9,99 €
"In jedem reichen Mädchen schlummert ein böses, das nur darauf wartet, dass der richtige Kerl es zum Spielen auffordert. Und dieser Kerl bin ich."
Olivia Bridge hat immer getan, was andere von ihr erwartet haben. Doch damit ist jetzt Schluss! Liv will endlich etwas riskieren und ihr Leben in vollen Zügen genießen. Da kommt ihr der Umzug nach New York gerade recht. Doch sie hat nicht mit dem charismatischen Investor Will Donovan gerechnet, der sie schon bei ihrer ersten Begegnung in seinen Bann zieht. Will entfesselt ein bisher unbekanntes Verlangen in ihr und entführt sie in eine Welt voller Sehnsucht, Leidenschaft und bedingungsloser Hingabe. Eine Welt, die außer Kontrolle gerät, als Wills bester Freund Ian in das Spiel einsteigt und Liv sich zwischen zwei Männern widerfindet, die keine Regeln zu kennen scheinen ...
Abschlussband der Erfolgsreihe von Spiegel-Bestseller-Autorin Meredith Wild
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 424
MEREDITH WILD
All For You
Verlangen
Roman
Ins Deutsche übertragenvon Sabine Neumann und Nina Restemeier
Olivia Bridge war immer das brave Mädchen, das genau wusste, was von ihm erwartet wird: ein guter Abschluss, die richtigen Freunde, keine One-Night-Stands und ein sicherer Job. Bisher hat sie sich stets an die Regeln gehalten, doch damit ist nun Schluss! Liv sehnt sich nach Abenteuer und Abwechslung, will endlich etwas riskieren. Da kommt das Angebot ihrer Brüder, ihnen in New York bei der Eröffnung einiger Fitnessstudios zu helfen, gerade recht. Doch bei aller Abenteuerlust hat Liv nicht mit dem verführerischen Investor Will Donovan gerechnet, der sich an gar keine Regeln zu halten scheint. Will zieht sie vom ersten Moment an in seinen Bann und erweckt ein bisher unbekanntes Verlangen in ihr. Er entführt sie in eine Welt voller Sehnsucht und bedingungsloser Hingabe, und Liv genießt es in vollen Zügen, ihre entfesselte wilde Seite auszuleben. Aber als sie Wills Vorschlag zustimmt, seinen besten Freund Ian Savo, der Liv schon lange aus der Ferne bewundert, in das Spiel aus Verführung, Lust und Leidenschaft miteinzubeziehen, werden ihre Gefühle vollends auf den Kopf gestellt – und ihr Herz ist nicht das Einzige, das in Gefahr ist …
Für Team Wild,
weil ihr genauso auf schlüpfrige Geschichten steht wie ich.
Olivia
Die dunklen Wände des Tunnels rasten verschwommen vor den Fenstern des Zugs vorbei. Der beißende Mief von zu vielen Menschen auf zu engem Raum mischte sich mit dem unnatürlichen Geruch der U-Bahn – irgendwie metallisch und gasartig zugleich.
Am anderen Ende des Waggons unterhielt sich lautstark eine Gruppe Teenager in Schuluniformen. Ein paar Männer mittleren Alters in Anzügen hielten sich an den Haltestangen fest und starrten dabei auf ihre Handys. Eine Frau mit langen grau melierten Haaren wirkte müde und abgekämpft, als hätte sie die ganze Nacht in der U-Bahn verbracht. Wir waren ein Potpourri der Kulturen und Lebensweisen, zusammengepfercht in diesem stickigen Metallkäfig.
Ich zuckte zusammen, als ich eine warme Hand an meiner spürte. Neben mir strich ein kleines Mädchen, nicht älter als fünf, zärtlich mit den Fingerspitzen über das Platinarmband an meinem Handgelenk. Das Tiffany-Armband war ein Geschenk meiner Eltern gewesen.
»Das ist so hübsch.« Sie sah mit hypnotisierenden braunen Augen zu mir hoch, die noch größer wurden, als sie lächelte.
»Danke«, sagte ich und erwiderte ihr süßes Lächeln.
Für ihr junges Alter war sie bemerkenswert. Eine echte Schönheit. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich ihre schmutzigen Fingernägel, und auch ihre Kleidung war dreckig am Saum. Neben ihr saß eine Frau, die ich für ihre Mutter hielt. Ihre gebräunte Haut war gezeichnet von feinen Linien – Alter und Erfahrung hatten ihre Spuren bei ihr hinterlassen. Sie blickte zwischen mir und ihrer Tochter hin und her und sprach mit ihr in einer Sprache, die ich nicht verstand, eine Aneinanderreihung von unbekannten Lauten in rügendem Tonfall. Das Mädchen zog schnell die Hand weg und sah zu Boden.
Es hatte mir bislang zwar noch nie jemand gesagt, aber ich war mir bewusst, dass mir mein privilegiertes Leben anzusehen war. New York City war also gleichzeitig das beste und schlimmste Zuhause, das ich mir vorstellen konnte. Jeden Tag traf auf den Straßen dieser Stadt extremer Reichtum auf extreme Armut. Ich hatte immer versucht, für mich einen Mittelweg zu finden, aber ich kannte eben nur dieses eine Leben, so wie es war.
Ich stieg an meiner Haltestelle aus, trat aus der betriebsamen Metrostation auf die genauso hektische Straße und atmete die stickige Luft aus, die ich mir die letzten zehn Minuten mit so vielen Menschen geteilt hatte. Ich fröstelte in der kühlen Morgenluft, denn mein knapp geschnittener Blazer ließ sich vorne nicht schließen und wärmte mich nur notdürftig.
Als ich um die Ecke bog, lag das Gebäude direkt vor mir. In erstklassiger Lage, nur einen Block von der U-Bahn-Station entfernt, entstand unser neues Fitnesscenter – ein Projekt, das ich gemeinsam mit meinen Brüdern Cameron und Darren monatelang geplant hatte.
Diese Woche sollten die Wände eingezogen werden. Baustellen waren nicht gerade mein Spezialgebiet, aber da ich am Design und Grundriss unseres zweiten Projekts mitgewirkt hatte, wollte ich es mir nicht nehmen lassen, kurz zu überprüfen, wie die Arbeiten voranschritten.
Vor dem Eingang blieb ich stehen. Über der Tür hing ein provisorisches Schild, auf dem stand: Hier entsteht Bridge Fitness, ein Donovan-Gebäude. Stolz erfüllte mich, als ich darüber nachdachte, was meine Brüder mit diesem Unternehmen alles erreicht hatten, völlig ohne die finanzielle Unterstützung unserer Eltern. Cameron und Darren schafften es ganz alleine, auch wenn es mithilfe des Vermögens unserer Familie viel einfacher gewesen wäre.
Als ich das Gebäude betrat, überrollte mich jedoch ein ganz anderes Gefühl. Ja, die Wände standen in der Tat. Direkt hinter der Tür trennte eine Wand den Eingangsbereich vom Rest des Fitnessstudios. Ich hatte mit dem Architekten stundenlang an den Entwürfen gesessen, und diese Wand sollte ganz bestimmt nicht dort stehen.
»Diese Wand gehört hier nicht hin«, sagte ich zu einem Arbeiter und zeigte auf die unerwünschte Fläche.
Der Arbeiter drehte sich zu mir um und deutete zum anderen Ende des Raumes hinüber, wo zwei Männer in ein Gespräch vertieft waren. »Der Boss ist da drüben, wenn Sie mit ihm darüber reden wollen.«
Ohne zu zögern, marschierte ich auf die beiden zu. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich mit entschiedenem Tonfall, kaum in der Lage, meine Verärgerung zu zügeln.
Sie drehten sich zu mir um. Der Ältere der beiden trug einen grauen Kurzhaarschnitt und hatte warme braune Augen. Der Jüngere verstummte, als er mich sah, und seine blauen Augen musterten mich von oben bis unten. Ich zupfte meinen Blazer zurecht. Leider hatte die kühle Morgenluft meine Nippel zu winzigen Drops gefrieren lassen – und das war für jeden unübersehbar.
