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Johannes Erdmann hat gerade sein Abitur gemacht, kaum Geld, aber eine große Sehnsucht: den Ozean. Als sein Studienbeginn sich um ein paar Monate verzögert, kommt seine Chance. Schnell wird die kleine, 36 Jahre alte Yacht MAVERICK, ersteigert bei Ebay, fit gemacht. Dann startet er allein zur Atlantiküberquerung von Lissabon in die Karibik. Es wird ein großes Abenteuer, eine Reise durch alle Höhen und Tiefen des Einhandsegelns, mit Stürmen und Flauten, mit Zahnschmerzen, Euphorie und Seekrankheit, mit zerrissenen Segeln und diversen Schäden. Erdmann erreicht sein Traumziel Barbados. Dann geht es weiter, den Intracoastal Waterway 2000 km hinauf bis nach Charleston/South Carolina, wo Erdmann die MAVERICK verkauft und nach Hause fliegt. Was bleibt, ist eine denkwürdige Reise, die Mut macht, weil sie zeigt: Wer seinen Traum leben will, braucht keine Reichtümer. Ein paar gute Ideen und ein starker Wille genügen.
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Seitenzahl: 540
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Johannes Erdmann
Allein über
den Atlantik
Mein Abenteuer
mit MAVERICK
Delius Klasing Verlag
Für meine Eltern und meine Familie,
die mich grenzenlos unterstützt haben,
damit ich meinen Traum leben konnte.
Eine Reise kann Lebensgeschichte schreiben.
Robert Louis Stevenson
Inhalt
9Über die Ziellinie
12Kinderträume
19Die Gelegenheit
21Aus einem Traum wird Ernst
24Bootebauen in Thüringen
30Letzte Vorbereitungen
35On the road
40Tausche Straße gegen Meer
44Der Abschied
47Letzte Arbeiten in Lissabon
52Die erste Etappe
61Auf Atlantis
67Flautentörn nach Gran Canaria
70Dicke Backen
81Auf Kolumbus’ Spuren
842800 Seemeilen Einsamkeit
104Das andere Ufer
112Shipwrecked at St. Lucia
120St. Lucia lässt mich nicht los
132Zwei Wochen Karibikurlaub
148Kurs Nord
152Ich will weiter
170Auf der Suche nach DOVE
177Auf dem Weg in die Bahamas
184Notstopp auf Providenciales
188Auf dem Weg in die Bahamas – Klappe, die zweite!
192Zu dritt durch die Trauminseln
206Abenteuerspielplatz Normans Cay
216Endspurt in die USA
225Brückenöffnungszeiten und Gewitterschauer
234Intracoastal Waterway – Wälder, Wiesen und Delfine
243www.zu-zweit-auf-see.de?
256Wieder allein – es nimmt kein Ende ...
262Abschied von MAVERICK
265Berge statt Wellen
271New York – am Ziel?
275Der Kreis schließt sich
279Anhang
284Danksagungen
Es ist drei Uhr morgens. Der Wind bläst unvermindert mit Sturmstärke von vorne und bringt mit jeder Welle eine Menge Wasser an Deck, das vom Wind aufgewirbelt über den Aufbau der Kajüte hinweg ins Cockpit gepeitscht wird und mir um die Ohren weht. Vollkommen durchnässt und frierend stehe ich, dick in Ölzeug verpackt, am Steuerrad. Der Kurs entlang der Küste von St. Lucia ist nur schwer zu halten. Die Wellenberge rollen aus der Karibischen See direkt von vorne heran und nehmen immer wieder die Fahrt aus dem gegenanbolzenden Boot, das sich trotz voller Kraft der Maschine darin feststampft.
31 Tage bin ich schon auf See. Einen ganzen Monat lang habe ich außer dem Atlantik und den 8,25 Metern MAVERICK nichts gesehen. Und doch hätte ich ewig so weitersegeln können, wenn nur nicht das Ruder Probleme bereiten würde, die Segel gerissen und einige Wanten kurz vorm Brechen wären.
Und nun, nach all den Strapazen und Überraschungen auf dem bisherigen Weg, auch noch das: seit Tagen Starkwind und Schlechtwetter, sodass der Landfall zum reinsten Kampf wird. Außerdem muss MAVERICK langsam dringend in die Werft, aber dazu müssen wir erst mal an Land kommen. Schon seit sechs Stunden läuft die Maschine auf Volldampf, um gegen die Wellen anzukommen. Aus der Kajüte steigen seit einer Weile Dampfschwaden – aber ich habe keine andere Chance, in einen Hafen zu kommen.
