Coast Guard Alaska - Beim zweiten Mal ist es für immer - Jennifer Snow - E-Book

Coast Guard Alaska - Beim zweiten Mal ist es für immer E-Book

Jennifer Snow

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Beschreibung

Wird die Wahrheit sie wieder vereinen ...

Es war nie Skylar Beaumonts Plan, nach Alaska zurückzukehren. Doch als die Pflicht ruft, gibt sie nach und tritt als der einzige weibliche Captain ihren Dienst in der Coast Guard in ihrer Heimatstadt Port Serenity an. Eigentlich will sie hier nur kurz bleiben, um dann zu einer Einheit in wärmeren Gefilden zu wechseln. Doch schon an ihrem ersten Tag trifft sie auf Dex Wakefield - ihre große Highschool-Liebe und der Mann, der ihr vor Jahren das Herz gebrochen hat. Und doch kann sie nicht verhindern, dass alte Gefühle erneut aufflammen ...

"Spätestens bei diesem Buch muss man zu einem Jennifer-Snow-Fan werden!" Fresh Fiction

Auftakt der Coast-Guard-Alaska-Serie von Bestseller-Autorin Jennifer Snow



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Seitenzahl: 448

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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23

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Jennifer Snow bei LYX

Leseprobe

Impressum

JENNIFER SNOW

Coast Guard Alaska

BEIM ZWEITEN MAL IST ES FÜR IMMER

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

Es war nie Skylar Beaumonts Plan, nach Alaska zurückzukehren. Doch als die Pflicht ruft, gibt sie nach und tritt als der einzige weibliche Captain ihren Dienst in der Coast Guard in ihrer Heimatstadt Port Serenity an. Eigentlich will sie hier nur kurz bleiben, um dann zu einer Einheit in wärmeren Gefilden zu wechseln. Doch schon an ihrem ersten Tag trifft sie auf Dex Wakefield – ihre große Highschool-Liebe und der Mann, der ihr vor Jahren das Herz gebrochen hat. Und doch kann sie nicht verhindern, dass alte Gefühle erneut aufflammen …

Für Wendy –

deine Kraft und dein Mut, die du jeden Tag aufbringst, inspirieren mich immer wieder

Prolog

Skylar holte verzweifelt ein letztes Mal Luft, bevor sie auf den zornigen Wellen des Nordpazifiks aufschlug. Der Aufprall nach dem Sturz aus dem Boot war schmerzhaft, doch innerhalb von Sekunden fühlte sich ihr Körper taub an in dem eisigen Wasser. Sie sank immer tiefer und tiefer unter die dunkle Oberfläche, und um sie herum stiegen Bläschen auf, da sie in ihrer Panik kostbare Luft aus ihren Lungen entweichen ließ. Über ihr trieben Eisschollen und versperrten ihr die Sicht an die Oberfläche.

Wie tief würde der Sog der Wellen sie noch hinabziehen?

Die verwirbelten Strömungen des eiskalten Ozeans hatten sie fest im Griff. Ihre Lungen brannten, weil sie ihren verbliebenen Atem anhielt, und sie kämpfte mit Armen und Beinen gegen den unnachgiebigen Sog an. Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ins dunkle Wasser … und sah nichts außer dem schmalen Lichtkegel ihrer Helmlampe.

Ein dunkler Schatten glitt durch den schummrigen Strahl, und ihr Herz raste, während ihr Absinken sich verlangsamte und dann aufhörte. Nun musste sie versuchen, wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Sie bemühte sich, die vor Kälte wie gelähmten Arme und Beine koordiniert zu bewegen, und kämpfte sich langsam wieder nach oben.

Überleben … Das war alles, was zählte. Sie musste ruhig bleiben und sich konzentrieren.

Etwas streifte sie, machtvoll und stark. Doch ihr Aufstieg wurde nicht behindert, sondern eher beschleunigt. Sie schaute sich um, konnte zuerst aber nichts erkennen. Dann ein weiterer Schatten … und eine kraftvolle Macht schien sie nach oben zu stoßen.

Sealena.

Statt Furcht überkam sie ein unheimliches Gefühl der Gelassenheit, während sie immer schneller aufstieg und ihrem Licht an die Oberfläche folgte. Sie konnte das Boot jetzt sehen, und nach einigen verzweifelten Schwimmzügen durch die Wellen durchbrach ihr Kopf die Wasseroberfläche. Sie atmete tief ein und mühte sich, oberhalb der unbarmherzigen Wellen zu bleiben, die sie erneut in die Tiefe zu ziehen drohten. Ihre Glieder schmerzten – ein eindeutiges Anzeichen der einsetzenden Unterkühlung. Wind und Schneetreiben behinderten ihre Sicht, während sie hektisch das Wasser ringsum nach irgendeinem Zeichen von Hilfe absuchte. Aber die Sicht war so schlecht, dass niemand auf ihrem Boot sie entdeckt würde. Und nur Augenblicke später sah sie selbst das Boot auch nicht mehr.

Skylar trieb vollkommen allein auf den Wellen des eisigen Nordpazifiks.

1

Drei Tage vorher …

Es hieß, es gebe keine Rückkehr in ein altes Zuhause. Wenn das nur wahr wäre.

Als Skylar Beaumont das Ortsschild passierte, das mit einem Bild der Schlangenkönigin Sealena die Gäste in Port Serenity willkommen hieß, spürte sie die Last der Erwartung auf ihren Schultern.

Konnte sie das hier wirklich durchziehen?

Ihr Herz hämmerte, seit sie in Alaska aus dem Flugzeug gestiegen war, und sie hatte ihre Unsicherheit auch während der mehr als dreihundert Kilometer langen Fahrt in ihre Heimatstadt nicht unter Kontrolle bekommen.

Im Rückspiegel sah sie sich in der Uniform der Küstenwache. Sie selbst hatte nie daran gezweifelt, dass sie die einmal tragen, dass sie die anspruchsvolle Ausbildung schaffen würde. Schon ihr Vater und Großvater waren bei der Coast Guard gewesen, und Skylar hatte ihr ganzes Leben am Meer verbracht, fasziniert von dessen Mysterien. Immer wieder hatte die paradoxe Mischung aus Gefahr und Ruhe, die sie am Wasser verspürte, sie in Erstaunen versetzt. Sie hatte stets gewusst, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters und Großvaters treten würde – nur hätten diese legendären Fußstapfen sie bitte nicht zurück an die zerklüfteten Ufer ihrer Heimatstadt führen müssen.

Ihre Stationierung hier hatte zur Folge, dass alle wie selbstverständlich annahmen, sie wäre nur aufgrund ihres Familiennamens so weit gekommen … dass ihr Vater oder ihr Großvater etwas mit ihrem ungewöhnlich schnellen Aufstieg zu tun hätten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt liegen. Sie hatte sich vier Jahre lang an der Akademie den Arsch aufgerissen und härter gearbeitet als alle anderen, hatte viel zusätzliche Zeit investiert und in ihren Kursen brilliert. Dann hatte sie zwei Jahre lang an der Seite der erfahrenen Crew eines Kutters namens North Star an der Ostküste gearbeitet und alle Anforderungen auf See erfüllt, um an der Kapitänsprüfung teilzunehmen. Und sie hatte sie mit Bravour bestanden.

Aber vielleicht hatte ihr Nachname ein wenig geholfen, überhaupt den begehrten Platz an der Akademie zu bekommen …

Nein. Sie straffte die Schultern und umfasste das Lenkrad noch fester, während sie gegen die Selbstzweifel ankämpfte. Man hatte sie in das extrem leistungsorientierte Programm dank ihrer Zeugnisse, ihrer Empfehlungsschreiben (von jemandem, der nicht den gleichen Nachnamen trug wie sie) und ihres eigenen Bewerbungsschreibens aufgenommen. Sie hatte sich ihren Platz dort verdient.

Trotzdem waren die Erwartungen hoch, und sie musste eine Menge beweisen.

Wie dem auch sei, sie war jetzt da, und bis sie um eine Versetzung bitten oder sich um eine neue Position bewerben konnte, sollte sie das Beste daraus machen.

Sie fuhr vom Alaska Highway ab und rollte über die Main Street, die sich mitten durch das Ortszentrum zog. Es war erst kurz nach neun, und die Läden drehten gerade ihre Schilder um, dass sie jetzt geöffnet waren. Die Touristensaison hatte noch nicht offiziell begonnen, aber in den kommenden Wochen, während das Wetter im späten Frühling immer milder wurde, würde die Zahl der Besucher in die Höhe schießen, bis fast doppelt so viele Gäste hier sein würden wie Einheimische. Im Sommer würden alle Lokale Hochbetrieb haben und die Außenterrassen der Restaurants erfüllt sein von Gelächter und lauter Musik. Der Yachthafen und der Strand waren dann die Hotspots für Familien, Fischer und Wassersportfans.

