AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens - Wieland Barthelmess - E-Book

AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens E-Book

Wieland Barthelmess

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Beschreibung

Um 1.600 v. Chr. Mehr als einhundert Jahre herrschten die Hyksos bereits über den Norden Ägyptens. In einer Zeit der Wirren und Thronstreitigkeiten hatten die aus dem Nahen Osten zugewanderten und bereits seit einiger Zeit in Ägypten lebenden Arbeiter, Handwerker, Söldner und Verwaltungsbeamte die Macht an sich gerissen und sich schließlich sogar zu Pharaonen erhoben. Bis hinauf nach Waset (Theben/Luxor) hatten sie das Land unterjocht, ihre Eroberungen im Süden allerdings nicht halten können. So entwickelten sich dort Kleinkönige, die danach trachteten, die Fremdherrscher zu vertreiben und das Land wiederzuvereinigen. Ah-hotep, die Tochter eines dieser Kleinkönige, war als Große königliche Gemahlin zweier Pharaonen maßgeblich an diesem Befreiungskampf beteiligt. Doch erst ihrem Sohn Ah-mose sollte es gelingen, die Hyksos endgültig aus Ägypten zu vertreiben und das Land wiederzuvereinigen. Ihr Enkel Amun-hotep würde Ägypten zu erneuter kultureller Blüte bringen und ihr Urenkel Thot-mose die Grenzen des Landes am Nil ausdehnen und sichern. Ah-hoteps Leben unter sechs Pharaonen war von diesem langen Befreiungskampf geprägt, so dass man sie als "Befreierin Ägyptens" rühmte. Es war dann auch Ah-hoteps Beispiel, welches ihre geliebte Ururenkelin Hat-schepsut später dazu veranlasste, nach der höchsten Macht im Staat zu greifen. Über achtzig Jahre hat Ah-hotep gelebt und Ägypten in die glorreichste Epoche seiner langen Geschichte geführt: Das Neue Reich.

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Wieland Barthelmess

AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Prolog: Teti-scheri

Der wiedergeborene Mond

Der Teich der Nilpferde

Der kleine Bruder

Ka-mose der Starke

Der Kind-Pharao

Pharao Ah-mose Ka-em-Waset, der Stier in Waset

Kares

Amun-em-het

Pharao Amun-hotep

Der Sohn der Gärtnerstochter

Die Erste der Damen

Glossar

Stammbaum Ah-hoteps

Karte von Unterägypten zur Zeit Ah-hoteps

Karte von Oberägypten zur Zeit Ah-hoteps

Impressum neobooks

Vorwort

Mut steht am Anfang des Handelns,

Glück am Ende.

Mehr als einhundert Jahre herrschten die Hyksos bereits über den Norden Ägyptens. In einer Zeit der Wirren und Thronstreitigkeiten hatten die aus dem Nahen Osten zugewanderten und bereits seit einiger Zeit in Ägypten lebenden Arbeiter, Handwerker, Söldner und Verwaltungsbeamte die Macht an sich gerissen und sich schließlich sogar zu Pharaonen erhoben. Bis hinauf nach Waset (Theben/Luxor) hatten sie das Land unterjocht, ihre Eroberungen im Süden allerdings nicht halten können. So entwickelten sich dort Kleinkönige, die danach trachteten, die Fremdherrscher zu vertreiben und das Land wiederzuvereinigen.

Ah-hotep, die Tochter eines dieser Kleinkönige, war als Große königliche Gemahlin zweier Pharaonen maßgeblich an diesem Befreiungskampf beteiligt. Doch erst ihrem Sohn Ah-mose sollte es gelingen, die Hyksos endgültig aus Ägypten zu vertreiben und das Land wiederzuvereinigen. Ihr Enkel Amun-hotep würde Ägypten zu erneuter kultureller Blüte bringen und ihr Urenkel Thot-mose die Grenzen des Landes am Nil ausdehnen und sichern. Ah-hoteps Leben unter sechs Pharaonen war von diesem langen Befreiungskampf geprägt, so dass man sie als „Befreierin Ägyptens“ rühmte.

Es war dann auch Ah-hoteps Beispiel, welches ihre geliebte Ururenkelin Hat-schepsut später dazu veranlasste, nach der höchsten Macht im Staat zu greifen. Über achtzig Jahre hat Ah-hotep gelebt und Ägypten in die glorreichste Epoche seiner langen Geschichte geführt: Das Neue Reich.

Prolog: Teti-scheri

Wer eine Frau verstehen will,

muss ihre Mutter kennen.

Ah-hoteps Mutter hieß Teti-scheri.

Die kleine Teti, wie ihr Name übersetzt lautete, wurde an einem heißen Nachmittag während des zweiten Monats der Nilflut geboren. Ihre Mutter Neferu war schon am frühen Morgen ins Mammisi aufgebrochen, der Geburtslaube des königlichen Sommerpalastes in Sedjefa-taui, in der erst tags zuvor die Große Königliche Gemahlin Sobek-em-saf von einem Sohn entbunden worden war. Im Gegensatz zu Neferu war es für Sobek-em-saf eine weitere schwere Schwangerschaft gewesen. Mehr als einmal schien es so, als ob sie auch dieses Kind verlieren würde. Sie opferte Re und flehte um seinen Beistand, damit das göttliche Kind auch gesund zur Welt käme. Neferu wusste, dass die Große königliche Gemahlin sie insgeheim beneidete, weil sie bislang jedes ihrer Kinder so problemlos ausgetragen hatte. Nahezu jeden Tag hatte sich Sobek-em-saf bei der Frau des Ersten Schreibers ihres Schatzmeisters nach deren Wohlbefinden erkundigt. Doch für Neferu war die Schwangerschaft auch dieses Mal nichts anderes als eine Zeit ungetrübter Vorfreude auf des Kind, während sie für Sobek-em-saf, wie üblich, ein Martyrium war. Allerdings ‑ und dies war der Schatten, der dennoch auf Neferus Gemüt lag ‑, war bislang keines ihrer so mühelos auf die Welt gekommenen Kinder länger als zwei Jahre am Leben geblieben.

Dieses Kind in ihrem Bauch war jedoch so voller Kraft und offensichtlichem Lebenswillen, dass Neferu fest daran glaubte, dass alles gut gehen würde und es schließlich auch neben dem neugeborenen Königssohns groß werden könne. Erst vor wenigen Wochen hatte sie ihre gerade einmal anderthalb Jahre alte Tochter Teti verloren. Das Kind war mitten im Schlaf seines noch jungen Lebens beraubt worden. Für Neferu gab es keinerlei Zweifel daran, dass es böser Zauber gewesen war, der ihr das stets so gut gelaunte, sonnige Kind genommen hatte. Nächtelang hatte sie darüber nachgegrübelt, wessen Fluch wohl dafür verantwortlich gewesen sein mochte. Sogar ihr Mann Tjenna hatte in seiner Verzweiflung geschworen, dass er zu jeder Zeit ein gottgefälliges Leben geführt und auch in seiner Position als Erster Schreiber des Schatzmeisters niemals jemandem auch nur den geringsten Grund gegeben habe, ihn mit einem derart schlimmen Fluch zu belegen. So konnten sich die trauernden Eltern letztendlich nur erklären, dass es die übel wollenden Fremden des Deltas gewesen sein mussten, die für den Tod der kleinen Teti verantwortlich waren. Sie hielten den Norden des heiligen Kemet besetzt und drohten allen, die sich ihnen nicht unterordneten, mit dem Zorn ihres so furchterregenden wie gewalttätigen Wüstengottes Seth. Und war es nicht auch so, dass nahezu jedes Übel, das Kemet heimsuchte, von diesen asiatischen Fremdlingen unter ihren anmaßenden Herrschern ausging? Auch wenn es Tjenna eigentlich eine zu einfache Deutung war, so schloss er sich ihr letztendlich dennoch an, bereitete es seiner geliebten Neferu doch eine gewisse Erleichterung, endlich eine Erklärung für den Tod des Kindes gefunden zu haben. Ja, sie war voll glückseliger Vorfreude auf das neue Kind.

Die weisen Frauen in der Geburtslaube, die erst Tags zuvor Sobek-em-saf beigestanden hatten, waren noch immer unter dem Eindruck der dramatischen Geburt des Königssohnes. Sobek-em-saf war keine junge Frau mehr und auch Pharao war bereits in vorgerücktem Alter. Vor wenigen Jahren war der hoffnungsvolle Thronfolger, der den Truppen in Gebtu vorstand und noch immer unverheiratet war, während einer militärischen Übung verunglückt und an seinen Verletzungen gestorben. Seither hatten Pharao und seine Große königliche Gemahlin verzweifelt versucht, abermals Eltern zu werden, obwohl sie schon lange in getrennten Betten schliefen. Pharao stiftete in Gebtu sogar eine Kolossalstatue des Gottes Min, den er mit einem übergroßen, erigierten Zeugungsglied darstellen ließ. Sie wurde schließlich zu einem viel besuchten Pilgerziel, seitdem bekannt geworden war, dass Sobek-em-saf tatsächlich noch einmal ein Kind erwartete.

Nach all den Schwierigkeiten während der königlichen Schwangerschaft hatte sich bei der Niederkunft nun auch noch die Nabelschnur um den Hals des Prinzen gelegt, so dass das Kind bereits blau angelaufen war, als es zur Welt kam. Es hätte nicht viel gefehlt und der Thronfolger wäre bei der Geburt gestorben. Doch Re hatte Sobek-em-safs Gebete erhört und das Kind stark gemacht, so dass es auch diese Unbill überstand. Endlich war dem Herrscher von Waset, der wie alle seine Vorfahren insbesondere den Mondgott Ah verehrte, abermals ein Sohn geboren worden. Überall im Land ließ man verkünden, dass Ah durch Res göttliche Hilfe wiedergeboren war. Und so nannte man den Prinzen schließlich Senacht-en-Re Ah-mose: Der wiedergeborene Mond - den Re stark gemacht hat.

