Inhalt
Impressum 2
1.
Die Begegnung 3
2.
Im Land der Spinnen 14
3.
Die Alraune 29
4.
Im Land der Zentauren 35
5.
Im Schloss der Großmeister 55
6.
Hadeon und das Land der Riesen 57
7.
Durch die sumpfige Ebene 98
8.
Die Grasnelkenelfe 103
9.
Auf dem Weg zum Grummling 107
10.
Der Grummling 112
11.
Das Trugland 135
12.
Auf dem Weg zur Milchbachgrotte 197
13.
Das Bündnis 223
14.
Auf dem Weg zu den Ölweiden 228
15.
Das Versagen 235
16.
Nicha, die kleine Nymmrick 241
17.
Weiter voran auf dem Weg zu den Ölweiden 247
18.
Die dunkle Allianz 259
19.
Der Elfenrat 267
20.
Die kleine Nymphe Kirana 272
21.
Die Nebeldrachen 278
22.
Kivulis Aufruf zur Schlacht 284
23.
Salnea und der goldene Zweig der Ölweide 286
24.
Am Fluss 294
25.
Der Duft der Ölweide 304
26.
Die Schilfelfe in Chirolondania 313
27.
Die Vorbereitung der Elfen 315
28.
In der Hütte 321
29.
Die Öffnung des Gefäßes 324
30.
Der Flug des großen Drachens 328
31.
Askiu 336
32.
Zurück bei Chiron 340
33.
Das Vorrücken der dunklen Mächte 346
34.
Zurück bei der Spinnenkönigin 349
35.
Das Vorrücken der Elfen 353
36.
Pudicus und die Nebeldrachen 357
37.
Vorbereitungen in Chirolondania 363
38.
Die fünf Elfen auf dem Weg zum Schloss 366
39.
Pudicus und das geheime Treffen mit Lord Dralcus 368
40.
Die kleine Drachenschnecke Babuzi 374
41.
Aufbruch der Zentauren zur Hufanya-Ebene 378
42.
Der getroffene Pudicus 385
43.
Kaleykono und der Raschwei-Rat 390
44.
Squeetschy auf dem Weg zum Schloss der Großmeister und das Zusammentreffen der fünf Freunde 393
45.
Das Eintreffen der Elfen 403
46.
Das Sammeln der dunklen Mächte 407
47.
Das Eintreffen der lichten Mächte
Impressum
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© 2021 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99107-422-9
ISBN e-book: 978-3-99107-423-6
Lektorat: LSM
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1.Die Begegnung
Es war ein wunderschöner Frühlingstag im Feenwald. Die Sonne stand hoch am Himmel und ein zarter Regenbogen zeigte sich durch die noch lichten Baumkronen am Horizont.
Der kleine Pan hüpfte gutgelaunt und leichtfüßig umher.
Als er auf seiner geheimen Lichtung ankam und durch das hohe Gras lief, dachte er sich: ‚Es ist so wunderschön hier! Warum sollte ich nicht ein kleines Päuschen machen? Einfach die wärmende Sonne und diesen wunderbaren Regenbogen genießen?‘
Gedacht, getan.
Inmitten der großen Wiese legte er sich nieder und sah zu den Wolken am Himmel hinauf.
Als er schon einige Zeit so im hohen Gras lag und vor sich hinträumte, vernahm er plötzlich eine liebliche Stimme.
Was war das? Er war doch sonst immer allein hier! Wer sollte jetzt noch hier sein?
Hatte jemand tatsächlich sein Geheimnis erkundet? Diesen wunderschönen Ort entdeckt, der doch so versteckt war. Die Stimme kam immer näher und näher.
Erschrocken lag er nun da.
Er war wie versteinert. Völlig unfähig, sich auch nur ein kleines bisschen zu bewegen.
‚Was nun? Ich bin ja wie gefesselt! Dieser wundervolle Duft … wo kommt der her? Und diese liebliche Stimme, obgleich sie einen ärgerlichen Unterton inne hatte! Hm? Wer mag das sein? Ich bin doch aber immer allein hier! Das ist doch meine Wiese! Wer dringt da einfach so in meine kleine Welt ein!?‘, dachte er.
Oh, je!
… und dann stand sie plötzlich vor ihm! So hinreißend und bezaubernd!
Vom warmen Sonnenlicht umhüllt und direkt über ihr leuchtete der Regenbogen.
Er traute seinen Augen kaum. Sie war so unbeschreiblich wunderschön.
Er hatte so etwas Zauberhaftes wie sie noch nie zuvor gesehen!
Sie hingegen erschrak, als sie ihn dort im hohen Gras auf der Wiese liegen sah.
‚Was ist denn das? Da liegt doch dort tatsächlich ein kleiner Teufel im Gras!‘
Aljanna dachte diese Worte nur, doch schon hörte sie seine empörte Stimme. „Nein!“, protestierte er. „Ich bin kein Teufel! Ich bin ein kleiner Pan! … und du? Wer bist du?“
Neugierig sah er sie an.
„Ich?“, fragte sie sehr verwundert. „Ich bin Aljanna!“
Ihre Stimme klang nun so, als müsse er wissen, wer sie ist.
Sie pustete eine Haarsträhne von der Stirn und ging langsam um den kleinen Pan herum.
Der ließ sie dabei nicht aus den Augen.
Verwundert war sie.
Sehr verwundert!
Viele unglaublich klingende Geschichten hatte sie gehört, doch einen echten Pan hatte sie noch nie zuvor gesehen!
Schon gar nicht so einen kleinen!
Aljanna sah sich um und blieb nun ganz dicht vor ihm stehen, als sie ihn schließlich fragte:
„Bist du denn ganz allein hier?“
Der kleine Pan nickte fast unmerklich und sah sie weiterhin nur still an.
Sie hockte sich nieder und betrachtete ihn lange.
Dann fragte sie:
„Du hast echt keine Ahnung, wer hier vor dir steht, oder?“
Der kleine Pan schüttelte vorsichtig den Kopf. Dann erhob sie sich wieder und drehte sich einmal um sich selbst.
Voller Stolz reckte sie sich.
„Ich bin Aljanna –, die großartige Druidin!“
Sie streckte ihre Arme in die Höhe und murmelte Worte in einer ungewöhnlichen Sprache.
So etwas Eigenartiges hatte der kleine Pan noch nie zuvor gehört.
Augenblicklich verstummten alle Vögel im Wald, denn eine große, dicke und pechschwarze Wolke huschte vor die Sonne.
Aljanna sah ängstlich nach oben.
„Oh, nein! Nicht schon wieder! Schnell, kleiner Pan! Komm mit!“, rief sie, reichte ihm die Hand und zog ihn hoch.
So schnell sie konnte lief Aljanna zu den nahen Felsen. Dort befand sich eine kleine Höhle.
Den kleinen Pan zog sie einfach hinter sich her.
Gerade, als sie in der Höhle ankamen, prasselten dicke Regentropfen herab.
„Puh! Wieder einmal Glück gehabt!“
Aljanna setzte sich ein wenig niedergeschlagen auf den kalten Felsen. Dann zuckte sie mit den Schultern.
„Vergiss das mit dem großartig gleich wieder. So eine Druidin werde ich wohl niemals sein!
Ich kann mir diese vielen Sprüche einfach gar nicht merken!“
Jetzt wirkte sie auf einmal ganz klein.
„Warum bist du so missmutig? Das ist doch nicht so schlimm! Wie heißt es immer so schön: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, sagte der kleine Pan und versuchte, die kleine Druidin zu trösten.
Auf einmal rümpfte Aljanna die Nase.
„Was ist denn das? Dieser Geruch?“
Der kleine Pan wurde ganz rot vor Scham und sagte:
„Weißt du, ich esse zu gerne rohe Zwiebeln. Na ja, und meistens dann auch ganz schön viele. Und manchmal“, er wurde nun noch verlegener, „riecht das halt ein bisschen streng. Da ich aber bisher immer allein hier und überhaupt irgendwo war, hat das ja auch nie jemanden gestört.“
Aljanna fing an, zu lachen.
Der kleine Pan wurde ganz still.
„Warum lachst du? Lachst du mich etwa aus, kleine Druidin?“
„Ich lache dich nicht aus, kleiner Pan. Weißt du, Zwiebeln sind doch so gesund! Wisse, wenn du danach Fenchelkonfekt isst, dann riechst du kein bisschen mehr nach Zwiebeln. Warte mal!“
Aljanna kramte in einem kleinen Leinenbeutel herum, der an ihrem Gürtel befestigt war und fischte dort einen recht großen, bräunlichen Klumpen heraus. Diesen reichte sie dem kleinen Pan.
„Hier, probier doch mal!“
Der kleine Pan nahm den Klumpen und roch daran.
„Hmmm! Das riecht aber gut!“
Dann steckte er sich das Fenchelkonfekt, ohne abzubeißen, in den Mund.
„Halt! Äh, … zu spät!“ Aljanna wollte ihm noch sagen, dass er sich nur ein kleines Stück abbrechen sollte, doch der kleine Pan war schon genüsslich am Kauen. „Hmm, das ist so köstlich!“
Aljanna schüttelte ihren Kopf und sah den kleinen Pan grinsend an, denn er hatte das ganze Fenchelkonfekt auf einmal und in Windeseile verspeist.
