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Wenn aus Freundschaft plötzlich mehr wird ...
Emma Callaway ist schon lange in ihren besten Freund verliebt. Aber für Asher Westmore kommt seine Karriere an erster Stelle. Als der Eishockey-Star sich jedoch kurz vor Weihnachten schwer verletzt, sieht die Physiotherapeutin ihre Chance gekommen. Denn Asher kehrt das erste Mal seit Jahren für längere Zeit zurück nach Glenwood Falls und bittet sie, ihn wieder fit zu machen. Emma will ihm endlich ihre Gefühle gestehen, doch da erhält sie ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann. Und es führt sie fort aus Glenwood Falls und fort von Asher ...
"Humorvoll, bewegend und verführerisch - dieser Roman begeistert!" PUBLISHERS WEEKLY
Abschlussband der warmherzigen und sexy COLORADO-ICE-Serie - für alle Leserinnen von Marie Force und Kelly Moran
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Seitenzahl: 398
Titel
Zu diesem Buch
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Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Jennifer Snow bei LYX
Impressum
JENNIFER SNOW
Maybe this Christmas
Und dann war es so viel mehr
Roman
Ins Deutsche übertragen von Wanda Martin
Asher Westmore lebt und atmet Eishockey. Kurz vor Weihnachten steht er vor einem großen Meilenstein: seinem eintausendsten Spiel in der NHL. Doch dann verletzt er sich schwer und muss nach einer OP mehrere Wochen pausieren. So kommt es, dass er das erste Mal seit seiner Jugend die Vorweihnachtszeit in seinem Heimatstädtchen Glenwood Falls, Colorado, verbringt. Schnell fällt ihm die Decke auf den Kopf, doch zum Glück ist da seine beste Freundin Emma. Die Physiotherapeutin soll ihm dabei helfen, so schnell wie möglich wieder aufs Eis zu kommen. Schon lange ist Emma in Asher verliebt, und nun sieht sie ihre Chance gekommen, ihm endlich ihre Gefühle zu gestehen. Aber dieser scheint noch nicht bereit für die Liebe. Für Asher ist ganz klar, dass seine Karriere an erster Stelle kommt, und erst wenn er mit dem Eishockey aufhört, will er an eine Beziehung und Familie denken. Doch als Emma beginnt, ein Leben ohne ihn zu planen, kommt er ins Grübeln, ob er seine Ziele wirklich richtig gewählt hat. Und je näher Weihnachten rückt, desto mehr merkt Asher, dass ohne Emma auch der Sport seinen Reiz verliert. Und dass er seine beste Freundin auf einmal mit ganz anderen Augen sieht …
»Finde das, was du liebst, und lass es dich töten.«
Charles Bukowski
Asher Westmore hasste Überraschungen fast so sehr wie Partys. Was auch alle wissen müssten, die gerade aus ihren Verstecken aufgesprungen waren und »Herzlichen Glückwunsch« gerufen hatten. Er drehte sich zu seiner besten Freundin um.
Den rehäugigen Unschuldsblick kaufte man Emma Callaway nicht ab.
»Deshalb warst du so versessen darauf, hierherzukommen?«, fragte Asher, nahm sein Baseballcap vom Kopf und schüttelte den Schnee davon ab, während er sich mit der anderen Hand durch das kurze braune Haar fuhr.
Ich hätte es wissen müssen, dachte er, strich sich die Haare zurück und setzte das Cap wieder auf. Emma hasste das Grumpy Stump – die einzige Kneipe in Glenwood Falls – fast so sehr wie er. Wenn nicht irgendwas im Busch gewesen wäre, hätte sie seinen Vorschlag für den heutigen Abend mit Sicherheit nicht abgelehnt.
»Wer wagt es schon, deiner Mom etwas abzuschlagen?«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Setz einfach ein Lächeln auf und lass uns das Ganze so kurz und schmerzlos wie möglich hinter uns bringen.« Sie selbst hatte bereits ein falsches Lächeln im Gesicht.
Für schmerzlos war es schon zu spät. Wegen der grellbunten Weihnachtsbeleuchtung überall in der Bar musste er blinzeln, während er die ganzen vertrauten Gesichter ringsum betrachtete. Anscheinend hatten sich sämtliche Bewohner der Stadt tapfer durch den ersten Schneesturm des Jahres gekämpft, um mit ihm zu feiern – und der eine oder andere war dabei hopplahopp kopfüber in eine Schneewehe geplumpst. Alle würden zumindest ein paar Minuten mit ihm verbringen wollen, denn er kam nur selten zurück in sein Heimatstädtchen. »Eine etwas verfrühte Feier«, zischte er ihr zu, verzog den Mund aber unter all den Blicken und dem anhaltenden Applaus zu dem strahlendsten Lächeln, das er zustande brachte.
»Nur noch zwei Spiele, und du wirst in New Jersey von den Devils geehrt. Die Leute wollten daran teilhaben«, sagte Emma, während seine Brüder mitsamt ihren jeweiligen Partnerinnen näher kamen.
»Hey, Mann«, sagte sein ältester Bruder Ben und umarmte ihn als Erster.
In einen erstickenden Quetschgriff genommen, erwiderte Asher: »Du hättest mich warnen können.«
»Wo bliebe denn da der Spaß?«, fragte Ben, trat zurück und reichte ihm sein halb leeres Glas Bier. »Haben schon mal ohne dich angefangen.« Er schlang einen Arm um seine Verlobte Olivia, die sich zurückhielt und ihm zur Begrüßung nur kurz zuwinkte.
Sie konnte er leiden. Zumindest gefiel es ihm, dass sie genauso viel Wert wie er darauf legte, den persönlichen Freiraum des anderen zu wahren.
»Ja, warum habt ihr so lange gebraucht?«, wollte Abigail wissen, die Verlobte seines anderen Bruders Jackson. Sie trat auf ihn zu, um ihn ebenfalls zu umarmen.
Er wand sich vor Unbehagen. Er war kein großer Umarmer. Das sollte ihnen allen doch wohl inzwischen klar sein, verdammt.
Als sie ihn wieder losließ, bedachte sie Emma mit etwas, das wohl ein wissender Blick sein sollte.
Einen Scheiß wusste sie.
Anders als alle zu wissen glaubten, waren Emma und er kein Paar. Sie waren so schlau, etwas Perfektes nicht kaputt zu machen, indem sie vermieden, irgendwelche Gefühle und Verpflichtungen mit ins Spiel zu bringen.
»Die Straßenverhältnisse waren furchtbar«, log Emma.
Er verbarg hinter vorgehaltener Hand ein Grinsen. Er war furchtbar gewesen. Er hatte sich geweigert, ihre Wohnung zu verlassen, und alles in seiner Macht Stehende versucht, um sie aus ihren Klamotten zu kriegen.
Okay, Abby hatte vielleicht doch so eine Ahnung. Oder zumindest lag sie nicht vollkommen falsch mit ihrer Vermutung, warum sie zu spät kamen.
»Die Straßenverhältnisse … klar«, sagte Abby augenzwinkernd. »Wisst ihr, eine Dreifachhochzeit nächstes Jahr wäre ein Riesenspaß.«
Sein Mund wurde trocken, und er sah Jackson Hilfe suchend an. Seine Brüder hatten inzwischen beide die Frau fürs Leben gefunden, aber das hieß noch lange nicht, dass er sich ebenfalls in absehbarer Zeit fest binden wollte.
