All you can eat - Emma Ingeborg Eiben - E-Book

All you can eat E-Book

Emma Ingeborg Eiben

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Beschreibung

Ein kleines Buch über das Erwachsen werden in den besten Jahren. Über Freundschaft, Eifersucht und ganz neue Möglichkeiten. Romantik, Treue und unerfüllte sexuelle Wünsche. Was geht und was geht nicht? Was ist für den Partner in Ordnung, wo gibt es persönliche Grenzen und warum gab es diese Probleme in den letzten Jahren nicht? All dem muss ich mich stellen! Mit Humor und ein bisschen Schusseligkeit kämpfe ich gleichzeitig um meine große Liebe und ein bisschen mehr Lust! Wie weit werde ich gehen?

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Für die Männer, die mich zum Lächeln bringen, wenn ich an sie denke. Schön, dass es Euch gibt!

Inhaltsverzeichnis

07.10. Indisches Restaurant

09.10. Wandspaziergang

15.10. WhatsApp?

20.10. Hände/Maschine

22.10. Nacktbaden

07.11. Kaffeebild

12.11. Gruppenchat

13.11. Marzipanstange

14.11. Einladung

16.11. Info an Ole

20.11. Frühstück

20.11. Laura will Abstand

21.11. Hardcore

30.11. Online-Plattform

12.12. KFZ-Schaden

05.01. Saunaclub

09.01. Einsame Insel

25.01. Swinger-Club

27.01. Gerne schreiben

03.02. Waldspaziergang

11.02. Er gefällt Dir

12.02. Freibrief

17.03. Im Hotel

19.03. Nachspiel

10.06. Italienisches Essen

05.08. Thermalbad

Danksagung

All you can eat

Freitag, 7. Oktober

Es ist Freitagabend. Hinter meinem Mann Ole und mir liegt eine anstrengende Woche. Ich sitze den ganzen Tag Fahrzeuge zählend im Büro und mein Mann krabbelt durch Gärten in Altersheimen und Kindergärten. Stress und Chaos sehen bei uns zwar völlig anders aus, abends gucken wir uns aber oft mit demselben erschöpften Blick an. Nur Chaos, wohin man auch immer guckt. Völlig unabhängig davon, ob man bei Firma ‚A‘ oder ‚B‘ arbeitet.

Egal! Das Wochenende steht vor der Tür und wir wollen das genießen. Seelisch und kulinarisch. Darum haben wir einen Tisch in einem unserem Lieblingsrestaurants in Moers reserviert. Ein indisches Buffet-Restaurant - All you can eat. Wir haben jetzt schon Hunger!

Trotzdem nehmen wir uns noch die Zeit und ziehen uns was Hübsches an. Das Auge isst ja schließlich mit. Mein Mann wählt die glatte Anzughose und die braunen, italienischen Halbschuhe, dazu ein neues Hemd. Ich nehme die lockere, schwarze Hose und die florale, rote Bluse mit dem großzügigen U-Boot Ausschnitt, dazu dezente Schuhe. Mit dem richtigen BH unten drunter kommen meine Rundungen in der Bluse jetzt so richtig zur Geltung. Und davon habe ich bei meiner BH-Größe 95 F so einige!

Ich bin optisch eher klein, sehr langhaarig und richtig rund. Natürlich bin ich blond und blauäugig und lächele häufig. Meine lange Mähne habe ich mir beim Friseur extra glätten lassen, damit ich sie heute Abend offen tragen kann. Mein Mann ist das Gegenteil von mir – zum Glück! Er ist über 1,80m, kräftig und sieht mit seinem Vollbart ein bisschen urig aus. Ich mag das! Auf dem Kopf wird es zwar langsam lichter, aber was soll‘s? Es steht ihm und wir sind beide um die 50, da dürfen schon mal die Haare Farbe verlieren oder einfach weniger werden.

Wir mögen uns so, wie wir sind und es gibt viele Menschen, die uns sympathisch finden. Freundlich, gutmütig und kommunikativ leiden wir beide ein bisschen am „Helfersyndrom“. Das bedeutet, wir helfen einfach gerne unserer Umwelt bei Problemen oder Sorgen jeder Art. Für uns selber nehmen wir uns oft zu wenig Zeit, aber für andere Menschen haben wir eigentlich immer ein offenes Ohr und ein wenig Verständnis übrig. Wir helfen gerne!