Das Vorsegel ist schon vor tausend Meilen irreparabel gerissen. Gegen den Wind ankreuzen ist mit dem fliegend gesetzten Ersatzsegel nicht möglich, und wenn ich nicht ohne Segel vor dem Wind nach Panama driften will, muss die Maschine noch zwei weitere Stunden durchhalten.
Endlich, endlich liegt gegen halb vier Uhr morgens die Rodney Bay vor meinem Bug, und ich kann mein Glück kaum fassen. Nur etwa eine Meile vom Ufer entfernt nehme ich direkten Kurs auf die hellsten Lichter der Bucht, hinter denen ich die Marina erwarte. Die Anspannung, die meine Nerven die letzten Tage bis zum Zerreißen strapaziert hatte, legt sich ein wenig, das Ende der langen, harten Überfahrt ist abzusehen. Noch immer brechen die Wellenberge über den Bug der MAVERICK an Deck und weht mir die Gischt ins Gesicht. Aber das Ende ist absehbar, und ich gewinne nach der Angst der letzten 234Tage meinen Humor zurück: »Ein Königreich für eine Taucherbrille«.
Doch was ist das? – Direkt vor dem Bug der MAVERICK entdecke ich ein weißes Blitzlicht, dem ich mich immer weiter nähere.
»Was könnte das sein, ein Rettungslicht?« Erst im letzten Moment sehe ich, wie sich die Wellen direkt neben dem Licht brechen, und der Schock fährt mir in die Glieder: »Ach du meine Güte! Das ist ein Riff!«
Sofort reiße ich das Ruder herum und weiche im letzten Moment dem Felsen aus. Zitternd umklammere ich das Steuerrad wie ein Schiffbrüchiger die rettende Planke. »Das war vielleicht knapp. Jetzt hätte ich doch beinahe so kurz vorm Ziel das Schiff verloren, weil ich bei dem Mistwetter nicht dazu kam, ständig auf die Seekarte zu gucken.«
Langsam erkämpfen wir uns Meter um Meter den Weg hinein in die Rodney Bay. Dort werden die Wellen etwas kleiner, auch wenn der Wind unvermindert über uns hinwegweht. In der Entfernung kann ich ein paar Masten ausmachen, offenbar Ankerlieger im Schutz der Bucht. Weiter löst sich die Anspannung der letzten Tage. Das Ziel liegt nur noch eine Meile und einen Ankerwurf entfernt.
Die Wellen haben sich nahe der Bucht bis auf etwa einen halben Meter Höhe beruhigt. Ich nehme den Gang heraus, um auf dem Vorschiff den Anker vorzubereiten. Da ich nie zuvor mit MAVERICK geankert habe, brauche ich einige Zeit, bis die Kette an Anker und Leine geschäkelt ist und bereit zum Wurf auf dem Bugkorb hängt.
Mittlerweile bin ich wieder ein Stück aus der Bucht herausgedriftet. Etwa zwei Meilen entfernt sehe ich die blinkenden Lichter der Einfahrt zur Lagune und habe mich bereits entschieden, erst mal im Dunkeln am Ufer zu ankern, um bei Anbruch des Tageslichts durch den betonnten Kanal in die geschützte Lagune, in der sich auch die Marina befindet, zu motoren.
Zurück am Steuerrad, schiebe ich also langsam den Gashebel wieder nach vorne, um den Vorwärtsgang einzulegen, als ich plötzlich ein lautes Knacken vom Getriebe höre und es unter mir still wird. Der Motor ist aus. Um mich herum knallt der Wind jedoch weiterhin von den Hügeln hinab – und ich bin manövrierunfähig!
Um nicht wieder aus der Bucht hinaus oder gar auf die Felsen getrieben zu werden, werfe ich schnell den Anker auf 15 Meter Tiefe, der zu meiner Erleichterung auf dem sandigen Grund sofort Halt findet. Als ich anhand von zwei GPS-Koordinaten und dem Echolot kontrolliert habe, dass der Anker sicher hält, falle ich um fünf Uhr auf einen Segelsack und schließe die Augen. Immer noch zittere ich, vor Kälte im nassen Ölzeug und auch vor Anspannung.
Kaum bekomme ich nach 31 Tagen auf See Land in Sicht, dreht der Wind auf, und aus dem Radio ertönt eine Sturmwarnung für kleine Boote.
