Alles muss raus - Helmut Herrmann - E-Book

Alles muss raus E-Book

Helmut Herrmann

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  • Herausgeber: TWENTYSIX
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Geschichten, die er keinesfalls für sich behalten will, stellt der Schriftsteller Helmut Herrmann in diesem Buch vor. Er hat sie in Verlauf mehrerer Jahre geschrieben und sie sind in mehreren Genres zuhause. Die Spanne reicht von Fantasy, kriminell, Satirisch, ernsthaft-kritisch bis hin sogar zu Liebesgeschichten. Im Mittelpunkt stehen dabei aber stets Menschen, die einem nicht unbedingt jeden Tag über den Weg laufen. Trotzdem, oder gerade deswegen versucht der Autor sie seinem Leserpublikum so liebevoll wie möglich vorzustellen, immer jedoch mit einem lachenden aber auch manchmal weinenden Auge. Aber tauchen sie in die Welt seiner Protagonisten ein und bilden sich am besten selbst ein Urteil.

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Seitenzahl: 186

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„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

Wenn hinten, weit, in der Türkei,

Die Völker aufeinanderschlagen.

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus

Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;

Dann kehrt man abends froh nach Haus,

Und segnet Fried und Friedenszeiten.“

Johann Wolfgang Goethe

Der Schriftsteller Helmut Herrmann, geb. 1956, lebt und arbeitet in Nürnberg. Er schreibt seit 2017 historische Kriminalromane, von denen er bereits einige veröffentlicht hat. Seit dieser Zeit haben sich bei ihm gleichzeitig mehrere selbstgeschriebene Kurzgeschichten angesammelt, die er in der vorliegenden Anthologie den geneigten Lesern nicht vorenthalten möchte. Sie verfügen über eine breite Vielfalt, die auf satirischem bis ernsthaft-kritischem Gebiet beheimatet sind, bisweilen kommen aber auch märchenhaft angehauchte Texte zum Einsatz. Die Protagonisten der Geschichten sind dabei häufig Menschen, die nach seinem eigenen Bekunden nicht unbedingt zum „Mainstream“ gehören. Aus diesem Grund versucht er, sie seinem Publikum liebevoll, aber auch leicht ironisch zu präsentieren.

Inhalt

Babaos

Sauerkrautdilemma

Alles nur Fassade?

Doppelmoral

Meinung und Wahrheit

Kleinkrieg in Beutelsbrunn I.

Asmodis

Mir ist es hier zu kalt.

Ein tödliches Missgeschick

Kleinkrieg in Beutelsbrunn II.

Der Klavierspieler

Der Voyeur

DHL

Der Verlust

Ein unerwarteter Besuch

Perillos

Der Geist ist willig

Licht und Schatten

Todesahnung

Liebe mit Hindernis

Im Nachhinein betrachtet …

Wunder (?)

Chaos in der Massagepraxis

Schlechtes Gewissen

Fragen an die Welt

Babaos

Es war einmal ein kleines Dorf namens Perillos, gelegen auf einer Hochebene in der Nähe der südfranzösischen Stadt Perpignan. Seine Bewohner waren arm, weil es dort kein fruchtbares Land gab. Nur wenige ausgetrocknete Bäume wuchsen dort, vermehrt dagegen dornige Sträucher. In der heißen Jahreszeit brannte die Sonne unerbittlich auf die Menschen nieder und im Winter blies ein eiskalter stürmischer Wind über das Land. Der Himmel war meistens tiefblau und in der Ferne glitzerten die schroffen Berge der Pyrenäen. Die Menschen dieser Gegend überlebten einzig durch die Haltung von Schafen und Ziegen.

Umschlossen wurde ihr Dorf von den Mauern einer wehrhaften Burg, dem Château de Salveterra. Der Burgherr hieß Ramon de Perillos, der von allen Bewohnern wegen seiner Güte sehr beliebt und angesehen war.

An einem herrlichen Frühlingstag verabredeten sich einige Kinder außerhalb der Burg zum Spielen. Fantastisches Frühlingswetter bot ihnen reichlich Gelegenheit dazu. Von hier oben hatte man einen Panoramablick auf die am Horizont gelegene Stadt Perpignan mit dem angrenzenden Meer. Die Kinder stellten sich vor, Schiffsreisende zu sein, im gleichen Moment schwenkten sie über zu Rittern, die um Ruhm und Ehre miteinander kämpften.