„Hast du noch mehr davon?“
Aljanna antwortete mit einem neckenden Unterton in der Stimme:
„Ja, habe ich, aber zu viel Zucker ist sicher auch für dich nicht gut!“
„Hmm“, meinte der kleine Pan „na gut. Aber später bekomme ich doch noch ein Stück, oder? Bitte!“
Aljanna nickte lächelnd.
„Aber nun sag doch mal, woher kommst du eigentlich? Ich habe dich hier noch nie gesehen. Und ich bin sehr oft hier! Bist du vielleicht vom Regenbogen gefallen? Du strahlst so schön!“ Aljanna wurde verlegen. Sie sah mit leicht geröteten Wangen zuerst zum Regenbogen hinauf und dann auf ihre Fußspitzen, als sie ihm antwortete:
„Nein, vom Regenbogen komme ich leider nicht. Dann hätte ich sicher auch ein viel schöneres Gewand an.“
Sie zuckte mit ihren Schultern und zeigte daraufhin an sich herunter.
Das mistelgrüne Kleid mit dem hellbraunen Umhang gefiel ihr nicht einmal halb so gut, wie dem kleinen Pan.
Dann verstummte sie kurz und ihr Blick wandte sich seinen kleinen Hörnern zu.
„Hmm, ein Pan bist du? Ein richtig echter Pan?“
Der kleine Pan nickte eifrig und antwortete voller Stolz:
„Ja, das bin ich!“
„Na, ja, aber deine Hörner sind noch ganz schön klein.“ Aljanna sah ihm in die Augen und dann wieder auf seine Hörner.
„Die wachsen ja noch!“
Erneut schaute der kleine Pan ganz verlegen zu Aljanna.
Ihr tat es jetzt sehr leid, dass sie das gesagt hatte. Schnell ergriff sie das Wort.
„Ich komme eigentlich von den Mistelbergen. Hier bin ich nur, um zu lernen.“
Aljannas Blick verfinsterte sich ein wenig und sie trat trotzig gegen einen kleinen Stein – der Stein flog weit, sehr weit, ehe sie weitersprach:
„Ich wurde sozusagen hierher versetzt, weil ich IMMER Unfug mache!“
Auf einmal änderte sich ihre Stimmung und nun wirkte sie sichtlich bekümmert.
„Machst du auch Unfug, wenn du schläfst?“ Der kleine Pan sah sie voller Bewunderung an.
„Ich glaube nicht“, antwortete Aljanna leise. „Hm. Na, siehst du, IMMER kannst DU wohl auch keinen Unfug machen. IMMER ist nämlich der ganze Tag und die ganze Nacht! Glaub mir, dass schaffe nicht einmal ICH! Und ich liebe es, Unfug zu machen! Großen Unfug und sogar ganz viel davon!“
Der kleine Pan grinste zum ersten Mal richtig frech. Kleine Grübchen zeichneten sich auf seinen Wangen ab.
Aljanna freute sich. Noch nie hatte sich jemand über ihre Missgeschicke – ihren Unfug – gefreut.
„Na ja“, sagte der kleine Pan, „es liegt nun mal in meiner Natur, Unfug zu machen. Weißt du, Unfug machen ist meist auch gar nicht so schlimm… Solange wir etwas daraus lernen, ist das doch gut, oder? Außerdem macht es Spaß! Riesenspaß!“
Der kleine Pan schaute Aljanna aufmunternd an.
Frech grinsend zwinkerte er ihr zu und sagte:
„Komm, ich zeig dir den Feenwald mit all seinen Wesen. Es gibt hier viel zu sehen!“
Aljanna holte tief Luft, schaute ihn an, überlegte kurz und fragte schließlich:
„Ich dachte, du bist allein hier?“
„Ja, aber nur hier auf meiner Wiese! Auf dieser schönen, verbotenen Lichtung findet mich von den anderen Wesen keiner. Die trauen sich nämlich gar nicht erst hierher! Rate mal, wer ihnen die Geschichte von der verbotenen Wiese erzählt hat!“
Der kleine Pan lachte lauthals los.
„Na ja, aber ich habe dich doch gefunden“, meinte Aljanna nachdenklich.
„Hmm, ja, hast du. Kennst du meine Geschichte etwa nicht?“
Aljanna schüttelte energisch den Kopf.
Der kleine Pan zuckte ein wenig ärgerlich mit seinen Schultern. Dann sagte er:
„Das ist mir jetzt egal! Ich erzähle sie dir ein anderes Mal. Los, komm mit!“
Aljanna folgte dem kleinen Pan gern. Endlich war da einer, der, genau wie sie, nicht immer artig war. Einer, der auch Unfug liebte.
In diesem Moment war sie zum ersten Mal froh, hier zu sein. „Kleiner Pan, warte mal!“ Aljanna blieb abrupt stehen.
„Ich habe drei ganz blöde Aufgaben von den Großmeistern bekommen. Kannst du mir dabei vielleicht helfen?“ „Hmm, na klar! Warum nicht? Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann tue ich das gerne. Was sollst du denn machen?“
Der kleine Pan legte seinen Kopf schief und sah Aljanna mit hochgezogenen Augenbrauen lächelnd an.
„Ich soll aus der Milchbachgrotte, die hinter einem Wasserfall verborgen ist, einen Bergkristall holen.
Dann soll ich den Duft einer schmalblättrigen Ölweide einfangen … wie auch immer das gehen soll!?
… und dann auch noch die Haare eines ‚Grummlings‘ besorgen. Ich weiß allerdings nicht einmal, was ein Grummling ist!“
Aljanna sah den kleinen Pan ratlos an.
„Na ja“, sagte der kleine Pan und kratzte sich zwischen den Hörnern, „das klingt für mich erst einmal nach einem großartigen Abenteuer!“
Er machte eine kurze Pause, klatschte dann freudig in die Hände und sprach aufgeregt weiter.
„Ich helfe dir! Womit wollen wir anfangen? Hmm, lass mich mal überlegen. Ja, ich weiß! Ich würde sagen, wir machen uns auf den Weg zum Grummling! Ich weiß genau, wo der sich versteckt!“
Der kleine Pan reckte sich nun stolz grinsend in die Höhe.
„Nämlich hinter dem Sumpfkröten-Teich in einer sehr verborgenen Höhle. Na ja, ein kleines Problem gibt es da allerdings. Wir müssten vorher möglichst unerkannt durch das Tal der Riesen laufen. Das wird nicht ganz so einfach sein! Die Riesen haben nämlich IMMER riesigen Hunger und verspeisen ALLES, was sie zu fassen kriegen!“
Aljanna sah den kleinen Pan nachdenklich an.
„Gibt es dorthin keinen anderen Weg?“
Der kleine Pan schüttelte den Kopf und meinte:
„Wir könnten um das Land der Riesen herumlaufen, doch das wäre viel zu weit!“
Die Vorstellung, von Riesen gefressen zu werden, ängstigte Aljanna sehr.
„Können wir nicht vielleicht mit etwas anfangen, was weniger gefährlich ist!? Den Bergkristall holen zum Beispiel? Oder lieber doch ganz ungefährlich den Duft der Ölweide einfangen?“
Aljanna zwinkerte dem kleinen Pan aufmunternd zu und grinste schief.
Der kleine Pan verfiel augenblicklich in schallendes Gelächter.
„Du hast ja keine Ahnung, was du da sagst! Die Milchbachgrotte wird von bösen Trollen bewacht, sagen alle. Keiner traut sich da hinein … weil keiner von denen, die hineingegangen sind, bisher lebend dort wieder herauskamen! Wenn du das ungefährlicher nennst!?“
Der kleine Pan stolzierte nun aufgeregt um Aljanna herum. „Na gut, dann eben den Duft einfangen!? Das dürfte ja wohl nicht so schwer sein, oder?“
Aljanna stoppte den kleinen Pan, indem sie sich genau vor ihn stellte.
Ihre Arme fest in die Seiten gestemmt, sah sie ihn mit schiefgelegtem Kopf eindringlich an. Der kleine Pan überkreuzte seine Arme hinter dem Rücken und trat noch einen Schritt dichter an sie heran. Mit nur einem einzigen Zentimeter Abstand zwischen ihren Nasen standen sie nun da und starrten sich gegenseitig an.
Der kleine Pan holte tief Luft.
„Kleine Druidin, du musst noch so viel lernen! Sehr, sehr viel! Hast du schon einmal versucht, einer Ölweide … oder geschweige denn irgendeiner anderen Pflanze den Duft gänzlich wegzunehmen!?“
Aljanna schüttelte vorsichtig den Kopf.
Unglaublich! Sie hatte davon wirklich keine Ahnung!
„Das ist sehr gefährlich!“, sagte der kleine Pan nachdrücklich und sprach sodann mit sanfterer Stimme weiter. „Was hast du nur angestellt, dass dich deine Großmeister derart herausfordern?“
Aljanna holte tief Luft, trat einen Schritt zurück, ließ ihre Arme fallen und wirkte hilfloser denn je. „Was soll ich nur machen?“, flüsterte sie nun traurig.
„Falsch!“, antwortete der kleine Pan prompt und energisch. „Frag nicht, was DU machen sollst! Die Frage lautet besser: Was machen WIR jetzt!?“
Der kleine Pan lächelte Aljanna zwinkernd und aufmunternd zu.
Aljanna wurde es plötzlich ganz warm ums Herz.