Skylar betrachtete die vertraute Umgebung, während sie weiterfuhr. Sie hatte ihr ganzes Leben in Port Serenity verbracht. Als Kind hatte sie den Ort geliebt, besonders während der Touristensaison. Sie hatte sich nach dem Gewusel und all den fremden, aufregenden Gesichtern der Besucher gesehnt, die in Scharen herkamen, nur um Sealena vielleicht mit eigenen Augen zu sehen. Ein Blick auf die Meeresschlangenhexe war in der Tat ein seltenes Vorkommnis, aber keine Unmöglichkeit, jedenfalls nach den Berichten der alten Fischer zu schließen, die ihre weit hergeholten Geschichten nur allzu gern jedem erzählten, der bereit war zuzuhören, und die Touristen ermutigten, einen unverschämten Preis dafür zu zahlen, aufs Meer hinauszufahren, um selbst zu suchen. Es war immer schön gewesen, die Aufregung in den Gesichtern der Menschen zu sehen, wenn die ersten Touristen der Saison nach Port Serenity kamen.

Bedauerlicherweise war diese Aufregung für Skylar im Laufe der Jahre verblasst, weil ihr bewusst geworden war, was diese Popularität die Stadt gekostet hatte. Sie hatte erkennen müssen, dass Port Serenity in Wirklichkeit einer einzigen Familie gehörte: den Wakefields. Ihr Name zierte fast jede Markise auf der Hauptstraße: Wakefield Apotheke, Wakefield Lebensmittelgeschäft mit eigener Metzgerei, Wakefield Outdoor- und Fischereibedarf … Die wohlhabenden Wakefields hatten die Stadt neu erfunden, und auf diese Weise gehörte sie ihnen jetzt praktisch allein. Es war kein Geheimnis, dass der Bürgermeister sich bei jeder wichtigen Entscheidung mit Bryan Wakefield abstimmte, dem Familienpatriarchen.

Und niemand begehrte dagegen auf. Alle wussten es zu schätzen, dass die Unternehmen der Wakefields der Stadt Sicherheit geboten hatten, als die Fischereiindustrie Mühe gehabt hatte, die hiesigen Familien zu ernähren. Der Zustrom von Touristen bedeutete, dass jeder Einheimische die Möglichkeit hatte, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen – so wie ihre Cousine Carly, die die Buchhandlung und das städtische Museum betrieb. Restaurants, Hotels, Cafés und Souvenirläden profitierten von der Popularität der Meereshexe und verdienten während der Touristensaison genug Geld, um das ganze Jahr davon zu zehren. Es war schwer, den Wakefields irgendetwas übel zu nehmen.

Es sei denn natürlich, man war eine Beaumont.

Skylars eigene Familie blickte auf Generationen von Staatsdienern zurück, die die Gemeinde, die sie liebten, beschützt hatten. Castor Beaumont, ihr Ururgroßvater, war bei der Bundespolizei gewesen. Es ging das Gerücht, er wäre verantwortlich für die Verhaftung von Earl Wakefield gewesen, seinem ehemaligen Kindheitsfreund, der wegen Schmuggelei angeklagt worden war. Der Mann hatte über Port Serenity Waren nach Alaska geschmuggelt und dafür im Gefängnis gesessen. Die Stadt war darüber geteilter Meinung gewesen – so hatte die Familienfehde zwischen den Wakefields und den Beaumonts begonnen.

Kleinstädter waren nachtragend.

Als sie am Ende der Main Street um die Ecke bog und das Meer in Sicht kam, schnürte sich ihre Brust zusammen. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit an dem Tag, an dem sie fortgegangen war, stehen geblieben. Die Szene, die sich vor ihren Augen auftat, war auf unheimliche Weise vertraut. Ein Vater und seine Tochter standen am Meer und ließen Steine über das Wasser hüpfen. Eine ältere Frau saß auf einer mit Graffiti übersäten Betonbank und betrachtete mit gedankenvoller Miene die Wellen und die Sonne, die über dem Horizont aufging. Ein junges Paar schlenderte Hand in Hand über den hölzernen Pier, und ein kleiner Welpe rannte aufgeregt und mit einem Stöckchen im Maul voraus. Weiter unten praktizierte eine Gruppe von Senioren Sonnenaufgangsyoga auf dem sandigen Teil des kleinen Strandes, und mehrere Angler genossen auf den Stegen ein morgendliches Bier.

Gegenüber auf dem Marina Way standen mit Brettern vernagelte Strandhütten, die im Hochsommer geöffnet sein würden, um Eiscreme, Erfrischungen, Schwimmausrüstung und überteuerte Souvenirs zu verkaufen, die sich auf irgendeine Weise um Sealena drehten. Darunter war auch eine kleine Hütte, bei der Whale-Watching-Touren angeboten wurden, Exkursionen auf die Vogelinsel und im Winter Ausflüge zu den Eisfeldern.

Weiter hinten gab es eine kleine Forschungshütte, die die Verwaltung des Naturschutzgebietes beherbergte, und dahinter stand hoch auf dem Hügel ein Leuchtturm. Das Ufer unterhalb davon wurde von Segel- und Motorbooten gesäumt.

Alles sah genauso aus wie an dem Tag, als sie diesen Ort hinter sich gelassen hatte.

Obwohl ihr Puls raste, während sie sich dem Yachthafen und der kleinen Station der Küstenwache näherte, war ihr Herz erfüllt von Stolz beim Anblick der dort vor Anker liegenden Starlight. Mit dem doppelten Rumpf und der Aluminiumkonstruktion war das knapp vierzehn Meter lange Boot schnell und doch stabil bei unterschiedlichen Wetterbedingungen. Zwei Dieselmotoren mit Wasserstrahltriebwerken machten Propeller unter dem Boot unnötig und minderten so die Gefahr von Verletzungen bei der Bergung von Personen aus dem Wasser. Sie hatte vollstes Vertrauen in dieses Boot, für das sie verantwortlich sein würde – ebenso wie für die fünfköpfige Crew.

Die Crew war der schwierigere Teil. Sie war entschlossen, sich ihr Vertrauen und ihren Respekt zu verdienen, und sie brannte darauf, ihrer Mannschaft zu zeigen, dass sie eine von ihnen war, während sie gleichzeitig professionell Abstand halten wollte. Ihr Vater und ihr Großvater ließen es so einfach aussehen, aber sie wusste, dass es ihre härteste Herausforderung werden würde, eine Crew von vertrauten Gesichtern zu führen. Menschen, mit denen sie aufgewachsen war, Menschen, die sie schon als kleines Mädchen gekannt hatten, als sie oft mit der für sie viel zu großen Kapitänsmütze ihres Vaters auf dem Kopf im Ruderhaus auf dem Kapitänsstuhl gesessen hatte.

Passte diese Mütze jetzt endlich?

Als sie die im Yachthafen festgemachte Familienyacht der Wakefields erblickte, hämmerte ihr Herz. Das fünfzehn Meter lange Boot war immer das beeindruckendste im Hafen gewesen, und war es selbst jetzt noch, da es über dreißig Jahre alt war. Kurt Wakefield, sein Besitzer, hatte fünfundzwanzig Jahre lang auf der Yacht gelebt. Er war im vergangenen Jahr gestorben.

Skylar spähte durch die Windschutzscheibe und betrachtete die Yacht genauer. Hatte jemand anders sie gekauft? Es waren große Fender außen angebracht worden, und auf Deck konnte man Schleppleinen erkennen. Sie runzelte die Stirn. Hatte jemand die Yacht für Rettungseinsätze umgebaut?

Es war nicht ungewöhnlich, dass Zivilisten, wenn nötig, bei Sucheinsätzen an der Küste halfen, aber es erschien definitiv eigenartig, die Yacht dafür einzusetzen. Es hatte noch nie einen Wakefield gegeben, der Interesse daran gezeigt hatte, sich für die Gemeinde zu engagieren … bis auf einen.

Es war der Mann, der jetzt auf dem oberen Deck stand und an den Leinen zog. Er trug ausgeblichene Jeans und ein T-Shirt, und seine Rückenmuskeln spannten sich an, während er arbeitete.