Die Musik der ausgelassen Feiernden klang noch immer aus dem Palast herüber, als Neferu sich in der Geburtslaube niederhockte, einige Male mit aller Kraft presste und endlich den befreienden Schrei tat. Wieviele Kinder hatte sie doch schon geboren. Allesamt Mädchen und keines von ihnen hatte überlebt. Jetzt sollte es ein Junge sein. Trotz all ihrer Opfergaben und Gebete war es jedoch abermals ein Mädchen. Es war ein winziges Kind, das zu Neferus Füßen lag: klein und schmächtig. Doch das kleine Bündel brüllte derart laut, dass Sobek-em-saf sogleich eine ihrer Hofdamen herüberschickte, um sich berichten zu lassen, ob Mutter und Kind auch wohlauf seien. Obwohl Neferu und Tjenna sich eigentlich einen Sohn gewünscht hatten, waren sie nun dennoch froh, einer Tochter das Leben geschenkt zu haben: Würde ein kleines Mädchen doch weitaus weniger den Neid und die Eifersucht der Großen königlichen Gemahlin auf sich ziehen, als es ein kräftiger Junge getan hätte. Und da das kleine Ding sein Schreien alsbald aufgab und stattdessen staunend in die Runde blickte, schien es Neferu so, als ob die Götter das kleine Wesen geschickt hätten, damit es seine kürzlich erst verstorbene Schwester Teti ersetzen sollte. Auch Tjenna war es ein Trost, daran zu glauben. Also nannten sie das zarte Mädchen kurzerhand Teti-scheri: Die kleine Teti.

Da es lediglich ein Mädchen war, das schon allein aus diesem Grund ihrem Gottessohn keinerlei Bewunderung abspenstig machen konnte, hielt es Sobek-em-saf für eine reizvolle Idee, die beiden Neugeborenen, die nur ein Tag trennte, baldmöglichst zusammen zu bringen. Das zartgliedrige, um nicht zu sagen schwächliche Kind der Frau des Ersten Schreibers des Schatzmeisters mochte den nicht gerade lebhaften Thronfolger sicherlich auch in einem besseren Licht erscheinen lassen. Und als die beiden Neugeborenen schließlich nebeneinander lagen, konnte alle Welt sehen, wie stolz Pharao auf seinen kräftigen, kleinen Sohn war. Just in dem Augenblick, als er sich über die beiden Kinder beugte, blickte ihm Teti-scheri forschend ins Gesicht, ergriff die Hand des neben ihr liegenden Prinzen, zog sie zu sich und lachte ihren neuen Freund an. Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des ansonsten so teilnahmslosen königlichen Säuglings, so dass Pharao von nun an der unerschütterlichen Meinung war, dass die Gesellschaft der kleinen Tochter von Tjenna und Neferu seinem Sohn ausgesprochen gut täte. Und da der Gottessohn keine weiteren Geschwister mehr hatte, außer einer in langen Jahren des Wartens auf einen ebenbürtigen Ehemann vorzeitig verblühten Schwester, sollte er, so war es der Wille Pharaos, gemeinsam mit Teti-scheri heranwachsen.

Neferu wurde die Ehre zuteil, als eine seiner Ammen den Königssohn zu säugen. Selbstverständlich musste das göttliche Kind immer als Erstes an die Brust gelegt werden. Erst wenn der Prinz satt und zufrieden eingeschlummert war, kam auch Teti-scheri in den Genuss ihrer Mutter Milch. So verging kein Tag, an dem Neferu nicht Tawret, der nilpferdköpfigen Göttin opferte, damit ihre Brüste auch möglichst lang schön prall blieben. Wie üblich achtete man darauf, dass die Ammen stets gut gelaunt waren. War man doch der festen Überzeugung, dass jede Art von Missstimmung oder Übellaunigkeit die Qualität der Milch maßgeblich beeinträchtigen würde. So gehörten Neferu und ihr Mann Tjenna schon bald zum aufmerksam umsorgten innersten Kreis der königlichen Familie. Pharao, der erst jetzt auf den so stillen wie sorgfältigen Mann aufmerksam geworden war, lernte dessen ruhige und zuverlässige Art schätzen, so dass er Tjenna schließlich zu seinem persönlichen Ersten Schreiber ernannte. Er war sich der Loyalität des Mannes inzwischen vollkommen sicher. Und dies war schließlich auch die unabdingbarste Voraussetzung, um jemanden zu Pharaos persönlichem Ersten Schreiber zu ernennen. Zudem musste der Ernannte bereit sein, sein Leben niemand anderem zu widmen als Pharao allein. Neferu und ihr Mann konnten es manchmal kaum glauben, welch ungeahnter Aufstieg ihnen bei Hofe beschieden war. Und sie wussten, dass sie dies vor allem ihrer Tochter Teti-scheri zu verdanken hatten.

Schon bald schienen die beiden Kinder unzertrennlich. Sobald Teti-scheri nicht an seiner Seite war, quengelte und schrie der Prinz. Also wies Pharao der kleinen Freundin seines Sohnes und ihren Eltern eine Wohnung im Innersten des Palastes zu, so dass die Kinder möglichst viel Zeit miteinander verbringen konnten. Selbst als Neferu den Thronfolger abgestillt hatte ‑ Teti-scheri aß längst schon mit den Erwachsenen ‑, blieb Pharao ihrer Familie gewogen. Senacht-en-Re Ah-mose krabbelte noch immer über den Marmorboden des Palastes, als Teti-scheri bereits munter umherlief. Und als der Prinz sein erstes Wort sprach – sehr zum Bedauern seiner Eltern war es der Name seiner kleinen Freundin, den er zu einem liebevollen Titti-scheli verballhornte ‑, konnte Teti-scheri zumindest den Anfang der Geschichte des Sinuhe bereits nahezu fehlerfrei aufsagen. Es dauerte nicht lange und es kam das Gerücht auf, dass der kleine Prinz womöglich schwachsinnig sei. Die um seinen Hals gewundene Nabelschnur, von der eine der Frauen aus der Geburtslaube berichtete, wurde dafür verantwortlich gemacht. Schnell hatte Pharao herausgefunden, welche der Frauen davon erzählt hatte und ließ ihr kurzerhand die Zunge herausschneiden. Seither wurde nur noch unter vorgehaltener Hand von den beschränkten Fähigkeiten des Prinzen gemunkelt.

Als es an der Zeit war, Senacht-en-Re auf die Palastschule zu schicken, damit er Lesen und Schreiben sowie Rechnen und Astronomie erlernte, um in den Grundlagen von Geographie und Geschichte unterwiesen sowie auf seine Rolle als zukünftiger Herrscher vorbereitet zu werden, bestand Pharao darauf, dass Teti-scheri ebenfalls am Unterricht teilnahm. Und wie sich zeigen sollte, war dies eine weise Entscheidung. Denn das kluge Mädchen sah es offensichtlich als ihre gottgegebene Aufgabe an, den kleinen Prinzen in allem beizustehen und zu unterstützen. Voller Geduld und liebevoller Zuwendung übte sie mit ihrem Mündel rechnen, lesen und schreiben. Und nichts schien sie glücklicher zu machen, als dessen zaghafte Fortschritte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Pharao in die kleine Freundin seines Sohnes vollkommen vernarrt war. Sie war gewitzt und auch kess genug, ihm ins Gesicht zu sagen, dass er mit seinem Sohn nicht so ungeduldig sein solle.

„Er versteht das schon“, sagte sie, „er braucht eben einfach nur ein wenig länger.“

So war Pharao auch jedes Mal gerührt, wenn sie ihm mit dem Brustton der Überzeugung erklärte – so, wie sie es tausendfach in der Schule oder auch von ihren Eltern gehört hatte ‑, dass es an der Zeit wäre, die alte Größe des Landes am Nil wiederherzustellen und die Fremden endlich aus dem Delta zu werfen.

„Geduld, Geduld, mein Rosenknöspchen“, sagte Pharao dann immer mit einem Strahlen im Gesicht. „Noch ist es zu früh. Aber die Zeit wird kommen. Und wenn nicht unter Senacht-en-Re Ah-mose, dann unter seinem Sohn. Wir dürfen dieses geheiligte Ziel in all den langen Jahren, die da noch kommen mögen, nur nicht aus den Augen verlieren. Bis es aber so weit ist, müssen wir geduldig sein und uns mit den Gegebenheiten arrangieren.“

Wie sehr hatte sich Pharao einen solchen Sohn gewünscht und nicht diesen langsamen, tumben Dickwanst, der ihn kaum eines Blickes würdigte. Umso mehr war er davon überzeugt, dass Teti-scheri an Senacht-en-Res Seite bleiben sollte, damit sie das ersetzte, was seinem Sohn letztendlich fehlte.

Im Palast zu Waset hatte Pharao Teti-scheri und ihren Eltern schließlich einen prächtigen Wohntrakt mit all den notwendigen Dienern und Dienerinnen einrichten lassen, so dass man meinen konnte, sie sei eine königliche Prinzessin. Natürlich verursachte dies einiges an Missgunst bei Hofe. Ihre Eltern litten sehr darunter, doch Teti-scheri kümmerte sich nicht weiter darum, war das Wohlergehen ihres Freundes doch das Wichtigste für sie. Sie lächelte jenen, die sie mit ihren spitzen Bemerkungen zu verletzen suchten, freundlich ins Gesicht, merkte sich aber gleichwohl deren Namen.

Eines Tages wagte es die Große königliche Gemahlin, Pharao auf seine kuriose Vorliebe für die Tochter seines Ersten Schreibers anzusprechen. Denn eigentlich gebührte Pharaos Zuneigung doch vor allem dem eigenen Sohn.