„Ich denke, wir sollten mit der Ölweide beginnen. Sie scheint mir am ungefährlichsten.“ Aljanna sah den kleinen Pan lächelnd an und zuckte leicht mit den Schultern.
„Gut, wenn du meinst!? Dann machen wir uns auf den Weg zur Ölweide!“, meinte der kleine Pan etwas nachdenklich. „Ich weiß zwar nicht so genau, wo sie steht und sicher wird auch der Weg dorthin nicht unbedingt leicht sein. Wahrscheinlich bringt er auch so einiges an Gefahren mit sich.“
„Hm, naja“, sagte die kleine Druidin nach einer kurzen Weile, „du meinst also, dass das mit der Ölweide auch nicht ungefährlich ist? Aber, wenn wir zusammenbleiben, können wir das doch schaffen, oder?“
Der kleine Pan nickte und strahlte sie überglücklich an.
„Ja, zusammen können wir das schaffen!“
Dann überlegte der kleine Pan weiter. Und je länger er überlegte, umso mehr freute er sich auf dieses Abenteuer. Sehr sogar!
Auf einmal hatte er eine Idee.
„Ich kenne da jemanden, der bestimmt weiß, wo wir die Ölweide finden! Wir sollten zu ihm gehen und ihn fragen!“
„Na gut, dann lass uns gehen!“, sagte Aljanna und lächelte ihn freudig an.
Es war so schön, auf einmal nicht mehr allein zu sein!
Insgeheim dachte er sich:
‚Jetzt können wir sogar den Unfug zusammen anstellen.‘
Voller Freude – zack – griff er in seinen Beutel, holte eine Zwiebel heraus und biss mit großem Genuss hinein.
„Hmm, ist das lecker!“ Aljanna blieb entsetzt stehen und sagte:
„Sag mal, das ist ja schon sehr gesund, aber hast du noch etwas anderes in deinem Beutel außer Zwiebeln?“
„Naja, eigentlich nicht!“
Der kleine Pan zuckte genüsslich kauend mit den Schultern.
„Ich esse die nun mal am liebsten und das hat mir schon oft geholfen.“
Aljanna schaute ihn fragend an.
„Wie meinst du das denn nun wieder?“
Der kleine Pan lachte und lief einfach los.
„Das wirst du schon noch sehen! Ich weiß ja, wenn es dich zu sehr stört, dann hast du bestimmt noch etwas Fenchelkonfekt für mich, oder?“
Nun sprang der kleine Pan fröhlich um Aljanna herum und grinste sie aufmüpfig an.
Aljanna schüttelte den Kopf und dachte lachend:
‚Na, das kann ja noch was werden! Vielleicht kann ich ihn ja doch noch davon überzeugen, etwas anderes Gesundes zu essen. Möhren zum Beispiel oder Salat oder vielleicht sogar Brennnesseln?‘
Sie war so in Gedanken versunken, dass sie kaum vorankam.
Der kleine Pan war ihr schon um einiges vorausgelaufen, drehte sich dann um und rief ihr zu: „Wo bleibst du denn? Wir müssen los! Es ist noch ein ganz schönes Stückchen Weg, bis wir bei Chiron sind!“
Aljanna schaute den kleinen Pan sehr fragend an.
„Chiron?“, wiederholte sie verwundert. „Wer ist denn Chiron?“
Der kleine Pan kam zurück.
„Du musst wirklich noch sehr viel lernen, kleine Druidin! Chiron ist ein Pferdemensch. Weißt du, der sieht ein wenig so aus wie ich, nur dass da hinten noch was dran ist.“
Der kleine Pan zeigte auf seinen Hinterteil und legte frech grinsend den Kopf schief, während er Aljanna ansah.
Aljanna lachte laut los.
„Was lachst du? Du machst dich wieder lustig über mich, oder!?“, fragte der kleine Pan.
Aljannas Wangen wurden leicht rot.
„Nein, es ist nur so, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Aber du hast recht. Nur weil jemand anders aussieht, ist es falsch, zu lachen!“
Der kleine Pan blieb stehen und überlegte, wie sie das jetzt nun meinte. Dann verstand er sie und fühlte, dass sie es ernst damit meinte.
„Na, gut. Komm, lass uns endlich weitergehen. Der Weg ist noch lang. Ich würde gerne bei Tageslicht bei Chiron ankommen. Die Pferdemenschen – sie werden Zentauren oder auch Kentauren genannt – sind leider nun mal nicht alle so friedlich wie Chiron selbst.“
Jetzt schaute Aljanna wieder fragend drein.
„Wie meinst du das?“
„Schau, ich bin ein Pan. Ich habe Beine mit Fell und sehe so ähnlich aus wie sie. Aber du, du hast nur ganz einfache Beine, hm, und nun na ja, wie soll ich es sagen? Du bist eine Druidin!“, antwortete der kleine Pan fast entschuldigend und zuckte mit den Schultern.
Aljanna ließ daraufhin ihre Schultern sinken und sah ihn nun irgendwie entmutigt an.
„Aljanna, WIR schaffen das schon, WIR ZWEI, irgendwie. Komm schon, wir müssen weiter! Der Weg ist noch lang.“
„Gut, wenn du das sagst, dann schaffen wir das schon. WIR ZWEI!“
Aljanna straffte ihre Schultern und nickte dem kleinen Pan neuen Mutes fröhlich zu.
So zogen sie weiter und gingen nun froh gelaunt durch den alten Feenwald.
Der kleine Pan lief zunächst gleichmäßig neben Aljanna her. Hier und da sprang er alsbald übermütig lachend über Äste und Wurzeln, die im Weg lagen.
Dabei wurde er immer eiliger.
Die kleine Druidin hatte bald schon große Mühe, mit seinem Tempo Schritt zu halten.
Er allerdings lief immer schneller und schneller.
Unablässig erzählte er begeistert vom alten Feenwald. Von all den Tieren und Pflanzen.
Von den vielen magischen Bewohnern, die in ihm seit Anbeginn der Zeit schon lebten.
Von rauschenden Wasserfällen und den geheimsten Höhlen.
Nach einer ganzen Weile, völlig außer Atem, blieb die kleine Druidin einfach stehen.
Sie rief hinter ihm her:
„Kleiner Pan, bitte, warte! Ich kann nicht so schnell!“
Jetzt erst bemerkte der kleine Pan, dass sie nicht mehr hinter ihm war.
Seine Wangen wurden diesmal dunkelrot.
„Entschuldigung!“, murmelte er verlegen. „Schon gut!“
Aljanna ging nun fröhlich ganz dicht neben ihm. Fast berührten sie sich an den Schultern.
Dem kleinen Pan gefiel das sehr.
***
2.
Im Land der Spinnen
Aljannas Neugierde wuchs mit jedem Schritt, den sie nun vorankamen.
„Erzähl mir von deinem Freund Chiron. Wie hast du ihn kennengelernt?“
Der kleine Pan grinste frech.
„Na ja, an dem Tag, als wir uns das erste Mal trafen, hatte ich fürchterliche Langeweile!“ Gerade in dem Moment, als er von seinem großartigen Unfug erzählen wollte, rief Aljanna:
„Stopp! Bleib stehen!“
Dann packte sie ihn an seinen Schultern und zog ihn ruckartig zurück.
Erschrocken sah er sie an.
„He, was soll das!?“, meckerte er die kleine Druidin daraufhin an.
Aljanna bückte sich wortlos und hob etwas recht Kleines auf.
„Hättest du nicht auf mich gehört, dann wäre dieses zauberhafte Wesen durch deinen Huf gestorben! Wolltest du das etwa?“
Aljanna hielt dem kleinen Pan eine kleine, merkwürdig bunt schimmernde Spinne unter die Nase. Der Körper der Spinne sah aus, als wären unzählige, kleine, bunte Spiegelstücke darauf geklebt.
„Nein! Das wollte ich nicht!“
Der kleine Pan wurde ganz still.
„Du solltest vielleicht ein klein wenig achtsamer durch den Wald laufen.“ Der kleine Pan sah nachdenklich auf die Spiegelspinne und murmelte leise etwas, das Aljanna nicht verstand.
Doch konnte sie fühlen, was er fühlte. Das verwirrte sie ein wenig.
„Entschuldigung, kleiner Pan! So war das nicht gemeint!“
Der kleine Pan sah Aljanna ungläubig an.
Zu ihrer beider Verwunderung mischte sich nun aber eine ganz andere Stimme ein.
Eine sehr hohe, piepsige, fast schon schrill klingende Stimme.
Zeitgleich sahen der kleine Pan und Aljanna auf die Spiegelspinne in ihrer Hand.
Diese hatte sich auf ihre vier hinteren Beine gestellt und fuchtelte wild mit ihren vier vorderen in der Luft herum. Die schrille Stimme wurde augenblicklich ruhiger.
Jetzt klang sie sogar eher erleichtert.
Aljanna hob die kleine Spinne dichter an sich heran.
Nun konnte sie die Spinne sogar richtig hören und sah den kleinen Pan verblüfft an.
