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"Lass die Finger von ihm, Vanessa. Herzen zu brechen ist sein Job."
Vanessa Hawkins braucht dringend eine Auszeit. Sie arbeitet Tag und Nacht, und ihren letzten Urlaub hatte sie vor einer Ewigkeit - von ihrem letzten Date ganz zu schweigen. Auf der Hochzeit ihrer besten Freundin kommt sie dem attraktiven Darren Bridge näher. Noch nie hat jemand ein solches Verlangen in ihr geweckt. Doch alle warnen Vanessa vor dem Bad Boy, der ein Frauenherz nach dem anderen bricht und nur für seinen Job beim New York Fire Department lebt. Dabei könnte es Vanessa sein, die Darrens Welt ins Wanken bringt ...
Band 2 der Erfolgsreihe von Spiegel-Bestseller-Autorin Meredith Wild
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Seitenzahl: 407
MEREDITH WILD
ALL FOR YOU
Liebe
Roman
Ins Deutsche übertragenvon Stefanie Zeller
Vanessa Hawkins hat einen Plan, und der lautet: Karriere. Nur deshalb hat sie vor einem Jahr alle Brücken in ihrer Heimat abgebrochen und ist nach New York gekommen, und nur deshalb lässt sie es zu, dass ihr Chef sie täglich in den Wahnsinn treibt. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal Urlaub hatte – von ihrem letzten Date ganz zu schweigen. Sie braucht dringend eine Auszeit. Da trifft es sich gut, dass ihre beste Freundin Maya ihre Hochzeit auf einer tropischen Insel feiert. Und nicht nur das: Darren Bridge, der Trauzeuge, ist der attraktivste Mann, dem sie seit Langem gegenüberstand. Mit seinem Charme und dem sexy Lächeln wäre er perfekt für eine kurze, unverbindliche Affäre. Doch Vanessa ist völlig unvorbereitet auf die Gefühle, die Darren in ihr weckt. Die Sehnsucht, die sie in seiner Nähe spürt, ist überwältigend. Dabei weiß sie ganz genau, dass Darren kein Mann für mehr ist. Alle warnen sie vor dem Bad Boy, der ein Frauenherz nach dem anderen bricht und nur für seinen Job lebt. Doch Vanessa ist machtlos gegen das Feuer zwischen ihr und Darren. Sie will ihm gehören – und sei es nur für eine Nacht. Auch wenn sie weiß, dass es ihrer beider Herzen brechen könnte …
Für Misti
Wir überqueren Brücken, sobald wir sie erreichen, und brennen sie hinter uns ab, sodass wir nichts vorzuweisen haben außer der Erinnerung an den Geruch von Rauch und der Ahnung, dass uns einst Tränen in den Augen standen.
Tom Stoppard
Darren
»Runter von mir, verdammt noch mal!«
Nur Sekunden zuvor hatte Pauly die Augen aufgerissen – Dank dem Naloxon und dem Sauerstoffbeutel, die er jetzt von sich stieß. Eine Flut übelster Beschimpfungen war unsere Belohnung dafür, dass wir ihn wieder zu Bewusstsein gebracht hatten. Sein Rauschzustand war abrupt beendet worden, und das gefiel ihm gar nicht.
»Bridge, halt ihn fest!«
Bevor ich reagieren konnte, traf Pauly, der wütend um sich schlug, Ian ins Gesicht. Ian drückte ihn härter als nötig auf den Gehweg zurück. Mittlerweile hatten wir unsere Doppelschicht fast hinter uns, und auch meine Geduld neigte sich langsam dem Ende zu. Pauly war ein Dauerkunde. Wenn er bei Bewusstsein und guter Laune war, fuhr der Rettungswagen ihn ins Krankenhaus, wo man ihn überwachte, bis er wieder runterkam. Heute jedoch hatten wir weniger Glück.
»Lass das, Pauly, sonst bekommst du das nächste Mal sofort das Naloxon, egal wie toll dein Trip gerade ist«, knurrte Ian. Es war zwar nur eine leere Drohung, doch das verstand Pauly in seinem Zustand nicht. Er kniff die Augen zusammen und richtete seinen trüben Blick auf mich.
Ich schüttelte den Kopf und hielt seine Arme weiter fest. Er war überraschend stark, wenn man bedachte, wie dünn er in letzter Zeit geworden war. »Schau mich nicht so mitleidheischend an, Mann. Wieso schlägst du uns? Wir versuchen nur, dir zu helfen. Beruhige dich, okay?«
Pauly war ein Junkie, einer von Tausenden in dieser Stadt. Wir waren zwei von ein paar Dutzend Feuerwehrmännern, die regelmäßig checkten, ob er noch atmete, wenn ihn wieder jemand völlig weggetreten auf der Straße gefunden hatte. Manchmal schien es, als läge uns mehr an seinem Leben als ihm selbst.
Doch so erschütternd es auch war, ich durfte Paulys Schicksal und das von so vielen anderen, die ich über die Jahre kennengelernt hatte, nicht zu nah an mich heranlassen. Nicht in diesem Job. Sonst machte es einen mit der Zeit fertig.
Jetzt wollte ich bloß zurück auf die Wache. Immer wieder waren wir diese Nacht rausgerufen worden. Kaum hatten wir uns hingelegt, ging erneut der Alarm. Mittlerweile hätte ich alles für ein paar Stunden ungestörten Schlaf getan. Je eher Pauly und ich zu einer Einigung kamen, desto früher konnte ich Feierabend machen und nach Hause fahren.
Endlich schien er nachzugeben, denn seine Muskeln wurden schlaff.
»Gute Entscheidung.« Ich stieß einen sowohl erleichterten als auch erschöpften Seufzer aus und wies mit dem Kopf auf die Kollegen vom Rettungsdienst, die sich gerade mit einer Trage näherten. »Diese Jungs da werden sich jetzt um dich kümmern. Bitte sei nett zu ihnen, okay?«
»Okay.« Er zog eine Grimasse und schloss die Augen.
Bis zum nächsten Mal, Pauly.
Ein paar Stunden später trat ich durch die Glastüren von Bridge Fitness. Das Sportstudio, das meinem Bruder gehörte und in dem ich manchmal aushalf, war zu meiner zweiten Heimat geworden. Seit Wochen schob Cameron Überstunden, um sich für seine Hochzeit eine Auszeit nehmen zu können, und ich unterstützte ihn, so gut ich konnte, bei jeder Schicht. Heute jedoch wollte ich mich einfach nur so auspowern, dass ich anschließend schlafen konnte.
Ich betrat den Hauptraum, in dem die Geräte standen, und entdeckte Maya, Camerons Verlobte, auf einem Laufband. Sie hatte Kopfhörer in den Ohren und bemerkte mich nicht. Wegen dieser hübschen Blondine war mein Bruder jahrelang total neben der Spur gewesen. Es war schlimm gewesen, das Elend mit ansehen zu müssen. Doch jetzt, da sie wieder zusammen waren, wirkte er glücklicher denn je. Ich winkte ihr im Vorbeigehen zu und steuerte das Büro im hinteren Teil des Studios an, wo ich Cameron zu finden hoffte.
Wie erwartet saß er an seinem Schreibtisch. Aber er war nicht allein. Raina, unsere Yogalehrerin, lehnte mit der Hüfte an der Tischkante. Gerade ließ sie ihren lasziven Blick von Camerons unbehaglicher Miene weiter seinen Körper hinunter wandern und schob sich näher an ihn heran. Wenn mich nicht alles täuschte, würde sie jeden Moment auf seinen Schoß klettern. Als sie sich anzüglich die Lippen leckte, wandte Cameron den Blick ab.