Skylars Mund wurde trocken. Sie verlangsamte ihre Fahrt, außer Stande, den Blick abzuwenden. Fast wie in Zeitlupe drehte der Mann sich um, und ihre Blicke kreuzten sich. Ihr stockte der Atem, als Wiedererkennen in seinen Augen aufblitzte.

Und bedauerlicherweise vergaß Skylar bei dem unerwarteten Anblick ihres Ex-Freundes Dex Wakefield, auf die Bremse zu treten, als sie den Rand des kiesbedeckten Platzes am Hafenbecken erreichte. Zu spät – sie lenkte den Mietwagen direkt ins Hafenbecken und in den eisigen Nordpazifik.

Heilige Scheiße.

Dex Wakefield ließ die Taue fallen, die er gesichert hatte, und sprang über die Reling seines Bootes auf den Pier drei Meter unter ihm, ohne über die Gefahr eines verstauchten Knöchels nachzudenken. Er rannte, so schnell er konnte, auf den kleinen Fiat zu, der zwischen mehreren Eisschollen auf und ab hüpfte. Die Motorhaube versank langsam unter Wasser.

Skylar Beaumont hatte einen ziemlich unerwarteten Auftritt hingelegt.

Ohne auf die Kälte Ende April zu achten, schleuderte Dex seine Schuhe von den Füßen und sprang ins Wasser.

Er bekam augenblicklich eine Gänsehaut, und sein Atem ging in kurzen Stößen, während sein Körper den Schock verarbeitete. Eisbrocken hüpften neben ihm auf und ab, als er tief Luft holte und unter die Oberfläche tauchte, um zu sehen, wie Skylar die Tür an der Fahrerseite öffnete und aus dem sinkenden Wagen ausstieg.

Er schwamm auf sie zu und schlang einen Arm um ihre Taille, während sie auf das Dock zuschwammen.

»Was machst du da?«, fragte sie.

»Dir das Leben retten.«

Sie schob seinen Arm von ihrer Taille, dann griff sie nach den hölzernen Planken des Piers über ihr. Sie atmete ebenfalls stoßweise, und ihre Zähne klapperten. »Ich komme gut zurecht. Ich brauche deine Hilfe nicht.«

Seine Ex hatte sich nicht verändert, kein bisschen. Sie war immer noch genauso unabhängig und halsstarrig wie früher. Er zog sich ein wenig zurück und trat Wasser, während sie auf die Steganlage kletterte. Aus ihrer Uniform der Küstenwache tropfte das Wasser, und ihr fester blonder Haarknoten klebte ihr am Kopf.

Der Anblick hätte vielleicht eine Reaktion bei ihm bewirkt, wenn seine Glieder nicht jeden Moment absterben würden. Tatsächlich war er dankbar für das eisige Wasser. Es betäubte für den Moment die tausend Gefühle, mit denen er sicherlich schon sehr bald zu kämpfen haben würde.

Skylar war zurück. Sie stand direkt vor ihm. Auf dem Pier. In Port Serenity.

Er hätte geglaubt, dass er träumte, wenn der kalte Ozean nicht dafür gesorgt hätte, dass er definitiv wach war – und völlig unterkühlt.

Er kletterte neben ihr auf den Pier, während der Wagen immer weiter in die Tiefe sank, und räusperte sich. »Was ist passiert?« Von seinem Platz auf dem Deck der Yacht aus hatte es ausgesehen, als hätte sie ihn angestarrt und nicht darauf geachtet, wohin sie fuhr.

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich Wasser von den Wangen und der Stirn. »Ich hab den Rand des Docks falsch eingeschätzt, das ist alles.« Sie mied seinen Blick, was seinen Verdacht bestätigte, dass sie wegen ihm für einen Moment abgelenkt gewesen war. »Warum bist du reingesprungen?«

»Um dir zu helfen.«

Ihr spöttisches Lachen war nicht direkt das Dankeschön, das er erwartet hatte.

»Gern geschehen«, murmelte er trotzdem und fuhr sich mit einer Hand durch sein tropfendes dunkles Haar. Die Spitzen fühlten sich an, als könnten sie wie Eiszapfen abbrechen.

»Das Wasser hier im Hafen ist nur gut zwei Meter tief. Jetzt sind wir beide tropfnass, und die Situation ist total peinlich.« Sie sah sich um, und ihre Wangen nahmen einen tiefen Rotton an, als die ersten Leute sie beide bemerkten.

Mehrere Fischer kamen näher. Einer zeigte auf den Wagen und rief: »Ich werde die Feuerwehr verständigen!«

Skylar lächelte den Mann schwach an und winkte ihm schnell zu. »Vielen Dank!« Es war nicht das erste Mal, dass ein Auto geborgen werden musste. Sie seufzte, als auch das Heck des Wagens unter der Wasseroberfläche verschwand.

Sag etwas. Steh nicht nur da.

Bedauerlicherweise hatte er nicht die leiseste Ahnung, was er sagen sollte. Oberflächlicher Small Talk erschien ihm unangemessen, aber ein Geständnis seiner ewigen Liebe kam ihm ein wenig übertrieben vor für das erste Gespräch nach ihrer Trennung.

»Also … du bist wieder zu Hause.« Die offensichtlichste Bemerkung aller Zeiten, aber er war sich nicht sicher. Vielleicht wollte sie nur ihre Familie besuchen oder so etwas, obwohl sie das seit mehr als sechs Jahren nicht getan hatte. Er wusste durch die Gerüchteküche, dass sie ihren Dad einmal im Jahr über die Weihnachtstage in einem beliebten Skiresort in Wild River traf. Damit führten sie eine Weihnachtstradition der Familie Beaumont fort, die sie noch zu Lebzeiten von Skylars Mutter eingeführt hatten. Davon abgesehen hatte Skylar während ihrer Zeit an der Akademie einen großen Bogen um Alaska oder zumindest um Port Serenity gemacht.

Außerdem hatte niemand in der Stadt bisher ihre bevorstehende Rückkehr erwähnt.

»Ja, ich bin wieder zu Hause«, bestätigte sie mit gepresster Stimme und mied immer noch seinen Blick. Sie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und rieb sich vor Kälte die Arme. Offensichtlich hatte sie sich ihr Wiedersehen so nicht vorgestellt.

Er hingegen war dankbar dafür, dass ihre erste Begegnung aus anderen Gründen peinlich war, als aufgrund der Tatsache, dass sie ihm mit ihrem Weggang damals das Herz gebrochen hatte. Auch sie erinnerte sich zweifellos daran, doch ihre Gefühle waren sicherlich von gegensätzlicher Natur.

Natürlich tat ihm die Sache mit dem Auto leid. Der Wasserschaden an Motor und Elektronik konnte teuer werden, und die Polster des Autos würden vielleicht immer schwach nach Meerwasser riechen.

Keine noch so große Zahl an Lufterfrischern mit Tannenduft würde den Geruch nach Hafen und Fischerei vertreiben können.

»Bist du hier stationiert?« Sein Puls raste bei dem Gedanken. Sie hatte immer gesagt, sie wolle die Welt sehen und irgendwo anders stationiert werden, nur nicht hier in ihrer verschlafenen Heimatstadt. Warum der Gesinnungswechsel?

Sie nickte. »Ja.«

Sie klang nicht besonders begeistert darüber. Dann war sie also nicht freiwillig hier.

Bei dieser Erkenntnis verspürte er einen Stich im Herzen. Für einen winzigen Moment hatte er sich den Hoffnungsschimmer gestattet, dass sie vielleicht …

Oh Mann, er musste aufhören zu träumen. Natürlich war sie nicht seinetwegen zurückgekehrt. Sie hatten seit jenem letzten Gespräch vor über sechs Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt. Nach diesem Gespräch, das ihn vernichtet hatte.

Aber das war lange her.

Er räusperte sich. »Wie ist es dir denn so ergangen? Wie war es auf der Akademie?«

Sie warf ihm einen Blick zu und zitterte heftig, während ein kalter Windstoß sie erfasste. »Du willst plaudern? Jetzt?«

Richtig. Es war wahrscheinlich das Beste, das Wiedersehen jetzt zu beenden, bevor sie beide sich den Tod holten.

»Willst du an Bord kommen?«, fragte er unbeholfen. »Dich abtrocknen … dir etwas Trockenes anziehen …?« Alles, was sie mitgebracht hatte, war natürlich mit dem Auto untergegangen.