„Nur mit einer weisen Frau an seiner Seite kann ein König auch ein wahrhaft großer Herrscher werden“, entgegnete Pharao mürrisch. „Und er darf sich glücklich schätzen, wenn er ihr vollkommen vertrauen kann. Wir müssen den Göttern danken, Weib, dass sie uns Teti-scheri geschickt haben. Und mir ist es einerlei, ob königliches Blut in ihren Adern fließt oder nicht. Es ist die Klugheit ihres Herzens, aber auch ihre bedingungslose Zuneigung zu Senacht-en-Re, die sie wie sonst kaum jemand geeignet sein lässt, an seiner Seite zu stehen. Besser als jeder andere kennt sie die Unzulänglichkeiten unseres Sohnes und weiß sie auszugleichen. Was könnte ihm also Besseres geschehen, als Teti-scheri an seiner Seite zu wissen?“

Und weil Senacht-en-Re tatsächlich immer ruhig und entspannt schien, sobald Teti-scheri um ihn war, sie ihn in seinen Aussagen bestätigte oder aber auch behutsam nachfragte, ob nicht doch ein anderer Blick auf die Dinge denkbar wäre, stand sie schon bald auch bei offiziellen Anlässen regelmäßig hinter seinem kleinen Thron. Nun wusste jeder, dass wohl auch in Zukunft ihr Platz neben Senacht-en-Re Ah-mose sein würde.

Senacht-en-Re hasste den alten, finsteren Palast in Waset. Was wohl vor allem daran gelegen haben mag, dass er dort schon von klein auf zu sämtlichen offiziellen Anlässen mitgeschleppt und vorgezeigt wurde. Galt es doch, allen zu zeigen, die zu einer Audienz bei Pharao vorgelassen wurden ‑ seien es machtvolle Offiziere, aufmüpfige Gaufürsten oder auch feindselige Gesandte aus dem Delta ‑, dass der Fortbestand der Dynastie gesichert war. Senacht-en-Re fühlte sich jedes Mal ausgestellt wie eine Trophäe und auch wie eine solche begutachtet. In jedem Blick der Fremden konnte er erkennen, wie er mehr oder weniger unverhohlen abgeschätzt wurde. Und nicht eben selten sah er nichts anderes als überhebliche Verachtung.

Doch spätestens seit Teti-scheri die Palastschule besuchte, fand sie im Gegensatz zu Senacht-en-Re immer mehr Gefallen an derartigen Verpflichtungen. „Der Prinz hat heute drei Enten mit dem Wurfholz erlegt“, ließ sie ungefragt hören, um ihren Freund in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen. Und oft genug flüsterte sie Senacht-en-Re etwas ins Ohr, was ihn jedes Mal zuverlässig lächeln ließ. Riet sie ihm doch, sich vorzustellen, wie die mit Gold behängten und so ehrwürdig wie finster dreinblickenden, alten Männer vor ihm nackt und von Durchfall geplagt ihre Notdurft verrichteten. „Heute stinkt es aber wieder“, sagte er dann, ein Kichern unterdrückend, woraufhin die Diener in einer weiteren Schale Räucherwerk entzündeten.

Waset war in der Tat eine stinkende Stadt. Jeder der dort ansässigen zahllosen Fleischer, Gerber und Bierbrauer sorgte schließlich dafür. Stand der Wind ungünstig, wehten die übelsten Gerüche in den Palast, so dass manches Mal selbst die Räucherschalen nichts mehr ausrichten konnten. In Sedjefa-taui, eine knappe Tagesreise flussabwärts, wohin die königliche Familie mit der gesamten Verwaltung Jahr um Jahr während der Überschwemmungszeit umzog, fühlten sich alle sehr viel wohler. Dort gab es frische Luft und der abendliche Nordwind brachte regelmäßig zuverlässige Erfrischung. Bis Senacht-en-Re in die Schule ging, hatte er ausschließlich dort gelebt. Und wenn er überhaupt je einen Ort als Zuhause betrachtete, dann den Sommerpalast von Sedjefa-taui. Zum einen gab es dort kaum einmal Audienzen und zum anderen konnte er sich dort auch verhältnismäßig frei bewegen, weil so gut wie nie ein gerade anwesender Oberpriester das angemessene Verhalten des Gottessohnes anmahnte. In Waset hingegen gab es Dutzende von Lehrern, Hofdamen oder Priestern, die ‑ ob dazu aufgefordert oder nicht ‑, nichts anderes taten, als auf das rechte Verhalten des zukünftigen Königs zu achten. Senacht-en-Re litt unter der fortwährenden Kritik, während Teti-scheri sich gern darüber lustig machte.

„Ich zeige ihnen, was sie sehen wollen, mache aber dennoch, was ich will“, sagte sie frech.

Während einer außergewöhnlich starken Nilflut, die so hoch war, dass sie sogar tagelang den Nord- vom Südpalast in Sedjefa-taui trennte, übte Teti-scheri mit Senacht-en-Re, wie er es erreichen konnte, ein wenig majestätischer zu wirken.

„Schau nicht in ihre Augen, um zu erforschen, was sie von dir halten“, mahnte sie ihn, „sondern um zu erkennen, wer sie sind und was sie von dir wollen. Du bist der Gottessohn. Sie sind nichts als Staub unter deinen Füßen. Lediglich deine göttliche Gnade lässt dich ihnen sich zuwenden und ihnen dein Ohr schenken.“

Wie jeder Junge war Senacht-en-Re von den Soldaten beeindruckt. Aber nicht lange. Denn schon bald stellte er fest, dass er selbst in einer Rüstung kaum jemals so eindrucksvoll aussehen würde wie einer der prächtigen Offiziere, deren Loyalität für die königliche Familie so wichtig war. Es verging kaum ein Tag, an dem Pharao seinen Sohn nicht daran erinnerte. Denn selbst sein alter Vater sah mit Helm und Panzer noch immer beeindruckend aus, während er wie ein mit Blech behangenes Honigküchelchen neben ihm herwackelte. Pharao ließ darum auch kaum eine Gelegenheit aus, sich seinen Truppen in voller Rüstung zu zeigen. Welch ein Mann! Die Soldaten liebten ihn.

Teti-scheri hatte jedoch ein hartnäckiges Wesen, das sich nicht so schnell mit vermeintlichen Gegebenheiten abfinden wollte. Tagelang ließ sie ihren Freund in der schweren, heißen Rüstung herumlaufen. Sie wanderte mit ihm in die Berge des Westens, wagte sich mit ihm bis zum Schwemmland vor, wohin sich gelegentlich sogar Nilpferde und Krokodile verirrten und marschierte jeden Tag mit ihm vom Nord- zum Südpalast und wieder zurück.

„Jeder wird dir nun ansehen, dass du es gewohnt bist, dich in einer Rüstung zu bewegen“, bestätigte sie ihm. „Das macht Eindruck, glaub es mir!“

Sie konnte Senacht-en-Re sogar davon überzeugen, sich auch außerhalb des Unterrichts in der Kunst der Waffenführung zu üben. Sie gab einer der Wachen, einem stets freundlich lächelnden Söldner von einer der Inseln im Grünen Meer, ihren goldenen Armreif und dafür zeigte er Senacht-en-Re in einer verschwiegenen Ecke des Palastes, wie er die Waffen geschickter handhaben konnte. Und da Teti-scheri der Meinung war, dass es dabei auch für sie einiges zu lernen gab, beteiligte sie sich kurzerhand an den Waffenübungen. Die drei Verschworenen hatten schließlich sogar einigen Spaß bei ihren geheimen Scheinkämpfen. Es dauerte nicht lange und Teti-scheris Einsatz hatte sich unter den Soldaten herumgesprochen. Ihre Bewunderung für das zarte, doch so willensstarke Mädchen wuchs ins Grenzenlose, als sie hörten, dass sie zwar nur über geringe Körperkräfte verfügte, dafür aber um so schneller und gewitzter focht. Ihr fiel immer etwas ein, das einen Streich gegen sie zu ihrem Vorteil werden ließ. Bald sahen sie in ihr eine Art Glücksbringerin, die sie unbesiegbar machen würde.

Doch Senacht-en-Re war alles andere als ein Krieger. Er war langsam, was alleine schon keine gute Voraussetzung für einen Kämpfer war. Überhaupt war er das, was man einen Spätentwickler nannte und seine schüchterne, unsichere Art unterstützte dies auch noch. Zudem bereitete es ihm kaum Vergnügen, sich körperlich zu betätigen. Schon als Kind war er rundlich, doch jetzt, im jugendlichen Alter, war er wahrhaft dick geworden. Teti-scheri war klug genug, irgendwann einmal einzusehen, dass es keinen Sinn hatte, wenn Senacht-en-Re mit Macht versuchte, seine zukünftige Herrschaft als die eines Krieger-Pharaos zu gestalten. Doch auch in dem so wichtigen Führen von Verhandlungen fehlte es ihm an Geschick. Schnell wurde er missmutig, wenn man ihn drängte und ihm eine Entscheidung abverlangte. Aber wenigstens auf diesem Gebiet, so wusste Teti-scheri, würde sie ihm hilfreich zur Seite stehen können. Wiederholt versuchte sie, ihn für irgendetwas Nützliches zu begeistern. Vielleicht würde er der Pharao der Wissenschaften werden, oder der Medizin; vielleicht sogar der Künste … Aber nichts erregte bei Senacht-en-Re mehr als nur ein kurzfristiges Interesse. Alleine die Speisen, die aus der Palastküche kamen, konnten ihm nachhaltige Begeisterung abringen. Eines Tages hatte Teti-scheri ihn in der Küche vorgefunden, wie der ansonsten so maulfaule Junge mit einem der Süßbäcker angeregt über die unterschiedlichen Qualitäten von Honig sprach – und sie natürlich auch eine nach der anderen verkostete. Nein, ein Pharao der Süßspeisen würde sicherlich kaum ewigen Nachruhm erringen können. Sie würde also darauf achten müssen, dass es eines Tages noch anderes von Pharao Senacht-en-Re Ah-mose zu berichten gab, als dass er über einen großen Appetit auf Süßes verfügte.