»Hi, Leute«, sagte ich laut.
Raina richtete sich auf und trat vom Schreibtisch weg. »Hi, Darren.«
»Was gibt’s?«
Sie zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes. Ich wollte gerade los.« Als sie an mir vorbeiging, drückte sie die Brust leicht raus.
»Bis dann«, sagte ich und gönnte mir einen Blick auf ihren hin und her schwingenden Hintern.
Cameron runzelte die Stirn und wandte sich wieder den Papierbergen vor ihm zu. Ich lehnte mich gegen den Türpfosten und versuchte einzuschätzen, in welcher Stimmung er war.
»Was ist denn mit Raina los? Hat sie nicht mitgekriegt, dass du um Mayas Hand angehalten hast?«
Er kratzte sich mit dem Stift am Kinn. »Ich glaube, sie ist einfach so. Ich will da nicht zu viel interpretieren.«
Ich lachte. »Solche Signale zu verstehen und sie zu meinem Vorteil zu nutzen ist für mich wie ein zweiter Job. Die steht auf dich, alter Mann. Mach dich auf was gefasst, wenn Maya das mitkriegen sollte. Besser, du sorgst dafür, dass es aufhört, bevor Maya die Sache in die Hand nimmt.«
Seufzend lehnte Cameron sich auf dem Bürostuhl zurück, der bei jeder Bewegung quietschte, und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Du hast ja recht. Als hätte ich nicht schon genug zu tun. In zwei Tagen geht’s los nach Grand Cayman, und ich habe dieses Angebot für die Investoren immer noch nicht fertig.«
Ich nickte und musterte abschätzend die Unterlagen, die sich ständig auf seinem Schreibtisch stapelten, vor allem jetzt, da er plante, zu expandieren und ein neues Studio zu eröffnen. »Wie wäre es, wenn ich mit ihr rede?«
Cam warf mir einen argwöhnischen Blick zu. Mir konnte er nichts vormachen. Ich war zwar der Ältere von uns beiden, aber aus irgendeinem Grund glaubte Cameron, die Last des Lebens ganz allein tragen zu müssen.
»Ernsthaft, es wäre doch für alle einfacher, wenn ich das übernehme«, sagte ich. »Ich mache keine große Sache draus, sorge aber dafür, dass sie die Botschaft versteht.«
Es verging ein Moment, bevor sich die Sorgenfalte auf seiner Stirn glättete. »Na gut. Aber stoß sie nicht allzu sehr vor den Kopf. Ich brauche sie hier, während wir weg sind. Ich kann im Moment auf niemanden verzichten.«
»Schon kapiert.« Ich ging zu meinem Spind und verstaute Tasche und Jacke. Auf dem Weg von der Arbeit hierher hatte ich den dritten oder vierten Energieschub des heutigen Tages bekommen, so bald würde ich sicher keinen Schlaf finden. Immerhin musste ich für eine Weile keine Typen wie Pauly versorgen oder in brennende Gebäude laufen.
Ich überließ Cameron seiner Arbeit und ging den Flur hinunter zum Yogaraum, in der Erwartung, Raina dort zu treffen, die erst später am Morgen ihre erste Stunde geben würde.
Der große Raum war kühl und leer. Raina schob gerade einen Stapel zusammengerollter Matten zurecht. Als die Tür hinter mir zufiel, blickte sie auf.
Ich setzte ein Lächeln auf. »Wie geht’s, wie steht’s?«
»Gut. Und selbst?«
»Kaputt von der Arbeit. Lange Schicht. Ich will nur ein bisschen runterkommen, bevor ich mich aufs Ohr lege.«
Sie grinste und warf einen Blick auf die Matten. »Willst du eine private Yogastunde?«
Dieses Mal war mein Lächeln nicht gezwungen. Als sich unsere Blicke trafen, blickte sie mich aus schmaleren Augen an.
Ich lachte leise. »Hmm, klingt entspannend. Aber wenn ich mich einmal hinlege, komme ich so schnell nicht wieder hoch.«
Schulterzuckend machte sie sich erneut an die Arbeit, während ihre Einladung weiter im Raum hing.
Cameron wusste nichts davon, aber sie hatte mir schon einmal eine »private Yogastunde« gegeben, vor ein paar Wochen, als ich einen schwachen Moment gehabt hatte.
Da ich zu solch einem Angebot selten Nein sagte, ertappte ich mich dabei, wie ich es mir tatsächlich durch den müden Kopf gehen ließ. Nein, ich war aus einem anderen Grunde hier.
Ich räusperte mich und kam gleich zur Sache. »Was läuft da zwischen dir und Cam?«
Raina erstarrte, und ihr Gesichtsausdruck wurde wachsam. »Was meinst du?«
»Ich meine … du stehst doch auf ihn, oder?«
Ihr Körper versteifte sich. Sofort ging sie in die Defensive. »Was willst du damit andeuten?«
»Hör zu, ich habe dich eben bei ihm im Büro gesehen. Deine Körpersprache … Ich meine, kann es sein, dass du dich zu ihm hingezogen fühlst?«
Ihr Mund öffnete sich, aber es kamen keine Worte heraus. Offenbar hatte ich sie kalt erwischt.
Mit langsamen Schritten ging ich auf sie zu, während ich sie von oben bis unten musterte. Kein Zweifel, sie hatte einen hübschen Körper. Fit und schlank, kein Gramm Fett zu viel, was deutlich zu sehen war, wenn sie wie jetzt nur einen Sport-BH und eine enge Yogahose trug. Ich selbst arbeitete zwar auch hart an meinem Körper, aber sie war nicht mein Typ. Ich bevorzugte Frauen, die ins Studio kamen, um straffer zu werden, aber noch ein bisschen Fleisch auf den Rippen ließen.
Kurz vor ihr blieb ich stehen. »Willst du mir etwa weismachen, dass du nicht bei der erstbesten Gelegenheit mit Cameron schlafen würdest? Sag mir die Wahrheit.«
»Ich fühle mich nicht im Geringsten zu deinem Bruder hingezogen«, sagte sie mit Nachdruck.
»Ach ja?« Ich legte herausfordernd den Kopf schief. Die subtilen Zeichen ihres Körpers – der flache Atem, die leichte Röte auf ihrer Brust – sagten mir eindeutig, dass ich diese Runde gewinnen würde.
»Ja.« Das Wort klang wie ein Seufzer. Der Ärger in ihrer Stimme schwand.
Während sie hüftenschwingend auf mich zu kam, versuchte mein müdes Hirn vorauszuahnen, wohin das hier führen würde.
»Beweis es«, sagte ich leise, um sie zu provozieren. Ich machte noch einen Schritt auf sie zu, sodass wir nur noch einen Atemzug voneinander entfernt standen.
Ihre Augen flogen zur Tür und wieder zurück zu mir. Ich kannte diesen Blick. Sie musste eine Entscheidung treffen. Doch eigentlich war das ohne Bedeutung, denn wie auch immer ihre Entscheidung ausfallen würde, ich könnte sie mit Leichtigkeit umstimmen. Cameron war ein guter Kerl. Deswegen wollte sie ihn. Ich war es nicht, und deswegen wollte sie mich, jetzt, in diesem Moment.