Ich räusperte mich, bereit, den Typen den Arsch aufzureißen. »Wir haben ein Problem.«
»Was für ein Problem, Miss?«, fragte der ältere Mann.
»Das dort drüben sollte eine Glaswand sein. Die Pläne sehen das so vor.«
Jetzt meldete sich der jüngere Mann zu Wort. »Und wer sind Sie?«
Ich legte den Kopf schief, als sich seine Augen verengten. Dieses leuchtende Blau bohrte sich mit einer solchen Intensität in mich, dass mir ein Schauer über den Rücken lief.
»Ich bin Olivia Bridge.« Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihm die Hand zu schütteln. Der Name würde ihm ja hoffentlich etwas sagen.
Ich straffte die Schultern, auch wenn ich nicht mit der Größe dieses breitschultrigen Mannes vor mir mithalten konnte. Sein Gesicht besaß Modelqualitäten: kantige Wangenknochen und ein breiter Kiefer, dunkelblonde Haare, die ihm wirr in die Stirn fielen, und volle, schön geschwungene Lippen.
Aber der Typ war ein Bauarbeiter. Also nicht mein Typ. Absolut nicht. Unter seinem schlichten weißen T-Shirt zeichnete sich ein muskulöser Körper ab. Seine Jeans saß wie angegossen, eng an den Oberschenkeln, und sie wölbte sich dort, wo er seine Hände in den Taschen vergraben hatte – und an einer weiteren bemerkenswerten Stelle. Ich wandte schnell den Blick ab. An den Knien seiner Jeans bemerkte ich weißen Staub.
Ich tadelte mich innerlich dafür, ihn so auszuchecken. Er hatte ganz offensichtlich keinerlei Klasse, denn sein Blick klebte jetzt schon seit geschlagenen zehn Sekunden an meinen Brüsten.
Ich räusperte mich, um seine Aufmerksamkeit auf mein Anliegen zurückzulenken. »Das hier ist mein Projekt. Ich habe diese Pläne erarbeitet.«
Sein ungerührter Gesichtsausdruck machte mich von Sekunde zu Sekunde wütender.
Ich verdrehte seufzend die Augen. »Vielleicht sind Sie nicht der richtige Ansprechpartner. Wer hat hier die Leitung?«
Sein Mundwinkel zuckte, und er sah zu dem älteren Mann hinüber. »Tom, willst du das übernehmen?« Er deutete auf mich, als wäre ich das Problem, um das man sich kümmern müsste. »Ich sehe mal nach, wie es oben läuft.«
»Klar.« Tom rieb sich die Stirn und führte mich zurück zu der Wand. »Das hier ist also die Wand, die Sie meinen?«
»Ja. Sie muss aus Glas sein. Komplett. Die Leute sollen bereits beim Reinkommen alles sehen können, was wir zu bieten haben, keine Mauer. Sie müssen diese Wand sofort entfernen.«
»Okay.« Er runzelte die Stirn. »Anscheinend wurde etwas an den Plänen geändert.«
Ich zog die Brauen hoch. »Sie haben eine Vorgabe. Warum sollten Sie die ändern?«
»Keine Ahnung. Ich nehme an, Will hat die Pläne angepasst, anstatt Verstärkungen für eine Glaswand einzubauen.«
»Warum?«
Er lachte leise. »Na ja, zum einen ist es viel kostengünstiger.«
Ich runzelte die Stirn. »Es ist mir egal, wie viel es kostet.« Meine Stimme ging eine Oktave höher. »Das hier war so nicht abgesprochen.«
Er seufzte. »Ich denke, ich werde das mit Will besprechen müssen.«
»Wer ist Will? Ich dachte, Sie wären hier der Boss.«
Er lachte und rieb sich noch einmal die Stirn. »Nein, ich bin nur der Generalunternehmer. Will Donovan ist der Boss. Sie haben ihn gerade kennengelernt. Ihm gehört das Gebäude, also wird gemacht, was immer er sagt.«
»Oh.«
Scheiße. Der Mann, den ich für einen extrem gut aussehenden Bauarbeiter gehalten hatte, war Will Donovan gewesen, der Investor und Projektentwickler, von dem meine Brüder so oft erzählten. Ich hatte ihn noch nie persönlich getroffen, aber ich wusste genug über ihn, um mir sicher zu sein, dass ich ihm gerade wahrscheinlich ziemlich auf den Sack gegangen war. Sein Problem. Ich würde nicht nachgeben, bis ich bekam, was ich wollte.
Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und sah mich in dem leeren Raum um. Wahrscheinlich hätte ich es darauf beruhen lassen sollen, aber ich konnte einfach nicht. Cameron und Darren – wir alle – hatten zu hart an diesem Projekt gearbeitet, um jetzt den Weg des geringsten Widerstands zu nehmen. »Ich denke, Sie sollten mich Will besser noch einmal vorstellen.«
»Hier entlang«, sagte er grinsend und führte mich einen langen, unfertigen Flur entlang und dann die Treppe hinauf in den ersten Stock.
Will stand über eine Kücheninsel gebeugt und studierte eine technische Zeichnung, die beinahe die gesamte Oberfläche einnahm. Er richtete sich auf, als wir hereinkamen, und wechselte einen kurzen Blick mit Tom. Ich konnte nicht einschätzen, ob er amüsiert oder genervt war. Seine Größe und das Selbstbewusstsein, das er ausstrahlte, als er auf mich zukam, ließen mich jedoch innehalten.
»Miss Bridge. Da sind Sie ja wieder.«
»Ja«, sagte ich und zügelte meinen Tonfall, jetzt, da ich wusste, mit wem ich hier redete.
Er nickte Tom zu. »Du kannst wieder an die Arbeit gehen. Ich kümmere mich darum.« Sein Blick wanderte zurück zu mir. »Was kann ich für Sie tun?«
»Tom hat mir die Situation bezüglich der Wand erklärt, aber mir macht das Sorgen, weil es nicht das Design ist, dem wir zugestimmt haben.«
»Cameron hat mir die kreative Leitung übertragen.« Er verschränkte die Arme, eine Bewegung, die seine Muskeln betonte und mich einen Moment von der Bedeutung seiner Worte ablenkte.
»Aha.« Eine Feststellung. Allerdings eine ungläubige. Das konnte Cameron nicht getan haben. »Ich verstehe nicht.«
»Meine Investitionen stecken auch im Innenausbau. Wenn ich also Anpassungen vornehmen muss, um im Budget zu bleiben, werde ich das tun.«
»Sie kompromittieren unser Design und unsere Marke. Wie stellen Sie sich unsere weitere Zusammenarbeit vor, wenn Sie unser Design ruinieren?«
»Ich glaube, Sie machen ein zu großes Drama um eine Wand, Miss Bridge.«
Ich sah mich in dem offenen Raum um und marschierte an Will vorbei. Unter einem weiten Bogen, der die Küche und das Wohnzimmer dieser zukünftigen Luxuswohnung trennte, blieb ich stehen.
Ich drehte mich zu ihm um und deutete auf den Bogen. »War hier eine Verstärkung nötig, um den offenen Durchgang zu ermöglichen?«
»Ja.«
»Und es sieht ganz so aus, als konnten Sie eine gute Lösung dafür finden.«
Seine Mundwinkel hoben sich ein winziges bisschen. »Offensichtlich.«
»Um den Ausblick zu gewährleisten?« Ich hob im Gegenzug herausfordernd eine Augenbraue.