Noch zwei Spiele, weniger als eine Woche, dann würde er anlässlich seines eintausendsten Spiels in der NHL geehrt werden. Während die meisten Spieler mit dreißig anfingen, es ruhiger angehen zu lassen, drehte Asher die Uhr zurück. Für ihn war Eishockey alles, was zählte, alles, was er kannte, seit er groß genug gewesen war, um im Tor zu stehen – zum Schutz in Luftpolsterfolie eingewickelt und bereit, loszuhechten und die gnadenlosen Schlagschüsse seiner Brüder abzublocken. Als jüngstes Geschwisterkind unter zwei NHL-verrückten Brüdern und einer Schwester, die ausgezeichnet spielte, wenn man sie denn mal aufs Eis zwang, hatte er zwei Dinge gelernt: dass er niemals Torwart sein wollte und dass er jeden schlecht getimten Schuss einstecken würde, den seine Brüder auf ihn abfeuerten, wenn er dafür eines Tages in der NHL spielen durfte.
Und er hatte es tatsächlich in die NHL geschafft, genauso wie sein ältester Bruder Ben. Und genau wie Ben hatte er es in seiner Karriere schon auf eintausend Spiele gebracht.
Fast.
»Kommt mit, wir haben hinten einen Tisch«, sagte seine Schwester Becky und winkte den anderen, ihr zu folgen. »Mom hält ihn für uns besetzt.« Sie sah Asher an und verdrehte die Augen. »Ich kann nicht glauben, dass die ganzen Leute deinetwegen da sind«, sagte sie.
Er breitete die Arme aus. »Was soll ich sagen? Sie erkennen wahre Größe.«
»Du meinst also, sie sind wegen Ben hier?« Klugscheißerei war in der Familie Westmore stark ausgeprägt.
Er schubste sie sanft in den hinteren Bereich der Bar. »Müsstest du nicht schwanger sein oder so?«
Sie wirbelte zu ihm herum. »Eilmeldung: Deine neue Nichte ist fast ein Jahr alt. Vielleicht kommst du öfter mal zu Besuch«, sagte sie in ihrem üblichen neckenden Tonfall, aber in ihren Augen blitzte die Hoffnung auf, dass er es tatsächlich machen würde.
Leichte Schuldgefühle überkamen ihn, aber eben nur leichte. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass er – anders als sein Bruder – von den New Jersey Devils und nicht von der Heimmannschaft von Colorado, den Avalanche, ins Team geholt worden war.
Als er zu dem für sie reservierten Tisch ging, pappten seine Wanderstiefel an einem großen klebrigen Fleck am Boden fest. Asher hoffte, man würde sein sichtliches Humpeln darauf schieben. Im Vorbeigehen schüttelte er verschiedenen Leuten, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, die Hände. Leider ließ sich der heftige Schmerz in seinem Knie nicht so leicht verbergen wie seine Abneigung gegen diese verfrühte Feier.
»Lässt du mich dein Knie untersuchen, bevor du abreist?«, flüsterte Emma ihm zu.
Er wünschte sich, dem scharfen Blick seiner besten Freundin würde nur ein Mal etwas entgehen. »Da gibt’s nichts zu untersuchen. Ich fühl mich super«, sagte er und schob sie sanft vor sich her durch die dichte Menge aus Gratulanten. »Außerdem«, flüsterte er ihr dann zu, »hab ich nur ein Leiden, das du lindern sollst.« Der Pfefferminzduft ihrer Bodylotion weckte in ihm den Drang, an ihr zu lecken wie an einer Zuckerstange. Hätten nicht unzählige Augenpaare jede seiner Bewegungen verfolgt, hätte er es auch sofort getan. Aber er vermied aus Prinzip jede mediale Aufmerksamkeit, die nichts mit Eishockey zu tun hatte.
Sein Privatleben blieb privat … sogar vor seiner Familie. Es war ihm lieber so. Und dass er hier in seinem Heimatstädtchen war und von lauter bekannten Gesichtern umgeben, hieß nicht, dass sich niemand in der Menge befand, der liebend gern einen Schnappschuss von ihm an die Boulevardpresse verhökern würde.
Bevor sein Bruder Ben mit Olivia zusammengekommen war, hatte er den Klatschblättern ständig Stoff geliefert. Asher dagegen zog den Kopf ein und blieb sauber.
Allerdings war es eine echte Herausforderung, nicht die Hand auszustrecken und in Emmas perfekt gerundeten Hintern in der engen dunklen Skinny Jeans zu kneifen, als sie ihm über die Schulter einen scharfen Blick zuwarf. »Ich bin eine gute Physiotherapeutin. Ich kann helfen«, sagte sie.
Das war ja gerade das Problem. Sie war eine gute Physiotherapeutin. Eine, die ihm sagen würde, dass er das angerissene vordere Kreuzband seines rechten Knies nicht belasten sollte.
Kam nicht infrage.
Zumindest nicht, bis er sein Jubiläum geschafft hatte … nur noch zwei Spiele. »Es geht mir gut«, sagte er grinsend. »Du hast außerdem schon genug Baustellen.«
Sogar mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen war sie verdammt sexy. »Als da wären?«
»Als da wären, dass du nicht immer so verdammt schuldbewusst gucken solltest, wenn meine Mom in der Nähe ist.«
Top. Ein Abend mit Beverly Westmore, der Frau, die Emmas verwitweten Vater an den Rand des Wahnsinns trieb, seit er in das Haus neben ihr gezogen war. Nicht, dass Emma ihren Vater aus der Verantwortung nahm. Er trug genauso viel Schuld an der albernen Zankerei wie Beverly. Sie wünschte, die zwei kämen besser miteinander aus.
Die beiden stritten sich über Grundstücksgrenzen und die Farbe des Zauns zwischen ihren Gärten, und normalerweise hätte diese harmlose Fehde Emma nicht weiter bekümmert. Doch angesichts ihrer tiefen, heimlichen Gefühle für Beverlys Sohn machte ihr der Zwist zwischen den beiden Familien zu schaffen.
Sie schob sich eine kurze blonde Haarsträhne hinters Ohr. Sonst hatte sie es immer schulterlang getragen. Erst heute hatte sie sich einen kinnlangen Bob schneiden lassen, der ihr Gesicht einrahmte, und sie musste sich noch an die neue Frisur gewöhnen.
Sie fragte sich, wie Asher es fand. In den paar Stunden, seit er in der Stadt war, hatte er noch nichts dazu gesagt. Sie seufzte. Was erwartete sie denn? Ihr bester Freund glänzte nicht gerade durch besondere Aufmerksamkeit. Zumindest nicht, wenn es um irgendwas oberhalb ihrer Taille ging. Wenn sie ihrem Arsch einen anderen Look verpassen würde, bekäme er es ganz sicher mit, dachte sie ironisch, während sie vor ihm herging und seinen Blick auf ihrem Po spürte.
Das sollte er besser bleiben lassen, bevor seine Mom es sah.
Als sie ihren Tisch erreichten, bedachte Beverly Emma mit einem mehr als knappen Lächeln, ehe sie Ash ihre ganze Aufmerksamkeit zuwandte.
»Ich habe dir einen Platz neben mir freigehalten«, schrie sie über die Weihnachtsmusik hinweg, die aus dem Lautsprecher direkt über ihnen plärrte. In der langen Reihe freier Stühle entlang der Wand rutschte sie einen weiter. Einen und nur einen.