Sie bewies es, indem sie mir die Hand in den Nacken legte und sich auf die Zehenspitzen hob, um mich zu küssen. Nicht zögernd oder schüchtern, nein, sie ging gleich aufs Ganze. Und ich küsste sie zurück. Ich war nicht scharf auf ihren Geschmack, sondern tat es, weil sie es so wollte. Das ganze Drumherum war mir nie besonders wichtig.
Sie presste sich an mich, und mein Schwanz rührte sich. Oh ja, ich würde heute definitiv noch Sex haben.
Ich brach den Kuss ab, der mir sowieso unangenehm war, drehte sie herum und schob sie gegen die Wand. Sie war nackt unter der Yogahose, also zog ich sie herunter und bekam gleich Zugang zu dem, was ich eigentlich wollte.
Tu es nicht. Ich ließ die Handflächen über ihre Hüften gleiten und zögerte kurz. »Bist du sicher, dass du das willst?« Als würde ihre Antwort mein Handeln richtiger machen.
»Ja«, stöhnte sie und schob mir ihren Hintern entgegen, was meinen Schwanz noch mehr lockte.
Jedes Mal, wenn sie einen Laut von sich gab, stellte ich mir vor, Cameron käme herein und würde uns erwischen. Dies war unser gemeinsamer Arbeitsplatz, Herrgott, es war schlicht dämlich. Und falsch. Daran erinnerten mich die Spiegel an drei Seiten des Raumes, wenn ich es wagte, die Augen zu öffnen. Unser erstes Intermezzo war ein Fehler gewesen, aber wenn ich ihn wiederholte, würde ich ein ernsthaftes Problem bekommen.
Ich packte meine wachsende Erektion, die wie immer das Sagen hatte, wenn es darum ging, wann und mit wem ich Sex haben sollte.
Im nächsten Moment erstarrte ich. »Ich habe kein Kondom dabei.«
Eine unbehagliche Stille senkte sich über den Raum.
»Ist in Ordnung«, sagte sie leise.
Nein, es war nicht in Ordnung, ganz sicher nicht. Ich machte es nie ohne Gummi, und dass Raina der Hälfte aller Männer im Studio schöne Augen machte, war nicht gerade vertrauenerweckend.
Ich zog ihre Yogahose wieder hoch und drehte sie um.
»Nicht hier. Nicht so.« Vielleicht nie.
Ihre Brust hob und senkte sich heftig unter ihrem schweren Atem. Sie war so erregt, dass ich sie trotzdem auf der Stelle hätte flachlegen können. Aber deswegen war ich nicht hier.
»Raina. Du musst die Finger von Cameron lassen. Was wir tun, ist egal, aber er wird Maya heiraten.«
Sofort bereute ich meine sachlichen Worte, die mir einfach so herausgerutscht waren. Doch gesagt war gesagt. Ihre leichte Röte verblasste zusehends.
»Klar, Darren. Ich hätte dich nicht für den eifersüchtigen Typ gehalten.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Eifersucht war mir fremd, aber meinetwegen sollte sie es ruhig glauben, wenn sie dann die Finger von Cameron ließ.
Ich zögerte noch einen Moment und musterte sie ein letztes Mal. Wenigstens würde sie Cam von nun an in Ruhe lassen. Dann trat ich zu ihr und küsste sie. Mechanisch, so als wäre es ein Job, ohne Vergnügen daraus zu ziehen.
»Man sieht sich, Raina.«
Vanessa
Ich summte den Popsong mit, der aus den Deckenlautsprechern spielte, ganz leise, damit mich niemand in dem geschäftigen Coffeeshop hörte.
»Veronica!«, schrie der Barista quer durchs Café.
Ich fuhr zusammen und landete wieder in der Realität. Ich drängte mich bis nach vorne durch und nahm ihm das Tablett ab. »Vanessa«, korrigierte ich.
Doch die Gelegenheit, seinen Fehler zuzugeben, bekam er nicht mehr, denn in diesem Moment klingelte mein Handy, und er verschwand, während ich es aus meiner Tasche fischte. Meine Mutter.
»Mom, hallo.« Ich drückte das Gerät ans Ohr und balancierte das Tablett mit den Kaffeebechern aus dem Café.
»Wie geht es dir, Liebes? Ist alles in Ordnung?« In ihrem freundlichen Südstaatenakzent schwang Sorge mit.
So begannen viele unserer Gespräche: Als würde sie mich jedes Mal mitten in einer Katastrophe antreffen, wenn ich ans Handy ging. Ich verdrehte die Augen und stieß einen genervten Seufzer aus.
»Alles ist bestens.«
Es war immer alles bestens. Selbst wenn nicht alles bestens war. Selbst wenn in meinem Leben tatsächlich was schieflief. Sie sollte auf keinen Fall glauben, dass dieser Umzug all die schrecklichen Dinge zur Folge hatte, die sie schon immer befürchtet hatte. Der Wind pfiff durch die Straße, während ich mich durch Grüppchen von Passanten und ihre lauten Gespräche schlängelte.
»Wo bist du?« Ihre Stimme wirkte klein und unwichtig in dem steten Trubel und Lärm der Stadt.
»New York City, Mom. Es ist laut hier.«
Als sie daraufhin schwieg, sah ich förmlich ihren Gesichtsausdruck vor mir und wie sie den Kopf schüttelte. Sie würde nie verstehen, warum ich hier lebte. New York war das genaue Gegenteil von der Gegend, aus der ich stammte, und genau deswegen fand ich es hier so toll. Sie hatte mich lange genug in meiner Heimatstadt eingesperrt, meine Zukunft lag nicht in Callaway.
In dieser kleinen Stadt in Florida war ich jemand anderes gewesen: das schlaue Mädchen mit den großen Sommersprossen, den Secondhandklamotten und der alleinerziehenden Mutter. Meine Mutter servierte quasi der gesamten Stadt Kaffee und fettiges Frühstück im Diner. In Callaway war es unmöglich, Geheimnisse zu haben. Hier wusste jeder alles vom anderen, und es wurde sich fleißig das Maul zerrissen, um von den eigenen Geheimnissen abzulenken.
Zu Hause erzählte man sich, dass ich in die große Stadt gezogen sei, um an der Wall Street Karriere zu machen. Mehr sollten sie auch nicht wissen. Und hier konnte ich anonym bleiben, mich tausendmal neu erfinden, und nur eine Handvoll Leute wusste davon. Und Gott sei Dank war ich in dieser riesigen Stadt in guter Gesellschaft.
»Bist du bereit für deine Reise?«, fragte meine Mom.
In unvermindertem Tempo lief ich weiter die Straße hinauf. Die Abgase der dahinschleichenden Taxis hingen in der Luft. Wenn ich irgendetwas von zu Hause vermisste, dann die frische Luft. Doch schon bald würde ich in den Genuss von frischer Meeresluft kommen, und darauf freute ich mich sehr.
»Mehr als bereit.«
Sie seufzte wieder. »Es gefällt mir gar nicht, dass du alleine unterwegs bist.«
Wieder verdrehte ich die Augen. Gott sei Dank sah sie es nicht. Sie meinte es ja nur gut mit ihrer ständigen Sorge.
»Ich bin doch gar nicht allein. Eli und die anderen Gäste sind die ganze Zeit dabei.«
»Maya auch?« Ihre Stimme wurde sanft, als sie den Namen meiner besten Freundin aussprach. Sie liebte Maya.
