierte.
Sie hatte alles falsch gemacht.
Vielleicht konnte sie aber doch etwas tun ... Was hatte ihr Vater gesagt? Ob Alexander einen Investor hatte? Da konnte sie etwas tun: Sie würde Einladungen geben. Alexander konnte die Pferde vorzeigen und Geld einsammeln.
Die Ricardos hatten überallhin ihre Beziehungen. Warum also nicht ein paar dieser Leute einladen und ihnen die Zucht schmackhaft machen?
Sie nahm ihr Briefpapier und betrachtete kurz den Briefkopf mit seiner elegant geschwungenen Schrift.
Hockham Hall
Hockham – Norfolk
Mit der Fingerspitze fuhr sie langsam die eleganten Linien nach. Blassblaues Papier. Schwer in der Hand liegend. Kostbar.
Das Briefpapier einer Frau, die sich ihres Wertes durchaus bewusst ist, wenn ihr auch noch die gewisse hochmütige Selbstsicherheit ihrer Mutter oder Schwiegermutter fehlte.
Aber das würden die Jahre bringen.
Jetzt nahm sie erst mal ihr kleines Adressbuch heraus und suchte sämtliche Namen, mit denen sie Einfluss und Geld verband.
Als ihr einfiel, dass sie erst mal eine Gästeliste erstellen musste, bevor sie anfangen konnte, die Einladungen zu schreiben, korrigierte sie sich und begann mit der Aufzählung ...
Ihre Eltern und Geschwister, Alexanders Eltern und Geschwister. Sie könnte noch Onkel James aus Schottland einladen. Wenn er vielleicht auch nicht kommen würde, so konnte sie mit ihm doch gleichzeitig sein Wissen zur Pferdezucht sichern.
Außerdem kannte er sicher in Schottland jede Menge Leute, die mit so etwas zu tun hatten und zu denen er dann vielleicht zumindest einen Kontakt herstellen konnte.
So füllte sie also die Stunden, in denen Alexander trank und brüllte, mit ihren Plänen.
Der nächste Tag begann mit einem fürchterlichen Kater auf der Seite von Alexander und einer schmunzelnden Präsentation ihrer Ergebnisse des Vortags bei Florence.
Es mochte nun seiner Übelkeit und seinen Kopfschmerzen geschuldet sein, aber Alexander kümmerte sich nicht um ihre Pläne.
„Ja denkst du, du brauchst gar keinen Investor? Haben wir denn so viel Geld?“
Er zuckte mit den Schultern und ließ sich ein neues kaltes Tuch für seine Stirne geben.
„Natürlich habe ich das Geld.“
Wie er das ich betonte, störte sie dabei mehr als alles andere.
Als der Butler eintrat, das kleine silberne Tablett mit einer exakt in der Mitte platzierten Visitenkarte in der Hand, stöhnte Alexander.
„Ich habe auch Freunde aus deinem Regiment auf die Liste gesetzt. Damit du dich nicht ... langweilst.“
Sein ostentatives Stöhnen hatte sie ernsthaft verärgert, zumal offensichtlich auch noch ein Besucher vor der Türe stand.
Ein Blick auf die Karte genügte, um ihre Laune weiter zu verschlechtern.
„Das ist für meinen Mann. Ich kenne keinen Mr. Harris.“
Im gleichen Moment, da der Name fiel, zuckte Alexander förmlich zusammen.
„Dir ist er offensichtlich kein Fremder?“
„Führen Sie ihn in die Bibliothek. Ich komme gleich.“
Wie weggewischt war da sein Kater, doch seine Wangen waren so bleich wie zuvor.
Ob sie ihn kannte oder nicht – da Alexander ihn zu empfangen wünschte, musste sie diesen Harris begrüßen.
Während sich ihr Mann durch die hintere Türe nach oben in seine Räume begab, um sich herzurichten, verließ Florence den Salon und trat dem ominösen Mr. Harris entgegen.
Es handelte sich um einen kleinen Mann, der aussah wie zwei Kugeln, die auf seinen kurzen Beinchen gestapelt waren.
Als müsse er nun diese beiden Kugeln in Balance halten, um nicht auseinander zu fallen, schwankte er mit kurzen, vorsichtigen Schritten auf sie zu.
Sein Haar bestand aus einer wirren Anordnung gezwirbelter Fäden, die nur Pomade an ihrem Platz zu halten schien.
Die Augen fest auf Florence geheftet, streckte er Hut und Stock, ohne hinzusehen, neben sich aus.
Da er dadurch den Diener verpasste, fielen beide Stücke beinahe zu Boden.
Mr. Harris lächelte das breiteste Lächeln das Florence je gesehen hatte. Dazu war sein Mund voller Zähne.
Ja, ohne jeden Zweifel – Harris hatte wesentlich mehr Zähne als Gott irgendeinem anderen Menschen zugedacht hatte.
„Mrs Ricardo – welche Freude, Sie endlich kennenzulernen! Jetzt weiß ich auch, warum Ihr Gemahl Sie so lange vor mir versteckt gehalten hat. Er wusste, dass ich mich auf der Stelle in Sie verlieben würde. Und – ja! Er hatte Recht. Es ist geschehen!“
Florence hörte für einen Moment auf zu atmen.
Sie wusste nicht, wie man sich solch einem Verrückten nähern sollte.