Emma setzte sich auf einen Stuhl gegenüber. Sie konnte es der Frau nicht verdenken, dass sie sich die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Sohns wünschte. Zehn Monate im Jahr war Asher mit den Devils unterwegs, deshalb kam er nicht oft nach Glenwood Falls. Selbst die Saisonpause schien immer zu früh zu enden, weil noch das Trainingslager anstand und er in New Jersey lebte. Nur selten waren die Westmore-Geschwister alle zur gleichen Zeit am selben Ort. Sie wusste, dass es hart für Beverly war, ihren Jüngsten so selten zu sehen.
Auch für Emma war es hart, Asher so selten zu sehen, aber sie wusste, wie das Leben eines Berufssportlers aussah. Während ihrer Zeit als Profi-Snowboarderin war auch sie viel herumgereist und hatte sich mit Haut und Haar dem Sport verschrieben. Sie verstand Ashers Hingabe für die eine große Leidenschaft in seinem Leben.
Sie wünschte sich nur, er würde seine Augen und sein Herz auch für eine andere Art Hingabe öffnen.
Bei diesem Gedanken wurden ihre Wangen heiß, und sie betete, dass alle dachten, es läge an der blinkenden rot-grünen Weihnachtsbeleuchtung, die über dem Tisch von der Decke hing.
Jackson setzte sich rechts neben sie. »Danke, dass du ihn hergebracht hast«, sagte er, ließ die Lederjacke von den Schultern gleiten und hängte sie über seine Stuhllehne.
»Es war nicht einfach.« Und eigentlich hatte sie sich diesen Abend anders vorgestellt. Sie war so aufgeregt gewesen, als sie erfuhr, dass sein Terminplan ihn nach Denver führte. Hatte gehofft, dieser Besuch würde vielleicht ganz anders werden als sonst. Dass er vielleicht die lang erhoffte Gelegenheit war, ihm ihre Gefühle zu gestehen.
Gefühle, die er hoffentlich erwiderte.
Im Lauf der letzten Monate waren ihre Skype-Gespräche zunehmend in die Tiefe gegangen. Sein Vertrag mit den Devils lief am Ende der Saison aus, und es war nicht sicher, dass er verlängert werden würde. Zum ersten Mal machte sich Asher Sorgen um seine Karriere, und sie hatte sich ordentlich ins Zeug gelegt und ihm versichert, dass er immer noch einer der Topspieler seiner Mannschaft war und sie dämlich wären, ihn nicht zu behalten. Wenn sich ihre Gespräche dann schließlich um seine Zukunftspläne für die Zeit nach seiner aktiven Spielerlaufbahn gedreht hatten, war die Wahrheit über ihre Gefühle stets nur einen Atemzug entfernt gewesen.
Sie wollte nach dem Eishockey an der Reihe sein. Genau genommen war sie nicht sicher, ob sie noch so lange warten konnte, bis seine Profisportlerkarriere vorbei war. Außerdem hatte er ihr in letzter Zeit hin und wieder signalisiert, dass sie vielleicht gar nicht bis dahin würde ausharren müssen. Natürlich hatte er nie irgendwelche Gefühle gestanden … aber sie wusste, dass sie ihm viel bedeutete. Und sie wollte herausfinden, wie viel genau.
Leider musste sie jedoch erst mal den Mumm für diesen Schritt aufbringen. Bislang war ihr immer schlecht geworden vor Angst, sobald sich ihr eine Gelegenheit geboten hatte, es anzusprechen – eine lange Pause, ein zärtlicher Blick von ihm –, und sie hatte stets gekniffen.
Emma kneift – das schien die letzten Jahre der Untertitel zu ihrem Leben zu sein.
Und das musste sich ändern.
Als ehemalige Olympiasiegerin wusste sie, was es bedeutete, einen Traum zu verfolgen, hart zu arbeiten und noch das gewisse Quäntchen mehr zu geben, wenn alle anderen es gut sein ließen – die Aufgabe, Asher bewusst zu machen, was er für sie empfand, war vermutlich recht ähnlich. Bei ihm musste man geduldig sein, entschlossen und beharrlich. Er brauchte einen Menschen in seinem Leben, der verstand, was es einen kostete, zu den Besten zu gehören, und der ihn unterstützte.
Dieser Mensch war sie.
Sie sah zu ihm hinüber und beobachtete, wie er über etwas lachte, das seine Mutter gesagt hatte. Zum ersten Mal, seit sie hier angekommen waren, schien er sich zu entspannen. Bei dem Anblick schnürte ihr eine Sehnsucht die Brust zusammen, die mit jedem Tag stärker zu werden schien. Wenn er lächelte, bildeten sich tiefe Grübchen in seinen Wangen, verwandelten sein sonst so ernstes, hart wirkendes Gesicht und ließen Emmas Herz rasen. Seine hellblauen Augen, der kantige, stoppelige Kiefer, die vollkommen gerade Nase und das vom Zahnarzt polierte Lächeln machten dem eines GQ-Models Konkurrenz.
Er bemerkte ihren Blick und zwinkerte ihr zu, und diese schlichte kleine Geste ließ ihren Puls fast durch die Decke schießen. Nur unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft widerstand Emma dem Drang, unter dem Tisch durchzukriechen und sich zwischen Mutter und Sohn zu quetschen. Er blieb nur für einen Tag, morgen würde er einen Nachtflug nehmen und wäre wieder weg, dabei gab es so viel zu sagen … so viel herauszufinden.
Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie den Mund anstarrte, den sie begehrte. Als ihr Blick zu seiner durchtrainierten Brust und den muskulösen Armen hinunterwanderte, über denen sein schwarzes T-Shirt richtig spannte, bekam sie schwitzige Hände. Mit seinem markanten Gesicht und der Linebacker-Statur war er einer der heißesten Spieler der ganzen NHL. Die Frauen flogen auf ihn wie Bienen auf Nektar, und auch sie war nicht immun gegen sein gutes Aussehen und seinen Charme. Vielleicht hätte sie diese Party hier sausen und sich von ihm ausziehen lassen sollen, wie er es unbedingt gewollt hatte. Mit Ash zu reden war immer leichter, wenn er nackt war.
»Worüber auch immer du gerade nachdenkst – tu es nicht«, erklang Bens Stimme neben ihr, und sie zuckte zusammen.
»Was?«, fragte sie. Er setzte sich neben sie und reichte ihr einen Gin Tonic – den trank sie immer.
Die meisten Frauen würden dafür töten, von den beiden älteren Westmore-Brüdern eingerahmt zu sein, doch sosehr sie Ben und Jackson mochte, die zwei konnten nicht mit Asher mithalten.
»Du hast diesen ganz bestimmten Gesichtsausdruck. Hab ich jetzt schon öfter bei dir gesehen.« Ben fasste sie bei der Schulter und beugte sich zu ihr, damit niemand sonst es hörte. »Hör zu, Em … ich werd nicht behaupten, ich wüsste, was zwischen dir und Asher läuft, aber ich weiß genau, was er gerade im Kopf hat. Und das ist sein tausendstes Spiel, das diese Woche stattfindet.«
Sie trank einen Schluck und nickte. »Das weiß ich.« Wahrscheinlich besser als alle anderen. Die Brüder standen sich zwar nah, aber sie wusste, dass sich Asher niemandem sonst so anvertraute wie ihr.