Zuletzt schlug Etienne, der Älteste von ihnen, vor: „Lasst uns Versteck spielen, einverstanden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten rannte er los, seine Freunde Jean und Gabriel im Schlepptau. Zurück blieben als Sucher die beiden jüngsten, Michel und Antoine. Zwar gestaltete es sich schwierig, ein Versteck zu finden, weil es nur Gestrüpp und ein paar Felsbrocken gab, aber das bildete gerade den Reiz an der Sache.

Kurz darauf machten sich die beiden auf den Weg. Urplötzlich setzte ein heftiger Wind ein und es wurde so dunkel, als hätte sich eine große Wolke vor die Sonne geschoben. Spürbare Kälte setzte ein und sie vernahmen unheimliches Flügelschlagen wie von einem Raubvogel. Aber das, was sie über sich sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Wie aus den Märchen, die ihnen ihre Eltern vor dem Einschlafen erzählt hatten, spiegelte sich ein „serpent rouge“, ein gewaltiger roter Drache, in ihren entsetzten Augen. Behäbig und ohne große Hast drehte er seine Runden, mal kam er näher, mal entfernte er sich. Für seine Opfer schien es kein Entkommen zu geben, denn von seiner Position aus konnte er alles gut einsehen. Michel und Antoine waren dem Ungeheuer auf Gedeih und Verderb ausgesetzt.

Als der Drache wie ein Hubschrauber vor ihnen landete, wirbelte er mächtigen Staub auf, der sie wie ein Kokon umhüllte. Sie hielten sich aneinander fest, um nicht zu Boden gerissen zu werden.

Das Monster war martialisch mit messerscharfen Schuppen bedeckt und hatte die Größe von vier aufeinandergestapelten Natursteinhäusern, wie sie für diese Gegend typisch waren. Sein Körper leuchtete blutrot. Das Merkwürdigste war jedoch sein Kopf, der das Aussehen eines menschlichen Gesichtes hatte. Wie das Haupt der Medusa aus der griechischen Mythologie wurde es von schlangenähnlichen pechschwarzen Haaren umrahmt. Es grinste die Kinder höhnisch an und öffnete sein hässliches Maul, aus dem lange dolchartige Zähne zum Vorschein kamen. Dabei tropfte zähflüssiger Geifer heraus, begleitet von bestialischem Gestank, der einen fast ohnmächtig werden ließ. Das Schlimmste aber waren seine Füße, die mit mörderischen großen Krallen bewehrt waren. Seine Flügel besaßen die Spannweite eines modernen Düsenflugzeuges. Der kleine Michel bekam sich nach kurzer Starre in den Griff und brüllte seinen Kameraden verzweifelt an: „Lauf, lauf weg!“

Der Drache war amüsiert und brach in dröhnendes Gelächter aus: „Ihr kleinen Narren könnt nicht mehr fliehen. Habt ihr das nicht kapiert?“

Die Kinder versuchten es dennoch und rannten beide in eine entgegengesetzte Richtung, weil sie ihn dadurch verwirren wollten. Tatsächlich war das Monster für einen kurzen Augenblick irritiert, jedoch nützte es nichts. Michel sollte der Erste sein, auf den sich der Drache stürzte. Mit seinen messerscharfen Krallen packte er ihn wie ein erbeutetes Kaninchen und führte ihn wie mit einer Gabel in sein weit aufgesperrtes stinkendes Maul. Man vernahm nur einen spitzen Schrei und das nachfolgende Krachen gebrochener Knochen.

Antoine blieb von Entsetzen gelähmt stehen und rieb sich die verheulten Augen. Ihm bot sich ein entsetzlicher Alptraum, als er sah, wie das Ungeheuer genüsslich wie bei einem Festessen kaute. ‚Weg von hier, nur weit weg von hier‘, schoss dem kleinen Kerl durch den Kopf und er lief mit letzter Kraft wieder los. In der Höhe eines Ginsterbusches erkannte er Etienne, der ihm aufgeregt gestikulierte. Was sollten sie tun? Ihnen blieb keine Zeit, sich zu beraten.