Denn, dass dieser Mann verrückt war, stand außer Zweifel.
„Mr. Harris, wenn ich recht in der Annahme gehe ...“
Er machte eine tiefere Verbeugung, als ihm eigentlich hätte möglich sein sollen, mit seinem Bauch, der ihm den Weg versperrte.
„Mrs Ricardo ... Jetzt weiß ich, wie ungerecht unser Schöpfer ist. Nicht nur, dass er Ihnen all diese physische Schönheit gegeben hat – nein! Er hat Ihnen eine Stimme zugedacht, die die Engel erblassen lässt!“
Von Minute zu Minute fühlte sie sich unwohler. Zumal Harris ihr jetzt so nahe kam, dass sie beinahe die Sprenkel in seinen Augen zählen konnte.
Es fiel ihr schwer, nicht auf jene glänzenden Stellen auf seinem Anzug zu starren, für die sich selbst ein Stallbursche geschämt hätte.
„Mrs Ricardoooo...“ Er summte den Namen beinahe. „Der Name - einer Operndiva würdig.“
Florence riss die Augen auf. Mit einer Opernsängerin verglichen zu werden war nun weiß Gott wenig schmeichelhaft.
In seinen Kreisen wahrscheinlich schon.
„Eigentlich bin ich hergekommen, um mit Ihrem Mann zu sprechen, doch jetzt bedauere ich jede Sekunde, die ich an ihn verschwenden muss.“
Fassungslos starrte sie ihn an, während ein kleines Eckchen in ihrem Verstand betete, dass Alexander endlich auftauchen möge.
„Wenn Sie so nett wären und würden Mr. Harris in die Bibliothek begleiten ...“
Es fiel ihr nichts anderes ein, um diesen unangenehmen Menschen loszuwerden.
Sein Bauch berührte fast den ihren und sie roch in seinem Atem Zigarren und eine dunkle Bratensauce.
Das würde bedeuten, dass er sich wenigstens nicht zum Luncheon bei ihnen einnisten würde, denn dass er ein Schmarotzer war, erkannte Florence auf hundert Meilen.
„Sie stoßen mich von sich!“, verkündete er dramatisch und bewegte sich doch auf seinen kurzen Beinchen zügig neben dem Butler her.
Was erschreckte Alexander nur so an diesem albernen Wicht, fragte sie sich.
Als handele es sich um eine Komödie, schloss sich die Bibliothekstüre hinter Harris (in ihren Gedanken verweigerte sie ihm die Höflichkeitsbezeigung), während die zum Drawing praktisch zeitgleich geöffnet wurde und Alexander heraustrat.
„Wo ist er?“, fragte er gehetzt, als gehe es um einen Strauchdieb und nicht um ein albernes Männlein.
„In der Bibliothek.“
Alexanders Wangen hatten eine hektische Röte angenommen und sogar auf die Distanz sah Florence, dass er heftig zitterte. Wahrscheinlich plagte ihn noch der Kater ...
„Wer ist dieser Mann, Alexander?“
„Mein Bankier“, kam es so gepresst, dass Florence zunächst glaubte, sich verhört zu haben. So sahen doch keine Bankiers aus!
Sie kannte den einen oder anderen aus dem Kreis ihres Vaters. Das waren allesamt distinguierte Herren in Maßanzügen und mit perfekt frisiertem Haar.
Selbst die kleinen unter ihnen hatten die Anmutung von Riesen.
Keiner von diesen Männern ähnelte auch nur ansatzweise diesem schäbig gekleideten Zwerg mit dem sich fettig kringelnden Haar und dem kugeligen Bauch.
„Dein Bankier?“, wiederholte sie voll ungläubigem Staunen.
Sie keiner Antwort würdigend marschierte er mit langen Schritten an ihr vorbei in Richtung Bibliothek, wo seine Nemesis zu warten schien.
Der Platz, der ihr am Vortag unangenehme Erkenntnisse verschafft hatte, musste Florence nun abermals dienlich sein.
Wieder erkämpfte sie sich den Weg nach oben, indem sie Bänder, Rüschen und Schleifen nach hinten drückte. Mochte das Rauschen sie verraten?
„Zigarre?“, hörte sie Alexander im gleichen verbindlichen Ton fragen, den er an den Tag gelegt hatte, als er ihr den Hof machte.
„Ja! Ja!“, rief es voller Begeisterung. „Aaaah – welch wunderbare Zigarre. Das ist kein Tabak, den man für kleines Geld an jeder Ecke bekommt. A-aaah! Das ist etwas ganz Feines. Ja, jaaaa. Ein Mann wie ich kann sich solcherlei Leckereien nicht leisten. A propos Leckereien – Madame Florence ist eine wirkliche Augenweide! Mein lieber Freund ... mein lieber Freund!“
Er sprach Florence gedehnt französisch aus.
Normalerweise mochte sie es, wenn man ihren Namen so aussprach, doch bei diesem Kerl widerte es sie an.
„Kein Wort über meine Frau!“, knurrte Alexander zurück.
Jetzt war sie endgültig alarmiert.
Dieser Harris mochte ein Zwerg sein, aber offensichtlich ein gefährlicher Zwerg.