»Das ist ein Multimillionen-Dollar-Blick, Miss Bridge. Ich muss wohl kaum betonen, dass das Budget in diesem Fall so etwas erlaubt.«
»Unsere Fitnesscenter sind keine muffigen Studios für Freaks. Sie sind ästhetisch ansprechend. Sie heißen Mitglieder willkommen und regen zu einem gesunden Lebensstil an. Wir wollen, dass unsere Kunden genau das spüren, sobald sie zur Tür hereinkommen.«
»Gehen Sie mit mir essen.«
Mein Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus. Diesen abrupten Themenwechsel hatte ich nicht erwartet. »Wie bitte?«
Er schob den Kiefer leicht vor und stieß mit der Zunge gegen die Wange, als würde er über etwas nachdenken. »Wir können die Pläne noch einmal durchgehen. Ich weiß Ihre Leidenschaft für die Ästhetik zu schätzen. Wir finden sicher einen Kompromiss.«
»Wir können auch hier und jetzt einen Kompromiss finden. Ich sage Ihnen …«
»Ich bin Ihr einziger Investor bei diesem Projekt, und Sie stellen meine Entscheidungen infrage. Also können Sie mich jetzt entweder weiterhin nerven, oder wir gehen zusammen essen und besprechen dabei alles Weitere.«
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg, als er auf mich zukam. Dieser langsame, selbstbewusste Gang lenkte mich viel zu sehr ab. Er blieb direkt vor mir stehen. Seine Energie und Dominanz ließen mich beinahe zurückweichen, aber ich rührte mich nicht von der Stelle.
»Vielleicht sollte ich einfach mit Cameron darüber reden«, sagte ich, aber die versteckte Drohung klang zittriger als beabsichtigt.
»Lassen Sie mich wissen, was dabei herauskommt«, erwiderte er ungerührt.
Ich hob das Kinn und dachte über seinen letzten Satz nach. Mit einem einzigen, sorgfältig formulierten Anruf bei Cameron konnte Will dafür sorgen, dass ich dieses Gebäude bis zur Eröffnung nicht mehr betreten würde. So wichtig mir das Design auch war, ich wusste, dass Cameron nicht zulassen würde, dass irgendetwas den Zeitplan gefährdete. Und wenn ich, um meinen Willen zu bekommen, einen Abend in einem Restaurant statt vor dem Fernseher verbringen musste, von mir aus. Anscheinend biss ich hier ansonsten auf Granit.
»Und die Wand?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, während in mir Frustration und Faszination einen emotionalen Kampf miteinander ausfochten.
Seine Augen funkelten amüsiert. Vielleicht lag es daran, dass ich so hartnäckig blieb. Vielleicht auch daran, dass er wusste, dass ich seine Einladung annehmen würde.
»Ich sage Tom, dass wir noch mal darüber sprechen werden, aber sollten Sie mich versetzen, wird diese Wand so bleiben, wie sie ist.«
Ich knirschte mit den Zähnen und schluckte sämtliche Beschimpfungen, die ich ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte, herunter. »Okay.«
Er lächelte und entblößte dabei eine perfekte Reihe gerader weißer Zähne. »Ich schicke Ihnen um acht Uhr einen Wagen vorbei, der Sie abholt.«
Will
Ich hatte eine Schwäche für reiche Mädchen. Wahrscheinlich lag das zum Teil daran, dass ich schon mein halbes Leben lang auf der Suche nach neuen und kreativen Strategien war, um sie ins Bett zu bekommen. Aber fast noch mehr hatte ich meinen Spaß mit ihnen, weil sie so vielschichtig waren – oder, je nach Mädchen, weil sie so simpel gestrickt waren. Ich spielte ein Spiel mit mir selbst und versuchte zu erraten, was ihre Väter beruflich machten, in welchem Stadtteil sie lebten, auf welche Schule sie gegangen waren. Ich tat so, als interessierte mich das alles, nur um sie dazu zu bringen, ihre gute Erziehung zu vergessen und sich von mir richtig dreckig vögeln zu lassen.
Mit der Zeit hatte ich festgestellt, dass in jedem reichen Mädchen, das ich kennenlernte, ein böses Mädchen schlummerte, das nur darauf wartet, dass der richtige Kerl es zum Spielen aufforderte. Und dieser Kerl war ich.
Eigentlich hatte ich geplant, Olivia Bridge bei ihrem Brownstone-Haus in Brooklyn abzuholen und sie auf dem Weg zum Restaurant mit Blicken zu verschlingen – als kleiner Vorgeschmack auf all die schmutzigen Dinge, die ich mit ihr vorhatte, natürlich mit ihrem Einverständnis. Doch dann hatte mich schon wieder mein Vater angerufen, also musste sie allein zum Restaurant fahren, während ich in meiner Wohnung auf und ab tigerte und ein Gespräch führte, das ich liebend gern vermieden hätte. Die ganze Woche hatte ich die Anrufe meines Vaters abgewiesen, aber ich konnte ihn nicht ewig ignorieren.
»Wie geht es dir? Lange nichts von dir gehört.« Gekünstelte Zuneigung lag in seinen Worten.
Ich verdrehte die Augen und unterdrückte ein Seufzen. Bill Donovan verschwendete selten Zeit mit Höflichkeitsfloskeln, was mir verriet, wie dringend er mit mir reden wollte.
»Komm zum Punkt, Dad. Was willst du?«
Er schwieg einen Augenblick. »Ich möchte mit dir über Eventualitäten sprechen, für den Fall, dass diese Ermittlungen anhalten.«
Ich schüttelte den Kopf. Sofort war ich wieder auf hundertachtzig angesichts des Schlamassels, den er sich selbst eingebrockt hatte und der sich zunehmend auf meine eigenen Angelegenheiten auswirkte. Dabei hatte ich mich in der Vergangenheit stets bemüht, dass sich unsere Geschäfte so wenig wie möglich überschnitten.
»Glaubst du, das werden sie?«
Seine Stimme klang ruhig und leise. »Ich weiß es nicht. Wir haben den besten Anwalt, den man mit Geld kaufen kann, aber wenn es zur Anklage kommt, sind wir erledigt.«
Die zwielichtigen Geschäfte meines Vaters und seines Geschäftspartners, mit denen sie eine Wohltätigkeitsorganisation um Millionen von Dollar geprellt hatten, waren seit Monaten Gegenstand von Ermittlungen. Es hatte Gerüchte gegeben, aber bislang hatte man ihnen nichts nachweisen können. Sollte er verurteilt werden, erwarteten ihn Entschädigungszahlungen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Aufenthalt in einem dieser Ferienresorts weiter nördlich im Staat New York, die man für Wirtschaftskriminelle wie ihn und seinesgleichen »Gefängnis« nannte.
Schlimmer noch, sein Ruf in der Finanzwelt wäre ein für alle Mal ruiniert.
»Es war eine Kunstinitiative für unterprivilegierte Jugendliche, um Himmels willen! Hättet ihr nicht jemand anders um seine Millionen erleichtern können?«
Am anderen Ende der Leitung stieß mein Vater einen unverständlichen Laut aus. »Ich habe dich nicht angerufen, um darüber zu reden, Will. Wenn einer von uns angeklagt wird, leidet das Geschäft. Die Anleger werden abspringen. Ich brauche dich wieder im Ring, bis sich die Lage stabilisiert hat.«
Seit er letztes Jahr mit David Reilly den Hedgefonds gegründet hatte, versuchte er, mich ins Boot zu holen. Ich hatte an ein paar Geschäftsessen und dem einen oder anderen Umtrunk mit Anlegern teilgenommen, aber diese Welt interessierte mich nicht. Ich hatte meine eigenen Projekte.
»Hast du nicht Leute, die du dafür bezahlst, deine Geschäfte zu führen? Du brauchst mich doch gar nicht.«
»Du bist der Einzige, dem ich vertraue. Vor allem unter den aktuellen Umständen. Davon abgesehen ist es auch dein Geld.«
»Das Geld interessiert mich nicht.«
»Du glaubst, es interessiert dich nicht, weil du in deinem ganzen Leben noch keinen Tag ohne auskommen musstest. Dafür habe ich verdammt noch mal gesorgt.« Seine scharfen Worte peitschten durchs Telefon – die Wahrheit darin wog schwer, denn es hatte ihn jahrelange, unermüdliche Arbeit gekostet, dieses Vermögen anzuhäufen.