»Gut. Vergiss es nicht. Wir wissen beide, dass Asher ein Kopftyp ist. Er wird sich nicht durch Gefühle – seien es seine eigenen oder die von jemand anderem – von einem Ziel ablenken lassen, das er sich gesetzt hat.« Im Aufstehen gab er ihr einen Kuss auf die Stirn, dann wanderte sein Blick zu seiner Verlobten, die sich mit Abby und Becky auf der Tanzfläche austobte.
Sie schluckte schwer, denn sie hatte Ben klar und deutlich verstanden. Und mit einem Mal war der Mut, den sie gerade gefasst zu haben glaubte, wie weggeblasen.
Ashers Kopf mochte beim Spiel sein, aber seine Lippen waren auf ihren, als Emma wenige Stunden später ihre Wohnungstür aufschloss und sie beide eintraten.
Er schob sie mit dem Rücken gegen die Wand, um sie voll verzweifelter Begierde zu küssen. Sie fuhr mit den Fingern durch sein Haar; ihr gefiel, wie sich die etwas längeren, welligen Strähnen anfühlten, die ihm ins Gesicht fielen. Mit ihrer Zunge umspielte sie neckend seine Unterlippe, bis er sie zwischen seinen Zähnen festhielt. Dann öffnete er ihren Mantel, streifte ihn ihr von den Schultern und warf ihn achtlos zu Boden. Er hob sie hoch, schlang ihre Schenkel um seine Taille und drückte Emma gegen die Wand. »Ich fass es nicht, dass du mich heute Abend wirklich da hingeschleppt hast«, sagte er.
Sie sollte ihn stoppen.
Doch das hatte sie noch nie getan. Nicht beim ersten Mal, damals vor sechs Jahren, als sie beide auf ihrer Geburtstagsparty viel zu viel getrunken und behauptet hatten, es wäre eine furchtbare Idee, aus ihrer Freundschaft eine mit gewissen Vorzügen zu machen – nur um es dann trotzdem zu tun. Und auch danach kein einziges Mal … womit praktisch jedes Mal gemeint war, wenn er in die Stadt kam und sie beide gerade Single waren. Und seit sie letztes Jahr gemerkt hatte, dass sie mehr als freundschaftliche Gefühle für ihn empfand, blieb sie Single. »Deine Familie hätte dich doch sowieso aufgestöbert«, erwiderte sie, presste sich eng an ihn und drückte die Schenkel gegen seine Taille. Ihr Körper war für ihn entflammt, und der Duft seines Aftershaves an seinem Hals berauschte sie.
Sie liebte seinen Duft – männlich, kühl, stark und solide. So, stellte sie sich vor, müsste Eis riechen, wenn es einen Geruch hätte.
»Dafür habe ich doch dich«, sagte er und küsste ihren Hals. »Du sollst mich vor diesen Verrückten beschützen, wenn ich nach Hause komme.«
Seine warmen Lippen auf ihrer kalten Haut zu spüren, ließ sie erschauern, und sie schluckte schwer, denn sie wollte unbedingt die unbeschwerte Stimmung beibehalten. »Bin ich jetzt also dein Bodyguard?«
»Ja. Mit deinen ganzen fünfzig Kilo.« Er knöpfte ihre Jeans auf, und eine Sekunde später spürte sie seine eiskalten Finger auf der warmen Haut zwischen ihren Schenkeln.
Sie schnappte nach Luft. »Kalt!«, sagte sie und versuchte, seine Hand wegzuschieben.
»Na, dann wärm sie auf«, neckte er sie und küsste sie erneut, während er sie zwischen den Beinen streichelte. Unter seiner Berührung wurde sie rasch feucht.
Sie hatte Asher noch nie widerstehen können. So war es schon gewesen, noch bevor ihr klar geworden war, dass er der eine Mann auf dieser Welt war, ohne den sie nicht leben konnte. All ihre Versuche, ihrem Körper die Sehnsucht nach ihm auszutreiben, waren vergebens gewesen.
Ihr bester Freund war höllisch heiß. Ein Eishockeyspieler, der eher wie ein Bodybuilder gebaut war, mit breiten Schultern, starker Brust und festen Bauchmuskeln. Durch die vielen Stunden auf dem Eis und im Fitnessstudio hatte er ein perfektes Sixpack. Sein Leben drehte sich um seinen Sport und darum, seinen Körper perfekt dafür auszurüsten.
Und oh Mann, seine Ausrüstung war unvergleichlich. Sie revanchierte sich für die Berührung seiner kalten Finger, indem sie ihre Hand unter den Bund seiner Jeans schob.
Er schien die Kälte nicht zu spüren, oder sie störte ihn nicht, denn er wurde sofort steif.
Dass er anscheinend genauso allzeit bereit und heiß auf sie war wie umgekehrt, verblüffte sie immer noch. Ihre ziemlich flache Brust und die athletische Figur erinnerten nicht gerade an ein Victoria’s-Secret-Model. Mit knapp eins zweiundfünfzig und zweiundfünfzig Kilo, dem kurzen blonden Haar und ihrem Durchschnittsgesicht verdrehte sie nicht gerade reihenweise Männern den Kopf. Sie war schlicht unscheinbar. Und wenn man bedachte, wie viele Supermodels sich diesem Eishockeygott tagtäglich an den Hals warfen, hätte sie eigentlich gedacht, dass er bei ihr nicht mal eine Erektion hätte bekommen können, wenn er gewollt hätte.
Asher schien ihre Selbsteinschätzung jedoch nicht zu teilen, und sein Verlangen und seine Begierde nach ihr gaben ihr das Gefühl, sexy zu sein, obwohl sie im Spiegel etwas anderes sah.
»Schlafzimmer?«, fragte er. Seine Stimme kam tief aus seiner Kehle, seine hellblauen Augen musterten sie forschend. Die Westmore-Augen – alle drei Brüder hatten sie, ihre einzige echte Familienähnlichkeit.
Sie nickte, doch dann fielen ihr die Medizin-Lehrbücher ein, die noch von ihrer nächtlichen Lernsession auf dem Bett verteilt lagen, und sie schüttelte den Kopf. »Couch.«
Er schüttelte den Kopf und knabberte an ihrer Unterlippe, bevor er erwiderte: »Zu klein.«
»Tisch?«
»Zu hart.«
»So langsam hörst du dich an wie Goldlöckchen«, sagte sie.
Er zuckte mit den Schultern, lockerte seinen Griff um ihre Schenkel und kniete sich hin. »Dann eben auf dem Fußboden. Ich halt’s nicht mehr aus.« Er legte sie auf den weichen, sandfarbenen Teppich. »Ich fass es nicht, dass du mich da hingeschleppt hast«, wiederholte er noch einmal. »Wir hätten stattdessen den ganzen Abend lang das hier machen können. Jetzt muss ich die verpasste Zeit nachholen.«
Die verpasste Zeit nachholen. Ashers Appetit auf Sex war unersättlich. Sie würden beide keine Minute Schlaf kriegen, bis er vor dem Spiel morgen Abend wieder nach Denver fuhr. Sie schluckte schwer, als seine Lippen ihren Hals streiften und seine Hände unter ihr Sweatshirt glitten. Mit den Fingern arbeitete er sich zentimeterweise an ihrem Bauch hinauf, bis an den unteren Rand ihres Push-up-BHs. Er hielt inne und bedachte sie mit einem Blick, den sie bereits kannte.
»Halt die Klappe, sag’s nicht.«
»Du bist auch ohne Push-up megaheiß«, sagte er dennoch und fasste unter sie, um den BH aufzuhaken, bevor er seine Hände darunterschob. »Mehr als eine Handvoll ist reine Verschwendung.« Er ließ die Daumen über ihre steifen Nippel gleiten.