„Um Vergebung, mein lieber Freund. Aber Madame Florence ist eine Blume ...“
Sie hörte ein leises Plätschern. Offensichtlich schenkte Alexander Drinks ein. Vorsichtig hielt sie sich im Verborgenen. Die Schatten der Bibliothek schützten sie und die Räume gaben genug Hall wieder, dass sie selbst verhalten Gesprochenes verstehen konnte.
„Was wollen Sie hier?“, zischte Alexander, als habe Harris gegen eine geheime Übereinkunft verstoßen.
„Nun, mein Lieber – wie heißt es doch so schön: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen. Also – Hier bin ich!“
„Brandy? Cognac?“, fiel ihm Alexander hektisch ins Wort.
„Von mir aus geben Sie mir beides. Und dann geben Sie mir mein Geld!“
Die albernen Formulierungen und die kindische Betonung hatten augenblicklich einem scharfen, drohenden Ton Platz gemacht, der sogar ihren Vater hätte aufhorchen lassen.
„Ihr Geld?“
„Tun Sie nicht so, Ricardo. Wir wissen beide, von was ich rede! Lord Daringham, von dem dieses Haus gepachtet wurde, wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat sich gestern an mich gewandt, weil ihm leider seit fast einem halben Jahr der Zins schuldig geblieben wurde. Sie wissen, von was für einer Summe wir hier sprechen!“
„Ich bin noch nie etwas schuldig geblieben“, brauste es auf.
„Nuuun ... Das dürften Ihre Gläubiger naturgemäß anders sehen.“
Ein eisiger Schauer rann über ihren Rücken. Gänsehaut überzog ihre Arme und hinterließ ein unangenehmes Frösteln.
„Vor allem aber ICH sehe es anders. Als Sie in den Betrieb des Mr Campbell einheirateten, durfte man auf das Beste hoffen, aber Sie haben mit ihrer Faulheit, ihrer Spielsucht und ihren Weibergeschichten alles zunichte gemacht. Sie werden von hier bis zum Nordpol keinen mehr finden, der Ihnen auch nur einen Shilling borgen würde.“
Betretene Stille.
„Ich bringe das Geld ja bei ...“, kam es so kleinlaut, als habe man Alexander mit den Fingern in der Marmelade erwischt.
„Und wie? Es macht seit gestern die Runde in der City, dass der Herr Schwiegervater Ihnen den Laufpass gegeben hat ... Und bei Ihrem eigenen Vater haben Sie schon lange keinen Kredit mehr. Ricardo ... Campbell ... Alles verbrannte Erde, mein Lieber!“
Woher wusste dieser Harris das? Mit Sicherheit hatte ihr Vater nichts dergleichen verlauten lassen.
Kredit ... City ... Einheiraten ... Gläubiger ... Alle diese Begriffe rasten durch ihren Kopf. Schwindelig wurde ihr. Und schlecht.
„Sie machen Bankrott, mein Freund. Bankrott! Einen wunderhübschen kleinen Bankrott werden Sie hinlegen. Und zwar sehr bald!“
„Ja lassen Sie mich denn fallen?“
Alexanders Stimme brach.
„Wie eine heiße Kartoffel.“ Ein scharrendes Geräusch. „Ich bin kein Freund von Versteckspielereien. Ich sage es Ihnen hier und jetzt. Direkt und geradeaus. Sie sind erledigt! Ich werde mir holen, was hier so herumliegt ... Die gnädige Frau trägt übrigens ein ganz entzückendes Rubin- Collier. Das dürfte vorderhand mindestens fünf, - oder gar sechstausend Pfund bringen. Bei Weitem nicht genug, um Ihre Schulden zu tilgen, aber doch ein ganz charmantes Trostpflaster. Sorgen Sie dafür, dass es mir ausgehändigt wird, noch bevor ich gehe. Und bevor es verschwinden kann!“
Die beiden letzten Sätze wurden in kaum erwarteter Schärfe gesprochen.
Unwillkürlich griff Florence an ihren Hals, als habe Harris die Macht, ihren Schmuck einfach so verschwinden zu lassen.
„Sie werden es doch nicht wagen ...“, wölbte sich Alexanders Stimme unter dem Unfassbaren, was ihm entgegengeschleudert worden war.
„Und ob ich es wage, mein Freund. Sie haben es doch zuerst gewagt – Geld hier geborgt und dort geliehen. Versprechungen gemacht und Eide geschworen. Ja, meinen Sie denn, wir kommen nicht und holen, was uns zusteht? Und ich bin nur der Erste in einer langen Reihe. Und der Lord wird Sie loswerden wollen. Sehen Sie sich besser nach einer hübschen neuen Bleibe um, sonst steht die gnädige Frau mit dem nackten Arsch im Wind, mein Lieber!“
„Sie sprechen von meiner Frau!“, tönte Alexander, doch es klang wenig selbstbewusst. Eher wie eine Pflichtübung. Die Erfüllung dessen, was man von ihm erwartete. Offensichtlich das Letzte, was er noch erfüllen konnte.
Es kam ein verhaltenes Pffff ...