Zwar liege ich nun manövrierunfähig fernab der anderen Yachten vor Anker, auch funktioniert mein Funkgerät nicht, wird das An-Land-Kommen sicher kniffelig werden und zieht draußen zu allem Überfluss gerade wieder einmal eine Sturmfront über MAVERICK hinweg – aber dennoch fühle ich mich »angekommen«: Ich bin allein über den Atlantik gesegelt, das kann mir nun keiner mehr nehmen!
Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf: Gedanken an meine Familie. Gedanken an die hinter mir liegende Atlantiküberquerung. Gedanken an die Zeit, in der der Traum von dieser Reise begonnen hat.
Ich denke, der Traum einer langen Segelreise entstand bei mir schon im Alter von zehn Jahren, als ich eines Nachmittags im Keller meines Onkels Uwe einen ganzen Berg von Yachtheften entdeckte. Während meine Freunde die neuesten Micky-Maus-Geschichten verschlangen, grub ich mich nun durch die alten Magazine, las Artikel über ferne Segelreisen und abenteuerliche Atlantiküberquerungen und fand auch bald darauf in der Stadtbibliothek die passenden Bücher, in denen Weltumsegler wie Wilfried Erdmann, Rollo Gebhart, Robin Lee Graham und Shane Acton von ihren Abenteuern berichteten.
Bis ich selbst diesen Kielwassern folgen konnte, sollten natürlich noch einige Jahre vergehen. In der Zwischenzeit lernte ich auf dem Wolfsburger Allersee das Segeln im Opti, einem seifenkistenähnlichen Segelboot, das auf dem Wasser segelt wie eine gekenterte Kuh, mir jedoch ein Gefühl von »Freiheit« vermittelte. Schon damals zog es mich weniger zum Regatta- als viel eher zum Fahrtensegeln, bei dem man die Welt erkunden kann, und so wurde mir das vereinsmäßige Regattatraining bald langweilig. Stattdessen konstruierte ich, als ich zwölf Jahre alt war, einen kleinen Kajütaufbau auf einen Opti, um damit nicht nur um Tonne 1,3 und 2 segeln, sondern auch einmal in einer Bucht ankern, die Segel bergen und die Ruhe auf dem Wasser genießen zu können. Das war mir jedenfalls wesentlich lieber, als mit anderen Kindern in hautengen Trockenanzügen und knatternden, neuen Dacronsegeln um die Wette zu jagen!
Auch mein Vater erkannte, dass mir das Segeln ans Herz gewachsen war, und schließlich bekam ich mit 13 Jahren mein erstes eigenes, kleines Boot, das ich selbst heute noch besitze: eine kleine, alte Jolle vom Typ Wegu Twiggi, die wir für 500 DM in Velbert kauften und auf dem Dach unseres damaligen alten Golf II nach Wolfsburg brachten. Schnell hatte ich meinen Vater für das Segeln begeistert, und auch Uwe segelte bald seinen ersten Schlag mit mir zusammen auf dem Allersee. Danach war klar – ein größeres Boot muss her!
Nach dem Wälzen vieler Segelmagazine und Gebrauchtbootbörsen – damals wartete ich noch jeden Monat ungeduldig auf den Tag des Erscheinens, da der Internetmarkt noch nicht allzu viel hergab – war es schließlich im Frühjahr 2000 so weit, als wir in einem Magazin eine Annonce fanden, in der eine »renovierungsbedürftige« Atlanta Flamingo, ein 5,60 Meter langes Kajütsegelboot, aus dessen Sitzbank sich zwei Schwerter ausklappen ließen, für 3500 DM angeboten wurde. Die Besichtigung fiel jedoch ernüchternd aus, denn das Boot war ein halbes Wrack, das auf einem Acker bei Bad Pyrmont festgewachsen war, von dem aus man im Tal zu allem Überfluss auch noch ein Atomkraftwerk vor sich hin strahlen sehen konnte.
»Das Boot leuchtet bestimmt auch noch im Dunkeln«, war der knappe Kommentar von Uwe, der unseren Eindruck ganz gut auf einen Punkt brachte. – »Nein, danke!« Aber der Verkäufer hatte noch ein Ass im Ärmel, ein baugleiches Boot, das sich in sehr viel besserem Zustand befand.
»Das Boot wollte ich eigentlich für mich behalten, aber für 6000 DM könnten Sie es haben.«
Nach dem Wrack auf dem Acker war die zweite Flamingo natürlich umso reizvoller, hatte zudem einen kleinen Innenausbau mit Regalen, einem Tisch und einer kleinen Pantry mit Spirituskocher und Waschbecken unter der einen sowie zwei Autobatterien unter der anderen Sitzbank. Dazu konnte man über das ganze Cockpit (das übrigens größer war als die Kajüte!) eine zeltähnliche Plane spannen, um den Wohnraum zu vergrößern und sich eine Art Wintergarten zu schaffen. Dazu sollte es einen nur sechs Jahre alten Yamaha 5-PS-Außenborder geben, und so wurden wir uns schnell handelseinig – die INDA, wie sie von einem der Voreigner genannt worden war, wechselte den Besitzer.
