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Der Roman umfasst die Geschehnisse in Rennes-le-Château in der Zeit zwischen 1898 und 1917. Protangonisten sind wie immer die beiden Abbés Bérenger Saunière und Henri Boudet. In dieser Zeit ereignen sich wieder einige bis heute unaufgeklärte Morde in dem kleinen südfranzösischen Dorf. Für Bérenger Saunière sind die Bluttaten allerdings nur Nebensache, da er einem großen und mysteriösen Geheimnis auf der Spur ist, dass die christliche Glaubenslehre auf den Kopf stellen könnte.
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Seitenzahl: 448
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Rennes-le-Château kommt nicht zur Ruhe. Nachdem die Gendarmerie erfolglos versucht hat, den Mord an Abbé Gelis im Jahr 1897 in Coustaussa aufzuklären, finden wenige Jahre danach erneute Einbrüche in der Region statt. Zunächst verlaufen sie glimpflich, dann geschieht ein erneuter Mord. Das Opfer ist ein junger Abbé, der sich gerade in Rennes-les-Bains aufhält und die Einbrecher auf frischer Tat ertappt. Für Abbé Bérenger Sauniere, den Geistlichen von Rennes-le-Château ist die Bluttat nur Nebensache und er widmet sich weiter seinen Studien auf der Suche nach neuen Geheimnissen. Nach langen Jahren der Abwesenheit kehrt Abbé Boudet, sein kongenialer Partner, wenn es darum geht, Intrigen zu schmieden, wieder nach Rennes-les-Bains zurück. Boudet zeigt sich amtsmüde und ein junger Geistlicher übernimmt seine Pfarrstelle. Danach überschlagen sich einmal mehr die Ereignisse.
Helmut Herrmann, geb. 1956 in Nürnberg, schreibt seit einigen Jahren Kurzgeschichten und Romane. Besonders hat es ihm dabei sein Lieblingsurlaubsziel Südfrankreich angetan. Der Autor legt mit seinem neuen Buch einen Fortsetzungsroman seines Erstlings „Der Fluch von Rennes-le-Château“ vor.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Epilog
Die Zeit drängte. Schon fast zu lange hatten sie das gesamte Dorf abgesucht, mit negativem Ergebnis. Es war wie verhext. Ihre finanziellen Möglichkeiten neigten sich dem Ende zu und wenn überhaupt, dann musste es in diesen Tagen geschehen. Es war die allerletzte Chance für sie, nicht mit leeren Händen zurückfahren zu müssen. Ihre Nerven lagen blank und ließen ein dramatisches Ende erahnen.
Als sie nahe daran waren, ihre Suche aufzugeben, erhielten sie von einem Einheimischen den alles entscheidenden Tipp. Sie sollten sich am Nordhang des Tour Magdala einfinden. Nach einem festgelegten Stand der Sonne würde dort eine spezielle Darstellung im Fels erkennbar sein. Sie würden staunen, denn es entstünde ein Bildnis von einer Gruppe, die aus fünf Personen besteht. Es sei das Abbild der Heiligen Familie des Jesus von Nazareth.
Sie verbrachten den ganzen Tag an der Stelle und waren vor Staunen wie gelähmt, als plötzlich das Bild wie aus dem Nichts im gleißenden Schein der Sonne vor ihnen erschien. Dankbar fielen sie wie die Hirten an der Geburtsstätte Jesu auf die Knie und wussten nun genau, wo sie zu suchen hatten. Bereits am nächsten Tag sollte es losgehen.
Einmal mehr waren die Voraussetzungen allerdings nicht die besten, denn schwere dunkle Regenwolken, begleitet von heftigem Wind, pressten ununterbrochen dicht an dicht gedrängte dicke Tropfen aus ihren Bäuchen. Es schien, als wollten sie mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht das Vorhaben der Männer im letzten Moment zu Fall bringen. Sie tauchten das Dorf in ein fahles unwirkliches Licht und verwandelten es in ein Inferno gespenstisch wirkender Gebäude, als sich die Forscher durch die dichte Wand aus kaltem abweisendem Wasser ihrem Ziel näherten. Kein weiterer Besucher hatte sich um diese Jahreszeit nach Rennes-le-Château verirrt. Nur jene vier Männer waren mit dem einen Ziel vor Augen in das mystische Dorf gekommen. Wären sie als Wissenschaftler nicht von der Vorstellung besessen gewesen, unter allen Umständen ihre Forschung zu einem glücklichen Ende zu bringen, hätten sie schon längst aus purer Angst ihr Vorhaben endgültig begraben.
Hin und her gerissen zwischen düsterer Vorahnung und gespannter Erwartung kämpften sie sich langsam und vorsichtig in Richtung des Tour Magdala voran, der ihnen drohend und warnend wie ein erhobener Zeigefinger aus vergangenen Zeiten immer näherkam.
Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht und die Steinplatten, auf denen sie mit ihrer Regenkleidung und den Gummistiefeln mehr entlang rutschten als sicher ausschritten, glänzten düster und gefährlich, als hätte man einen Eimer mit Bohnerwachs darüber ausgeschüttet. Der heftige Wind, der ihnen aus westlicher Richtung unangenehm in die Flanke blies, erschwerte ihr Vorhaben umso mehr. Es schien, als hätten sich alle Elemente an diesem Tag gegen sie verschworen.
Verbissen und mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern hielten sie sich an dem mitgeführten, mit Rollen versehenen Gerät fest, das von einer Plane notdürftig bedeckt war.
Der kurze Weg zum Turm erschien ihnen augenblicklich wie eine Ewigkeit. Sein Eingang wirkte wie ein Höllenschlund, der ihnen mit aufgerissenem Maul entgegen grinste, bereit, sie beim Betreten sofort zu verschlingen.
Endlich hatten sie die Eingangstür hinter sich geschlossen. Draußen dröhnte der Regen orgiastisch laut und unheimlich im Zusammenklang mit dem Heulen der orkanartigen Böen um die Mauern des Tour Magdala.
Ihre Friesennerze ließen sie einfach auf den Boden fallen, fast so, als wollten sie nackt in eine Badewanne steigen. Man hatte keinerlei Handtuch zum Abtrocknen des geheimnisvollen Apparates mitgeführt, deshalb blieb ihnen nur die Hoffnung, dass er von der Nässe einigermaßen verschont geblieben sei.
Sie hatten tatsächlich Glück, die Plane hatte gehalten, wovon sie anfangs nur zögerlich überzeugt gewesen waren.
Vorsichtig und zugleich ängstlich sahen sie sich in der Halle um. Die elektrische Beleuchtung brannte auf Sparflamme, was bewirkte, dass der gesamte Saal durch die äußeren Verhältnisse bedrohlich und unheimlich auf sie wirkte, fast so, als würde aus einer der Nischen urplötzlich die dunkle Gestalt ihres vor hundert Jahren verstorbenen Besitzers hervortreten und sie daran hindern, sein Allerheiligstes zu erkunden. Seine Anwesenheit schien auch nach langer Zeit allgegenwärtig zu sein.
Die angsteinflößende Atmosphäre schüchterte einen normalen Besucher mehr ein, als dass sie ihn neugierig alle ausgestellten Gegenstände bewundern ließ. Nicht so die Wissenschaftler. Bei ihnen waren Neugier und Forscherdrang stärker als die Angst.
„Wo sollen wir anfangen?“ Mills blickte zu Martinez, der unaufgeregt ein Blatt Papier mit mehreren, von Koordinaten bestückten Feldern aus einer schwarzen Mappe zog, die er unter seinem Hemd vor dem Regen verborgen gehalten hatte.
Auf den ersten Blick hatte es Ähnlichkeit mit einem Schachbrett. „Eigentlich ist es egal, aber ich denke, es wäre am einfachsten, wenn wir von links oben nach rechts unten vorgehen, in etwa so, als würde man eine Nachricht schreiben.“
„Gut, dann lasst uns mal sehen, ob uns der Brief etwas zu verraten hat“, sagte Roger Mills.
Dann brachten sie das mitgeführte Gerät, es handelte sich um einen Röntgenapparat, in die richtige Position, schlossen ihn an eine Steckdose an und fuhren ihn hoch, was einige Zeit in Anspruch nahm.
Erleichtert stellten sie fest, dass er offenbar keinen Schaden durch die Nässe des Regens erlitten hatte, alles schien einwandfrei zu arbeiten.