»Sie und Cam sind schon heute Morgen geflogen, um mit den Vorbereitungen zu beginnen.« Ich lächelte bei dem Gedanken daran, dass sie sich bereits auf der Insel befanden. Nach diesem stressigen Winter hatten sie sich eine Auszeit zu zweit verdient.
»Ich wünschte, ihr würdet alle stattdessen hierherkommen.«
»Maya hat dich doch auch zur Hochzeit eingeladen, Mom. Du hättest zusagen sollen. Das wäre wie Urlaub gewesen. Ein Urlaub, den wir beide nie zusammen gemacht haben.«
»Vanessa.«
In der Art, wie sie leise meinen Namen sagte, lag kein Vorwurf. Ich spürte ihre Traurigkeit, die Enttäuschung, die keine Worte des Vergebens je mildern konnten.
»Schon gut, Mom. Aber es ist schon komisch, dass du so ungern reist, nachdem du dein halbes Leben umhergezogen bist.«
Es schien, als hätte sie in der Sekunde, als sie hochschwanger mit mir aus dem Tourbus meines Vaters stieg, die Lust verloren, sich vom Fleck zu bewegen. Selbst zu den wenigen kurzen Trips nach New York musste man sie überreden, und sie wurden stets sorgfältig geplant.
»Phil bekommt nicht so lange frei. Und wenn er frei hat, will er seine Ruhe.«
Sie hatte meinen Stiefvater geheiratet, als ich in der Highschool war. Damals war ich schon mit einem Fuß aus dem Haus, weshalb ich nie eine echte Bindung zu meinem neuen »Dad« aufgebaut hatte. Angeblich war Phil die Liebe ihres Lebens, aber mit ihm zusammen strahlte sie nie so wie bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ich sie überreden konnte, mir von meinem Vater zu erzählen. Phil hatte die Persönlichkeit einer Limabohne, aber sie wirkten recht glücklich miteinander. Er war loyal, verlässlich und anscheinend ebenso entschlossen, sein Leben immer an dem gleichen Fleck zu verbringen wie sie.
»Oh!« Ihre Stimme kletterte eine Oktave höher. »Du errätst nie, wen ich im Rathaus getroffen habe. Phil und ich waren da, um die Steuern zu bezahlen, und sind dann Michael Browning in die Arme gelaufen. Wusstest du, dass er als Bürgermeister kandidiert? Er wäre der jüngste Bürgermeister, den wir je hatten. Es heißt, er habe gute Chancen auf den Sieg.«
»Schön für ihn. Hör mal, ich muss auflegen.«
»Nein, musst du nicht«, sagte sie tadelnd. »Er hat nach dir gefragt und wollte wissen, wie es dir geht. Er sieht noch genauso gut aus wie damals, als ihr ein Paar ward. Ich habe nie verstanden, warum ihr euch getrennt habt.«
Während meine Mutter damit beschäftigt gewesen war, für ihren neuen Ehemann zu putzen und zu kochen, war ich irgendwie auf den Radar von Callaways regierendem Abschlussballkönig geraten, zur Enttäuschung der zahlreichen Mädchen, die bei ihm Schlange standen.
Michael Browning war der Typ Junge, den alle Mädchen begehrten und mit dem alle Jungen abhängen wollten: lustig, aus guter Familie, mit vielversprechender Zukunft und einer Schwäche für Mädchen aus dem falschen Teil der Stadt. Genau der Typ, den meine Mutter sich für mich wünschte. Jemand, der sich grundlegend von dem Herumtreiber unterschied, der weder die Zeit noch den Wunsch hatte, mich großzuziehen.
»Unsere Trennung hatte viele Gründe. Unter anderem auch den, dass ich nicht den Rest meines Lebens in Callaway verbringen wollte, er aber schon.«
»Du redest, als wäre es der schlimmste Ort auf Erden. Warum du lieber in dieser schmutzigen Großstadt mit all den vielen Menschen lebst, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben. Dein Leben war doch hier.«
»Das ist dein Leben, und ich freue mich für dich, ehrlich. Aber jetzt gerade stehe ich vor Davids Wohnung. Ich muss los. Er wartet auf mich.« Ich war zwar immer noch einen Block vom Loft meines Bosses in Soho entfernt, aber es war besser, schnell aufzulegen, bevor das Gespräch noch unangenehmer wurde. »Ich schreibe dir eine SMS, wenn ich gelandet bin«, fügte ich hinzu.
»Danke. Du weißt ja, dass ich mir die ganze Zeit Sorgen machen werde.«
»Ja, das weiß ich, aber es gibt wirklich keinen Grund dafür.«
Sie schwieg einen Moment. »Ich liebe dich, mein Schatz«, sagte sie, jetzt wieder sanft und liebevoll, wie eine Mutter, die ihrem kleinen Mädchen Gute Nacht sagt und ihr verspricht, dass alles gut wird.
Mein Ärger schmolz, und für einen Moment war sie wieder meine Mutter, und nicht eine Frau, die ihre Träume aufgegeben hatte und nicht verstehen konnte, warum ich an meinen festhielt.
»Ich liebe dich auch, Mom.«
Vor meinem Ziel angekommen, wartete ich einen Moment und blickte hoch zu der Stelle, an der das Gebäude auf den blaugrauen Himmel traf. Ich ließ mich von der kühlen Frühlingsluft umwehen und ging im Geiste noch einmal das Gespräch durch, das ich gerade so eilig abgewürgt hatte. Doch schließlich schüttelte ich den Kopf, verärgert über mich selbst, weil die Unterhaltung unerwünschte Gefühle in mir geweckt hatte.
Melody Hawkins und ich mochten nicht immer einer Meinung sein, aber sie war meine Mutter und damit ein Teil von mir, egal wie viel Distanz ich zwischen uns legte. Ich hatte es schon lange aufgegeben, ihr zu erklären, warum das Leben, das sie sich für mich wünschte, nichts für mich war, denn das war unmöglich, ohne dabei auch schlecht über ihr Leben zu reden.
Das wollte ich ihr nicht antun. Es wäre nicht fair, sie dafür zu kritisieren, dass sie das Beste aus dem machte, was das Schicksal ihr beschert hatte. Sie kam aus einer großen Familie, in der man nie genug Zeit für sie gehabt hatte, hatte sich in den falschen Mann verliebt und war von ihm schwanger geworden. Doch sie hatte immer gut für uns beide gesorgt.
Ich hatte einiges erreicht, seitdem ich aus Callaway weggegangen war, und wollte nicht zurückschauen. Ich wollte nicht an die Kleinstadt denken, in der sie mich großgezogen hatte, oder an Michael Brown, der jetzt Karriere machte. Mein neues Leben entwickelte sich zu rasant, mein altes war längst vorbei. Nichts von all dem hatte mehr Bedeutung.
Ich atmete die Stadtluft ein, stieß sie mit einem müden Seufzer wieder aus und betrat das Gebäude. Als ich mich dem Empfangstisch näherte, hob ein junger Mann in einem schlecht geschnittenen grauen Anzug den Blick.
»Ich bin Vanessa Hawkins. Ich möchte gerne zu David Reilly«, sagte ich mit einem höflichen Lächeln.