Sie schüttelte schnell den Kopf. »Ich gehe einfach rüber zu Carly. Es ist nur einen Häuserblock entfernt.«

Carly, die Cousine, die die hiesige Buchhandlung und das kleine Museum der Stadt leitete. Es war nur vernünftig, dass sie dort wohnte. Die beiden hatten einander immer sehr nahegestanden. Aber das bedeutete, dass Carly von Skylars geplanter Rückkehr gewusst haben musste. Wer hatte sonst noch davon gewusst, und warum hatte niemand daran gedacht, ihn vorzuwarnen?

»Ja … richtig … natürlich«, murmelte er, dann räusperte er sich, als sie sich zum Gehen wandte. »Du sieht toll aus in dieser Uniform«, sagte er – weil es die Wahrheit war und weil er es nicht für sich behalten konnte. Die Worte entsprangen einem tiefen Stolz, der in ihm aufstieg. Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihren Traum verfolgt und war damit erfolgreich gewesen, genau wie er es immer vorhergesehen hatte.

Es war schwer, dem Drang zu widerstehen, sie zu umarmen. Das Wiedersehen mit ihr hatte sofort alle seine unterdrückten Gefühle geweckt. All die Erinnerungen, all die Zukunftspläne … er hatte sie wahnsinnig vermisst in diesen vergangenen sechs Jahren, und nun war sie hier. Zurück in der Stadt.

Er hatte das nie zu hoffen gewagt.

»Danke …«, sagte sie verlegen und mit fragendem Blick, für einen Sekundenbruchteil weniger distanziert. Dann wandte sie sich ab und zeigte die Straße hinunter. »Ich sollte gehen. Ich muss mich um das Auto kümmern.«

Natürlich hatte das Auto Priorität und war das Einzige, was ihr Kopfzerbrechen bereitete. Diese Begegnung mit ihm hatte nicht die gleiche emotionale Wirkung auf sie wie auf ihn. Was hatte er erwartete?

»Ich hoffe, du hast nicht viel dafür bezahlt«, sagte er.

»Es ist ein Mietwagen.«

Autsch. »Ich hoffe, du hattest eine Versiche…« Er brach ab, als er sah, wie sie sich auf die Unterlippe biss. »Nun, hoffen wir einfach, dass du ein Boot besser im Griff hast als ein Auto.«

Sie wirkte alles andere als beeindruckt von seinem Versuch zu scherzen. »Auf Wiedersehen, Dex.« Und mit einem achtlosen Winken über ihre Schulter spazierte die Liebe seines Lebens davon.

Mal wieder.

2

»Wie ich höre, hast du bei deiner Ankunft in der Stadt einen ziemlichen Aufruhr verursacht«, sagte Carly von der Tür des Gästezimmers aus, in dem Skylar auf unbegrenzte Zeit wohnen würde.

Skylar saß auf der Bettkante und schnürte sich ihre Laufschuhe zu. Die Nachricht von ihrem Missgeschick hatte sich schon in der Stadt verbreitet. So viel zu einer unbemerkten Heimkehr. Diese Fischer tratschten einfach gern.

Zumindest war die Mietwagenfirma erheblich verständnisvoller gewesen, als sie erwartet hatte. Natürlich würden sie ihrem Portemonnaie gegenüber vielleicht nicht mehr so entgegenkommend sein, sobald ihnen die Schätzung von Tom’s Autowerkstatt vorlag. Dorthin war der Wagen abgeschleppt worden, nachdem die Feuerwehr ihn aus dem Hafenbecken gezogen hatte.

Die ganze Angelegenheit war demütigend gewesen – erst recht weil Dex beteiligt gewesen war. Sein Anblick ausgerechnet auf der alten, zu einem Rettungsboot umgebauten Yacht hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie hatte gedacht, er hätte den Traum aufgegeben, den sie einst geteilt hatten. Warum also sollte er die Yacht in ein Rettungsboot für Freiwillige verwandeln? Bedauerlicherweise würde sie mit ihm reden müssen, um das herauszufinden. Dabei hatte sie gehofft, ihm so weit wie irgend möglich aus dem Weg gehen zu können. Nachdem sie sechs lange Jahre keinen Kontakt zu ihm gehabt hatte, waren nach der Begegnung von Angesicht zu Angesicht sowohl ihr Kopf als auch ihr Herz total durcheinander. Er hatte toll ausgesehen, selbst in tropfnassen Klamotten und mit Algen auf dem T-Shirt. Der achtzehnjährige Junge, den sie zurückgelassen hatte, war älter geworden und definitiv reifer. Aber die durchdringenden blauen Augen und die kurzen Bartstoppeln auf seinem Kinn waren unverändert gewesen, und sie war augenblicklich in der Zeit zurückgereist zu jenen Tagen, in denen sie in seinen Armen liegen und den ganzen Tag sein Gesicht anschauen konnte.

Heute jedoch hatte sie Mühe gehabt, seinem Blick standzuhalten.

Allein ihn zu sehen hatte ihr den Atem geraubt vor Verlegenheit, Unsicherheit und in Anbetracht all der unausgesprochenen Worte zwischen ihnen. Wenn sie die Vergangenheit noch einmal überdachte und ihn nur für eine Sekunde an sich heranließ, würde sie in Schwierigkeiten geraten, das wusste sie. Ihr Herz hatte immer ihm gehört, was bedeutete, dass er auch imstande war, es zu brechen. Und der heutige Tag hatte ihr schmerzhaft verdeutlicht, dass sich daran nichts geändert hatte.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich Carly zu. »Ich muss mir vielleicht für eine Woche oder so dein Auto borgen …«

»Kein Problem«, versicherte ihr Carly und kam in den Raum herein.

»Und noch mal danke, dass ich bei dir wohnen darf.« Obwohl sie das Gästezimmer dringend ein wenig umdekorieren musste, wenn sie länger bleiben würde.

Im Gegensatz zu Skylar war Carly besessen von der Mythologie hier in der Kleinstadt, von all den Sachen, die Skylar als harmlosen Touristennepp betrachtete. Die Wohnung ihrer Cousine war mit fast so vielen Figürchen und Sammlerstücken rund um Sealena dekoriert wie das Museum und die Buchhandlung, die sie eine Etage tiefer betrieb. Carlys Mutter hatte den Laden, der den Wakefields gehörte, geführt, dann aber wieder geheiratet und war nach Anchorage gezogen. Da sie von der mütterlichen Seite stammte und keine offizielle Beaumont war, war es leicht für Carly, die familiäre Loyalität zu übersehen und in der Tourismusbranche in Port Serenity zu arbeiten.

Skylar hatte Verständnis dafür, warum ihre Cousine einen Job machte, der den Einfluss der Wakefields in der Stadt noch verstärkte. Jeder musste arbeiten. Wofür sie wenig Verständnis hatte, war das große Kunstwerk, das über dem Bett hing – Sealena, wie sie zwei Schiffe hoch in die Luft hielt und sie vor einem tobenden Sturm rettete. Das würde ihr Albträume bescheren. Sie hoffte, dass es ihre Cousine nicht allzu sehr kränken würde, wenn sie vorschlug, das Gemälde vorübergehend abzuhängen.

Natürlich hätte Skylar wieder in ihr Elternhaus am anderen Ende der Stadt ziehen können. Ihr ehemaliges Kinderzimmer war noch im gleichen Zustand, wie sie es zurückgelassen hatte. Aber sie bemühte sich verzweifelt, so unabhängig wie möglich zu sein.

Die Zusammenarbeit mit ihrem Dad würde schon herausfordernd genug sein.

»Ich finde es herrlich, dich hier zu haben«, sagte Carly mit einem herzlichen Lächeln, das sich in ihren dunkelbraunen Augen widerspiegelte. »Selbst wenn du es nur tust, weil du keinen Jahresvertrag für eine Wohnung unterschreiben und dich nicht darauf festlegen willst, nur eine Sekunde länger als nötig in Port Serenity zu bleiben.«

Skylar widersprach nicht. Es war ihr noch nie gelungen, etwas vor Carly zu verbergen. Nicht einmal ihre Gefühle bezüglich der Tatsache, dass sie ihren ersten Job als Captain ausgerechnet hier zugewiesen bekommen hatte. Ihre Cousine war eher wie eine ältere Schwester für sie. In ihrer Kindheit waren sie unzertrennlich gewesen. Wenn es überhaupt etwas Gutes hatte, nach all diesen Jahren wieder zu Hause zu sein, dann war es das Zusammensein mit Carly.