Dazwischen fiel ihr Blick auf eine der Nischen, in der sich eine nach oben führende Wendeltreppe befand. Merkwürdigerweise kam es ihnen so vor, als würde sich im Schein des Lichts, das von oben herabfiel, irgendetwas bewegen. Waren es nur die Stufen selbst oder war es ein Schatten, der langsam herunterglitt?
Ein eiskalter Luftzug streifte sie aus dieser Richtung und löste bei Mills und Angelo kurzzeitig ein bedrohliches Gänsehautgefühl aus.
„Eugene, gehen Sie mit Jim nach oben. Es kommt mir vor, als würde uns jemand beobachten.“ Gustavo Martinez war der Leiter der Expedition und es war seine nüchterne Art, klare Anweisungen zu erteilen.
Auch wenn es Eugene Eubanks und Jim M. Angelo nicht geheuer vorkam und sie inzwischen massive Angst bekommen hatten, mussten sie wohl oder übel tun, was er von ihnen verlangte.
Äußerst vorsichtig und angespannt erklommen sie zögerlich Stufe für Stufe. Die Wendeltreppe strahlte keinerlei Vertrauen auf sie aus. Sie erinnerte an eine urzeitliche schlafende Echse, auf deren Rücken man sich sachte bewegte, um sie keinesfalls zu wecken. Der Angstschweiß trat ihnen aus allen Poren und je näher sie dem oberen Stockwerk kamen, desto mehr flackerte dort das Licht. Es kam ihnen vor, als würde eine Fackel die elektrische Beleuchtung ersetzen.
Eine stickige Luft empfing sie und raubte ihnen auf bedrückende Art den Atem. Als sie sich daran gewöhnt hatten, bestaunten sie die vielen Folianten und Bücher, die auf großen Regalen an der Wand standen.
Auf einem Sekretär lag ein dickes aufgeschlagenes Buch. Wäre es nicht mit einer feinen Staubschicht überzogen gewesen, hätte man meinen können, es wäre von seinem Besitzer erst vor wenigen Minuten dort hingelegt worden, obwohl er schon längst verstorben war.
Sie hatten das Reich des Priesters betreten. Hier hatte Bérenger Saunière, der damalige Geistliche von Rennes-le-Château, einen Großteil seiner Lebenszeit verbracht. Eine defekte Deckenleuchte, die wie verrückt vor sich hin flackerte, verstärkte den Eindruck, dass sein Geist immer noch anwesend zu sein schien. Dazu wanderten und tanzten Schatten wie nächtliche Spukgestalten an den Wänden entlang, ganz so, als würden sie einen gespenstischen Tanz aufführen. Dabei waren es nur verschiedene Gegenstände und keine Geister, die das Szenario erschufen, aber die beiden Wissenschaftler wurden trotzdem von einer unerklärlichen Angst erfasst.
Eubanks fasste sich endlich ein Herz und schraubte die defekte Birne aus der Fassung, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Von unten hörten sie Mills Stimme. „Was ist, wollt Ihr da oben übernachten?“
Eiligst stolperten sie wieder nach unten und schilderten ihren Kollegen, was sie entdeckt hatten.
„Dafür haben wir später Zeit“, meinte Martinez kurz angebunden. „Jetzt gibt es wichtigere Dinge.“
Mehrere Stunden vergingen, in deren Verlauf man durchwegs damit beschäftigt war, den Röntgenapparat umzusetzen. Jedoch, die Hoffnung, den bewussten Gegenstand im Boden des Turms zu finden wurde immer geringer.
Inzwischen hatten sich die Regenwolken draußen größtenteils verzogen und es bahnten sich erste zaghafte Sonnenstrahlen ihren Weg ins Innere des Turmes.
„Verdammt nochmal, das kann doch nicht sein“, fauchte Mills ungeduldig. „Unsere Informationsquelle war doch absolut zuverlässig. Es muss, es muss, es muss doch direkt unter uns sein.“
Martinez ermahnte ihn zur Geduld, tröstete ihn gleichzeitig, wenn es nicht mit dem Röntgenapparat klappen würde, dann hätte man ja immer noch die Sonde. Notfalls würden sie den gesamten Suchvorgang mehrere Male wiederholen, solange, bis sich endlich der ersehnte Erfolg einstellen würde.
Die Spannung stieg ins Unerträgliche und wiederum wurden sie das Gefühl nicht los, dass sie die ganze Zeit über jemand oder etwas beobachten könnte. Aber da war nichts, sie mussten sich getäuscht haben.
Draußen war es heller geworden und im Raum bildete sich eine Art feiner Nebel, der den unheimlichen Eindruck noch verstärkte. Schuld daran war die Feuchtigkeit, die offenbar durch verborgene Ritzen ins Innere gedrungen war.
Wiederum fiel ihr Blick auf die Wendeltreppe und mit Befremden stellten sie fest, dass es oben erneut zu flackern begann.
„Ich dachte, Ihr hättet die kaputte Birne da oben herausgeschraubt.“ Martinez hatte sich Eubanks zugewandt.
„Das ist richtig. Ich habe sie auf einen Schreibtisch gelegt. Es … es müsste eigentlich völlig dunkel sein.“ Nervös knetete Eubanks seine Hände und es bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Er versuchte, sich einzureden, dass es nur auf die langsam ansteigende Wärme im Raum zurückzuführen sei.
„Dann habt Ihr eben irgendetwas übersehen.“ Martinez wurde langsam wütend.
„Du willst jetzt aber nicht von mir verlangen, dass ich nochmals nach oben steige, oder? Keine zehn Pferde bringen mich da mehr hin!“ Er sagte es mit einer verzweifelten Bestimmtheit.
„Verdammt, dann bleib meinetwegen hier“, entgegnete der Expeditionsleiter resigniert.
Jim M. Angelo wollte nach anfänglichem Zögern zeigen, dass er kein Hasenfuß wie sein Kollege sei und erklärte sich bereit, nachzusehen.
Als er oben ankam, fiel sein Bick auf die Deckenlampe, die zu allem Übel auch noch wie von einer mysteriösen Kraft angestoßen hin und her schwenkte. Was ihm dann den Rest gab, war, dass die Glühbirne wieder wie vorher in ihrer Fassung steckte.
Für ihn stand endgültig fest, dass es hier oben spukte. Nacktes Entsetzen befiel ihn augenblicklich und er stolperte, so schnell er konnte, die Treppe hinunter.
Plötzlich ließ Mills wie aus dem Nichts einen Schrei los. „Da … da ist es! Seht Ihr es?“
Wie gebannt starrten alle auf den Bildschirm des Röntgenapparats und erkannten die dunklen Umrisse eines großen Gegenstandes.
Kurz darauf folgte hektische Betriebsamkeit. „Mills und Eubanks, Ihr geht zum Auto und holt die Sonde. Bringt außerdem die Bohrausrüstung mit.“ Martinez‘ Anweisungen waren klar und bestimmt, aber seine Stimme drohte vor Aufregung fast zu versagen.
Zwar versuchte man, sich zu beeilen, aber da es inzwischen immer dunkler geworden war und alle Vier darin übereinstimmten, dass man sich aus einem unbestimmten Gefühl heraus keinesfalls nach Einbruch der Dunkelheit hier aufhalten wolle, verschoben sie weitere Vorhaben auf den nächsten Morgen. Irgendetwas ging hier vor sich, aber sie hatten keine Erklärung dafür, was es sein könnte.
Am darauffolgenden Tag war dieses Gefühl wieder verschwunden und man kam zügig voran. Das Wetter war ihnen freundlicher gesonnen als gestern und auch das Flackern in Saunières Bibliothek hatte aufgehört.
Beste Voraussetzungen also, um einen weiteren Versuch zu unternehmen.
Gegen Mittag war es soweit: Man hatte die Stelle freigelegt und die Sonde konnte hinuntergelassen werden. Als sie in Höhe des bewussten Gegenstandes ankam, strahlten alle vor Freude.
„Messieurs, voila, unter uns befindet sich tatsächlich Saunières Geheimnis!“ Martinez umarmte jeden Einzelnen von ihnen und man gratulierte sich gegenseitig mit Schulterklopfen zu der sensationellen Entdeckung.
Zu diesem Zeitpunkt ahnten sie allerdings nicht, dass man ihnen wenig später von allerhöchster Stelle verbot, jemals über ihren Fund zu reden, geschweige denn, weitere Grabungen dort durchzuführen.
