Aktiver Verteilnetzbetrieb zur systemdienlichen Nutzung von betrieblichen Flexibilitäten - Heiner Früh - E-Book

Aktiver Verteilnetzbetrieb zur systemdienlichen Nutzung von betrieblichen Flexibilitäten E-Book

Heiner Früh

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Beschreibung

In dieser Arbeit wird ein praxistaugliches Konzept für einen aktiven Verteilnetzbetrieb vorgestellt sowie dessen Implementierung in einem realen deutschen Niederspannungsnetz beschrieben. Gegenstand der Untersuchungen ist dabei die komplette Prozesskette eines automatisierten Niederspannungsnetzbetriebs, angefangen bei der Kommunikationsanbindung, über die Bestimmung des aktuellen Netzzustands in Echtzeit, als Basis für einen sicheren Betrieb, bis hin zur letztlichen Flexibilitätsnutzung. Durch eine abschließende Demonstration der entwickelten Konzepte und Methoden im Rahmen von Feldversuchen während des regulären Niederspannungsnetzbetriebs, werden diese unter Realbedingungen validiert. Es kann gezeigt werden, dass eine großflächige Umsetzung des beschriebenen Konzepts praktikabel ist, wodurch perspektivisch eine Spannungsebenen übergreifende Bereitstellung von Flexibilität aus den Verteilnetzen ermöglicht werden kann, wenngleich der Investitionsbedarf dem gegenübersteht.

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik (IEH) der Universität Stuttgart.

An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr.-Ing. habil. Krzysztof Rudion, der meine Arbeit durch fachliche Diskussionen und kritische Fragen stets gefördert hat. Zudem möchte ich mich für das entgegengebrachte Vertrauen und den Gestaltungsspielraum während meiner Arbeit am IEH bedanken, sowohl bei meinem Doktorvater, als auch bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Stefan Tenbohlen.

Außerdem möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. sc. A. Ulbig für die Anfertigung des Mitberichts und die Anregungen zu meiner Arbeit bedanken.

Zudem bedanke ich mich bei der Netze BW GmbH, im Speziellen bei Frau Alix von Haken und Herrn André Großhans für die konstruktive und unkomplizierte Zusammenarbeit im Rahmen des Forschungsprojektes „Smart Grid Demonstrator“ sowie Herrn Dr.-Ing. Bartholomäus Surmann für die fachlichen Diskussionen im Rahmen der Kooperation.

An die Kolleginnen, Kollegen und Mitarbeiter des IEH geht ein herzliches Dankeschön für die wertvolle Unterstützung und die tolle Arbeitsatmosphäre. Besonders erwähnen möchte ich hierbei Herrn Dr.-Ing. Pascal Wiest, Herrn Dr.-Ing. Daniel Groß und Herrn Dr.-Ing. Daniel Contreras, welche mich von der Promotion überzeugen konnten. Des Weiteren bedanke ich mich bei Herrn Dr.-Ing. Daniel Contreras und Herrn Sharon Müller für die enge fachliche Zusammenarbeit und die zielführenden Diskussionen. Den Herren Dr.-Ing. Pascal Wiest, Dr.-Ing. Daniel Contreras und Sharon Müller danke ich darüber hinaus für die Durchsicht des Manuskriptes. Ein besonderer Dank gilt meinem Bürokollegen Herrn Dr.-Ing. Tim Streubel, für die stets unterhaltsame Zeit am IEH. Darüber hinaus möchte ich mich bei der Verwaltung des IEH, Frau Nicole Schärli, Frau Annette Gugel, Frau Janja Schulz, Frau Elisabeth Weilandt sowie Herrn Dr.-Ing. Ulrich Schärli für die organisatorische Unterstützung bedanken.

Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, meinen Eltern Doris und Udo sowie meinen Geschwistern, die mein Studium stets uneingeschränkt unterstützt haben. Der größte Dank gilt meiner Frau Rahel, für ihre Unterstützung und die oftmals richtigen Worte, die mir etwas Abstand vom Alltagsstress verschaffen konnten und mich zu neuen Aufgaben motiviert haben.