Carly setzte sich mit einem schelmischen Funkeln in den Augen auf die Bettkante. Die Art Funkeln, die nur guter Klatsch und Tratsch auslösen konnte. »Hey, weißt du, wer auch erst vor Kurzem wieder nach Port Serenity gezogen ist?«

In ihrer Jugend hat Skylar sich nach der Anonymität einer Großstadt gesehnt, weit weg von dem Klatsch und Tratsch, der in Kleinstädten stets brodelte. Aber auch wenn sie es gar nicht wollte, war sie doch neugierig. Bei einer Bevölkerung von viertausend Menschen gab es kaum genügend Leute, die die Stadt verließen, geschweige denn solche, die wie ein Bumerang zurückkehrten. »Wer?«

»Isla Wakefield.«

Skylars Herz raste aus einem Dutzend verschiedener Gründe. »Ich dachte, sie würde als Abenteuerreiseleiterin an der Küste von Mexiko arbeiten?«

Isla Wakefield, die Schwester von Dex, war zwei Jahre jünger als Skylar, und sie beide hatten sich nie verstanden. Wenn Carly nicht auf Facebook mit ihr befreundet gewesen wäre, hätte Skylar nie erfahren, was aus der temperamentvollen, energischen Nervensäge geworden war.

»Es war Belize, und dann hat sie für eine Weile auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet«, berichtete Carly. »Letztes Jahr, nach dem Tod ihres Großvaters, ist sie unerwartet zurückgekehrt.« Sie zuckte die Achseln. »Wir haben alle gedacht, dass sie nur zur Beerdigung gekommen wäre, aber dann ist sie geblieben.«

Vielleicht war sie es müde geworden, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Es war nicht so, als müsste irgendjemand mit dem Nachnamen Wakefield das jemals tun. Vor vielen Generationen hatten die Wakefields die verschlafene Fischerstadt in einen florierenden Touristenort verwandelt, indem sie den Sealena-Mythos ausgeschlachtet hatten. Eigentlich gab es die Sage, dass eine Schlangenkönigin in den Gewässern von Alaska weilte, schon seit Jahrhunderten aber die Stadt entschied sich dafür zu glauben, sie wäre der geniale Einfall von Islas Ururgroßvater gewesen. Ihm wurde zugeschrieben, dass er die Gemeinschaft »gerettet« hatte, als die hiesige Fischerei schwere Zeiten durchmachte, und im Yachthafen stand eine Bronzestatue von ihm. Als Kind hatte er für Skylar immer wie ein Pirat ausgesehen …

Wahrscheinlich, weil er tatsächlich einer gewesen war. Die Wakefields mochten ihr Geld heutzutage auf ehrliche Weise verdienen, und ihnen gehörten alle Geschäfte in der Stadt, aber den Gerüchten zufolge war das nicht immer der Fall gewesen.

»Wie dem auch sei, ich wollte nur, dass du Bescheid weißt … für den Fall, dass du ihr über den Weg läufst«, sprach Carly weiter, und ein besorgter Unterton lag in ihrer Stimme, während sie ihr dickes dunkles Haar zu einem langen Zopf flocht.

Skylar wedelte mit einer Hand, stand auf und griff nach ihrer Apple Watch. »Schnee von gestern. Das ist doch alles Jahre her«, sagte sie und hoffte, dass die Zeit ihrer Abwesenheit es Carly schwerer machte, Bullshit aufzuspüren, wenn sie ihn hörte.

»Nun, das erleichtert mich. Wir wollen doch keine weitere Szene im Serpent Queen Pub.« Ihre Cousine hob eine Braue über den blassrosa Rand ihrer Brille.

Skylars Wangen glühten heiß bei der Erwähnung dieses Momentes in ihrem Leben, der nicht zu ihren besten zählte. Sie hatte im Laufe der Jahre verzweifelt versucht, die Erinnerungen an den Abend ihres Abschlusses aus ihrem Gedächtnis zu tilgen. Für andere war es womöglich keine so ferne Erinnerung … kleine Orte hatten ein langes Gedächtnis.

»Da besteht keine Gefahr. Ich werde mich total bedeckt halten … erst recht nach dem heutigen Zwischenfall.« Sie legte ihre Armbanduhr an. »Ich muss joggen gehen, um etwas Dampf abzulassen, aber sehe ich dich heute Abend?«

Carly schien begeistert über die Aussicht auf einen lange überfälligen Mädelsabend. »Billiger Wein, Doritos und trashiges Reality-TV?«

Skylar lachte. Ihr altes Highschool-Ritual, als ihr Stoffwechsel derlei noch verziehen hatte – selbst wenn sie genau genommen noch nicht volljährig gewesen waren. Sie hatte diese Mädelsabende mit ihrer Cousine vermisst. Es war definitiv an der Zeit dafür, aber … »Schrecklich gern, doch irgendjemand hat zugestimmt, mit meinem Dad zu Abend zu essen. Erinnerst du dich?«

Carlys Zopf flog um ihre Schultern herum, als sie den Kopf schüttelte. »Verdammt«, murmelte sie. »Warum hast du mich nicht aufgehalten?«

Skylar umarmte ihre Cousine schnell und ging dann in den Flur. »Ich meine mich daran zu erinnern, dass ich meinem Vater erzählen wollte, ich würde erst morgen nach Hause kommen, aber du fandest die Idee nicht gut.«

Sie hätte kein Problem damit gehabt, das Treffen mit der Familie um einen weiteren Tag hinauszuzögern, um sich selbst erst mal daran zu gewöhnen, wieder zu Hause zu sein, und die Vorstellung zu akzeptieren, dass sie binnen weniger Tage Seite an Seite mit ihrem Vater arbeiten und im Grunde seine Untergebene sein würde. Aber Carly konnte nicht lügen, selbst wenn ihr Leben davon abhinge.

»Ich schätze, dann sehe ich dich bei deinem Dad zu Hause!«, rief sie, während Skylar die Treppe hinunterlief.

Einen Moment später erschauderte Skylar, als sie in den alaskischen Wind hinaustrat. In Connecticut war der Frühling schon in vollem Gang gewesen, daher musste sie sich an die Kälte hier erst wieder gewöhnen. Das Wetter war ein weiterer Grund, warum sie nicht übermäßig begeistert war, hier zu sein. Sie hatte sich verzweifelt eine Stellung in einem wärmeren Klima gewünscht, um wärmere Gewässer zu beschützen … vorzugsweise ohne legendäre Meereskreatur, die unter der Oberfläche lauerte.

Sie hatte sich an einen Ort gewünscht, an dem auch keine lang unterdrückten Gefühle wachgerufen werden konnten.

Im Serpent Queen Pub war trotz der frühen Stunde schon einiges los. Als einziges nicht auf Speisen ausgerichtetes Lokal in der Stadt war es der Hotspot für Drinks nach Büroschluss, für nächtliche Sauftouren und Feiern aller Art – außerdem kam man hierher, wenn man seinen Kummer ertränken wollte. Der Pub verströmte Kleinstadtcharme – mit rustikalen Möbeln und moderner Technik. Es gab viel dunkles Holz, große Fenster mit Blick auf den Yachthafen, und an der Decke hingen die Wappen der einheimischen Familien, die auf Blechtafeln gemalt waren. Alte Öllampen waren zu Lichtquellen umfunktioniert worden, die über dem Tresen hingen, und Holzfässer dienten als Barhocker. Gerahmte Fotos von Generationen von Seeleuten vermittelten jedem das Gefühl, willkommen und zu Hause zu sein. Der zentrale Punkt des Raumes war eine große Statue von Sealena, außerdem ein gerahmtes Foto des Gründers des Pubs, das hinter dem Tresen hing – Dex’ Ururgroßvater, von dem alle sagten, Dex sei ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.

Laute Musik einer einheimischen Folkband plärrte aus den Lautsprechern, und Gruppen von Freunden übertönten mit ihrem Gelächter und Geplapper den allgemeinen Lärm. In der Küche klapperte Geschirr, und Zac, der Barkeeper, sang schrecklich schief die Musik aus den Lautsprechern mit, während er eine Reihe von Gläsern mit Whiskey füllte.

Aber nichts konnte den Wirbelwind der Gedanken in Dex’ Kopf übertönen. Skylar war zu Hause. Die Liebe seines Lebens war wieder in der kleinen Heimatstadt, die sie so unbedingt für immer hatte hinter sich lassen wollen.