Der Gegenstand, es handelte sich um einen großen Kasten aus Metall, am ehesten vergleichbar mit der Form eines Sarges, liegt deshalb bis zum heutigen Tag immer noch dort unten.
Saunières Turm wurde wieder zur Besichtigung freigegeben. Die Stelle, an der man fündig geworden war, wurde fein säuberlich ausgebessert. Nichts deutet mehr darauf hin, was für ein geheimnisvoller Fund unter dem Tour Magdala bis zum heutigen Tag aufbewahrt wird.
Antoine Gelis, der Abbé von Coustaussa war tot. Man hatte ihn auf brutale Art und Weise erschlagen, ausgesprochen hingerichtet.
Er war ein friedliebender Pfarrer, der eigentlich nur in Rente gehen und noch einige Jahre in Ruhe verbringen wollte. Allerdings nicht mehr in Coustaussa, sondern in einem kleinen Ort in der Nähe von Carcassonne.
Alles war so rätselhaft. Kurz nach seinem Tod kam die Gendarmerie, um in Coustaussa, aber auch in den umliegenden Ortschaften, Nachforschungen anzustellen.
Nicht einmal das Motiv für den Mord war klar, denn Gelis hatte, im ganzen Haus verteilt, schätzungsweise 13 000 Francs aufbewahrt, die jedoch unberührt blieben.
Der oder die Täter mussten offensichtlich nach etwas Anderem gesucht haben, denn in Gelis Büro waren sämtliche Papiere durchwühlt vorgefunden worden.
Was noch wichtiger erschien, war, dass der arme Priester seinen Mörder gekannt haben musste. Es gab nämlich keinerlei Anhaltspunkte, dass jemand gewaltsam in die Presbyterei eingedrungen sein könnte. Vielmehr musste ihn der sonst als sehr misstrauisch verschrieene Pfarrer freiwillig hereingelassen haben. Hatte er also seinen Mörder gekannt? Es wäre denkbar. Man soll ihn in der Nacht des 1. November 1897 in der Zeit zwischen vier und fünf Uhr erschlagen haben.
Zusätzlich gab es noch Spekulationen über die Tatwaffe, sie reichten von einem schweren Holzprügel über eine Axt bis hin zu einer Feuerzange, mit der man ihm 14 Wunden an Kopf und Hals zugefügt hatte. Tage und Monate suchte man nach dem Mörder, aber es kam immer nur zu kurzzeitigen Festnahmen und schon bald musste man alle Verdächtigen wieder laufen lassen.
Dabei war der Kreis aller infrage kommenden Personen nicht einmal besonders groß. Da existierte zum Beispiel Gelis Verwandtschaft, bestehend aus Ernest Seiten, dem Neffen des Priesters und Marie Malot, Gelis Nichte und deren Mann Joseph Pagés. Sie kannten Gelis und hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, von ihm in seine Wohnung hereingelassen zu werden.
Aber warum sollte es ausgerechnet in der Mordnacht geschehen sein? Zwar arrestierte man später tatsächlich Ernest Seiten, musste ihn aber mangels Beweisen wieder laufenlassen.
Dann gab es auch noch seine Priesterkollegen, mit denen er in einem freundschaftlichen Verhältnis stand. Dazu zählten die beiden Geistlichen Bérenger Saunière und Henri Boudet. Von allen Dreien existierte das Gerücht, dass sie ein furchtbares Geheimnis hüteten. Offensichtlich war es für sie so gefährlich, dass Gelis es sogar mit ins Grab nahm. Die Vermutung lag nahe, dass es im Zusammenhang mit dessen Ermordung stehen könnte.
Die Gendarmerie tappte zu diesem Zeitpunk im Dunkeln und stellte daraufhin aufgrund fehlender Ergebnisse ihre Ermittlungen ein.
Bei der Beerdigung versammelte sich eine illustre Schar von Gästen an Gelis Grab, darunter auch der Untersuchungsrichter, wahrscheinlich mit der Absicht, bei seinem Besuch selbst etwas herausfinden zu können. Es war kalt an jenem Morgen. Das Wetter blieb durch einen steten Wechsel zwischen bewölkt und heiter genauso rätselhaft wie die gesamte Atmosphäre, die sich über dem Friedhof ausbreitete.
Der Einzige, der bei diesem Ereignis fehlte, war Abbé Henri Boudet aus Rennes-les-Bains. Er weilte bei einer Kur, da sein angeschlagener Gesundheitszustand es angeblich erforderlich machte. Damals wusste allerdings noch niemand, dass sich seine Abwesenheit wunderlicherweise über mehrere Jahre bis ins neue Jahrhundert hinein erstrecken würde. Seltsam auch, dass er genau bis zum Tag, an dem Gelis starb, noch in seiner Pfarrei weilte.
Hundert Jahre später fand man erst eine mögliche Erklärung dafür, als man sich den Fall noch einmal vornahm und herausfand, dass anscheinend die beiden Geistlichen aus Rennes-le-Chateau und Rennes-les-Bains etwas mit Gelis Tod zu tun haben mussten. Denn das Geheimnis, das sie hüteten, wollte Gelis an seinen Arbeitgeber in Rom weiter verraten. Es war naheliegend, dass ihm dabei Saunière und Boudet zuvorkamen und es gerade noch verhindern konnten. Dabei soll es nicht nur um Geld allein gegangen sein, sondern auch um die Macht der katholischen Kirche, die infrage gestellt worden wäre.
Rennes-le-Château wäre eines von vielen Dörfern geblieben, hätte es nicht einen Pfarrer gehabt, der später über mindestens ein Jahrhundert hinweg dort einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte – Abbé Bérenger Saunière, der Mann, der bereits zu Lebzeiten in dieser Gegend zur Legende geworden war. Saunière war reich, unvorstellbar reich und hatte als angesehener Bürger, der des Öfteren nach Paris reiste, auch eine Geliebte – seine Haushälterin Marie Dénarnaud.
Da es in bestimmten Kirchenkreisen üblich war, eine Kurtisane zu haben, leistete sich auch der Priester von Rennes-le-Château etwas Ähnliches und hatte dabei kein schlechtes Gewissen.
Aber sein materieller Besitz, dessen Herkunft bis heute ungeklärt bleibt, war für ihn nur nebensächlich. Davon ließ er die Kirche renovieren, außerdem eine Villa als Pfarrhaus und einen Bibliotheksturm errichten. Aber das alles war nur angenehmes Beiwerk für den vor allem wissenschaftlich nimmermüden Priester. Was seine ihn stetig vorantreibende Unruhe ausmachte, war eine ganz andere Sache. Bei den Renovierungsarbeiten an seiner Kirche, die er Maria Magdalena widmete, fand er geheimnisvolle Dokumente aus einer vergangenen Zeit, deren Inhalt ihm zunächst vollkommen unklar blieb. Erst später fand er mit seinen beiden Kollegen Abbé Gelis aus Coustaussa und Abbé Boudet aus Rennes-les-Bains heraus, welch brisanten Inhalt diese Papiere hatten.
Saunière verbrachte immer mehr Zeit mit seinen Studien im Bibliotheksturm. Häufig holte er dazu die bereits erwähnten Dokumente zu sich und versank stundenlang darin. Hätte ihn Marie nicht jedes Mal zum Essen in die Villa Bethania holen müssen, so wäre es durchaus im Bereich des Möglichen gelegen, dass er eines Tages verhungert wäre. Ein Skelett an einem Schreibtisch, gebeugt über wertvolle Dokumente, eine überaus skurrile Szene. Seine Haushälterin liebte ihn nach wie vor, obwohl er sie aufgrund der permanent gefährlichen Atmosphäre im Dorf lieber in Lyon bei ihrer Verwandtschaft gesehen hätte, aber sie ließ sich nicht darauf ein, wollte hierbleiben. Ihr Platz sei bei ihm, ihrem geliebten Bérenger, meinte sie.
Saunière hatte einfach Angst nach alledem, was mit Gelis passiert war und bekniete sie inständig, seinem Rat zu folgen, jedoch vergeblich. So zog er jedes Mal resigniert ab und gab es nach mehreren Versuchen auf, ihr in dieser Hinsicht etwas vorzuschreiben.