Teti-scheri war gerade zehn Jahre alt geworden, als das ganze Land plötzlich in Aufruhr geriet. Der selbsternannte Pharao des Nordens, jener Asiat, der die Oberhoheit auch über den Süden für sich beanspruchte, war in hohem Alter gestorben. Eilige Ergebenheitsbekundungen und Geschenke wurden hin und her geschickt, Botschafter ausgesandt und etliche Gaufürsten reisten sogar höchstselbst nach Avaris, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Allein Pharao Nub-cheper-Re Anjotef verhielt sich still in seinem Palast zu Waset, ließ seine Truppen jedoch in Gebtu versammeln. Das ganze Land, ob Norden oder Süden, wurde von Unsicherheit gepeinigt. Lebte doch kaum noch ein Mensch, der einen anderen Herrscher als jenen alten Heqa-Chasut in Avaris erlebt hatte. Das Gleichgewicht der Dinge, die Ma’at, war solange außer Kraft gesetzt, bis ein neuer König inthronisiert war. Alles konnte in einem solchen Zustand geschehen, der dem gefürchteten Chaos so nahe kam. Teti-scheri ereiferte sich derart, dass sie sich sogar erdreistete, Pharao ungefragt dazu aufzufordern, nach Avaris zu ziehen, um sich auf den freigewordenen Thron zu setzen.

„Geduld, Geduld, mein Rosenknöspchen“, sagte Pharao mit einem Strahlen im Gesicht. „Noch ist es zu früh. Aber die Zeit wird kommen. Wir dürfen darüber nur nicht unser Ziel vergessen. Bis es aber so weit ist, müssen wir geduldig sein und uns mit den Gegebenheiten arrangieren.“

Bald darauf erschien ein Gesandter aus Avaris am Hof von Waset. Als Gastgeschenk brachte er einen prächtigen Bronzedolch mit, auf dessen Heft der Name des neuen Herrschers eingraviert war: Aaqen-en-Re Apopi - Apopi, den Re stark gemacht hat. Allein die Tatsache, dass der neue Herr in Avaris seinem mächtigsten Widersacher eine Waffe zum Geschenk machte, zeigte aller Welt, wie wenig er sich vor ihm fürchtete. Ja, er bewaffnete ihn sogar, sehr wohl wissend, dass der Beschenkte nichts gegen ihn würde ausrichten können. Pharao fiel es nicht eben leicht, während des Empfangs des Gesandten seine Haltung zu bewahren und diese Demütigung hinzunehmen. Als schließlich die Reihe an Teti-scheri war, das wertvolle Geschenk ausgiebig zu bestaunen ‑ sie stand selbstverständlich auch bei dieser Gelegenheit hinter Senacht-en-Res kleinem Thron ‑, atmete sie geräuschvoll aus wie ein gemeiner Soldat, der zum Zeichen des Erstaunens, die Luft durch die Zähne zischen ließ. Alle sahen wegen dieses ungebührlichen Benehmens erschrocken zu ihr herüber.

„Ach, wie süß“, rief sie scheinbar verzückt. „Apopi! Nein, wie niedlich. Die Kupferschmiede bei uns hier im Süden, die vor ihrem Feuer schwitzen und dabei stinken wie verdorbene Fischeier, nur um mit ihren schwieligen, an die Haut eines Krokodils erinnernden Händen solch herrliche Waffen zu fertigen, die nennen ihre Söhne so: Apopi! Wirklich niedlich.“

Es herrschte atemlose Stille und es dauerte eine Weile, bis der Gesandte aus Avaris sich wieder gefangen hatte. „Die Gespielin des Thronfolgers scheint sich aber sehr gut in den Werkstätten des Landes auszukennen“, entgegnete er spitz.

„Selbstverständlich“, beendete Pharao das Thema. „Uns hier im Süden liegt eben das Wohlergehen eines jeden unserer Untertanen am Herzen, also auch das der Kupferschmiede.“

Es war dies das erste Mal, dass Pharao Apopi im fernen Avaris von jener kleinen, impertinenten Person in Waset hörte.

Teti-scheri hatte in ihrer glühenden Begeisterung für das heilige Ziel der Befreiung Kemets tatsächlich erwartet, dass sich die Gaufürsten des Südens nun um Pharao Nub-cheper-Re Anjotef scharen würden, um sich zu ihm und seinem Herrschaftsanspruch über ganz Kemet zu bekennen. Ständig stand sie am Fenster, um zu schauen, wer alles käme. Doch schon bald musste sie feststellen, dass es auch jetzt nur die üblichen Gesichter waren, die seit jeher bei Hofe ein und aus gingen. Der Fürst des Hasengaus ließ sich in seiner Gier sogar dazu hinreißen, eine seiner Töchter unaufgefordert nach Avaris zu schicken, damit sie mit ihrer aller Orten gerühmten Schönheit den neuen Herrn betöre und er sie zu seiner Gemahlin machte. Unverrichteter Dinge wurde sie zu ihrem Vater zurückgeschickt und stürzte sich anschließend, die Schmach der Zurückweisung nicht ertragend, in den Nil. Senacht-en-Re war regelrecht entzückt von dieser Nachricht und redete eine zeitlang ständig von der dummen Gans und ihrem machthungrigen Vater. Teti-scheri jedoch tat das arme, von seinem Vater für dessen Interessen missbrauchte Mädchen einfach nur leid.

Die Nilflut war längst schon abgeklungen, als der Thronfolger und somit auch Teti-scheri noch immer im Sommerpalast in Sedjefa-taui weilten. Just an dem Tag, als sie begannen, ihre Rückkehr nach Waset vorzubereiten, war eine Barke von dort eingetroffen. Die Große königliche Gemahlin Sobek-em-saf war in der vergangenen Nacht friedlich im Schlaf gestorben.

„Nun, sie war schon weit über fünfzig“, war alles, was Senacht-en-Re dazu sagte. Nicht eine Träne zeigte sich in seinen Augen, wie Teti-scheri erstaunt feststellte. Stattdessen wies er alle Frauen sowohl des Nord- als auch des Südpalastes sowie der dazwischen liegenden Ortschaft an, den Tod seiner Mutter ausgiebig zu beklagen. Für den Abend wünschte er einen opulenten Totenschmaus einzunehmen. Es bedurfte Teti-scheris ganzer Überzeugungskraft, ihn zur sofortigen Rückkehr nach Waset zu bewegen.

„Pharao braucht uns jetzt“, flehte sie ihn an.

„Wozu?“, entgegnete Senacht-en-Re und zuckte mit den Schultern, ließ sich aber schließlich doch davon überzeugen, nach Waset abzureisen.

Pharao Anjotef traten Tränen in die Augen als die beiden Kinder vor ihm standen. Dankbar nahm er Teti-scheri in den Arm und versuchte, auch den Sohn zu umarmen. Doch der versteinerte, als sein Vater ihn berührte und ließ die ungewohnte Zuneigungsbezeugung regungslos über sich ergehen.

„Sobek-em-saf war mir eine so gute Große königliche Gemahlin wie es ihr nur möglich war“, fasste Pharao seine Gedanken zusammen. „Zukünftige Generationen werden meine Herrschaft als nur mittelmäßig einstufen, fürchte ich. Leider konnte auch Sobek-em-saf nichts daran ändern. Du aber, mein Sohn, hast Teti-scheri an deiner Seite. Höre auf das, was sie sagt. Sie kann dich sehr weit bringen, wenn du sie nur lässt.“

Nach einer angemessenen Zeit der Trauer erhob Pharao Nub-cheper-Re Anjotef seinen Sohn Senacht-en-Re Ah-mose zum Mitregenten, um die Thronfolge ein für alle Male zu sichern. Und da er aus zuverlässiger Quelle erfahren hatte, dass die Monatsblutungen bei Teti-scheri eingesetzt hatten, wurde sie am selben Tag zur Großen königlichen Gemahlin des Thronfolgers erklärt. Der Erste Schreiber Pharaos hatte einen Ehevertrag aufgesetzt, der beiden Seiten gerecht wurde. Und das, obwohl eine der beiden Parteien seine eigene Tochter war.

Die Eheschließung war schnell durchgeführt. Die Brautleute unterzeichneten den Ehevertrag und bezogen eine gemeinsame, prachtvolle Wohnung innerhalb des königlichen Palastes. Hatte Teti-scheri insgeheim erwartet, ihren ansonsten doch so schwerfälligen jungen Ehemann am Abend nach der Hochzeitsfeier vorsichtig anleiten zu müssen, damit die Ehe auch vollzogen wurde, so sah sie sich erfreulicherweise getäuscht. Senacht-en-Re wusste sehr wohl, was er zu tun hatte. Und er tat es überraschend hingebungsvoll und auch mit großer Lust und Freude. Unschuldig wie die Kinder entdeckten sie ihre Körper und genossen die ihnen neuen Glücksgefühle, die sie einander schenken konnten. Die beiden Jungvermählten hatten so viel Gefallen aneinander, dass sie viele Abende ganz allein in ihrer Wohnung verbrachten. Alle Welt konnte sehen, dass sie tatsächlich verliebt waren, was keineswegs selbstverständlich und somit dementsprechend unerwartet war. Bald gehörte es zum guten Ton, dass die Gattinnen und Töchter der Gaufürsten den Hof zu Waset besuchten, nur um das junge Glück mit eigenen Augen bewundern zu können. Gedichte wurden geschrieben und Lieder gesungen - freilich ohne Namen zu nennen. Doch auch so wusste jedermann im ganzen Land, dass in Waset glückliche Zeiten angebrochen waren. Pharao war stolz auf seine Kinder und freute sich umso mehr darüber, seit man auch in Avaris Lieder über das Glück des Südens sang. Mochte man Apopi für seine waffenstarrende Macht auch noch so viel Respekt zollen, bewundert wurde allein das junge Paar in Waset, das eine Zukunft voller Liebe und Zuneigung versprach.

Es dauerte nicht lang und Teti-scheri war schwanger. Besorgt um das Wohlergehen der Frau seines Sohnes, gestattete Pharao der jungen Familie, sich im Südpalast von Sedjefa-taui einzurichten. Sie wären fort aus dem Trubel und der ungesunden Luft von Waset und könnten noch eine letzte, ungestörte Zeit miteinander verbringen, bevor er, zu Osiris geworden, die Krone an seinen Sohn weitergab. Seit Sobek-em-saf nicht mehr bei ihm war, fühlte Pharao deutlich, dass auch seine Tage gezählt waren.