Er hatte nicht damit gerechnet, sie hier zu sehen, daher hatte er sich nicht überlegen können, was er sagen wollte, wie er sich benehmen wollte … Er hatte keine Zeit gehabt, einen Schutzschild zu errichten, daher knüpfte sein Herz einfach da an, wo es aufgehört hatte – es liebte Skylar weiter.

Zac stellte ihm ein Bier auf den Tresen – mit einem spitzbübischen Gesichtsausdruck, der so gar nicht dazu passen wollte, dass der Mann schon jahrzehntelang hier hinter dem Tresen stand und Drinks servierte. Niemand in der Stadt konnte sein Alter korrekt schätzen. Nie verheiratet, keine Kinder, keine Familie – niemand erinnerte sich auch nur daran, woher Zac eigentlich gekommen war. Er war einfach irgendwie hinter dem Tresen aufgetaucht. Ein Wahrzeichen der besonderen Art.

»Wie ich hörte, gab es heute Morgen ein wenig Action am Hafen«, bemerkte er, füllte einige Erdnüsse in ein winziges Schälchen und stellte es vor Dex hin.

»Wir sollten bei der nächsten Stadtratssitzung darüber reden, ob es nicht sinnvoll wäre, eine feste Barriere vor dem Hafenbecken zu errichten«, murmelte er.

»Du könntest auch einfach versuchen, die Ladys nicht mit diesen umwerfenden Bizepsen abzulenken, während du an deinem beeindruckenden Boot arbeitest«, konterte Zac.

Wenn er nur hätte glauben können, dass es sich so zugetragen hatte. Skylar hatte es gut verborgen, sollte sie überhaupt einen Hauch von Interesse empfinden. »Danke für den Tipp.«

Er griff nach seinem Bierglas und ging damit an den Ecktisch, wo die Leute der Coast Guard von Port Serenity saßen, die gerade dienstfrei hatten, Bier tranken und Chicken Wings aßen. Sie feierten die erfolgreiche Rettung eines kleinen Fischerbootes, das in der vergangenen Nacht ungefähr dreißig Meilen vor der Küste im Eis stecken geblieben war. Dex hatte mit seiner umgebauten Familienyacht dabei geholfen.

Er zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und ließ den Blick über den Tisch wandern. Schon klar, alle vermieden es, ihn anzusehen.

»Habt ihr alle vergessen, mir etwas zu erzählen?«

Die Männer tauschten Blicke. Niemand sah so aus, als wollte er etwas erwidern.

»Überraschung?«, fragte sein Kumpel Doug Fields und verbarg seinen schuldbewussten Gesichtsausdruck hinter seiner Bierflasche.

Dex lachte spöttisch. Es war eine Überraschung gewesen, allerdings. Der Anblick seiner Ex hatte ihm schneller den Atem verschlagen als der Sprung in den Yachthafen. Sie hatte atemberaubend ausgesehen – und weit außerhalb seiner Liga, mit ihrer Kapitänsuniform … sogar tropfnass. Er hatte nie daran gezweifelt, dass sie an der Akademie Herausragendes leisten würde. Sie entsprang einem Geschlecht starker, leidenschaftlicher Gesetzeshüter, aber er wusste, dass es ihre eigene Hingabe und harte Arbeit waren, die sie dorthin gebracht hatten, wo sie jetzt war. Skylar Beaumont war eine Naturgewalt, mit einem so leidenschaftlichen Temperament, dass sie ihn komplett eingeschüchtert hätte, wäre da nicht die irrsinnige Anziehung gewesen, die einst zwischen ihnen geherrscht hatte.

Die immer noch zwischen ihnen herrschte, zumindest was ihn betraf.

»Und niemand von euch ist auf die Idee gekommen, mir zu erzählen, dass sie hier stationiert werden soll?«

Er war kein offizieller Teil der Crew, aber eine Vorwarnung hätte er durchaus zu schätzen gewusst. Es war nicht so, als würde sie sein Boss sein, aber vermutlich würde sie schon bald eine Meinung bezüglich seiner Position als Freiwilliger haben. Ihr Vater verbarg seine Geringschätzung ihm gegenüber jedenfalls nie.

Außerdem fühlte er sich ein wenig minderwertig. Skylar war die Kommandantin eines Rettungsschiffs, und er war ein arbeitsloser Freiwilliger mit einem Treuhandfonds.

»Wir waren uns nicht sicher, wie wir es dir sagen sollten«, antwortete Doug. Das Crewmitglied der Starlight schenkte ihm einen mitfühlenden Blick, den Dex ihm nur allzu gern aus dem Gesicht gewischt hätte.

»Warum? Die Sache zwischen Skylar und mir …« Er schüttelte den Kopf. »Es war nichts – eine verbotene Teenagerliebe …«

Ihre Beziehung war wegen der seit Generationen bestehenden Fehde zwischen ihren Familien ein Geheimnis gewesen. Nur einige wenige enge Freunde sowie Carly und Dex’ Schwester Isla hatten davon gewusst.

»Also hat es null Wirkung auf dich, dass sie wieder in der Stadt ist?«, fragte Doug und strich sich mit einer Hand durch sein gewelltes sandblondes Haar, bevor er sich in seinem Stuhl zurücklehnte.

»Null.« Gott sei Dank konnte Dex ein Pokerface aufsetzen.

Doug schaute an ihm vorbei aus dem Fenster und nickte, wenn auch immer noch nicht ganz überzeugt. »Okay, also ist es gar kein Problem, sie zu sehen?«

»Überhaupt keins.« Dex drehte sich um, um Dougs Blick zu folgen, und sein Pokerface kam ins Wanken.

Verdammt, Skylar hatte in ihrer Uniform schon umwerfend ausgesehen, aber in den Leggings und dem engen langärmeligen T-Shirt, das sie jetzt trug, sah sie wie sein wahr gewordener Traum aus, als sie am Fenster des Pubs vorbeikam. Das vertraute Bild schnürte ihm die Kehle zu.

Wie viele Male waren sie zusammen über den Pier gejoggt? Und hatten so getan, als würden sie nicht zusammen laufen.

Es war fast unmöglich gewesen, ihre Beziehung vor ihren Familien und allen anderen in der kleinen Stadt geheim zu halten. Am Anfang hatte es Spaß gemacht, aber dann hatte er etwas Ernsteres gewollt. Er hatte es allen erzählen wollen. Sie hatte sich Sorgen gemacht wegen der Fehde, aber er hatte den Beaumonts zeigen wollen, dass er nicht sein Ururgroßvater war. Er war zwar nicht stolz auf die fragwürdigen geschäftlichen Methoden seiner Vorfahren gewesen, aber er konnte auch nichts daran ändern. Er wollte, dass sie ihn als den sahen, der er war, dass sie erkannten, dass er gut genug für Skylar war. Er hatte versucht, gut genug für sie zu sein.

Und dann hatte er alles vermasselt.

Es gab eine Menge Dinge, die er ihr sagen wollte. So vieles, was er erklären wollte.

Er stand auf, nahm einen Schluck flüssigen Mut … und beschloss dann, das Bierglas mitzunehmen, als er den Pub verließ. Er holte tief Luft und lief hinter ihr her, mit ruhiger Hand, um sein Bier nicht zu verschütten.

Er schluckte schwer beim Anblick ihrer wohlgeformten Kehrseite und folgte ihren federnden Schritten über die verwitterten Holzplanken des Piers. Sie hatte schon immer eine umwerfend sportliche Figur gehabt. Sein siebzehnjähriges Ich hatte kaum die Finger von ihr lassen können. Anscheinend war dieses Verlangen nicht verblasst.

Er sollte umkehren. Das hier war keine gute Idee.

Bedauerlicherweise hörte sie seine Schritte hinter sich und schaute sich um.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Der Ausdruck freudiger Überraschung in ihren strahlend blauen Augen schenkte ihm für einen Moment Hoffnung, als er sie erreichte, bevor ihr Blick auf das Bier in seiner Hand fiel. Stirnrunzelnd beschleunigte sie ihr Tempo.

Er tat das Gleiche und überholte sie. Dann joggte er rückwärts, um sie ansehen zu können, und fragte: »Willst du ein Wettrennen?«

Vielleicht brauchten die Dinge gar nicht so ernst zu werden. Vielleicht war es der bessere Weg, einfach freundlich zu sein und die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Aber sie lachte spöttisch. »Es wäre keine faire Herausforderung.« Dann hielt sie inne. »Für dich.«

Die Klarstellung wäre nicht nötig gewesen, sie war immer die schnellere Läuferin gewesen. Er hatte so getan, als verletzte ihre Sportlichkeit sein Ego, aber insgeheim hatte er sie für ihre Leistungen bewundert. Er hatte es geliebt, dass sie ihm auf jedem Gebiet in den Hintern treten konnte … bei allem, den ganzen Tag lang.

