Alaska Love - Rückkehr nach Wild River - Jennifer Snow - E-Book
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Alaska Love - Rückkehr nach Wild River E-Book

Jennifer Snow

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Beschreibung

Ein einziger Moment kann das ganze Leben verändern!

Zurück in Wild River kann Montana Banks ihr Glück kaum fassen. Nicht nur hat sie einen Job gefunden, den sie liebt, sondern auch neue Freunde und eine schöne Wohnung - gleich neben Eddie Sanders, dem Cop des Städtchens. Bei beiden ist es Abneigung auf den ersten Blick, denn während Eddie sich streng an alle Regeln hält, legt Montana sie eher großzügig aus. Zum Glück hat Eddie einen Job in Anchorage in Aussicht und wird Wild River bald verlassen. Als er jedoch in der Nacht seiner Abschiedsparty schwer verwundet wird, ändert sich alles. Seine Jobchance ist verloren, genau wie sein Selbstvertrauen. Doch Montana erkennt zunehmend seine liebenswerten Seiten und ist entschlossen, ihm all die Gründe zu zeigen, warum er sich wieder erholen muss ...

"Romantisch und unterhaltsam - eine aufregende Serie mit einem tollen Setting im wilden Alaska!" Kirkus Reviews

Band 3 der romantischen und sexy Small-Town-Romance von Bestseller-Autorin Jennifer Snow



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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Jennifer Snow bei LYX

Leseprobe

Impressum

JENNIFER SNOW

Alaska Love

RÜCKKEHR NACH WILD RIVER

Roman

Ins Deutsche übertragen von Hans Link

Zu diesem Buch

Zurück in Wild River kann Montana Banks ihr Glück kaum fassen. Nicht nur hat sie einen Job gefunden, den sie liebt, sondern auch neue Freunde und eine schöne Wohnung – gleich neben Eddie Sanders, dem Cop des Städtchens. Bei beiden ist es Abneigung auf den ersten Blick, denn während Eddie sich streng an alle Regeln hält, legt Montana sie eher großzügig aus. Zum Glück hat Eddie einen Job in Anchorage in Aussicht und wird Wild River bald verlassen. Als er jedoch in der Nacht seiner Abschiedsparty schwer verwundet wird, ändert sich alles. Seine Jobchance ist verloren, genau wie sein Selbstvertrauen. Doch Montana erkennt zunehmend seine liebenswerten Seiten und ist entschlossen, ihm all die Gründe zu zeigen, warum er sich wieder erholen muss …

Für alle Adrenalin-Junkies, die lieber durch die Luft schnellen, als ihre Füße sicher am Boden zu lassen – ich sehe euch, ich beneide euch, ich bin definitiv nicht wie ihr.

Prolog

Zehn Jahre zuvor …

Sie hatte etwas Schreckliches getan. Angst lähmte Montana Banks, als sie die Augen aufschlug, und es wurde noch schlimmer, als sie die vertraute Umgebung ihres Schlafzimmers betrachtete. Wie war sie hierhergekommen? Sie hatte keine Ahnung. Stunden ihres Lebens waren wie ausradiert.

Sie presste die Augen fest zusammen und ballte die Fäuste an ihren Seiten.

Erinnere dich … komm schon, erinnere dich!

Das Letzte, was in ihrem Geist aufblitzte, war der Moment, in dem sie auf den Parkplatz des Lebensmittelladens eingebogen war. Im Radio war ein bekannter Song gelaufen. Sie hatte sich gut gefühlt. Glücklich. Die Sonne hatte geschienen, und die Bergluft war warm und mild durch die offenen Fenster geweht. Sie hatte den Wagen geparkt und in den Rückspiegel geschaut …

»Kaia!« Sie fuhr im Bett hoch. »Kaia!« Sie sah sich im Raum um, aber sie war allein. Wo war das Baby? Wo hatte sie ihr kleines Mädchen zurückgelassen?

Schritte ertönten im Flur und kamen näher, dann wurde die Schlafzimmertür geöffnet, und Tank trat ein. Montana sprang aus dem Bett, und Schwindel und Übelkeit überrollten sie wie eine Meereswelle. Sie taumelte, der Raum verschwamm um sie herum, und der Boden unter ihren Füßen wellte sich.

Das Gefühl von Tanks Armen, die sie umfingen, als ihre Beine unter ihr nachgaben, schenkte ihr nicht den Trost und die Sicherheit, nach denen sie sich verzweifelt sehnte. »Kaia … ich habe Kaia zurückgelassen …«

»Hey. Entspann dich«, sagte er besänftigend, aber in seiner Stimme schwangen Furcht, Schmerz und Unbehagen mit.

Es machte ihr Angst. Sie kämpfte darum, sich konzentrieren zu können, ihr Gleichgewicht wiederzufinden, griff nach seinen Armen und schaute zu ihm auf. »Ich habe sie im Auto gelassen. Auf dem Parkplatz.« Wie lange? Draußen war es inzwischen dunkel. Die Ziffern auf der Uhr verschwammen. Welcher Tag war heute? Wo war Kaia?

Tank hielt sie fest umfangen, aber sein Seufzer war tief und resolut. »Ich weiß. Es geht ihr gut. Wir haben sie gefunden.«

Bevor es zu spät war. Bevor ihrem Baby etwas Schreckliches zugestoßen war. Ihrem geliebten Baby.

Ein Schluchzen entrang sich ihr, und ihre Tränen hinterließen schnell einen großen dunklen Fleck auf Tanks Hemd. Sie hatte das Unverzeihliche getan. Sie hätte Kaia verlieren können. Das hier war nicht das erste Mal, dass ihre Verletzung einen Blackout verursacht hatte. Dass sie sich nicht erinnern konnte. Es ging ihr nicht besser, seit sie abgestürzt war, es ging ihr immer schlechter. Sie konnte nicht länger so tun, als sei alles in Ordnung. Oder als sei sie keine Gefahr für ihre Tochter.

»Mir geht es nicht gut«, flüsterte sie.

»Ich weiß.« Tank seufzte und drückte sie fest an sich.

Und ihnen beiden war klar, was das bedeutete.

1

Heute …

»Hallo, ich bin Montana Banks. Und ich bin süchtig nach Basejumping.«

Offensichtlich war das nicht das, was man hier hören wollte. Achtzehn Augenpaare betrachteten sie mit unterschiedlichen Abstufungen von Verurteilung.

Sicherer Ort, dass ich nicht lache.

»Ähm … okay. Nun, willkommen, Montana«, sagte Jane, die Leiterin der Selbsthilfegruppe für Süchtige, in die peinliche Stille hinein. »Ich weiß nicht recht, ob Sie hier richtig sind.« Sie deutete auf das Handbuch auf ihrem Schoß, als suche sie nach Regeln. Oder einem Grund, Montana wegzuschicken.

»Das ist hier eine Gruppe für Menschen, die nach etwas süchtig sind, das sie nicht tun sollten, richtig?«, fragte Montana.

Jane sah sich im Raum um. »Nicht etwas, das wir nicht tun sollten. Es geht eher darum, etwas zu lassen, das einen negativen Einfluss auf unser Leben und die Menschen um uns herum hat.«

»Nun, dann bin ich hier richtig«, entgegnete Montana. Ob sie nächste Woche wiederkommen würde, musste sich erst herausstellen. Es waren drei Monate in Wild River in Alaska notwendig gewesen, um den Mut aufzubringen, zu der Suchtselbsthilfegruppe zu gehen, und dieser Empfang war genau der Grund dafür. Niemand würde ihre Probleme ernst nehmen. Denn ihr Laster schien so viel weniger ernst zu sein als die aller anderen.

Bedauerlicherweise gab es keine Selbsthilfegruppe für Extremsportler mit Hirnverletzungen, die sie daran hinderten, der Leidenschaft ihres Lebens nachzugehen.

So unterschiedlich die Dämonen aller Anwesenden in diesem Raum waren, über allen schwebte tagein, tagaus die gleiche Gewitterwolke. Eine, die sonst niemand sah. Eine, gegen die sie ständig ankämpften, um einen Sonnenstrahl zu finden. So sehr unterschied Montana sich gar nicht von den anderen.

Für sie war dieser Lichtstrahl Kaia, ihre zehn Jahre alte Tochter. Als sie auf das Foto von ihnen beiden auf ihrem Handy schaute, stieß Montana einen tiefen Atemzug aus. Der Umzug nach Wild River war wichtig gewesen. Sie hatte lange genug zugelassen, dass ihre Verletzung sie von ihrer Tochter fernhielt. Ganz gleich, wie schwierig das Leben in dem kleinen Ski-Urlaubsort wurde, sie würde ihre Tochter nicht noch einmal im Stich lassen.

Aber vielleicht war die Gruppe doch nicht der richtige Ort für sie. Sie sammelte ihre Sachen ein. »Aber gut. Ich geh ja schon.«

»Nein, bleiben Sie bitte«, sagte Jane, deren warme Herzlichkeit zurückgekehrt war. »Alle mal herhören, ich möchte euch Montana vorstellen.«

»Hey, Montana!«, sagte die Gruppe einmütig.

»Wie wär’s, wenn du uns etwas über dich erzählst?«, schlug Jane vor. Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

Alle bekamen zehn Minuten lang das Rederecht, und der Zeitdruck, vierunddreißig Lebensjahre zusammenzufassen, ließ Montanas Herz rasen. Wo sollte sie anfangen? Mit der Verletzung, die sie sich vor zehn Jahren beim Basejumping zugezogen hatte, die ihre Zukunft hatte entgleisen lassen? Oder sollte sie noch weiter zurückgehen und von dem Zwischenfall erzählen, der ihre Existenz auf den Kopf gestellt hatte?