Kurzfassung

Die aktuell stattfindende Transformation des Elektrizitätsversorgungssystem im Rahmen der deutschen Energiewende stellt die Netzbetreiber vor große Herausforderungen sowohl im Betrieb, als auch der Planung. Insbesondere die veränderten Rahmenbedingungen in den Verteilnetzen sind hierbei hervorzuheben. Die Verteilnetzbetreiber werden zukünftig eine aktivere Rolle als bislang einnehmen müssen, da sich die Erzeugungsleistung immer weiter in Richtung der Verteilnetze verschiebt. Darüber hinaus wird durch die Informations- und Kommunikationstechnologie die Erschließung des enormen Flexibilitätspotentials der dezentral angeschlossenen Verbraucher und Erzeuger ermöglicht. Hierfür sind neben massiven Investitionen in die Netzinfrastruktur auch geeignete Konzepte zur automatisierten, systemübergreifenden Koordination der Flexibilitätsnutzung notwendig, welche den operativen Anforderungen genügen.

In dieser Arbeit wird ein praxistaugliches Konzept für einen aktiven Verteilnetzbetrieb vorgestellt sowie dessen Implementierung in einem realen deutschen Niederspannungsnetz beschrieben. Gegenstand der Untersuchungen ist dabei die komplette Prozesskette eines automatisierten Niederspannungsnetzbetriebs, angefangen bei der Kommunikationsanbindung, über die Bestimmung des aktuellen Netzzustands in Echtzeit, als Basis für einen sicheren Betrieb, bis hin zur letztlichen Flexibilitätsnutzung. Bei der Auswahl und Umsetzung der benötigten Methoden stehen dabei die Anforderungen des realen Netzbetriebs im Vordergrund. Durch eine abschließende Demonstration der entwickelten Konzepte und Methoden im Rahmen von Feldversuchen während des regulären Niederspannungsnetzbetriebs, werden diese unter Realbedingungen validiert. Hierbei werden wertvolle Erkenntnisse hinsichtlich der Praxistauglichkeit der getesteten Methoden erlangt. Es kann gezeigt werden, dass eine großflächige Umsetzung des beschriebenen Konzepts praktikabel ist, wodurch perspektivisch eine Spannungsebenen übergreifende Bereitstellung von Flexibilität aus den Verteilnetzen ermöglicht werden kann, wenngleich der Investitionsbedarf dem gegenübersteht.

Abstract

The currently unfolding transformation of the electric power system as part of the German „Energy Transition“ is presenting system operators with major challenges in both operation and planning of their grids. In particular, the altered framework conditions in the distribution systems are to be emphasized here. In the future, the distribution system operators will have to take on a more active role than in the past, since the installed generation capacity is shifting more and more towards the distribution systems. In addition, information and communications technology will enable the usage of the enormous flexibility potential of decentrally connected loads and generators. This requires not only massive investments in the grid infrastructure, but also suitable concepts for an automated, system-wide coordination of flexibility usage that meet the operational requirements.

In this work, a practical concept for an active distribution system operation is presented and its implementation in a real German low-voltage grid is described. The subject of the investigations is the complete process chain of an automated low-voltage system operation, starting with the communication connection, the determination of the current system state in real time, as a basis for a safe operation, leading to the final flexibility utilization. In the selection and implementation of the required methods, the focus of this work lies on the requirements of real system operation. Through a demonstration of the developed concepts and methods in the context of field tests during regular system operation in a low-voltage grid, the presented methods are validated under real conditions. Valuable insights into the practical suitability of the tested methods are provided this way. It can be shown that a large-scale implementation of the described concept is practicable, whereby a vertical provision of flexibility from distribution systems can be achieved in the near future, eventhough the required investments are opposed to this.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Kurzfassung