Unsere Beziehung war schon immer sachlich gewesen. Er vermittelte mir seinen bewährten Weg zum Erfolg im Hinblick auf Geld und Geschäfte. Er vermittelte mir seine Ansicht über Frauen, genauer gesagt, seine schräge Meinung über das schöne Geschlecht und ihre Zweckmäßigkeit, wenn es darum ging, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Er war sachlich und gefühllos, und so war ich auch erzogen worden.
Würde ich seine Regeln befolgen, müsste ich ihn einfach wie eine schlechte Angewohnheit aufgeben und mit meinem Leben weitermachen. Auf der Suche nach Mitleid horchte ich in mich hinein, aber alles, was ich aufbringen konnte, war eine leichte Besorgnis und eine große Portion Ärger darüber, dass er so unverantwortlich gewesen war und sich möglicherweise hatte erwischen lassen. Nun lief ich Gefahr, mich in seinen Angelegenheiten zu verheddern, obwohl ich mit meinen eigenen genug zu tun hatte. Auf keinen Fall wollte ich seine Probleme erben – und seinen Hedgefonds auch nicht.
»Ich möchte damit nichts zu tun haben«, sagte ich schließlich.
»Dass die Sache mit der Initiative Jugend & Kunst schiefgelaufen ist, steht doch auf einem ganz anderen Blatt. Das Geld im Fonds ist sauber. Darauf gebe ich dir mein Wort. Wenn das alles vorbei ist, komme ich schon wieder auf Kurs, aber nicht ohne deine Hilfe. Triff dich einfach mit mir. Ich kann dir alles zeigen, und dann siehst du, was auf dem Spiel steht.«
Ich zögerte. Er steckte tief in der Scheiße, und sosehr ich seine Geschäftsmethoden auch verabscheute, war er immer noch mein Vater, und das Mindeste, das ich tun konnte, war ihn anzuhören, auch wenn ich nicht vorhatte, für sein Geld den Kopf hinzuhalten. Für unser Geld vielmehr, da ich sein einziger Erbe war und er lieber jeden Dollarschein einzeln verbrannt hätte, als meiner Mutter auch nur einen weiteren Penny zu vermachen.
»Ich stecke mitten in einem großen Umbauprojekt. Ich habe gerade nicht viel Zeit.«
»Ich komme im Lauf der Woche auf der Baustelle vorbei. Es wird nicht lange dauern.«
Ich wollte ihn nicht in der Nähe meines Projekts haben. »Lieber nicht. Treffen wir uns zum Essen. Ich schreibe dir, wann und wo.«
»Okay. Danke.«
Der Hauch von Verletzlichkeit in seiner Stimme machte mir mehr Angst als alles andere. Da klang plötzlich Verzweiflung mit, wo sonst nur zielgerichtete, furchtlose Hingabe an seine Arbeit dominiert hatte.
Ich legte auf und betrachtete durch mein Fenster die Skyline. Noch so ein Millionen-Dollar-Ausblick. Davon hatte ich genug, und mein Vater hatte recht: Ich kannte kein Leben ohne die Sicherheit des Wohlstandes – eines Wohlstandes, den er offensichtlich mit halsabschneiderischen Methoden angehäuft hatte. Ich hatte mir meinen Anteil genommen und in meinem Immobilienunternehmen damit gespielt. Aber niemals hätte ich seinen Weg eingeschlagen und Geld zwischen Konten, Ländern und Investitionen hin und her geschoben. Termingeschäfte, Optionen, Zertifikate – all das ergab nur für Geldjäger wie meinen Vater einen Sinn.
Und genau das würde er mir jetzt wieder schmackhaft machen wollen. Ein Leben, das ich nie gewollt hatte.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und ging zur Tür. Ich war spät dran, genervt, und wollte nichts lieber, als meinen Frust an dieser hübschen, aufsässigen Olivia Bridge auszulassen.
Will
Der Oberkellner führte mich zu einem Tisch im hinteren Bereich von Artu, dem Nobelrestaurant, das ich für unser Dinner heute Abend ausgewählt hatte. Olivia lehnte sich zurück und blickte auf das leuchtende Display ihres Smartphones. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und trug einen schwarz-weißen Bleistiftrock, der ihre Hüfte und Oberschenkel umschmeichelte. Ihr schlichtes schwarzes Oberteil war geschmackvoll und ließ zugleich tief blicken. Vermutlich hatte sie jedes Kleidungsstück sorgfältig ausgewählt, um professionell zu wirken – abgesehen von den zwölf Zentimeter hohen High Heels, die ich auf meiner Schulter spüren wollte.
Als ich näher kam, lächelte sie schmallippig und straffte die Schultern. »Da sind Sie ja. Und Sie hatten befürchtet, ich könnte Sie versetzen.«
Sie war genervt. Einen Augenblick lang hielt ich den Mund, denn ihr Temperament entpuppte sich als Schwäche für mich. Ich konnte es nicht abwarten, ihr die Arroganz im Bett auszutreiben. Mein Blut strömte Richtung Süden, als ich mir ihren hübschen Körper vorstellte, wie er sich unter mir wölbte und in einem markerschütternden Orgasmus erbebte, während ich auf meinen eigenen zusteuerte.
Ich setzte mich ihr gegenüber und atmete tief aus, anstatt die Worte auszusprechen, die ich jetzt noch nicht sagen durfte. Sie war nicht irgendein Flittchen in einer Bar. Sie war hochgebildet und besaß hohe Ansprüche und eine scharfe Zunge. Ich musste feinfühlig mit ihr umgehen, um zu bekommen, was ich wollte. Vor allem musste ich jedes mögliche Zerwürfnis mit ihren Brüdern verhindern, wenn sie erst meinen Vorschlag gehört hatte.
»Ich musste noch ein wichtiges Telefongespräch führen.« Ich breitete die Serviette auf meinem Schoß aus. »Waren Sie schon einmal hier?«
»Ein paarmal«, antwortete sie knapp. Sie studierte die Speisekarte und tat ihr Möglichstes, mich zu ignorieren.
Einen Augenblick später erschien der Kellner, um unsere Bestellung aufzunehmen. Als er verschwunden war, knisterte die Luft zwischen uns vor lauter Möglichkeiten. Ich wollte die verlorene Zeit möglichst rasch wieder aufholen.
»Du siehst bezaubernd aus, Olivia.«
Sie schob sich eine dunkelbraune Haarsträhne hinters Ohr. Sie war unruhig, wich meinem Blick aus und verriet mir damit wortlos, dass sie gegen meine unverhohlenen Komplimente nicht immun war. »Also, Sie wollten über die Pläne sprechen?«
»Zuerst würde ich dich gern kennenlernen«, murmelte ich.
Sie holte tief Luft und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. »Meine Brüder kennen Sie gut genug. Warum interessieren Sie sich auf einmal so für mich?«
»Wenn ich etwas haben will, dann verschwende ich keine Zeit. In der Hinsicht bin ich ein wenig impulsiv.«
»Und was genau wollen Sie von mir?«
Langsam atmete ich aus. Ich wollte so vieles. So viele köstliche, verdorbene Dinge. Ich beugte mich vor, nahm ihre Hand und zog sie vorsichtig über den Tisch zu mir. Sie öffnete leicht die Lippen, und ihre Brust hob sich unter einem zittrigen Atemzug. Meine Finger spürten ihre seidige, gebräunte Haut. Als ich ihr Handgelenk umfasste, fühlte ich das kühle Metall ihres Armbands in meiner Handfläche. Ein kleiner Anhänger baumelte daran, eine Krone mit Diamanten auf den Zacken.
»Das ist hübsch.«
»Das war ein Geschenk von meinen Eltern zum Abschluss.«
Die Räder setzten sich in Gang. Ich wusste schon so viel über Olivia, dass es beinahe unfair war. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen.
»Warst du auf dem Vassar College?«
»Nein, auf dem Smith.«
Ich zog überrascht eine Augenbraue nach oben. »Eine Elite-Uni. Nur Mädchen. Interessant. Wahrscheinlich hast du daher deine scharfe Zunge.«
Sie lachte und zog die Hand weg. »Vier Jahre ohne einen Haufen elitärer Chauvinisten, die alles besser wissen, waren wirklich erfrischend.«
»Gender Studies?«
»Kunst. Und du? Nein, lass mich raten …« Sie schürzte die Lippen, als müsste sie angestrengt nachdenken. »Brown University.« Ihre Augen blitzten, als sie es aussprach.