Ehe sie ihn fragen konnte, antwortete er auch schon:
„Ja, jetzt höre ich sie auch!“ „Was geschieht hier mit uns?“
„Ich habe keine Ahnung! Und davon ganz schön viel!“
Der kleine Pan kratzte sich zwischen seinen Hörnern. „Wäre es euch zwei merkwürdigen Halbriesen denn wohl irgendwann bitte noch in diesem meinen Leben möglich, mich wieder auf den sicheren Boden zu setzen, damit ich meine überaus wichtige Aufgabe, die ich dringlichst zu erfüllen habe, endlich erledigen kann!?“
Die Spiegelspinne stellte sich nunmehr weniger gereizt auf alle acht Füßchen und sah die zwei auffordernd an.
Der kleine Pan zuckte nur kopfschüttelnd mit den Schultern. Aljanna bat die Spinne:
„Ähm, könntest du diesen Satz für uns bitte noch einmal weniger schnell wiederholen?“
Die Spiegelspinne schnappte nach Luft …
„Bitte ganz langsam, damit wir ihn auch verstehen können … im Sinne von begreifen.“
Aljanna versuchte, so freundlich wie möglich zu sein. Die Spinne ließ wieder etwas von der eingesogenen Luft heraus und meint dann nur noch:
„Lass mich bitte wieder runter!“ „Warum denn nicht gleich so?“ Der kleine Pan grinste.
Aljanna bückte sich und setzte die Spinne auf den Boden. Diese rannte, so schnell sie ihre acht Beine tragen konnten, auch schon los. Dann hielt sie noch einmal kurz an, blickte zurück und rief so laut sie konnte:
„Danke!“ Dann raste sie auf und davon.
„Was war denn das für eine?“ Der kleine Pan überlegte: „Hm, aber das ist ein Zeichen dafür, dass wir ganz in der Nähe der Spinnen sind.“
„Der Spinnen?“, fragte Aljanna leicht entsetzt.
„Ja, das Reich der Spinnen! Da müssen wir noch durch. Hatte ich das nicht erwähnt?“
Aljanna schüttelte den Kopf.
„Hoffentlich sind die nicht so groß!“
Sie hatte schon ein bisschen Angst vor dem, was da kam oder besser gesagt, vor dem, was auf sie zu kam.
„Spinnen wie die kleine Spiegelspinne sind ja okay aber, …“
„Aber, was?“, fragte der kleine Pan.
„Nichts, alles gut“, sagte Aljanna. „Ich habe nur laut gedacht.“
Ganz leise und vorsichtig fragte der kleine Pan:
„Hast du etwa Angst, Aljanna?“
Sie antwortete zögerlich und eher kleinlaut:
„Na ja, ein bisschen schon.“
Der kleine Pan sah sie aufmunternd an.
„Ich bin doch bei dir! Zusammen schaffen wir das und du kannst doch zaubern oder etwa nicht?“ Aljanna blieb nun stehen.
„Du weißt ja, es geht dabei manchmal etwas schief. Das hast du doch gesehen.“
Der kleine Pan lachte nur und hüpfte freudig los.
„Komm schon! Das ist doch alles halb so wild und auch echt egal. Es gibt Schlimmeres, glaub mir!“
Er war schon ein paar Meter von Aljanna entfernt, als ihm auf einmal wieder einfiel, was sich bei seinem letzten Besuch im Land der Spinnen ereignet hatte.
„Ups!“ Er hielt kurz an und druckste ein wenig herum.
Irgendwie hatte er ein klein wenig schlechtes Gewissen.
Aljanna schaute ihn fragend an.
,,Ach, alles gut“, meinte er dann mit einer wegwischenden Handbewegung und lief weiter.
Aljanna wollte keinesfalls allein durch das Reich der Spinnen laufen, also eilte sie dem kleinen Pan hinterher.
Nach einer ganzen Weile sah sie sich immer mal wieder verstohlen um.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
Was war das nur für ein ungutes Gefühl, das sich da in ihr meldete und das mit jedem Schritt, den sie weiter in das Reich der Spinnen vordrangen, stärker wurde? „Kleiner Pan, warte mal!“
Aljanna hielt das ungute Gefühl kaum mehr aus. Ganz dicht stand sie nun bei ihm. Zu gerne hätte sie seine Hand genommen, doch das traute sie sich nicht.
Der kleine Pan sah sie nun an.
„Was ist?“, fragte er nur.
So dicht nebeneinander spürte er plötzlich, was sie fühlte.
„Aljanna, was ist mit dir?“
„Irgendetwas ist hier. Etwas sehr gefährliches!“ Sie flüsterte diese Worte nur. Instinktiv stellten sie sich ganz dicht zueinander.
„Was sollen wir nur tun?“, überlegte Aljanna angestrengt.
„Spinnen mögen keinen Regen, oder!?“, flüsterte sie.
„Sie hassen ihn!“, antwortete der kleine Pan in ihre Gedanken hinein, ohne Stimme.
„Gut. Wenn ich eins herbeizaubern kann, dann das!“ Ein kaum hörbares Geräusch ließ sie plötzlich gänzlich erstarren.
Sie wagten nicht einmal mehr, zu denken.
Unweit von ihnen bewegte sich eine riesige, schwarze Spinne langsam, aber unaufhörlich seitlich auf sie zu.
„Nicht atmen! Nicht bewegen!“
Der kleine Pan fühlte Aljannas Worte. Zu hören war in diesem Moment nichts!
Aljanna stellte sich angestrengt vor, einen sehr komplizierten Zauberspruch aufzusagen.
Immer und immer wieder sagte sie ihn in Gedanken auf.
Die Spinne kam näher und näher.
Dann hielt Aljanna es nicht mehr aus!
Sie streckte mit einem Mal die Arme in die Höhe und rief den Zauberspruch so laut sie konnte.
Natürlich schaffte sie es wieder nicht, ihn fehlerfrei zu sprechen.
Da brauste sie schon heran … die dunkle Wolke … sie braute sich blitzschnell über ihnen zusammen, wurde größer und größer und ließ schließlich ihre dicken Tropfen auf sie und die Spinne fallen.
Keine Sekunde zu spät!
„Puh, das war knapp!“, sagte der kleine Pan.
Die riesige Spinne fuhr auf der Stelle entsetzt zusammen. Wasser!
Das konnte sie nun wirklich nicht vertragen! … Und dann noch so viel! … Und diese schrecklich dicken Tropfen!
Der kleine Pan zögerte nicht lange, nahm Aljanna an die Hand und rannte mit ihr auf das Geratewohl los.
Sie rannten so schnell wie sie nur konnten an großen Spinnennetzen vorbei und immer tiefer in den Wald hinein.
Auf einmal hörte es auf zu regnen, aber es war trotzdem dunkel, als sie plötzlich stehenblieben.
„Was ist jetzt? Warum bleiben wir stehen, kleiner Pan? Lass uns weiterlaufen!“, rief Aljanna. „Wir können doch nicht hierbleiben!“
Doch es war zu spät!
Direkt vor ihnen blitzten funkelnd auf einmal acht riesig große Augen auf und schauten sie sehr grimmig an.
… und das waren nicht die einzigen Augen.
Sie waren umzingelt!
Umzingelt von Spinnen.
Vielen Spinnen!
Sehr viele!
Eine größer als die andere.
Oh je! Was jetzt?
Aljanna hielt die Luft an.
Sie wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte.
War das hier das Ende?
War das Abenteuer hier wirklich schon vorbei?
Die Spinnen kamen immer näher und näher.
Aljanna schloss die Augen.
Plötzlich erklang eine Stimme.
So leise und piepsig … das war doch?
Ja, das war sie, die kleine Spiegelspinne!
Auf einmal schimmerte vor ihnen in allen Farben ein Regenbogen.
Welch ein prachtvoller Anblick!
Doch was war das hinter den acht riesigen, großen Augen?
Eine gigantische, wunderschöne Spiegelspinne stand nun vor ihnen und die piepsige Stimme wurde durch eine laute, tiefe Stimme abgelöst.
Aljanna war immer noch wie versteinert, als die große Spinne zu ihnen sprach:
„So, so. Ihr habt also meine Tochter gerettet?“
Aljanna wollte gerade losplappern, als die Spinne sich räusperte und fragte:
„Weißt du eigentlich, wo ihr euch gerade jetzt befindet? Ist euch bewusst, was ihr getan habt?“ Kurze Ruhe kehrte ein.
Der kleine Pan stand nun etwas ängstlich neben Aljanna.
Gerade als Aljanna etwas sagen wollte, sprach die Spinne weiter. Diesmal etwas eindringlicher.
„Und du, kleiner Halunke, was habe ich dir gesagt? Was hast du hier zu suchen? Sag schon, hatte ich mich beim letzten Mal nicht klar genug ausgedrückt? Solltest du dem Spinnenwald fortan nicht fernbleiben?“
Der kleine Pan fing an zu stammeln:
„Hm, ääähhh, ja, ich weiß, eure Majestät. Das habt ihr gesagt.“
Verlegen und doch auch schelmisch schaute er nach unten.
„Was hast du gemacht!?“, fragte Aljanna entsetzt.
Der kleine Pan war immer noch beschämt.
Er scharrte nervös mit den Hufen im Waldboden.
„Was er gemacht hat, fragst du, kleine Druidin? Das will ich dir nur allzu gerne sagen!“, antwortete die wunderschöne Spinne. „Er ist unerlaubt durch unseren Wald gehüpft und hat unsere Netze kaputt gemacht. Und das nicht nur einmal!“
Aljanna sah ihn fragend und streng an.
Es war mucksmäuschenstill um sie herum.