Heute Abend nicht! Heute ist unser Pärchenabend und Wochenendbeginn. Darum steigen wir in den Wagen und fahren los.

Wer in den größeren Städten des Ruhrgebietes schon mal unterwegs war, weiß wie schwer die Parkplatzsuche in der Nähe eines Restaurants sein kann. Bei uns ist das heute nicht anders. Wir fahren dreimal um den Pudding, bevor wir endlich eine kleine Lücke vor einem Bauzaun ergattern können. Wir haben noch zwei Minuten und gehen zügig zum Lokal. Durch die große Frontscheibe können wir schon von außen sehen, dass der Laden mal wieder richtig voll ist. Zum Glück haben wir reserviert!

Wir gehen um die Gebäudeecke herum, in Richtung Eingang. Dort steht schon ein anderes Paar und möchte auch hinein. Ich weiß nicht genau wie es passiert, aber ich bin hungrig und habe es eilig. Der Mann vor mir hält seiner Frau die Tür auf und bevor ich bremsen kann, tauche in mit einem hastigen „Danke schön!“ und einem breiten Lächeln unter seinem Arm durch und stehe direkt hinter seiner Frau im Restaurant. Sollen die Männer doch beide nach uns reinkommen! Das sortiert sich gleich schon wieder richtig zusammen.

Ich habe das Gefühl, dass die beiden Herren einen verwirrten Blick tauschen und mein Mann nur kurz entschuldigend den Kopf schüttelt und mit den Schultern zuckt. Recht hat er! Ich versteh ja selber nicht, wie mir das passiert ist. Ich kann halt impulsiv sein und das ist nicht immer vorteilhaft!

Würde ich jetzt eine blöde Bemerkung abbekommen, hätte ich sie verdient. Aber die Herren sind zu gut erzogen um etwas zu sagen. Glück gehabt! Die Kellnerin kommt umgehend und nimmt uns alle Vier zu zwei kleineren Tisch mit, die in der hintersten Ecke des Restaurants neben einander stehen. Die Tische stehen dicht an dicht, was eher ungünstig für mich ist. Wenn ich jetzt beim Hin- und Herlaufen auch noch mit dem dicken Hintern an den Nachbartisch stoße, dann sorge ich definitiv für schlechte Laune hier. Das möchte ich natürlich nicht! Also setze ich mich taktisch so hin, dass ich mich nicht dazwischen durchquetschen muss. Jetzt muss aber mein Mann sich in die hinterste Ecke klemmen.

Sorry Schatz, aber besser Du als ich!

Ab jetzt läuft der Abend: Die Stimmung ist gut, die Getränke sind kalt und das Buffet verbreitet seinen köstlichen Duft im ganzen Raum. Womit fangen wir nur an? Direkt zum Tandoori-Lachs oder doch erstmal Vorspeisen? Egal, Hauptsache lecker!

Der erste Gang besteht bei mir aus Gemüse, Brot, Raita und einem halben Hühnerbein. Es ist köstlich und ich bin selig, dass wir uns diesen kleinen kulinarischen Luxus mal wieder gönnen. Gutes Essen macht uns halt nicht nur satt, es soll uns vor allem glücklich machen und auf eine kleine Reise mitnehmen. Die Aromen einer Speise erzählen auch immer etwas über das Ursprungsland und die Menschen und Pflanzen der Region. Gerade exotisches Essen ist für uns sowohl eine Auszeit, als auch Inspiration für unserer eigene Küche. In kaum einer anderen Küche gibt es für uns so viel zu entdecken wie in der Indischen oder Arabischen. Wir lieben beide!

Darum warte ich gar nicht auf meinen Mann, der im Gegensatz zu mir sehr, sehr langsam isst. Das soll irgendwas mit Genuss zu tun haben. Blödsinn! Ich esse heiß und schnell und bekomme danach meist das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht. Genuss pur!