Im gleichen Sommer wollten mein Vater Manfred, mein Onkel Uwe und ich endlich zu richtigen Fahrtenseglern werden und die INDA an die Müritz in Mecklenburg trailern. Wir wussten nicht genau, von wo wir starten und das Boot zu Wasser lassen sollten, aber mein Vater kannte jemanden, der ihm eine Nummer von einem Yachtclub geben konnte, in dem es eine Slipanlage gab. Nach einem halbstündigen Telefonat war mein Vater um zwei Erkenntnisse reicher: Zum einen hat man ihm die falsche Nummer gegeben, er hat bei einer Familie in der Nähe der kleinen Seen im Süden der Müritz angerufen, aber zum anderen konnten die ihm den Tipp geben, es in Buchholz zu versuchen. Dorthin brachen wir mit der INDA auf dem Trailer hinter unserm Passat und dem Bus meines Onkels als Nachhut schließlich auf.
Das Zuwasserlassen verlief ohne Probleme, da wir es auf dem Wolfsburger Allersee bereits einmal probehalber getestet hatten, was die INDA kurzerhand zum größten Boot des Sees machte. Als wir nun schließlich alle Sachen an Bord verladen hatten, hieß es für uns zum ersten Mal »Leinen los«. Unsere erste Fahrt führte uns in einen Nebenarm der kleinen Seen südlich von Rechlin, der südlichsten Stadt an der Müritz.Es sollte eine erste Nacht vor Anker werden und gegen späten Nachmittag fiel er auf 1,60 Tiefe. Die Tiefe konnte ich auch ohne Echolot gut einschätzen, weil kurz nach dem Anker auch mein Vater in den Sumpf hüpfte, um den Anker wiederzufinden, den ich natürlich versenkt hatte, ohne ihn zuvor anzubinden ... Mit alten Turnschuhen den Grund abgehend, konnte er gerade noch über die grüne Brühe hinwegschauen, daher liegt die Tiefe mit 1,60 m sicherlich sehr nahe ...
Nach dem zweiten Ankermanöver kam die Cockpitplane zum Einsatz, die aus dem Cockpit einen überdachten Wohnraum machte, wo mein Vater auf einer Luftmatratze schlafen wollte, während Uwe und ich uns die zwei schmalen Kojen unter Deck teilen konnten. Die Theorie klang gut, aber die Praxis sah so aus, dass wir tatsächlich im tiefsten Sumpf geankert hatten – sobald die Sonne hinter dem Schilf verschwunden war, fand die Mückenbrut ihren Weg durch alle erdenklichen Ritzen unter Deck und ins Cockpit.
Nach ein paar Stunden Schlaf erwachten wir alle drei schon um halb sieben Uhr morgens mit reichlich dickem Schädel. Der kleine Sumpfarm, in dem wir am Vorabend geankert hatten, zeigte uns, warum er »Nebel« hieß, und ein Teil des Nebels schien sich seinen Weg in unsere Köpfe zu bahnen. Uwe ergriff die Initiative und den Kaffeekessel, um dem Tag einen Startschuss zu geben. Sein Kaffee der Brühart »vier Löffel für die Tassen, einen für die Kanne, einen weil wir so müde sind, einen weil heute Mittwoch ist, ...« bahnte sich seinen Weg langsam und zähflüssig aus dem Papierfilter hinein in die Kanne und besaß eine Konsistenz wie Erdöl – erwies sich jedoch als perfektes Mittel gegen unsere dicken Schädel, sodass wir um sieben Uhr im tiefsten Nebel Ankerauf gehen und Kurs auf das Tor zur Müritz nehmen konnten: Rechlin. Meinem Vater hatte der Kaffee allerdings den Rest gegeben, er wollte nur noch im nächsten Ort an Land. Tatsächlich sollte es Mittag werden, als wir ihn mit einer Packung Aspirin in der Hand regeneriert wieder an Bord nehmen konnten.An diesem Morgen nach unserer ersten Nacht auf einem Boot konnten wir uns nur ehrlich fragen: »Warum in aller Welt tun sich Menschen solch einen Urlaub an?«
Den Rest des Urlaubs schlief Uwe in seinem VW-Bus und mein Vater und ich an Bord der INDA, bis Uwe uns nach einer Woche vorerst verließ und wir zu zweit den Rest der großen Seen in Mecklenburg erkundeten, nachts am Schilf ankerten, die kleinen Nebenarme erforschten und schließlich richtig Geschmack am Fahrtensegeln bekamen.