Da gab es aber noch eine andere Sache, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Er wartete auf den Besuch von Elias Bot, seinem persönlichen Architekten. Er hatte Großes vor, wollte, dass man später ehrfurchtsvoll von Rennes-le-Château als „seinem Dorf“ sprechen würde. Er selbst aber sah sich nach wie vor nur als „bescheidenen Diener Gottes“, auch wenn Außenstehende ihn angesichts dieser Vorhaben vielleicht als größenwahnsinnigen Spinner bezeichnet hätten. Allerdings waren die Anschaffung eines modernen Autos, die Asphaltierung der Ortsstraße und der Bau eines weiteren Turmes noch harmlos. Vielmehr gab es Spekulationen über den ebenfalls geplanten Bau eines Festungswalls um Rennes-le-Château, was vermuten ließ, dass er dort etwas äußerst Wertvolles aufbewahren und vor dem Zugriff Unbefugter beschützen wollte. Um was also konnte es sich handeln? Sein Gold konnte es nicht sein, dies befand sich nicht in Rennes-le-Château, sondern auf irgendeiner Bank. Waren es vielleicht Bérengers Dokumente, die er ebenfalls wie einen Schatz hütete? Oder etwas noch viel Geheimnisvolleres?
„Bérenger, schaff dir endlich einen Safe an.“ Marie hatte ihm gerade nach dem Tod Gelis immer wieder damit in den Ohren gelegen, obwohl dieser sogar einen besessen hatte. Genützt hatte es ihm jedoch nichts. Die Schlüssel dazu hatten die Mörder innerhalb kürzester Zeit gefunden.
Abbé Saunière verfolgte bald nach der Mordnacht seine Studien weiter, obwohl er noch vor wenigen Tagen erfahren hatte, dass man den armen Abbé Gelis wie einen Hund zu Tode geprügelt hatte. Übermorgen stand die Beerdigung des Abbés von Coustaussa an. Ursprünglich wollte er nicht viel Zeit dafür aufwenden, eine kurze Predigt am Grab musste genügen. Das, obwohl er wusste, dass viele Leute nicht nur aus Gelis Dorf, sondern von überallher kommen würden. Sogar die Lokalpresse habe sich angesagt, hatte er erfahren. Aber diese war für ihn ein von der Regierung gesteuertes republikanisches „Pack“, wie er sie verächtlich nannte, und er wusste genau, wer sie informiert hatte. Es war Eugene Caclar, der Bürgermeister von Rennes-le-Château, der sich wahrscheinlich unauffällig als neutraler und neugieriger Beobachter unters Volk mischen würde. Caclar gab sich den Anschein, er hätte Gelis allenfalls nur vom Sehen her gekannt, wenn dieser ab und zu zu Besuch in Saunières Gemeinde weilte.
Bérenger fragte sich, ob Caclar möglicherweise etwas mit dem Mord zu tun haben könnte, aber es kam ihm gleich darauf wieder als unwahrscheinlich vor, oder vielleicht doch nicht?
Gerade, als er darüber nachdachte, klopfte es unten an der Eingangstür zum Tour Magdala. Dann öffnete sie sich leicht ächzend, wobei ihm einfiel, dass er sie mal wieder mit etwas Öl versehen müsste.
„Abbé Saunière?“, drang eine fragende Stimme nach oben, die er sofort erkannte. Es war Elias Bot.
„Kommen Sie herauf, Elias. Ich bin in der Bibliothek.“ Der Architekt quälte sich, da er nicht mehr der Jüngste war, langsam und behäbig die Stufen herauf, die wendeltreppenartig nach oben führten. Als er endlich bei Saunière angelangt war, hielt er sich zunächst leicht außer Atem im Türrahmen fest.
„Sie müssen mir versprechen, dass Sie den nächsten Turm, den ich bauen soll, nicht als ständigen Aufenthaltsort wählen“, stöhnte er ihm vor.
Bérenger war darüber leicht amüsiert und grinste. „Mal sehen, was sich machen lässt. Obgleich, ich, wie gesagt nichts versprechen kann.“ Er wartete, bis sich Bot wieder einigermaßen erholt hatte.
„Aber nehmen Sie doch inzwischen schon auf dem Sofa Platz. Ich muss hier nur noch schnell etwas aufräumen. Außerdem bitte ich, die Unordnung zu verzeihen, aber Sie kennen mich ja. Ich würde mir die gesamte Welt der Wissenschaft am liebsten immer gleichzeitig erschließen, wenn es möglich wäre.“
Er sagte es mit einer gewissen Unschuldsmiene. Es führte dazu, dass Elias Bot ohne Umschweife zur Sache kam, denn der Auftrag, den Bérenger ihm erteilt hatte, ging fast in die selbe Richtung.
„Dass Ihr Dorf eine ordentliche Straße benötigt, steht außer Frage. Dass Sie eine Friedhofskapelle errichten lassen wollen, finde ich ebenfalls vernünftig. Den Angehörigen der Verstorbenen soll schließlich Gelegenheit gegeben werden, ihre Toten zu ehren und für sie zu beten. Aber eine riesige Steinmauer um Rennes-le-Château und in der Dorfmitte auch noch eine Art Tempel mit weithin aus der Landschaft herausragenden Säulen, da bleibt mir schier die Luft weg! Saunière, ist das wirklich Ihr Ernst? Haben Sie denn keine Angst, dass Sie sich lächerlich machen könnten?“
Für einen kurzen Moment konnte man dem Abbé von Rennes-le-Château ansehen, dass ihm das gar nicht sonderlich behagte, was sein langjähriger Freund ihm da vorwarf. Trotzdem blieb er beherrscht und antwortete: „Ach Elias, der Zweck heiligt die Mittel und es bleibt mir nichts Anderes übrig, als so zu handeln. Nur wenige wissen, was der eigentliche Grund dafür ist. Würden sie es erfahren, käme Rennes-le-Château bis in alle Ewigkeit nie mehr zur Ruhe.“
Bot verkniff sich ein spontanes „Amen“ nach der Rede Bérengers. Dennoch meinte er den Grund für Saunières Vorhaben zu kennen und sprach ihn vorsichtig und leise aus, dies, obwohl es im Dorf und seinen Nachbarorten vermutlich schon jeder Zweite wusste.
„Sind diese Dokumente, die wir damals bei der Renovierung Ihrer Kirche gefunden haben, tatsächlich so wertvoll, dass man sie wie ein Heiligtum aufbewahren muss? Hätte nicht die Anschaffung eines Tresors gereicht? Ich meine, für mich ist es zwar umso besser, dass ich einen Großauftrag dadurch habe, aber bei allem gesunden Menschenverstand, finde ich es schon etwas übertrieben.“
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stand der Priester von seinem Schreibtisch auf und schlug mit der flachen Hand auf dessen Platte. „Es geht nicht um die Dokumente“, herrschte er ihn an. „Was sich hier im oder besser gesagt unter dem Dorf verbirgt, ist das größte Geheimnis des christlichen Abendlandes. Würde es entdeckt werden, wären wir alle hier nicht mehr unseres Lebens sicher. Deswegen kann und will ich es Ihnen auch nicht verraten. Dieses Bündel muss ich ganz alleine tragen und nur ganz wenige sind darin eingeweiht. Glauben Sie mir, aus Sicherheitsgründen soll es auch so bleiben.“
Bot war völlig durcheinander, unterließ es jedoch, weitere Bemerkungen loszulassen, geschweige denn, Fragen zu stellen.
„Gut, gut“, stotterte er. „Ihr Wunsch ist mir Befehl. Haben Sie schon irgendwelche Pläne parat, aus denen Ihre Vorstellungen ersichtlich sind?“
Bérenger nickte, öffnete die oberste Schublade seines Schreibtisches und entrollte ein großes Blatt Papier. Darauf waren der zweite Bibliotheksturm und der Entwurf der Friedhofskapelle abgebildet. Den größten Platz nahm aber die Festungsmauer ein, die das Dorf umschloss. Irgendwie erinnerte es an einen Ausschnitt aus einem Comicheft, das mehrere Jahrzehnte später weltberühmt werden und dessen Handlung in der Bretagne spielen sollte. Es waren aber auch ziemlich konkrete Maße darin angegeben, was Höhe und Breite betraf. Elias fasste sich nachdenklich ans Kinn. „Nun, wir müssen natürlich unbedingt vorher eine Begehung der einzelnen Orte vornehmen. Vorerst möchte ich Sie bitten, mir diesen Plan zu geben, damit ich ihn zuhause gründlich studieren kann.“
„Das habe ich erwartet, deshalb habe ich noch eine Kopie davon angefertigt, die können Sie gerne haben.“
Mit diesen Worten griff er abermals in seinen Schreibtisch und gab ihm das besagte Schriftstück. „Wann höre ich wieder von Ihnen?“, wollte er wissen.