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Motivation und Hintergrund

1.2 Thema und Zielsetzung

1.3 Struktur der Arbeit

1.4 Wissenschaftliche These

2 Strukturwandel im Elektrizitätsversorgungssystem

2.1 Historisch gewachsene Netzstruktur

2.2 Heutige und zukünftige Rolle der Verteilnetze

2.3 Aktiver Verteilnetzbetrieb

2.3.1 Automatisierung im Verteilnetzbetrieb

2.4 Flexibilität aus Verteilnetzen

2.5 Abgrenzung der Arbeit

3 Konzeption eines aktiven Verteilnetzbetriebs

3.1 Spannungsebenen übergreifendes Konzept zur Nutzung von Flexibilität

3.1.1 FOR als Schnittstelle zwischen den Spannungsebenen und Netzbetreibern

3.1.2 Flexibilitätsaggregation

3.1.3 Multi-Level-Aggregation

3.1.4 Umsetzung des Konzepts auf Basis von Services

3.2 Voraussetzungen für aktiven Verteilnetzbetrieb

3.2.1 Steuer- und Regelkonzepte von Verteilnetzen

3.2.2 Praxistaugliche Architektur für Niederspannungsnetze

3.3 Netzmodellierung

3.4 Lastflussberechnung nach Newton-Raphson

3.5 Netzzustandsbestimmung in Verteilnetzen

4 Ansatz zur optimalen Nutzung von Flexibilitäten im Verteilnetzbetrieb

4.1 Verfahren zur Lösung des Optimal Power Flows

4.2 Grundlagen der multikriteriellen Optimierung mittels Genetischer Algorithmen

4.2.1 Dominanz

4.2.2 Pareto-Front

4.2.3 Ideal- und Nadir-Punkt

4.2.4 Performance-Indikator Hypervolume

4.2.5 Normierung

4.2.6 Allgemeines Funktionsprinzip Genetischer Algorithmen

4.2.7 Non-Dominated Sorting Genetic Algorithm II

4.3 Lineare Optimierung zur Lösung des Optimal Power Flows

4.4 Lineare Flexibilitätsaggregation

4.5 Neuer Ansatz zur optimalen Aufteilung eines Flexibilitätsabrufs

4.5.1 Lineare Disaggregation

4.5.2 Heuristische Disaggregation mittels NSGA-II

5 Fallstudie im Reallabor Sonderbuch

5.1 NETZlabor Sonderbuch

5.1.1 Beschreibung der Netztopologie

5.1.2 Kommunikationskonzept zur Anbindung von Mess- und Steuergeräten

5.2 Güte der Kommunikationsanbindung

5.3 Validierung der Zustandsschätzung

5.3.1 Bewertungsgrundlage

5.3.2 Eingangsdaten

5.3.3 Definition der Validierungsszenarien für die Zustandsschätzung

5.3.4 Ergebnisse

5.3.5 Zwischenfazit

5.4 Wirkungsweise des Flexibilitätseinsatzes auf den lokalen Netzbetrieb

5.4.1 Betrachtete Flexibilitäts-Einsatzmöglichkeiten

5.4.2 Simulative Abschätzung der Wirksamkeit betrieblicher Flexibilitäten auf Basis realer Netzzustände

5.4.3 Überprüfung des Konzepts im laufenden Netzbetrieb

5.5 Vertikale Bereitstellung von Flexibilität für Systemdienstleistungen

5.5.1 Simulative Auswertung beispielhafter Flexibilitätsabrufe mittels NSGA-II

5.5.2 Vergleich zwischen linearem OPF und NSGA-II zur optimalen Disaggregation

5.5.3 Aufbau des Feldtests zur Flexibilitätskoordination

5.5.4 Validierung der Flexibilitätsmodellierung

5.5.5 Ergebnisse des Feldtests zur Flexibilitätskoordination

6 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang [A]

A.1 Definition der Jacobi-Matrix

Anhang [B]

B.1 Gleichungen der dreiphasigen Dreileiter Verteilnetzzustandsschätzung auf Basis polarer Knotenspannungen

Anhang [C]

C.1 Einhaltung der Variablengrenzwerte beim Simulated-Binary-Crossover

C.2 Einhaltung der Variablengrenzwerte bei der polynomialen Mutation

Anhang [D]

D.1 Netzkenndaten der Fallstudie

Anhang [E]

E.1 Vergleich der zeitlichen Auflösung von Messdaten für die VNZS

Anhang [F]

F.1 Auswertung weiterer Feldversuche

Anhang [G]

G.1 Zusätzliche Ergebnisse des Vergleichs zwischen linearer Optimierung und NSGA-II

Anhang [H]

