5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
»Alles schläft« ist die ideale Lektüre für lange, dunkle Winterabende: psychologisch raffiniert und hintergründig spannend. Es ist Weihnachten. Nach zwei Jahren kehrt Conni heim zu ihrer Familie, ohne Geld, ohne Job, ohne Wohnung. Betrogen von ihrem Freund, mit dem sie nach Brüssel gezogen ist, um den Tod ihres Vaters zu verarbeiten. Aber in ihrer Heimatstadt Wetterbach hat sich vieles verändert. Ihre Jugendliebe Hannes ist inzwischen mit der verhassten Schwester zusammen und Connis zahlreiche Jugendsünden holen sie ein. Jemand will, dass sie wieder verschwindet, und droht ihr das gleiche Schicksal an wie Irene, die an Weihnachten vor drei Jahren spurlos verschwunden ist. Feinde hat sich Conni genug gemacht. Als sogar ihre alte Clique anfängt, sich gegen sie zu stellen, kriegt sie es mit der Angst zu tun. Denn der Fall Irene hat deutlich gezeigt: Schöne Mädchen haben es schwer in Wetterbach …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Cover & Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
Am Abend suche ich in meinem Koffer nach einem passenden Outfit für das Klassentreffen. Ich räume alles raus, was ich aus Marcels Apartment mitgenommen habe: Kleider, Röcke, Blusen, Hosen. Ich will so hübsch wie möglich aussehen, wenn ich auf meine alten Klassenkameraden treffe. Ihre schadenfrohen Blicke wegen meiner Trennung von Marcel und der ungeplanten Rückkehr nach Wetterbach lassen sich leichter ertragen, wenn ich dabei wenigstens schöner bin als sie.
Besser als Marion werde ich in jedem meiner Outfits aussehen, diese Gewissheit tröstet mich ein klein wenig. Enge Kleider, hohe Schuhe, schicke Blazer – an ihr wirkt alles immer unpassend und irgendwie schräg, das war schon immer so. Aber was kann ich dafür? Sie möchte weiterhin die verbitterte, missgünstige Schreckschraube sein, bitteschön! Ich frage mich ernsthaft, was ihr mehr Genugtuung bereitet: mit dem Mann zusammen zu sein, für den sie immer schon geschwärmt hat, oder mit dem Mann zusammen zu sein, der immer nur mich wollte.
Nach langem Hin und Her entscheide ich mich für ein violettes, enges Strickkleid und dunkle Strumpfhosen. Nach Weihnachten muss ich unbedingt einkaufen gehen. Doch bevor ich das tun kann, sollte ich noch mal mit meiner Mutter reden, sonst wird die Shoppingrunde spärlich ausfallen. Ich habe mich heute Morgen nicht getraut, direkt nach Geld zu fragen, und alles in mir sträubt sich dagegen, vor ihr als Bittsteller aufzukreuzen. Eigentlich bin ich weniger Maria, die um ein Quartier für die Nacht bittet, sondern vielmehr der verlorene Sohn, der nichts mehr hat: kein Geld, keinen Partner, keine Wohnung, keinen Ausbildungsplatz. Der BMW ist das Einzige von Wert, das sich in meinem Besitz befindet. Ob ich nach zwei Jahren Funkstille noch Freunde habe, wird sich heute Abend herausstellen.
Das Haar lasse ich offen, so mochte Marcel es am liebsten. Und Hannes auch. Ich geize nicht mit Make-up und entferne mich erst vom Spiegel, als ich sicher bin, alles aus mir herausgeholt zu haben.
Marion mustert mich argwöhnisch, als ich die Treppe herunterkomme. Sie sitzt mit unserer Mutter zusammen am Tisch und spielt Karten. Die Situation muss sie auf grausame Weise an früher erinnern, als ich an den Wochenenden von einer Party zur nächsten gezogen bin, während sie ohne Einladung zu Hause geblieben ist. Ich ziehe mir die Lippen extra noch einmal nach und sprühe mich mit Parfum ein, um sie zu provozieren. Statt einer weißen Flagge habe ich eine Kriegserklärung erhalten, und wenn Marion Krieg will, kann sie ihn haben.
»Ich bin dann mal weg«, verabschiede ich mich mit einem falschen Lächeln von den beiden. Marion ignoriert mich, Mama winkt mir unbeholfen zu und sie widmen sich wieder ihrem Spiel.