Während Senacht-en-Re entschlossen war, die Ruhe in Sedjefa-taui zu genießen, nutzte Teti-scheri die Zeit, vor allem aber ihre nun einflussreiche Stellung, um den Palast sowie die dortige Hofhaltung vollkommen umzukrempeln. Sie sorgte dafür, dass sich Kunsthandwerker aus dem fernen Konosso niederließen, damit sie die Wände des Palastes mit neuartigen Malereien bedeckten oder aber auch aus dem in der Nähe abgebauten Ton, der seit Jahrhunderten für seine Feinheit berühmt war, neuartige Gefäße formten. Sänger waren gern gesehene Gäste, die in ständigem Wettstreit miteinander lagen. Für ihren Gemahl ließ sie von überall her Köche kommen, die fremdartige Gerichte zubereiteten. Sogar aus Babylon war ein Küchenmeister mit Gehilfen zugewandert, dessen Künste weithin gerühmt waren. Als dann noch der Leibkoch Pharao Apopis von Avaris nach Sedjefa-taui übersiedelte, hatte Teti-scheri, ohne es zu wissen, einen ersten Sieg zugunsten des Südens errungen. Apopi tobte vor Wut, war ihm doch daran gelegen, den Herrscher des Südens als provinziellen Gernegroß erscheinen zu lassen. Nun wanderte sogar sein Leibkoch nach dorthin aus, weil – wie der ihm frech ins Gesicht sagte - nur unter Teti-scheri die Kunst der Hofhaltung strahle wie nirgendwo sonst in Kemet. Es war das zweite Mal, dass Apopi den Namen jener Frauensperson aus Waset hörte. Er sollte ihn nicht mehr vergessen.

Auch die Lage Sedjefa-tauis, das sich am westlichen Nilufer befand, fast genau der Stadt Gebtu gegenüber, sollte sich für Teti-scheris Vorhaben, den Süden erstrahlen zu lassen, als überaus günstig erweisen. Von Gebtu aus führte nämlich einer der alten Karawanenwege direkt ans Rote Meer, das man in fünf Tagen erreichen konnte. Er führte geradewegs durch das Wadi Hammamat, in dem der wertvolle Bechenstein gebrochen wurde, der nur hier gefunden wurde und der wegen seiner außerordentlichen Härte und gleichmäßigen Schönheit vor allem für die Herstellung edelster Statuen Verwendung fand. Außerdem lag in seiner Nähe ein geheimes Goldbergwerk. Es war die drittgrößte Fundstelle des Landes überhaupt. Am Ende der Karawanenstraße verband der Hafen von Tjaou das Reich Pharaos mit den Ländern Arabiens und dem fernen Punt, aus dem gelegentlich Weihrauch, Myrrhe, Ebenholz, Elfenbein, Silber und Gold ins Land am Nil gelangten. Trotz ihres dicken Bauches ließ es sich Teti-scheri nicht nehmen, sich jedes Mal nach Gebtu übersetzen zu lassen, wenn eine Karawane dort eingetroffen war. Mit sicherem Gespür traf sie die erste Wahl, mit der sie aus den angelieferten Waren für den Bedarf des Palastes aussuchte. Zudem versäumte sie kein einziges Mal, die Garnison der in Gebtu stationierten Truppen aufzusuchen, die man wegen ihres Legionsabzeichens die Nilpferde nannte. Und sei es nur, um sich nach deren Wohlergehen zu erkundigen. Selbstverständlich brachte sie kleine Gastgeschenke mit; ausländische Früchte oder eine Extraration Bier. Es war ein eigentümliches Bild, wenn die hartgesottenen Krieger der zarten, kleinen Frau mit dem dicken Bauch zujubelten.

„Lasst meinem Sohn nur eure Stimmen vernehmen“, rief Teti-scheri den Soldaten fröhlich zu und streichelte ihren Bauch, „damit er sie schon kennt, wenn er auf die Welt kommt!“

Bald war es an Teti-scheri, die Geburtslaube im Südpalast von Sedjefa-taui aufzusuchen. Im Sommer erst hatte sie ihr vierzehntes Lebensjahr vollendet. Nun war die Zeit der Aussaat und von den Feldern klangen die Gesänge der Bauern herüber, als sie sich niederhockte, zitternd wie das Laub der Sykomore im abendlichen Nordwind und gestützt von zwei Geburtshelferinnen, um ihr Kind in die Welt zu entlassen. Weihrauch wurde verbrannt, sagte man ihm doch eine das Gemüt beruhigende Wirkung nach, düstere Melodien gesummt, die Teti-scheri allerdings fast noch mehr ängstigten. Unablässig wurde auf sie eingeredet, wie sie zu atmen, sich zu bewegen habe und wie sie zu pressen hätte. Sie erinnerte sich an ihre eigenen Worte, mit denen sie Senacht-en-Re immer aufgefordert hatte, der äußeren Form zwar Genüge zu tun, aber dennoch seinen eigenen Willen zu bewahren. „Ich zeige ihnen, was sie sehen wollen, mache aber, was ich will.“

Das Land war trunken vor Glück: Die Große königliche Gemahlin des Thronfolgers und Mitregenten hatte tapfer wie eine Kriegerin einem gesunden Knaben das Leben geschenkt. Und zwar, wie man hörte, einem derart großen und kräftigen Buben, dass man schon von einem Wunder sprechen musste, weil die Mutter seine Geburt überlebt hatte. Ihm war eindeutig ein Schicksal als großer Held vorherbestimmt. Zudem war der Fortbestand der königlichen Dynastie nun schon in der zweiten Generationen gesichert. Der Jubel war grenzenlos und die Feiern dauerten tagelang.

Senacht-en-Re war überglücklich. Er konnte gar nicht genug von dem kleinen rundlichen Schreier bekommen und herzte das Kind derart, dass schließlich eine der Ammen besorgt dazwischen ging.

„Wir werden ihn wie meinen Urgroßvater und meine Mutter Sobek-em-saf nennen, der Krokodilgott Sobek ist sein Schutz“, sagte er Teti-scheri strahlend ins Gesicht.

„Ach, mein Liebling, wir können ihn nennen, wie wir wollen“, entgegnete sie lachend. „Aber wir müssen ihm auch einen Namen geben.“

Senacht-en-Re Ah-mose machte ein Gesicht, das Tetischeri nur allzu gut kannte. Es zeigte ihr, dass er wieder einmal kein Wort von dem verstanden hatte, was sie gerade gesagt hatte.

„Komm her“, sie klopfte auf ihr Bett, damit er sich setzte. „Du und ich, wir können unseren Sohn rufen wie es uns beliebt. Aber der Rest der Welt muss ihn bei einem Namen kennen, der sofort zeigt, wer er ist.“

„Und wer ist er?“

„Der wiedergeborene Mond, den Re mutig macht: Seqen-en-Re Ah-mose.“

„Aha“, staunte Senacht-en-Re. „Aber irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört …“

„Nur fast“, Teti-scheri zwinkerte listig. „Der Fremdherrscher in Avaris heißt so ähnlich: Aaqen-en-Re Apopi - Apopi, den Re stark macht. Was meinst du, wie viel Gift und Galle er spucken wird, wenn er den Namen unseres Sohnes hört.“

„Meinst du nicht, mein Herz“, gab Senacht-en-Re zu bedenken, „dass es zu weit geht, unserem Kind nur deswegen diesen Namen zu geben, um einen bösen Mann in Avaris zu ärgern?“

„Ach wo! Apopis Galle ist ja nur die Dreingabe. Die Hauptsache wird sein, dass das Volk den Namen als Aufruf versteht: Hier kommt ein ebenbürtiger Gegner des asiatischen Usurpators. Der Süden wagt es, dem Norden die Stirn zu bieten. Der übernächste Pharao wird den Mut haben, den Mond wieder über ganz Kemet aufgehen zu lassen.“

„Ist das nicht ein wenig zu kriegerisch?“, wandte Senacht-en-Re erschrocken ein. „Ich werde jedenfalls die Position meines Vaters einhalten, wenn ich auf dem Thron sitze. Ich mag keinen Krieg. Er bringt nur alles durcheinander. Außerdem sind wir noch lange nicht stark genug, um uns auf einen Kampf einzulassen.“

„Mein Liebling“, sagte Teti-scheri mit ruhiger Stimme. „Dein Sohn wird einmal dein Nachfolger. Und du mögest leben eine Million mal eine Millionen Jahre. Aber bis dahin sollen die Heqa-Chasut nie aus den Augen verlieren, was ihnen einst widerfahren wird. Der Mut des Re wird unseren Sohn leiten, wenn es soweit ist.“

Tage später wurde König Apopi in Avaris, die Nachricht überbracht, dass die Hauptfrau des Thronfolgers von Waset einem gesunden Jungen das Leben geschenkt hatte.

„Das sieht der Hexe Teti-scheri ähnlich“, fluchte Apopi. „Das erste Kind und gleich ein Sohn. Und dann auch noch ein gesunder und kräftiger. Wie hat man beliebt, das göttliche Kind zu nennen?“

Die Wut Apopis soll einem Gewittersturm gleich gekommen sein. War ihm doch augenblicklich klar, dass jeder im Lande, ob im Norden oder im Süden, wegen des Namens über ihn lachen würde. Frech hatte man ihn vorgeführt und alle Welt wissen lassen, dass man seiner gottgegebenen Stärke den ebenso gottgegebenen Mut des übernächsten Pharaos des Südens entgegensetzte. Ganze drei Mal musste der Spion aus Avaris seinen Bericht wiederholen, so sehr freute sich Teti-scheri darüber.