Ich schnappe mir einen sauberen Teller und bediene mich an den Hauptspeisen: Reis, Fleisch, etwas Lachs und ein paar Kleckse Raita Dip. Das passt und sieht auch optisch hübsch auf dem Teller aus.

Schwungvoll drehe ich mich um und pralle mit dem Teller gegen ein Hindernis. Oh Gott, alles rutscht nach vorne und ich kann nur mit viel Glück den Teller festhalten. Es bleibt alles drauf, aber ich weiß noch immer nicht, was eigentlich passiert ist. Ich bin verwirrt und gucke nach oben direkt in ein paar intensive Augen.

Au weia, der Mann vom Nebentisch. Das musste mir ja passieren! Ich fühle mich elend und wünsche mir, mich augenblicklich zu dematerialisieren. „Tut mir leid!“ bringe ich hervor und hoffe, dass ich sein Hemd nicht doch noch mit Sauce oder Fett vollgekleckert habe.

Ich gucke auf seine Brust und mir schießt ‚ganz schon groß‘ durch den Kopf. Klar mit über 1,90m ist er nicht nur größer als mein Mann, sondern ich konnte vorhin auch bequem unter seinem Arm durchschlüpfen. Zudem ist er schlanker und athletischer. Dadurch wirkt er wahrscheinlich umso imposanter.

Ich möchte im Erdboden versinken und hoffe nicht auch noch rot zu werden. Ich mag große – nein besser ausgedrückt: hochgewachsene Männer. Schon immer!

OK, im Vergleich zu meinen 1,64m ist fast jeder Mann groß. Aber schon als kleines Mädchen mochte ich Männer um die 1,90m, obwohl ich diesen gerade mal übers Knie gucken konnte.

Egal, der Teller ist unter Kontrolle und ich finde mit den Augen keine Flecken auf dem Stoff. Einen Moment überlege ich ihm mit der Handfläche über das Hemd zu streichen, um ganz sicher zu gehen, dass da nichts drauf gekleckert ist. Aber ich beherrsche den Impuls. Das gehört sich ja wohl nicht! Ich kenne den Mann ja gar nicht und eine ‚Handlung im Affekt‘ könnte man (neben meiner generellen Schusseligkeit) zwar zu meiner Verteidigung anführen, es wäre aber trotzdem unangemessen!

„Ist alles gut?“ fragt er mich. Ich gucke hoch und muss sofort loslachen: „Gott ist mir das peinlich!“ Er guckt freundlich, strahlt eine unglaubliche Ruhe aus und antwortet: „Ist ja nichts passiert!“ Nein ist es nicht, zum Glück! Mal abgesehen davon, dass ich mich total blamiert und ihn fast umgerannt habe.

Ich kämpfe mit meiner Selbstbeherrschung und japse: „Wirklich, das ist mir total peinlich!“

Er tritt einen Schritt zur Seite und deutet mit seiner rechten Hand an, wo meine Lücke zur Flucht ist. Ich schüttele innerlich immer noch den Kopf über mich und nutze die Möglichkeit, um zurück an den Tisch zu gelangen. Jetzt darf ich nur nicht die beiden Stufen in den Gastraum runter stürzen.

Wundersame Weise komme ich sicher an und mein Mann fragt mich, ob alles in Ordnung ist. Natürlich ist es das, ich bin nur einfach mal, wieder unbeherrscht und peinlich, aber ansonsten ist alles Bestens.

Mein ‚Tischnachbar‘ ist jetzt auch zurück an seinen Tisch gekommen. Seine Frau scheint bei dieser Runde am Buffet auszusetzten.

Irgendwann später, haben Ole und ich noch zwei Mango-Lassi intus und die Desserts am Buffet geplündert. Jetzt geht wirklich nichts mehr! Ich bin rund und satt und glaube, dass ich drei Tage nichts mehr zu Essen brauche.

Morgen früh werde ich meine Meinung vermutlich ändern.

Wir bestellen die Rechnung und natürlich kommt unsere nette Kellnerin, um direkt beide Tische in der Ecke abzurechen. Was soll´s? Wir bezahlen und brechen irgendwie auch zusammen auf. Ich halte mich dieses Mal definitiv zurück und wahre absichtlich etwas Abstand zu den Beiden. Für heute habe ich für genug Chaos gesorgt.