Warum hatten dann alle Models und Schauspielerinnern auf diesem Planeten D-Körbchen? Sie verdrängte ihre Unsicherheit, als er ihre Brüste massierte. Was soll’s? Ob er es ehrlich meinte oder nicht … was er da mit diesen zwei Handvoll anstellte, machte sie feucht. »Ash … Zieh mich aus.«
Er richtete sich auf und verlagerte das Gewicht auf seine Knie. »Ach, jetzt willst du also doch Sex?«, fragte er grinsend und schob ihr dabei Oberteil und BH über den Kopf.
»Ich will immer Sex.« Mit dir, hätte sie beinahe hinzugefügt, brachte es dann aber doch nicht fertig. Stattdessen setzte sie sich auf und griff nach seinem Pulli und dem T-Shirt darunter, um ihm beides schnell auszuziehen.
Ihr entkam doch tatsächlich ein Aufseufzen.
Ashers Körper war perfekt. Sie fuhr mit einer Hand über die Wölbungen seines Sixpacks und weiter hinab über die schrägen Bauchmuskeln, die im Bund seiner Jeans verschwanden. Ihr Blick wanderte über seine glatte, durchtrainierte, unbehaarte Brust und die Schultern – all das kannte sie in- und auswendig. Sie hatte jeden Zentimeter seiner Haut schon so oft gestreichelt, dass sie seinen Körper selbst im Dunkeln in einem Raum voller anderer muskulöser Männern erkannt hätte. Dennoch raubte es ihr jedes Mal den Atem, wenn sie ihn nackt sah. Sie wusste, wie viel harte Arbeit darin steckte, diese Topform beizubehalten, und seine Aufopferungsbereitschaft für Training und Gesundheit machten sie genauso sehr an wie das zum Anbeißen aussehende Ergebnis.
Er achtete auf seine Gesundheit – nur nicht, wenn es um sein verletztes Bein ging. Aber darum würde sie sich später kümmern. »Warum bist du so ekelhaft perfekt?«, fragte sie und küsste ihn auf die Brust.
Er lachte. »Neidisch auf meine Muskeln?«, wollte er wissen und drückte sie sanft wieder auf den Rücken, um an den Knopf ihrer Jeans zu fassen.
Nein. Neidisch auf jede Frau, die je in diesen Genuss gekommen ist. Sie machten zwar nicht miteinander rum, wenn einer von ihnen oder beide in einer Beziehung steckten, und Ash war auch alles andere als ein männliches Flittchen, aber bei seinem Sexhunger konnte sie sich nicht vorstellen, dass er zwischendurch enthaltsam lebte.
Sie verdrängte den störenden Gedanken. Ash öffnete ihren Reißverschluss und hob ihre Hüften an, damit er ihr die Jeans ausziehen konnte. Sie wand sich, um den Stoff an ihren Beinen abzustreifen, während er gleichzeitig an dem Denim und der Seide darunter zerrte. Auf einmal verschwendete er keine Zeit mehr.
Er schob seine eigene Jeans und die Boxershorts runter, und kaum hatte sie einen Blick auf seine Erektion erhascht, da spürte sie ihn auch schon zwischen ihren Beinen.
Er stöhnte auf, als sein Körper mit ihrem in Berührung kam, und schob sich tief in sie hinein. Er wusste, dass sie bereit für ihn war.
Wenn es gerade keinen anderen gab, scherten sie sich nicht weiter um Safer Sex. Sie nahm die Pille, sie brauchten sich also keinen Kopf über mögliche Konsequenzen zu machen, für die noch keiner von beiden bereit war.
Sie klammerte sich an seine Schultern, während er rhythmisch die Hüften bewegte und immer wieder in sie hineinstieß. Sie drückte den Rücken durch, um noch enger mit ihm verbunden zu sein.
Es war Monate her, dass sie zuletzt zusammen gewesen waren. Damals war sie zu Besuch bei ihm in New Jersey gewesen, und sie hatten sein Schlafzimmer keine Minute lang verlassen. Sie wusste, dass es bei diesem ersten Mal hart und schnell zugehen würde … später würden sie mit dem anderen spielen. Und zwar ausgiebig.
Sie umfasste seinen Hinterkopf und zog ihn zu sich herunter. Seine Lippen landeten auf ihren, und sie bekam kaum noch Luft, als er die Hüften schneller bewegte, drängender. Sie spürte, wie ihre Lust anschwoll, während sie sich an ihn klammerte und ihm die Fingernägel in die Schultern grub. Selbst wenn sie ihn ewig festhielte, würde das nicht lange genug sein
Sie versuchte, ihre Gefühle aus dem Spiel zu lassen und sich ganz darauf zu konzentrieren, wie sein Schwanz aus ihr hinausglitt und wieder eindrang, wie er in ihrem engen Innern pulsierte. Jeder Zentimeter von ihm traf auf genau die richtigen Stellen … wieder und wieder.
Ihre Muskeln umschlossen ihn fest, fingen an zu zucken, und sie spannte sie rhythmisch an. Asher stöhnte und richtete sich auf, rang heftig nach Luft. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und starrte ihr in die Augen. »Emma … du bist echt unglaublich«, sagte er.
Ich liebe dich.
Gott! Es lag ihr auf der Zunge, wollte ihr aber nicht über die Lippen kommen.
Empfand er denn wenigstens ein klein wenig so wie sie? Sie bewegten die Hüften gemeinsam in einem gleichmäßigen, begierigen Rhythmus. Er blickte ihr fest in die Augen und nahm ihre Hände, hob sie über ihren Kopf und verschränkte seine Finger mit ihren. Stieß tiefer in sie.
Wie er sie ansah, raubte ihr den Atem, und sie umklammerte seine Finger und wölbte sich ihm mit dem ganzen Leib entgegen. Das musste doch etwas bedeuten, diese Verbindung, die mehr als nur körperlich wurde, wenn er Liebe mit ihr machte; wenn er sie so leidenschaftlich und nachdrücklich nahm … Er musste doch Gefühle für sie haben.
Oder?
Als er schneller wurde, spürte sie, wie heftig sich ihr Körper nach der Befriedigung sehnte. »Asher … bring mich zum Kommen …«, keuchte sie mit geschlossenen Augen.
»Mach die Augen auf. Sieh mich an«, sagte er an ihrem Mund und küsste sie zärtlich.
Als sie die Augen aufschlug, hob er den Kopf, um sie erneut anzublicken. Augenkontakt mit ihm zu haben, während er ihr solche Lust bereitete, löste den reinsten Wirbelsturm an Gefühlen in ihr aus.
»Emma, ich …«, fing er an und verstummte dann.
Ihr Herz stand kurz vorm Explodieren. Ein Tornado aus Liebe, Angst, Verzweiflung tobte in ihr, während sie darauf wartete, dass er fortfuhr.
Was? Sag es, Asher …
Er tat es nicht. Stattdessen hielt er ihre Hände noch fester und stieß ein Stöhnen aus, als er in ihr pulsierte.
Sie kam im selben Augenblick wie er, und die Intensität ihres Höhepunkts überlagerte ihre Enttäuschung. Als sie selbst vor Befriedigung aufschrie, vergaß sie alles andere und genoss den Orgasmus, der durch sie hindurchwogte.
