Alles wie immer - Shirley Jackson - E-Book

Alles wie immer E-Book

Shirley Jackson

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Beschreibung

Das humorvolle Meisterwerk einer Kultautorin Grandios erzählt Shirley Jackson in diesem Klassiker von 1957 aus dem Leben ihrer liebenswert-durchgeknallten Familie. Nachdem mit der Ankunft des vierten Kindes das alte Haus zu klein geworden und der nervenaufreibende Umzug geschafft ist, könnte etwas Ruhe einkehren. Aber weit gefehlt! Während der Kühlschrank und ein schiefer Torpfosten machen, was sie wollen, und die älteste Tochter Jannie immer nur Little Women liest, besuchen Sally und der kleine Barry ihren geheimnisvollen Freund Pudge und bleiben über Stunden unauffindbar. Laurie, der Erstgeborene, ist seiner eigenen Ansicht nach schon erwachsen und muss seinem Vater ständig Bußgeld für die Verwendung von Schimpfwörtern zahlen. Unter all diesen heiteren Alltagsszenen lauern auch noch die verkrusteten Geschlechterrollen der Fünfzigerjahre. Natürlich hat sich eine Professorengattin wie die Erzählerin für nichts anderes zu interessieren als ihre Kinder – und die Arbeit ihres Ehemanns. Doch bald darauf schmückt die Familie gemeinsam den Weihnachtsbaum und schließlich gilt: Weihnachten gut, alles gut.

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Seitenzahl: 428

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Shirley Jackson

Alles wie immer

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Nicole Seifert

Die Originalausgabe erschien erstmals 1957 unter dem Titel Raising Demons bei Farrar, Straus and Cudahy.

© 2024 Arche Literatur Verlag,

ein Imprint der Atrium Verlag AG, Zürich

Alle Rechte vorbehalten

© 1957 by Shirley Jackson

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03790-153-3

 

www.atrium-verlag.com

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Für Louis Scher

Eins

 

Mir ist inzwischen vollkommen schleierhaft, wie und durch welche Ereignisse wir aus dem großen weißen Haus, das wir mieteten, in ein anderes, größeres weißes Haus gerieten, das uns gehört, jedenfalls zum Teil. Ich weiß wohl noch, dass wir umgezogen sind, und ich weiß auch, glaube ich, warum, und ich weiß, dass wir drei angenehme Monate im Ferienhaus einer Freundin verbrachten, und ich bin einigermaßen sicher, dass wir den Großteil unserer Möbel zurückbekamen. Am meisten verblüfft mich, glaube ich, wie so eine Kette von Ereignissen einfach ganz von selbst beginnt. Eines Tages machte ich mich daran, den Schrank in der Diele aufzuräumen, und als Nächstes versuchten wir zu entscheiden, ob alle vier Telefone an derselben Leitung hängen sollten oder ob sie unterschiedliche Nummern haben und wir viermal im Telefonbuch stehen sollten. Wir haben übrigens falsch entschieden. Da das Telefon morgens um acht für Laurie zu klingeln anfängt und mittags für Jannie und am frühen Nachmittag für Sally und gelegentlich eine hohe, unangenehme Stimme stammelnd etwas für Barry durchgibt und dann meist unerwartet auflegt, wissen wir inzwischen, dass wir uns für vier getrennte Leitungen hätten entscheiden sollen. Wir hätten drei auf die Kinder eintragen und die vierte für uns behalten und unsere Nummer nur den zwei, drei Leuten geben sollen, die entweder keine Kinder haben oder trotzdem dann und wann optimistisch versuchen, ihre Freunde anzurufen.

Neun Jahre lang hatten wir das große weiße Haus gemietet. In der Zeit wurde Sally geboren, Barry auch, und die Küche musste gestrichen werden. Die Treppe war uns lieb und vertraut, genau wie die Wände und die Stellen der Lichtschalter und der Sprung im Fenster der Haustür. Laurie wusste, wie er vom Haus aus mit dem Fahrrad überall hinkam, Jannie brauchte nur die Straße zu überqueren, wenn sie mit einer Freundin spielen wollte, Sally und später Barry schliefen in Jannies alter Karre auf der Veranda, während der Schatten der Säulen langsam über die karierte Decke wanderte. Im Haus befanden sich Millionen Dinge, die alle unserer Familie gehörten, und der Schockmoment, in dem wir feststellten, dass das Haus voll war, kam unaufhaltsam näher.

Eines Frühlingsvormittags wollte ich einen der Wandschränke im Erdgeschoss aufräumen, die anfangs immer sehr praktisch sind für nasse Stiefel und Regenschirme und die am Ende Schlittschuhe beherbergen und Hockey- und Tennisschläger und dann, eine vollkommen logische Ausweitung, Baseballhandschuhe und Footballhelme und Basketbälle und Reitstiefel und -jacken, die Besuchskinder vergessen haben. Ich hatte mir beim Einkaufen einen großen Pappkarton mitgenommen und füllte ihn mit sämtlichen Baseballhandschuhen und Footballhelmen und Reitstiefeln und Tennisschlägern und dem Basketball. Ich stellte den Karton an den Fuß der Hintertreppe, um ihn beim nächsten Mal mit hochzunehmen, legte saubere Zeitung auf den Boden des Schrankes und holte alle nassen Stiefel aus der Ecke in der Küche und von der Stelle neben der Haustür und vom Rücksitz des Autos und stellte sie nebeneinander in den Schrank, und es befriedigte mich enorm, die Schranktür zum ersten Mal seit Monaten fest zu schließen.