Mein Fast-Sitznachbar hält seiner Frau wieder brav die Tür auf und ich drehe mich nach hinten, um zu gucken ob mein Mann zu mir aufgeschlossen hat. Er steht direkt hinter mir.

Ich drehe mich zurück und sehe, dass ‚Mr. 1,90m‘ mich erwartungsvoll ansieht und immer noch die Tür aufhält.

Für mich etwa? Unfassbar!

Ich muss wieder lachen und gehen mit einem strahlenden „Das ist ganz lieb von Ihnen!“ an ihm vorbei. Er murmelt: „Purer Eigenschutz.“ und deutet einen Moment lang fast ein Lächeln an. Draußen sortieren wir uns dann wieder paarweise zusammen und wünschen uns noch flüchtig einen schönen Abend.

Ich harke mich lachend bei meinem Mann ein und wir gehen nach rechts in Richtung Parkplatz, was bei dem trockenen und milden Wetter im Oktober sehr angenehm ist. Wir mögen den Oktober, darum haben wir auch im Oktober vor 14 Jahren geheiratet.

Nein, heute ist nicht unser Hochzeitstag, aber wir sind jetzt fast 25 Jahre lang zusammen und wollten uns einfach mal wieder einen schönen Abend machen.

Wir erreichen den Parkplatz und wissen, dass mein alter französischer Kombi ganz am Ende steht. Überhaupt rechtzeitig einen akzeptablen Parkplatz gefunden zu haben, war schon Glück! Ich gucke mich um und sehe jede Menge Autos. Alte, neue, große, luxuriöse und unscheinbare Wagen. Es ist für jeden Geschmack und Geldbeutel was dabei. Ich arbeite im Fuhrpark einer großen Firma und finde alles, was mindestens vier Räder hat und motorisiert ist, einfach faszinierend.

Die meisten dieser Fahrzeuge würde ich mir selber nicht kaufen, aber die Geschmäcker sind zum Glück verschieden. Für mich ist ein Auto kein Statussymbol, sondern ich brauche einen bequemen, fahrbaren Untersatz, den ich mir leisten kann und der mich täglich zur Arbeit oder bequem in den Urlaub bringt.

Ok, eine Ausnahme gibt es doch noch auf diesem Parkplatz. Mein Blick fällt auf einen asiatischen SUV, in strahlendem Metallic-Blau. Der Lack ist ein echter Hingucker. Sehr, sehr schick! Dazu Alu-Felgen und eine wirklich schnittige Karosserie. Gott ist das ein schöner Wagen! Ich bleibe einen kurzen Augenblick stehen, um ihn zu bewundern.

Für Ole ist das nichts. Autos üben auf ihn meist keine besondere Wirkung aus. Er geht einfach weiter zu unserem Kombi. Ich hole ihn kurz vor dem Wagen ein und frage mich wie mein eigenes Töff-Töff wohl in diesem Super-Blau, statt dem langweiligen Silber-Grau, aussehen würde. Das wäre was! Aber die Umlackierung oder Folierung würde mehr kosten, als der Wagen mich gekostet hat oder er noch wert ist. Ich weiß wovon ich rede.

Aber ich will mich nicht beschweren! Mein Auto passt zu mir und er hat halt mehr ‚innere Werte‘ als pure Optik. Genau wie ich!

Wir steigen in meinen Wagen, ich starte den Motor und gucke nach links um zu sehen, wann ich losfahren kann. Zufällig fällt mein Blick nochmal auf den schönen Flitzer und ich stutze: Das glaubt man doch nicht, aber dieser Wagen gehört dem Paar vom Nachbartisch.

Mr. 1,90m und seine attraktive Frau sind gerade dabei die Türen zu öffnen und sich in den Wagen zu setzen. Ich muss lächeln. War ja klar, dass das sein Wagen ist. Er passt einfach zu den beiden. Ein sehr hübsches Paar und ein wirklich schönes Auto!

Und wir beide sitzen in dem alten, französischen Kombi.