»Einen Moment.« Er hielt das Telefon ans Ohr. »Eine junge Frau ist hier für sie, Mr Reilly. Vanessa Hawkins. Soll ich sie hochschicken?«
Mein Magen zog sich zusammen, als Reillys gedämpfte Stimme durch den Hörer drang. Mein Instinkt vielleicht. Oder die übliche Reaktion meines Körpers auf ihn, selbst bei dieser Distanz.
Der junge Mann legte auf und wies mit einem Nicken zu den Aufzügen. »Er erwartet Sie. Sie können gleich hoch.«
Im Aufzug lehnte ich mich gegen das kühle Metall der Kabinenwand und ließ meine Gedanken hin und her wandern zwischen meinen Plänen für den heutigen Abend und dem dringend benötigten Urlaub, den ich in weniger als vierundzwanzig Stunden antreten würde.
Obwohl es Samstag war, hatte Reilly mich zu sich bestellt, und ich hatte zähneknirschend eingewilligt. Die Reinigung schickte seine Kleidung immer noch in sein Stadthaus auf der Upper East Side, doch statt mich zu bitten, ihnen einfach die neue Adresse mitzuteilen, bestand er darauf, dass ich seine Sachen abholte und zu ihm brachte, damit er für die Meetings in der kommenden Woche ausgestattet war.
So trieb David Reilly mich immer wieder an die Grenzen meiner Geduld, seit zwei Jahren bereits. Mal war es mehr, mal weniger schlimm, aber immer, wenn ich glaubte, ich hätte endgültig die Schnauze voll von ihm, brachte ich doch noch den Willen auf, ihn ein bisschen länger zu ertragen. Jeden Tag versicherte ich mir aufs Neue, dass es das alles irgendwann wert sein würde.
Der Aufzug öffnete sich, und ich trat hinaus, dann schlossen sich die Türen leise hinter mir. Als ich mich in dem Loft umblickte, fühlte ich mich auf einmal sehr klein und fehl am Platze. Wow, beneidenswert! Ich war sprachlos angesichts des glänzenden dunklen Holzbodens, der schlichten modernen Möbel und der Glastüren, die die wenigen Zimmer voneinander trennten. Für New Yorker Verhältnisse war die Wohnung riesig, auch wenn die frei schwebende Treppe nicht noch in einen zweiten Stock führen würde. Ich wollte nicht wissen, wie viele Quadratmeter dort noch warteten. Ich hatte keine Ahnung, was so eine Wohnung kostete, aber so wie ich Reilly kannte, hatte ich keinen Zweifel daran, dass er sie sich leisten konnte.
Reilly kam schnellen Schrittes die Treppe herunter und auf mich zu. Er trug einen dunkelbraunen Pullover, Jeans und weiche braune Slipper an den nackten Füßen. Seine Ungezwungenheit versetzte mich in Alarmbereitschaft. Ich sah ihn nur selten in etwas anderem als seinen Designeranzügen. Er wirkte irgendwie zugänglicher, obwohl mir nicht eine Gemeinsamkeit mit ihm eingefallen wäre – abgesehen von der Tatsache, dass wir beide menschliche Wesen waren.
Mit seinen scharfen Gesichtszügen und den schlauen grauen Augen sah er nicht schlecht aus. Vielleicht eins sechsundsiebzig groß, aber fit und von einer so starken natürlichen Präsenz, dass ich nicht im Traum daran gedacht hätte, mich mit ihm anzulegen, obwohl ich genug Gründe dazu hätte, seit ich für ihn arbeitete. An der Wall Street gab es nur wenige Männer und Frauen, die sich das trauten.
Er streckte die Hand nach den Bügeln mit der gereinigten Kleidung aus, die über meinem schmerzenden kleinen Finger hingen. »Gut«, sagte er und warf die Plastikhüllen über einen Stuhl mit schwarz-weiß gemustertem Bezug – ein kühler, moderner Look, der zum Rest des Raumes passte.
Ich blinzelte, um wieder zu mir zu kommen. Dieses Loft, der andere Reilly vor mir, das war ein bisschen viel für mich.
»Eine hübsche Wohnung. Wenn Sie erst ausgepackt haben, wird das sicher ganz toll hier aussehen.«
War das etwa ein Lächeln? »Sie hätten mal das Stadthaus am Sutton Place sehen sollen.«
Wenn das Haus, das er mit seiner Ex bewohnt hatte, nur halb so luxuriös war, hätte ich nichts dagegen gehabt, auch dort herumzustehen und zu gaffen, so wie jetzt. »Das war sicher sehr schön, daran habe ich keinen Zweifel.«
Sein Blick wurde hart, und mein Magen zog sich erneut zusammen. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Er machte ein undefinierbares Geräusch, und seine Kiefermuskulatur arbeitete. »Tja, die Hexe kann es gerne haben«, brummte er.
Nervös knabberte ich an der Innenseite meiner Lippe. Die Tinte auf seinen Scheidungspapieren war noch nicht ganz getrocknet, und dies war, so schien es, die letzte Etappe seiner endgültigen Trennung von Cheryl. Mittlerweile sprach er nur noch selten von ihr. Seit ich seine persönliche Assistentin war, hatte sich ihr gesellschaftliches Leben kaum überschnitten, soweit ich es mitbekam. Sie war oft auf Reisen, eine gute Entschuldigung, um nicht an Firmenevents teilzunehmen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum es so wichtig war, dass ich dort erschien.
»Ich habe Kaffee mitgebracht.« Ich löste seinen Becher mit einer Drehung aus dem Tablett in meiner Hand und reichte ihn ihm. Ein großer Triple Mocha, halb normal, halb entkoffeiniert, fettfreie Milch. Er hatte zwar nicht darum gebeten, aber ich ging lieber auf Nummer sicher.
Er nahm den Becher, ohne meinem Blick zu begegnen. »Ein bisschen spät für Kaffee.«
Kein Problem, gern geschehen, erwiderte ich im Stillen. Wie so oft. Vielleicht würde er mir mehr Respekt entgegenbringen, wenn ich ihn tatsächlich mal einfordern würde. Aber das Risiko, dass er mich dann einfach feuerte, war größer.
Er nahm einen Schluck, drehte sich um und ging weg. »Aber ich habe ja auch noch viel auszupacken«, sagte er und begann, das Klebeband von einem der Kartons zu ziehen, die in der Mitte des Raumes gestapelt waren.
Er warf mir einen Seitenblick zu, den ich sofort übersetzte mit: Wollen Sie mir nicht helfen?
Das erwartete er also von mir. Und an jedem anderen Tag hätte ich auch ohne zu zögern meine Hilfe angeboten. Im Büro war ich stets sofort zur Stelle, wenn er mich brauchte. Aber heute war Samstag, gottverdammt, und mir steckte die Arbeitswoche in den Knochen – ein paar Martinis und Spaß mit meinen Freunden waren nun genau das Richtige.
»Dann lasse ich Sie besser allein. Ich habe noch nicht mal für meine Reise gepackt«, log ich. Natürlich stand mein Koffer längst fertig bereit. Sogar meine Haarprodukte waren in kleine Plastikfläschchen abgefüllt. Die Zeit bis zur Abreise konnte nicht schnell genug vergehen. Und trotzdem: Noch während ich an fruchtige Drinks und Sonnenschein dachte, wandelte sich meine Vorfreude nach und nach in ein schlechtes Gewissen.
»Das wird hart ohne Sie nächste Woche.« Reillys barscher Ton ließ keinen Zweifel daran. »Lassen Sie Ihr Handy an?«
»Ich weiß nicht, wie der Empfang dort ist«, murmelte ich.