Der kleine Pan war sehr verlegen und murmelte so etwas wie:
„Entschuldigung!“
„Das, kleiner Pan, reicht bei Weitem nicht aus!“, sagte die große, beeindruckende Spinne.
„Weißt du noch, was wir dir gesagt haben? Was wir mit dir tun, wenn du wieder herkommst?“
„Aber, … aber das könnt ihr doch nicht tun? Ich schmecke nicht gut und ich esse immer Zwiebeln, und … und …“
Auf einmal hörten sie die piepsige Stimme wieder.
Hektisch und schnell. Sie war kaum zu verstehen. Aljanna war immer noch wie versteinert und wusste vor Angst nicht, was sie machen sollte.
Einen Zauberspruch, damit es regnete?
Nein, das wäre jetzt sicher falsch.
Doch da war immer noch die kleine Spinne, die so vehement, wortreich und schnell immer und immer wieder auf die große, wunderschöne Spinne einredete.
Nur verstehen konnte man nichts.
Auf einen Schlag war es ruhig.
„Na gut. Was soll ich sagen? Ich kann dir einfach keinen Wunsch abschlagen!“
Die kleine Spinne freute sich riesig und sprang übermütig herum, als die große Spinne weitersprach:
„So hört, ich verschone euch, … aber nur, weil ihr meiner Tochter das Leben gerettet habt! Zwei Bedingungen habe ich allerdings!“ Aljanna war erleichtert.
‚Puh, das war knapp!‘, dachte sie.
„Ja, das stimmt! Das war äußerst knapp!“, sagte die große Spinne.
Sie konnte ihre Gedanken lesen!?
Ja, das konnte sie … und noch Vieles mehr.
„So hört, ihr dürft unseren Wald unbeschadet durchqueren und eure Reise zu den Ölweiden fortsetzen.
Die zwei Bedingungen, die da wären: Erstens, ihr nehmt meine Tochter mit auf diese Reise! Sie soll lernen wie ihr und bringt sie mir unbeschadet zurück, wenn ihr eure Reise vollendet habt.
Sodann bringt ihr mir zweitens noch etwas mit, wenn ihr an den Ölweiden seid!“
Die zwei lauschten brav, ohne etwas zu sagen.
Aljanna dachte still:
‚Mitbringen? Noch etwas? … hm. Na, ja. Besser, als gefressen zu werden.‘
Die große Spinne lachte herzhaft.
„Das ist richtig, kleine Druidin!“
‚Oh, je! Stimmt ja, sie kann Gedanken lesen!‘, dachte Aljanna aufs Neue.
„Ja, das kann ich. Und jetzt lass mich weitersprechen! Ihr werdet mir einen goldenen Zweig derÖlweide mitbringen!
So, und nun geht! Und vergesst nicht: Bringt mir meine Tochter und den Zweig heil und unversehrt zu mir zurück!“
Der kleine Pan hörte auf, mit den Hufen im Waldboden zu scharren.
Jetzt sah er die große Spinne an.
Er trat ein paar Schritte auf sie zu, verneigte sich dann tief und sagte mit gedämpfter Stimme: „Ich verspreche hoch und heilig, dass ich eure Tochter allzeit auf unserer Reise bei meinem Leben beschützen werde, komme, was wolle!“
Aljanna fiel ihm ins Wort: „WIR versprechen es!“
„Aber ich besonders! Schließlich habe ich etwas wieder gut zu machen. Außerdem werde ich fortan keinen Unfug mehr bei euch im gesamten Spinnenwald treiben!“
Die große Spinne war sichtlich zufrieden und nickte.
Aljanna hockte sich nun hin und legte ihre Hand flach auf den Boden.
Die kleine Spinne verabschiedete sich von ihrer Mutter und huschte dann eilig auf Aljannas Hand. Aljanna erhob sich und die kleine Spinne krabbelte ihr auf die linke Schulter.
So machten sich nun die drei auf den Weg in ein ungewisses Abenteuer.
Als sie schon ein ganzes Stück gegangen waren, fragte Aljanna die kleine Spinne:
„Sag mal, hast du auch einen Namen?“
„Natürlich! Alle Spinnen haben einen Namen. Ich meinte, natürlich nicht alle haben einen Namen, denn dann würden alle irgendwie Osarino oder Koralina oder irgendwie anders heißen. Das geht ja gar nicht, denn stell dir mal vor, wie es dann zuginge, wenn nur einer ruft: Osarino, komm essen, die Fliege wird sonst kalt … oder die fette Motte oder …“
„Und … wie heißt du nun?“, unterbrach sie Aljanna. „Squeetschy. Ich heiße Squeetschy!“
Der kleine Pan dachte sich im Stillen:
‚Oh, je! Das kann ja was werden. Will die jetzt die ganze Zeit lang plappern und alles kommentieren? Was hab ich da nur wieder angestellt?‘ Der kleine Pan seufzte: „Oh je, oh je.“ „Was hast du denn?“, fragte Aljanna und schaute zu ihm herüber.
„Ach, ist schon gut.“
„Nein, das glaub ich dir jetzt nicht!“ Aljanna spürte es genau.
„Na ja. Ich fand die Vorstellung, dass wir zwei allein das Abenteuer bestreiten ganz toll, aber jetzt sind wir ja nun nicht mehr alleine und müssen auch noch auf sie aufpassen!“
„Was heißt hier auf sie aufpassen!? Ich bin schon groß!“, presste Squeetschy ärgerlich heraus. „Ich kann auf mich selbst aufpassen! Und habe ich dich nicht gerettet bei meiner Mutter? Ich hätte ja sagen können, dass du mich zertreten wolltest und Aljanna mich eigentlich gerettet hat.“
„He!“, rief Aljanna. „Nun hört doch auf, euch zu streiten! Ich finde es schön, dass wir zusammen gehen. Das wird bestimmt lustig.“
Was die beiden noch nicht wussten, war, dass Squeetschy gar nicht so klein war, wie es den Anschein hatte.
In Wirklichkeit war sie genau so groß wie der kleine Pan und Aljanna, aber das würden sie schon noch sehen.
Squeetschy dachte sich insgeheim:
‚Ja, ich sitze ganz gut hier oben. Ich brauche nicht selbst laufen und ich sehe auch alles so viel besser. Außerdem versteht Aljanna mich eh besser. Wir sind halt Mädchen!‘
Der Weg führte noch lange durch das Land der Spinnen und es wurde langsam dunkel. „Aljanna? Weißt du was?“, meinte der kleine Pan. „Wir sollten eine Pause machen und uns ausruhen. Der Tag war sehr lang und anstrengend.“
„Hier und besonders jetzt bei einsetzender Dunkelheit im Land der Spinnen? Das ist vielleicht keine so gute Idee!“, meinte Aljanna ein wenig ängstlich.
„Warum? Wir haben doch Squeetschy bei uns. Immerhin ist sie so etwas wie eine Prinzessin!“ Der kleine Pan sah Aljanna aufmunternd an.
„Ja, das bin ich!“, sagte Squeetschy. „Jeder und alle kennen mich hier im Land! Also, warum nicht?“
„Na gut“, antwortete Aljanna, „lasst uns ein Platz finden, an dem wir geschützt sind.“
Im Hintergrund bemerkten sie nun etwas Ungewöhnliches.
Ein leichtes Trappeln.
„Was ist das?“
Aljanna sah sich ängstlich um, doch konnte sie nichts Außergewöhnliches entdecken.
„Das ist nicht schlimm. Das sind nur Spinnen auf ihren nächtlichen Beutezügen. Wir sind ja noch immer im Spinnenwald“, sagte Squeetschy, „die passen aber auch auf mich auf. Ich bin ja nun einmal eine echte Prinzessin!“
„Ja, ja“, sagte der kleine Pan ein wenig genervt und rief gleich darauf, „da! Schaut! Da vorn ist eine Höhle! Dort können wir vielleicht sicher übernachten.“
Aljanna erfasste ein leicht ungutes Gefühl, als sie sich der Höhle näherten.
„Was ist, wenn die Höhle bewohnt ist?“
Squeetschy ergriff sofort das Wort:
„Also, wenn diese Höhle bewohnt ist, dann ganz sicher von einer Spinne. Einer Höhlenspinne, um genauer zu sein. Also, nochmal! Macht euch keine Sorge! Ich bin überall sehr bekannt. Glaubt mir, mich kennen hier einfach alle. Ich werde schon dafür sorgen, dass sie euch nichts tut. Sollte es sich also wirklich um eine Höhlenspinne handeln, die darin wohnt, so können wir das so ziemlich genau schon am Eingang erkennen. Also, eher besser gesagt ein klein wenig hinter dem Eingang. Sobald wir in der Höhle sind, müssen wir nur nach oben schauen. Sollte dort wirklich eine echte Höhlenspinne wohnen, dann hängen ihre Kokons – unsere gemütlichen, kuschelig warmen Kinderstuben sozusagen – an der Decke. Ach, so eine Kinderstube hätte ich auch zu gerne gehabt …“
Der kleine Pan und Aljanna sahen sich schmunzelnd an.
„Sag mal, Squeetschy, schlafen Spinnen eigentlich auch mal irgendwann?“
Der kleine Pan hatte für heute genug gehört und war schrecklich müde. Wider ihrer Natur antwortete Squeetschy sehr knapp:
„Nein, wir schlafen nie. Wir ruhen nur!“
Aljanna konnte sich ein Lachen gerade so verkneifen. Wollte sie doch die kleine Spinne nicht verärgern. Aber irgendwie fand das auch der kleine Pan sehr lustig.