Sonntag, 9. Oktober

Es ist Sonntag! Das Wetter ist weiterhin mild und sogar etwas sonnig. Ole und ich haben ein paar Dörfer weiter einen Trödelmarkt besucht und wollen uns vor dem geplanten Sonntag-Nachmittagskuchen noch ein wenig die Füße vertreten.

Sonntags spazieren zu gehen ist definitiv nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Mehr oder weniger sinnlos durch die Gegend zu laufen, nur um sich zu bewegen, fand ich schon als Kind überflüssig. Den schwedischen Apfelkuchen später nehme ich schon eher. Trotzdem wollen wir in der Nähe zu einem bewaldeten ‚Berg‘, der eigentlich eher ein größerer Hügel ist. Aber am Niederrhein heißt eine Erderhebung, die höher als 5 Meter über Normalhöhe liegt, halt schon Berg.

Wie dem auch sei, auf unserem Berg gibt es einen Aussichtsturm, den ich mir nochmal ansehen möchte, um zu entscheiden, ob wir dort Silvester verbringen. Das Problem bei dem Ding ist, dass ein Turm für mich ein fest gemauertes Gebäude ist, mit meist runder oder quadratischer Grundfläche. Dieser Turm ist anders: Er ist eine gewaltige Metallkonstruktion, ganz oben mit einer begehbaren Plattform. Da ist nichts gemauert und überall gibt es nur Gitter und Bleche. Das wäre wohl alles nicht ganz so schlimm, wenn ich 1. nicht an starker Höhenangst leiden würde und 2. das Ganze sich nicht immer leicht bewegen würde.

Wir haben unser erstes gemeinsames Silvester hier verbracht. Ole fand die Aussicht auf die Feuerwerke der umliegenden Städte fantastisch und wollte diese wundervolle Aussicht mit mir genießen. Ich habe mich aber minutenlag nur am Geländer festgekrallt, von oben auf die Baumkronen gestarrt und mich gefragt, bei wie vielen Personen dieses Monstrum endgültig zur Seite kippt oder zusammenklappt. Grauenhaft! Ich wolle einfach nur wieder runter.

Wir haben dann auch recht zügig die Flucht nach unten angetreten, obwohl uns immer noch Personen entgegenkamen, die die Aussicht von oben genießen wollten. Nicht mein Problem! Mir war schlecht und ich wollte nicht von oben auf die Bäume spucken.

Jetzt müssen wir entscheiden, ob wir uns das nach 24 Jahren nochmal antun wollen.

Immerhin sind wir dieses Silvester 25 Jahre zusammen!

Früher sind wir mit unseren Pferden öfter hergekommen. Seit meine Stute aber nicht mehr geritten werden konnte, waren wir nicht mehr hier. Darum klettern wir jetzt nicht im Sattel sitzend den Hang hoch, sondern folgen mit meinem Kombi die gewundene Straße auf 65 Meter in die Höhe.

Wir waren bestimmt acht Jahren nicht mehr hier oben. Verändert hat sich nicht viel. Es gibt immer noch ein Restaurant, in dem es am Wochenende im Sommer auch Eis und Kuchen gibt. Der Parkplatz ist geschottert und es gibt ein paar einzelne Bäume. An das Restaurant grenzt ein Kinderspielplatz und rund herum liegt Mischwald, durch den Wander- und Reitwege führen.

Früher haben wir hier oben gerne mit den Pferden kurz Rast gemacht, etwas getrunken und uns mit anderen Reitern getroffen. Das war eine schöne Zeit, liegt aber auch schon fast zehn Jahre zurück. Meine Stute ist ja jetzt auch schon bald drei Jahre tot. Die Zeit rast!

Ich gucke mich nach einer Parkmöglichkeit um und kann nicht glauben was ich sehe.

Da steht ein auffälliger Wagen in Metallic-Blau, der mir erschreckend bekannt vorkommt.

Ich parke in der Nähe und steige aus dem Auto. Da ich im Gegensatz zu meinem Mann ungerne eine Jacke trage und das Wetter freundlich ist, bin ich sofort startklar. Ist das wirklich derselbe Wagen?