„Die Pferde, die Sie vor Kurzem gekauft haben – ich zeige Ihnen jetzt, dass ich kein Unmensch bin – die sollten Sie so schnell als möglich an den Händler zurückgeben. Ich muss meine Hand nicht auf alles legen und Gäule sind mir eh zuwider. Aber beim Abdecker müssen sie ja nun nicht gerade landen. Nein, nein. Sehen Sie zu, dass die Viecher zu ihrem alten Besitzer zurückkommen, und ich habe sie nie gesehen.“
Er war also über das Anwesen geschlichen und hatte sich umgesehen. Ihr Magen drehte sich um.
Vor ihren Augen brach alles zusammen.
Jetzt wurde sie auch des Zitterns gewahr, das von ihr Besitz ergriffen hatte.
„Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit ... Vorsprung – wenn Sie so wollen. Suchen Sie sich und ihrer Frau eine neue Bleibe, schaffen Sie die Gäule weg. Ich lasse Paul und John da. Die machen eine Aufstellung über alles, was sich im Haus befindet. Sie werden nicht ein KPM- Tässchen verschwinden lassen. Das sage ich Ihnen, mein Lieber.“
Sie schloss die Augen, so drehte sich alles um sie herum. Wenn sie jetzt ohnmächtig wurde, war alles verloren.
Weg aus dem Haus. Ob sie ihr die Kleider lassen würden? Der Schmuck, den sie von ihren Eltern bekommen hatte – wie konnte sie beweisen, dass es ihr Schmuck war?
Aber vielleicht brauchten die Gläubiger solch einen Beweis gar nicht ... Gehörte es nicht sowieso jetzt ihrem Mann?
In Schockstarre stand sie da und lauschte, wie der grauenhafte Bankier die Bibliothek verließ, eine Tabakwolke und den flehenden Alexander mit sich ziehend.
Jetzt, da Stille einkehrte, rutschte Florence kraftlos zu Boden.
So saß sie, ausgelaugt und starr, in einem wallenden Berg aus Seite und Moiré Antique.
„Florence? Florence!“, hörte sie es plötzlich schallen.
Die zornbebende Stimme ihres Mannes brachte sie zur Besinnung. So schnell sie konnte, kam sie auf die Füße und drängte sich wieder die schmale Wendeltreppe hinunter.
„Du rufst mich? Braucht ihr etwas?“, fragte sie unbeteiligt.
Er sagte kein Wort. Trat hinter sie, öffnete das Collier und ging davon.
Sie aber starrte Alexander hinterher.
Es war kein böser Traum gewesen.
Er übergab Harris das Collier.
Ihre wunderbaren Rubine – ihr Hochzeitsgeschenk! Weg!
Stattdessen beobachtete sie, wie die beiden Männer in Schwarz durch die Räume strichen und ihren Besitz katalogisierten.
„Was für ein wunderschönes Haus!“, sagte ihre Mutter und ihre Stimme bebte dabei vor Bewunderung.
„Nein – sieh nur – diesen entzückenden Bau ... Was ist das? Eine Orangerie?“
„Wir werden eine Verbindung zum Haupthaus schaffen und dann dort einen Wintergarten einrichten“, erläuterte Alexander seiner Schwiegermutter.
Sie wandten sich dem Diener zu, der mit einem Tablett mit verschiedenen Getränken bereitstand.
Alexanders Stimme war nicht mehr ganz sicher, doch noch konnten seine Schwiegereltern die Anzeichen höflich überhören.
„Das Gebäude ist zu niedrig für einen Wintergarten. Wintergärten müssen über zwei Stockwerke gehen, wenn sie etwas taugen sollen. Oder willst du etwa nur ein paar Topfpflanzen aufstellen, Florence?“
Nicht einmal der Wohlmeinendste konnte so tun, als habe der Vater einen Scherz gemacht.
Düster blickte er zu seinem Schwiegersohn.
„Ich finde es wundervoll, dass Ihr hier einziehen konntet. Ihr müsst deinen Eltern sehr dankbar sein.“
„Wir sind ihnen über die Maßen dankbar“, erklärte Alexander kalt.
Er leerte sein Glas und nahm sich ein frisch gefülltes. Der Blick seines Schwiegervaters begleitete ihn.
Nachdem er auch dieses ausgetrunken hatte, ließ er sich schwer auf die Couch fallen.
„Was ist aus der Pferdezucht geworden? Verfolgst du das noch weiter?“
Alexander atmete missbilligend aus. Florence hielt sich dicht bei ihrer Mutter und beobachtete den heraufdämmernden Machtkampf.
„Die Pferde sind weg. Da gibt’s nichts mehr zu züchten, Papa.“ Sein Kopf bewegte sich langsam kippend vor und zurück, als sei er zu schwer für Alexanders Hals.
Ihre Mutter schaute zu ihrem Vater. Der aber ließ den Blick nicht von seinem Schwiegersohn.
„Was hast du dann vor?“
„Pffffff ....“ Alexander schloss die Augen und schüttelte wieder mit dem Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich denke ... Ach ... Vielleicht ... Ich habe große Pläne für die Firma meines Vaters. Ja jaaa ... Ich werde alles auf neue Füße stellen.“
„Mir scheint, als stünde dort alles auf allerbesten Füßen.“
„Ich denke, das Dinner sollte so weit sein. Wollen wir hinübergehen?“, fragte Florence und niemand konnte die Anspannung in ihrer Stimme überhören.
„Aber der Butler hat doch noch gar nicht ...“, warf ihre Mutter ein.