»Ich bin neu in Wild River«, begann sie. »Ich habe eine Tochter hier, und ich versuche, wieder ein Teil ihres Lebens zu werden.«

Sie alle verstanden das und nickten. Entfremdung von Familienmitgliedern und der Kampf, wieder ein Zuhause zu finden, war ein alltägliches Thema in der Gruppe.

»Ich habe eine neue Berufslaufbahn mit einer unglaublichen Geschäftspartnerin begonnen, und ich habe jede Menge neue Freunde hier in der Stadt gewonnen.« Es war geradezu beunruhigend einfach gewesen, sich hier einzuleben. Ihre neue Wohnung war billig, sie hatte es von dort nicht weit in die kleine Innenstadt, und ihr Vermieter hatte kein Problem damit, dass sie seinen üblichen Jahresvertrag nicht unterzeichnet hatte. Stattdessen erlaubte er es ihr, von Monat zu Monat zu bezahlen. Ihren gerade angetretenen Job bei Snow Trek Tours, das nahe Wild River einen neuen legalen Absprungplatz fürs Basejumping eröffnete, hatte sie sich erheblich einfacher verschaffen können, als sie jemals hätte prophezeien können, und das verdankte sie dem hiesigen Bürgermeister, der selbst ein Extrem-Junkie war. Sie hatte Freunde gefunden – darunter Cassie, die Freundin ihres Ex-Freundes und Inhaberin von Snow Trek Tours. Und sie teilte sich das Sorgerecht mit Kaias Vater, Tank. Es lief gut. Das Leben war … einfach. Und entspannt.

Bedauerlicherweise waren einfach und entspannt nicht genug für sie.

»Aber jeden Morgen beim Aufwachen ist das Erste, woran ich denke, ein Sprung von einer Klippe.« Große Augen ließen sie schnell hinzufügen: »Mit einem Fallschirm.« Genau genommen handelte es sich dabei erst einmal bloß um einen Flügelanzug, aber sie wusste, dass die Menschen hier im Raum sich nicht für die Details interessierten. »Und die Versuchung bleibt beharrlich. Sie war früher ein großer Teil meines Lebens. Eigentlich war sie alles für mich. Ein Adrenalinrausch, wie man ihn sonst nicht erlebt, macht in hohem Maße süchtig.« Sie hatte mit dreizehn Jahren zusammen mit ihrer Großmutter mit dem Fallschirmspringen begonnen, und dann mit achtzehn mit Basejumping, als sie gerade alt genug gewesen war, um einen Haftungsausschluss zu unterzeichnen. Sie hatte zusammen mit anderen Extremsportlern die ganze Welt bereist und war über den atemberaubendsten Landschaften geschwebt. Sie gehörte zu den Topspringern auf der Welt und hatte sogar wegen eines illegalen Sprungs von einem städtischen Gebäude kurze Zeit im Gefängnis verbracht … bis der Unfall alles verändert hatte.

Sie räusperte sich und sprach weiter. »Aber ich weiß, dass das nicht mehr der richtige Weg für mich ist.« Ihr unberechenbares Gehirn mit seiner seltenen Form von kurzfristiger allgemeiner Amnesie und mangelnder Urteilskraft verhinderte einen sicheren Sprung. »Wie heißt es noch gleich? Jene, die nicht können, unterrichten? Nun, das ist der Punkt, an dem ich jetzt bin.«

Mit ihrem Anfängerkurs im Basejumping, der zum Preis von dreitausend Dollar die Woche den ganzen Monat ausgebucht war, brauchte Snow Trek Tours sich keine Sorgen mehr zu machen wegen der Konkurrenz der North Mountain Sports Company, die eine neue Filiale im Ort eröffnet und Snow Trek Tours einige ihrer früheren Abenteuertouren-Kunden weggeschnappt hatte. Cassies Geschäft blühte im Schatten der großen Filiale, und Montana war glücklich darüber, dass sie Tanks Freundin hatte helfen können – der Frau, die während Montanas jahrelanger Abwesenheit eine der wichtigsten Bezugspersonen für ihre Tochter gewesen war. Aber sie konnte den Schmerz in ihrer Brust nicht leugnen, wann immer sie auf dem Suncrest Peak stand und in das atemberaubende Tal hinunterschaute, in dem Wissen, dass sie nie wieder darüber hinwegschweben würde. Es war ein zu großes Risiko, weil unklar war, was ihre unberechenbaren Gedächtnisausfälle auslöste, und wenn es während eines Sprungs zu einem solchen kam, konnte das vernichtend gefährlich sein.

»Danke, dass du uns das erzählt hast«, sagte Jane. »Also, was tust du, um die härteren Tage zu überstehen? Die Gelegenheiten, bei denen du versucht bist, klein beizugeben?«

Ich sehe meine tote Schwester, und sie bringt mich zur Vernunft.

»Daran arbeite ich noch«, sagte Montana und nahm schnell Platz, bevor sie den Gedanken in Worte fassen konnte und die anderen denken würden, sie sei noch verrückter, als sie es vermutet hatten.

Eine halbe Stunde später endete die Sitzung, und Montana sammelte ihre Sachen ein, um ins Büro zurückzukehren. Der nächste Tag war der erste ihres Base-Trainingsprogramms. Der viertägige Kurs würde Möchtegern-Springern die Grundlagen nahebringen, und zwar sicher auf dem Boden. Das war der beste Ansatz, um mit dem neuen Unternehmen zu beginnen. Bis zum Herbstende waren es nur noch zwei Monate, und während des Winters konnte nicht gesprungen werden, daher würde Montana mindestens ein halbes Jahr Zeit bleiben, bevor die Fortgeschrittenenkurse begannen und sie tatsächlich mit ansehen musste, wie andere sprangen. Cassies Meinung nach war es eine brillante Methode, um ihr Geschäft aufzubauen, indem sie ihre ersten paar Monate im Geschäft Athleten mit dem Springen vertraut machten und sie frühzeitig ihren ersten Sprung im nächsten Jahr buchen ließen. Montana hatte sich für das Kompliment bedankt und nicht preisgegeben, dass sie einfach noch nicht bereit war, andere tun zu sehen, was sie so sehr liebte.

Sie band sich ihr Haar zu einem Pferdeschwanz, schnürte ihre Laufschuhe ein wenig fester und lief in einem schnellen Tempo durch die Stadt zur Hauptgeschäftsstraße.

Atme ein. Atme aus. Bewegung half angeblich gegen die aufgestaute Energie, die sie in sich trug, aber fünf Meilen am Tag und eine Stunde Fitnesstraining nahmen dieser Energie kaum die Spitze. Die Bergluft und die atemberaubende Aussicht auf die Wildnis machten das Verlangen nur noch stärker.

Ihre Eltern hatten geglaubt, die Rückkehr nach Denver sei das Beste für sie. Sie hatten ihre Entscheidung, nach Alaska zu gehen, nicht unterstützt, weil sie nicht recht glauben konnten, dass es ihr gut genug ging, um ganz allein zu leben, eine Million Meilen von ihnen entfernt. Und an manchen Tagen hätte sie ihnen recht gegeben, aber nachdem sie wieder eine Beziehung zu Kaia aufgebaut hatte, konnte sie sie einfach nicht verlassen. Gespräche über Skype, Handyanrufe und Briefe mochten in der Vergangenheit ausreichend gewesen sein, aber jetzt, da sie hier war und tatsächlich Zeit mit ihrer Tochter verbrachte, wollte sie die Nähe nicht wieder verlieren.

Kaia war jetzt fast elf. Sie wurde so schnell groß. Montana hatte jahrelang versucht, wieder gesund genug zu werden, um an ihrem Leben teilzuhaben, ohne sie in Gefahr zu bringen. Sie würde keinen weiteren Tag verbringen, ohne in Kaias Nähe und für sie da zu sein, in welcher Eigenschaft sie sie auch immer brauchte.

Selbst wenn es bedeutete, dass sie jeden Tag kämpfen musste, um sich ihren eigenen Grenzen zu stellen und schließlich zu lernen, sie zu akzeptieren.

Zwei Minuten später öffnete sie die Tür zu Snow Trek Tours.

»Nein, tut mir leid, dieser Kurs ist bis Mai nächsten Jahres ausgebucht«, sagte Cassie gerade, den Hörer des Festnetztelefons zwischen Schulter und Ohr geklemmt, während sie gleichzeitig etwas auf ihrem Laptop tippte. Mehrere andere Lämpchen leuchteten auf dem Apparat auf, und sie warf Montana durch einen Schleier kurzer blonder Haare, die ihr ins Gesicht fielen, einen verzweifelten Blick zu.

Montana ließ ihre Sachen auf ihren Schreibtisch fallen, griff nach dem Telefon und drückte auf eine der Leitungen. »Vielen Dank, dass Sie bei Snow Trek Tours anrufen. Darf ich Sie ganz kurz vertrösten?« Sie wiederholte das zweimal, dann kehrte sie zu dem ersten Anrufer zurück. »Hallo, tut mir leid, dass Sie warten mussten. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Hey, ich rufe wegen des Einführungskurses für Basejumping an.«

Wer tat das nicht? Sie hatte recht gehabt mit ihrer Prophezeiung, dass die Legalisierung des Sports in Wild River dazu führen würde, dass Snow Trek Tours abenteuerlustige Touristen würde abweisen müssen. Aber nicht einmal sie hatte gewusst, was für eine Lawine von Anfragen das kleine örtliche Unternehmen überrollen würde.

Der Absprungplatz war noch nicht einmal offiziell eröffnet, und sie waren für das Frühjahr für Tourengruppen mit professionellen, erfahrenen Springern komplett ausgebucht. Ihre Kurse für Fortgeschrittene waren bereits voll, und die Grundkurse erfreuten sich noch größerer Beliebtheit.