Dieses Fahrzeug ist ja keine Seltenheit, aber ich habe so das Gefühl, dass ich den Besitzer genau dieses Exemplars flüchtig kenne. Zudem bin ich neugierig, ich möchte wissen, ob ich mich irre. Ich gehe die paar Schritte zum Wagen, um auf das hintere Kennzeichen zu sehen. Wusste ich es doch! Es ist derselbe Wagen, denn die Buchstaben und Ziffern sind identisch. Ich bin mir völlig sicher.

Nein! Ich stalke keine Männer mit schicken blauen Autos, aber ich kann mir gut Kennzeichen merken und das hier ist sogar recht einfach. Dieses Fahrzeug gehört Mr. 1,90m!

Was ein schönes Auto! Ich mag das Modell wirklich. Vielleicht warte ich noch ein paar Jahre und kauf ihn mir, wenn er günstig genug ist. Wahrscheinlich ist der Lack dann nicht mehr so brillant, aber gefallen würde er mir bestimmt trotzdem. Intuitiv strecke ich die linke Hand aus und überlege, ob ich das Metall kurz mit den Fingerspitzen berühre.

„Kann ich Ihnen helfen?“, schallt es in meinen Ohren. Mist! Ich wurde wohl beobachtet. Mein Blick geht zum Restaurant und ich sehe ‚ihn‘ mit langen Schritten direkt auf mich zukommen.

Er wirkt zwar nicht direkt verärgert, aber doch etwas angespannt. Wie soll ihm das nur erklären? ‘Sorry, ich bin eine arme Irre, die gerade aus einer Anstalt entlaufen ist und suche noch einen Fluchtwagen‘, wäre wohl keine passende Antwort. Stattdessen sage ich: „Das ist ein wirklich schöner Wagen!“

Er ist jetzt bei mir angekommen und guckt mich wieder so von oben herab an: „Wollen Sie ihn kaufen?“

„Sorry, nicht meine Preisklasse!“

„Aber zum ‚Antatschen‘ reicht es?“

Wie peinlich, aber er hat ja recht! Schlimm genug, dass ich den Wagen anstarre, aber ihn anzufassen war eine echt blöde Idee. Da könnte ja noch auch eine Alarmanlage los gehen. Wieso kann ich auch meine Flossen nicht bei mir behalten?

Ole rettet mich: „Entschuldigung, aber meine Frau guckt quasi immer mit ihren Händen. Ich kann ihr das einfach nicht abgewöhnen.“

Mein Gegenüber guckt ihn an. Er blinzelt und die Situation entspannt sich: „Ja, sowas kenne ich.“

Er blickt wieder zu mir runter und fügt noch hinzu: “Das kann ja auch Vorteile haben.“

‚Sehr witzig Jungs! Schön, dass ihr euch so gut versteht.‘ denke ich, schweige aber lieber.

„Sie wollen ihn also nicht kaufen?“ fragt er mich nochmal. Ich gucke hoch, hebe entschuldigend die Hände und lächele vorsichtig. „Sorry, wirklich nicht. Aber ich finde ihn wunderschön.“

„Na gut, dann können wir das ja hier auflösen.“ Er tritt einen Schritt von uns weg.

Ole packt mich am Ellenbogen und dirigiert mich sanft von dem Wagen weg. „Schönen Tag noch!“ ruft er dem Mann noch zu, dann verlassen wir endlich den Parkplatz.

„Wie schaffst du es nur, immer alles anfassen zu müssen?“ fragt mich Ole. „Du kannst doch nicht einfach an fremde Autos fassen!“ Recht hat er! Ich weiß, dass er nicht sauer ist, aber meine unbedachten Handlungen verwundern ihn auch nach fast 25 Jahren manchmal immer noch. Mich übrigens auch!

Ich fürchte manchmal, ich habe einen Gendefekt, der mich zu unbedachten Äußerungen oder Handlungen treibt. Sprachlich leide ich auch gelegentlich unter Defiziten oder sogenannten Wortfindungs-schwierigkeiten. Ich kann aber auch sehr kreativ und witzig sein.