Wenn Asher Westmore ihr solche unglaublichen Gefühle bereiten konnte, obwohl er nicht in sie verliebt war, dann würde er sie, sollte er sie eines Tages doch lieben, völlig fertigmachen.
Asher stützte die Hände aufs Waschbecken und fluchte leise vor sich hin. Es war kurz vor Sonnenaufgang, in fünf Stunden musste er zum Training zurück in Denver sein, und die Schmerzen in seinem Bein waren nicht auszuhalten.
Er öffnete seine Reisetasche und wühlte darin herum, bis er fand, wonach er suchte. Nachdem er drei der verschreibungspflichtigen Schmerztabletten aus der Packung gedrückt hatte, warf er sie sich in den Mund und drehte den Wasserhahn auf, um sie herunterzuspülen, als sich das ekelhaft schmeckende Pulver gerade auf seiner Zunge aufzulösen begann. Mit einem Handtuch wischte er sich den Mund ab und warf noch einen Blick in die Packung, bevor er sie wieder wegpackte. Noch vier übrig. Damit würde er nicht mal den Morgen und die zweistündige Rückfahrt nach Denver überstehen. Sein Körper hatte sich so schnell an das Medikament gewöhnt, dass er inzwischen die dreifache Dosis brauchte, damit überhaupt eine Wirkung eintrat. Und er hatte keine Zeit, einen Arzt hier im Ort aufzusuchen. Keine Zeit und auch keine Lust darauf, dass Gerüchte über eine mögliche Verletzung die Runde machten. Die Mannschaftsärzte waren die einzigen, denen er vertraute – neben einigen Docs im mexikanischen Tijuana. Leider würden die Devils in den nächsten Wochen weder gegen die Kings noch gegen die Sharks spielen, ein kleiner Ausflug über die Grenze kam also nicht infrage.
Vielleicht hatte Emma irgendwas im Haus.
Er machte das Medizinschränkchen auf und ging die Packungen durch. Nicht verschreibungspflichtige Kopfschmerztabletten waren das Stärkste, was er fand. Die brachten bei seinen Schmerzen nichts. Sie halfen ihm schon seit sechs Monaten nicht mehr.
Als er die Schranktür zumachte, hallte das Klacken laut von den Badezimmerwänden wider. Scheiße. Das hätte einen Toten aufgeweckt.
»Alles okay?«, fragte Emma und klopfte leise an die halb geschlossene Badezimmertür, ehe sie hereinkam.
Er drehte sich um und hängte das Handtuch wieder über den Halter. »Ja. Sorry, ich hatte nach Aspirin gesucht. Kopfschmerzen.« Er zog sie an sich. Er konnte sich nicht in einem Raum mit ihr aufhalten, ohne ihren Körper an sich drücken zu wollen. Besonders nicht, wenn sie so verdammt süß aussah wie jetzt, in ihrem Devils-Trikot, die Haare von stundenlangem Sex ganz zerzaust, ihre rosa Lippen geschwollen und die Wangen leicht gerötet vom Kratzen seiner Bartstoppeln.
Leider war sie nicht nur verflucht süß, sondern auch aufmerksam und clever. Die Kopfschmerz-Lüge kaufte sie ihm nicht ab. »Wann kommst du mit deinem Bein endlich zu mir?«, fragte sie. »Ein paar einfache Übungen und regelmäßige Physio …«
»Schhh«, murmelte er und vergrub das Gesicht in ihren Haaren, um den Lebkuchenduft ihres Shampoos einzusaugen. Sie war der einzige weihnachtliche Vorbote, den er mochte. Der ganze kitschige Kommerz nervte ihn, und statt zu dieser Jahreszeit so viel Zeit wie möglich mit seiner Familie zu verbringen, mied er die üblichen Feiern und Vorbereitungen, so gut es nur ging.
»Asher, du musst dich endlich richtig um die Verletzung kümmern.« Sie stemmte sich gegen seine Brust.
Er hielt sie noch fester. »Trägst du Unterwäsche?«, fragte er und ließ eine Hand unter das Trikot wandern, um es herauszufinden.
Sie seufzte angesichts seines Ausweichmanövers, grinste dann aber und schlang die Arme um seinen Hals. »Wozu denn?«
Er hob sie hoch, setzte sie auf die Ablage neben dem Waschbecken und stellte sich zwischen ihre Knie. Dann schob er ihr die blonden Strähnen hinter die Ohren und küsste sie. »Toller neuer Haarschnitt übrigens«, sagte er, ohne sich weiter von ihr zu lösen als wenige Millimeter.
Sie wirkte überrascht. »Das ist dir tatsächlich aufgefallen?«
Er lachte. »Ich glotze nicht immer nur auf deinen Hintern.«
Sie lächelte. »Bloß meistens?«
»Bloß meistens.« Er küsste sie noch einmal. Diesmal lange und heftig. Er spürte, wie er in den engen Boxershorts hart wurde, und das Puckern in seinem Knie wurde von einem anderen Pochen überlagert. Er ließ die Hände an ihren schlanken, muskulösen Oberschenkeln hinaufgleiten, umfasste ihren nackten Po und grub die Finger in ihre Haut.
Er brauchte keine Schmerzmittel. Er brauchte bloß den Körper seiner besten Freundin.
Aber brauchte er auch noch mehr?
Irgendwie hatte sie ihn gestern Abend anders angesehen als sonst. Sie hatte sich wie immer verhalten, wirkte aber unterschwellig angespannt. Sie schien etwas in seinem Kuss zu suchen, in seinem Blick, in seiner Umarmung … Und er war nicht ganz sicher, ob sie es finden würde.
Er wich leicht zurück. »Das hier ist doch immer noch okay, oder? Mit uns beiden?«
Sie runzelte die Stirn. »Dass wir Sex haben?«
Er nickte langsam. Sie hatte es ganz locker gesagt. Es gefiel ihm, dass sie es nie als Liebe machen bezeichnete, sondern schlicht als das, was es war. Vielleicht hatte er ihre Körpersprache falsch interpretiert.
Oder vielleicht war er derjenige, der langsam anfing, an dem zu zweifeln, was sie miteinander hatten. Der sich fragte, ob es schon zu lange so ging. Der sich fragte, ob er jetzt, mit dreißig, mehr anstreben sollte. Mehr wollen sollte. Von ihr?
Sie fuhr mit dem Zeigefinger an seiner Unterlippe entlang, während sie sich selbst über die Lippen leckte. »Der Sex ist unglaublich.«
Ja, das stimmte. Aber … »Ich mein ja nur. Du willst doch nicht … mehr?«
Ihre Miene verdunkelte sich und wurde für den Bruchteil einer Sekunde undurchdringlich, bevor sie sagte: »Doch, ich will mehr …«
Unwillkürlich wurde ihm flau im Magen, und er wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war oder ein schlechtes.
»… mehr Sex«, setzte sie mit einem verruchten kleinen Grinsen hinzu, bevor er zu einem Schluss kommen konnte.
Erleichterung überkam ihn … oder war es Enttäuschung? Er hob sie von der Ablage und trug sie zurück zum Bett. »Mit mehr Sex kann ich dienen.«
Was alles andere anging, war er sich nicht sicher.
Einige Stunden später wachte Emma zu den leisen Klängen der Gitarre ihrer Mutter auf. Es fühlte sich an, als wären ihr erst vor wenigen Minuten die Augen zugefallen, aber inzwischen schien die Sonne auf ihre sandfarbene Bettdecke. Beim Klang der vage vertrauten Melodie ihres neuesten Lieblings-Countrysongs drehte sie sich zu Asher herum. Er saß auf ihrem Fensterbrett, die Gitarre auf dem Schoß, den Blick auf irgendetwas draußen vor dem Fenster gerichtet.