Ich brauche eine Weile, um das Auto freizuräumen, weil es völlig eingeschneit ist. Wieso haben wir keine Garage? Es passt mir nicht, dass der teure Wagen so ungeschützt herumsteht und das ganze Tausalz abkriegt. Ich lasse den Motor laufen, während ich in der einsetzenden Dunkelheit mit nackten Händen die Scheibe sauberkratze.
Ich bin nervös. Wie werden meine ehemaligen Freunde reagieren, wenn sie mich sehen? Tragen sie es mir nach, dass ich so mir nichts, dir nichts verschwunden bin? Oder werden sie sich freuen, dass ich wieder da bin?
Die Frage beschäftigt mich noch den ganzen Weg zum Eckstein, wo das Klassentreffen stattfindet. Ich habe Glück und finde einen Parkplatz in der Nähe, steige mit etwas wackligen Knien aus und stakse in meinen Stiefeln über die Straße. Die dampfige Wärme der Wirtsstube schlägt mir entgegen. Das Gasthaus ist proppenvoll, eine Firma oder ein Verein veranstaltet eine Weihnachtsfeier. Ich gehe durch bis nach hinten und suche in der Menge nach bekannten Gesichtern.
Allerdings nicht im Speziellen nach denen von Saskia und Yvonne, die plötzlich vor mir stehen.
»Ach nee, Conni ist wieder da«, sagt Saskia und verschränkt die Arme vor ihrer holzlosen Hütte.
Ich halte perplex inne, weil dieses Verhalten ganz und gar nicht zu dem Mädchen passt, das ich in Erinnerung habe. Als sie mich in der Elften beim Knutschen mit ihrem Freund erwischt hat, gab es nur ein bisschen Geheule und verletzte Blicke, dabei hatte ich nicht mal gewusst, dass er in festen Händen war. Was hat sich geändert?
Yvonne imitiert die Geste ihrer Freundin und giftet mit süßlichem Lächeln: »Rate mal, wer mittlerweile mit Thorsten verlobt ist?«
Oh mein Gott, es geht also wirklich immer noch um Thorsten?! Ich pruste los.
Saskia ignoriert mein Lachen, obwohl ich meine, dass sie ein bisschen rot wird. Im schummrigen Licht ist das schwer zu sagen.
»Tja, am Ende gewinne ich, siehst du?«, ätzt sie.
Ich klopfe ihr auf die Schulter. »Herzlichen Glückwunsch, Saskia«, gluckse ich. »Ein richtiger Hauptgewinn. Ich hoffe, er weiß mittlerweile, wie man seine Zunge richtig einsetzt. Oben- wie untenrum.« Ich lasse die beiden einfach stehen und gehe weiter nach hinten durch.
»Conni!« Das ist Erikas Stimme! Sie steht auf und da ist sie schon vor mir, das rabenschwarze Haar kürzer als früher, aber noch dieselben Grübchen in den Wangen. Sie strahlt vor Freude und mir fällt ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, weil nichts an ihrer Miene darauf schließen lässt, dass sie wütend oder beleidigt oder verletzt ist, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe. Wir umarmen uns überschwänglich und die Übrigen am Tisch rücken ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen.
Wo sind die anderen? Ich blicke mich um. Ich bin sicher nicht hergekommen, um mit Miriam und Helena, die gegenüber sitzen, über ihre Erfolge im Studium zu sprechen. Trotzdem quetsche ich mich zwischen Erika und Bastian, der mir kurz freundlich zunickt und sich dann wieder seinem Gespräch mit den beiden Mädels widmet.
»Hannes hat mir geschrieben, dass du nach Wetterbach kommst, aber er war sich nicht sicher, ob du beim Klassentreffen auftauchst«, sagt Erika mit roten Backen. »Du musst mir alles erzählen! Weshalb bist du wieder da? Was ist in Brüssel passiert?«
Ich erzähle ihr in Kurzfassung von meiner Trennung. Nach kurzem Zögern sogar den Part, in dem Marcel mich betrogen hat, aber ganz leise, sodass es außer ihr keiner mitkriegt. Glücklicherweise grinst Erika nicht hämisch, sondern nennt Marcel einen miesen Drecksack der untersten Kategorie.