Wir gehen an dem Restaurant und dem Kinderspielplatz vorbei. Ein paar Meter dahinter kommt dann der Turm in Sicht. Irgendwie habe ich die Erinnerungen an ihn völlig verdrängt, jetzt steht er direkt vor mir. Ein wildes, luftiges Konstrukt mit zick-zack förmigen Treppen, die in dreieckiger Form etwa fünfundzwanzig Meter in den Himmel ragen. Oben gibt es einen überdachten Rundgang, auf dem wir damals gestanden haben. Ich kann nicht fassen, dass ich da wirklich mal drauf war. Ich erinnere mich an meine Panik und die Übelkeit. Ich fürchte Silvester nochmal da hoch, kann mein Mann vergessen. Das geht einfach nicht.

Ich möchte da nicht mal mit Ole alleine und bei Tageslicht rauf gehen, geschweige denn bei Nacht mit 200 anderen Personen, die den Turm zum Wackeln bringen. Hilflos stehe ich vor diesem Monstrum und weiß nicht recht, wie ich Ole das erklären soll. Es geht einfach nicht.

„Angst?“ fragt Ole mich. „Ja, das habe ich! Da bekommst du mich wohl nie wieder rauf. Tut mir leid, aber mir wird schon schlecht, wenn ich da hochgucke.“

„Traut sie sich nicht?“ Oh Gott! Schon wieder diese Stimme, der Mann muss hinter uns stehen. „Richtig!“ antwortet Ole. Er guckt zu dem Paar rüber und fragt: „Würde ihre Frau da rauf gehen?“

Mr. 1,90m guckt seine Frau fragend an: „Würdest du?“

Sie guckt zu ihm hoch und sagt mit einem freundlichen Lächeln: “Auf gar keinen Fall!“

Sie ist hübsch. Etwas größer als ich, wesentlich schlanker und trägt mit ihren glatten, hellblonden Haaren einen schicken, längeren Pagenschnitt.

„Tja, wir Mädels halten halt zusammen!“ grinse ich und stupse meinen Mann in die Seite, der irgendetwas murmelt, das wie „War ja klar“ klingt.

Sie guckt mich nachdenklich an und fragt: “Kennen wir uns?“

„Nicht wirklich, aber wir saßen Freitagabend im Restaurant nebeneinander und ich habe fast ihren Mann am Buffet umgerannt.“ antworte ich. „Ich heiße Emma.“ Dabei strecke ich ihr spontan die Hand hin.

Sie ergreift sie und sagt “Hallo, ich bin Laura.“

Erwartungsvoll gucke ich den großen Mann neben ihr an, der etwas konsterniert wirkt und seine Hände demonstrativ in die Hosentaschen stopft. „Andrea“ presst er hervor.

Ich strahle ihn an. „Schön!“

Mein Mann stellt sich den beiden auch vor und ergänzt: „Da wir unsere Frauen ja wohl nicht auf den Turm rauf bekommen, schlage ich vor, trotzdem noch ein bisschen spazieren zu gehen. Was meint ihr?“

Dagegen spricht nichts, immerhin sind wir ja gerade erst hier angekommen. Also stapfen wir irgendwie zu viert los.

Zwischen Ole und Laura entwickelt sich sofort irgendein Gespräch und Andrea stapft mit seinen langen Beinen vorweg. Da ich nicht alleine rumstehen oder zurückbleiben möchte, schließe ich mich ihm an.

„Fasst du immer die Fahrzeuge von fremden Leuten an?“ Andrea guckt mich von der Seite an und erwartet offensichtlich eine Antwort.

„Wie ich schon sagte: Das Modell finde ich, vor allem in dieser Farbe, richtig schick. Dabei stehe ich eigentlich gar nicht auf diesen Hersteller.“

„Worauf stehst du denn dann?“

Das ist einfach: „Franzosen!“

„Tja, dann bin ich wohl raus!“

Das versteh ich nicht. „Warum? Gegen deinen Asiaten spricht ja auch nichts.“

Er guckt mich an, scheint einen Moment nachzudenken. „Italiener“

„Was?“ Ich versteh ihn nicht. Ich bin mit total sicher, dass er einen asiatischen Wagen fährt.