Plötzlich ertönte hinter ihnen ein schriller spitzer Schrei, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Ungeheuer hatte sich sein zweites Opfer geholt, um wen es sich handelte, konnte man aus der Ferne nicht erkennen. Sie konnten nur verfolgen, wie sich das Monster vom Boden abhob und dabei den Ärmsten in seinen Klauen hielt. Die Szene erinnerte an einen Raubvogel, der zu seinem Nest flog, um seiner Brut Futter zu bringen. Man sah, wie dieses Wesen zappelte und um sein Leben schrie. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, um wen es sich handelte – es war ihr Freund Jean.

Nach einigen Minuten, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkamen, war der Drache in der Ferne verschwunden. Antoine und Etienne hatten das Trauma überlebt, aber was war mit dem Letzten aus ihrer Gruppe – Gabriel? Sie brauchten nicht lange warten, bis sie eine Antwort auf ihre Frage erhielten, denn sie trafen ihn auf dem Nachhauseweg. Keiner von den Dreien sagte ein Wort, denn sie hatten nur ein Ziel und das war ihr Dorf.

Zuerst trafen sie Simon, Etiennes Vater, der in Dorfnä-he seine Ziegen hütete. Sein Sohn rannte auf ihn zu und umklammerte ihn schluchzend. Noch ehe er Fragen stellen konnte, erzählten ihm die beiden Anderen, was sich ereignet hatte. Simon sagte nur ein Wort: „Babaos! Dieses verfluchte Biest.“

Es musste schnell gehandelt werden. Deshalb befahl er den anderen beiden sofort, ohne Umwege zu ihren Familien zu laufen; Etienne schickte er ebenfalls heim. Simon begab sich umgehend zu den anderen Ziegenhirten. Mit etwas Glück konnten sie noch rechtzeitig ihre Tiere nach Hause treiben. Er vertraute darauf, dass das Ungeheuer im Augenblick noch satt wäre.

Es herrschte trügerische Ruhe. Eine Zeit, die man nutzen musste, um sich in Simons Haus mit den anderen Dorfbewohnern zu einer Lagebesprechung zu versammeln. Bisher hatte sich das Ungeheuer nur das eine oder andere Tier geholt, egal, ob Schaf oder Ziege. Es lebte schon lange in dieser Gegend, hatte jedoch bisher nie Menschen angegriffen. Vergleichbar mit einem wilden Tier hauste es irgendwo in der Gegend. Dass es sich nun unschuldige Kinder als Nahrung suchte, hatte eine neue Qualität, die man nicht dulden konnte.

Die Menschen berieten, was sie mit ihren bescheidenen Möglichkeiten, anstellen konnten. Tatsächlich hätte es mindestens zwanzig ausgebildeter Kämpfer bedurft, um dem etwas entgegenzusetzen. Auch mit List, wie es Gerard, einer der Jüngeren unter ihnen, vorschlug, war ihm nicht beizukommen.

Mitten in ihren Überlegungen gab es draußen laute Geräusche, die in ihrer Heftigkeit zunahmen. Ein laut heulender Wind strich um die Hütte. Es wurde immer dunkler, so als bräche die Nacht herein. Dann ertönte ein Schlag, der den Boden unter ihnen zum Beben brachte. Babaos war zurückgekehrt. Eingeschüchtert durch maßlose Angst brachte keiner der Männer ein Wort heraus. Da dröhnte von draußen eine Stimme durch die Wände. „Kommt heraus, ihr Feiglinge, ich muss mit euch reden!“ Für einen kurzen Moment herrschte atemlose Stille. Dann folgte eine nochmalige Aufforderung, die inzwischen leicht belustigt klang.

Es war Simon, der sich als Erster aus einer gewissen Schockstarre lösen konnte. Ehe ihn die anderen davon abbringen konnten, begab er sich zur Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spalt. Was er keine fünf Meter von ihm entfernt sah, ließ ihn zusammenzucken. Ein infernalischer Gestank schlug ihm von der Bestie entgegen, Tod und Verwesung in einem. Der Bauer öffnete dennoch die Tür jetzt vollständig und trat nach draußen. Dadurch konnten die anderen Männer das Ungeheuer in voller Größe entsetzt erkennen.