Wer hätte gedacht, dass es so viele Adrenalin-Junkies auf der Welt gab?

Sie war glücklich darüber, dass es so gut lief, aber sieben Tage die Woche vierundzwanzig Stunden am Tag sich mit dem Sport zu beschäftigen, den sie liebte und nicht mehr ausüben durfte, das machte sie verrückt. Doch wenigstens war sie irgendwie daran beteiligt. Es war die zweitbeste Lösung, und sie konnte sich nicht beklagen. In den neun Jahren in Denver war sie vollkommen neben der Spur gewesen, hatte sich in der Stadt verschanzt und war von ihren überbehütenden Eltern wie ein Kind behandelt worden.

Kleine Schritte.

Sie lebte allein und hatte ihre Wohnung noch nicht abgefackelt.

Sie nahm den dritten Anruf entgegen. »Snow Trek Tours. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Nun, du könntest damit anfangen, am Samstagabend mit mir zum Essen auszugehen.«

Montana schoss die Röte ins Gesicht, als sie Lance’ Stimme hörte. In den letzten drei Monaten war sie dreimal mit dem ortsansässigen Snowboardgott ausgegangen – zwei Abendessen und ein Date zum Kaffee. Aber er war drei Wochen weg gewesen und hatte offensichtlich so viel zu tun gehabt, dass er vergessen hatte, ihr Textnachrichten zu schicken. Sie war keine Frau, die einen Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstand. Offensichtlich stand er doch nicht so auf sie. Allerdings hatte er wieder angerufen. »Entschuldigung, wer ist da?«

Er lachte. »Das habe ich verdient.«

»Ja, hast du«, sagte sie.

»Tut mir leid, dass ich auf Tauchstation gegangen bin. New York war der reinste Wahnsinn. Ein Meeting hat das andere gejagt und die Promotion-Veranstaltungen …«

Dates mit unzähligen Groupies, zwanglose One-Night-Stands ohne Verpflichtungen … sie kannte den Lebensstil. Sie war einst Berufssportlerin gewesen, hatte die Welt bereist, neue Leute kennengelernt, sich vorübergehend auf jemanden eingelassen und war dann weitergezogen. Hölle, Kaia war das Ergebnis dieses Lebensstils. Zumindest für sie. Tank dagegen war damals in sie verliebt gewesen, aber Montana hatte über einen sehr langen Zeitraum hinweg keine echte Beziehung mit irgendjemandem gehabt und niemanden so weit in ihr Leben gelassen, dass er ihr wirklich hätte nahekommen können. Nicht einmal den Vater ihrer Tochter.

Vielleicht war mehr als nur ihr Gehirn in Mitleidenschaft gezogen worden.

»Und ich habe mein Handy in einem Taxi liegen lassen«, sprach Lance weiter. »Deshalb rufe ich dich von der Arbeit aus an.«

Verlorenes Handy. Nicht die kreativste Ausrede. »Schon gut. Kapiert.« Es war gut. Sie kapierte es wirklich. Sie hatten drei Dates gehabt. Das mit ihnen war nichts Exklusives.

»Also, ist das ein Ja zum Dinner?«

Montana zögerte. Sie mochte Lance und war noch nicht bereit für eine Beziehung, was ihn jetzt gerade zu dem perfekten Mann machte. Aber andererseits hatte sie auch kein Interesse an einer oberflächlichen Affäre – eine solche entsprach nicht gerade dem Vorbild, das sie ihrer Tochter sein wollte. Daher blieb ihr nur eine halbwegs zwanglose Sache, die allerdings mehr werden und sie mit einem gebrochenen Herzen zurücklassen konnte. Der Kerl war ein ziemlicher Spielertyp. Er hatte sie drei Wochen lang ignoriert und würde das zweifellos wieder tun.

Aber was war ihre Alternative für den Samstagabend?

Sie konnte im The Drunk Tank rumhängen, der einheimischen Bar, die ihr früher zusammen mit ihrem Ex gehört hatte, und den Abend mit zwei schwer verliebten Paaren verbringen. Oder den Fernseher einschalten und sich etwas zum Essen kommen lassen und ihren Wohnungsnachbarn abwimmeln, der ihr das Gitarrenspielen beibringen wollte.

»Sieben Uhr?«, schlug sie vor.

»Ich hole dich ab.«

Montana legte auf und sah das Telefon an.

»Noch ein Date mit Lance?«, fragte Cassie und beendete ihr eigenes Gespräch.

»Ja.« Sie hielt inne. »Ich weiß, ich lass mich echt verarschen, du darfst es ruhig aussprechen.« Hatte sie nicht wiederholt gesagt, dass der Mann versprochen habe anzurufen und nicht angerufen hatte, und das sei ein klares Zeichen weiterzuziehen? Hatte sie nicht behauptet, sie sei fertig mit Lance? Mehrfach.

Cassie lachte. »Ich bin die letzte Person auf dem Planeten, die dir einen Vortrag darüber halten sollte, jemandem zweite, dritte und vierte Chancen zu geben.«

Cassie verstand es. Sie hatte jahrelang das gleiche Katz-und-Maus-Spiel mit Montanas Ex gespielt, Tank. Die beiden waren endlich zusammengekommen, und Montana bildete sich gern ein, dass sie eine Rolle dabei gespielt hatte, Tank die Augen zu öffnen. Cassie war zu fantastisch, um etwas an ihr auszusetzen zu haben. Sie war eine erfolgreiche Karrierefrau, die Partnerin, die Tank in seinem Leben brauchte, und ein wunderbares Rollenvorbild für Montanas Tochter. Wer immer sagte, Frauen könnten einander nicht fördern und Erfolge feiern, hatte unrecht. Sie beide waren der Beweis dafür.

»Er ist einfach aufregend, und ich sehne mich verzweifelt nach etwas Aufregung.« Lance’ abenteuerlustige, furchtlose Einstellung spiegelte ihre eigene wider, aber sie machte sich Sorgen, dass sein nachlassendes Interesse an ihr seinen Grund darin hatte, dass sie nicht mehr die Extremsportlerin war, die sie früher gewesen war.

Hölle, sie war eine Enttäuschung – sogar für sich selbst.

»Sei einfach vorsichtig, wenn du dich mit dem Feind verbrüderst«, ermahnte Cassie sie, schob die Jalousie vor den Fenstern auseinander und deutete mit dem Kopf auf den Laden der Kette auf der anderen Straßenseite.

Lance war das neue Aushängeschild der North Mountain Sports Company. Bilder von ihm und seiner neuen Snowboard-Kollektion zierten sämtliche Schaufenster, daher war Montana sehr vorsichtig mit dem, was sie ihm in Bezug auf den Absprungplatz für die Basejumper offenbarte. Das Gleiche galt für die künftigen Geschäftspläne von Snow Trek Tours.

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Du denkst doch nicht, dass er deshalb mit mir ausgeht, oder?«

Cassie schüttelte den Kopf. »Oh mein Gott – nein! So habe ich das nicht gemeint. Ich habe nur rumgeblödelt. Er geht mit dir aus, weil er ein Idiot wäre, wenn er es nicht täte. Schau dich doch an! Ich würde dich hassen, wenn du nicht auch die beste Geschäftspartnerin und Co-Mom wärest, die ich mir wünschen könnte.«

Montana nickte. Sie beide waren tolle Geschäftspartnerinnen und Co-Moms für Kaia. Sie ähnelten sich so, dass sie in den meisten Dingen einer Meinung waren, und Montana würde nur zu gern glauben, dass sie auch unterschiedlich genug waren, um beide wertvoll für die Entwicklung des Mädchens zu sein.

Bedauerlicherweise fragte sie sich an manchen Tagen, ob das die Wahrheit war oder ob Cassie nicht auch ohne sie, Montana, bestens mit Tank und Kaia zurande kommen könnte.

Eddie sprintete von seinem Truck zum Eingang des Gebäudes, in dem in Anchorage die alaskische Behörde für öffentliche Sicherheit untergebracht war. Er riss die Tür auf und eilte durch den Flur auf die Aula zu, und seine nassen Schuhe quietschten auf dem gefliesten Boden. Er durchsuchte den gerammelt vollen Raum nach seiner Familie. Alle Stühle waren besetzt, und es gab nur noch Stehplätze. Er entdeckte seine Familie in der ersten Reihe auf der linken Seite und schob sich mit gemurmelten Entschuldigungen durch die Menge.

»Du bist spät dran«, zischte Katherine, seine Schwester, als er den reservierten Platz neben ihr einnahm.

»Meine Schicht ist erst vor einer Stunde zu Ende gegangen, und ich musste das Blaulicht einschalten, um es überhaupt rechtzeitig hierher zu schaffen.« Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, zu duschen und seine Uniform abzulegen für die Zeremonie zu Ehren der Karriere seiner Mutter bei der Truppe, aber er hatte es geschafft.

»Arbeitest du immer noch in Wechselschichten?«

»Ja.«

»Langweilst du dich schon zu Tode?«

»Ehrlich gesagt war ziemlich viel los.« Nicht dass er glücklich über die jüngste Einbruchsserie in der Stadt war, aber während seiner sechs Monate als Staatspolizist hatte er nur mit häuslicher Gewalt, Kneipenschlägereien und Teenagern zu tun gehabt, die er wegen Graffiti drangekriegt hatte. Mit solchen Einsätzen konnte er nicht beweisen, was in ihm steckte, oder schnell innerhalb der Truppe aufsteigen.

»Gibt es irgendwelche Spuren, was die Einbrüche betrifft?«, fragte Katherine, während sie die Handynummer ihrer mittleren Schwester wählte.