„Italiener.“

„Wer ist Italiener?“

„Ich! Genauer: Halb-Italiener.“

Ich gucke ihn verwundert an. „Du bist Italiener?“

„Ja zur Hälfte!“ er macht eine kurze Pause. „Ich habe sogar mal fünf Jahre in Italien gelebt.“

„Spannend. Ich habe mal fünf Jahre in einem anderen Bundesland gelebt.“

„Dann haben wir ja fast etwas gemeinsam.“ murmelt er mehr zu sich selber, als zu mir.

„Sei mir nicht böse, aber du siehst gar nicht aus wie ein Italiener!“

Er zieht seine Augenbrauen hoch und guckt zu mir runter. „Wieso nicht?“

Vorurteile marsch: „Ich war mal in Italien und die meisten Männer dort sind gerade mal 1,70m groß und wiegen die Hälfte von mir. Sie halten sich für ein göttliches Geschenk an alle Frauen dieser Welt und benehmen sich auch entsprechend schrecklich.“

„Was denkst du denn wie groß ich bin?“

Will er darauf wirklich eine Antwort? Ich gucke ihn an und betrachte ihn abschätzend von oben bis unten. Er ist schon ein südländischer Typ. Sehr groß, schlank, braune, etwas längere, lockige Haare und mit 3-Tage Vollbart. Aber glücklicherweise ist weder ein Goldkettchen noch ein Hut in Sicht.

Mein Mann ist 1,83m groß, Andrea ist definitiv größer. Nein… ‚höher‘ ist wohl die bessere Beschreibung. Über ‚seine Größe‘ möchte ich gerade nicht nachdenken. Böses Weib!

„Etwa 1,90m?“ frage ich vorsichtig. Er legt den Kopf etwas schief und sagt: „Gut geschätzt, ich bin 1,93 m. Und warum sehe ich nicht aus wie ein Italiener?“

„Das kann ich Dir nicht sagen, weil ich mich dann wahrscheinlich noch mehr blamiere und ich bin jetzt schon peinlich genug!“

Er lächelt kurz. „Dann lassen wir das so stehen!“

Merci! „Ich bin Übriges ungarischer Abstammung, aber das sieht man mir nicht unbedingt an.“

„Aha! Und was machst du sonst so?“

„Ich reite.“

Er guckt mich überrascht an: „Worauf?“

Ich bleibe stehen und starre ihn an. Bevor ich richtig nachdenken kann, haue ich ihm mit meiner flachen Hand gegen den linken Oberarm und fauche: „Hallo! Auf Pferden natürlich, was denkst du denn?“

Er guckt überrascht, sagt aber nichts.

Ich gehe einfach weiter, Schuldgefühle jagen durch mein Gehirn. „Ich wollte dich nicht hauen. Tut mir leid!“

„Ich habe es verdient.“

Stimmt, aber das entschuldigt mein Verhalten nicht! „Du genießt es mich zu provozieren, oder?“ Ich gucke fragend zu ihm hoch.

Er erwidert meinen Blick, sein Mundwinkel zuckt fast unmerklich. „Ja! Und du springst da auch sofort drauf an!“ Er wirkt ehrlich amüsiert.

„Ich bin leider sehr impulsiv, was nicht meine beste Eigenschaft ist!“

„Das habe ich auch schon gemerkt.“

„Sorry!“ Ich starre auf meine Füße.

Wir gehen wieder ein paar Meter. Ich gucke nach hinten und sehe, dass wir unsere Partner inzwischen ganz schön weit hinter uns gelassen haben. Wieso laufen die beiden nur so langsam? An meinem Grundtempo kann es eigentlich nicht liegen. Vielleicht sollten wir mal auf die Beiden warten oder Andrea sollte kürzere Schritte machen.

„Worauf stehst du denn so?“ frage ich ganz vorsichtig um das entstandene Schweigen zu überbrücken.

„Auf deine Nippel!“

Ich bleibe mitten in der Bewegung stehen. Ich kann mich zwar nur verhört haben, aber mir quellen die Augen aus dem Kopf und ich bekomme den Mund nicht mehr zu. Automatisch bedecke ich meine Brüste mit den Händen, starre zu ihm hoch und stammele: „Die kennst du doch gar nicht!“

Gott wirkt dieser Mann gerade riesig. Das könnte aber daran liegen, dass mir gerade