Simon nahm allen Mut zusammen und antwortete grimmig: „Was willst du von uns?“

„Ich will euch etwas vorschlagen. Es abzulehnen würde ich euch nicht raten“, grinste ihn Babaos hässlich an. Simon nahm sich vor, sich nicht einschüchtern zu lassen. Dennoch entgegnete er ihm leicht verunsichert: „Was meinst du damit? Wir sind arme Bauern, die in Frieden leben wollen. Also lass uns gefälligst in Ruhe.“ Die Wut in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Babaos beeindruckte das überhaupt nicht. „Ich werde euch sagen, was ich will. Wie ihr inzwischen feststellen konntet, habe ich großen Hunger. Nach einem langen Winterschlaf, brauche ich etwas Handfestes.“ Er fand seine Bemerkung äußerst witzig und musste selbst drüber lachen.

Dann fuhr er fort: „Ich habe nur eine bescheidene Forderung an euch. Bringt mir jeden Tag fünf Schafe, Lammfleisch ist mein Leibgericht, vor allem, wenn es in rohem Zustand ist.“ Er fügte ernst hinzu: „Überlegt es euch gut, ihr habt einen Tag Bedenkzeit. Solltet ihr den Vorschlag nicht akzeptieren, werde ich mir nach und nach einen eurer Bälger holen. Übermorgen komme ich wieder und bin gespannt auf eure Entscheidung. Das war`s, au revoir.“ Die Auf- und Abbewegungen seiner riesigen Flügel sorgten für sturmartige Böen, vergleichbar mit einem Hubschrauberstart. Wenige Augenblicke später war Babaos wieder verschwunden. Simon konnte das alles immer noch nicht glauben. Aus der Hütte hinter ihm vernahm er eine zaghafte Stimme, die ihn fragte: „Ist er weg?“ Er nickte nur und langsam trauten sie sich heraus. Sie waren ratlos und keiner konnte zunächst etwas sagen. Der Schreck saß ihnen tief in den Gliedern. Didier, einer von den jüngeren und dennoch bereits Familienvater, fasste sich ein Herz. „Was sollen wir tun?“, fragte er verzweifelt. „Sagt doch endlich was.“

Man beriet sich noch mehrere Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb, lag momentan in weiter Ferne. Wenn überhaupt, dann konnte nur einer diesen Drachen in seine Schranken weisen. Es war ihr Lehnsherr, Ramon de Perillos, ein kampferprobter Ritter, der jedoch im Heiligen Land weilte, um das Christentum gegen die Ungläubigen zu verteidigen. Wenn also kein Wunder geschehen würde, mussten sie wohl oder übel dem Ungeheuer die geforderten Schafe jeden Tag opfern. Gleichzeitig wussten sie, dass es über kurz oder lang nicht dabeibleiben würde.

Am späten Vormittag des nächsten Tages traf man sich wieder. Über Nacht hatte sich Hoffnung verbreitet, weil bekannt geworden war, dass Ramon de Perillos vom Kreuzzug zurückkehrte. Nach einer kurzen Besprechung beschlossen sie, sich unverzüglich zu dessen Château in der unmittelbaren Nähe zu begeben. Als Abgesandte wählte man Simon und seinen Nachbarn Gerard.

Die dortigen Wachen empfingen sie zunächst ablehnend. ‚Was wollten diese Bauernlümmel hier?‘, fragten sie sich argwöhnisch. Ramon hatte ihnen befohlen, niemanden zu ihnen vorzulassen. Er wollte sich von den Strapazen der zurückliegenden Wochen erholen. Simon und Gerard blieben jedoch hartnäckig und so durften sie nach längerem Warten eintreten.