„Es ist sicher gleich soweit ...“, beharrte Florence, hakte ihren Vater unter und zog ihn mit sich. Ihre Mutter trat an die Couch, doch Alexander konnte dem Anblick seiner Schwiegermutter offensichtlich noch keine Bedeutung zuordnen.
Erst als sie den Arm anwinkelte, verstand er und erhob sich schwerfällig.
„Ich werde hier auch alles verändern!“, verkündete er, als sie alle im Speisezimmer versammelt waren. Er machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Arm und beschrieb dabei einen so weiten Bogen, dass er die Wange seiner Schwiegermutter streifte.
Diese zog abrupt den Kopf zurück und sah ihn entsetzt an.
„Oh, Verzeihung. Ich bin ... wohl ... zu ...“
Er sprach nicht weiter, sondern leerte sein Glas.
Florence rieb mit der Kuppe ihres Zeigefingers über die Tischdecke. Sie konnte den Druck kaum noch ertragen.
Der Wein beruhigte ihre Nerven ein kleinwenig, wenn auch nicht so, dass sie mit Zuversicht auf den Rest des Abends hätte blicken können.
„Ja, nun ... Es ist wirklich ein schönes Haus. Was willst du denn verändern?“
Ihre Mutter sprach so aufgesetzt freundlich, als käme sie als Emissär zu einem blutrünstigen Diktator.
„Alles. Ich hasse jede einzelne Fließe in diesem Haus.“
„Wenn ich es richtig sehe, gehört dieses Haus deinen Eltern, insofern dürften sie ein Wörtchen mitreden wollen, wenn du mit deinem großen Veränderungsprojekt anfangen willst.“
So riss ihr Vater denn jene Wand des guten Willens mit einem Handgriff ein, die ihre Mutter derart sorgsam errichtet hatte.
„Ich wohne in diesem Haus ...“ Alexander leerte sein Glas. Sein Mund schien mittlerweile Probleme damit zu haben, die gewünschten Worte zu formen. „Also kann ich hier tun und lassen, was ich will ... und wann ich will!“, verkündete er mit schwerer Zunge, die seinen Mund inzwischen auszufüllen schien.
Schweigend beendeten sie das Essen, von dem Florence schon fünf Minuten nachdem sie sich zurückgezogen hatten, nicht mehr wusste, aus was es überhaupt bestanden hatte.
„Ich bin so erschöpft, Liebes. Bist du mir böse, wenn ich mich hinlege?“, hatte ihre Mutter rücksichtsvoll gefragt und ihr Vater war düster dräuend seiner Frau nach oben gefolgt.
„Gehst du auch zu Bett, oder bleibst du hier unten und betrinkst dich weiter?“, zischte Florence, nachdem ihre Eltern gegangen waren und auch die Diener verschwunden waren.
„Ich gehe mit hoch und betrinke mich oben weiter.“
Er hielt sein Wort.
Am nächsten Morgen war er verschwunden.
„Wo ist Alexander?“, fragte sie mit Blick auf den leeren Platz am Tisch.
Ihr Vater blickte vom Rührei auf. „Er wird ausreiten. Was kann ein Gentleman um diese Zeit wohl sonst tun?“
Florence fragte sich, ob ihr Vater lediglich zynisch das schlechte Benehmen seines Schwiegersohnes kommentierte.
„Ja, da hast du wohl recht. Wann kommt er zurück?“
Florence wandte sich an den Butler, um die Frage weiterzugeben.
„Mister Ricardo sagte, er wolle nach London. Er wisse nicht, wann er wieder zurückkäme, aber heute sicherlich nicht mehr.“
Florence Kopf senkte sich über ihren Teller. Der Butler wusste mehr als sie.
„Er wird arbeiten sein ... In Mr. Ricardos Firma“, gab ihre Mutter zuversichtlich zum Besten.
„Grundgütiger, Anne! Wir wissen doch alle, dass der alte Ricardo ihn rausgeworfen hat, genauso wie ich auch. Er ist in London und bringt das Geld durch, das er nicht hat. Wir müssen dem, was er ist, wohl keine Namen geben.“
Er warf sein Besteck förmlich auf seinen Teller und stand auf.
„Was mich angeht, so werde ich umgehend nach Buscot zurückkehren. Ich habe genug von dem Theater hier.“
Was in diesem Fall bedeutete, dass innerhalb einer Stunde ihre Eltern mit einem Kuss an der Kutsche verabschiedet wurden und Florence alleine in dem gewaltigen Haus zurückblieb.
Es hatte angefangen zu schneien. Einzelne, immer dicker werdende Flocken.
Sie hatten sie mit einer plötzlichen Melancholie erfüllt, die sie kaum ertragen konnte, ohne zu weinen.
Erschöpft saß sie am Fenster und dachte nach. Wie sollte alles weitergehen? Das Haus gehörte seinen Eltern.
Sie ließen sie aus Gnade hier wohnen, denn die Gläubiger saßen dem Sohn noch immer im Nacken.
Egal wie viel Mühe sie sich auch gab – sie konnte sich keine Lösung für ihre Probleme vorstellen, zumal Alexander sie durch sein Trinken immer noch schlimmer machte.
Sie hatten Hockham Hall aufgegeben, kurz nachdem Harris da gewesen war.
Alexander hatte überall verkündet, dass er es in diesem Kasten nicht mehr aushielte. Alles sei zu eng und zu heruntergekommen.