»Soll er an seinem Geld ersticken!«, wettert sie. »Du hast was Besseres verdient!«
Als ich den Blick durch die Stube gleiten lasse, sehe ich doch noch den Rest unserer ehemaligen Clique hereinkommen: Simon, Jakob und Sonja. Simon ist in Begleitung eines blonden Mädchens, das ich nicht kenne, und sie halten Händchen. Ah ja, interessant. Mal sehen, wie lange es diesmal gut geht. Simon hat noch nie Schwierigkeiten damit gehabt, Mädels kennenzulernen, aber langfristiges Interesse hat er früher selten an einer gehabt, und ich bezweifle, dass zwei Jahre etwas daran geändert haben. Ich gebe den beiden ein paar Wochen. Nein, ein paar Tage. Nein, nur die Nächte.
Leider ist bei Erika und mir kein Platz mehr für unsere alten Freunde, sie setzen sich woandershin, winken uns aber aufgeregt zu und Sonja ruft quer und mit gespielter Strenge über den Tisch: »Wehe, du haust wieder ab, Conni! Wir reden noch!«
Ich grinse zurück und verbringe das Essen damit, mit Erika zu plaudern. Sie studiert immer noch Geschichte, genau wie gehabt. Aus Wetterbach ist sie kurz nach mir weggezogen und gerade über die Feiertage zu Besuch bei ihren Eltern.
»Was hast du denn jetzt vor?«, fragt sie mich neugierig. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Tja, wenn ich das wüsste! Fest steht nur, dass ich Geld und einen neuen Plan für mein Leben brauche, und zwar dringend. Die Ausbildung zur Hotelfachfrau habe ich schon kurz nach Beginn abgebrochen und ich glaube nicht, dass ich mich dort noch einmal blicken lassen brauche. Ich hab auch keine Lust drauf.
Ich weiche dem Thema aus und lenke Erikas Aufmerksamkeit schnell auf etwas anderes. Ob sie momentan einen Freund hat, frage ich. Sie nickt ohne Begeisterung.
»Sein Name ist Martin und er ist Journalist.« Sie erzählt mir ein bisschen was über ihn, aber ich spüre, dass sie nicht ganz glücklich ist.
»Um ehrlich zu sein, mir ist irgendwie langweilig«, gesteht sie lachend, als ich sie darauf anspreche. »Ihr fehlt mir alle so. Das Weggehen und Feiern, das mag er nicht. Aber er ist schon ein guter Typ«, fügt sie seufzend hinzu. Ich will ihr da nicht reinreden. Während unserer Schulzeit war Erika jahrelang unglücklich in Paul aus dem Jahrgang über uns verliebt. Ich habe einen großen Teil meiner Jugend damit verbracht, mir ihre Schwärmereien anzuhören, so zu tun, als wäre ich nicht genervt davon und ihre Tränen zu trocknen. Dabei war Paul in etwa so spannend wie eine Scheibe Zwieback.
Das Essen kommt, ich stürze mich auf mein Steak und lausche. Um uns herum erzählen alle von ihrem Studium, der Ausbildung, von Praktika, die sie absolviert haben. Nicht nur Saskia ist in festen Händen, Meike hat inzwischen geheiratet und zeigt stolz ihren Ehering herum. Ich heuchle höfliches Interesse und Glückwünsche, während ich insgeheim schockiert über diese Neuigkeiten bin. Nicht, dass ich schon ans Heiraten denken würde, aber dass jemand wie Meike vor mir den Mann fürs Leben findet, will mir einfach nicht in den Kopf. Meine Laune wird von Minute zu Minute schlechter. Ich zerschneide das Steak auf meinem Teller und stelle mir vor, es wäre Meikes selbstgefällig lächelndes Allerweltsgesicht unter einem hübschen, weißen Brautschleier. Wahrscheinlich ist sie jungfräulich in die Ehe gegangen, um nicht Gefahr zu laufen, einen Bastard zu gebären, der dann in ganz Wetterbach geächtet wäre.
Miriam fragt, was ich in Brüssel gemacht habe, und ich erzähle von meinem Job im Klub, den mir ein Freund von Marcel verschafft hat.
»Was musstest du da machen?«, will sie wissen. In erster Linie einen kurzen Rock und einen tiefen Ausschnitt tragen und reiche Männer dazu bringen, freiwillig haufenweise Geld dazulassen. Ich berichte kurz und abweisend von den Veranstaltungen, die wir ausgerichtet haben und die ich promoten sollte.