Der Burgherr, ein Hüne mit brauner wettergegerbter Haut und einem langen schwarzen Bart wirkte müde. Dennoch verfolgte er mit hellwachen Augen, was sie ihm zu erzählen hatten. Simon war mutig vor ihm hingetreten und meinte, als er mit seinen Ausführungen geendet hatte: „Herr, ihr wisst, dass ihr von uns bisher regelmäßig euren Pflichtanteil erhalten habt. Um dies weiter zu gewährleisten, bitten wir euch um euren Beistand im Kampf gegen das Ungeheuer.“

Ramon schwieg zuerst und überlegte. Dann verkündete er: „Tatsache ist, dass wir schnell handeln müssen. Deshalb befehle ich euch Folgendes: Geht zurück ins Dorf, trommelt alle Freiwilligen zusammen und sagt ihnen, sie sollen sich mit allem bewaffnen, was man verwenden kann. Ich werde ebenfalls meine kampferprobten Männer zu den Waffen rufen. In einer Stunde treffen wir uns am Dorfbrunnen. Mit Gottes Hilfe werden wir die Bestie besiegen.“ Er klang sehr entschlossen, dadurch schöpften Simon und Gerard neuen Mut. Beide kehrten voller Zuversicht ins Dorf zurück.

Bald hatten sie sich in der Mitte des Dorfes versammelt, wobei Ramons Kämpfer auf Pferden erschienen waren. Sie sahen martialisch und zugleich furchteinflö-ßend aus, waren mit schweren Schilden und gewaltigen Lanzen und Schwertern bis an die Zähne bewaffnet. Über allem herrschte eine angespannte Atmosphäre, vor allem unter den Bauern vermischten sich Angst und Hoffnung miteinander. Ramon de Perillos schilderte ihnen mit lauter Stimme seinen Plan. Zunächst wollte man in Zweiergruppen gen Süden vordringen, wo sie den Unterschlupf des Ungeheuers vermuteten. Dort befand sich eine Hochebene, von deren Ende man in eine tiefe Schlucht hinuntersehen konnte. Wahrscheinlich hauste Babaos dort. Um sicher zu gehen, würde man zwei Späher vorausschicken. Wiederum meldeten sich die beiden Mutigsten, Simon und Gerard, für die gefährliche Mission. Zwar drängte die Zeit, aber überstürzt zu handeln, wäre ein fataler Fehler.

Wenig später waren die Beiden aufgebrochen und es dauerte nicht lange, bis sie zurückkamen und die allgemeine Vermutung bestätigten. Ramon nickte grimmig und hob den linken Arm, das Zeichen zum Aufbruch. Der Tross setzte sich in Bewegung.

Mitgekommen war auch Charles, ein erfahrener und im Gegensatz zu den restlichen Dorfbewohnern weit gereister Mann. Begleitet wurde er von seinem Nachbarn Vincent, der wesentlich jünger war. Während sie auf das Ende der Hochebene zumarschierten, meinte er: „Ich habe mir die ganze Zeit überlegt, wo ich dieses hässliche Menschengesicht des Ungeheuers schon mal gesehen habe. Es ist mir wieder eingefallen: Vor mehreren Jahren lebte in Perpignan ein verrückter Alchemist, der grausame Experimente mit allen möglichen Tieren durchführte. Man erzählte sich, er sei mit dunklen Mächten im Bunde. Eines Tages soll sein Haus von einem Moment auf den anderen explodiert sein, seitdem wäre er verschwunden gewesen. Allgemein nahm man an, er hätte es nicht überlebt. Aber bestätigen konnte das keiner. Ich überlege gerade, wie er hieß.“

Vincent konnte nicht verstehen, was das mit dem Monster zu tun haben könnte. Charles ließ sich nicht beirren und plötzlich fiel ihm der Name wieder ein. „Godefroit, ja, der verrückte Godefroit – so nannte man ihn. Babaos und er sind identisch. Er ist mir damals nur ein paarmal über den Weg gelaufen, aber ich habe mich ziemlich gegruselt über ihn. Anscheinend genügten ihm die Experimente mit Tieren nicht, wie man jetzt sieht. Mit seiner neuen, viel schrecklicheren Gestalt bleibt uns nichts anderes übrig, als ihm endgültig den Garaus zu machen.“

„Das musst du Ramon unbedingt sagen und zwar noch bevor wir ihn angreifen.“

„Du hast Recht, vielleicht können wir aus diesem Wissen einen Vorteil ziehen“, meinte Charles.