Nun sollte es so richtig losgehen!
Zunächst stand für uns jedoch erst einmal ein Segelschein auf dem Programm. Denn obwohl wir den Sommer zweieinhalb Wochen auf den Mecklenburger Seen verbracht hatten, besaß nur ich ein amtliches Patent, das sich »Jüngstensegelschein« nannte und inzwischen auf jedem Zwei-Tages-Kurs für Kinder auf Mallorca erlangt werden kann. Auf der Müritz jedoch benötigte man überhaupt keinen Schein, außer man ist mit Motor unterwegs. Aber da unser Yamaha mit seinen 5 PS noch führerscheinfrei ist, hatte sich das für uns erübrigt.
Wir drei entschieden uns für den Sportbootführerschein Binnen Segel/Motor und begannen im Winter fleißig zu den Theoriestunden zu gehen, um im Sommer am Praxisunterricht in einer Conger-Jolle teilzunehmen. In dieser Zeit verlor ich mein Verlangen nach einer weiteren Vereinsmitgliedschaft, als ich die Segellehrer dort mit Kapitänsmützen in ihren Congers und Monarchen über den einen Kilometer langen See dümpeln und auf uns Landratten geringschätzig herabschauen sah ... Als Uwe und ich eines Nachmittags unsere Pflichtübungen fuhren, nutzte ein Segellehrer (gerade Ende zwanzig) die Chance, uns seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen, und fragte plötzlich: »Seid ihr vorher eigentlich schon einmal gesegelt?«
Mit einem Lächeln ließen wir vorsichtig durchblicken, dass das zweitgrößte Boot auf dem Allersee uns gehört und wir damit im vergangenen Sommer zweieinhalb Wochen ohne Segelschein auf den Mecklenburger Seen unterwegs gewesen sind. Für einen Vereinssegler eine Riesenkatastrophe.
Im Jahre 2001, in dem wir unseren Binnenschein machten, war die INDA jedoch noch nicht wieder im Wasser gewesen, weil wir bereits etwas anderes planten. Und tatsächlich hatten wir am Tage unserer »Segelschein-bestanden-Feier« bereits einen neuen Törn auf der Müritz gemacht. Nun auf unserer Shark 24, die wir uns im Frühjahr an der Ostsee gekauft und nach Mecklenburg getrailert hatten.Da wir den Motorbootführerschein zwar schon bestanden, aber noch nicht in der Hand hatten, tauschten wir den mitgekauften 10-PS-Mercury vorerst noch gegen den alten Yamaha von der INDA aus. Gleich beim ersten Törn erwischten uns auf der Müritz knackige 7 Windstärken, bei denen wir mit zweitem Reff im Groß und Sturmfock doch tatsächlich einen minutenlangen Surf aus dem kleinen Boot herausholen konnten, wobei die Logge die 8-Knoten-Marke schrammte.
Schließlich bekamen wir den Schein und verlebten in 2001 einen wunderschönen Segelsommer mit der Shark auf der Müritz und den großen Mecklenburger Seen. Im Winter zum Jahr 2002 wollten wir den zweiten Teil unseres Scheinmarathons in Angriff nehmen. Uwe und ich meldeten uns im Wolfsburger Yachtclub zum Sportküstenschifferschein (SKS) an, den wir jedoch nur bis zum Sportbootführerschein See (der als einziges nötig ist, um ein Boot mit Motor zu fahren) mitmachten. Uwe und ich hatten in der Prüfung der Kartenaufgabe beide die gleiche Boje verwechselt und waren durchgefallen. Das kam dem Veranstalter aber gerade recht, denn er hatte eine Koje zu wenig für den Ausbildungstörn organisiert und versuchte nun, mich zum Aussteigen zu überreden, um im folgenden Jahr noch mal mitzumachen, obwohl ich die Kartenaufgabe auch ein paar Wochen später in einem anderen Verein hätte wiederholen können. Weil man mich nicht mit an Bord haben wollte, stieg ich aus – und Uwe auch. Bis heute haben wir den Schein nicht nachgeholt.