H.1 Liste eigener Publikationen

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzung

Bedeutung

AVN

aktives Verteilnetz

BESS

batterieelektrisches Speichersystem

DEA

dezentrale Erzeugungsanlage

dena

Deutsche Energie-Agentur

DoD

Entladungstiefe - engl.: Depth of Discharge

EE

erneuerbare Energien

EVS

Elektrizitätsversorgungssystem

FOR

realisierbarer Arbeitsbereich - engl.: Feasible Operation Region

FPG

Netz mit Flexibilitätspotenzial - engl.: Flexibility Providing Grid

FPU

Anlage mit Flexibilitätspotenzial - engl.: Flexibility Providing Unit

IKT

Informations- und Kommunikationstechnik

LFA

Linear Flexibility Aggregation

MS

Mittelspannung

NSGA-II

Non-dominated Sorting Algorithm II

NS

Niederspannung

NSS

Niederspannungssammelschiene

NTP

Netwok Time Protocol

ONS

Ortsnetzstation

OPF

Optimal Power Flow

PCC

Netzanschlusspunkt - engl.: Point of Common Coupling

PF

Pareto-Front

PLC

Power Line Communication

PMU

zeitsynchronisiertes Zeigermessgerät - engl.: Phasor Measurement Unit

PVA

Photovoltaikanlage

rONT

regelbarer Ortsnetztransformator

SOC

State of Charge

ÜNB

Übertragungsnetzbetreiber

VNB

Verteilnetzbetreiber

VNZS

Verteilnetzzustandsschätzung

WKA

Windkraftanlage

WLS

Weighted-Least-Squares

Symbolverzeichnis

Symbol

Bedeutung

Einheit

Koeffizienten einer Geradengleichung zur stückweisen

Linearisierung der Leistungsgrenzen einer Leitung zwischen

den Knoten i und k

Matrix auf der linken Seite der Gleichheitsbedingungen eines linearen Optimierungsproblems

Matrix auf der linken Seite der Ungleichheitsbedingungen eines linearen Optimierungsproblems

Vektor auf der rechten Seite der Gleichheitsbedingungen eines linearen Optimierungsproblems

Vektor auf der rechten Seite der Ungleichheitsbedingungen

eines linearen Optimierungsproblems

Crowding-Distance der Lösung i

Erzeugte Jahresenergie einer PVA

MWh

Zielfunktion der WLS basierten VNZS

Zielfunktion eines Optimierungsproblems

Wert des Ideal-Punkts für das m-te Optimierungsziel

Nebenbedingung eines Optimierungsproblems

Jacobi-Matrix innerhalb der VNZS

Vektor der berechneten Netzgrößen auf Basis der Zustandsvariablen

Nach Güte aufsteigend sortierte Lösungsmenge für das

m-te Optimierungsziel

Betrag des Stromflusses über eine Leitung i

A

Thermischer Nennstrom einer Leitung

A

Abweichung des Strombetrags zwischen Messwert und Ergebnis der VNZS, bezogen auf den thermischen

%

Nennstrom der Leitung

Jacobi-Matrix zur Beschreibung des Zusammenhangs

zwischen den komplexen Kontenspannungen und den

komplexen Knotenpunktleistungen

Inverse der Jacobi-Matrix im Iterationsschritt einer

Lastflussrechnung nach Newton-Raphson

Inverse der Jacobi-Matrix für den Ausgangsnetzzustand

der Linearisierung

Funktionalmatrix zur Beschreibung des Zusammenhangs

zwischen den komplexen Kontenspannungen

und den komplexen Leistungsflüssen der Zweigelemente

(analog zur Jacobi-Matrix)

Geradengleichung zur stückweisen Linearisierung der

Leistungsgrenzen einer Leitung zwischen den Knoten i

und k

Normalverteilung um den Erwartungswert mit der Varianz

a

2

Normalverteilung beschränkt auf den Wertebereich

[0, 1]

Initialpopulation eines GA

Ausgangspopulation eines GA im Iterationsschritt t

Wirkleistung am Knoten i

W / p.u.

Vorgegebener Sollwert der Wirkleistung am Knoten i bei

W / p.u.

einer Lastflussberechnung

Codierter Wert der maximalen Einspeiseleistung von

PVA, als Gen eines Individuums innerhalb eines GA

Codierter Wert der momentanen Maximalleistung einer

PVA i

Differenz zwischen vorgegebenem Sollwert und berechnetem

W / p.u.

Wert der Wirkleistung eines Iterationsschritts einer

Lastflussberechnung

Wirkleistungsfluss zwischen den Knoten i und k

W / p.u.

Änderung des Wirkleistungsflusses zwischen den Knoten

W / p.u.

i und k Wirkleistungsfluss zum angrenzenden Netz (Interconnecting

W / p.u.

Power Flow)

Flexibel einstellbare Wirkleistung einer FPU f

W / p.u.

Nachkommenpopulation eines GA im Iterationsschritt t

Blindleistung am Knoten i

var / p.u.

Vorgegebener Sollwert der Blindleistung am Knoten i bei einer Lastflussberechnung

var / p.u.

Differenz zwischen vorgegebenem Sollwert und berechnetem

var / p.u.

Wert der Blindleistung eines Iterationsschritts einer

Lastflussberechnung

Blindleistungsfluss zwischen den Knoten i und k

var / p.u.

Änderung des Blindleistungsflusses zwischen den Knoten i und k

var / p.u.

Blindleistungsfluss zum angrenzenden Netz (Intercon-

var / p.u.

necting Power Flow)

Flexibel einstellbare Wirkleistung einer FPU f

W / p.u.