Da sie auf breiter Front unterwegs waren, kamen sie zügig voran. Obwohl sie keinerlei Erfahrung hatten und schon gar nicht über eine bestimmte Taktik verfügten, blieben sie zuversichtlich. Das Gelände kam ihnen entgegen, weil kein Baum oder Busch die Sicht störte. Dabei redeten sie nur das Nötigste, verständigten sich mehr durch Zeichen.

Endlich erreichten sie die Schlucht und man riskierte einen vorsichtigen Blick nach unten. Babaos war noch nicht zu sehen und so beriet man, wie man weiter vorgehen würde. Die Nerven aller waren zum Zerreißen gespannt, dazu schlug ihnen aus der Schlucht süßlicher Verwesungsgestank entgegen. Eine seltsame Atmosphäre lag in der Luft, die sich unheimlich anfühlte. Käme das Ungeheuer augenblicklich von hinten angeflogen, wäre es zu spät für sie.

„Kennt sich jemand von euch in dieser Schlucht aus?“, fragte der Lehnsherr. Zunächst blickte er in ratlose Gesichter, dann meldete sich jemand.

„Drei, vier Mal war ich schon hier, weil einige meiner Lämmer da hinuntergestürzt sind. Ich konnte ihnen nicht mehr helfen“, sagte Eric, ein vierschrötiger Mensch mit einem furchterregenden Bart und vielen Falten im wettergegerbten Gesicht.

„Konntest du feststellen, wieviel Ein- und Ausgänge es gibt?“

„Soweit ich es in Erinnerung habe, sind es nur zwei. Einer im Norden und einer im Süden.“

Wiederum schickte Ramon vier Späher los, die vorsichtig und lautlos am Rand der Schlucht entlangschleichen sollten, um festzustellen, ob sich Babaos tatsächlich da unten befinden würde. Nach wenigen Minuten hatten sie Gewissheit. Der Drache war „zuhause“, offensichtlich schlief er, weil er sich nicht bewegte. Ein breiter Bach schlängelte sich durch die Felswände und sorgte dafür, dass er sie nicht so schnell hören konnte. Von ihrer Position aus kam ihnen die Bestie noch gewaltiger vor, als sie diese in Erinnerung hatten. Würde es tatsächlich gelingen, sie zu besiegen?

Als sie zu den anderen zurückgekehrt waren, hörte sich Ramon ihren Bericht geduldig an. „Herr, da gibt es etwas, was vielleicht von Bedeutung sein könnte.“ Der Lehnsherr wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Charles ließ sich nicht zweimal bitten, fortzufahren. Er erzählte von dem Alchemisten in Perpignan namens Godefroit.

„In der Tat, das ist ein wertvoller Hinweis, der uns zum Vorteil gereichen könnte. Ein Mensch, so er denn noch einer ist, verhält sich anders als ein Tier. Wir werden sehen.“

„Vielleicht liegt der Vorteil darin, dass ein Tier seinen Feind auf weite Entfernung riechen kann, ein Mensch dagegen nicht“, meinte Charles wiederum.

„Du hast recht“, stimmte ihm der Burgherr zu. „Das könnte unsere Chance sein. Wir schleichen uns von hinten an ihn heran und starten einen Überraschungsangriff. Vielleicht haben wir zusätzliches Glück, indem er noch schläft. Lasst uns deshalb sofort aufbrechen.

Wenig später stiegen sie die Schlucht hinab und kamen am südlichen Eingang zu stehen. Der Lärm des tosenden Wassers verhinderte, dass Godefroit sie hören konnte. Er befand sich noch in einem Dämmerzustand – halb wach, halb schlafend. Und was ganz besonders wichtig war: Er wandte ihnen den Rücken zu. Langsam und stetig drangen sie auf ihn zu, ließen ihn dabei nicht aus den Augen.

Godefroit war kurz davor, wieder einzuschlafen. Das war ihre große Chance. Niemals hatte der Drache damit gerechnet, dass sie hier auftauchen würden. Zu arg hätte er sie am gestrigen Tag eingeschüchtert, war seine Meinung.

Um seinen Männern den Befehl zum Angriff zu geben, nickte Ramon ihnen kurz zu. Dann rannten sie auch schon los, mit allem bewaffnet, was sie in der Hand hatten.