„Nun, sagen wir in vier Wochen, diese Zeit müsste reichen. Wie gesagt, dann machen wir auch unsere Begehung. Häufig findet sich ja vor Ort noch so manche Schwierigkeit, die es zu überwinden gilt. Au revoir.“
Der Baumeister stand an der obersten Schwelle der Wendeltreppe und blickte wenig vertrauensvoll in den gähnenden Abgrund. Dann seufzte er, bekreuzigte sich und tastete sich vorsichtig in die Tiefe. Als Berenger von oben vernahm, wie unten die Türe ins Schloss fiel, wandte er sich erneut seinen Studien zu. Insgeheim freute er sich aber riesig über sein Vorhaben. Von jetzt an konnte ihm die Zeit gar nicht schnell genug vergehen.
Wie immer wurden sie von der Dorfbevölkerung misstrauisch beäugt, als sie nach Rennes-le-Château kamen. Sie, das waren die beiden Gendarmen aus Couiza, die von den Kollegen aus Toulouse den Auftrag erhalten hatten, im Mordfall Gelis zu ermitteln. Man hielt es nämlich nicht für angebracht, eine ordentliche Untersuchung anzustellen. Es hieß, nur wenn man hier im Razés nicht weiterkäme, solle man Verstärkung aus der Großstadt anfordern.
Die beiden Gendarmen Jacques Durac und Pierre Montagne waren nun die serpentinenreiche Straße nach Rennes-le-Château in einer annehmbaren Zeit mit der Kalesche heraufgefahren.
Als Marie Dènarnaud sie vor der Villa Bethania vorfahren hörte, sah sie sich schon wieder in Alarmstimmung versetzt.
Sicher wollen sie wieder zu Bérenger. Ich lasse ihn am besten gleich holen, dachte sie sich. Sie wollte schon zum Hinterausgang der Villa, der zum Garten führte, um Felix zu beauftragen, dass er den Herrn des Hauses holen solle, da klopfte es auch schon an der Eingangstüre des Pfarrhauses.
Ohne eine Aufforderung zum Eintreten abzuwarten, standen die beiden Ermittler im Flur. „Hallo, ist jemand zuhause?“
„Ich bin hier in der Küche“, antwortete sie, dabei leicht verunsichert klingend.
„Bonjour, Mademoiselle.“
Marie verkniff sich eine Bemerkung wie ‚Sie schon wieder‘, sondern wollte höflich bleiben, auch wenn sie nicht ganz davon überzeugt war, wie sie sich den Beiden gegenüber tatsächlich verhalten solle.
Die Polizisten waren schon zweimal hier zu Gast gewesen und stellten immer wieder dieselben Fragen. Da konnte man schon leicht genervt sein, aber sie zwang sich, darüber hinwegzusehen.
„Nehmen Sie inzwischen in der Küche Platz. Ich stehe Ihnen gleich zur Verfügung“, erklang Maries Stimme aus dem hinteren Teil des Hauses. „Ich möchte nur einem der Dienstboten bescheid sagen, dass er den Abbé holen soll.“
„Nein, lassen Sie, vielleicht brauchen wir den Hausherrn ja gar nicht. Wir sind heute eigentlich wegen Ihnen gekommen.“
Sie zuckte zusammen und wurde sogleich nervös. Kurze Zeit später kam sie herein.
„N´jour“, entgegnete sie wenig erfreut mit zusammengebissenen Zähnen. Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben. „Möchten sie etwas trinken, ein Glas Wasser oder einen Kaffee?“
„Nein danke, es dauert auch nicht lange. Wir haben nur noch ein paar Fragen.“
Klar, wegen was sollten sie sonst gekommen sein, dachte sie sich, brachte aber trotzdem nur ein kurzes „Bitte“ über die Lippen.
„Wie Sie sich vorstellen können, geht es weiter um den Mord an Abbé Gelis.“ Durac zog ein beschriebenes Blatt Papier aus einer mitgebrachten Aktenmappe und begann darin zu lesen. Er suchte eine bestimmte Stelle und als er sie gefunden hatte, deutete er mit dem rechten Zeigefinger darauf. „Ah, hier haben wir es. Mademoiselle, Sie haben bei der letzten Befragung behauptet, dass sich Abbé Sauniere, ihr Arbeitgeber, in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1.November 1897 in der Villa Bethania befunden und dort geschlafen hätte. Ist das richtig?“
Marie nickte nur.
„Wann ist er zu Bett gegangen, können Sie sich daran erinnern?“ Marie dachte kurz nach. „Normalerweise pflege ich nicht auf die Uhr zu sehen, aber wir gehen hier zeitig ins Bett. Ich denke, es dürfte so gegen 22 Uhr gewesen sein.“
„Sie haben beim letzten Mal erwähnt, dass Abbé Sauniere meistens in seinem Bibliotheksturm nächtigen würde. Ist das richtig?“
„Das stimmt.“
„Wir möchten nicht indiskret erscheinen, aber was hat ihn dazu veranlasst, ausgerechnet in der bewussten Nacht in der Villa zu schlafen? Gab es einen besonderen Grund?“
Marie schluckte und begann zu schwitzen. Worauf wollen die hinaus, dachte sie bei sich. Eine kurze Pause folgte, in der sie die forschenden Blicke der Gendarmen auf sich spürte. Jetzt nur nichts falsch machen, lautete die Devise für sie.
„Ich denke, es steht ihm doch frei, wo er übernachten will, oder muss man da zuerst die Polizei fragen?“
Durac wurde langsam ungeduldig. So eine freche Antwort hatte er nicht erwartet. „Sie haben meine Frage anscheinend nicht richtig verstanden, deshalb noch mal: Welchen Grund hatte er, gerade in dieser Nacht im Pfarrhaus zu bleiben? Nun…?“ Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.
„Er … er hatte keinen besonderen Grund, es war einfach … aus einer Laune heraus.“
„Soso, er hatte also gute Laune und zeigte sie Ihnen auch, richtig?“ Montagne war amüsiert.
Was sollte diese blöde Frage? Marie wurde langsam sauer. „Ja, wenn Sie das so sagen, dann muss es wohl auch so gewesen sein.“
Die nächste Frage traf sie allerdings wie ein Schlag und sie merkte, wie sich eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals immer mehr zusammenzog. „Wo übernachtet der Abbè für gewöhnlich, wenn er hier im Haus schläft?“
„Oben im ersten Stock.“
„Aha, wie viele Schlafgelegenheiten gibt es hier im Haus? Eine, zwei?“
Marie, die bisher immer noch stand, musste sich jetzt irgendwo festhalten, denn sie merkte, wie ihr schwindelig wurde. „Es gibt … es ist …“, wollte sie entgegnen, aber ihr versagte die Stimme.
Pierre Montagne, dem Älteren der Beiden kümmerte dies nur wenig und er hielt es nun vor Ungeduld nicht mehr aus. Augenblicklich schlug er mit der Faust auf den Tisch, dass Marie zusammenzuckte:
„Nun, ich will es Ihnen sagen, wie es war. Abbé Sauniere hatte sich bewusst dafür entschieden, in dieser Nacht hierzubleiben. Und warum wohl war das so? Ganz einfach, weil er ein Verhältnis mit Ihnen hat.“ Er klang wieder etwas milder. „Verstehen Sie uns nicht falsch, Mademoiselle Dènarnaud. Sie sind jung und hübsch und der Abbé Saunière ist schließlich auch nur ein Mann. Da ist dies doch naheliegend, oder etwa nicht?“
Wäre Bérenger jetzt hier gewesen, hätte er garantiert alles abgestritten, dachte sie. Dennoch fiel ihr nichts Besseres ein, als in dieser Situation zu schweigen. Wie auch immer, nur weil er in dieser Nacht bei ihr schlief, konnten sie ihm keinen Mord anhängen. Wie sollte das gehen?