Damit er nicht loslachen musste, lief er schnell in die Höhle hinein.
Die Höhle erwies sich als recht klein, aber sehr behaglich.
Der kleine Pan sah sich nur kurz um, und fand schnell ein gemütliches Plätzchen und meinte dann fast ein wenig verlegen:
„Aljanna, schau! Hier ist ein guter Platz.“ „Darf ich an der Wand schlafen?“, fragte Aljanna.
Irgendwie war das ungute Gefühl in ihr nicht verflogen.
Sie wollte aber die beiden anderen nicht auch noch beunruhigen.
Mit dem kleinen Pan vor sich schlafend, würde sie sich bestimmt ein wenig sicherer fühlen.
Dem kleinen Pan gefiel die Vorstellung, sie so dicht bei sich zu haben.
Squeetschy indes sah sich die Höhle genauer an.
Sie fand einen Platz oberhalb der beiden und ließ sich dort nieder. Aljanna und der kleine Pan legten sich nun auch hin. Ziemlich dicht lagen sie so da.
Der kleine Pan war so müde, dass er sicher ganz schnell einschlafen würde.
Er schloss die Augen, doch kurz bevor er ins Traumland versank, spürte auch er das ungute Gefühl, das sich in Aljanna immer mehr breitmachte.
Squeetschy bekam davon nichts mit. Sie lag da und sah aus der Höhle hinaus in den wundervollen Sternenhimmel hinauf und begann, die Sterne zu zählen.
So wie jeden Abend. Der kleine Pan versuchte, wieder wach zu werden, doch es gelang ihm nicht.
„Aljanna“, flüsterte er noch und schlief dann doch ein.
„Alles gut, kleiner Pan. Schlaf du nur. Ich bleibe noch ein wenig wach.“
Sie sah nun wie Squeetschy zur Höhle hinaus … allerdings nicht in den Sternenhimmel hinauf. Ihr Blick war auf den Rand des Waldes gerichtet. So als würde sie jemanden oder besser gesagt etwas erwarten. Sie versuchte, das Gefühl zu ergründen, das ihr solch ein Unbehagen bereitete.
Dann fiel ihr wieder ein, was ihre Großmutter immer in solchen Momenten tat. Sie setzte sich vorsichtig auf, hielt die Hände so zusammen, dass sich der jeweils kleine Finger der einen und der Daumen der anderen Hand berühren. Die restlichen Finger formte sie so, als hätte sie eine unsichtbare Kugel in der Hand. Dann schloss sie die Augen.
Sofort stellte sich in ihr das Gefühl ein, wirklich eine Kugel aus reiner Energie zwischen den Händen zu halten. In diese Kugel hinein schickte sie ihre ruhelosen Gedanken.
Es dauerte nicht lange, da tauchten die ersten Bilder in ihr auf. Es waren keine schönen Bilder. Sie sah die Pferdemenschen vor sich … ärgerlich sahen sie aus … wild durcheinander liefen sie … dann war da noch etwas … sie sah den kleinen Pan, wie er schreiend von einer Schlingpflanze kopfüber in die Bäume hinaufgezogen wurde … und Squeetschy, die auf einem – Nein! nicht auf irgendeinem, sondern auf dem größten und schönsten Pferdemenschen herumkrabbelte … Nebel zog auf … ein weißer Bach war nun zu sehen und ein Wasserfall … dahinter eine Grotte … Aljanna löste ihre Hände voneinander.
Sie hatte genug gesehen.
Doch den Grund für ihr ungutes Gefühl konnte sie darin nicht erkennen.
Etwas anderes, unheimliches machte sich auf den Weg zu ihr und dem kleinen Pan.
Sie legte sich nun ganz dicht an ihn heran.
So dicht, dass sie seine Wärme spüren konnte. Das beruhigte sie ein wenig. Sie schloss die Augen und schlief endlich ein.
Squeetschy zählte noch immer.
Da war es wieder, das Geräusch! Dieses merkwürdige Trapsen.
Squeetschy fand keine Ruhe und so war sie die einzige, die es hörte.
Da, da war es schon wieder!
Es kam näher und näher. Unaufhaltsam … immer dichter an die Höhle heran.
Was war das?
Im Licht der drei Sichelmonde waren unheimliche dunkle Schatten zu sehen.
Sie waren schnell. Rasend schnell und kamen immer näher.
Mit ihren großen Kulleraugen konnte Squeetschy sie sehr gut sehen und alles genau beobachten.
Aljanna und der kleine Pan schliefen tief und fest, als auf einmal zwei große Schatten direkt vor der Höhle auftauchten.
Da passierte es! Squeetschy, die kleine Spinne, wurde plötzlich ganz groß. Riesig groß!
Mit einem Satz sprang sie vor die Höhle und fauchte furchteinflößend die zwei kohlrabenschwarzen Spinnen an, die nun geradewegs vor ihr standen.
„Was wollt ihr hier?“, zischte sie wütend. Die eine Spinne war so erschrocken, dass sie nach hinten umfiel.
„Äh, ja, … eure Majestät … ähm … wir sollten nur schauen, ob es euch auch gut geht. Eure Mutter schickt uns. Sie ist besorgt um euch“, stammelte die eine Spinne.
Etwas entwaffnend fügte sie hinzu:
„Ihr wisst doch um den kleinen Pan?“
„Was weiß ich?“
„Na ja, wie er ist …“
Weiter kam sie nicht. Squeetschy fiel ihr energisch ins Wort.
„Und ihr denkt also auch, ich könnte nicht auf mich selbst aufpassen?“
„Doch, doch!“
Beide Spinnen wichen verschüchtert einen Schritt zurück.
„Also gut, dann geht jetzt und sagt meiner Mutter, eurer Königin: Es ist alles gut!“
Squeetschy dachte nun so bei sich:
„Welch Tölpel! Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen!“
Dann putzte sie sich erst einmal ausgiebig.
‚Huch! Wie ich jetzt aussehe!? Gut, dass mich keiner der beiden so gesehen hat!‘ Zack … verwandelte sie sich wieder zurück in die kleine, niedliche Spinne, krabbelte wieder nach oben und schaute weiter in die Sterne.
Aljanna und der kleine Pan schliefen derweil tief und fest.
Sie lagen nun ganz nah nebeneinander, sodass sie in der kalten Nacht nicht frieren mussten.
Es verging noch die ein um die andere Stunde, bis die kleine Sonne endlich am Horizont aufging und Aljanna mit ihren Strahlen an der Nase kitzelte. Sie schlug die Augen auf, streckte sich und erschrak!
Sie war ganz allein!
Was ist jetzt?
„Kleiner Pan, wo bist du?“, rief sie schließlich.
Sie war schlagartig beruhigt, als sie von draußen her seine Stimme hörte.
„Hier … hier bin ich, Aljanna!“
Er saß mit Squeetschy schon vor der Höhle.
Es war so schön, den Sonnenaufgang im Spinnenwald zu beobachten.
Die Sonne ließ überall die kleinen und großen Tautropfen, die sich in den Netzen verfangen hatten, wie Diamanten funkeln.
„Hast du Durst?“, fragte er Aljanna.
„Ja, ein bisschen.“ Der kleine Pan stand augenblicklich auf und hüpfte los.
In einem Blütenkelch sammelte er den frischen Morgentau und gab ihn ihr zu trinken.
„Hm, das ist lecker!“, sie lächelte und der kleine Pan wurde auf einmal ganz verlegen.
Squeetschy saß schon wieder auf Aljannas Schulter und rief mit ihrer piepsigen Stimme:
„Was ist? Wollen wir jetzt endlich losgehen? Ich denke, wir haben noch einen langen Weg vor uns!?“
Vom nächtlichen Besuch erzählte sie ihnen lieber erst einmal nichts. Die drei machten sich auf den Weg.
***
3.Die Alraune
Der Spinnenwald lag nun eine ganze Weile schon hinter ihnen und die kleine Sonne stand hoch am Firmament.
„Wo sind wir eigentlich?“, fragte Aljanna unvermittelt.
„Auf dem Weg zu den Pferdemenschen. Zu meinem guten Freund, Chiron.“
„Das weiß ich! Ich meinte, wo wir jetzt sind?“, Aljanna lachte.
Der kleine Pan antwortete nicht gleich, sondern sah sich kurz still um. Squeetschy bemerkte das und schimpfte daraufhin natürlich sogleich los.
Mit hoher heller Stimme sagte sie spitz:
„Er weiß es nicht! Er läuft immer nur der Sonne hinterher. Ich glaube nicht, dass wir so überhaupt irgendwo ankommen!“
„Keine Angst! Ich weiß genau, wo wir sind! Wir müssen jetzt etwas leiser sein!“
„Warum?“, fragte Aljanna.
„Wir sind auf den Alraunen-Feldern. Und bitte, du darfst sie nicht pflücken und erst recht nicht aus der Erde ziehen!“
„Warum nicht?“
Aljanna sah sich nun die Pflanzen genauer an, die dort überall wuchsen.