Das völlig verdatterte Ungeheuer hatte zuerst Mühe, einen klaren Kopf zu bekommen, schlug aber dann mit seinen tödlichen Krallen wild um sich. Einschüchtern konnte er sie aber nicht wie er es sich eigentlich vorstellte, weil er aus bekannten Gründen kein Feuer speien konnte wie andere Fabelwesen seiner Gattung. Es gab zwar einige Leichtverletzte, aber man konnte ihm meistens ausweichen. Dann nahm der Kampf an Intensität zu und es gab Tote. Zwei von den Männern kämpften wie die Löwen – Ramon und Simon, der Anführer der Bauern. Unter übermenschlicher Anstrengung trieben sie Babaos in die Enge. Schließlich gelang es, ihn an seinen Flügeln schwer zu verletzen, ein entscheidender Vorteil, wie sich sogleich herausstellen sollte. Aber auch die Angreifer ermüdeten langsam und ihre Hiebe mit den Schwertern und Stangen verloren an Präzision.

Langsam wurde es dunkel und die Sonne sank rapide. Nebel kam auf und begann, sich von oben herab wie ein Spinnennetz zu senken. Sollte sich das Blatt noch zu Ungunsten der Angreifer wenden? In das Geräusch des fließenden Baches mischten sich inzwischen die Schreie der Verletzten, alle hofften verzweifelt darauf, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu einem siegreichen Ende zu kommen. lange konnte man das nicht mehr durchhalten.

Da, endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit folgte der entscheidende Moment. Der Lehnsherr führte mit letzter Kraft einen gezielten Hieb zwischen die Augen Godefroits und Simon durchbohrte mit einer langen Eisenstange das hässliche Maul des Monsters. Godefroit taumelte, begriff zunächst nicht, was geschehen war, krachte dann unter einem herzzerreißenden Röcheln auf den Boden. Die Erschütterung kam einem Erdbeben gleich, das man bis ins nächstgelegene Dorf hören konnte. Es war aus, Babaos, der Drache, hatte das Spiel verloren.

Bei den Männern wich die anfängliche Erschöpfung grenzenloser Freude und sie schrien sich ihren Sieg aus den Kehlen. Von oben ertönte frenetischer Jubel, weil Frauen und Kinder aus Perillos herbeigeeilt waren, um sich ein Bild vom Tod der Bestie zu machen.

Am nächsten Tag gab es ein Fest, bei dem alle gemeinsam mit dem Burgherrn und seinen Kämpfern feierten. Den Leib des Ungeheuers ließ man in der Schlucht verwesen. Jahre später verteilte man seine Knochen als eine Art Reliquie auf die Kirchen der umliegenden Dörfer, wo man sie auch heute noch besichtigen kann. Außerdem veranstaltet man in einem kleinen Dorf in der Nähe von Perillos einen Umzug zur Erinnerung an den Sieg über Babaos, das Ungeheuer. Seit damals ist der Ort Perillos bis in die heutige Zeit von einer Aura des Mystischen umgeben, in der sich immer wieder seltsame Dinge ereignen. Aber davon ein andermal.

Sauerkrautdilemma

Unser Nachbar Dieter ist Zeuge Jehovas. Das warf bei mir die Frage auf, weshalb dieser Jehova jemanden braucht, der ihm beim Zeugen hilft oder er vielleicht Schwierigkeiten mit der Justiz hat und deswegen einen Zeugen braucht. Dann hat er mir erklärt, was es damit auf sich hat. Am Schluss fragte er mich, was ich denn so glauben würde. „Ganz einfach“, habe ich ihm erklärt, „Meine Philosophie besteht darin, zu glauben, dass ein halber Laib Brot und ein Ring Stadtwurst eine zünftige Brotzeit ergeben.“ Seitdem gelte ich für Dieter als Atheist.

Was zu diesem Essen gehört, ist gut gereiftes Sauerkraut, Nebenwirkung inklusive. Wird sich bestimmt in Grenzen halten, dachte ich, als mich mal wieder danach gelüstete. Schließlich bin ich Optimist. Auf das obligatorische Weißbier und als Nachtisch Gummibärchen hatte ich spartanisch verzichtet. Man muss es nicht übertreiben.