»Noch nicht. Es ist seltsam. Es wird nichts gestohlen. Gerade genug Glassplitter, um für die Ladenbesitzer ein Ärgernis zu sein. Der Captain denkt, es seien Vandalen.«

»Es steckt mehr dahinter«, erklärte Katherine.

»Nun, wenn du meinst. Der Behördenleiter muss sich wohl irren.« Seine älteste Schwester war Detective bei der Mordkommission. Sie hatte das Schlimmste mit angesehen und war dazu ausgebildet, das Schlimmste zu denken. Das machte sie gut in ihrem Job – und schrecklich in Beziehungen. Sie hatte einmal einem Blinde Date Pfefferspray in die Augen gesprüht, obwohl der Mann lediglich seinen Inhalator aus seiner Tasche holen wollte, weil ihre intensive Befragung eine Asthma-Attacke ausgelöst hatte. Dummerweise lag sie mit ihrem Bauchgefühl fast immer richtig. Bei so ziemlich allem.

Sie strich sich ihr schulterlanges blondes Haar hinters Ohr, während weiter der Klingelton in ihrem Telefon ertönte. »Hör mal, ich sag’s dir. Geh der Sache weiter nach.«

Leslies Gesicht erschien auf Katherines Handydisplay, im Hintergrund hinter ihr eine Aussicht auf Sand, Brandung und Palmen. Also beendeten sie ihr Gespräch. Seine Schwestern hätten als Zwillinge durchgehen können, so sehr ähnelten sie einander. Zumindest äußerlich – das gleiche blonde Haar, die gleichen blauen Augen, der gleiche kräftige Körperbau. Dagegen sah das Nesthäkchen der Familie, Eddie, so aus, als sei er adoptiert worden, mit seinem dunklen Haar und den braunen Augen. Als Kind hatte er oft darüber nachgedacht, aber je älter er wurde, umso deutlicher erkannte er die Ähnlichkeit zu seinem Vater.

»Hey. Hat die Zeremonie schon angefangen?«, fragte Leslie.

»Noch nicht«, antwortete Katherine.

»Wo bist du?« Eddie beugte sich vor. Es sah so aus wie der Strand am Santa Monica Pier, aber für ihn sahen all diese Westküstenstrände gleich aus.

»Keine Ahnung.« Leslie joggte. Das erkannte er daran, wie ihr Pferdeschwanz hin und her schwang und ihre Atem beherrscht und stetig war. Seine Schwester hielt viel davon, keine Sekunde Zeit zu verschwenden. Wenn sie nur über einen FaceTime-Anruf mit ansehen konnte, wie ihre Mutter in die Ruhmesgalerie der Staatspolizei aufgenommen wurde, würde sie dabei trainieren wollen.

»Wen beschützt du denn im Moment?«, fragte er.

»Das darf ich nicht sagen.«

Eddie grinste. »Dürfen wir raten?«

»Nein.«

Sie taten es trotzdem. Es war ein Spiel, das sie unheimlich gern mit ihr spielten. Leslie, die einst selbst eine Staatspolizistin gewesen war, hatte sich schnell für eine lukrativere Anstellung bei einem privaten Sicherheitsdienst für die Reichen und Berühmten in Kalifornien entschieden und sich geweigert zuzugeben, dass der plötzliche Tod ihres Verlobten etwas mit der drastischen Lebensveränderung zu tun gehabt hatte.

»Ist es Cameron Diaz?«, fragte Katherine. Sie fing immer mit ihrer Lieblingsschauspielerin an.

Leslie verneinte.

»Dwayne Johnson?«, schlug Eddie vor. Er fing immer mit den unwahrscheinlichsten Kandidaten an.

»Warum zur Hölle sollte The Rock eine private Security-Truppe am Strand brauchen?« Leslies Ärger über dieses Spiel wurde nie langweilig.

»Du bist also an einem Strand«, sagte er.

»Das hier ist Kalifornien, Eddie. Das ist ein einziger großer Strand. Und ich habe frei.«

»Hast du einen neuen Freund?«, fragte Katherine.

»Nächste Frage.« Was ihr Privatleben betraf, war Leslie genauso wortkarg wie in Bezug auf ihren Job. Sie war vor zwei Jahren nach L. A. gezogen und seither nur ein einziges Mal zu Hause gewesen. Sie nahm ihre Verschwiegenheitspflicht ernst und verriet ihnen nichts. Es machte jedoch Spaß, sie mit Fragen aus dem Konzept zu bringen.

»Kommst du zu Grans Hochzeit nach Hause?«, erkundigte Katherine sich.

Leslie verdrehte die Augen. »Es ist ihre dritte Ehe. Warum veranstaltet sie eine große Hochzeit?«

»Sie steht gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit«, antwortete Katherine.

»Wenn du so alt wirst wie ich, musst du solche Nummern abziehen, damit deine Enkelkinder ab und zu einmal ihre berühmten Klienten allein lassen, um dich zu besuchen«, meldete ihre Großmutter sich plötzlich zu Wort. Sie besaß die einzigartige Fähigkeit aufzutauchen, wenn man am wenigsten mit ihr rechnete, als ob sie wüsste, dass über sie gesprochen wurde. In seiner Hast, seinen Platz zu erreichen, war Eddie nicht aufgefallen, dass sie und Melvin, ihr Verlobter, auf der anderen Seite neben Katherine saßen. Er lächelte sie herzlich an, als seine Großmutter sich vorbeugte, um sich an dem Gespräch zu beteiligen.

»Hey, Gran«, begrüßte Leslie sie und strahlte beim Anblick der älteren Frau. »Du weißt, dass ich zu deiner Hochzeit kommen werde … wieder einmal.« Ihre Gran hatte Leslie praktisch großgezogen, nachdem sie sich als Fünfzehnjährige mit ihrer Mutter zerstritten hatte und zur Matriarchin der Familie gezogen war.

Sie hatten alle gedacht, es sei eine Teenager-Rebellion, aber die Halsstarrigkeit ging in der Familie Sanders tief. Keine der beiden Frauen hatte sich entschuldigen wollen, daher war Leslie bei ihrer Oma geblieben, und ihre Mutter hatte so getan, als sei ihr das ganz recht. Es war hart gewesen, ihre Schwester nicht zu Hause zu haben, aber sie hatten den Frieden in ihrer Familie zu schätzen gewusst, nachdem Leslie fortgegangen war.

Dass Leslie diesen wichtigen Meilenstein im Leben ihrer Mutter über FaceTime verfolgte, zu Grans Hochzeit jedoch persönlich kommen würde, war einfach eine weitere Art, wie die beiden Frauen einander immer wieder verletzten, doch … zumindest hatte ihre Schwester sich bereit erklärt, auf dem Handydisplay zu erscheinen.

»Ich habe keinen Fotografen für die Hochzeit gebucht«, sagte Gran. »Wir haben gehofft, dass du das übernehmen würdest.«

Leslie wirkte unangenehm berührt und schüttelte den Kopf. »Ich fotografiere mittlerweile nicht mehr viel.«

»Wirst du darüber nachdenken?« Zu guter Letzt würde ihre Großmutter wie gewöhnlich ihren Willen bekommen, und sie wusste es. Niemand schlug ihr gern etwas ab.

Wie vorhergesehen nickte Leslie. »Ich werde darüber nachdenken, aber ich verspreche nichts.«

»Du siehst müde aus. Schläfst du genug?«, fragte Gran sie.

»Ja.«

»Mit jemandem?«, forschte ihre Großmutter weiter nach.

Eddie verbarg sein Grinsen. Es war keine Frage, woher sie alle ihre Freude hatten, einander aufzuziehen.

»Fängt die Zeremonie endlich an?«, antwortete Leslie mit einem Blick auf ihren Fitness-Tracker an ihrem Handgelenk.

Niemand würde ihrer Mom erzählen, dass Leslie ihre Joggingrunde auf die Veranstaltung gelegt hatte.

»Es müsste jetzt jeden Moment losgehen«, antwortete Katherine. Da sie spürte, dass Leslie genug hatte, von ihrer Familie in Beschlag genommen zu werden, und bereit war aufzulegen, drehte sie das Handy zur Bühne.

»Warst du schon bei der Anprobe für deinen Smoking?«, fragte Gran Eddie.

»Mach ich nächste Woche, versprochen.« Er hatte es vollkommen vergessen, und nun ja, er war auch immer noch nicht davon überzeugt, dass seine Großmutter es wirklich durchziehen würde. Sie war achtzig Jahre alt und bereits zweimal geschieden. Sie zog Nummern wie diese doch glatt ab, um Aufmerksamkeit von ihnen allen zu bekommen.

»Junger Mann, wenn du bei meiner Hochzeit auftauchst, um mich in deiner schmutzigen Uniform meinem zukünftigen Ehemann zu übergeben, und wenn du dabei nach dem verschwitzten Laken der letzten Nacht riechst …«

»Oh, keine Sorge, Gran«, mischte Katherine sich ein. »Eddie hat keine verschwitzten Laken. Er patrouilliert immer noch in diesem Skiort.«

Eddie seufzte. Wenn er mit den weiblichen Mitgliedern seiner Familie zusammen war, verspürte er immer den verzweifelten Wunsch zu fliehen. Sicher, er hatte mehrere Anläufe gebraucht, um die Aufnahmeprüfung der Polizei zu bestehen, weil seine Legasthenie die schriftliche Komponente der Prüfung zu einer Herausforderung gemacht hatte. Und sicher, von den drei Geschwistern hatte er den am wenigsten gefährlichen Job. Aber der mangelnde Respekt seiner sehr weiblich dominierten Familie trieb ihn in den Wahnsinn.