Gewichtungsmatrix (Kovarianz-Matrix mit den umgekehrt proportionalen Fehlervarianzen der einzelnen

Messwerte)

Wirkwiderstand einer Leitung i

Ω

Rang eines Individuum innerhalb der Crowded Tournament Selection

Gesamtpopulation eines GA im Iterationsschritt t

Komplexe Scheinleistung am Knoten i

VA / p.u.

Vorgegebener Sollwert der komplexen Scheinleistung

VA / p.u.

am Knoten i bei einer Lastflussberechnung

Leistungsgrenze einer Leitung zwischen den Knoten i und k

VA / p.u.

Durch Geradengleichungen stückweise angenäherte

VA / p.u.

Leistungsgrenze einer Leitung zwischen den Knoten i

und k

Komplexer Scheinleistungsfluss zum angrenzenden

VA / p.u.

Netz (Interconnecting Power Flow)

Codierter Wert der Scheinleistung eines BESS j, als

Gen eines Individuums innerhalb eines GA

Zeitliche Differenz

s / min / h

Komplexe Spannung am Knoten i

V / p.u.

Spannungsbetrag am Knoten i

V / p.u.

Änderung des Spannungsbetrags am Knoten i

V / p.u.

Abweichung des Spannungsbetrags zwischen Messwert

%

und Ergebnis der VNZS, bezogen auf die Nennspannung

Maximal erlaubte Spannung

V / p.u.

Minimal erlaubte Spannung

V / p.u.

Gewichtungsfaktor innerhalb einer Zielfunktion

Vektor mit Zustandsvariablen / Zustandsvektor

Decodierter Wert der Entscheidungsvariable i, als Gen

eines Individuums innerhalb eines GA

Codierter Wert der Entscheidungsvariable i, als Gen eines

Individuums innerhalb eines GA

Untere Grenzwerte der Zustandsvariablen innerhalb eines

Optimierungsproblems

Obere Grenzwerte der Zustandsvariablen innerhalb eines

Optimierungsproblems

Knotenpunktadmittanzmatrix

Komplexe Leitungsadmittanz zwischen den Knoten i

S / p.u.

und j

Betrag der Leitungsadmittanz zwischen den Knoten i

S / p.u.

und j

Vektor der Messwerte

Ideal-Punkt eines multikriteriellen Optimierungsproblems (theoretischer Punkt)

Nadir-Punkt eines multikriteriellen Optimierungsproblems

(theoretischer Punkt) Winkel der Leitungsadmittanz zwischen den Knoten i und j

Parameter zur Einstellung der Suchrichtung des LFA

Parameter zur Einstellung der Suchrichtung des LFA

Toleranz des Abbruchkriteriums einer Approximation

bzw. Toleranz zur Sicherstellung der numerischen Stabilität

Redundanz der Messdatenbasis einer Zustandsschätzung

Streuungsparameter des Simulated-Binary-Crossover

Streuungsparameter der polynomialen Mutation

Erwartungswert

Iterationszähler

Spannungswinkel am Knoten i

Änderung des Spannungswinkels am Knoten i

Spannungswinkel am Slack-Knoten (Bezugsknoten)

Normalverteilte Zufallszahl zum Verrauschen einer Referenzleistung

Varianz

Codierter Wert der Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom einer PVA i, als Gen eines Individuums innerhalb eines GA

Codierter Wert der Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom eines BESS j, als Gen eines Individuums

innerhalb eines GA

Individuum einer Lösungsmenge eines Optimierungsproblems

Wahrscheinlichkeit für die Mutation eines Gens

Hilfswinkel zur stückweisen Lineariesierung der Leistungsgrenzen einer Leitung durch Geradengleichungen

1 Einleitung

1.1 Motivation und Hintergrund

Im Zuge der Energiewende findet eine grundlegende Transformation des Elektrizitätsversorgungssystem (EVS) statt [1]. Durch die anhaltenden Bestrebungen zur Dekarbonisierung wird die elektrische Energieerzeugung immer weiter dezentralisiert. Die Großkraftwerke, welche mit fossilen Brennstoffen arbeiten, weichen regenerativen, dezentralen Erzeugungsanlagen (DEA). Bis auf große Windparks werden DEA aufgrund der deutlich geringeren Leistungen nicht in den Hoch- und Höchstspannungsnetzen angeschlossen, wo die zentral gesteuerten Großkraftwerke nach und nach ersetzt werden sollen. Schätzungsweise 90 % der Leistung aus erneuerbaren Energien (EE) ist in den Verteilnetzen angeschlossen [2, 3]. Diese Verlagerung der Erzeugungsleistung in die Verteilnetze stellt dass EVS vor technische Herausforderungen. Die einst unidirektionalen Lastflüsse von der Höchstspannungsebene hin zu den in den Verteilnetzen angeschlossenen Verbrauchern weichen im angestrebten, regenerativen EVS zunehmend bidirektionalen Lastflüssen [1]. Dieser Strukturwandel des EVS ist in Abbildung 1.1 schematisch skizziert.