Ein weiterer undefinierbarer Laut erklang. Übersetzt: Dann finden Sie es raus, Vanessa. Keine Ahnung, ob meine Fähigkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen, mich zu einer ausgezeichneten Assistentin machte oder ein Zeichen war, dass ich langsam verrückt wurde. Wie dem auch sei, ich wusste jetzt schon, dass der Abend lang werden würde.
»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte ich schließlich ergeben und hasste mich dafür, aber die Antwort, die unweigerlich folgen würde, hasste ich sogar noch mehr.
Er ruckte mit dem Kopf in Richtung der Küche und den hohen Fenstern, die zum Teil von den aufgetürmten Kartons verdeckt wurden.
»Sie können dort drüben anfangen.«
Vanessa
»Ladies kommen umsonst rein.« Der Typ, der den Eingang von The Bearded Lady bewachte, wies mit einem Nicken auf Eli. »Zehn Mäuse.«
Eli zeigte offen seinen Ärger, indem er die Augen verdrehte, während er dem Mann einen Zehner in die Hand drückte. Der stempelte unsere Hände, was uns Zugang zu der bereits gut besuchten Bar in Brooklyn verschaffte.
»Ich kann nicht glauben, dass er mich hierfür bezahlen lässt«, sagte Eli.
»Dass du schwul bist, heißt nicht, dass du gratis rein kannst.«
Ich drängte mich durch die Menschenmenge. Vier Stunden und eine voll ausgestattete Küche später hatte ich mich endlich aus Reillys Fängen befreien können. Nun war ich zwar fertig mit den Nerven, aber fest entschlossen, das Beste aus den wenigen Stunden bis zum Abflug morgen früh zu machen.
Denn der Samstagabend war mir heilig. »Hart arbeiten, heftig feiern«, das war unser Motto. Nur deswegen hatte ich noch nicht komplett durchgedreht, auch wenn wir es nicht mehr ganz so wild trieben, seit Maya nicht mehr mit von der Partie war. Fast zwei Jahre arbeitete ich jetzt in dieser Firma, doch sie fühlten sich an wie zwölf. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mal keine Überstunden gemacht und meine Zeitplanung nach Reillys zahlreichen Launen und Wünschen gerichtet hatte.
»Wenn du mich auf diesen Fleischmarkt schleppst, musst du auch damit rechnen, dass ich rumzicke.« Eli strich sich mit den schlanken Fingern durch das rabenschwarze Haar, das stets ein wenig zu lang war. Die Spitzen seines Ponys waren stahlblau gefärbt und passten perfekt zu dem hellblauen Band-Logo auf seinem T-Shirt.
Ich erkämpfte mir einen Platz am Tresen, in der Hoffnung, einen Drink bestellen zu können. »Die erste Runde geht auf mich, dann sind wir quitt.«
Vergeblich versuchte ich, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf mich zu lenken. Da ich nicht mein übliches Bar-Outfit trug, war mein Dekolleté nicht eindrucksvoll genug.
Eli scannte derweil den Raum. »Ich muss sagen, die Aussicht ist nicht übel. Offenbar zieht die Ladies Night gut aussehende Männer an, was?«
Ich lächelte. So schnell wendete sich das Blatt. »Ich dachte, du hasst den Fleischmarkt.«
Mit einem Seufzer neigte er den Kopf. »Das hängt vom Fleisch ab.« Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Oh, dort drüben sehe ich was Leckeres.«
Ich folgte seinem Blick, in der Erwartung, eine von Elis alten Flammen zu sehen.
Ja, in der Tat, keine üble Aussicht. Wenige Meter entfernt stand Darren Bridge. Eigentlich hätte mich der Anblick eines Mannes, den ich kaum kannte, nicht so aufwühlen sollen, doch plötzlich schlug mein Herz doppelt so schnell. Irgendetwas an ihm zog mich magisch an …
Ich wünschte, ich wäre immun gegen dieses Etwas gewesen, aber wenn er in meine Nähe kam, ging der Bad-Boy-Alarm in meinem Kopf los. Dabei konnte ich einen Bad Boy ebenso wenig in meinem Leben gebrauchen wie einen zweiten Job. Aber ein bisschen gucken schadete ja nichts.
Er trug ein schlichtes weißes T-Shirt, das die beeindruckende Statur darunter kaum verhüllte. Der Mann war ein Tier im Fitnessstudio. Doch es war nicht nur der harte, muskulöse Körper, der ihn so verdammt attraktiv machte. Sein Gesicht war von mir abgewandt, deswegen musste ich mich mit dem begnügen, was ich sehen konnte. Dunkles Haar, an den Seiten kurz, aber oben länger und ein wenig verwuschelt, das dazu einlud, mit der Hand hindurchzufahren. Olivfarbene Haut, um die ich ihn beneidete, und durchtrainierte Muskeln an Hals und Unterarmen. Jetzt wandte er sich leicht in meine Richtung und zeigte seine geraden Zähne bei einem umwerfenden Lächeln.
Schenkte er dieses Lächeln gerade einer Frau? Überrascht hätte es mich nicht, aber er sprach mit einem Typen, der nicht weniger muskulös und gut aussehend war. Darren schien unnatürlich schöne Männer genauso mühelos in seinen Bannkreis zu ziehen wie die Frauen, die ihn überall in der Bar mit den Augen verschlangen. Ich eingeschlossen.
Eli versetzte mir einen Stoß mit dem Ellbogen und bedachte mich mit einem wissenden Lächeln.
»Halt die Klappe«, warnte ich ihn.
Er lachte. »Ich sag doch gar nichts. Aber dein Gesicht …«
»Es würde nicht gut gehen, und das weißt du. Er bricht hauptberuflich Herzen.«
»Nachdem er dein Bett zum Zusammenbrechen gebracht hat. Ich wette, er vögelt wie ein Dämon.«
Allein bei der Andeutung überlief mich eine unangenehme Hitzewelle. Das hätte ich schon gern herausgefunden …
Ich widerstand dem Drang, Eli noch einmal zu sagen, er solle die Klappe halten, damit er nicht noch weiter von Darren Bridge schwärmte. Er spielte ohnehin bereits seit Monaten die Hauptrolle in meinen Fantasien, seit unserer ersten Begegnung. Doch schon damals hatte Maya mich gewarnt: Darren sei eine männliche Schlampe, ich solle Abstand halten, wenn ich klug war. Das war mir nicht schwergefallen, denn obwohl Alkohol und eine Nacht im Club oft genug dazu verleiteten, Dummheiten zu machen, hatte er mir zum Abschied bloß ein Küsschen auf die Wange gegeben, auch wenn er den ganzen Abend nicht von meiner Seite gewichen war. Entweder stimmten die Gerüchte nicht, und er war tatsächlich ein Gentleman, oder – und das erschien mir wahrscheinlicher – ich war nicht sein Typ, und er hatte mir nur aus Höflichkeit Gesellschaft geleistet.
Ich drehte mich um und lehnte mich gegen den Tresen. Frustriert gab ich es auf, den Barkeeper auf mich aufmerksam machen zu wollen. Außerdem hatte ich weiß Gott lange genug auf Darrens muskulösen Rücken geglotzt.