Sie hatte sich wieder einigermaßen im Griff. „Warum wollen Sie solche intimen Sachen von mir wissen? Ich brauche Ihnen diese Frage nicht zu beantworten, das wissen Sie ganz genau.“
Durac warf nun alle Diskretion über Bord. „Nun, es könnte ja sein, dass der Abbé Sie gezwungen hat, ihm ein Alibi auf diese Art und Weise zu verschaffen. So etwas käme nicht das erste Mal vor. Was glauben Sie, was wir da schon alles erlebt haben.“
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Marie kochte jetzt innerlich vor Wut. Dass sie ein Verhältnis mit Saunière hatte, war ganz alleine ihre Sache. Außerdem konnte sie ins Bett steigen, mit wem sie wollte, das ging niemandem etwas an, auch nicht die Gendarmerie. „Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben, dann gehen Sie jetzt bitte.“
Sie versuchte, beherrscht zu bleiben, was ihr jedoch nur schwer gelang.
Montagne blickte fragend zu seinem Kollegen, der aber winkte nur ab. Für heute hatten sie genug erfahren, es gab auch viel zu besprechen. „Ich kann Ihnen versichern, dies wird ganz bestimmt nicht unser letzter Besuch hier sein.
Wir werden nicht lockerlassen, bis wir die ganze Wahrheit erfahren haben. Stellen Sie sich darauf ein. Bis dahin Au revoir, Mademoiselle.“
Als sie verschwunden waren, brach Marie endgültig zusammen. Sie ließ sich auf einem Stuhl nieder und begann hemmungslos zu weinen. Auf was hatte sich Bèrenger da nur eingelassen, es war entsetzlich. Sie war bisher völlig ahnungslos gewesen, was diese Nacht betraf, in der er sie so geliebt hatte wie schon lange nicht mehr. Sollte dies alles wirklich nur ein Vorwand gewesen sein, um sich ein Alibi zu verschaffen? Aber trotzdem, er konnte nichts mit dem Tod von Gelis zu tun haben, oder vielleicht doch? Sie musste es unbedingt herausfinden, so bald wie möglich würde sie ihn zur Rede stellen.
Während Marie sich in ihrem Kummer erging, weilte der Herr des Hauses immer noch im Tour Magdala, um sich seinen Studien zu widmen. Es war für ihn eine Art Verdrängung zu allem Unangenehmen, was noch vor kurzer Zeit geschehen war. Denn eigentlich hätte er sich als reuiger Sünder in seinem Gewissen vor Gott bekennen müssen, der für den verstorbenen Abbé von Coustaussa beten sollte. Aber er war wie besessen von seinen Dokumenten und sah es als unverzeihlichen Frevel an, dass sich jemand erdreistet hatte, Anspruch darauf zu erheben und sie für sich zu behalten.
Und nicht nur das, Gelis wollte zu allem Übel damit den gemeinsamen Arbeitgeber erpressen. Wie anders hätte man sonst das Problem lösen können, als gewaltsam von ihm die Herausgabe der Schriftstücke zu erzwingen? Bérengers Unrechtsbewusstsein ging mehr und mehr verloren. Möglicherweise war es auch der unheilvolle Einfluss von Asmodis, dem Dämon, von dem er mindestens eine Statue hatte anfertigen und aufstellen lassen. Er erinnerte sich noch genau, wie befremdet man ihn angesehen hatte, als er dazu den Auftrag erteilte. Ein Pfarrer verehrt den Teufel hieß es damals, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Er wusste genau, was er tat.
Er zog seine Taschenuhr heraus und wunderte sich. Der Nachmittag hatte begonnen und kein Mensch holte ihn zum Essen. Er hatte zwar keinen besonderen Hunger, aber eine Kleinigkeit durfte es schon sein. Deshalb beschloss er, sich zur Villa zu begeben und nach Marie zu sehen. Irgendetwas stimmte nicht, das sagte ihm sein Gefühl.
Als er den Flur des Hauses betrat, empfing ihn Totenstille. Was ist passiert, dachte er. Vorsichtig ging er in die Küche, dann sah er sie mit dem Rücken zu ihm gekehrt am Tisch sitzen. Sie hatte die Hände vor ihrem Gesicht und schluchzte leise.
„Marie, was ist passiert? Nun rede doch.“
Augenblicklich drehte sie sich zu ihm um. „Du bist an allem schuld.“ Es klang so vorwurfsvoll, dass er erschrocken einen Schritt nach hinten tat.
„Was, an was, bitte schön, soll ich denn schuld sein?“
„Du weißt ganz genau, wovon ich rede.“
„Nein, weiß ich nicht. Kläre mich bitte auf.“
„Tu doch nicht so.“ Es folgte eine Pause. „Aber gut, ich will es dir verraten.“ Dann erzählte sie ihm alles, was sich noch vor wenigen Minuten in der Villa Bethania ereignet hatte. Aufgrund der schrecklichen Vermutung, die sie durch dieses Gespräch bekommen hatte, wollte sie endlich die Wahrheit von ihm wissen. „Bérenger, ich möchte jetzt eine ehrliche Antwort von dir: Hast du mich tatsächlich benutzt, so wie die beiden Polizisten es vermuten? Hast du wirklich nur deshalb mit mir geschlafen, um dir ein Alibi zu verschaffen? Das wäre das Niederträchtigste, was es gibt.“
Er wurde kreidebleich im Gesicht, war vollkommen sprachlos und bekam einen heftigen Schweißausbruch. Eine zufriedenstellende Antwort musste her. Krampfhaft überlegte er, während ihn Marie mit durchdringendem Blick weiter anstarrte. Aber was er herausbrachte, überzeugte nicht einmal ihn selbst. „Du … du weißt, dass ich dich liebe und ich … ich habe über meinen Studien im Turm vollständig verdrängt, dass ich dort die ganze Zeit so entsetzlich einsam gewesen war. Irgendwann … irgendwann bekam ich eben das Bedürfnis, mit dir … mit dir …, Herrgott, du weißt schon .... Ich bin eben auch nur ein Mann! Dass in dieser Nacht zufälligerweise Gelis ermordet wurde, davon wusste ich nichts.“
Was er sich in diesem Moment sparte, war, es ihr noch zu schwören. Das hätte sein Gewissen doppelt in Teufels Küche gebracht. Er wollte sich zwingen, ihr ins Gesicht zu sehen, es gelang ihm aber nicht. Dass dies ihr Misstrauen noch mehr förderte, wurde ihm unweigerlich klar. Deshalb ging er zum Angriff über. „Du denkst doch hoffentlich nicht, dass ich etwas mit dem Mord an dem armen Gelis zu tun haben könnte. Du musst mir glauben, dass es auch in meinem Interesse liegt, die Mörder schnell zu fassen und zur Strecke zu bringen. Aber warum sollte ausgerechnet ich gewollt haben, dass man Gelis umbringt? Nenn mir einen triftigen Grund dafür.“
Sie erinnerte sich an die letzten Wochen vor Gelis Tod. Bérenger war nach seiner Rückkehr aus Lyon verstärkt mürrischer geworden, und das, obwohl er diese wertvollen Bücher erworben hatte. Seiner Behauptung zufolge sollten sie mit der Existenz seiner Dokumente in Zusammenhang stehen.
Sie machte sich ernsthafte Vorwürfe, denn alles hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass sie seine geliebten Papiere Boudet während seiner Abwesenheit ausgehändigt hatte. Dieser wollte sie doch nur deshalb zu Gelis nach Coustaussa bringen, weil man in Rennes-le-Château nicht mehr für deren Sicherheit garantieren konnte. Zu allem Übel kam hinzu, dass Gelis die Dokumente nicht mehr herausgeben wollte. Sie erinnerte sich, dass Bérenger darüber ungeheuer wütend war, als sie ihm dies erzählt hatte. Ihr lief es heute noch eiskalt den Rücken hinunter, als sie dabei ein wildes, fast dämonisches Flackern in seinen Augen verfolgen konnte. Sollte sie ihm einen Mord zutrauen, oder zumindest eine Mitwisserschaft? Sie war hin- und hergerissen, gab ihm schließlich die Antwort, die er in diesem Moment von ihr hören wollte. „Vielleicht hast du recht, eigentlich sollte ich dir so etwas gar nicht unterstellen. Entschuldige.“
Er holte tief Luft und ging mit auf dem Rücken zusammengefalteten Händen auf und ab. Dann blieb er vor dem Fenster stehen und sah hinaus. Es herrschte weiterhin eine angespannte Atmosphäre.