Mit dem jedoch bestandenen Motorbootführerschein sollte es 2003 zum ersten Mal mit der Shark auf die Ostsee gehen. Zuvor jedoch wollte ich zum Abschluss der Müritztage noch mal etwas Ungewöhnliches wagen. Als ich mit meinem Vater im Herbst 2002 nach Röbel zur Shark fuhr, wollten wir sie eigentlich nur aus dem Wasser heben und nach Wolfsburg ziehen. Von einem Tag auf den anderen überredete ich ihn dann aber, dass ich sie nach Hause überführen konnte – über die Kanäle. Zwar war er nicht sonderlich begeistert, aber er erlaubte es mir dennoch. Auf der Müritz demontierten wir schließlich den Mast, verluden ihn auf den Trailer und ab Plau ging es für mich allein weiter – in den verbleibenden sieben Tagen der Herbstferien überführte ich die Shark über eine Strecke von 350 km nach Wolfsburg. Durch 18 Schleusen (eine davon mit einem Hub von 24 Metern) und ein Schiffshebewerk (36 Meter Hub) ging es über die Elbe-Elde-Wasserstraße von Plau in die Elbe, dann die Elbe hinunter bis nach Lauenburg, von wo aus ich dann schließlich den Elbe-Seiten-Kanal bis nach Wolfsburg fuhr und nach einer ebenso erlebnisreichen wie abenteuerlichen Zeit durchgefroren und glücklich in Wolfsburg ankam. Die Fahrt hatte mich wirklich oft an meine Grenzen geführt, weil es in diesem Jahr für den Herbst schon unglaublich kalt war und ich jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Meilen machen musste, um bis zu meinem letzten Ferientag Wolfsburg zu erreichen. Dazu knabberte die Kälte an meinen Kräften. Ich schlief nachts mit zwei Pudelmützen auf dem Kopf dick eingepackt, um dann am Morgen bei 1,5 Grad Celsius in der Kajüte aufzuwachen. Aber zum großen Erstaunen meiner Eltern gab mir dieses Abenteuer einen enormen Auftrieb: Ich wurde besser in der Schule – unter dem Strich hatte die Fahrt nur positive Folgen.
Das Boot: MAVERICK ist ein Serienbau vom Typ Fellowship 27 und wurde im Jahre 1970 als Baunummer 26 auf der Yachtwerft der Gebrüder de Kloet in Kortenhoef (Niederlande) gebaut und ist damals als sehr günstiges Boot zum Küstensegeln für Nordsee und IJsselmeer angeboten worden.
Technische Daten: Länge: 8,25 m, LWL: 6,20 m, Breite: 2,49 m, Tiefgang: 1,05 m, Leergewicht: 2,6 Tonnen (davon etwa 1,3 Tonnen Ballast), Stehhöhe: ca. 1,85m, Baujahr: 1970
Geschichte:Das Boot wurde 1970 in Holland gebaut und bis 1986 von einer Hamburger Eignergemeinschaft als »Ferienhaus auf dem Wasser« genutzt. Dann übernahm ein anderer Hamburger die damalige GODENWIND und segelte sie auf der Nord- und Ostsee, bis wir sie im Jahre 2004 über eBay kauften und übernahmen. Zwischenzeitlich wurde der eingebaute Saab-Diesel gegen einen Volvo Penta MD-1 1c ausgetauscht, ein neuer, verlängerter Mast gebaut, ein Bugstrahlruder (Vetus) und eine hydraulische Radsteuerung nachgerüstet.
Motor: Der Motor ist ein 30 Jahre alter Volvo Penta MD-1 1c Diesel mit 23 PS, Welle und 2-flügeligem-Propeller.
Ausrüstung
Segel: An Segel waren an Bord: 2 Großsegel (jeweils 13 m2; eins von 2005 und eins aus den 1980ern), 1 Genua (etwa 20 m2; aus den 1970ern), 1 Fock (14 m2 aus den 1980ern), 1 Sturmfock (von 1976), 1 Spinnaker vom H-Boot (von 1994), 2 Sonnensegel. Großsegel mit Einleinenreff, Vorsegel mit Furlex-Rollreffanlage zu reffen, was sich beides ausgezeichnet bewährt hat und immer zuverlässig funktionierte.
Navigation: Log/Lot Autohelm Bidata, Autopilot Raymarine ST 1000plus Pinnenpilot, Radar Furuno 1623 (nur 15 min in Betrieb), Kurzwellenempfänger (geliehen), Kompass (2x), Hand GPS Garmin eTrex (100 Euro) und Garmin 72 (Reserve, geliehen), Papierseekarten (Imray), später C-Map Karten auf dem Laptop inkl. GPS-Mouse, Fernglas (2x), Seehandbücher.