Sobald sie wieder auf den Beinen war, überredete Teti-scheri ihren Mann, sie nach Gebtu zu begleiten, wo tags zuvor eine Karawane aus Tjaou eingetroffen war. Seltene Speisen, Früchte und Gewürze soll sie mitgebracht haben, berichtete man. Teti-scheris wahre Absicht war jedoch, ihren neugeborenen Sohn den königlichen Truppen vorzustellen und zwar vor allen anderen Stützen des Reiches, wie den Priestern, Gaufürsten oder auch hohen Beamten. Darüber hinaus wollte sie dies in Begleitung ihres Mannes tun, des zukünftigen Guten Gottes. Der Jubel war unbeschreiblich. Denn jedem der Soldaten war es, als wäre es sein Sohn, den man ihm zeigte.

„Er kennt eure Stimmen bereits“, rief Teti-scheri begeistert. „Seht ihr, wie sehr er sich freut?“ Als ob er in den Jubel der Soldaten mit einfallen wollte, krakeelte das Neugeborene und wedelte mit den Armen.

Senacht-en-Re hatte sich seit der Geburt seines Sohnes verändert. Auf einmal gab es etwas in seinem Leben, das ihn wahrhaft interessierte: sein Kind. Die zahllosen Ammen, Kindermädchen, Trockenlegerinnen und Sängerinnen waren völlig verwirrt, weil der Thronfolger ständig einen Vorwand suchte, um bei seinem Sohn zu sein und sie damit bei der Ausübung ihren Aufgaben störte. Teti-scheri war vollkommen verzückt von der Vaterliebe ihres Gemahls und liebte ihn dafür nur noch umso mehr. Andererseits überließ er, das Kind umsorgend, seiner Frau die meisten der täglichen Geschäfte, was ihr deren ungestörte Erledigung erleichterte.

Pharao Nub-cheper-Re Anjotef war glücklich, zu sehen, wie der Mond des Südens wieder an Strahlkraft gewann. Er hatte sich die Mühe gemacht und war eigens nach Sedjefa-taui gereist, um die junge Familie zu besuchen. Teti-scheri hatte jedoch das Gefühl, dass ihr Schwiegervater auch gekommen war, um noch ein paar Dinge in Ordnung zu bringen. Er bat sie, bei seinem Sohn ein gutes Wort einzulegen. Ihn plagte nämlich der Gedanke, was aus seiner Tochter, der vernachlässigten Sat-anjotef, werden sollte, wenn er einmal zu Osiris geworden wäre. Jetzt war sie Gottestochter, was bedeutete, dass sie ein Recht auf eigene Dienerschaft sowie ein Wohn- und Verköstigungsrecht im königlichen Palast hatte. Wenn er eines Tages nicht mehr sein würde, wäre sie zwar noch immer Gottesschwester, aber ihr würde nur noch ein bescheidener Raum im Harem Pharaos zustehen. Gerade einmal, dass sie verköstigt, bekleidet und behaust sein würde.

Teti-scheri gelang es tatsächlich, ihren Gatten umzustimmen, seine verwelkte und ihm kaum bekannte Schwester Sat-anjotef zu seiner Nebenfrau zu machen. Sie schwor ihm, dass es das Vernünftigste war, was er tun konnte – und er vertraute ihr. Allerdings erst, nachdem sie ihm hoch und heilig versprochen hatte, dass er mit seiner Schwester kein Kind würde zeugen müssen.

„Dann musst du mir noch eines schenken“, lachte er ihr ins Gesicht und berührte sie dort, wo sie es besonders gern hatte.

„Ich bin schon dabei“, lachte Teti-scheri zurück.

Senacht-en-Re stutzte, dann küsste er ihren Bauch. „So schnell wieder schwanger, kleine Frau?“

Teti-scheri zuckte mit den Schultern. „Sag jetzt nicht, dass es dich wundert …“

Letztendlich hatte Teti-scheri ihrem Gatten aufzeigen können, dass es besser war, wenn er seine Schwester heiratete. Nicht nur, dass er sie dadurch unterstützte ‑ hatte sie sich doch immer loyal verhalten ‑, sondern er band sie auch an sich und vermied dadurch, dass sie womöglich einen Abenteurer heiraten musste, um weiterhin angemessen leben zu können. Denn der würde für die Kinder aus dieser Verbindung eines Tages sicherlich Thronansprüche ableiten wollen. Schon allein deswegen, weil Teti-scheri nicht königlichen Geblüts war. Natürlich würde das erst geschehen können, wenn weder Pharao, noch Senacht-en-Re sowie der kleine Sequen-en-Re am Leben waren. Teti-scheri machte ihren Mann klar, dass er seinen Vater, sich selbst sowie seinen Sohn möglicherweise sogar in Lebensgefahr brachte, wenn er seine Schwester nicht zur Nebenfrau nahm.

„Du bist eine so kluge Frau“, sagte Pharao als er Teti-scheri zum Abschied im Hafen von Sedjefa-taui umarmte. „Pass nur weiterhin gut auf meinen Sohn und meinen Enkel auf. Und auf das Kind, das in deinem Bauch heranwächst. Aber auch auf dich, hörst du?“

„Das werde ich“, entgegnete Teti-scheri und streichelte ihren noch kaum sichtbaren Bauch. „Dieses Mal wird es ein Mädchen, damit ihr Bruder auch eine ebenbürtige Große königliche Gemahlin hat.“

Glückselig wie schon lange nicht mehr fuhr Pharao auf der königlichen Barke nilaufwärts nach Waset zurück.

Keine drei Wochen später brachte ein Bote von dort die Nachricht, dass Pharao Nub-cheper-Re Anjotef zu Osiris geworden war. Mitten in einer Unterredung mit dem Vorsteher der Siegler hatte er sich an die Brust gegriffen und war röchelnd zusammengebrochen. Bis zum Mittag war er tot.

Teti-scheri wollte augenblicklich nach Waset abreisen. Dieses Mal gelang es ihr jedoch nicht, auch ihren Gatten davon zu überzeugen, den Schritt in das neue Leben so schnell zu tun. Drei Tage noch, so bestand er, wollte er ohne die Krone auf seinem Kopf leben und seinem Sohn ersparen, auf langweiligen Audienzen von impertinenten Blicken abgeschätzt zu werden. In diesen drei Tagen, so beruhigte er Teti-scheri, würde schon niemand versuchen, ihm den Thron zu nehmen.

Es waren drei wundervolle, wie aus der Zeit genommene Tage, die Teti-scheri mit ihrem Mann und ihrem Kind in Sedjefa-taui verbrachte. Sie fuhren auf dem Nil, um Enten zu jagen, besuchten die Truppen in Gebtu, die überzeugt davon waren, ihren zukünftigen Führer vor sich zu sehen und sie wanderten mit dem Kind auf dem Arm in die westlichen Berge, um der sinkenden Sonne nachzuschauen. Es waren zufriedene Tage. Und doch war Teti-scheri voller Vorfreude, als sie, angetan mit den prächtigsten Gewändern, die vor Gold nur so funkelten, an Bord der königlichen Barke neben ihrem königlichen Gemahl und mit dem Horusknaben auf dem Schoß flussaufwärts nach Waset fuhr. Die Ufer waren schwarz vor Menschen und alle beugten andächtig ihr Haupt, als der neue Pharao und seine Große königliche Gemahlin, beide halbe Kinder noch, ihrer Zukunft entgegenfuhren.

Der wiedergeborene Mond

Kannst du den Mond sehen,

brauchst du dich um die Sterne nicht zu kümmern.

Vor fünf Monaten erst war Pharao Senacht-en-Re Ahmose die weiße Krone des südlichen Landes aufs Haupt gesetzt worden. Erleichtert hatte das Volk zur Kenntnis genommen, dass Pharao seinen kriegerischen Namen zwar auch zu seinem Thronnamen gemacht hatte, der aller Welt zeigen sollte, dass er seinen Gegnern mutig gegenübertreten würde. Zu seinem Horusnamen jedoch, der die Art und Weise seiner Machtausübung umriss, wählte er das schlichte Meri-Ma’at – Der die Ma’at liebt. Es war die Ankündigung einer um Gerechtigkeit bemühten Herrschaft, die Ausgeglichenheit und Frieden versprach.

Die Krönung war ein großes Ereignis, zu dem aus dem ganzen Land die Menschen zusammengeströmt kamen. Sogar eine Gesandtschaft aus dem fernen Kefdet hatte den weiten Weg auf sich genommen, um dem neuen König zu huldigen und ihm wertvolle Geschenke zu überbringen. Immerhin hatte Apopi die durch sein Herrschaftsgebiet nilaufwärts fahrende Delegation nicht daran gehindert, Waset zu erreichen. Der missgünstige Hirtenkönig aus Avaris, hatte allerdings selbst keinen Gesandten auf den Weg geschickt, als ob er damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Herrschaft Senacht-en-Res nicht anerkannte. Schlau hatte Teti-scheri darauf bestanden, dass nach der Inthronisation sämtliche Geschenke öffentlich vorgeführt wurden. So hatte manch einer der Gaufürsten noch schnell etwas seinen Gaben hinzugefügt, damit nur nicht der Eindruck entstand, dass er mit den anderen nicht mithalten konnte.

„Wir bedauern, dass einige wenige der Fürsten auf die Überreichung von Geschenken verzichten mussten“, verkündete Teti-scheri zum Abschluss der Darbietung der Gaben. „Doch es ist sicherlich besser so, denn es herrscht offenbar Armut in ihren Palästen. Und bevor sie ihrem Volk die Geschenke abpressen, die sie dann doch nur in ihrem eigenen Namen überreichen, ist es besser, das Volk unbehelligt zu lassen.“

Apopi soll sich maßlos über ihre Worte geärgert haben, wie man Teti-scheri später hintertrug. Das Volk hatte sie jedoch mit Erleichterung und Dankbarkeit aufgenommen, schienen sie doch ein Versprechen zu sein, dass Pharao sein Volk zukünftig nicht mit hohen Abgaben bedrängen würde. Noch mehr ärgerte sich Apopi allerdings darüber, dass die Große königliche Gemahlin bei der Parade der königlichen Truppen den kaum seinem Säuglingsalter entwachsenen Thronfolger dem Heerführer, General Nacht-min, in den Arm gelegt hatte, damit er ihn seinen Truppen vorantrug. Die Soldaten sollen so begeistert gewesen sein, dass ihr Jubel sogar das Gebrüll der Nilpferde übertönte. Das Kind soll währenddessen selig gelächelt und munter mit den Armen gerudert haben, als ob es die Soldaten noch zusätzlich anfeuern wollte.