»Typen wie Darren sehen auf den ersten Blick immer toll aus. Das täuscht. Niemand ist so sexy und auch noch gut im Bett.«
Eli zog eine Braue hoch. »Was ist das denn für ein Quatsch?«
Ich zuckte mit den Schultern. Manchmal stellte ich irgendwelche Regeln auf, nur damit mir mein eigenes Leben nicht so trist vorkam. Natürlich wusste ich, dass die Theorie Blödsinn war. Cameron war genauso umwerfend, und bislang hatte ich von Maya keine Beschwerden gehört. Andererseits waren sie schon seit Jahren ineinander verliebt. Ich dagegen hatte schon lange nicht mehr das Vergnügen gehabt, mit jemandem zu schlafen, den ich liebte. Und falls Darren seinem Ruf gerecht wurde, dürfte er zwischen seinen vielen Affären kaum dazu gekommen sein, sich zu verlieben.
»Miss?«
Als ich mich umblickte, standen wie durch Zauberhand zwei Dirty Martini vor mir.
»Die habe ich nicht bestellt.«
»Wollen Sie sie nehmen? Der Typ da drüben hat sie auf seine Rechnung schreiben lassen.« Der Barkeeper, der mich eben noch so ausdauernd ignoriert hatte, zeigte mit dem Daumen hinter sich.
Ich kniff die Augen zusammen. »Welcher Typ?«
»Ich glaube, der da, V.« Eli stupste mich erneut an, dieses Mal sanfter.
Gleich darauf war eine warme Hand an meiner Hüfte und strich leicht über meinen Rücken, als ich herumfuhr. Mir stockte der Atem, als ich zu Darren hochblickte. Irgendwie schien er allen Sauerstoff um mich herum aufzusaugen.
»Nicht dirty genug?« Er lächelte.
Mein Herz begann wieder zu rasen.
»Was?« Meine verwirrte Antwort ging im Lärm der Bar unter.
Er kam näher, woraufhin der kühle Duft seines Aftershaves über mich hinwegwehte und sein warmer Atem mein Ohr kitzelte. »Grey Goose Martini, extra dirty. Denkst du, das hätte ich vergessen?«
Oh. Ich verspürte leise Enttäuschung, dass er mich nicht mit einer sexuellen Anspielung hatte provozieren wollen. Aber offenbar hatte er sich gemerkt, was ich gerne trank.
»Danke. Ich meine, das war doch nicht nötig.« Ich war mir nicht sicher, ob das die richtige Antwort war, aber irgendwie konnte ich in seiner Nähe nicht mehr geradeaus denken. Vermutlich weil sein warmer Körper nur wenige Zentimeter entfernt war. Vermutlich weil sein sexy Lächeln und das Funkeln in seinen Augen eine lähmende Wirkung auf mich hatten, wie wohl auf die meisten Frauen.
Eli hob die Hand und winkte leicht, was Darrens Aufmerksamkeit von mir ablenkte. »Ich bin Eli, falls du es vergessen haben solltest.«
»Schön, dich wiederzusehen.« Darren löste die Hand von mir und streckte sie Eli hin. »Bald geht’s los. Freut ihr beide euch schon?«
»Auf die Cayman Islands!« Eli hob mit großer Geste sein Martiniglas und stieß mit Darrens Bierflasche an. Dann nahm er einen Schluck und runzelte die Stirn, um kurz darauf sein klingelndes Handy aus der Tasche zu fischen und es an sein Ohr zu drücken. »Taylor, bleib dran«, rief er ins Telefon. Er hob einen Finger, um mir zu bedeuten, dass er gleich zurück sein würde.
Sofort besetzte Darren den Platz, wo Eli eben noch gestanden hatte, und stützte einen Arm so auf die Theke, dass er sich um mich legte. »Kommst du oft hierher?«
Fast hätte ich mich an meinem Drink verschluckt. Hatte er mich das wirklich gerade gefragt?
Er schenkte mir ein breites Lächeln, das seine geraden weißen Zähne entblößte. »Die Frage war ernst gemeint, kein Flirtspruch. Ehrlich.«
»Klar. Na ja … Noch nicht, aber das wird sich wahrscheinlich in ein paar Wochen ändern, wenn ich bei Eli eingezogen bin. Ich übernehme Mayas Mietvertrag, deswegen werde ich dann abends häufiger hier in der Gegend sein.«
Er nickte. »Und … freust du dich darauf?«
»Ja. Eli ist einer meiner besten Freunde, und ich habe nicht gern allein gewohnt. Die Veränderung wird mir guttun. Ich arbeite viel, und Eli hilft mir, Abstand vom Job zu gewinnen. Außerdem ist es schön, näher bei Maya zu wohnen. Seit sie die Firma verlassen hat, sehe ich sie kaum noch.«
Schweigen breitete sich zwischen uns aus, und sofort spulte ich das Gesagte noch einmal im Kopf ab. Hoffentlich hatte es nicht so unbeholfen und verzweifelt geklungen, wie ich mich fühlte. Die Arbeit war mein Leben, und meine Freunde bedeuteten mir alles. Ich vermisste Maya, und seit sie bei Cameron eingezogen war, waren Eli und ich uns sehr viel nähergekommen. Ich drehte eine Haarsträhne um meine Fingerspitzen und stieß einen Seufzer aus. »Tut mir leid, die letzten Monate waren ziemlich stressig für mich. Es hat sich so vieles verändert.«
»Das verstehe ich. Cameron ist auch nicht mehr derselbe. Ich meine, er ist mein Bruder, und wir werden uns immer nahestehen, aber jetzt ist es anders. Maya steht für ihn an erster Stelle.«
»Cameron ist ein toller Kerl.«
»Er ist großartig. Maya kann sich glücklich schätzen.«
Ich entdeckte eine kleine Falte zwischen seinen dunklen Augenbrauen.
»Genauso wie er«, konterte ich. Maya mochte manchmal anstrengend sein, aber Cameron hatte sie durch die Hölle geschickt, als er sie nach seinem halbgaren Heiratsantrag vor einigen Jahren einfach hatte sitzen lassen. Zwar hatte sie sich trotz allem nicht unterkriegen lassen, aber am Ende war es für beide gut, dass sie einander wiedergefunden und ihrer Beziehung eine zweite Chance gegeben hatten.
Darren schenkte mir ein kleines Lächeln. »Na schön.« Er beugte sich wieder näher zu mir, obwohl ich ihn prima hören konnte. »Wo ist denn deine bessere Hälfte?«
Ich schüttelte den Kopf und starrte in meinen Drink. »Da gibt es keinen.« Es gab in meiner Welt nur David Reilly, und ich konnte es kaum erwarten, möglichst viel Distanz zwischen uns zu bringen. Ich hob das Glas an meine Lippen. Ich genoss den Geschmack von Olive, Essig und Wodka auf meiner Zunge, und die Aussicht auf Entspannung, nachdem er mich den ganzen Tag herumkommandiert hatte, lockerte meine Schultern. Ich hielt einen Seufzer zurück.
»Gut?« Darrens Blick wanderte von dem Drink über meinen Körper, auf und ab, und dann wieder hoch zu meinem Gesicht.
Als sich unsere Augen trafen, wurde ich aufs Neue daran erinnert, wie schön seine waren. Hellbraun mit grünen Flecken. Hypnotisierend. Auf eine beunruhigende Art.
»Perfekt, genau wie ich ihn mag. Erstaunlich, dass du das noch weißt. Es ist doch schon ein Weilchen her.« Ich leckte mir über die Lippen. Hatte er mich gerade ausgecheckt? Nein, unmöglich.