Abbildung 1.1: Strukturwandel des historisch gewachsenen zentralen Elektrizitätsversorgungssystems hin zu einem dezentralen System. (eigene Darstellung, Grafik aus [4])

Aufgrund der langen Lebensdauer von Betriebsmitteln basiert das heutige EVS überwiegend auf Planungsprämissen, diemehrere Jahrzehnte alt sind [5] und daher nicht für derartige Umstände ausgelegt ist. Zusätzliche Herausforderungen in den Verteilnetzen entstehen durch die zunehmende Kopplung mit anderen Sektoren, wie bspw. Wärme und Verkehr.

Die Energiewende in der Erzeugung und neuartige Verbraucher wie Wärmepumpen und Ladestationen für Elektromobilität bedingen durch ihre hohe Leistung einen enormen Ausbaubedarf im Übertragungs- und den Verteilnetzen. Dieser Ausbau kommt jedoch insbesondere im Übertragungsnetz aufgrund fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung, sowie schleppender Genehmigungsverfahren nur langsam voran [6]. Eine intelligente Betriebsweise der neuartigen Betriebsmittel bietet allerdings auch enormes Potenzial für einen netzdienlichen Einsatz von Flexibilität, womit Netzengpässe reduziert und die Kosten des benötigten Netzausbaus gedämpft werden könnten [6]. Hierfür ist eine kommunikationstechnische Vernetzung aller Akteure des EVS von der Erzeugung über Verteilung und Transport hin zu Speichern und Verbrauchern nötig, wodurch sogenannte „intelligente Netze“ (engl. „smart grids“) mit neuartigen Strukturen und Geschäftsmodellen geschaffen werden können.

Eine derartige Modernisierung des EVS ist bis in die Mittelspannung (MS) und Niederspannung (NS) nötig, da dort die Mehrheit der DEA, sowie die Endverbraucher angeschlossen sind. Dies würde die Flexibilitätsbereitstellung von Millionen aktiver Betriebsmittel ermöglichen. Aufgrund der enormen Anzahl von Mittel- und Niederspannungsnetzen in Deutschland ist ein solcher aktiver Netzbetrieb zur Nutzung betrieblicher Flexibilitäten an einen sehr hohen Automatisierungsgrad gebunden. Um die in der NS und MS gewonnenen Flexibilitäten auch auf anderen Netzebenen netzdienlich einsetzen zu können, müssen außerdem geeignete, automatisierte Koordinationsprozesse zwischen den Spannungsebenen und Netzbetreibern sowie entsprechende Optimierungs- und Steuerungsalgorithmen entwickelt bzw. weiterentwickelt werden [6].

1.2 Thema und Zielsetzung

Das Ziel dieser Arbeit ist die Erarbeitung und praktische Implementierung eines Konzepts zur systemdienlichen Nutzung betrieblicher Flexibilitäten in einem aktiven Verteilnetzbetrieb. Bis auf einzelne Forschungsprojekte wie beispielsweise [7–9] gibt es bislang kaum praktische Erfahrung im aktiven Netzbetrieb auf Niederspannungsebene unter Einbindung von Flexibilitäten. Diese Arbeit soll die Umsetzbarkeit eines derartigen Konzepts in einem realen Niederspannungsnetz demonstrieren, sowie technische Probleme und Hindernisse bei der Implementierung aufzeigen und entsprechende Lösungsansätze generieren. Der Gesamtprozess besteht im Wesentlichen aus vier Schritten die in unterschiedlichen Themenbereichen angesiedelt sind, wie in Abbildung 1.2 skizziert.

Durch den flächendeckenden Rollout intelligenter Messsysteme (Smart-Meter) besteht die perspektivische Möglichkeit einer kosteneffizienten Messwerterfassung und Kommunikationsanbindung, wodurch eine Verteilnetzzustandsschätzung (VNZS), sowie eine Fernsteuerbarkeit dezentraler Flexibilitäten bis in die Niederspannung realisierbar wäre. Allerdings ist der Rollout aktuell noch nicht weit genug vorangeschritten, um eine ausreichende Messdatenbasis für eine VNZS bereitzustellen. Darüber hinaus wäre eine Anpassung der momentanen Regulatorik notwendig, um Netzbetreibern einen flächendeckenden Zugriff auf Netzzustandsdaten in Echtzeit zu erlauben, da der Abruf von personenbezogenen Verbrauchsdaten nicht ohne das Einverständnis der Verbraucher gestattet ist [10]. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Dissertation findet eine Anpassung der gesetzlichen Vorgaben durch die Bundesregierung statt, wodurch die intelligenten Messsysteme zukünftig für eine VNZS durch die VNB verwendet werden könnten.