Ich schwieg einen Augenblick, unwillig zuzugeben, dass sie ins Schwarze getroffen hatte, und verblüfft, dass sie offenbar Spaß an einem Spiel hatte, das ich vor langer Zeit zu meinem eigenen selbstgefälligen Vergnügen erfunden hatte.
»Wie kommst du darauf?«
»Es muss eine Elite-Uni sein, weil sich deine Familie das offensichtlich leisten kann, aber zugleich trendy und fortschrittlich, weil du eigentlich gar nicht in dieses Schema passt.«
»Ach, ja?«
»Ich kenne nicht viele Typen mit deinem finanziellen Background, die sich auf einer Baustelle die Hände schmutzig machen.«
Ich lachte laut. »Wohl wahr. Gut, dass Tom uns noch mal offiziell vorgestellt hat. Ich hätte dich wohl kaum zu einem Date überreden können, bevor du meine Steuerklasse wusstest.«
Sie verdrehte die Augen, und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es sollte mir nicht ein solches Vergnügen bereiten, sie zu reizen. »Ich würde ja raten, was dein Vater beruflich macht, aber offensichtlich weiß ich das schon.«
»Geht mir genauso«, erwiderte sie mit einem schmalen Lächeln.
Ihre schlagfertige Antwort nahm mir den Wind aus den Segeln. Mein erster Instinkt war es, meinen Vater wie üblich vor Außenstehenden zu verteidigen. Was er getan hatte, war verwerflich. Doch das änderte nichts daran, dass wir verwandt waren.
»Aha, da haben wir’s. Darauf habe ich schon gewartet.«
Kurz flackerte Reue in ihren kühlen blauen Augen auf, als wollte sie sich entschuldigen, wäre aber zu stolz dafür. Doch ich brauchte weder ihre Entschuldigung noch ihr Mitleid.
Unter normalen Umständen hätte mich die Verbindung zwischen unseren Familien beunruhigt. Unsere Väter hatten beide Zeit an der Wall Street verbracht und zweifellos zahlreiche gemeinsame Geschäftskontakte. Doch gerade interessierte mich nicht so sehr, dass ihre Eltern von dem Vorschlag erfahren könnten, den ich ihr machen wollte, als vielmehr, ob der ruinierte Ruf meines Vaters ein Hinderungsgrund sein könnte, sie ins Bett zu bekommen.
Ich nahm einen Schluck von meinem Wein und beobachtete, wie sie das Gleiche tat. Ich genoss den Anblick, wie ihre vollen Lippen den zarten Rand des Glases berührten. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.
»Du bist Single«, bemerkte ich. Wehe, wenn nicht.
»Im Moment ja.«
»Gut für mich, aber wie kommt’s?«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Du bist wunderschön, hast eine hochkarätige Ausbildung genossen und stammst aus einer wohlhabenden Familie. Du müsstest längst unter der Haube sein. Oder habe ich was verpasst?«
Sie blickte nachdenklich ihr Glas an und schwenkte den Wein darin. »Es geht dich zwar überhaupt nichts an, aber ich bin erst vor einem Jahr in die Stadt gezogen und noch dabei, mich einzuleben. ›Unter die Haube zu kommen‹ hat für mich keine Priorität. Im Moment ist das Wichtigste für mich, Cameron und Darren bei ihrer Expansion zu helfen. Ich habe mich voll und ganz dem Projekt verschrieben, und jetzt bringst du alles durcheinander.«
Ich trommelte mit den Fingern auf die Tischdecke. »Geht es um die Wand?«
»Es geht um die Wand und alle anderen Anpassungen, die du womöglich noch vornehmen willst und die unserer Vision schaden.«
»Wie wäre es, wenn ich dir von jetzt an die kreative Leitung für den Innenausbau übertragen würde?«
Sie blinzelte. »Ich dachte, du müsstest im Budget bleiben.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Überzeug mich vom Gegenteil.«
Sie schluckte, jetzt leuchteten ihre Augen wieder. »Nun ja, mit einer gewissen Ästhetik könnten wir uns von allen anderen abheben …«
»Überzeug mich heute Nacht. Bei mir.«
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Was soll das heißen?«
»Ich glaube, du weißt ganz genau, was das heißen soll. Ich würde dich gern besser kennenlernen. Sehr viel besser, um genau zu sein.«
Sie starrte mich schweigend an, dann öffneten sich ihre weichen Lippen. »Du weißt offensichtlich gar nichts über mich, wenn du glaubst, ich würde nach einem Abendessen und ein bisschen Wein mit dir schlafen.«
»Vielleicht kenne ich dich besser als du dich selbst.«
Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Das bezweifle ich doch sehr.«
Die Herausforderung stachelte mich an, und nach ihrem kleinen Kommentar über meinen Dad fühlte ich mich genötigt, die Sache klarzustellen.
»Du riechst nach Privilegien, Olivia. Du behauptest, du seist unabhängig, aber dennoch benutzt du immer noch die Kreditkarten deiner Eltern. Du wirst angetrieben von gesellschaftlichen Erwartungen und einer latenten Angst, zu versagen. Du siehst natürlich und umwerfend aus, aber diese unangestrengte Schönheit kostet deine Eltern mit Sicherheit ein Vermögen. Du bist wartungsintensiv – von deinem Designerhaarschnitt bis zu deinen pedikürten kleinen Zehen. Ich wette, du gehst auch einmal im Monat zum Waxing, um dir deine süße Pussy enthaaren zu lassen – nicht weil du regelmäßig flachgelegt wirst, sondern weil Wildwuchs einfach deinem Debütantinnen-Weltbild widerspricht.«
»Leck mich«, zischte sie.
Einen Augenblick lang verstummten die Gespräche um uns herum, aber ich machte mir nicht die Mühe herauszufinden, welche unserer Tischnachbarn wir beleidigt haben mochten. Stattdessen stieß ich einen frustrierten Seufzer aus, da ich offensichtlich einen wunden Punkt getroffen hatte. Außerdem würde ich ab jetzt an nichts anderes mehr denken können als daran, wie sie wohl schmeckte.
»Würde ich gern, Prinzessin. Wann warst du das letzte Mal mit jemandem im Bett, der dich so richtig anständig gevögelt hat?«
Fast erwartete ich, dass sie aufspringen und hinausstürmen würde. Ich hatte sie jetzt schon mehrfach beleidigt, dabei waren wir noch nicht einmal beim Hauptgang angekommen. Doch die Entschlossenheit in ihren Augen sprach Bände. Der Funke darin zeigte mir deutlich ihren Willen, nicht vor mir zurückzuweichen – mehr noch, sie wollte zurückschlagen und gewinnen.
Ihre Wangen glühten rosa, und ihre Hand zitterte, als sie erneut nach ihrem Weinglas griff. Wenn ich ihr Alter nicht gekannt hätte, hätte ich sie für eine Jungfrau gehalten. Wie dem auch sei, ich schätzte, dass sie in Sachen Sex längst überfällig war.
Sie schluckte und stellte unsanft ihr Glas ab. »Du bist ein Schwein.«
Ich lächelte. Auf in die nächste Runde.
»Ich habe Spaß an schmutzigen Spielchen. Und du auch, nehme ich an. Was meinst du, Olivia? Wir könnten hier und da ein kleines Rendezvous haben, und im Gegenzug darfst du mein Geld für den Umbau ausgeben wie Monopoly-Geld. Dann sind deine Brüder glücklich. Ich bin glücklich. Und ich mache dich glücklich.«
Sie reckte das Kinn vor. »Du kannst mich nicht kaufen.«
»Das ist mir sehr wohl bewusst. Aber hier geht es auch nicht um Geld. Es geht darum, dass du bekommst, was du willst. Und dass ich bekomme, was ich will.«
Sie verschränkte die Arme, sagte aber nichts mehr. Armes kleines reiches Mädchen, das seine Gefühle betrog. Wenn die Anziehungskraft echt war, würde sie sich allein von der Aussicht verführen lassen, dann könnte sie ihre Gefühle in den Wind schießen.