Stromerzeugung: Zunächst nur ein 25-Watt-Solarpaneel (geliehen, Stromausbeute max. 5 Ah pro Tag) und Rutland 910 Windgenerator (hat nie funktioniert), ab Karibik dann Air-X-Windgenerator (Ausbeute bis 20 Ah pro Tag), der jederzeit genug Strom geliefert hat, solange der Wind wehte. Für die nächste Reise würde ich mir zusätzlich noch größere Solarpaneele kaufen. Die Maschine lief fast nie zur Stromerzeugung.
Notausrüstung/Sicherheit: Rettungsinsel Arimar 4-Personen für Küstengewässer, zusätzlich eine wasserdichte Tonne, in der ich Proviant, ein GPS, das Satellitentelefon, Seenotraketen sowie Nahrungsvorräte verwahrte. Außerdem eine Global-3-Epirb, die im Cockpit montiert war und bei Untergang Notsignale gesendet hätte. Desweiteren hatte ich zu beiden Seiten des Aufbaus Sicherheitsleinen gespannt, in die ich mich bei Arbeiten außerhalb des Cockpits mit der Lifeline der Schwimmweste (Marinepool, 275 N) einklinken konnte.
Während des Segelns trug ich nur selten eine Schwimmweste, weil sie allein an Bord kaum etwas genützt hätte – es wäre ja keiner dagewesen, der das Boot hätte wenden können. Dagegen sicherte ich mich mit dem Lifebelt vor dem Überbordgehen, indem ich mich sobald das Wetter schlecht oder die Wellen hoch wurden, an das Boot leinte, wofür Leinen zum Einpicken an Deck gespannt waren.
Ankergeschirr: Pflugscharanker (15 kg) mit 7 mm Kettenvorlauf (10 m) und 14 mm Ankerleine (39 m); Plattenanker (10 kg) mit 6 mm Kettenvorlauf und 12 mm Leine (25 m), Stockanker (7 kg) mit 10 mm Leine (20 m), keine Ankerwinde.
Kocher: Optimus-Petroleumkocher aus Edelstahl, da bessere Hitzeausbeute als Gas, halbkardanische Aufhängung, die das Schaukeln des Bootes ausgleicht und viel sicherer als Gas ist, da nicht so leicht entzündlich.
Dingi: Als Beiboot hatte ich ein 2,40 m langes Schlauchboot von Seatec mit Lattenboden und 5 PS Yamaha Außenborder. Obwohl der Lattenboden dem Boot keine wirklich gute Kursstabilität verlieh, so war es doch mit dem Außenborder immer schnell in Gleitfahrt und ermöglichte so, selbst lange Dingifahrten über mehrere Meilen bequem durchzuführen.
Selbststeueranlage: Ein 30 Jahre alter Windpilot Pacific mit Pendelruderanlage. Obwohl ich mit dem Windpiloten zu Beginn der Reise noch keine Erfahrung hatte, hätte ich ihn am Ende der Reise küssen können, da er sich die ganze Fahrt über als absolut zuverlässig und unzerstörbar erwies und MAVERICK sehr viel besser und sicherer steuerte, als ich es je hätte tun können. Selbst im Surf von den sechs Meter hohen Wellen hielt er sich ausgezeichnet, sodass ich voll Vertrauen in die Koje gehen konnte.
Wetterkleidung: An Wetterkleidung hatte ich ein vollwertiges Hochseeölzeug mit 275N-Weste von Marinepool an Bord, das mich immer warm und trocken hielt und auch noch nach längerer Zeit angenehm zu tragen war. Darunter je nach Gewässer Fleece-Pullover (bei Portugal) oder T-Shirt (Karibik).
Kommunikation: Als Kommunikationsmittel hatte ich zum einen ein Iridium-Handy Typ Motorola 9505A an Bord, mit dem ich nicht nur alle zwei Tage meinen Eltern ein Lebenszeichen geben, sondern auch per SMS meine Position schicken konnte und über ein Verbindungskabel zum Laptop sogar E-Mails. Durch Smartsatcom bekam ich das Telefon kostenlos geliehen und außerdem einen sehr günstigen Tarif.
Neben dem Telefon hatte ich an herkömmlichen Kommunikationsmitteln nur ein UKW-Funkgerät, das ich erst in den USA ab und an benutzte.