„Sie suchen nach einem Motiv für den Mord. Vielleicht war es nur eine familiäre Auseinandersetzung, wer weiß? Von Gelis selbst, Gott habe ihn selig, erfuhr ich vor ein paar Wochen, dass er zu seinem Neffen nicht gerade ein rosiges Verhältnis hatte. Aber das geht uns nichts an, das müssen diese Polizisten selbst herausfinden.“
Marie hatte sich wieder beruhigt. „Da weisst du mehr als ich. Aber ich finde, man sollte niemandem etwas unterstellen, solange nichts bewiesen ist.“
„So scheint es wohl zu sein. Dennoch finde ich es nicht in Ordnung, dass man mich verdächtigt, nur weil ich eine der wenigen Vertrauenspersonen von Gelis war.“ Zusätzlich gab es, das hatte er über Umwege erfahren, eine Tatsache, die ihm mehr zu schaffen machte: Man hatte am Tatort ein Zigarettenpapier von der Marke gefunden, die er selbst rauchte und der oder die Mörder hinterließen darauf eine Botschaft, es waren zwei Worte: „Viva Angelina!“ Aus diesem Grund musste er deshalb aufpassen, dass er sich Marie gegenüber nicht in Widersprüche verstrickte. Obwohl er nicht am Tatort anwesend war, konnte man ihm einen Strick daraus drehen.
Er wandte sich zu ihr um. „Gibt es sonst etwas, was du loswerden willst?“ Sie schüttelte den Kopf und machte sich wieder daran, das Mittagessen zuzubereiten. Währenddessen ging er zur Hintertüre der Villa hinaus in den Park und ließ sich seufzend auf einer nahestehenden Bank nieder. Wie konnte er nur so skrupellos lügen, fragte er sich und erschrak vor sich selbst. „Asmodis, was hast du mir angetan!“, flüsterte er entsetzt.
Jacques Durac und Pierre Montagne waren nicht sogleich zurückgefahren und hatten beschlossen, sich etwas in Rennes-le-Château umzusehen. Hierzu war ihnen nicht entgangen, dass gerade das Gemeindehaus, die Villa Bethania, das mit Abstand modernste Bauwerk des Dorfes war. Wie viele Millionen Francs musste dessen Bau verschlungen haben? Aber nicht nur dies, über Saunières Turm staunten sie ebenso. Als sie bis zum Dorfplatz vorgedrungen waren, ließen sie sich auf einer Bank nieder.
„Ich frage mich, woher dieser Pfarrer das viele Geld hat, dass er derlei Bauten errichten lassen konnte. Weiß man darüber etwas?“ Montagne war neu in dieser Gegend und hatte diese zum erstenmal gesehen.
Sein Kollege Durac dagegen war ein Einheimischer, der in Montazels, dem Dorf, aus dem auch Saunière stammte, aufgewachsen war. Der Reichtum Saunières war seit mehreren Jahren eine Legende. Es gab zahlreiche Spekulationen, woher er stammen könnte. Aber kein Mensch wusste dazu Konkretes. „Glaub mir, das haben sogar wir auf der Gendarmerie bis jetzt nicht herausgefunden“, meinte er scherzhaft. „Vielleicht macht gerade das den Abbé von Rennes-le-Château so verdächtig. Es wäre beileibe nicht das erstemal, dass jemand, der viel Geld hat, noch mehr haben will.“
Durac widersprach ihm: „Ich darf dich daran erinnern, dass man bei diesem Abbé Gelis eine Menge Geld gefunden hat, das der Mörder verschmähte, weil er es nicht hatte mitgehen lassen. Und genau das ist das Rätselhafte an der ganzen Angelegenheit.“
Montagne erhob sich und ging zu einer Brüstung, von der man einen herrlichen Ausblick auf die Corbières genießen konnte. An diesem Tag lohnte es sich ganz besonders, da man nicht nur auf den Pic de Bugarach, dem höchsten Berg in dieser Gegend, sondern auch bis zu den Pyrenäen blicken konnte. Felsriesen mit schneebedeckten Gipfeln glänzten in der Mittagssonne. Sie vermittelten ihrem Betrachter trotz ihrer gewaltigen Höhe und des ewigen Eises etwas Entspannendes und Beruhigendes.
Gerne hätte er diesen Ausblick noch länger genossen, als er von hinten die Stimme seines Kollegen hörte, der ihm vorschlug, irgendwo etwas zu essen. Er hätte ziemlichen Hunger.
Sie beschlossen, die Hauptstraße ein Stück hinunter zu spazieren, vorbei an Natursteinhäusern, die sich in der Mittagssonne mit Wärme aufluden, bis sie ein Restaurant mit traditionellen Spezialitäten auf der Mittagskarte fanden, das zur Einkehr lud.
Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten und ihre Getränke, selbstverständlich mit einem Wein aus der Gegend, vor ihnen standen, lehnten sie sich entspannt zurück. „Ach ja, das Landleben hat schon etwas. Was mich betrifft, ich möchte jedenfalls nicht mehr in die Stadt zurück, auch wenn es für dich manchmal etwas langweilig erscheinen würde, wie du mir kürzlich verraten hast. In einer Stadt wie Toulouse zu arbeiten, wäre ein Alptraum für mich. Hier in diesen Dörfern kommt man viel schneller mit den Dorfbewohnern ins Gespräch und vor allem in unserem Mordfall ist es eminent wichtig. Aber das wirst du bald feststellen, Pierre“, meinte Durac.
„Wie lange ist dieser Saunière eigentlich schon Priester in diesem Dorf, weiß man das?“
„Etwa 12 Jahre“, entgegnete die Bedienung, die im Moment das Besteck vor die Beiden hinlegte. „Entschuldigung, dass ich mich einmische, Messieurs.“
„Oh, kein Problem, Mademoiselle“, sagte Durac. „Ich denke, das könnte hinkommen. und man erzählt, dass sich die Dorfkirche damals in einem erbarmungswürdigen Zustand befunden haben soll, als dieser Abbé sein Amt in der Pfarrei angetreten hat. Er sei aber ziemlich schnell zu Geld gekommen und ließ sie renovieren. Heute steht sie in neuem Glanz im Dorf. Übrigens, das Innenleben des Gebäudes müsstest du mal sehen. Du würdest ganz schön staunen.“
„Ich verstehe nicht ganz…“
„Ich weiß, du gehst nicht gern in die Kirche, aber so etwas wie hier in Rennes-le-Château hast du bestimmt noch nie gesehen. Es fiel mir damals auf, als ich bei der Taufe des Sohnes meiner Schwester, die hier im Ort wohnt, zugegen war. Das dürfte ungefähr vor zwei Jahren gewesen sein, als die Kirche frisch renoviert war.“
„Erzähl, was war daran so ungewöhnlich?“ Montagne war neugierig geworden.
„Nun, das fängt damit an, dass am Eingang die Skulptur eines Teufels steht, der das Weihwasserbecken auf dem Kopf trägt und endet mit zwei Jesuskindern, die Maria und Josef in den Armen halten.“
„Der doppelte Jesus“, lachte Montagne amüsiert, „Dieser Pfarrer ist ein ganz schöner Witzbold.“
„Ich sehe schon, du scheinst mir kein richtiger Christ zu sein, wenn du dich darüber lustig machst.“
„Warum auch? Die meisten von diesen Pfaffen sind bekanntlich eingefleischte Monarchisten und schauen darauf, dass sie ihr Scherflein ins Trockene bringen. Sie predigen Wasser und trinken heimlich Wein. Und manche sind auch noch stinkreich. Das beste Beispiel haben wir hier vor Ort.“
„Du kannst sagen, was du willst. Dieser Abbé veranstaltet immerhin ein paar Mal im Jahr Bankette für die gesamte Dorfbevölkerung. Das soll ihm erstmal einer nachmachen.“
„So – dann kannst du ihm ja auch unsere Rechnung bezahlen lassen.“ Beide lachten. „Du bist und bleibst unverbesserlich. Aber ich denke, das bringt auch unser Beruf mit sich“, fügte Durac abschließend hinzu. Die Beiden waren pappsatt und froh, noch etwas Bewegung zu bekommen, als sie bei ihrer Kalesche eintrafen.
Anschließend fuhren sie bei herrlichem Herbstwetter durch den buntbelaubten Wald hinunter nach Couiza. Bei einem Nachmittagskaffee trugen sie die Fakten zusammen, die sie bis jetzt über den Mord zusammengetragen hatten. Es war alles ziemlich dürftig. Zwar gab es einige Verdächtige, aber die wenigen konkreten Hinweise ließen wenig Spielraum zu.