»Ich wäre mir an deiner Stelle nicht so sicher. Du warst sechs Jahre fort.«

Sie sah ihn nicht einmal an, als sie weiter den Pier entlangjoggte, ohne auch nur einen Tropfen Schweiß zu vergießen. »Wann hast du mich je besiegt?«

»Dieses eine Wettrennen in unserem Abschlussjahr … die Nationalmeisterschaften der Wild Coast. Meine Zeit war besser als deine«, sagte er leicht atemlos von dem Tempo, das sie beibehielt.

Mann, war er wirklich dermaßen außer Form? Er trainierte im Fitnessstudio der Wache zusammen mit der Crew, aber vielleicht musste er sein Ausdauerprogramm erweitern. Er hatte sich definitiv seit seinen Footballtagen an der Highschool ein wenig gehen lassen.

Skylar zog eine Braue hoch und sah ihn endlich direkt an. »Du meinst das Wettrennen, bei dem sich herausstellte, dass ich mit einem gebrochenen Knöchel angetreten bin?«

Er lachte. »Sieg ist Sieg.« Er nahm einen Schluck Bier, leerte das Glas und stellte es dann auf einen Holzpfahl, ohne sein Tempo zu verlangsamen. »Was sagst du – eine Revanche?«

Sie schien hin- und hergerissen zu sein, was sein Gefühl ein wenig abmilderte, ohne Kompass in unbekannte Gewässer geraten zu sein, ganz allein in einem Paddelboot. Wenn sie zustimmte, würde das vielleicht bedeuten, dass sie wirklich nach vorn blicken konnten.

Aber dann schaute sie auf ihre Armbanduhr und räusperte sich. »Ehrlich gesagt bin ich schon spät dran für ein Abendessen mit meinem Dad.« Sie drehte sich um und lief zurück in die entgegengesetzte Richtung. »Man sieht sich.«

Er seufzte, blieb stehen und sah ihr nach. »Auf jeden Fall. Ein andermal«, rief er ihr nach, wohlwissend, dass es keine andere Chance geben würde. Skylar mochte in ihre kleine Heimatstadt zurückgekehrt sein, aber er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie ihm so weit wie möglich aus dem Weg gehen würde.

Ein Gefühl tröstlicher Vertrautheit, gemischt mit einer unerklärlichen Furcht überkam Skylar, als sie später an diesem Abend ihr Elternhaus betrat. Nach ihrer zweiten Begegnung mit Dex hatte Skylar das Gefühl, sich jetzt schon auf einer emotionalen Achterbahn zu befinden. Sie hatte gewusst, dass diese Heimkehr herausfordernd sein würde, aber sie hatte das Ausmaß unterschätzt.

Das hier war das erste Mal, dass sie zu Hause war, seit sie zur Akademie aufgebrochen war, und das erste Mal, dass sie ohne ihre Mutter hier war. Ihre Mom hatte zweimal Krebs gehabt. Sie hatte den Brustkrebs besiegt, als Skylar zwölf Jahre alt gewesen war. Bedauerlicherweise war die zweite Krebserkrankung aber sehr aggressiv gewesen, und es war ihr keine Zeit für eine Behandlung geblieben. Die Diagnose hatte auf Bauchspeicheldrüsenkrebs im vierten Stadium gelautet, und sie hatte nur noch einen knappen Monat gelebt. Sie hatten diese letzten paar Wochen zusammen im Lieblingshotel ihrer Mutter in Wild River verbracht, bevor ihre Mom darauf bestanden hatte, dass Skylar wie geplant zur Akademie aufbrach. Sie hatte sich gewünscht, dass Skylar keine Erinnerungen an ihre letzten Tage mitnehmen sollte.

Es hatte sich unmöglich angefühlt, ihr diese Bitte zu erfüllen, aber Skylars Vater hatte darauf bestanden, die Wünsche ihrer Mutter zu respektieren und ihr diesen Frieden zu schenken. In den ersten paar Monaten nach ihrem Tod war es schwer gewesen, sich auf das Studium zu konzentrieren, aber Skylar war dankbar gewesen für die Chance, sich zu verabschieden, und für die darauffolgende Ablenkung durch ihren straffen Stundenplan. Sie wusste, dass ihre Mutter stolz darauf war, wo sie war und was für ein Leben sie sich gerade aufbaute. Das war ein Segen gewesen.

Als sie jetzt das Haus betrat, fühlte sie sich unerwartet wieder wie dieses halbwüchsige Mädchen, das Dinge vor seiner Familie verbarg. Die Begegnung mit Dex hatte sich angefühlt, als hätte er ihr erst gestern das Herz gebrochen und nicht vor sechs Jahren, weil er erklärte, er wolle doch nicht auf die Coast Guard Academy gehen. Er hatte seine Meinung geändert und plante nicht länger die Zukunft, über die sie monatelang gesprochen hatten. Er hatte ihre Beziehung beendet, statt mit ihr zusammen um eine Beziehung zu kämpfen.

Er hatte gemeint, dass ihre Familien vielleicht recht hätten.

Sie hatte gehofft, dass sie ihn jetzt mit etwas mehr Reife ansehen konnte, ohne den dumpfen Schmerz der Sehnsucht zu verspüren, den Stachel der Enttäuschung und des Verrats … ohne den Schmerz, weil sie ihn während des härtesten Sturms ihres Lebens nicht an ihrer Seite gehabt hatte und direkt nach dem Verlust ihrer Mom allein ins Erwachsenenleben mit all seiner Ungewissheit hatte starten müssen. Aber da war es, dieses Gefühl, stärker denn je.

Natürlich hatte es ihm offenbar nichts ausgemacht. Der stets entspannte, charmante Dex, der keine Sorge auf der Welt hatte, war in der Lage gewesen, sie scherzhaft zu einem Wettrennen herauszufordern, ohne auch nur einen Hauch von Bedauern in seinen verführerischen dunklen Augen, die sie mit ihrer Andeutung dessen, was nicht sein konnte, was nicht sein durfte, schon immer unweigerlich in ihren Bann gezogen hatten.

Als sie an der Collage von Familienfotos im Flur vorbeiging, blieb sie stehen, um ein Bild näher anzusehen, das sie vor ihrem Winterball an der Highschool zeigte. Sie trug darauf ein rotes Cinderella-Kleid, nach dem sie für diesen festlichen Anlass wochenlang gesucht hatte. Ihr tat das Herz weh, als sie das schelmische Lächeln ihres jüngeren Ichs sah.

Ihr Date wirkte weniger glücklich, da er Teil ihrer Verschwörung gewesen war, aus dem Haus zu kommen, damit sie sich heimlich mit Dex treffen konnte. Brads Date hatte auf der anderen Seite der Stadt in der Villa der Wakefields mit Dex für ein ähnliches Foto posiert. Es war nur eine signierte Tauschkarte von Brads Lieblingsbaseballspieler nötig gewesen und ein Charm Armband für Tiffany, um sich ihre Hilfe zu erkaufen.

Damals hatte die heimliche Beziehung Spaß gemacht, sie war aufregend gewesen. Das Herumschleichen hatte Adrenalin freigesetzt, das ihre ohnehin schon überaktiven Hormone nur noch befeuert hatte. Aber am Ende hatten sie beide allen von ihrer Beziehung erzählen wollen. Sobald Dex und sie gemeinsam an die Akademie gegangen wären, hätten sie dem Geheimnis ein Ende machen können. Sie hätten es ihren Eltern gesagt, nachdem sie beide von der Akademie akzeptiert worden waren und wären zusammen fortgegangen …

Doch dann hatte Dex gekniffen.

»Da ist sie ja!«, dröhnte die Stimme ihres Vaters hinter ihr, und sie straffte die Schultern, bevor sie sich mit einem respektvollen Lächeln umdrehte.

»Sir.«

»Rührt euch«, antwortete er mit einem Grinsen. »Hallo Liebling.« Er breitete die Arme weit aus, und sofort spürte Skylar, wie sich das Unbehagen in ihrem Magen auflöste.

»Hallo Dad.« Sie hatte ihren Vater immer als zwei getrennte Persönlichkeiten wahrgenommen. Als ihren Mentor hatte sie ihn stets bewundert und respektiert, trotz seiner leichten Zurückhaltung, wann immer er in Uniform war. Und wenn er Zeit mit ihr und ihrer Mutter verbrachte, war er der großartige, liebenswerte Dad mit dem sanften Herzen.