Zwei Tage später waren die Packer von Harris aufgetaucht und hatten begonnen, das Porzellan zu verstauen und die Bilder rauszutragen.
Das Personal hatte das Weite gesucht, nachdem sie sowieso seit mehreren Monaten nicht mehr bezahlt worden waren, wie Florence erfuhr, als der Butler sich verabschiedet hatte.
Mr Ricardo hatte ihnen Gatcombe Park kostenlos zur Verfügung gestellt und Mrs Ricardo hatte in ihrer Großzügigkeit das Personal gestiftet.
Mehr würden sie nicht tun. Dessen war Florence sich sicher.
Was aber würde geschehen, wenn Alexander sich nicht besann? Würde ihr Vater sie dann zurücknehmen wie angestoßene Ware?
Andererseits galt doch eine Ehe für das ganze Leben! Also würde sie warten müssen, bis Alexander sich selbst mit dem Saufen umbrachte.
Dieser Gedanke erschreckte sie bis ins Mark. Wie konnte sie nur dazu fähig sein, so etwas Schreckliches auch nur zu denken?
Schließlich hatte er die Armee nur wegen ihr aufgegeben.
Monatelang hatten sie deswegen diskutiert und gestritten. Das, was sein Leben ausgemacht hatte, hatte er wegen ihr aufgegeben, weil sie Angst gehabt hatte, er könne in der Schlacht fallen und sie mit ihren vaterlosen Kindern dastehen.
Nun hatte sie keine Kinder und er keine Armee.
Was für ein bitterer Sieg ...
Der Schnee fiel dichter und begann, den Boden zu bedecken.
Wenn es so weiterging, würde es noch lange brauchen, bis Alexander nach Hause zurückkehren konnte.
„Die Post, Mrs Ricardo.“
Jenkins, der Butler, reichte ihr das Tablett mit den Briefen, die für sie eingetroffen waren. Um des Friedens willen, hatte Alexander bestimmt, dass alle an ihn adressierte Post, sowie jene Briefe unklarer Absender ihm, und ihm allein, vorzulegen seien.
Diese Maßnahme buchte Florence unter Schutz. Als was Alexander sie buchte, war ihr gleichgültig.
Sie wollte nicht mal mehr etwas von Menschen wie diesem Harris lesen. Dieser Schmutz sollte sich zu Füßen ihres Mannes sammeln.
„Wenn es so weiterschneit, wird Mr Ricardo große Probleme haben, heimzukommen“, erklärte der Butler.
„Er hat auch ohne Schnee Probleme, heimzukommen.“
Im gleichen Moment, da sie das gesagt hatte, tat es ihr auch schon leid. Er hatte sich lediglich bemüht, die Stimmung zu heben und sie hatte sich schlecht benommen.
„Gewiss“, kam es ruhig zurück. Dahinter stand: Ja, ich habe verstanden. Es war eine unangemessene Einmischung meinerseits und mir stehen keine Bemerkungen über meine Herrschaft zu.
Die Stimmung wurde ohne jeden Zweifel düsterer.
Wenn es so weiter ging, mussten Alexander und sie einen Modus Vivendi finden. Aber wie sollte der aussehen?
Getrennt leben ... Aber wie? Sie lebten schon in Gatcombe vom Gnadenbrot seiner Eltern. Die finanziellen Mittel für einen zweiten Wohnsitz fehlten vollständig.
Gedankenverloren zog sie Blatt um Blatt aus den Kuverts. Allesamt Einladungen in die umliegenden Häuser.
Wie lange würden die noch eintreffen, wenn ihre Situation sich erst mal herumgesprochen hatte?
Florence ging in Gedanken alle Paare durch, die sie kannte, oder von denen sie gehört hatte, und die praktisch getrennt lebten.
Wenn sie es recht betrachtete, waren es die meisten. Ihre Eltern und ihr Bruder William mit seiner Frau bildeten eher die Ausnahme.
Aber waren die anderen aus beruflichen Gründen getrennt, oder weil sie es nicht mehr miteinander aushielten?
Sie wusste keine Antwort auf ihre Fragen und es gab niemanden, mit dem sie darüber sprechen konnte.
Es war, als habe sich ein Riese auf sie gesetzt.
Das Gewicht drückte ihr die Brust ein und machte ihr das Atmen schwer.
Ihre Mutter fragen? Sie war eine gläubige Frau. Genau wie ihr Vater ein tiefgläubiger Calvinist war. Gott erlegte einem Herausforderungen auf und die galt es zu meistern. Indem man Gott um Hilfe bat und seine eigene Hilflosigkeit eingestand, wurde man der Hilfe Gottes würdiger.
Wenn also der Grad der Hilflosigkeit der Schlüssel zur Lösung eines Problems war, so musste sie sich keinerlei Sorgen mehr machen.
Sehr geehrte Mrs Ricardo,
es ist mir ein tiefes Anliegen, mich Ihnen zu öffnen ...
Irritiert blickte Florence auf die locker (oder hastig?) hingeworfenen Zeilen. Das Papier unterschied sich schon durch den Grad der Schwere von den übrigen Briefen, die sie erhalten hatte.
Es war billiges Papier, wie man es in jedem Laden kaufen konnte. Keine aufgedruckte Adresse. Nicht mal ein Datum fand sich.