»Ich werde den Smoking abholen, und wenn du Glück hast, werde ich mir sogar die Haare schneiden lassen«, eröffnete er seiner Großmutter mit einem Augenzwinkern. Er konnte nicht nachvollziehen, weshalb es so eilig war. Die Hochzeit fand erst im November statt. Bis dahin war jede Menge Zeit.

»Hast du schon eine Begleitung?«, fragte Gran. »Ich muss den Event-Planern die endgültige Gästezahl mitteilen.«

Als ob eine Person mehr oder weniger einen riesigen Unterschied machen würde. Sie versuchte nur, ihm seinen Beziehungsstatus zu entlocken. Im Gegensatz zu Leslie würde Eddie, wenn er mit jemandem zusammen gewesen wäre, es von den Dächern rufen und nicht versuchen, es geheim zu halten. Sein Beziehungsleben war ebenfalls etwas, mit dem er zu kämpfen hatte. Wenn man in einer Kleinstadt wie Wild River aufwuchs und lebte, kannte jeder jeden. Er war so ziemlich mit jeder ledigen Frau in der Stadt ausgegangen. Genau einmal.

Es war schwer, einen Funken bei Frauen zu verspüren, die er sein Leben lang kannte, und er war nicht wie einige der anderen Männer, die für ein paar Nächte etwas mit Touristinnen anfingen. Daher würde in seinem Facebook-Status stehen: Beziehungen nicht existent, wenn das eine Option gewesen wäre. Er hätte alles darum gegeben, in die Spalte einfach Es ist kompliziert eintragen zu können.

»Nein. Bisher habe ich keine Begleitung«, antwortete er.

»Scht. Die Zeremonie fängt an«, sagte Katherine.

Sie richteten ihre Aufmerksamkeit alle nach vorn, und Stille senkte sich über die Aula, als die Ehrung begann.

Seine Mutter saß in ihrer Uniform mit all ihren Medaillen und Ehrenabzeichen stolz auf der Bühne, während der Leiter der Staatspolizei von Alaska zahlreiche Erfolge ihrer vierzigjährigen Karriere herausstellte.

Seine Mutter war die zweite weibliche Staatspolizistin in Alaska gewesen. Nachdem sie als Klassenbeste in den Sechzigern die Akademie abgeschlossen hatte, war sie eine Wegbereiterin für alle Frauen in der Truppe gewesen. Seine Schwestern verdankten ihre eigenen Karrieren der Arbeit, die ihre Mutter investiert hatte.

Eine Jugend ohne ihren Vater, der an Krebs gestorben war, als Eddie zehn Jahre alt gewesen war, hatte mit sich gebracht, dass seine Mutter neben ihrem Job die Verpflichtungen zweier Elternteile übernommen hatte. Trotz ihrer langen Arbeitstage war sie immer für ihre Kinder da gewesen. Sie mochte Geburtstage oder Weihnachtsfeste oder Softball-Spiele verpasst haben, aber sie war auf eine Weise da gewesen, die wirklich gezählt hatte, und hatte ihre Kinder zu respektvollen, rücksichtsvollen Menschen erzogen, die ihrer Gemeinschaft viel zurückgaben. Ihr Stolz auf ihre Familie hatte in ihnen den Wunsch geweckt, Menschen zu sein, auf die sie mit Recht stolz sein konnte.

Auf dem Handy-Display strahlte selbst Leslies Gesicht, und in ihren Augen stand unverhohlene Bewunderung, als ihre Mutter in die Ruhmesgalerie der Staatspolizei aufgenommen wurde und ihre Plakette zur Erinnerung an das Ereignis erhielt.

Seine Mutter war eine wahre Heldin. Eine, die kein Problem damit hatte, ihm die Hölle heißzumachen.

»Warum trägst du immer noch deine Uniform?«, fragte sie gleich als Erstes, als sie sich nach der Zeremonie zu ihnen gesellte.

»Hey, seht mal! Leslie ist auf FaceTime!« Immer schön ablenken. Es war ein Verteidigungsmechanismus, den sie alle bei ihrer knallharten Mutter einsetzten, die sich nicht für dumm verkaufen ließ. Wenn sie sich auf jemand anderen konzentrierte, ließ sie einen in Ruhe.

Und es funktionierte.

Sie nahm Katherine das Handy ab, aber Eddie wollte das angespannte Gespräch lieber nicht hören und verkündete schnell sein Verschwinden. »Ich bin dann mal weg. Ich muss vor meiner Abendschicht zurück in Wild River sein.«

Katherine sah auf ihre Armbanduhr. »Bis dahin sind es noch Stunden.« Sie funkelte ihn an.

Er zuckte die Achseln. »Der Verkehr könnte übel sein.«

Seine Großmutter wirkte enttäuscht. »Ich dachte, du würdest dich uns zum Mittagessen anschließen.« Sie hakte Mel unter, und der Gesichtsausdruck des älteren Mannes schrie: Lass mich nicht mit den dreien allein. Aber Eddie konnte die Frauen in seiner Familie nur in kleinen Dosen ertragen.

»Nächstes Mal.« Eddie umarmte seine Großmutter innig und schüttelte Mel die Hand. Dann zog er auch seine Mutter schnell an sich, während Leslie sie weiter ablenkte.

Bedauerlicherweise dachte sie gar nicht daran, ihn sich davonschleichen zu lassen.

»Hey, warte«, sagte sie, und Eddie seufzte und verlangsamte seine Schritte.

Seine Mutter verabschiedete sich von ihrer jüngsten Tochter und schloss sich ihm an, als er über den Parkplatz ging. »Hast du schon etwas von deiner Versetzung gehört?«

»Woher weißt du davon?«

Seine Mutter deutete auf die Abzeichen an ihrer Uniform. »Ich bin im Ruhestand, Eddie, nicht tot. Ich habe meinen Finger immer noch am Puls der Dinge hier.«

Solange sie diesen Finger am Puls nicht benutzte, um Fäden zu ziehen, die seine Versetzung sicherstellten … Er hatte sich bei der alaskischen Strafbehörde für Alkohol- und Drogenmissbrauch beworben und es genau aus diesem Grund weder seiner Mutter noch seinen Schwestern erzählt. Und um sich ihre enttäuschten Mienen zu ersparen, falls er die Beförderung doch nicht bekam.

Aber es waren Wochen vergangen seit seiner letzten schriftlichen Prüfung und seiner ärztlichen Untersuchung, und er hatte immer noch keine Nachricht. »Noch nicht.«

»Wann hast du den Antrag gestellt?«

»Vor zwei Monaten.«

»Das dauert länger als üblich, aber gib der Sache noch ein paar Tage. Halt mich auf dem Laufenden.« Sie berührte ihn an der Schulter.

Für die meisten Menschen eine simple, oberflächliche Geste. In seiner Familie bedeutete diese Geste: Mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Er wusste nicht einmal, ob seiner Mutter klar war, dass dies ihre verräterische Geste war, wenn sie ihnen irgendetwas nicht zutraute. Das machte sie schon seit seiner Kindheit. Als er Football hatte spielen wollen, die Aufnahme in die Mannschaft aber nicht geschafft hatte. Als er Carla Spicer zum Winterfest hatte einladen wollen und sie Nein gesagt hatte. Als er zum zweiten Mal bei seiner schriftlichen Führerscheinprüfung durchgefallen war. Wann immer seine Mutter ihn an der Schulter berührte, hatte das den Ausgang einer Sache prophezeit. Oder war es die negative Energie, die er mit dieser Geste assoziierte, die zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde?

Er hoffte, dass die prophetischen Kräfte hinsichtlich seines Schicksals dieses Mal fehlschlugen.

»Geht klar. Viel Spaß beim Mittagessen.« Er umarmte sie noch einmal. »Herzlichen Glückwunsch, Mom. Ich bin stolz auf dich.« Er winkte dem Rest seiner Familie zu und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.

Eines Tages, hoffte er, würde seine Mutter endlich einen Grund haben, diese Worte zu ihm zu sagen.

2

Sie hatte Fantasien, in denen sie diese Gitarre zerstörte.

Stöhnend rollte Montana sich auf die Seite und schaute auf die Uhrzeit ihres Weckers. Sieben Uhr vierunddreißig. Es musste doch eine Hausordnung geben, die Mietern untersagte, zu unanständigen Stunden sinnlosen Lärm zu machen.

Es hätte sie nicht so sehr gestört, wenn Eddie wirklich hätte spielen können, aber er folterte sie jetzt seit sechs Wochen mit Twinkle, Twinkle, Little Star. Das konnte doch nicht so schwer sein.

Die schiefen Klänge verstummten, und Montana stieß einen Seufzer aus und machte es sich wieder unter ihrer Decke bequem. Sie war bis weit nach Mitternacht auf gewesen, um den Kursplan für die erste Trainingsgruppe durchzusehen. Unterrichten war etwas Neues für sie, und sie wollte den Sprunganfängern Vertrauen einflößen. Die meisten von ihnen wussten, wer sie war, oder hatten zumindest von ihrer eigenen Laufbahn als Jumperin gehört – und vom tragischen Ende dieser Laufbahn –, daher stand eine Menge auf dem Spiel.

Sie atmete mehrmals tief und beruhigend durch, und ihre Lider wurden schwer und senkten sich. Sie war in diesem glückseligen Bereich zwischen Wachen und Schlummern, als die Folter von nebenan wieder einsetzte.

Sie warf die Decke beiseite, setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Dann schlüpfte sie in ihre Slipper, schnappte sich einen Strickpulli von der Rückenlehne ihres Stuhls und war auch schon aus ihrer Wohnung.

Im Flur klopfte sie an Eddies Wohnungstür.