Ich beugte mich vor und sah sie durchdringend an. »Lass mich eins klarstellen, Olivia: Wir führen keine Beziehung, und ich bin ganz sicher kein Heiratskandidat. Ich bin ein Typ, mit dem du rummachst, bis der Richtige kommt – einer, den deine Eltern gutheißen. Aber ich bin reich und einflussreich genug, dass du dich mit mir sehen lassen kannst, und schon sehr bald wirst du herausfinden, dass ich mich auf mein Handwerk verstehe, wenn es darum geht, dir Orgasmen zu bescheren. Wenn du dich erst einmal auf mich eingelassen hast, werden deine Orgasmen dich von deinen Sorgen um deinen Stolz ablenken.«
Ihre Wangen wurden dunkelrosa, was ihre strahlend blauen Augen betonte. »Und du bist dreist, das hast du vergessen.«
Ich grinste, und der Kellner nutzte diesen günstigen Augenblick, um unser Essen zu servieren. Sie hob Messer und Gabel und rammte sie wortlos in ihr Steak. Ich zerlegte meinen Wolfsbarsch etwas weniger nachdrücklich und hob gelegentlich den Blick, um ihre mögliche Reaktion einzuschätzen. Ich wollte sie noch weiter ausfragen, aber gleichzeitig gefiel es mir, wie mein Vorschlag und ihr Abwägen zwischen uns hingen – ein wenig unangenehm, aber auch sexuell aufgeladen.
Ich nahm meinen letzten Bissen und ließ meine Serviette auf den Tisch fallen. Das Essen war köstlich und die Gesellschaft unterhaltsam, aber ich war alles andere als befriedigt. Ich wollte Olivia Bridge nackt unter mir spüren.
»Du denkst über mein Angebot nach. Sag mir, was dich davon abhält? Was denkst du?«
Ihr kühler Blick durchbohrte mich. »Willst du eine Antwort oder ein Geständnis? Meine Gedanken gehen dich nichts an.«
Ich zuckte die Achseln. »Ich bin neugierig.«
»Das bin ich auch.«
Olivia
»Ich täte nichts lieber, als diese Neugier zu befriedigen, Olivia.« In Wills leiser Stimme schwangen Selbstbewusstsein und eindeutige dunkle Versprechungen mit.
Ich hätte alles dafür gegeben, mich in diesem Moment in Luft auflösen zu können, ohne noch etwas sagen zu müssen. Ich verhielt mich unbesonnen. Schamlos. Unangemessen. Nicht unangemessener als Will, aber ich näherte mich langsam, aber sicher seinem Niveau. Ich ließ ihn in meinen Kopf hinein.
Mein Verhandlungsgeschick ließ vielleicht zu wünschen übrig, aber ich war nicht naiv. Wenn ein Mann eine Frau zum Abendessen einlud – ein selbstsicherer, gut aussehender und aus Überzeugung alleinstehender Mann wie Will Donovan –, dann war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er die Aussicht auf Sex mit einkalkulierte. Das wusste er genauso gut wie ich. Und ich hatte soeben so ziemlich all meine Karten auf den Tisch gelegt.
Vor diesem Abendessen hatte ich keinerlei Absichten gehegt, mit Will zu schlafen, und dennoch spukte mir diese köstliche Fantasie nun hartnäckig durch den Kopf. Ich war neugierig. Körperlich fühlte ich mich ganz klar zu ihm hingezogen, aber mich faszinierte auch sein Selbstbewusstsein und dieses gewisse Etwas, das ihn von anderen Männern unterschied. Ich wollte ihm genauso näherkommen, wie er fest entschlossen war, mir näherzukommen. Aber ich hatte das ungute Gefühl, dass er in diesen Spielchen sehr viel versierter war als ich.
Der Kellner räumte unsere Teller ab und brachte uns die Dessertkarte. Ich bemühte mich, Will und die stumme Spannung, die sich zwischen uns breitgemacht hatte, zu ignorieren, und studierte die Karte, um ein bisschen Zeit zu gewinnen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Ehrlich gesagt hatte ich seit fast einem Jahr mit keinem Mann mehr geschlafen – seit ich die Firma meines Vaters verlassen hatte. Und das letzte Erlebnis war alles andere als angenehm gewesen. Nachdem ich meine Bedenken mit genügend Wein ertränkt hatte, war ich damals mit dem neuen Vizepräsidenten der Firma meines Vaters ins Bett gestiegen. Der Sex mit ihm war schnell und leidenschaftslos gewesen, aber er hatte in dem Unternehmen einen rasanten Aufstieg hingelegt, und meine Eltern hatten mich praktisch unermüdlich in seine Richtung geschubst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schließlich seinetwegen oder um ihretwillen nachgegeben hatte.
Am nächsten Tag hatte ich Cameron angerufen und die Entscheidung getroffen, meinen Job hinzuschmeißen und nach New York zu ziehen.
Und jetzt saß ich einem Mann gegenüber, der puren Sexappeal ausstrahlte und mir körperliche Lust versprach, noch dazu ohne jegliche Verpflichtungen und mit dem Bonus, bei der Renovierung unseres großen Familienprojekts mitreden zu dürfen. Er forderte meinen Sinn für Anstand heraus, entwarf jedoch auch ein verheißungsvolles Bild für mich, das im krassen Gegensatz zu allem stand, was ich bisher erlebt hatte.
Nach ein paar Minuten sah ich schließlich hoch und erwiderte Wills forschenden Blick. »Nehmen wir ein Dessert?«
»Können wir. Es sei denn, du hast dich entschieden, mit zu mir nach Hause zu kommen.«
»Ich nehme den Käsekuchen«, sagte ich schnell und legte die Dessertkarte zwischen uns auf den Tisch.
Er leckte sich mit einem selbstgefälligen Lächeln über die Lippen. »Klingt köstlich.«
Das Dessert kam, aber ich war viel zu beschäftigt mit Wills gefährlicher Energie und seinem Angebot, um es genießen zu können. Als wir das Restaurant verließen, stand der Wagen, der mich vorhin abgeholt hatte, bereits wieder am Bordstein. Wills Hand lag auf meinem unteren Rücken. Diese leichte Berührung versprach so viel mehr und ließ das körperliche Verlangen, das seit unserer ersten Begegnung in mir brodelte, noch stärker hochkochen. Dieses Verlangen sorgte dafür, dass ich Will eine Antwort geben wollte, die undenkbar schien.
Ich eilte zum Auto hinüber, weil ich dringend Abstand zwischen uns bringen musste. Doch bevor ich einsteigen konnte, packte er mein Handgelenk und drehte mich zu sich um. Er drückte mich gegen den Wagen, und unsere Körper berührten sich fast.
»Will …«, keuchte ich.
Sein lodernder Blick senkte sich auf meine Lippen hinunter. »Wenn du mir heute Abend schon keine Antwort gibst, wie wäre es dann mit einem Kuss?«
»Nein.« Meine Stimme klang schwach und unsicher.
»Darf ich fragen, warum nicht?« Er beugte sich noch näher zu mir, berührte mich aber nicht. Sein Atem streifte ganz leicht meine Wange. Sein markanter, holziger Duft hüllte mich ein und benebelte meine Sinne.
War das Verlangen, das während des Essens in meinen Adern gebrannt hatte, noch kontrollierbar gewesen, so drohte es mich jetzt zu überwältigen. Eine mächtige Hitzewelle rollte über meine Haut hinweg und loderte zwischen meinen Beinen. Ich schluckte und versuchte verzweifelt, meine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.
»Wenn ich dich jetzt küssen würde, könnte ich dir die Antwort auch genauso gut sofort schon geben.«
»Ich wüsste nicht, wo das Problem liegt«, murmelte er.