Sein Blick wurde weicher, und etwas Dunkles erschien in seinen Augen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diesen ganzen Abend niemals vergessen werde.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten schlicht die Worte. Offensichtlich flirtete Darren mit mir, und zwar auf eine Art, wie er es zuvor nicht getan hatte, und ich konnte nicht damit umgehen. Mein Körper schrie: Sag was, fass ihn an, zeig ihm, was du empfindest. Aber mein Verstand war clever genug und hielt dagegen.
Was jetzt? Sollte ich mich diesem unglaublich sexy Mann an den Hals werfen oder ihn zu Tode quatschen? Glücklicherweise ersparte Eli mir die schwere Entscheidung, indem er in die Bar zurückkehrte und auf mich zusteuerte, gefolgt von dem Mann, mit dem Darren vorhin geredet hatte. Von Nahem war er noch beeindruckender: groß und schlank, hellbraune Haut, Augen von einem kühlen Grau-Blau. Vermutlich war er von gemischter Abstammung, und ich fragte mich, welche Kombination solch attraktive Gesichtszüge hervorbrachte.
Darren wandte sich an ihn. »Vanessa, das ist Ian Savo. Wir sind bei der Feuerwehr beide in Ladder 9.«
»Und ich bin Eli.« Eli schüttelte Ian die Hand.
»Schön, dich kennenzulernen, Eli. Dich auch, Vanessa. Ich habe schon viel von dir gehört.« Er wandte sich an Darren. »Ich möchte nicht stören, aber ich will dich jemandem vorstellen. Kann ich dich einen Moment loseisen?«
Darren runzelte leicht die Stirn, bevor er einen letzten Schluck aus seiner Flasche nahm und sich von der Bar löste, indem er sich aufrichtete und so viel Abstand zwischen uns brachte, dass ich die Wärme seines Körpers nicht mehr spürte.
»Klar.« Er schenkte mir ein knappes Lächeln, das meine eigene Enttäuschung zu spiegeln schien. »Ich bin gleich wieder da, okay?«
Ich nickte wortlos und sah ihm nach, als er mit seinem Freund verschwand. Es war, als würde man den Sonnenuntergang beobachten und dabei spüren, wie die Wärme der Sonne langsam schwand.
Schluss damit! Schnell wandte ich mich zu Eli um, der gerade auf sein Handy starrte und einen Nachrichten-Thread las.
»Was wollte Taylor?«
»Sich mit mir treffen. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich heute mit dir betrinke. Das hat ihm nicht gefallen.«
Taylor war Elis Immer-mal-wieder-Freund. Alles ganz »unverbindlich«, da Taylor Fotograf war und viel reiste. Das Problem war nur: Eli war nicht der unverbindliche Typ.
»Muss er schon wieder los?«
Eli nickte. »London.«
Er würde es nie zugeben, aber er war total verknallt in Taylor, und litt jedes Mal Höllenqualen vor Eifersucht, wenn er auf Reisen war. Das Ergebnis war, dass Eli Gelegenheiten wie diese nutzte, um sich zu rächen, indem er ihm zeigte, dass auch er seinen Spaß haben konnte. Allerdings war er, soweit ich wusste, seinem »Freund«, der keiner war, bisher stets treu geblieben.
Ich seufzte und wünschte, ich könnte ihn irgendwie aufmuntern. »Ich würde ja gern sagen: Geh doch, kein Problem, aber dann würde ich ziemlich verzweifelt aussehen, so allein in einer Bar.«
»Nein, Scheiß drauf. Dazu sind Freunde schließlich da. Du sollst nicht verzweifelt aussehen. Apropos: Willst du noch einen Drink?«
Ich steckte mir die Olive in den Mund und nickte. »Selbstverständlich. Ich gehe kurz auf die Toilette. Bin gleich zurück.«
Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge. Die Schlange vor der Damentoilette war erfreulich kurz. Auf dem Rückweg fiel mein Blick auf Darren. Er stand am anderen Ende des Raumes, bei Ian und zwei Frauen. Ian machte sich gerade über die Brünette her, die beinahe genauso groß war wie er. Die Blonde hing an Darrens muskulösem Arm und lachte jetzt, als er etwas zu ihr sagte, den Mund dicht an ihrem Ohr, weil die Leute um sie herum offenbar zu laut waren.
Als hätte er meine Anwesenheit gespürt, hob er den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. Meine Wangen brannten heiß, und Enttäuschung durchflutete mich. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich endlich begriff, dass es dämlich aussehen musste, wie ich dastand, in einer vollen Bar, und Darren und seinen Harem anglotzte. Ich wandte den Blick ab, und während ich so schnell wie möglich zu Eli zurückkehrte, verfluchte ich mich selbst. Darren war ganz offensichtlich tatsächlich der Frauenheld, vor dem man mich gewarnt hatte, ich war nur zu blöd gewesen, um es zu sehen.
Kaum hatte ich Eli wiedergefunden, drang eine laute Stimme aus den Lautsprechern an der Wand.
»Ladies und Gentlemen, nun kommen wir zu dem heutigen Höhepunkt, auf den wir alle so geduldig gewartet haben: eure besten Karaokeauftritte. Schnappt euch einen Freund, sucht euch einen Song aus. Kommt hier rauf. Keine falsche Schüchternheit.«
Auf der Stelle riss ich Eli den frischen Drink aus der Hand. Ein mir bekannter Song dröhnte aus den Boxen, und auf einmal war es, als würde mir der Text buchstäblich unter die Haut gehen. Das Bedürfnis zu singen überkam mich und verdrängte die unerwarteten Gefühle, die Darren im Laufe des Abends in mir geweckt hatte. Mir war es nur recht. Entschlossen kippte ich die Hälfte meines Martini-Glases mit einem Schluck.
»Wow, was ist los?« Eli starrte mich mit großen Augen an.
Ich zeigte auf seinen Drink. »Trink aus. Das ist unser Stichwort.«
Darren
Mein Gesicht schmerzte, weil ich mich zwingen musste, die Blonde anzulächeln, die Ians Flirt mit ihrer Freundin aufmerksam beäugte. Am liebsten wäre ich zurück zu Vanessa gegangen, doch das konnte ich mir wohl abschminken, wie die Dinge jetzt standen. Im nächsten Moment, so als hätte das Universum meine stumme Bitte erhört, trat sie wieder in mein Blickfeld. Als sie die kleine Bühne in einer Ecke des Raumes betrat, leuchtete sie förmlich. Dunkles rotbraunes Haar und weiche rosa Lippen. Wie eben schon konnte ich den Blick nicht von ihr abwenden.
Sie war die Letzte, die ich auf dieser Bühne erwartet hätte. Nun stand sie da, mit einem Mikrofon in einer Hand, das Kabel wickelte sie immer wieder um die andere. Eli hüpfte neben ihr auf und ab, als könnte er es nicht erwarten loszulegen.
Gespannt wartete ich auf ihren Auftritt. Einerseits wünschte ich mir, dass sie mich ansah, andererseits auch nicht. Immer wieder musste ich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht denken, als sich unsere Blicke eben getroffen hatten. Sie war nicht die erste Frau, die ich aus dem einen oder anderen Grund warten ließ, aber ich konnte mich nicht erinnern, mich deswegen schon einmal so schlecht gefühlt zu haben wie heute Abend. Zweifellos dachte sie, ich hätte sie wegen der Blondine abserviert.
Und das stimmte auch.