Schritte, dann wurde die Tür geöffnet. Eddie stand in Uniformhose und einem Hemd vor ihr, von dem kein einziger Knopf geschlossen war. Im Gegensatz zu seiner Musik waren seine Bauchmuskeln etwas, das Montana zu würdigen wusste, und sie nahm sich ein wenig Zeit dafür. Wenn er nicht wollte, dass sein Körper bewundert wurde, hätte er die Tür ja nicht öffnen und ihn zur Schau stellen brauchen.

Muskulös, wie gemeißelt, gebräunt, glatt – die stark aussehende Brust saß auf einem der heißesten Sixpacks, die sie je gesehen hatte. Eddie hatte einen überraschend tollen Körper und versteckte ihn unter Kleidung, die ihm kaum gerecht wurde. Er war ungefähr eins achtzig groß, und seine Größe und Muskeln waren perfekt ausgewogen.

Aber sein Gitarrenspiel ließ zu wünschen übrig, und das war der Grund, warum sie hier war.

Er lächelte und lehnte sich an die Tür. »Was ist los, Danger?«

Wie oft hatte sie ihn gebeten, sie nicht so zu nennen? »Eddie, es ist früh am Morgen, und ein paar Leute schlafen noch.«

»Die Gitarre hat dich geweckt?«

»Ja.«

»Tut mir leid. Ich habe immer noch Wechselschichten. Ich bin gerade nach Hause gekommen und habe Mühe, mich zu entspannen.«

Sie zog eine Braue hoch. Er musste sich entspannen, nachdem er in seinem Streifenwagen geschlafen und Waschbären von den Mülltüten in Durchgängen zwischen Häusern verjagt hatte? Sie lebten Wand an Wand; sie hatte ihn sich darüber beschweren hören, dass das Leben als Staatspolizist in einem Skiort ziemlich eintönig sei.

»Ehrlich gesagt hinke ich mit den Hausaufgaben, die mein Gitarrenlehrer uns für diese Woche aufgegeben hat, hinterher.«

»Du nimmst Unterricht?« Verarschte er sie? Wenn es sein Ernst war, sollte er definitiv sein Geld zurückverlangen.

»Ja. Mein Lehrer sagt, ich sei ein Naturtalent.«

»Tja. Okay. Also, wenn du vielleicht bis acht oder halb neun warten könntest …«

»Klar. Kein Problem. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe«, sagte er und fuhr sich grinsend mit einer Hand über den Bauch.

Ihr Blick folgte seiner Bewegung, und sie schaute schnell beiseite. Sie hatte ihre Beschwerde vorgebracht, und es war Zeit zu gehen. »Okay …« Sie drehte sich um, um in ihre Wohnung zurückzukehren, aber der Geruch von etwas Köstlichem erreichte sie, und sie beugte sich an ihm vorbei, um zu schnuppern. »Kochst du dir etwas?«

»Eine Frühstücks-Quiche – ein altes Familienrezept.«

Sie blinzelte. Sie konnte nie erkennen, ob er es ernst meinte oder nicht. Ob trockener Humor oder Mangel an Humor musste sie erst noch herausfinden. »Wirklich?«

»Nein. Die Frauen in meiner Familie würden sich eher in die Flugbahn von Pistolenkugeln werfen, als sich an den Herd zu stellen. Es ist einfach etwas, das ich aus dem übrig gebliebenen Schinken und dem Gemüse zusammengeworfen habe, das ich mir neulich abends gekocht habe.«

»Du kochst?« Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, und je länger sie dort stand, umso lauter knurrte ihr Magen.

»Ja. Ich habe zwei Jahre lang eine Kochschule besucht, bevor ich der Akademie beigetreten bin.«

»Warum?« Zwischen den beiden Berufen lag ein gewaltiger Unterschied.

»Weil ich nicht an der Akademie aufgenommen worden bin, und ich esse gern, daher dachte ich mir, es wäre so oder so keine Zeitverschwendung.«

»Schlau.«

Sein Lächeln war breit und unbestreitbar sexy. »Danke. Dachte ich mir.«

»Ich erfahre jeden Tag etwas Neues über dich«, erwiderte sie und fand es seltsam wahr. Als sie Eddie zum ersten Mal begegnet war, war er ihr wie ein eindimensionaler, puritanischer und nerviger Kerl vorgekommen, der sie im Auge zu behalten schien. Aber in den letzten drei Monaten war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihn besser kennenzulernen, und er wuchs ihr tatsächlich zunehmend ans Herz. Natürlich nicht das Gitarrenspiel, aber andere Eigenschaften wie seine Angewohnheit, seine Wäsche immer aus den Gemeinschaftswaschmaschinen weiter hinten im Haus zu nehmen, damit andere nicht zu warten brauchten, oder dass er auf der Maschine zusätzliche Vierteldollarstücke liegen ließ, falls jemand eins brauchte, oder wie er Türen und Aufzüge aufhielt oder der älteren Dame weiter hinten im Flur jeden Mittwochabend bei ihren Lebensmitteleinkäufen half.

»Ich bin wie eine Zwiebel. So viele Schichten.« Er hielt inne. War ihr etwas entgangen? War das ein Scherz?

»Und ich koche mit Zwiebeln. Verstehst du, was ich meine?« Er wartete ab. »Nein. War wohl nichts. Okay, vergiss es. Möchtest du zum Frühstück hereinkommen?«

Klang verführerisch. Sie war nicht gerade eine tolle Köchin. Ihre Vorstellung von Frühstück bestand im Allgemeinen aus Mikrowellen-Popcorn oder Müsli. Aber sie war eher müde als hungrig, und bisher war es ihr gelungen, ihren Kontakt zu Eddie auf ein erträgliches, nachbarschaftliches Maß zu beschränken. Es war ihr unangenehm, mit einem Polizeibeamten befreundet zu sein. Er war der Inbegriff des Guten, und sie war … nun, nicht immer brav, und er hatte stets ein Auge auf sie. Seit sie sich vor einigen Monaten im Wald verirrt hatte und er dem Search and Rescue Team geholfen hatte, sie zu finden, hatte sich sein Beschützerdrang ihr gegenüber noch verstärkt, wie es schien. Es war wahrscheinlich nicht die beste Idee, sich von ihm verköstigen zu lassen. »Ähm … nein, aber danke.«

»Okay. Keine Gitarre vor acht oder halb neun. Kapiert«, rief er, und sie spürte seinen Blick, als sie in ihre Wohnung zurückkehrte.

Zwei Minuten später legte sie sich wieder ins Bett und stellte ihren Wecker auf halb neun. Bedauerlicherweise knurrte ihr Magen jetzt immer noch, und das beharrliche Bild von Eddies Bauchmuskeln hinter ihren geschlossenen Lidern erinnerte sie daran, wie lange es her war, seit ein nackter Mann neben ihr im Bett gelegen hatte.

So lange, dass sie sich tatsächlich nicht an das letzte Mal erinnern konnte. Die Geschichte mit Lance fing langsam an zu laufen. Am Ende ihres letzten Dates hatten sie ziemlich lange rumgemacht, aber sie hielt sich ein wenig zurück, und ihr Mangel an Sex vernebelte ihr anscheinend das Hirn, denn in ihrem halb wachen Zustand bekam sie das Bild von Eddies Körper nicht aus dem Kopf, während sie dem Schlaf entgegendriftete.

Unbestimmbare Zeit später ließ sie das Geräusch eines Mixers nebenan aufschrecken. »Oh mein Gott, Eddie!« Sie schnappte sich ein Kissen und drückte es sich auf die Ohren.

Der Lärm hielt an. Und hielt an. Was zur Hölle mixte er? Körperteile? Sie hämmerte an ihre geteilte Wand.

»Entschuldige, Montana! Ich bin fertig«, rief er durch die Wand.

Sie musste raus hier.

»Er ist süß.«

Nicht jetzt. Der Geist ihrer Schwester legte das denkbar schlechteste Timing an den Tag. »Na schön, dann geh und spuk bei ihm.«

»Ich spuke nicht bei dir. Ich besuche dich.«

»Nein, du erscheinst als Folge meiner überaktiven Gehirnzellen wegen der Verletzung in meinem linken Temporallappen, wenn ich übermäßig gestresst bin.« Montanas Therapeutin und ihr Arzt hatten beide bestätigt, dass das Erscheinen ihrer Schwester eine Nebenwirkung des Schadens an ihrem Gehirn war. Bedauerlicherweise konnten sie sie nicht dazu bringen wegzubleiben.

»Genau. Ich bin da, wenn du mich brauchst.« Dani setzte sich auf die Ankleidekommode und ließ die Beine baumeln, wie sie es getan hatte, als sie Kinder gewesen waren.

Natürlich war Dani immer noch ein Teenager. Anscheinend alterten Geister nicht.

Aber das Beunruhigendste von allem war, dass sie noch immer ihren Badeanzug von dem Tag trug, an dem sie ertrunken war. In Montanas Kopf waren die Kleider, in denen man starb, die Kleider, in denen man für den Rest der Ewigkeit blieb. Definitiv etwas, woran man denken musste, wenn man sich morgens anzog.

»Was ich brauche, ist Schlaf«, sagte Montana.

Dani verstand den Wink mit dem Zaunpfahl nicht. »Was ist überhaupt dein Problem mit Eddie? Er scheint doch ein netter Kerl zu sein.«

Nett, sicher. Ihr Typ? Auf keinen Fall. »Er ist ein Cop, und er denkt, dass ich Ärger machen werde. Daher stehe ich, weil er nebenan wohnt, ständig unter Bewachung.«

»Es könnte schlimmer sein.«

»Wirklich? Inwiefern? Eddie ist so puritanisch und regeltreu.«

»Du willst das jetzt eigentlich ebenfalls sein, erinnerst du dich?« Dani war von der Vortragskomponente des heutigen Besuchs schneller als gewöhnlich zu anderen Themen übergegangen.