„Weil sie dann weinen und der Schrei der Alraune furchtbar laut ist. Also seid schön vorsichtig!“
Aljanna wagte nach diesen Worten kaum noch einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Der kleine Pan allerdings hüpfte unbekümmert durch die Blätter der Alraunen hindurch. „Ach, ist das ein herrlicher Tag!“, rief er den beiden zu, als er so leichtfüßig umhersprang.
Hier und da scheuchte er übermütig einen kleinen Schmetterling oder eine Libelle vor sich her.
„Kleiner Pan, lass das! Hör sofort auf damit! Lass die Flatterlinge ihrer Bestimmung nachgehen und geh du deiner nach!“
Squeetschy war empört und wollte gerade eine minutenlange Belehrung abgeben, als Aljanna plötzlich stoppte und den Zeigefinger vor die Lippen presste.
Squeetschy war sofort still … der kleine Pan hüpfte erst kichernd, mit dem Rücken zu Aljanna gerichtet, weiter.
Aljanna dachte nur: ‚Kleiner Pan, Stopp!‘
Ruckartig drehte er sich um. Er wollte gerade fragen, was los sei, da verstand er ihre Geste.
Er blieb wie angewurzelt stehen und traute sich nun kaum mehr, zu atmen.
Aljanna drehte ihren Kopf. Sie lauschte in die mannigfaltigen Gesänge der Vögel hinein und dann durch sie hindurch. Etwas anderes mischte sich noch unter die fröhlichen Lieder der Vögel.
Etwas sehr Trauriges. Ein wimmerndes Weinen! Wo kam es nur her?
Aljanna ging unschlüssig zwischen den Alraunen hindurch. Sie suchte und lauschte.
Das Wimmern wurde immer leiser.
„Ich muss mich beeilen! … sonst ist es zu spät!“
Aljanna rannte unvermittelt nach links, trat dabei auf einige alte Alraunen, die sich darüber lauthals beschwerten.
Das allerdings war der kleinen Druidin völlig egal … sie musste es finden!
Was auch immer da in Nöten war, wenn sie nicht rechtzeitig käme, würde es sterben!
Abrupt blieb Aljanna stehen.
Sie sah zwischen dem Grün einiger dicht zusammengedrängter, alter Alraunen kleine, welke Blätter … sie bückte sich, drückte beherzt die Stängel der alten unter lautstarkem Gemecker auseinander und fand eine kleine, ausgegrabene, fast vertrocknete Alraune.
Squeetschy wollte gerade warnend los reden, da hob Aljanna die kleine Alraune schon auf.
„Zu spät!“, sagte Squeetschy entsetzt und verstummte.
„Kleiner Pan, hast du noch Morgentau bei dir?“
Aljanna war bekümmert … sie hörte die kleine, im Sterben liegende Alraune nur noch ganz schwach.
„Ja, habe ich!“
„Komm schnell! Achte nicht auf die großen Alraunen! Lauf!“
Der kleine Pan rannte sofort los.
Er trat dabei tatsächlich auf so einige Alraunen, die jetzt allerdings alle still blieben.
Sie richteten alle hoffnungsvoll ihr Blattwerk auf Aljanna aus.
Völlig außer Atem kam der kleine Pan bei Aljanna an und reichte ihr seinen Morgentauvorrat. Aljanna benetzte damit die Wurzeln der kleinen Alraune und redete in unverständlichen Worten auf die kleine Pflanze in ihren Händen beschwörend ein. Der kleine Pan sah immer mal wieder ängstlich nach oben, um darauf hin wieder auf die kleine Alraune in Aljannas Händen zu starren.
Squeetschy saß wie versteinert da und hielt die Luft an, was sie allerdings nicht sonderlich lange konnte.
Der kleine Pan hockte sich nun neben Aljanna.
Es schien aussichtslos … zu spät.
Die Alraune war verstummt.
Squeetschy hielt erneut die Luft an.
Aljanna begann still zu weinen.
Große Tränen rannen aus ihren Augen.
Viele große Tränen.
Der kleine Pan jedoch legte seine Hand auf Aljannas Schulter und flüsterte eindringlich:
„Gib nicht auf, Aljanna. Ich weiß, du kannst es schaffen! Ich glaube an dich! Hör auf mich und tu du es jetzt auch!“
Aljanna holte nach seinen Worten tief Luft.
Ihre Tränen liefen still und fielen nach wie vor auf die kleine Alraune.
Squeetschy hatte völlig vergessen, weiter zu atmen.
Starre.
Aljanna sah dem kleinen Pan unter Tränen in die Augen.
„Zu spät, kleiner Pan. Ich habe versagt!“
Der kleine Pan sah Aljanna erst mitleidig an, doch dann sprang er auf und rief:
„NEIN! Du darfst jetzt nicht aufgeben! Aljanna – du kannst das! Ich weiß es! Sag deinen Spruch noch einmal!“
Etwas leiser und sehr viel sanfter fügte er wispernd hinzu:
„Bitte, tu es mir zuliebe!“ Aljanna holte tief Luft, wandte ihren Blick der kleinen Alraune zu und dann geschah etwas nie Dagewesenes.
Die Alraunen fingen an, zu raunen.
Alle machten mit!
Erst leise flüsternd, dann ansteigend immer lauter.
Immer und immer wieder raunten sie in der gleichen Sprache, die Aljanna zuvor nutzte.
Aljanna verstand, sie erhob sich, reckte die kleine Alraune in ihren Händen haltend in die Höhe und stimmte in das Raunen der Alraunen mit ein.
Als sie den Spruch beendet hatte, sank sie erschöpft zu Boden.
Squeetschy fiel kreischend neben die kleine Alraune.
Stille brach über allen herein.
„Aljanna!“, rief der kleine Pan entsetzt, sprang zu ihr und nahm sie behutsam in die Arme.
Bewegungslos lag sie nun da.
„Nein, bitte nicht!“, wimmerte er in Gedanken und drückte sie ganz fest an sich.
Ein paar Tränen rannen nun auch aus seinen Augen und fielen dabei auf die Alraune. Langsam, ja, ganz langsam kam Aljanna wieder zu Bewusstsein.
„Kleiner Pan“, sie lächelte ihn matt an, „habe ich es geschafft?“
Der kleine Pan wollte gerade den Kopf schütteln, als Squeetschy losschrie.
„Sie lebt! Schaut hin! Sie lebt!“
Die Blätter der kleinen Alraune füllten sich nun mit dem Morgentau, den sie langsam durch die Wurzeln aufnahm und mit den Tränen. Den Tränen von Aljanna und dem kleinen Pan.
Ihr Grün wurde zusehends kräftiger und satter.
Schließlich richtete sie sich vollends auf und raunte voller Erleichterung:
„Danke!“ Ein großer Freudentaumel brach um sie herum aus!
Nur Squeetschy meinte etwas erhaben:
„Na, großartig! Doch nun musst du die Alraune mitnehmen. Wer sie berührt, dem sie gehört!“
„Wie meinst du das, Squeetschy?“
„Na, so, wie ich es sagte. Wer sie berührt, dem gehört sie!“
Aljanna sah Squeetschy entsetzt an und schüttelte den Kopf. Dann überlegte sie kurz und holte nach einer Weile tief Luft.
„Nein! Das ist nicht richtig! Das kann nicht richtig sein!“, sprach sie daraufhin bestimmt und sah dann die kleine Alraune an. „Sie gehört doch sich selbst!“
Die kleine Alraune kam langsam wieder zu sich und schaute sich voller Glück und frohen Mutes um.
„Oh! Ihr habt mich gerettet!? Wie schön! Ich dachte schon, ich muss sterben!“
„Nein musst du nicht!“, sagte Squeetschy. „Die zwei haben dich gerettet und nun weißt du ja, was passiert.“
Die kleine Alraune schaute plötzlich ganz erschrocken!
„Werde ich jetzt etwa gegessen? … oder, oder wird etwas anderes Schlimmes mit mir gemacht?“
Mit Entsetzen rief Aljanna:
„Nein, warum sollten wir denn so etwas Schlimmes mit dir machen? Wir haben dich doch gerettet!“
„Warum habt ihr das getan?“, fragte die kleine Alraune verwirrt.
„Weil du Hilfe brauchtest und etwas ganz besonderes bist!“
Aljanna sah die kleine Alraune freundlich lächelnd an.
„Ok, das ist schön und beruhigt mich! Aber sag, du willst mich wirklich nicht beherrschen!?“ Die kleine Alraune schaute sie noch immer sehr ungläubig an.
Aljanna schüttelte den Kopf.
„Warum sollte ich das tun?“
Erleichtert reckte sich die Alraune und sprach:
„Übrigens, ich bin Dragorar und ich möchte einmal ein ganz großer Alraunenmann werden. So groß wie ihr! Und wer seid ihr?“
Aljanna zeigte auf den kleinen Pan und antwortete:
„Das ist der kleine Pan und auf meiner Schulter …“
Da quietschte es schon los:
„Ich bin Squeetschy. Die Spiegelspinne und das ist Aljanna, die kleine Druidin! Sie hat dich übrigens gerettet!“
„Hm, nun kennst du ja alle“, sagte der kleine Pan, „und ja, … bin ich echt froh, dass du ein Junge bist! Ich hatte schon Angst, dass die Mädels nun in der Überzahl sind und ich der einzige Junge wäre.“
„Das wäre doch aber auch nicht schlimm!“, meinte Squeetschy schnippisch.