Allein dieser Anblick, wie er nur mit seiner Jeans bekleidet dasaß und die Saiten von Clares wertvollstem Besitz zupfte – einer Gibson-Gitarre, die ihrer Mutter seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr gehört hatte –, verursachte Emma Herzrasen.
Und der heisere Klang seiner tiefen Stimme, während er ein Liebeslied sang, wegen dem er sie gestern Abend noch aufgezogen hatte, weil es ihr gefiel, machte ihn unglaublich unwiderstehlich.
Nur wenige Menschen kannten sein zweites großes Talent – die Fähigkeit, jeden Song nachzuspielen, nachdem er ihn nur ein einziges Mal gehört hatte. Ihr hatte er sein Geheimnis allerdings gleich am ersten Tag verraten, als sie sich vor fast zehn Jahren begegnet waren.
Es war auf dem Parkplatz des örtlichen Sportartikelladens gewesen. Sie hatte ihr Snowboard gegen die Ladefläche ihres Wagens gelehnt, und er hatte es beim Zurücksetzen mit seinem Pick-up versehentlich erwischt. Als sie ihn erkannte, hatte sie leise in sich hineingeschimpft und ihn als hohle Sportlerbirne bezeichnet, während sie ihr Board inspizierte. Die Westmore-Brüder galten im Ort als Lokalhelden, und es hatte sie genervt, dass ihr nicht weniger beeindruckendes Können im Snowboarden immer von den Eishockey-Erfolgen der Westmore-Jungs in den Schatten gestellt wurde.
In seiner Verlegenheit und ebenso aufgewühlt wie sie, hatte er ihr von seinen Fähigkeiten als Gitarrenspieler erzählt, um bei ihr Boden gutzumachen und sie davon zu überzeugen, dass viel mehr in ihm steckte, als alle in der Stadt glaubten.
Es hatte funktioniert. Ohne sie zu kennen, hatte er bei ihr gleich die richtigen Töne angeschlagen.
Außerdem hatte er ein Ersatzboard bezahlt und darauf bestanden, dass sie ihm wegen der Beleidigung zumindest einen Kaffee schuldete. Aus dem Kaffee war ein Mittagessen geworden, dann ein Spaziergang im Park, dann ein Abendessen in Dale’s Pizzeria in der Main Street, und acht Stunden später hatte sie genug über ihn gewusst, um ein Buch zu schreiben.
Und ihr war klar geworden, dass sie mit ihrem Urteil »hohle Sportlerbirne« total falschgelegen hatte. Er hatte die Highschool als Jahrgangsbester abgeschlossen, obwohl er wegen des Trainings in der Major Junior League meistens unterwegs hatte lernen müssen. Und obwohl sein Hauptaugenmerk auf dem Sport lag, war er als Musiker vielleicht sogar noch besser. Zumindest zum damaligen Zeitpunkt seiner Karriere.
Obwohl die Westmore-Brüder schon als Kinder eishockeysüchtig gewesen waren, hatte ihre Mutter darauf bestanden, dass sie sich zumindest ein Hobby suchten, das nichts mit dem Sport zu tun hatte. Ash hatte sich für Gitarrespielen entschieden … und sich kaum anstrengen müssen, um gut darin zu werden.
Jetzt lächelte sie, denn sie freute sich über den Anblick und den nachhallenden Klang des verstimmten Instruments.
Ihre Mutter hatte jeden Abend vor dem Zubettgehen auf dieser Gitarre gespielt, für Emma und ihre kleine Schwester Jess, und ihnen dazu Geschichten über ihr Jahr im Country-Musik-Himmel erzählt. Damals hatte sie in Nashville in Bars gespielt und Lieder für einige der größten Stars geschrieben. Sie hatte immer einen verträumten, ganz abwesenden Blick bekommen, wenn sie von dieser Zeit sprach … der Zeit, bevor sie ihren Vater kennenlernte. Bevor sie Kinder bekam. Emma war immer weh ums Herz geworden, weil sich ihre Mutter damals nicht ihren Traum erfüllt hatte, ein Countrystar zu werden.
Clares Ermutigungen waren Teil von Emmas eigener Erfolgsmotivation gewesen. Sie wollte ihre Träume verfolgen und sich von nichts aufhalten lassen. Ihre Mutter hatte sie dazu angetrieben, es stets weiter zu versuchen; wieder aufzustehen, wenn sie hinfiel, und sie war so stolz darauf gewesen, was Emma in ihrer sportlichen Laufbahn alles erreicht hatte.
Sie fragte sich, was ihre Mutter davon halten würde, dass sie das Snowboarden aufgegeben hatte.
Sie schluckte einen Kloß im Hals herunter. Ash schaute hoch und unterbrach sein Spiel. »Guten Morgen.«
»Nicht aufhören«, sagte sie und zog ihre Decke mit sich, als sie aufstand. Sie wickelte sie sich um den Körper und setzte sich neben Ash auf die Fensterbank.
Er drehte sich ein Stück zu ihr, zupfte weiter die Saiten und sang den Text mit weicher, sicherer Stimme, von der ihr Schauer über den Rücken tanzten. Als sich ihre Blicke begegneten, donnerte ihr das Herz in der Brust.
Verdammt, der Mann mochte ein Sportstar sein, aber ihm entging eine zweite Bestimmung als Musiker. Jedenfalls war er mit der Gitarre im Arm ziemlich heiß.
Als er das Lied beendete, riss er den Blick von ihr los und sah zum Wecker auf dem Nachttisch. »Ich muss los«, sagte er und stellte die Gitarre in den Ständer zurück.
»Was wäre, wenn du nicht gehen würdest?«, fragte sie, als er sie hochzog. Sie ließ sich von ihm drücken, sog seinen Duft ein und genoss es, seine muskulösen, starken Arme um ihre winzige Statur zu spüren, solange sie konnte. Das nächste Spiel der Devils gegen Colorado war erst an Silvester … früher als gewöhnlich, aber trotzdem noch lange genug hin.
Er würde an Heiligabend in Phoenix spielen, und sie wusste, an Silvester würden sie sich wahrscheinlich über Skype zuprosten. Wie fast jedes Jahr … Wieso also machte der Gedanke sie jetzt so viel trauriger als sonst?
Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn, ohne die Frage zu beantworten. Er wusste ja, dass sie darauf nicht wirklich eine Antwort erwartete.
Nachdem er beim Mannschaftsarzts der Colorado Avalanche an die Tür geklopft hatte, betrat Asher den winzigen Raum, in den man nur mit Mühe einen Schreibtisch und eine Untersuchungsliege gequetscht hatte. Es war neun Uhr morgens, und bis auf ihn war noch kein anderer Spieler da, aber die Avalanche würden bald zum Frühtraining eintreffen. Das Training von Ashers Team war für Mittag angesetzt, und bevor er auch nur daran denken konnte, aufs Eis zu gehen, brauchte er einen Muntermacher.
Durch die Kälte in seiner Heimatstadt war sein Knie total hinüber. In Jersey hatte es dieses Jahr noch nicht geschneit, an der Ostküste herrschten ungewöhnlich hohe Temperaturen für Mitte November, und er war froh darüber. Bei Kälte ging es seinem Knie tausendmal schlechter.