Ohne weiterzulesen, betrachtete sie nur die Worte an sich. Dicht geschrieben, wie von jemandem, der fürchtet, nicht genug Platz zu haben für all das, was er zu sagen hat.
Ihr Herz begann, intensiver zu schlagen. Er trommelte gegen den Druck auf ihrer Brust an.
Eine völlig fremde Person wollte sich ihr gegenüber öffnen?
Sie kennen mich nicht und dabei wollen wir es auch belassen. Meine Identität tut nichts zu dem, was ich Ihnen zu sagen habe und wovon vielleicht Ihr Glück abhängt ...
Ihr Ehemann ist kein guter Mensch. Das sollen Sie wissen und sich keinen falschen Hoffnungen hingeben. Seit geraumer Zeit hat er in London eine Geliebte. Es handelt sich bei ihr um eine ehemalige Kurtisane, die inzwischen fast vollständig von ihm ausgehalten wird.
Sollten Sie mir nicht glauben - was ich durchaus verstehen könnte – würde ich Sie bitten, sich selbst ein Bild zu machen.
Die Frau nennt sich Delphine Bondieu, was aber nicht ihr richtiger Name ist, wie Sie vielleicht erahnen. Zu ihren aktiven Zeiten nannte sie sich auch „Suzette“. Die Einschätzung, inwiefern diese vorbei sind, überlasse ich Ihnen.
Wenn ich es richtig sehe, erwartet diese Frau ein Kind von Ihrem Mann. Sie befindet sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft, wovon Sie sich ebenfalls mit eigenen Augen überzeugen können.
Ich schreibe Ihnen dies alles nicht, um Sie Ihres Seelenfriedens zu berauben, sondern um Ihnen die Augen zu öffnen, damit Sie sich auf das Bevorstehende angemessen vorbereiten können.
Ein Ihnen von Herzen zugetaner Mensch
Florence wurde übel. Ihr Magen zog sich zusammen und begann derart zu krampfen, dass sie glaubte, in ihrem engen Korsett zu ersticken. Den Brief noch immer in Händen, wusste sie nur, dass sie aus ihrem Korsett raus musste. Unsicheren Schrittes eilte sie hinauf in ihr Ankleidezimmer und läutete sodann nach ihrer Zofe.
Emilys hetzende Schritte hallten auf der Treppe und leicht außer Atem öffnete sie die Türe, um ihrer Herrin zu helfen.
„Madam?“
„Helfen Sie mir ... Helfen Sie mir!“, keuchte Florence und zerrte dabei hilflos an ihrem Kleid.
„Mir ist schwindelig. Übel.“
Mit geübten Griffen löste Emily die Verschnürung, sodass Florence aus den Stoffmassen steigen konnte.
Dann öffnete sie das Korsett. Luft!
Endlich Luft!
Florence legte den Kopf in den Nacken als könne sie anders gar nicht intensiv genug ein und ausatmen.
Emily half ihr vorsichtig in den Morgenmantel.
„Kann ich Ihnen etwas bringen, Madam?“
„Ein Glas Marsala, bitte.“
„Sehr wohl.“
Mit einem kleinen Knicks zog Emily sich zurück.
Erst nachdem sie ein Glas von dem Wein getrunken hatte, erinnerte sie sich des inzwischen zerknitterten Briefes in ihrer Hand.
Und wenn sie ihn noch hundertmal lesen würde – sein Inhalt würde sich nicht ändern.
Suzette – was für ein Name!
Abermals wallte Übelkeit in ihr auf und konnte nur durch ein weiteres Glas besänftigt werden. Der Alkohol verbreitete einen angenehmen Nebel in ihrem Kopf, der es ihr gestattete, ruhiger nachzudenken. Die Stürme schienen sich zu legen.
Inwieweit konnte sie diesen Zeilen aber überhaupt Glauben schenken?
Den Schwindel bekämpfend, erhob sie sich langsam und ging ans Fenster.
Als sie es öffnete, strömte sofort eiskalte Luft herein, die kleine Schneeflocken mit sich trug.
Es prickelte angenehm auf ihrem Gesicht.
Eine Kurtisane ... Sie kannte den Begriff. Es war eine Hure. Wenn auch eine sehr teure.
Dass es andere Frauen in seinem Leben gab, wusste sie seit Langem.
Sie war nicht naiv genug, um den Parfumduft, den er mitbrachte, anders zu deuten. Sie hatte Male an seinem Hals gesehen ...
Aber sie hatte es geschafft, diese zu ignorieren. Solange er sich ihr gegenüber anständig verhalten hatte. Seine Aufmerksamkeit ihr galt, wenn er bei ihr war.
Er hatte nie verliebt gewirkt, oder so als sei er in Gedanken bei einer anderen Frau. Er hatte ihr immer die Möglichkeit gelassen, Ausflüchte zu finden.
Aber jetzt ...
Dieser Brief hatte ihr all die Chancen genommen, die Augen zu verschließen.
Schwanger.
Der Schmerz traf sie im Innersten.
Gerade schaffte sie es noch, sich aus dem Fenster zu beugen, als sie sich auch schon übergeben musste.
Sie würgte keuchend und fiebrig, bis sie den Schnee und die Kälte wieder wahrnehmen konnte.