»Ich weiß. Ich gebe mir Mühe. Aber hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie hart es ist, ständig gegen jedes Verlangen in mir anzukämpfen?« Montana sehnte sich nach Aufregung, Abenteuern und Herausforderungen, das war einfach ihr Wesen. Ein nettes, ruhiges, einfaches Leben zu führen war für sie gleichbedeutend mit der Hölle auf Erden. Aber um Kaias willen bemühte sie sich verzweifelt, mit dem Leben glücklich zu sein, das sie jetzt führte. Kein Basejumping. Keine Gesetzesverstöße. Kein sich Hineinstürzen in oberflächliche Affären.

Im Wesentlichen überhaupt kein Leben, soweit es Montana betraf.

»Ja!«, sagte Dani. »Ich weiß es tatsächlich, und vielleicht hätte ich mir ein wenig mehr Mühe geben sollen. Wenn ich es getan hätte, hätte ich vielleicht meinen siebzehnten Geburtstag erlebt.«

Wenn Montana die wilde Schwester gewesen war, war Dani die verwegene gewesen. Dani hatte in jedem Sport Bestleistungen gezeigt – Fußball, Volleyball, Basketball. Vor allem aber war sie eine Meisterin im Turmspringen gewesen und im amerikanischen Schwimmerteam direkt auf dem Weg zur Olympiade. So vielversprechend, aber sie hatte sich einfach von nichts brennend Aufregendem und von keinem Risiko fernhalten können. Dani hatte sich zur Gefahr hingezogen gefühlt.

Und zu Alkohol und illegalen Drogen …

»Ich tue mein Bestes«, sagte Montana.

»Ich habe das Motorrad gesehen«, entgegnete Dani und warf ihr einen Blick zu.

Im Tod hatte Dani endlich die Konsequenzen ihrer Taten erkannt, und jetzt hatte sie es sich zu ihrer Mission gemacht, Montana daran zu hindern, etwas auch nur ansatzweise Gefährliches zu tun.

»Ich habe irgendetwas gebraucht.« Wenn sie mit Warp-Geschwindigkeit über den Highway preschte, befriedigte sie das nicht vollkommen, aber es half. Außerdem wusste sie die Vibrationen des Motorrads nach ihrem zehnjährigen Zölibat sehr zu schätzen.

»Du trägst wenigstens einen Helm, oder?«, fragte Dani.

»Natürlich … manchmal.« Wenn Kaia in der Nähe war oder die einheimischen Behörden.

»Hör mal, Mon, ich bin schrecklich gern mit dir zusammen, aber es wäre mir lieber, wenn du in absehbarer Zeit nicht mich besuchen würdest, okay? Also, sei vorsichtig.«

Jetzt, da weiterer Schlaf nicht mehr infrage kam, stand Montana auf. »Ich werde vorsichtig sein. Aber du musst verschwinden. Kaia wird bald hier sein.«

»Ich liebe Kaia! Lass mich bleiben. Sie wird mich nicht sehen.«

»Nein, denn ich werde dich sehen, und ich will nicht, dass meine zehnjährige Tochter oder ihr Dad denken, ich sei eine Irre.« Montana ging zur Schlafzimmertür.

Dani erschien direkt davor und versperrte ihr ihren Fluchtweg. »Na schön. Aber denk daran, was ich über Eddie gesagt habe.«

»Ich bändele mit Lance an, erinnerst du dich?« Mehr oder weniger jedenfalls. Wie genau beobachtete ihre Schwester sie eigentlich?

Der Geist ihrer Schwester schauderte. »Shit. Ich hab mich gerade im Grab umgedreht.«

»Nicht witzig!«

»Ich weiß. Es ist verdammt unheimlich. Aber es passiert jedes Mal, wenn du von Lance sprichst, daher werte ich das als Zeichen, dass du die Sache mit ihm beenden solltest.« Sie rieb sich ihre dünnen Arme.

»Nein.«

»Hör mal, ich mache diese Geisterregeln nicht.«

Es klopfte an Montanas Wohnungstür, und Dani verschwand.

Montana drehte sich im Kreis und suchte nach ihr. Zufrieden damit, wieder allein zu sein, schüttelte sie das Erlebnis ab und öffnete Tank und Kaia die Tür. »Hey! Mein Lieblingsmensch! Und ihr seid früh dran.« Sie umarmte Kaia und trat zurück, um die beiden hereinzulassen, in der Hoffnung, dass sie ihre Stimmung nach ihren morgendlichen Störungen nicht spürten.

»Hey, Mom«, begrüßte Kaia sie mit einem Lächeln.

Verdammt. Sie würde es niemals überdrüssig werden zu hören, wie ihre Tochter sie Mom nannte. Kaia hatte eine magische Begabung dafür, sie zu erden. Zu verhindern, dass sie in den Abgrund stürzte. Das Zusammensein mit Kaia erfüllte Montana mit einem klaren, definitiven Ziel, und sie klammerte sich daran wie an ein Sicherheitsnetz. Wann immer sie zu unruhig wurde oder anfing, ihr Leben in Wild River zu hinterfragen, riefen ihre Begegnungen mit Kaia ihr ins Gedächtnis, was wichtig war.

»Ja, entschuldige, dass ich sie etwas früher als vereinbart hier absetze, aber ich muss zur Bergwacht. Ist sonst noch jemand hier?«, fragte Tank und sah sich um. Ihre ohnehin schon winzige Wohnung schien immer zu schrumpfen, wenn Tank bei ihr war. Mit einem Meter zweiundneunzig und einhundertfünfunddreißig Kilo auf der Waage, größtenteils Muskelmasse, war ihr Ex äußerlich groß und Furcht einflößend, aber innerlich war er kuschelig und liebenswert. Sie waren immer allerbeste Freunde gewesen, und er war ein umwerfender Vater. Wie er sie wieder in ihrer beider Leben willkommen geheißen und ihr das Einfinden so leicht wie möglich gemacht hatte, war etwas, wofür sie immer dankbar sein würde. Aber der Druck, ihn oder Kaia nicht zu enttäuschen, lastete schwer auf ihr.

»Ähm … nein. Sonst ist hier niemand.«

»Oh, ich dachte, ich hätte dich reden hören.«

»Ich hatte gerade den Fernseher an«, antwortete sie. Wenn sie sagte, dass sie Selbstgespräche führte, würde er sich noch einmal überlegen, ob er Kaia den Tag bei ihr verbringen lassen sollte.

Seinen besorgten Blick empfand sie als schrecklich, aber glücklicherweise sah sie diesen Blick in letzter Zeit immer seltener. Sie bewies, dass sie gut allein zurechtkam und ohne irgendjemandes Hilfe ihren Alltag bewältigen konnte. Ihr Gedächtnisverlust hatte seit Monaten keinen Anlass zur Sorge mehr gegeben. Und dass sie nicht kochen konnte, belustigte alle nur.

»Okay.« Tank nickte. Dann drehte er sich zu Kaia um. »Nun, willst du deiner Mom die aufregenden Neuigkeiten erzählen?«

Kaia warf ihm einen Blick zu. Ihre dunklen Brauen trafen sich in der Mitte. Offensichtlich wollte sie das nicht. »Natürlich …«, sagte sie widerstrebend.

Montana schaute zwischen den beiden hin und her. »Was gibt es denn?«

»Ich fahre ins Sommerlager zum Camp Willow.« Kaia wirkte nervös und wickelte sich eine Strähne ihres langen dunklen Haares um den Zeigefinger.

»Wow! Das ist fantastisch!« Montana musterte sie. »Freust du dich nicht darüber?«

»Schon. Es ist nur … ich bin schon in ein paar Tagen weg.« Sie hielt inne. »Für einen Monat.«

Montana riss die Augen auf. »Das Sommerlager geht über einen ganzen Monat?«

»Ja, aber Kaia hat bisher jeden Sommer im Camp verbracht«, sagte Tank. »Normalerweise nur zwei Wochen, aber das ist eine großartige Chance. Camp Willow liegt an den Ufern des Kenai Lake.« Er sah Montana erwartungsvoll an.

Hatte ihr Ex vergessen, dass sie sich mit der alaskischen Geografie nicht besonders gut auskannte? War der Kenai Lake eine Stunde entfernt oder acht? Würde sie Kaia besuchen können, oder würde sie tatsächlich volle vier Wochen – den ganzen August – überleben müssen, ohne sie zu sehen? »Klar. Ja, natürlich«, sagte Montana.

»Du hast keine Ahnung, wo der See ist, oder?«, fragte Tank.

»Natürlich habe ich eine Ahnung. Er ist in der Nähe … des Wassers.«

Kaia sah sie besorgt an, bevor sie ihr langes Haar unter eine Baseball-Kappe schob. »Bist du wirklich damit einverstanden, Mom? Ich brauche nicht hinzufahren …«

»Doch, tust du! Du bist schrecklich gern im Freien und magst Camping und das Erlernen neuer Überlebenstechniken. Natürlich fährst du hin.« Sie umarmte ihre Tochter abermals.

»Wirst du ohne mich zurechtkommen?«

Bei den gedämpften Worten ihrer Tochter fühlte sie sich noch mieser. Sie war die Mutter. Kaia sollte sich keine Sorgen darum machen, für sie da zu sein.

»Auf jeden Fall«, antwortete sie selbstbewusst. »Und ich habe eine Überraschung für dich.« Sie holte den neuen Motorradhelm, den sie für ihre Tochter gekauft hatte, hinter einem Stuhl hervor. Leuchtend blau mit orangefarbenen Flammen an der Seite. Kaia würde ihn lieben.