Durac konstatierte, dass man auf der Stelle trat. „Fangen wir nochmal von vorne an. Da sind zum einen die beiden Kollegen von diesem Priester, zu denen er offensichtlich ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Sie halfen sich gegenseitig aus, wenn der eine oder andere krank oder abwesend war. Was auffällt, ist, dass dieser Gelis nicht arm war, denn laut vorliegendem Bericht der Spurensicherung soll er stattliche 13 000 Francs zum Tatzeitpunkt in seinem Haus aufbewahrt haben. Sein Priestergehalt war eigentlich viel zu kärglich, als dass man davon eine solche Summe hätte zusammensparen können. Oder siehst du das anders?“
Montagne nickte. „Wir sollten nochmal seiner Verwandtschaft auf den Zahn fühlen, ob sie wissen, woher das Geld stammt.“
„Richtig, vielleicht ist ja sein Reichtum der Schlüssel zum Mord.“
Auf den nächsten Gedanken kamen sie gemeinsam. „Was ist denn mit diesem anderen Abbè? Wie heißt er nochmal?“ Montagne begann zu blättern. „Moment, das haben wir gleich … Ah, hier steht es: Abbé Henri Boudet aus Rennes-les-Bains. Er soll mit Sauniere richtig gut befreundet sein und über ihn haben unsere Kollegen einiges Seltsames herausgefunden. Aber das nur am Rande. Vielmehr ist auffällig, dass er einen Tag vor dem Mord an Gelis mit unbekanntem Ziel abgereist ist.“
Durac war äußerst erstaunt. „Was soll das heißen? Bedeutet das, dass man ihn nicht weiter überprüft hat? Weiß man denn nicht, wo er sich augenblicklich aufhält? Das gibt’s doch nicht! Was ist das für eine Schlamperei!“ Er war wütend geworden. Die Erfolglosigkeit in dieser Mordsache und das damit verbundene ständige Umherfahren zwischen den Dörfern zehrte an seinen Nerven.
Er fuhr fort: „Wir wissen also nicht einmal, ob er ein Alibi hat. Ist es das?“ Montagne brachte ein kleinlautes „Ja“ heraus. Es herrschte bedrückendes Schweigen, währenddem Durac versuchte, sich wieder zu beruhigen. Die Entspannung der Situation folgte jedoch erst, als die Tür aufging und ein junger Kollege beim Eintreten verkündete, dass es Neuigkeiten gäbe.
Eine halbe Stunde später saßen der Abbè von Rennes-le-Château und seine Haushälterin schweigend am Essenstisch in der Küche. Marie hatte auf die Schnelle das wenige Gemüse, das noch vom Markt in Couiza übriggeblieben war, geschnipselt und es zu einem Eintopf verkocht. Dazu tranken sie schwarzen Tee.
Draußen war es in der Sonne zwar noch angenehm warm, wechselte man aber in den Schatten, war schon eine empfindliche Kälte zu spüren. Der Winter rückte unaufhaltsam näher und auch in Südfrankreich spürte man bereits einen merklichen Temperaturunterschied zum Sommer. Die Gipfel der nahegelegenen Pyrenäen waren um diese Jahreszeit inzwischen mit Schnee bedeckt.
In der Küche der Villa Bethania herrschte eine bedrückende Atmosphäre. Wenig Tageslicht drang herein, obwohl es erst Mittag war. Bérenger hing düsteren Gedanken nach und die Tasse wärmenden Tees, die vor ihm stand, konnte ihn nur wenig aufheitern. Innerlich aufgewühlt, versuchte er, langsam zu seiner bisher krampfhaft beibehaltenen Ruhe zurückzukehren. Er musste an den Brief denken, den ihm Boudet vor Gelis Ermordung hatte zukommen lassen. Es handelte sich um das ultimative Beweisstück zu einem Mordkomplott und könnte ihn für viele Jahre ins Gefängnis bringen, wenn es Unbefugten in die Hände fallen sollte.
„Ich Esel“, dachte er sich, während er seinen Teller auslöffelte, „warum lege ich mir nicht endlich einen Tresor zu, schon alleine wegen dieses Briefes?“ Langsam begann es wieder in ihm zu brodeln, gleichzeitig wollte er sich Marie gegenüber nichts anmerken lassen.
Marie war ebenfalls in Gedanken versunken. Dann rutschte ihr eine Frage heraus, die sie ihm in all den Jahren, wo sie sich schon kannten, noch nie gestellt hatte. Sie hatte es bisher als selbstverständlich angesehen, aber nach allem, was vorgefallen war, flammten starke Zweifel in ihr auf. „Bérenger, sag, liebst du mich überhaupt noch? Ich habe immer mehr den Eindruck, dass du mich nur noch als Mittel zum Zweck ansiehst. Ich komme mir von dir so ausgenutzt vor.“
Anstatt ihr zu antworten, sah er nur ins Leere und drehte ihr nach endlos langen Minuten den Kopf zu. Seine Antwort kam gänzlich anders als erwartet. „Was willst du von mir hören? Ich bin Pfarrer dieses Dorfes und habe mich an bestimmte Regeln zu halten. Womit ich nicht behaupten will, dass ich nichts für dich empfinde. Aber es ist zu viel in der letzten Zeit passiert und meine Gefühle sind völlig durcheinandergeraten, seitdem ich … Ach, ich muss schleunigst nach Rennes-les-Bains. Dort wartet man schon auf mich. Wir reden ein anderes Mal darüber. Verzeih mir bitte, ich habe zu tun.“
Er stand auf, ohne ausgetrunken zu haben, und begab sich zur Haustür. Marie dagegen saß da wie ein begossener Pudel. Ihr war klargeworden, dass er nur mit ihr geschlafen hatte, um sich ein Alibi für eine Mitwisserschaft im Mordfall Gelis zu verschaffen. Das Schlimmste für sie war allerdings, dass sie mit niemandem darüber reden konnte. Vor ein paar Jahren war es noch anders, da gab es eine beste Freundin, die jedoch an einer schweren Krankheit gestorben war. Sie kam sich völlig hilflos und allein gelassen vor, eine Welt brach in ihr zusammen.
Sauniere suchte zunächst nach Felix, den er ein weiteres Mal dabei ertappte, wie er auf einer Bank eingeschlafen war, die sich an der Straße befand, die zu seinem Turm führte. Mit festem Griff packte er ihn an der rechten Schulter und rüttelte ihn, dass ihm seine Mütze ins Gesicht rutschte. „Wach auf, du Faulpelz. Muss man denn hier alles selber machen?“ Seine schlechte Laune hielt an und so war er nahe daran, dem armen Kerl obendrein eine Ohrfeige zu verpassen. Bérenger war ein Hitzkopf und konnte manchmal ziemlich grob werden, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief. Besonders am Anfang seiner Amtszeit im Dorf hatte er sich die eine oder andere Prügelei mit jungen Burschen geliefert, bei der er zugegebenermaßen nicht schlecht ausgesehen hatte. Mit der Zeit hatte er sich auf diese Art gehörigen Respekt verschafft.
Saunière befahl dem jungen Gemeindehelfer, er solle schleunigst die Kalesche holen, er benötige sie, um damit zum Nachbarort zu fahren. Dann rannte er, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Wendeltreppe seines Bibliotheksturmes hoch, um alle nötigen Unterlagen für die Predigt, die er am Morgen ausgearbeitet hatte, zusammen zu packen. Seine schwarze Aktentasche nahm er dabei ebenfalls mit. Wenig später preschte er los.
Marie war voller Selbstzweifel. Was sollte sie tun, so fragte sie sich. Da war immer noch diese schreckliche Sache mit den Dokumenten. Unter normalen Umständen müssten sie sich nach wie vor in Coustaussa im Safe des Pfarrhauses befinden. Es sei denn, man hatte diesen gewaltsam geöffnet und sie daraus entwendet. Dagegen sprach allerdings, dass Bérenger bisher erstaunlich ruhig geblieben war. So wie sie ihn kannte, hätte er eigentlich in Panik deswegen verfallen müssen, denn es konnte sein, dass man diese Papiere entwendet hatte und sie dann unwiederbringlich verloren wären. Sie konnte sich sein Verhalten einfach nicht erklären.