E-Mails verschickte ich meist, indem ich mich per Laptop über ein Wireless-Netzwerk ins Internet einwählte. Diese Hotspots sind mittlerweile auf fast jeder Insel zu finden, meist jedoch in Cafés oder Bars in denen man während eines Biers kostenlos im Internet surfen kann. Auch in manchen Häfen und Ankerbuchten gibt es bereits Hotspots, die man auf dem Boot empfangen kann. Meist öffnet sich nach dem Einloggen dann die Startseite eines Anbieters, der zur Eingabe der Kreditkarten-Informationen bittet. Dann kann man meist für ein paar Dollar 24 Stunden lang das Internet nutzen und auf diese Weise über das kostenlose Programm »Skype« per Internet kostenlos von Rechner zu Rechner oder für etwa 2,5 Cent pro Minute ins deutsche Festnetz telefonieren.
Fotografie/Film: Meine über 13 000 Fotos der Reise schoss ich ausschließlich mit einer Sony H1, die neben 5 Megapixeln auch über einen 10-fachen Zoom verfügt und damit für mich die günstigere Alternative zu einer digitalen Spigelreflexkamera darstellte. Als kleines Backup hatte ich zudem eine Sony DSC-P32 mit 3 Megapixeln und ohne Zoom an Bord. Beide Kameras haben sich als wahre Glücksgriffe herausgestellt, denn ich brauchte nicht viel Ahnung vom Fotografieren zu haben, und doch kamen am Ende immer wieder die schönsten Fotos heraus.
Auch die Videokamera vom Typ Panasonic NV-GS75 überzeugte mich durch tolle Aufnahmen in ausgezeichneten Qualitäten. Insgesamt nahm ich über neun Stunden Film im Format Mini-DV auf.
Website: Während der Reise verfasste ich im Schnitt alle vier bis fünf Tage einen neuen Artikel für meine Website, die sich innerhalb kürzester Zeit im Internet herumsprach und den Besucherzähler täglich mehrere Hundert Male klackern ließ. Hunderte Menschen begleiteten mich auf diese Weise Woche um Woche auf meiner Reise, schrieben mir Hunderte Mails und Einträge in mein Gästebuch und gaben mir so oft den Mut, den ich brauchte, um in den Niederlagen und Reparaturphasen der Reise die Hoffnung nicht zu verlieren. Auch erkannte ich, dass ich diese Reise längst nicht mehr länger nur für mich, sondern auch für sie tat, die mit mir jede einzelne Insel entdeckten, wenn ich über meine Erlebnisse schrieb. Selten nur hatte ich Probleme beim Finden eines Internetzugangs, um einen neuen Bericht abzusetzen. Selbst in jeder Palmenwedelhütte gibt es heute einen Internetanschluss. Auf der Suche nach der Antwort, auf welchem Weg die ganzen Besucher von meiner Seite erfahren haben, nahmen bei einer Umfrage 869 Menschen teil und gaben auf die Frage: »Wie sind Sie auf meine Website aufmerksam geworden?« folgende Antworten:
27 %Ich habe in der »Yacht« davon gelesen
8 %Ich habe in den Medien davon erfahren (Tageszeitung etc.)
23%Ich habe in einem Internetforum davon gelesen
14 %Ich habe anderswo im Internet davon gelesen
10 %Man hat mir davon erzählt
6 %Wir haben uns unterwegs getroffen
12 %Wir kannten uns schon vorher
Kosten: Wenn ich die gesamten Kosten der Reise zusammenrechne, komme ich auf etwa 25 000 Euro, inklusive Bootskauf.
Davon ging jedoch ein beträchtlicher Teil in den Unterhalt des Bootes, da sich das Alter langsam doch bemerkbar machte und es immer irgendetwas zu reparieren gab. Den Höhepunkt der Ausgaben hatte ich in der Karibik, als nach und nach immer in 500-Dollar-Scheinen das Geld in die Reparaturen ging: 500 Dollar für das Getriebe, 500 Dollar für den Versand, 500 für den Einbau, 500 für die Liegegebühren in zwei Monaten, 500 für den Windgenerator ... Und so ging ich bereits in der Karibik Pleite – und meine Eltern sprangen ein, damit ich es noch ein Stückchen weiter schaffen konnte.
Ein weiterer großer Kostenpunkt war der Transport der MAVERICK nach Lissabon, der über 2000 Euro kostete, und die Liegegebühren von je 50 Dollar pro Nacht in den USA.
Davon abgesehen, muss ich sagen, dass das Leben an Bord verhältnismäßig günstig war, wenn es nicht so viele Reparaturen am Boot gegeben hätte.
MAVERICK segelt hinein in den Sonnenuntergang und manchmal möchte ich es Lucky Luke gleichtun und singen: »I’m a poor, lonesome Cowboy . . . «