Ich legte ihm entschlossen eine Hand auf die Brust. »Ich denke immer nach, bevor ich handele, und du gibst mir gerade nicht die Zeit dazu.«
Er zog sich langsam zurück. Seine Schultern wirkten genauso angespannt wie sein Kiefer, als müsste er sich selbst zügeln. »Dann denk nach. Aber ich will morgen eine Antwort haben.«
»Du kriegst deine Antwort, wenn ich sie dir gebe.«
Er tippte zweimal auf seine Armbanduhr. »Die Uhr tickt. Diese Wand muss bei der nächsten Inspektion abgenommen werden.«
Ich öffnete den Mund, aber bevor ich irgendetwas Freches erwidern konnte, hatte er mich schon ins Auto gesetzt und klopfte aufs Wagendach, um dem Fahrer zu signalisieren, er solle losfahren.
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, ließ ich mich in den kühlen Ledersitz sinken und schloss die Augen. Ich hätte erleichtert sein sollen, aber stattdessen war ich einfach nur verunsichert und wusste nicht, wohin mit all meinen widerstrebenden Gefühlen. Dabei hatte Will mich kaum berührt.
Die Aussicht darauf, ihm näherzukommen, war beängstigend und viel zu verlockend.
***
»Wo warst du gestern Abend?«
»Wie bitte?« Ich runzelte die Stirn und sah von meinem Durcheinander an Skizzen auf.
Maya, meine hochschwangere Schwägerin, kam mit einer Schüssel Haferflocken in der Hand zu mir ins Wohnzimmer. »Ich habe gesehen, wie du gestern Abend von einem Wagen abgeholt wurdest. Ein heißes Date?«
Sie wackelte mit den Augenbrauen, und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Cameron kam aus der Küche und sah mich stirnrunzelnd an.
Mein Lächeln verschwand. »Eher ein Geschäftsessen.«
»Mit?« Maya ließ sich auf die Couch nieder, stellte sich die Schüssel auf den Bauch und schob sich einen Löffel Haferflocken in den Mund.
»Will Donovan. Ich habe ihn gestern auf der Baustelle getroffen. Er wollte mit mir … über ein paar Designentscheidungen reden.«
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich log, wusste aber, dass Cameron ausrasten würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.
»Und wie lief es?« Camerons tiefe Stimme erfüllte den gesamten Raum, und der überfürsorgliche Ton darin war nicht zu überhören.
»Ganz gut. Mir ist aufgefallen, dass einiges beim Ausbau nicht ganz nach Plan lief. Ich habe meine Bedenken zum Ausdruck gebracht, und er hat zugestimmt, mir die kreative Leitung zu übertragen.« Wenn ich zustimme, mit ihm zu schlafen.
Am liebsten hätte ich mich selbst dafür ausgepeitscht, es auch nur in Erwägung zu ziehen, aber heute Morgen beim Aufwachen war sein Angebot noch genauso präsent in meinem Kopf gewesen wie gestern Abend.
Ich hatte sämtliche Gefühle durchlebt. Wut, dass er so dreist war, zu glauben, ich würde überhaupt darüber nachdenken. Frustration, weil ich mich wohl kaum bei meinen Brüdern über sein Verhalten beschweren konnte, weil sonst das Projekt gefährdet würde, in das wir alle so viel investiert hatten. Und letztendlich auch ein Funken Faszination und Neugier, wie eine solche Vereinbarung wohl aussehen würde.
Cameron runzelte die Stirn, und eine Schrecksekunde lang war ich mir sicher, er könnte mir die Wahrheit vom Gesicht ablesen.
»Er hat dich mit einem Wagen abholen lassen, um dir die kreative Leitung über seine Investition zu übertragen?«
»So ähnlich«, entgegnete ich mit betont sorgloser Stimme.
»Und was hältst du von ihm?«, wollte Maya wissen.
Ich zuckte mit den Achseln. »Er ist ganz okay. Ein bisschen arrogant.« Und unverschämt. Und unglaublich sexy.
Maya schnaubte verächtlich. »Ein typischer Finanzfuzzi.«
»Er ist Projektentwickler im Immobiliengeschäft. Und es ist völlig egal, ob er ein typischer Finanzfuzzi ist, er ist derjenige, der sein Geld aufs Spiel setzt«, sagte Cameron.
Er hatte recht, und wahrscheinlich sollte ich Wills wichtiges Investment ernster nehmen, aber im Moment war ich mehr damit beschäftigt, wie mein Körper auf ihn reagierte, wenn er in der Nähe war. Sein lässiges und selbstsicheres Auftreten verärgerte mich im gleichen Maße, wie es mich erregte.
»Er hatte Änderungen an den Plänen vorgenommen«, erklärte ich, ohne meinen Bruder direkt anzuschauen.
»Wenn das ein Problem ist, kann ich mich darum kümmern, Liv. Aber wir müssen im Zeitplan bleiben.«
»Das weiß ich. Und Will auch. Vertrau mir«, erwiderte ich in der Hoffnung, ihn damit zu beruhigen.
Doch sein Gesichtsausdruck blieb angespannt. »Okay. Halte mich auf dem Laufenden.« Seine Miene wurde weicher, als er sich zu Maya hinunterbeugte, um sie zu küssen. »Ich muss ins Studio und mich um ein paar Dinge kümmern. Ist bei dir alles okay?«
»Mir geht es gut.« Sie lächelte, und ihre braunen Augen funkelten, als sie seinen besorgten Blick sah.
Er legte ihr zärtlich eine Hand auf den runden Bauch. »Ruf mich an, wenn du etwas brauchst. Egal was, okay?«
»Ja. Versprochen. Jetzt geh arbeiten, und ich werde versuchen, keine Wehen zu bekommen, während du weg bist.«
Er küsste sie noch einmal und verließ dann den Raum.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete Maya hörbar aus. »Sorry. Er ist in letzter Zeit ständig in diesem übertrieben fürsorglichen Großer-Bruder-Beschützer-Daddy-Modus.«
»Ich weiß. Er war schon immer so, und in Zukunft wird es wahrscheinlich nur noch schlimmer.«
Sie stellte ihre Schüssel zur Seite und zog die Beine aufs Sofa. »Jetzt erzähl mir mal, was wirklich mit Will gelaufen ist.«
Meine Augen weiteten sich ein wenig. »Nichts. Das war so ziemlich alles.«
Sie legte den Kopf schief. »Erzähl keinen Scheiß, Liv. Ich habe Will kennengelernt. Er ist ein Traum. Irgendwelche Funken?«
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte. Ja, es waren Funken geflogen, wir hatten uns auf völlig unangebrachte Art unterhalten, und er hatte mir ein unanständiges Angebot gemacht. Aber das konnte ich Maya nicht erzählen, denn das Risiko, dass Cameron es erfuhr, war einfach zu groß. Ich vertraute ihr zwar, aber er war ihr Ehemann, und sie erzählten sich alles.
»Er ist definitiv kein Heiratskandidat«, sagte ich und verwendete damit Wills eigenen Ausdruck.
Sie spielte mit ihrem blonden Pferdeschwanz herum. »Ich glaube, das sind nur wenige Singlemänner. Aber irgendwann musst du doch mal anfangen, dich zu verabreden. Du kannst dich schließlich nicht ewig in deinem Apartment einigeln wie eine Nonne im Kloster.«
Ich lachte auf. »Dass ich anfange, Dates mit nach Hause zu bringen, ist sicher das Letzte, was Cam will.«
»Er würde darüber hinwegkommen. Irgendwann.«
Ich schüttelte den Kopf. Das würde er nicht.
Ich konnte im Fitnessstudio kaum irgendeinen Typen zweimal ansehen, weil Cameron und Darren ständig um mich herumscharwenzelten – geschweige denn irgendjemandem meine Nummer geben. Und selbst wenn es mir gelänge, würde ganz normales Datingverhalten viel zu viele neue Probleme mit sich bringen – mit meinen Eltern, um genau zu sein. Ich erlebte hautnah mit, was Cameron und Darren wegen ihrer Beziehungen durchmachen mussten, aber ich war nicht wie meine Brüder. Sie waren unabhängig, eigensinnig und traten den harten Urteilen unserer Eltern selbstbewusst entgegen.