In den vergangenen Monaten hatte Teti-scheri alles versucht, um den alten Palast in Waset etwas freundlicher und weniger finster zu gestalten. Doch es war kaum zu glauben, wer alles seitens des Hofstaates Vorbehalte anmeldete. Die altehrwürdige Heiligkeit des Ortes würde gestört, fürchteten die Priester, die Tradition gebrochen, die Geschichtsschreiber und die Hofdamen beklagten sich über die naturgetreuen, neuartigen Wandmalereien der Künstler aus Kefdet, die sie regelmäßig erschreckten, weil die feinfühligen Damen meinten, in den endlosen Fluren einer lebendigen Maus oder einer aufflatternden Ente zu begegnen. Und auch die Sänger, die seit der Zeit in Sedjefa-taui den Hof des Südens zum Strahlen gebracht hatten, konnten in Waset kaum zur Geltung kommen, da nahezu an jedem zweiten Tag Musik, Tanz und Gesang aus religiösen Gründen als unpassend angesehen wurden. Senacht-en-Re sah sich zudem von zahllosen Würdenträgern bedrängt, die ständig versuchten, in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Insbesondere die Priester des Mondgottes Ah sahen ihre Stunde gekommen. Nahezu täglich wollten sie Pharao dazu bewegen, ihre Tempel mit größeren Vollmachten und umfangreicheren Zuwendungen auszustatten. Senacht-en-Re war dies alles überaus lästig, so dass es Teti-scheri keinerlei Mühe kostete, ihn davon zu überzeugen, rechtzeitig vor der Geburt ihres zweiten Kindes die königliche Residenz wieder nach Sedjefa-taui zu verlegen.

Die königlichen Barken erreichten den dortigen Nordpalast keinen Tag zu früh. Noch am Abend ihrer Ankunft zog sich Teti-scheri in die Geburtslaube zurück und schenkte mitten in der Nacht, just als der Vollmond am höchsten stand, wie vorhergesagt, einer gesunden Tochter das Leben. Ah-hotep sollte sie heißen - Die den Mond zufrieden stellt.

Wieder war Senacht-en-Re so oft es ging bei seinem Kind und quälte die Betreuerinnen mit den immer gleichen Fragen: Hat Ah-hotep zugenommen? Ist sie gewachsen? Hat Ah-hotep gelächelt? Hat sie auch genügend getrunken? Pharao war vollkommen vernarrt in seine Tochter; mehr noch als in seinen Sohn und Thronfolger, der sich mehr und mehr als launisches Schreikind herausstellte. Bekam er nicht augenblicklich, was er begehrte, ließ er sich zu Boden fallen, strampelte mit den Beinen und hielt die Luft an, bis er blau anlief, so dass Teti-scheri ihm bei einer solchen Gelegenheit kurzerhand den Inhalt ihrer Handwaschschale über den Kopf goss. Der königliche Hof war entsetzt, war der kleine Trotzkopf doch immerhin der Thronfolger, der eines Tages die Macht besitzen würde, ein derartiges Verhalten nach Belieben zu vergelten. Teti-scheri war jedenfalls der Meinung, dass ihr Mann den Sohn mit seiner übertriebenen Fürsorge und Nachgiebigkeit verhätschelte.

Sobald er laufen konnte, schickte sie ihren Erstgeborenen, wann immer es möglich war, nach Gebtu hinüber, damit er dort in Gesellschaft der Soldaten lernte, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintanzustellen. Leider musste Teti-scheri feststellen, dass die Soldaten den Prinzen in seiner Selbstbezogenheit noch zusätzlich unterstützten. Eine der Ammen, die ihn regelmäßig begleitete, beklagte sich, dass der Prinz unersättlich war und insbesondere vor versammelter Mannschaft nach ihrer Brust verlangte. Um sie zu quälen, biss er zudem oft und gerne zu, während die Soldaten gröhlten. Alle Versuche, Seqen-en-Re abzustillen, scheiterten an seinem lautstarken Protest. Als er eines Tages mitten auf dem Marktplatz von Gebtu einer der Ammen die Kalasiris vom Leib riss und sich wie ein ausgehungertes Tier auf ihre bloßgelegten Brüste stürzte, hatte Teti-scheri genug von den Launen ihres Sohnes und steckte ihn mit seinen fünf Jahren vor der Zeit in die Palastschule. Sie ließ eigens einen Priester des Amun aus Waset kommen, der für seinen weisen Umgang mit Kindern berühmt war.

Sequen-en-Res Schwester Ah-hotep war genau das Gegenteil: Sie war ein stets freundliches Kind, das feinfühlig auf ihr Gegenüber reagierte, gleichwohl aber sehr genau wusste, was es wollte. Anstatt zu schreien und zu toben, bemühte sich Ah-hotep um die Zuneigung der Menschen, die, von ihrem Liebreiz überwältigt, ihr schließlich bereitwillig zustanden, was sie begehrte. Zudem war sie ein ausgesprochen hübsches Kind mit lebhaften großen Augen, die jedem das Gefühl gaben, dass er von ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung angeblickt wurde. Sobald sie einen Raum betrat, sah man sich nach ihr um. Teti-scheri überlegte oft, was es wohl sein mochte, das ihrer Tochter schon als Kind diese Wirkung verlieh. Senacht-en-Re war fest davon überzeugt, dass es der Mondgott Ah höchstselbst gewesen sein musste, der ihr einen Teil seiner Strahlkraft übereignet hatte.

Ah-hotep war gerade einmal zwei Jahre alt, als Teti-scheri abermals einer Tochter das Leben schenkte: Sat-Djehuti-sat-ibu – Tochter des Thot und Tochter ihres Vaters. Die Tatsache, dass man das Mädchen als Tochter des Thot bezeichnete, sollte den Fürsten von Chemenu für sich einnehmen, da es schließlich die Heimstatt dieses Gottes war. Chemenu stand zwar unter der direkten Herrschaft des Apopi, hatte seinen einstigen Rang aber nie vergessen und hoffte, ähnlich wie Men-nefer und Waset, auf eine Wiederherstellung der alten Herrlichkeit unter seiner Führung. Der Namenszusatz Sat-ibu, in dem das Wort abu aus der Sprache der Fremdherrscher des Deltas anklang, wollte Pharao als Zeichen des Entgegenkommens ihnen gegenüber verstanden wissen. Teti-scheri versuchte alles, ihren Mann davon abzubringen, sich derart bei den Feinden in Avaris einzuschmeicheln. Doch dieses Mal setzte er sich durch. Er herrschte sie schließlich streng an: „Es ist längst schon entschieden, Weib!“

Seit der Geburt von Sat-Djehuti-sat-ibu ging Ah-hotep vollkommen in ihrer Rolle als ältere Schwester auf und bemühte sich um ihr Schwesterchen, als sei sie deren Mutter. Nur ihren grobschlächtigen Bruder Seqen-en-Re mied sie, der sie, sobald er sich unbeobachtet fühlte, zwickte und nach ihr trat, nur um sie zum Weinen zu bringen. Er konnte sich diebisch darüber freuen, wenn der ganze Hofstaat Kopf stand, um herauszufinden, was seine Schwester zum Weinen gebracht hatte. Er genoss die Macht und die Wirkung seiner kleinen Niederträchtigkeiten. Eigentümlicherweise verpetzte Ah-hotep ihren Bruder jedoch nie, sondern litt stattdessen stumm.

Der Hof von Sedjefa-taui strahlte heller denn je. Und Senacht-en-Re war fest davon überzeugt, dass diese Strahlkraft ausreichen würde, die Überlegenheit des Südens augenfällig werden zu lassen. Teti-scheri wurde jedoch nicht müde, ihren Gatten darauf hinzuweisen, dass all der Glanz zu nichts nutze wäre, wenn der Hirtenkönig aus Avaris mit dem lächerlichen Namen tatsächlich eines Tages seine Truppen aussenden würde. Nein, Teti-scheri war der festen Überzeugung, dass nur ein schlagkräftiges Heer Apopi davon abhalten konnte, seinen Appetit auf den Süden zu stillen. Teti-scheri setzte auf Abschreckung und ließ den königlichen Truppen jedwede Unterstützung zukommen, die sie ihnen gewähren konnte. Pharao hingegen war der Meinung, dass ein für beide Seiten einträgliches Auskommen miteinander vor allem dadurch gewährleistet werden konnte, wenn man enger zusammenarbeitete. Also wurden Handelsabkommen geschlossen, die beiden Teilen des Landes zugute kamen. Der wertvolle Bechenstein stand nun auch wieder den Bildhauern des Nordens zur Verfügung, wohingegen der weiße Kalkstein aus dem heiligen An, mit dem schon die Pyramiden des Ersten Reiches verkleidet worden waren, nun wieder nach Waset geliefert wurde. Gleich von der ersten Lieferung hatte Pharao Senacht-en-Re einen eindrucksvollen Getreidespeicher für das Volk von Waset errichten lassen; natürlich nicht, ohne an dessen Eingang für alle sichtbar in den Stein meißeln zu lassen, wem das Volk diese Wohltat zu verdanken hatte. Sogar das dort gelagerte Getreide war aus dem Norden eingeführt worden. Schließlich weideten sogar die Rinder des Südens auf den saftigen Wiesen des Deltas, während die feinen Töpferwaren aus der Gegend von Sedjefa-taui wieder in Avaris erhältlich waren. Man gestattete einander, dass Schiffe das jeweils andere Hoheitsgebiet ungehindert durchqueren konnten, was Teti-scheri sogleich für noch engere Kontakte zu Kefdet nutzte. Andererseits beäugte sie jedes der Schiffe aus dem Norden, das in Richtung Nubien segelte, mit dem größten Argwohn. „Apopi schmeißt sich dem elenden Kusch an den Hals“, schimpfte sie jedes Mal, wenn eines seiner Schiffe am Nordpalast von Sedjefa-taui vorbeifuhr.