»Wie schön, dich wieder zu Hause zu haben.«

Sie wusste, dass er anfangs ohne sie und ihre Mom verloren gewesen war. Er hatte sich in die Arbeit gestürzt, um die Leere zu füllen und der Einsamkeit daheim zu entfliehen. Vor dem Tod ihrer Mom hatte er von Frührente gesprochen. Aber nun arbeitete er immer noch.

Er beugte sich zurück und musterte sie eingehend. In seinem scharfsichtigen Blick lag ein wenig Misstrauen. »Obwohl ich auch etwas überrascht bin.« Er hielt inne. »Und nicht nur, weil du als Erstes mit deinem Wagen ins Hafenbecken gefahren bist.«

Sie seufzte. Natürlich hatte er gehört, dass sie nicht gerade einen tollen Start hingelegt hatte.

Sollte sie beichten, dass Port Serenity nicht ihre Entscheidung gewesen war? Sie war jetzt hier. Es war unnötig, die Gefühle ihres Vaters zu verletzen. Er hatte sich immer gewünscht, dass sie hier stationiert werden würde, so wie er und sein Vater vor ihm. Aber er hatte auch ihren Wunsch verstanden, aus seinem Schatten herauszutreten und die Welt zu bereisen.

»Es ist nur vorübergehend«, sagte sie vorsichtig, »aber welchen besseren Ort gäbe es, meine Karriere zu starten?« Sie zwang sich zu einem optimistischen Ton und verbarg ihr Grauen davor, an seiner Seite zu arbeiten.

Es war nicht so, dass sie nicht weiter von ihm lernen wollte, sie wusste nur einfach, dass alle Mühe haben würden, sie ernst zu nehmen und mehr in ihr zu sehen als Captain Beaumonts Tochter. Mit seiner Erfahrung und als ranghöchstes Crewmitglied stand er über ihr, aber sie waren beide befehlshabende Offiziere der Schiffe. Konnten sie bei der Arbeit eine streng professionelle Beziehung aufrechterhalten? Würde sie in der Lage sein, ihre Crew auf ihre eigene Weise zu kommandieren, ohne dass er sich einmischte – und zwar auf eine Weise, wie er sich das niemals bei jemandem erlauben würde, der nicht zur Familie gehörte?

Falls ihr Vater ihre innere Zerrissenheit spürte, ließ er es sich nicht anmerken. »Möchtest du etwas trinken?«, fragte er zuerst sie und dann Carly, die in diesem Moment hereinkam.

»Ich habe Wein mitgebracht«, verkündete Carly und ging mit der Flasche gleich in die Küche.

Skylar folgte ihrem Dad ins Nebenzimmer, wo ihr der Geruch von Lasagne entgegenschlug, und ihr Magen knurrte. Sie hatte an diesem Tag noch nichts gegessen. Nach dem Zwischenfall am Hafen, den Begegnungen mit Dex und der Notwendigkeit, sich in ihrem neuen Quartier einzurichten, hatte sie nicht viel Appetit gehabt, aber anscheinend genügte der Geruch von Käse und Bolognesesoße, um ihren Stress vorübergehend zu vergessen.

»Es riecht fantastisch. Knoblauchbrot?«

Ihr Vater öffnete das Tiefkühlfach und holte das Brot heraus. »Was ist eine Beaumont-Lasagne ohne Knoblauchbrot?«, fragte er.

Skylar lachte, aber das Lachen starb ihr auf den Lippen, als sie an ihm vorbei zum Kühlschrank schaute. Dort hing ein ihr vertrautes Blatt Papier, festgehalten von einem Bildermagneten, der sie und ihre Eltern in Wild River zeigte. »Ist das eine Kopie meines letzten Zeugnisses? Wie …? Warum …?«

Ihr Dad sah sie verlegen an. »Na schön, also gut, ich habe ein paar Beziehungen spielen lassen, um eine offizielle Kopie zu bekommen.«

Ihr wurde flau im Magen. Wie viele Beziehungen hatte Keith Beaumont entlang ihres Weges spielen lassen? Nein! Das würde keinen Einfluss auf ihr Selbstbewusstsein haben. Sie hatte sich ihren Platz an der Akademie verdient, und dieses Zeugnis war der Beweis dafür. Ihre Zensuren waren fantastisch. Aber das Verhalten ihres Vaters war unentschuldbar. Hatte er etwas mit der Zuweisung ihrer Position hier in Port Serenity zu tun gehabt?

»Dad …« Es kostete sie viel Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten.

»Tut mir leid. Ich bin einfach so stolz auf dich. Klassenbeste.« Er hob die Arme zu einer Jubelgeste und war zu aufgeregt, um ihren aufkeimenden Ärger zu bemerken.

Hinter ihm warf Carly ihr einen Blick zu, der sie anflehte, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Carlys Mom hatte sie allein großgezogen, und Carly hatte sich nach einem Vater gesehnt. Sie sagte immer, sie beneide Skylar um die Beziehung, die sie zu ihrem Dad hatte. In Wahrheit wusste Skylar sehr gut, welches Glück sie hatte. Sie und ihr Dad hatten sich immer gut verstanden. Durch ihre gemeinsamen Interessen und ihre Leidenschaft fürs Meer waren sie einander immer nah gewesen.

Also zwang sie sich erneut zu einem Lächeln und ließ es gut sein. Sie konnte sich nicht über ihn aufregen, wenn er vor Stolz strahlte. Sosehr sie auf eigenen Beinen stehen wollte, sie war eine Beaumont, und daran konnte sie nichts ändern – auch wenn sie sich als Teenager viele Male gewünscht hatte, dass es eben doch anders wäre, damit die Beziehung zu Dex nicht so verboten wäre.

Kopfschüttelnd griff sie nach den Weingläsern. Eine dumme Teenagerliebe – mehr war das damals nicht gewesen. Gebrochene Versprechen sorgten dafür, dass ein Herz abhärtete. Mit fünfundzwanzig konnte sie die Dinge so sehen, wie sie gewesen waren.

Wie sie anscheinend immer noch sind …

Dex hatte sich nicht im Mindesten verändert. Immer noch zum Anbeißen, immer noch charmant, immer noch reich und immer noch unmotiviert … immer noch ein Wakefield.

Seinen Genen konnte man offensichtlich nicht entkommen.

Rückblickend war es vielleicht nicht die beste Art und Weise gewesen, die Sache anzugehen, indem er Skylar auf dem Pier angesprochen hatte. Schließlich hatte er vor, ihr zu zeigen, dass er ein besserer Mann war, als sie dachte, und nicht nur jemand, der glücklich damit war, durchs Leben zu segeln und vom Geld seiner Familie zu leben, ohne eigene Ziele oder Ambitionen. Unglücklicherweise war es schwer, die Wahrnehmung eines Menschen zu ändern, wenn er sich selbst nicht sicher war, ob er wirklich beweisen konnte, dass er alles andere war als das.

Das Bedauern angesichts der Vergangenheit lastete schwer auf Dex, als er an diesem Abend an Bord seines Bootes ging, das gleichzeitig sein Zuhause war. Dieses Bedauern war leichter zu ignorieren gewesen, bevor Skylar zurückgekehrt war.

Vor vierundzwanzig Stunden war er vollkommen zufrieden mit seinem einfachen Kleinstadtleben gewesen. Oder zumindest hatte er aus dem Blatt, das man ihm zugeteilt hatte, das Beste gemacht. Doch plötzlich war alles anders.

Er hängte seine Schlüssel an den Haken neben der Tür und knipste die Innenbeleuchtung in der Hauptkabine an, die ihm als Wohnraum diente. Seit er seinen Highschoolabschluss gemacht hatte, hatte er zusammen mit seinem Großvater auf dem Boot gelebt, bis der alte Mann im vergangenen Jahr gestorben war. The Mariana, liebevoll benannt nach seiner Großmutter, war für Dex immer mehr ein Zuhause gewesen als jeder andere Ort. Als Kind hatte er ganze Sommer mit seinem Großvater auf dem Boot verbracht, war an der Küste Alaskas entlanggesegelt, hatte geangelt und war auf Erkundungstour gegangen, oder er hatte einfach auf Deck campiert, wenn das Boot irgendwo vor Anker lag oder im Hafen festgemacht war, und zu den Millionen von Sternen am Himmel hinaufgeschaut.