Frank und Diane Bridge würden mich ganz bestimmt nicht in die Arme irgendeines Typen entlassen, ohne vorher einen regelrechten Krieg zu entfachen. Da war ich mir ziemlich sicher. Und ich hatte keine Lust auf einen solchen Krieg.
»Ich habe noch jede Menge Zeit für Dates. Im Moment will ich mich auf unser Projekt konzentrieren.«
»Hör zu, Cameron wird alle Hände voll zu tun haben, wenn das Baby kommt. Mit der Arbeit und dem Kind würde er es wahrscheinlich noch nicht mal bemerken, wenn du dir die Haare abrasierst. Versprich mir, dass du versuchst, ein bisschen mehr unter Leute zu gehen und dich zu amüsieren. Ich würde ja mitkommen, aber … na ja …« Sie deutete lächelnd auf ihren hochschwangeren Bauch.
Ich lachte. »Ich habe es nicht eilig, aber ich denke darüber nach, okay?«
Seltsamerweise konnte ich mir nur schwer vorstellen, mich mit Männern zu verabreden, zog es aber durchaus in Erwägung, Wills lächerliches Angebot anzunehmen.
Er würde keinerlei Gefahr darstellen, weil er keine ernsthafte Option für die Zukunft war. Wir wollten beide keine Beziehung, und ich musste mir keine Gedanken darüber machen, ob er den Ansprüchen meiner Eltern oder den Vorstellungen von irgendjemandem sonst gerecht wurde. Tatsächlich konnte diese Abmachung perfekt sein.
Oder in einem kompletten Desaster enden.
»Woran arbeitest du?« Maya riss mich aus meinen wirren Gedanken und deutete auf meinen Block.
»Ach, nur ein paar Skizzen für das Babyzimmer.«
Maya hatte mich damit beauftragt, ein Wandgemälde für das Zimmer meines Neffen zu entwerfen und umzusetzen, aber ich hatte noch nicht mal richtig angefangen.
»Du solltest bald loslegen. Der Entbindungstermin ist in ein paar Wochen, aber ich habe keine Ahnung, wann sich der Kleine tatsächlich auf den Weg machen wird.«
»Ich weiß. Aber ich will, dass es perfekt wird.« Ich hatte schon ein Dutzend Ideen verworfen. Nichts war gut genug gewesen.
»Alles, was seine Tante für ihn mit Liebe malt, wird perfekt sein. Leg einfach los und hab Spaß daran.« Sie lächelte warm, aber ihre sanfte Ermutigung reichte nicht, um mich aus meinem kreativen Loch herauszuholen.
Ich hatte seit meinem Uniabschluss nicht mehr gezeichnet. Stattdessen hatte ich mich kopfüber in die Arbeit für meinen Vater gestürzt und war dazu gedrängt worden, jemanden zu daten, an dem ich gar nicht interessiert war. Eigentlich hätte dieser ganze Trubel ein kreatives Ventil gebraucht, aber auch jetzt war ich viel zu sehr damit beschäftigt, hier in der Stadt Fuß zu fassen. Ich hatte mich zu sehr an Camerons Leben drangehängt und dabei die eine Sache, die mich wirklich glücklich machte, völlig aus den Augen verloren.
»Hey.«
Mayas besorgter Blick holte mich zurück in die Gegenwart. »Was ist?«
»Du warst gerade irgendwie woanders. Worüber denkst du nach, Liv?«
Ich seufzte und legte den Stift zur Seite. »Ich weiß nicht. Ich wohne jetzt schon fast ein Jahr hier und fühle mich irgendwie immer noch … fehl am Platz. Als würde ich ständig nur auf der Stelle treten, ohne ein Ziel vor Augen zu haben.«
Sie dachte einen Augenblick nach. »Kann ich irgendetwas tun?«
»Nein, du und Cam habt schon so viel für mich getan. Ich wohne in eurem Haus. Manchmal fühle ich mich wie ein Blutegel, der sich an eurem Leben festgesaugt hat.«
»Spinn nicht rum. Du hast Cam dabei geholfen, dieses Haus zu einem Zuhause zu machen, bevor ich überhaupt da war.«
»Aber ihr seid jetzt ein Paar und werdet bald eine Familie sein. Da braucht ihr kein fünftes Rad am Wagen.«
Sie lachte laut. »Du bist kein Rad. Du bist meine Freundin, und jetzt auch meine Schwester. Ich habe dich gerne hier. Mit wem sollte ich mich sonst gegen Cam verbünden, um meinen Willen zu bekommen?«
Ich lächelte. Maya und ich waren zusammen auf dem College gewesen, hatten im selben Studentenwohnheim gewohnt und waren schnell Freundinnen geworden. Dann war sie mit meinem Bruder zusammengekommen, und als ihre Beziehung auseinanderbrach, hatte ich unsere Freundschaft ebenfalls beendet – aus Wut darüber, dass Cameron so sehr unter der Trennung gelitten hatte. Außerdem war ich jung gewesen und hatte mich von meiner Mutter beeinflussen lassen, die Maya mit Missbilligung gestraft hatte.
Ich war ihr gegenüber nicht immer fair gewesen, aber nun war ich dankbarer, als Maya es sich wahrscheinlich vorstellen konnte, dass sie wieder ein Teil unseres Lebens war – für Cameron und auch für mich selbst. Nach Jahren des Schweigens bauten wir nun langsam wieder die Freundschaft auf, die mir so sehr gefehlt hatte.
»Ich meine es ernst. Wirklich. Wir haben dich gerne hier.«
Ich seufzte leise. »Danke. Ich glaube, ich habe einfach nur das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Aber ich bin mir nicht sicher, was.«
»Wenn du es rausgefunden hast, bin ich für dich da. Zum Reden und überhaupt. Sag einfach Bescheid, wenn du mich brauchst.«
Ich nickte und tat um ihretwillen so, als könnte die Inhaltslosigkeit meines Lebens so einfach gefüllt werden. Aber in ein paar Wochen würde sich Mayas Leben komplett verändern. So dankbar ich für unsere wiedergewonnene Freundschaft auch war – sie würde bald ganz andere Prioritäten haben, als sich um die Leere in meinem Herzen zu kümmern.
Ian
Ich zappte durch die morgendlichen Nachrichtensendungen und blieb bei einem Bericht über den Großbrand hängen, bei dem ich gestern Abend im Einsatz gewesen war. Der Kabelbrand war im Keller ausgebrochen und hatte sich rasant im ganzen Gebäude ausgebreitet. Glücklicherweise war es uns gelungen, alle Bewohner zu retten und das Feuer einzudämmen. Ich war erschöpft, doch selbst Stunden nach meiner Schicht jagte mir das Adrenalin noch immer durch die Adern.
Gegen Ende des Nachrichtenbeitrags war für einen Moment mein Gesicht zu sehen, während ich den Schlauch auf die Flammen richtete.
»Scheiße«, murmelte ich.
Will kam bekleidet mit einer Boxershorts hereingeschlurft. Seine Haare waren verstrubbelt. Er warf einen Blick auf den Fernseher. »Was ist Scheiße?«
»Ich muss heute Abend auf der Feuerwache das Abendessen bezahlen. Das ist die Regel, wenn einer von uns in der Zeitung oder im Fernsehen zu erkennen ist.«
Will lachte und ging in die Küche, aus der er wenig später mit einer dampfenden Tasse Kaffee wieder herauskam. Ich hatte kurz zuvor eine frische Kanne aufgesetzt. Er setzte sich ans andere Ende der Couch, nahm einen Schluck und lehnte mit einem erschöpften Seufzen den Kopf an.
»Was ist los?«
Er rieb sich die Augen. »Ach, ich habe nicht viel geschlafen.«
Ich schmunzelte. »Klingt gut. Wer hat dich wach gehalten?«