Pharao Senacht-en-Re glaubte fest daran, dass sich die beiden Landesteile durch einen intensiven Warenaustausch langsam wieder annähern würden. Und da der Süden erstrahlte wie der volle Mond am Nachthimmel, bräuchte man sich, wie er meinte, um die Sterne nicht zu kümmern. Teti-scheri war diesbezüglich weitaus weniger zuversichtlich. Zum einen hielt sie den Hof von Avaris nicht nur für ein funkelndes Sternchen am Firmament. Was die Gebildetheit und die Blüte der Kultur betraf, mochte der Süden dem Mond alle Ehre machen. Doch für die Herren in Avaris zählte nur, was sie in Händen hielten, so dass Teti-scheri zum anderen, nicht müde wurde, vor der militärischen Überlegenheit der Anbeter des Seth eindringlich zu warnen. Bevor der Süden nicht ebenso gerüstet war wie der Norden, wäre ihrer Meinung nach ein dauerhafter Frieden nicht zu erreichen.

„Doch wenn wir allzu sehr aufrüsten“, gab Pharao zu bedenken, „werden sie sich bedroht fühlen und zu einem Erstschlag greifen. Nein, wir werden nur ganz vorsichtig, im Verborgenen unsere Truppen verstärken. Ansonsten aber besser auf gegenseitige Abhängigkeiten setzen.“

„Du magst die Warenlieferungen, die wir regelmäßig nach Avaris schicken, nennen wie du magst“, ereiferte sich Teti-scheri. „Sie sind dennoch nichts weiter als Tributzahlungen. Und unsere Rinderherden, die auf den Weiden des Nordens grasen, sind für Apopi nichts anderes als ein Faustpfand, mit dem er sich unseres Wohlverhaltens zu versichern weiß. Käme es zum Konflikt, kochten unsere fetten Rinder allesamt in den Töpfen des Nordens.“

So unterschiedlicher Ansicht Pharao und die Große königliche Gemahlin auch in vielen Bereichen waren, welche die Zukunft ihres Landes betrafen, so sehr achteten sie darauf, dass nichts von ihren Meinungsverschiedenheiten nach außen drang. Hätte Apopi doch alles in Bewegung gesetzt, um einen Keil zwischen sie zu treiben, wäre ihm auch nur ein Wort davon zu Ohren gekommen. Während Pharao Senacht-en-Re ein erstaunliches Geschick an den Tag legte, die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Landesteilen auszubauen, förderte Teti-scheri die königlichen Truppen, wo immer es ging. Eine Zuwendung hier, ein üppiges Geschenk dort, vor allem aber die enge Bindung an den Thronfolger ließen die Truppen so loyal werden, wie schon lange nicht mehr in der Geschichte Kemets. Pharao ließ seine Frau gewähren, mahnte allerdings vorsichtige Diskretion an, um ja keinen Verdacht zu erregen, dass man möglicherweise Feindseligkeiten vorbereitete. Senacht-en-Re hatte sich die Außenpolitik vorbehalten, natürlich mit Ausnahme der Kontakte zu Kefdet, während er seiner Großen königlichen Gemahlin als oberster Hausherrin die Gestaltung des Inneren überließ. Er wunderte sich zwar, dass die umfangreichen Umbauten sowohl des Nord- als auch des Südpalastes in Sedjefa-taui kein Ende zu nehmen schienen und dass monatelang trutzige Kasematten aus Ziegeln errichtet wurden, sah es aber lediglich als Demonstration des Verteidigungswillens, die allen zeigen sollte, dass man den Glanz der Paläste auch zu behüten wusste.

Paheri, dem eigens aus Waset herbeigerufenen Priester des Amun, dessen Namen treffender Weise soviel bedeutete, wie „Der, den der Himmel geschickt hat“, gelang es immerhin, seinem Schüler Seqen-en-Re beizubringen, wie wichtig es war, die Ma’at zu erhalten; die göttliche Ordnung der Dinge, ohne die alles im Chaos versinken würde. Dazu gehörte es, dass er seinen Eltern unbedingten Respekt zollte, aber auch, dass er die Würdenträger des Reiches ihrem Rang entsprechend behandelte und nicht wie Fellachen abkanzelte. Leider hatte der Thronfolger jedoch eine unübersehbare Neigung zu Jähzorn und Grausamkeit. Der Nachtigall, die seine Schwester Ah-hotep in einem Käfig hielt, biss er vor ihren Augen den Kopf ab, nur weil sie sich während des Unterrichts wieder einmal als die besser Vorbereitete gezeigt und ihn belehrt hatte.

„Du lernst besser, dich unterzuordnen“, schrie er sie an, „denn als meine Große königliche Gemahlin wird dir schließlich gar nichts anderes übrig bleiben.“

Pharao versuchte, Haltung zu bewahren und redete geduldig auf seinen Sohn ein. Er müsse lernen, Achtung vor dem Leben zu haben, denn als Pharao wäre es seine vornehmste Aufgabe, für den Erhalt der Ma’at zu sorgen. Was schließlich auch bedeutete, dass man sich selbst dem geringsten Lebewesen gegenüber respektvoll verhielt und es nicht leichtfertig tötete. Und schon gar nicht, um seiner eigenen Schwester und zukünftigen Großen königlichen Gemahlin Schmerz zuzufügen.

„Was für ein Getue!“, maulte der gerade einmal sechsjährige Thronfolger und gähnte seinem Vater frech ins Gesicht. „Es war doch nur ein blöder Vogel!“

Kaum hatte er ausgesprochen, landete Teti-scheris Hand klatschend auf seiner Wange. Jeden einzelnen ihrer fünf Finger konnte man dort zählen. Seqen-en-Re war derart überrascht, dass er wie versteinert dasaß und nichts entgegnete. Doch in seinen Augen konnte Teti-scheri sehen, wie ihr unverhohlener Hass entgegenblitzte. Es wurde nie wieder über diesen Vorfall gesprochen, obgleich Teti-scheri sich auf ewig Vorwürfe machte, dass sie, die niederer Abkunft war, den zukünftigen Pharao geohrfeigt hatte.

Während Seqen-en-Res Erziehung von nun an vor allem in den Händen des weisen Paheri lag, der voller Geduld wahre Wunder an dem Gottessohn vollbrachte, indem er ihn lehrte, seinen Jähzorn zu zügeln und seine Macht nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit hemmungslos auszukosten, verbrachte der Thronfolger jeden zweiten Nachmittag in Gebtu unter der Anleitung von General Nacht-min. Sollte er bei Paheri lernen, eines Tages ein so weiser wie gerechter Pharao zu sein, so wurde er von Nacht-min im Kriegshandwerk unterwiesen. Eines Abends, als die königliche Familie den frischen Nordwind auf der Terrasse des Nordpalastes genoss, kam Seqen-en-Re mit dem Vorschlag auf, die Streitmacht seines Vaters durch eine schlagkräftige Reiterei sowie eine eigens zu gründende Streitwagentruppe aufzurüsten, die schließlich auch der Hauptpfeiler von Apopis Armee waren. Pharao war überhaupt nicht begeistert. War der südliche Landesteil doch nicht gerade berühmt für seine Pferdezucht. Also müsste man die kapriziösen Tiere zunächst einmal einführen, was kaum unbemerkt von Apopi zu bewerkstelligen war.

„Ich verhandle doch nicht monatelang mit den Gesandten aus Avaris, um Handelserleichterungen zu erreichen“, jammerte Pharao, „nur um sie mit den Gäulen misstrauisch zu machen und letztendlich zu verprellen! Nein, wir sollten besser die Finger davon lassen.“

„Aber alle Edlen des Nordens reiten neuerdings auf Pferden“, meldete sich die kleine Ah-hotep zu Wort. „Ich möchte auch reiten.“

„Sich auf dem Rücken von Pferden dem Volk zu präsentieren, macht zweifelsfrei einen überaus erhabenen Eindruck“, pflichtete Teti-scheri ihr bei. „Und es würde dem Glanz des südlichen Hofes durchaus gut zu Gesichte stehen, wenn die königliche Familie zu einem der nächsten offiziellen Anlässe hoch zu Ross in Waset einreiten würde.“

Pharao ließ sich schließlich umstimmen, bestand aber darauf, dass man sich keinesfalls in Avaris nach den Pferden erkundigen solle. Teti-scheri bemühte also ihre Verbindungen zu Kefdet, das seinerseits enge Handelskontakte zu Wilusa pflegte, das wiederum als einer der Hauptumschlagplätze für edle Pferde berühmt war, die man aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres einführte. Es dauerte nahezu ein ganzes Jahr bis ein Schiff von der Insel im Grünen Meer eintraf, das sieben Pferde, zwei Hengste und fünf Stuten, geladen hatte sowie, tief verborgen in seinem Bauch, vier in ihre Einzelteile zerlegte Streitwagen. Eines der bedauernswerten Tiere, zum Glück keiner der beiden Hengste, war während der langen Überfahrt auf hoher See gestorben. Umsichtig hatte man die Tiere von einem Pferdebändiger begleiten lassen, den Teti-scheri sogleich zum Vorsteher der Pferde ernannte, obwohl der Mann erbärmlich stank und äußerst ungepflegt war. Da aber niemand sonst im Reich des Südens so recht wusste, wie man mit den scheuen Tieren umzugehen hatte, blieb ihr schließlich keine andere Wahl. Sie ließ die Tiere sogleich in die Garnison von Gebtu bringen, wo Murschili, wie der neu ernannte Vorsteher der Pferde hieß, dafür sorgen sollte, dass sie sich vermehrten. Zugleich wies Teti-scheri die begabtesten Handwerker an, die mitgebrachten Streitwagen zu studieren, um sie anschließend nachzubauen.