Aufgrund der bislang unzureichenden Verfügbarkeit von Netzzustandsdaten wird für die durchzuführenden Feldtests im Rahmen dieser Arbeit eine Mess- und Steuerinfrastruktur zur Nutzbarmachung betrieblicher Flexibilitäten in einem Niederspannungsnetz aufgebaut und kommunikationstechnisch angebunden.

Abbildung 1.2: Zielsetzung und Themenbereiche dieser Arbeit.

Es sollen hierbei praxisrelevante Erkenntnisse hinsichtlich der Anforderungen an die Kommunikations- und Messtechnik für einen flächendeckenden, aktiven Verteilnetzbetrieb gewonnen werden.

Aktuell findet in deutschen Niederspannungsnetzen in der Regel keine permanente Überwachung des Netzzustandes (Monitoring) statt, da zum einen keine oder nur eine sehr begrenzte Anzahl an Messwerten zur Verfügung steht. Zum anderen ist die Datenbasis zur realistischen Nachbildung rechenfähiger Netzmodelle oftmals unzureichend gepflegt und somit unbrauchbar. Um einen sicheren, aktiven Netzbetrieb in Niederspannungsnetzen zu ermöglichen, muss daher zunächst ein ausreichend genaues Netzmodell erstellt und der aktuelle Systemzustand ermittelt werden. Hierfür soll die Methodik der VNZS auf Basis realer Messwerte in Kombination mit geeigneten Ersatzwerten angewendet werden, welche aufgrund der (noch) defizitären Messinfrastruktur in Verteilnetzen als zusätzliche Eingangsgrößen für die VNZS benötigt werden. Durch eine Evaluation der Güte der VNZS bei variierender Messdatenbasis kann der erforderliche Messaufwand für ein definiertes Gütemaß auf andere Netze übertragen werden. Damit wird eine Abschätzung des zusätzlichen Messbedarfs für eine VNZS ermöglicht, falls die Verwendung von personenbezogenen Smart-Meter Daten auch zukünftig nicht möglich sein sollte.

Durch die angestrebte Demonstration im Zuge von Feldtests in einem realen Netz kann die Wirkungsweise der betrieblichen Flexibilitäten innerhalb des lokalen Netzbetriebs unter Realbedingungen getestet und analysiert werden. Daraus ergeben sich auch entsprechende Ansprüche in den Bereichen der Sicherheit, Verfügbarkeit, Fehlertoleranz, Rechenzeit und Praktikabilität an die erarbeiteten Konzepte, sowie deren Umsetzung im Feld. Hierbei ist die Automatisierung der Netzberechnungs- und Steuerprozesse, sowie deren Optimierung hinsichtlich Rechenzeit essenziell für hohe Genauigkeiten und eine flächendeckende Umsetzbarkeit des Konzeptes. Dies gilt insbesondere für Niederspannungsnetze, in denen, aufgrund ihrer starken Volatilität, ohne eine performante Implementierung der gesamten Prozesskette mit großen Sollwertabweichungen zu rechnen ist.

Zusätzlich soll für ein praxistaugliches Konzept zur Spannungsebenen übergreifenden Koordination des Flexibilitätseinsatzes der Informationsaustausch zwischen den Netzebenen und -betreibernminimiert werden. Das in dieser Arbeit vorgestellte Koordinationskonzept basiert auf dem realisierbaren Arbeitsbereich (engl.: feasible operation region FOR) aktiv betriebener Verteilnetze (AVN) und berücksichtigt die Netzrestriktionen der einzelnen Spannungsebenen [4,11–16]. Durch die Verwendung der FOR kann der Austausch von Netzmodellen und Netzzuständen zwischen den Netzbetreibern vermieden werden [4,11,12].

Zusammengefasst besitzt die Arbeit die folgenden Ziele:

Aufbau und kommunikationstechnische Anbindung einer Mess- und Steuerinfrastruktur zur Nutzbarmachung betrieblicher Flexibilitäten in einem realen Niederspannungsnetz.

Zyklische Bestimmung des aktuellen Systemzustands „in Echtzeit“, als Basis eines aktiven Verteilnetzbetriebs.