Mit tränennassem Gesicht richtete Florence sich auf.
Sie war doch seine Ehefrau. Sie sollte von ihm schwanger sein und nicht irgendeine Hure. Und dann traf es sie wie ein gewaltiger Schlag: das war der Grund, warum sie bankrott waren: er hatte sein ganzes Geld dieser Kurtisane in den nimmersatten Rachen geworfen! Er hielt sie aus? Dann bezahlte er also einen zweiten Wohnsitz. Den seiner Hure!
Wenn sie nicht bald mit jemandem über all das sprechen könnte, würde sie verrückt werden. Sie würde platzen. Explodieren.
Sie hockte auf dem Land und hatte nicht einmal eine Freundin, mit der sie über ihre Sorgen reden konnte.
War das jetzt Grund genug, sich ihrer Mutter gegenüber zu öffnen? Sie zu fragen, was zu tun sei?
Jetzt wusste sie, was sie tun würde!
Nach Buscot reisen! Ihre Sachen packen und zu ihren Eltern gehen. Mit diesem Brief in Händen war sie kein törichtes junges Ding mehr, sondern eine Frau, der man zutiefst Unrecht getan hatte.
Ja, mit einem Schlag war sie dem anonymen Briefeschreiber sogar dankbar. Jetzt hatte sie den Beweis! Jetzt konnte sie sich aus dieser fürchterlichen Situation befreien und würde auch noch die Unterstützung der Eltern erhalten.
Nie und nimmer würde ihr Vater es dulden, dass sie eine Kokotte zu ertragen hatte!
Sie schloss das Fenster und wollte gerade Emily rufen, damit die anfangen würde, für Buscot zu packen, als sie in der Ferne einen dunklen Punkt sah, der rasch größer wurde.
Es war ihre Kutsche. Alexander!
Damit hatte sie nicht gerechnet.
Die Vorstellung, ihm nach diesem Brief entgegentreten zu müssen, schockierte sie bis ins Mark.
Alle ihre Pläne wurden über den Haufen geworfen.
Nein, sie konnte ihn jetzt nicht sehen. Er kam von seiner Hure. Würde sicherlich beginnen, sich zu betrinken, sobald er durch die Tür getreten wäre. Wahrscheinlich trank er überhaupt nur deswegen so übermäßig.
Ein Zittern raste durch ihren Körper bei der Vorstellung, auch nur seine Stimme zu hören.
Sein Anblick ekelte sie über alle Maßen, als sie ihn aus der Kutsche steigen sah.
Florence hatte das Gefühl, sich noch einmal übergeben zu müssen.
Er hatte diese andere geschwängert. Und zu ihr kam er sei Monaten nicht mehr ins Bett. Lieferte sie dem Gerede nicht nur der Gesellschaft, sondern in der eigenen Familie aus. Sie konnte ja nicht herumlaufen und jedem sagen, dass ihr Mann das eheliche Bett verabscheute.
„Florence?“
Die Türe ging auf und da stand er.
„Ah – hier bist du! Ich dachte schon, ich würde es gar nicht mehr nach Hause schaffen.“
Sein Lächeln war mit einem Mal wie weggewischt.
„Himmel! Wie siehst du denn aus? Was ist dir denn? Hast du ein Gespenst gesehen?“
Mit wenigen langen Schritten war er bei ihr und legte seine Hände gegen ihre Oberarme. Sie war starr vor Entsetzen, dass er es wagen konnte, sie auch noch zu berühren.
„Was ist? Florence!“
Mit bebender Hand hielt sie ihm den Brief entgegen. Sie wollte etwas sagen, doch ihr Hals fühlte sich an, als habe sie Sand verschluckt.
Er griff nach dem zerknüllten Blatt, ohne jedoch seinen Blick von ihrem Gesicht zu wenden.
„Was ist das?“
Jetzt erst blickte Alexander nach unten. Er überflog die Zeilen und wurde bleich.
Dann erhitzten sich seine Wangen.
Er schluckte hart.
„Was da drinnen steht, trifft zu. Nicht wahr?“
Ohne zu antworten, holte er aus und warf das Papier in die Flammen!
Florence schrie auf, doch es war zu spät. Das inkriminierende Schreiben war zu Asche geworden.
„Was meinst du?“
Damit drehte es sich um und ging gemessenen Schrittes hinaus.
Es gab Hammel.
„Wieder Hammel? Jeden Tag gibt es Hammel...“, erklärte Alexander mit Blick auf die Platte, die ihm einer der Diener hinhielt. „Hat Gott beschlossen, alle anderen Tiere auszurotten?“
„Wenn wir mehr Haushaltsgeld hätten, könnten wir auch andere Fleischsorten kaufen. Seien wir also dankbar für unseren täglichen Hammel. Andere wären dankbar, wenn sie einmal pro Woche Hammel bekämen.“
Stoisch schob Florence ein Stück Fleisch in den Mund und spülte es mit Rotwein herunter.
„Ach? Es reicht also nicht? Vielleicht solltest du dann mal mit der Köchin sprechen. Weiß der Teufel wo all das Geld hinwandert, das ich ins Haus bringe.“
„Du meinst – das dein Vater ins Haus bringt.“
Sie zuckte zusammen, als Alexander mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.
„Achte auf dein loses Mundwerk!“