»Eventmanagement klingt aufregend«, sagt Miriam. »Willst du da jetzt tiefer einsteigen? Wobei, Wetterbach ist dafür vielleicht nicht unbedingt der ideale Ort.«
Was du nicht sagst, Miriam! Für diese Erkenntnis gibt’s ein Sternchen ins Heft.
Ich lächle zuckersüß, antworte aber nicht, sondern verlege mich stattdessen darauf, an meinem Wasser zu nippen und dabei meine Klassenkameraden unauffällig zu mustern. Ich stelle fest, dass Manuel sich die Haare hat wachsen lassen, was seinem ohnehin jungenhaften Gesicht einen irgendwie weiblichen Zug verpasst. Steffi hat bestimmt fünf Kilo abgenommen, Monika trägt ein Piercing in der Lippe, das vorher noch nicht da war. Als könnte das von ihrem Damenbart ablenken. Mein Blick bleibt an Max hängen, der gerade in ein Gespräch mit unserer ehemaligen Klassenstreberin Sabrina vertieft ist. Im Grunde hat sich doch nichts verändert. Der ein oder andere hat einen neuen Look und alle haben allmählich beruflich eine Richtung eingeschlagen, aber es ist immer noch der gleiche große Haufen aus Langeweile und Spießigkeit, Scheinheiligkeit und Engstirnigkeit, der um mich herumsitzt.
In meinem Nacken wird es mit einem Schlag eiskalt. Und nass! Ich drehe mich erschrocken um und sehe wieder Saskia, die ihr Glas so schief hält, dass sie einen Teil des Inhalts auf mich verschüttet.
»Ups«, flötet sie laut, sodass alle in meiner Ecke es mitkriegen. »Das wollte ich nicht.«
Ist ihr eigentlich klar, wie viel dieses Kleid gekostet hat?! Ich stehe so schnell auf, dass Saskia zusammenzuckt und mit ängstlicher Miene einen Schritt zurückweicht. Ach, also doch noch das Mäuschen von früher, das sich heute nur aus dem Loch gewagt hat, weil noch genug andere Mäuschen unterwegs sind.
Ich erwidere genauso laut: »Das hat dein Verlobter damals bestimmt auch gesagt, nachdem er dich mit mir betrogen hat.« Lächelnd zucke ich mit den Schultern, während Saskia knallrot wird. »Was das unabsichtliche Verteilen von Flüssigkeit angeht, war er ja ein Experte«, füge ich zwinkernd hinzu, winke großzügig ab und greife mir eine Serviette, mit der ich mein Kleid abtupfe. Erika kichert.
Saskia dagegen schleudert mir den restlichen Inhalt ihres Glases entgegen. Ich drehe mich weg und kriege nur ein paar Spritzer ab, trotzdem schnappe ich nach Luft. Geht’s noch? Ich kneife die Augen zusammen und es wird auf einmal ruhig am Tisch, nicht nur an meinem Ende. Im Hintergrund stoßen die Teilnehmer der Weihnachtsfeier an und haben nichts von der Szene mitgekriegt, aber meinen ehemaligen Klassenkameraden ist sie nicht entgangen. Saskia scheint selbst überrascht und erschrocken über sich zu sein und macht gleich noch einen Schritt zurück, aber alle Augen sind auf mich gerichtet. Mit besudeltem Kleid stehe ich da, noch zu fassungslos, um angemessen zu reagieren.
»Richtig so, Saskia!«, kommt da plötzlich von Bastian. »Das hätte damals schon jemand machen sollen.«
Ich drehe mich zu ihm und starre ihn an. Da sitzt er das ganze Essen über neben mir und heuchelt Freundlichkeit, um mir dann vor allen anderen in den Rücken zu fallen?! Er erwidert meinen Blick, wirkt aber ebenfalls unsicherer, als er geklungen hat.
Das ändert sich jedoch, als ein paar Leute applaudieren.
»Dass sie Conni nicht von der Schule geworfen haben, war echt ein schlechter Witz«, wirft Verena ein, aber prompt meldet sich der Nächste.
»Wenn man mit den richtigen Lehrern schläft, klappt es auch mit dem Abi!«
Wer hat das gerufen? Ich schaue mich zornentbrannt um und sehe eine Wand aus schadenfrohen, hämischen Gesichtern.
»Schrohe hat sicher nicht umsonst immer Partei für sie ergriffen.«