Erarbeitung eines Konzepts zur koordinierten, Spannungsebenen übergreifenden Nutzung betrieblicher Flexibilitäten aus Verteilnetzen unter Berücksichtigung von Netzrestriktionen.

Implementierung, Validierung und Demonstration eines aktiven Verteilnetzbetriebs in einem realen Niederspannungsnetz unter Nutzung betrieblicher Flexibilitäten.

Im nachfolgenden Abschnitt erfolgt eine Beschreibung des Aufbaus dieser Arbeit, um die genannten Ziele zu erreichen.

1.3 Struktur der Arbeit

Zunächst wird in Kapitel 2 der aktuell stattfindende Strukturwandel des EVS beleuchtet. Dabei wird die historisch gewachsene Beschaffenheit des heutigen EVS beschrieben, sowie die zukünftige Rolle der Verteilnetze skizziert. Zudem wird der aktuelle Stand der Automatisierung des Verteilnetzbetriebs abgeschätzt und eine Einführung in die Nutzung betrieblicher Flexibilität gegeben. Das Kapitel schließt mit der Abgrenzung der Arbeit.

Anschließend wird in Kapitel 3 das in dieser Arbeit entwickelte Konzept für einen Spannungsebenen übergreifenden, systemdienlichen Verteilnetzbetrieb auf Basis der FOR vorgestellt. Es wird aufgezeigt, wie die einzelnen Bausteine des Konzepts zusammenhängen und wie in dieser Arbeit daraus ein neuer, automatisierter Gesamtprozess abgeleitet und implementiert wurde. Zudem werden die Grundlagen der wichtigsten Bausteine des Konzepts, darunter die Netzmodellierung sowie Verfahren zur Lastflussberechnung und VNZS erläutert.

Die optimale Nutzung von Flexibilität innerhalb eines aktiven Verteilnetzbetriebs wird in Kapitel 4 behandelt. Hierbei entspricht die Suche nach dem optimalen Flexibilitätseinsatz der Lösung eines Optimal Power Flows (OPF), wofür zwei unterschiedliche Lösungsverfahren präsentiert werden. Zunächst werden die Grundlagen multikriterieller Optimierung mittels Genetischer Algorithmen eingeführt, bevor auf die Lösungsmethodik der linearen Optimierung eingegangen wird. Darauf aufbauend, wird die Funktionsweise der linearen Aggregationsmethode für Flexibilität, engl. Linear Flexibility Aggregation (LFA), aus [4] erläutert, welche in dieser Arbeit eingesetzt wird. Zuletzt wird die optimale Aufteilung eines Flexibilitätsabrufs auf die verfügbaren Flexibilitäten eines Netzes behandelt. Hierbei werden die im Rahmen dieser Arbeit neu erarbeiteten Verfahren der linearen und der heuristischen Disaggregation beschrieben.

In Kapitel 5 werden die zuvor beschriebenen Methoden und Konzepte zur Umsetzung eines aktiven Verteilnetzbetriebs in einer Fallstudie praktisch erprobt und validiert. Zunächst wird die reale Versuchsumgebung, das NETZlabor Sonderbuch, beschrieben. Anschließend erfolgt eine Auswertung der umgesetzten Kommunikationsanbindung des Reallabors, welche einen Vergleich der Technologien LTE und Power Line Communication (PLC) aus Anwendungssicht innerhalb des Netzbetriebs beinhaltet. Zudem wird die implementierte VNZS hinsichtlich ihrer Genauigkeit und Tauglichkeit als Basis des aktiven Netzbetriebs validiert. Basierend auf den ermittelten Netzzuständen erfolgt eine simulative Abschätzung der Wirkungsweise einer Flexibilitätsnutzung innerhalb des lokalen Netzbetriebs. Zudem werden die Ergebnisse von Feldtests präsentiert, die die generelle Umsetzbarkeit eines automatisierten Verteilnetzbetriebs demonstrieren, sowie die Besonderheiten in der Niederspannung aufzeigen. Abschließend wird die vertikale Bereitstellung von Flexibilität für Systemdienstleistungen im Feld erprobt. Zunächst werden die beiden neu entwickelten Disaggregationsverfahren miteinander verglichen, um deren praktikable Umsetzbarkeit zu bewerten. Außerdem wird die Modellierung des Flexibilitätspotenzials durch die FOR im Feld validiert, bevor die Ergebnisse des Feldversuchs präsentiert werden.

Die Arbeit schließt mit einem zusammenfassenden Fazit in Kapitel 6 und es wird ein kurzer Ausblick gegeben.

1.4 Wissenschaftliche These