»Es sollte besser nicht das sein, wofür ich es halte«, murrte Tank, dessen Körpergröße ihm einen Blick auf das Geschenk ermöglichte.

Montana hielt kurz inne, bevor sie die Überraschung vorzeigte. »Wofür hältst du es denn?«

Tank schüttelte den Kopf. »Keine Motorradfahrten für Kaia.«

Spielverderber. Montana versteckte den Helm wieder. »Natürlich nicht!« Sie drehte sich zu Kaia um. »Deine Überraschung kommt mit der Post … nächste Woche … sobald ich etwas bestelle.«

Kaia sah Tank stirnrunzelnd an. »Komm schon, Dad! Ich habe ein Mountainbike.«

»Das ist nicht dasselbe.« Tanks Ton war entschieden. Endgültig.

»Irgendwie schon.«

Bei Tanks durchdringendem Blick presste Montana die Lippen zusammen. »Nein. Ganz und gar nicht dasselbe. Dein Dad und ich sind uns in diesem Punkt einig.«

Kaia legte den Kopf schräg und zog eine Braue hoch.

»Mehr oder weniger. Aber definitiv sind wir da auf einer Wellenlänge.«

Kaias Verärgerung war offensichtlich. »Na schön. Es ist wirklich nervig, dass ihr zwei euch so gut versteht.«

Tank lachte. »Also, was ist der Plan für heute?«

»Ich dachte, ich zeige dir den neuen Absprungplatz«, sagte Montana zu Kaia. »Falls das in Ordnung ist?« Sie sah Tank an.

Wenn er sich Sorgen machte, dass Montana mit Kaia in die Berge fuhr, wo sie sich nur wenige Monate zuvor zwei Tage lang verirrt hatte, verbarg er es gut. »Ja, das ist cool. Seid einfach vorsichtig«, fügte er hinzu und schaute auf seine Armbanduhr. »Ich sollte dann mal lieber gehen.« Er küsst Kaia auf den Kopf. »Wir sehen uns später.«

»Tschüss, Dad«, sagte Kaia.

»Hey, ich begleite nur schnell deinen Dad hinaus. Bin in einer Sekunde wieder da«, sagte Montana und schloss die Wohnungstür hinter sich und Tank, bevor sie sich zu ihm umdrehte. »Bist du ernsthaft einverstanden damit, dass sie so lange ins Camp fährt?«, flüsterte sie.

»Nein, aber du hast unsere Tochter kennengelernt. Wenn du diesen Kampf führen willst, werde ich dich unterstützen, und dann wird mein Kommentar sein, ich hab’s dir gesagt, wenn Kaia trotzdem ins Camp fährt.«

Verdammt, er hatte so recht mit seiner Einschätzung, wie die Sache garantiert ausgehen würde. »Warum ist sie so halsstarrig?«

Tank stemmte die Hände in die Hüften. »Fragst du das im Ernst?«

»Ich weiß einfach nicht, was ich einen ganzen Monat lang ohne sie mit mir anfangen soll.« Es war definitiv egoistisch, aber sie brauchte Kaia. Sie hoffte, irgendwann den Punkt zu erreichen, an dem ihre Tochter sie mehr brauchte als sie ihre Tochter, aber ob dieser Fall je eintreten würde, stand in den Sternen.

»Wovon redest du? Du hast bald die Eröffnung des Absprungplatzes vor dir, und deine Trainingskurse fangen nächste Woche an. Ganz zu schweigen von einem gewissen Jemand, der deine Abende ausfüllt …«

Sie kniff die Augen zusammen. In diesen Bergen schien es null Mädelsgeheimnisse zu geben. Stattdessen waren alle einfach eine einzige große freundliche Familie, und jeder wusste alles über jeden. »Cassie hat dir von Lance erzählt?«

Er nickte. »Ich sage dazu nur, dass du es besser treffen könntest. Aber was Kaia und das Camp betrifft, achte darauf, sie nicht spüren zu lassen, dass dir das zu schaffen macht. Sie war nervös bei dem Gedanken, dir davon zu erzählen, und ich glaube, wenn sie spürt, dass das für dich nicht ganz unproblematisch ist, wird sie nicht fahren.«

»Kapiert.« Sie würde ihre Tochter niemals von irgendetwas abhalten.

»Wunderbar. Viel Spaß heute.« Tank winkte ihr zu, dann ging er den Flur entlang. »Denk dran, kein Motorrad!«

Warum hatte er so hart gearbeitet, nur um acht Stunden am Tag auf seinem Handy Candy Crush zu spielen? Drei Anläufe bei der Aufnahmeprüfung für die Polizei, und anschließend hatte er sich in der Akademie den Arsch aufgerissen und den Abschluss als Drittbester in seinem Kurs erworben, und jetzt war er eine menschliche Barrikade.

Eddie saß auf der Holzschranke am Eingang des neugebauten Pfades, der zu dem Basejumping-Platz an der Flanke des Suncrest Peak führte, und krempelte sich seine Hemdsärmel auf. Es mussten hier draußen in der Vormittagssonne an die dreißig Grad sein. Die Schatten spendenden Bäume waren zum Teil gefällt worden, damit die Geländewagen den Pfad sicher benutzen konnten, und er kochte in der toten Hitze des späten Julis so langsam vor sich hin.

»Alle Einheiten im Gebiet um die South-West- und die Hauptstraße: Melden Sie sich bitte wegen eines Einbruchs in Garys Lebensmittelladen …«

Der Polizeiticker neben ihm hatte den ganzen Tag nicht aufgehört, Notrufe abzugeben. Bedauerlicherweise geschahen die Verbrechen überall, nur nicht in Wild River.

Seine Schwester mochte manchmal ein Biest sein, aber sie hatte nicht unrecht mit ihrer Einschätzung. Das Leben in einer ruhigen, beliebten Touristenstadt würde ihm nicht die Karriere ermöglichen, die er sich wünschte. Er hielt nicht Ausschau nach Gefahren, aber er hatte Mühe, sich wie ein richtiger Officer zu fühlen, wenn sein Job an den meisten Tagen darin bestand zu verhindern, dass jemand Graffiti auf die Highway-Brücken sprühte, sich seine Eier wegzuschwitzen und dafür zu sorgen, dass keine unbefugten Wanderer an dieser Schranke vorbeistolperten. Er hatte diesen Beruf ergriffen, um etwas zu bewirken. Seine Schwestern retteten entweder Leben oder lösten Mordfälle. Er brannte darauf, etwas ebenso Wichtiges zu tun wie sie.

Eddie schloss das hundertvierunddreißigste Level von Candy Crush und fragte auf seinem Handy seine E-Mails ab.

Immer noch nichts von der Drogenbehörde. Anscheinend genügte es nicht, tausendmal am Tag seine E-Mails abzurufen, um dafür zu sorgen, dass eine Nachricht eintrudelte. Auch an diesem Morgen war nichts in seinem Posteingang gewesen, und er vermutete, dass er vielleicht angerufen werden würde, wenn sein Antrag angenommen worden war, aber bisher hatte das Telefon nicht geklingelt.

Als er Stimmen weiter unten auf dem Pfad hörte, steckte er sein Handy ein. Der erste Kontakt mit echten menschlichen Wesen in drei Stunden. Er stand auf und sah Montana und Kaia auf dem Pfad näher kommen.

War es hier draußen noch heißer geworden? Eddie öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und fuhr sich mit einer verschwitzten Hand durchs Haar, dann strich er es wieder glatt.

Er hatte Montana seit einigen Tagen nicht mehr hier draußen gesehen. Nicht dass mögliche Begegnungen mit ihr an diesem Ort etwas damit zu tun hatten, warum er diesen Posten angenommen hatte.

Sie waren Nachbarn, und das hatte nichts an der Frage geändert, ob sie seine Existenz wahrnahm. Nicht dass er das gewollt hätte, aber verdammt, sie faszinierte ihn, und wenn sie ihn nicht gerade anbrüllte, dass er aufhören sollte, Gitarre zu spielen, sprach sie kaum je mit ihm.

Lance Baker war ihr Typ, und er war kein Lance Baker.

Obwohl ihr Blick heute Morgen wirklich lange auf seinem nackten Oberkörper verweilt hatte. Zumindest körperlich entsprach er ihren Maßstäben, aber sie mochte böse Jungs, und auf ihn passte diese Beschreibung nun wirklich nicht.

»Was liegt an, Danger?« Zu beobachten, wie ihre Wangen sich röteten und sie die Zähne zusammenbiss, war genau der Grund, warum er sie weiter so nannte. Eine ärgerliche, aber gleichzeitig heimlich leicht amüsierte Montana war die schönste Montana.

Doch jede ihrer Stimmungen weckte in ihm Gefühle, die er seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte. Sie war wahnsinnig sexy mit ihrem athletischen Körperbau und ihrer Supermodelgröße, aber es waren ihre atemberaubenden Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und die strahlenden Augen, die ihn faszinierten. Ihre Lebenslust strahlte von ihr aus wie die Hitze einer Flamme, die ihn verbrennen würde, wenn er zu nah herankam.

»Ich wollte mit Kaia zum Trainingsgelände für die Basejumper hinaufgehen, jetzt, da der Pfad fertig ist«, sagte sie und zog ihren Rucksack zurecht.

»Ich werde euch begleiten müssen.«

»Darfst du deinen Posten wirklich verlassen?«

»Das darf ich, wenn der Ärger gerade hier oben angekommen ist«, antwortete er mit einem Grinsen.

Montana wandte den Blick ab.

Kaia schaute zwischen ihnen beiden hin und her. »Flirtet ihr zwei gerade?«