„Hört doch auf zu streiten“, sagte Aljanna. „Das ist nicht schön!“
Aljanna sah beide kurz ermahnend an und wandte sich sodann an Dragorar:
„Dragorar, sag, eigentlich ist es doch so, dass ich über dein Wohl bestimmen müsste, oder? Das will ich aber nicht! Aber irgendwie bist du ja nun doch auch ein Teil von uns … ob du das sein willst oder nicht?! Da ich dich aber gar nicht besitzen kann und will, gebe ich dich hiermit frei!“
Dragorar sah Aljanna verwundert und nachdenklich an. Er legte seinen Kopf schief, lächelte glücklich und sagte schließlich:
„Wenn ich darf, dann komme ich gerne mit euch mit!“
Aljanna nickte überglücklich.
Der kleine Pan kicherte und hob Dragorar sofort und ohne zu fragen hoch und setzte ihn ganz einfach auf seine Schulter.
„So, jetzt haben wir wenigstens ein Gleichgewicht!“, sagte er ein klein wenig aufmüpfig.
Natürlich musste Squeetschy gleich wieder lospoltern:
„Du bist nicht viel größer als Aljanna, … ich bin dafür ein wunderschönes Mädchen, …“
„Aha! Und ich dachte, du bist eine Spinne? Und Mädchen fürchten sich doch vor Spinnen, oder, Aljanna!?“
„Aber doch nicht vor so kleinen Spinnen wie Squeetschy!“, kicherte Aljanna.
Squeetschy drehte sich direkt beleidigt von ihnen weg.
So etwas wollte sie natürlich gar nicht hören!
‚Wenn die wüssten!‘, dachte sie sich im Stillen.
***
4.Im Land der Zentauren
Sie waren nun schon wieder eine lange Zeit unterwegs, als sie an einen Bach kamen und beschlossen, eine Pause zu machen.
Der kleine Pan wollte sofort trinken, als Aljanna rief:
„Stopp! Warte, weißt du, ob das Wasser gut ist? Was ist, wenn, du dich vergiftest?“
„Was soll schon passieren?“, meinte der kleine Pan und trank aus dem Bach.
„Oh, ist das erfrischend und gut!“
Er sprang ohne Vorwarnung mit Dragorar auf seinen Schultern in den Bach hinein und spritzte die Mädels sogleich voller Übermut mit Wasser voll.
„He, hör auf! Das ist doch nass!“, schrie Squeetschy und suchte das Weite.
„Aber es tut gut und angenehm kühl ist es auch!“
Aljanna konnte nun nicht mehr anders. Sie warf ihren Umhang zur Seite und sprang einfach mit in das erfrischende Wasser hinein.
Squeetschy natürlich nicht, die das ausgelassene Treiben von draußen mit ihren acht großen Kulleraugen beobachtete und sich still dachte:
„Na ja, sollen die nur machen. Ich putze mich lieber noch ein bisschen.“
Dabei schaute sie in einen großen Wassertropfen, in dem sie sich spiegelte.
„Hach, wie toll! Wie hübsch! … das ist so schön, wie sich die Sonne auf meiner Haut spiegelt und die Farben schillern lässt!“
Voller Bewunderung war sie für sich selbst, aber was war das!?
Die Ereignisse überschlugen sich!
Squeetschy erschrak fürchterlich und wurde daher plötzlich vor Entsetzen riesig!
Ihre Augen wurden immer größer und größer. Sie nahm sofort ihre Kampfhaltung ein.
Aljanna und der kleine Pan drehten sich im Wasser nun zum Ufer hin und erschraken über diesen Anblick sehr!
Was war hier auf einmal los?
Was war passiert?
Wo war Squeetschy?
Was machte die große Spinne da? War das etwa ihre Majestät?
Fragen über Fragen schossen durch ihre Köpfe.
Da sprang der kleine Pan auch schon aus dem Wasser und baute sich zwischen dem Pferdemenschen und der riesengroßen Spinne auf.
„Stopp! Hör auf! Alles ist gut!Wir sind im Land der Zentauren. Das ist Chiron, mein Freund!“, brüllte er die große Spinne an.
„Was heißt hier dein Freund? Ich bin dein allerbester Freund! Ein Teil von mir, wie ein Teil von dir! Nur, sag, wo warst du so lange? Du hast dich wieder Tage lang nicht sehen lassen!“
Chiron war ein bisschen sauer auf den kleinen Pan, das merkte man ihm an.
Aber er konnte ihm auch jeglichen Blödsinn vergeben, den er machte.
Aljanna spürte diese tiefe Verbindung zwischen ihnen sofort.
So innig und auch ehrlich. Diese Freundschaft war etwas ganz Besonderes.
Etwas, das es heutzutage wahrlich nicht mehr so oft gab oder gar zu finden war.
Squeetschy hatte sich nun langsam wieder beruhigt und hatte ihre normale Größe wieder angenommen.
Aber das warf Fragen auf.
„Squeetschy, was ist da gerade mit dir passiert? Erst warst du so groß und jetzt bist du wieder so klein?“
Auch Aljanna warf ihr fragende Blicke zu.
Squeetschy war das aber gerade vollkommen egal.
Ihre acht Kulleraugen waren jetzt nur noch auf Chiron gerichtet.
„Oh, was für ein schöner, starker Zentaur! So stolz, so erhaben und voller Ausstrahlung!“
„He Squeetschy! Wir haben dich etwas gefragt! Was war das gerade? Warum warst du auf einmal so groß? Wie machst du das? Was ist da gerade mit dir passiert?“ Squeetschy wollte jetzt gerade eigentlich gar nicht reden.
Ihre Kulleraugen starrten nur noch Chiron an.
„Hallo, Squeetschy!“
„Ja, was ist denn?“ In ihrer Stimme war ein gereizter Unterton nicht zu überhören.
„Nochmal, wir haben dich was gefragt!“
„Aha, was denn?“, wollte sie nun sehr genervt wissen, ohne den Blick auch nur einen Millimeter von Chiron zu wenden.
„Hast du nicht zugehört?“
„Doch, doch. Habe ich.“
„Aber nichts hast du!“, sagte der kleine Pan. „Squeetschy, was war das da eben mit dir?“
„Na ja, das ist eine Schutzfunktion. Immer wenn ich mich erschrecke, passiert das.“
Sie sagte das eher beiläufig.
„Kannst du auch so groß bleiben?“, fragte Aljanna.
„Na ja, das weiß ich nicht.“
Die kleine Spinne konnte kaum sprechen. So sehr bewunderte sie diesen charismatischen Pferdemenschen.
Es war zwecklos.
Squeetschy hatte sich Hals über Kopf in Chiron verliebt, der noch immer erhaben und voller Stolz dastand. Chiron rief schließlich:
„Kommt, lasst uns in mein Dorf gehen. Ihr werdet Hunger haben. Vom Feenwald bis hier zu mir ist es ja immerhin fast ein Zweitagesmarsch.“
„Ja, du hast recht.“
Mit einem kurzen Satz saß Squeetschy doch tatsächlich auf Chirons Rücken, der sich etwas wunderte.
Aljanna rief empört:
„He, Squeetschy! Was soll denn das?“
Doch Chiron meinte nur noch: „Lass Sie doch. Es ist alles gut.“ Squeetschy wuselte über Chiron und war überglücklich.
Die kleine Druidin sah sie Spinne lächelnd an.
Doch plötzlich! Da erinnerte sie sich wieder!
An die Vision, die sie in der Höhle hatte. Und dann war da noch der kleine Pan, der an einer Schlingpflanze hoch oben im Baum hing.
Oh, nein!
Sollte sich das jetzt alles verwirklichen?
Sie fühlte wieder die Energiekugel in ihren Händen. Es fängt an!
Aljanna dachte nach.
‚Was soll ich machen? Ich muss beim nächsten Mal weiter in die Zukunft schauen!
Vielleicht habe ich die Gelegenheit dazu, wenn wir im Dorf angekommen sind … und ich allein sein kann.
Oh, je! Kleiner Pan! Was passiert hier mit uns?‘
Die anderen waren schon weit voraus und riefen ihr zu:
„Wo bleibst du denn, Aljanna?“
Sie schaute noch einmal kurz zurück.
Da rief doch jemand?
Es war der kleine Dragorar.
Die kleine Alraune, die auf einmal auf ihren Wurzelfüßen stand.
Aljanna staunte nicht schlecht.
„Wie geht das denn? Du kannst ja laufen!“
„Na ja, ich bin magisch und ich lerne schnell. Ich bin durch das Wasser gestärkt“, antwortete Dragorar.
„Oh, wie schön! Warte, komm, ich helfe dir. Die anderen sind schon sehr weit vor uns.“
Aljanna setzte Dragorar auf ihre Schulter und so eilten sie den anderen hinterher.
Auf dem Weg nach Chirolondania lauschten sie gespannt, was der kleine Pan, Chiron und Squeetschy zu erzählen hatten.
Nach einiger Zeit schweiften Aljannas Gedanken wieder ab.
‚Der kleine Pan wird in Schwierigkeiten geraten! Meinetwegen!‘ Das wollte sie auf keinen Fall.
Aber, sie hatte es gesehen.
‚Wenn ich doch nur einen Weg wüsste, um das zu verhindern!?‘
Aljanna war es, als trüge sie nun eine bleierne Last.
Sie seufzte tief.
Dragorar entging das natürlich nicht.