Letzte Nacht mit Emma rumzumachen, war auch keine so tolle Idee gewesen – auch wenn das allein sein Knie so sah. Seinem restlichen Körper ging es großartig. So fühlte er sich immer, wenn er Zeit mit ihr verbracht hatte. Das könnte zum Problem werden, wenn er sich erlaubte, zu lange darüber nachzudenken, also schob er den Gedanken beiseite. Heute hatte er nur an eines zu denken: die Mannschaft seines Bruders zu schlagen. Und damit seinem Jubiläumsspiel im Stadion von New Jersey, seiner Wahlheimat, einen Schritt näher zu kommen. Nur noch fünf Tage.
Anfangs war er enttäuscht gewesen, als ihn die Colorado Avalanche nicht in Bens Team geholt hatten. Schließlich träumte jeder junge Spieler davon, eines Tages das Trikot seiner Heimmannschaft zu tragen. Aber die Devils hatten ihm einen anständigen Vertrag geboten und gute Bedingungen, um seine Kufen einzuschleifen, und als vor fünf Jahren sein erster Siebenjahresvertrag ausgelaufen war, hatte er ihn sehr gerne erneuert. Sein jetziger Vertrag lief nur noch sechs Monate, und er hoffte darauf, ihn noch einmal verlängern zu können. Er wollte seine Karriere dort beenden, wo sie begonnen hatte. Es gab auch keinen Anlass, ihn auf den Transfermarkt zu stellen – er war ein Starspieler, und das Team war seine zweite Familie. Allerdings wurde er älter, und sein Körper erholte sich nicht mehr so schnell wie früher von Verletzungen. Trotzdem empfand er sich als tragende Säule seiner Mannschaft.
Die zwei Spiele pro Saison, in denen er in Colorado gegen Ben antrat, waren immer aufregend – für die Brüder ebenso wie für die Fans. Die Atmosphäre im Stadion knisterte dann förmlich, und er wusste, dass sich die Fans mit ihm über seinen Erfolg freuten, auch wenn er das Trikot der gegnerischen Mannschaft trug.
Der heutige Abend, das letzte Spiel vor seinem Jubiläum, würde der Wahnsinn werden … sofern er überhaupt auf seinen Schlittschuhen stehen konnte.
»Hey, Seth, wie geht’s dir?«, sagte er und schloss die Tür des Behandlungsraums hinter sich.
»Hey, Mann. Mir geht’s gut. Wie geht’s dem Knie?« Seth runzelte die Stirn, als er Ashers leichtes Humpeln bemerkte.
Morgens, nach stundenlangem Ausruhen, war es immer am schlimmsten … nicht, dass er sich letzte Nacht viel ausgeruht hätte. Vor seinem geistigen Auge blitzte das Bild von Emma auf, wie sie mit ihrem perfekten, straffen kleinen Körper rittlings auf ihm saß. Er schüttelte den Kopf. Nope, Ausruhen war das nicht gerade gewesen.
»Oder brauche ich das gar nicht zu fragen?«, fuhr Seth fort und schob sich das dunkle Brillengestell mit den dicken Gläsern höher auf die Nase. »Ich schätze, du bist nicht zum Plaudern so früh hergekommen.« Sein alter Highschool-Freund klang unüberhörbar angespannt.
Seth hatte immer von der Seitenlinie aus zugeschaut und davon geträumt, selbst auf dem Eis zu stehen. Sein schweres Asthma und eine Sehschwäche hatten Sport für ihn zur Herausforderung gemacht. Obwohl er engagiert mitspielte, war er immer als Letzter in die Mannschaft gewählt worden, und in Einzeldisziplinen hatte er ebenfalls nie geglänzt, sondern war auch in der Leichtathletik stets das Schlusslicht gewesen. Auf der Highschool hatte er sein Schicksal schließlich akzeptiert und sich stattdessen voll aufs Lernen konzentriert, damit er ein Collegestipendium bekam und Sportmedizin studieren konnte. Asher hatte ihn schon immer gemocht und wusste, die Spieler der Avalanche konnten sich glücklich schätzen, dass Seth sie betreute.
»Doch, na klar. Sobald ich erst eine Spritze bekommen hab … und vielleicht noch eine für unterwegs.« Er setzte sich auf die Liege und zog ein Bein seiner grauen Jogginghose hoch. Das Knie war sichtlich geschwollen, die Entzündung war der Hauptgrund für seine Schmerzen. Ein angerissenes Kreuzband war Folter und leider neben Gehirnerschütterungen eine der häufigsten Verletzungen in seinem Sport. Er spielte schon fast ein Jahr lang mit dem angeknacksten Knie und wusste, dass er eine Auszeit nehmen musste, damit es ausheilte. Nur jetzt noch nicht.
Noch zwei Spiele.
Seth kam näher, um das Knie zu untersuchen, und betrachtete stirnrunzelnd die blauen Flecke an den diversen Einstichstellen rund ums Knie. »Wer hat dir in Jersey die Spritzen gegeben?«
Gott sei Dank hatte Ash es letzte Nacht geschafft, Emma von seinem Knie fernzuhalten, sonst hätte er sich mächtig was von ihr anhören müssen. Er war nur knapp einer Moralpredigt darüber entkommen, dass es das eigentliche Problem nicht löste, wenn man auf eigene Faust Medikamente einschmiss, um den Schmerz zu betäuben. Das wusste er selbst, und er fühlte sich auch nicht gut dabei, aber er musste einfach noch ein kleines bisschen länger durchhalten.
Asher zuckte mit den Schultern. »Nur der Mannschaftsarzt.« Und ein paar Ärzte in Ambulanzkliniken kurz außerhalb von New Jersey. Zum Glück waren die medizinischen Zentren nicht untereinander vernetzt, deshalb sah keiner der Ärzte, wie häufig er in letzter Zeit Kortisonspritzen bekommen hatte. Ach verflucht, vielleicht kümmerte es sie auch einen feuchten Dreck. Die Devils hatten letzte Saison kurz davorgestanden, den Stanley Cup zu gewinnen, waren aber in der zweiten Runde von den Avalanche rausgekegelt worden. Dieses Jahr erwarteten alle die Trophäe. Einen Spieler zu dopen, um sicherzustellen, dass es auf jeden Fall klappte, war in der Sportwelt nichts Neues.
»Bullshit.« Natürlich kaufte Seth ihm die Lüge nicht ab. »Keiner würde dir so viele Spritzen geben.«
Asher bekam einen trockenen Mund. Er kam sich wie ein Arschloch vor, weil er seinen Kumpel anlog. Und immerhin war es Seth gewesen, der ihm diesen Sommer mit reichlich Injektionen geholfen hatte, das Trainingslager zu überstehen. Nur dank Seth war es Asher gelungen, so lange zu vertuschen, wie schwerwiegend seine Verletzung wirklich war, bis er vom Mannschaftsarzt der Devils die Freigabe für diese Saison bekommen hatte. Sie hatten abgemacht, dass Seth ihm helfen würde, durchs Trainingslager zu kommen, Asher danach aber ehrlich zu seinem Team sein musste und sich die notwendige Auszeit nahm, damit der Kreuzbandanriss richtig ausheilte, bevor noch irreparabler Schaden entstand.
Asher hatte seinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten. »Es hat sich nach dem Trainingslager besser angefühlt, erst die letzten Wochen ist es wieder schlechter geworden.« Mann, er verstrickte sich immer tiefer in seine Lügen.