Als ich das nächste Mal nach oben ging, nahm ich den Karton mit. In dem Zimmer, das sich meine beiden Töchter teilten, war kein Platz dafür. Im Zimmer meines älteren Sohnes war auch kein Platz, und in dem winzigen Zimmer, in dem das Baby wohnte, schon gar nicht. Auch auf dem Dachboden, wo wir Schlitten und Harken aufbewahrten, war kein Platz. Auf dem anderen Dachboden, wo wir Koffer aufbewahrten und Kisten mit Sachen, die ich irgendwann weggeben wollte, auch nicht. Dass in der Garage kein Platz war, wusste ich, weil ich wenige Tage zuvor versucht hatte, die Winterreifen dort zu lagern, die ich dann in den Keller räumen musste, wo demnach auch kein Platz war, weil ich ja kaum die Winterreifen dort hatte unterbringen können. In unser Schlafzimmer würde ich einen Karton mit Footballhelmen und einem Basketball nicht stellen, zumal neben meinem Schrank in der Ecke bereits sechzehn Bücherkartons standen, und im oberen Flur konnte ich ihn auch nicht lassen, weil an der Wand neun weitere Bücherkartons standen. Wenn ich einen Karton mit Baseballhandschuhen und Footballhelmen und einem Basketball mitten im Flur stehen lassen würde, würde es außerdem keinen Tag dauern, bis ich seinen gesamten Inhalt wieder im Wohnzimmer und in der Küche verstreut fände, und dann würde ich alles zusammenklauben und wahrscheinlich wieder in den unteren Flurschrank tun und die Tür wieder nicht zukriegen.

Mit einem leichten Gefühl der Verwirrung und einem starken Gefühl der Unausweichlichkeit nahm ich den Karton wieder mit nach unten und tat den ganzen Inhalt direkt zurück in den Flurschrank, und natürlich ging die Tür nicht zu. Da ich für den leeren Karton keinen Platz fand, stellte ich ihn nach draußen, damit ihn der Müllmann mitnahm.

Am Tag darauf beschloss ich, die Winterkleidung einzumotten, aber in dem Schrank, den ich immer als Winterlager benutzt hatte, befanden sich lauter Kisten mit Babykleidung und Geschenke, die Leute dem Baby geschickt hatten, denn in dem kleinen Babyzimmer war kein Schrank. Mir kam der Gedanke, dass ich die Winterkleidung in einen Koffer auf dem abgelegenen Dachboden tun könnte, aber als ich die Tür endlich aufbekommen hatte, entdeckte ich, dass der Koffer voll war; mein Mann hatte seinen Aktenschrank aufgeräumt, und da er keinen Platz hatte, um Unterlagen und Briefe und Zeitungsausschnitte zu lagern, die zu wichtig waren, um weggeworfen zu werden, aber nicht von unmittelbarem Nutzen, wie unser altes College-Jahrbuch und die Kopie unserer Heiratsurkunde, hatte er sie im Wäschekorb nach oben gebracht und alles in den Koffer auf dem abgelegenen Dachboden getan. Ich überlegte, einen Schrank aus Pappe zu besorgen, um die Kleidung reinzuhängen, aber für einen weiteren Schrank hatten wir keinen Platz, weil beide Dachböden schon voll waren, es sei denn, ich stellte einen Schrank ins Babyzimmer und räumte die Babysachen aus dem Schrank, den ich zum Einmotten benutzen wollte, und die Wintersachen hinein, aber dann wüsste ich nicht mehr, wohin mit dem Baby, denn in dem kleinen Zimmer war nur Platz für das Bettchen, wickeln tat ich es auf dem Bett der Mädchen.

Wir hatten noch drei weitere Dachböden, aber einer war voll mit altem Holz und Backsteinen, die bei den diversen Anbauten übrig geblieben waren, einer war voller Fledermäuse, und der dritte war nur durch eine Falltür in der Decke des vorletzten Dachbodens zu erreichen, und selbst wenn ich an den Fledermäusen und dem Holz und den Backsteinen vorbeikäme, würde es mir wohl kaum gelingen, mit dem Baby durch die Falltür zu kommen und wieder zurück.

An jenem Abend äußerte mein Mann beim Abendessen den Wunsch, an seinen Platz am Tisch gelangen zu können, ohne sich an der Anrichte vorbeischlängeln zu müssen; entweder habe er zugenommen, oder ich hätte den Tisch verrückt. Ich sagte, da ja neuerdings der Hochstuhl im Esszimmer stehe, weil in der Küche kein Platz sei, könne der Esstisch gar nicht weiter von der Anrichte entfernt stehen, denn wäre rund um die Küchentür noch weniger Platz, käme ich nicht mehr hindurch, und es gäbe überhaupt kein Abendessen. Mein Mann fragte, warum die Kinder nicht in der Küche zu Abend äßen, dann würde im Esszimmer zur Essenszeit weniger Überfüllung und Durcheinander herrschen, und ich musste erklären, wenn in der Küche für alle Kinder Stühle stünden, dann müsste ich durchs Arbeitszimmer, um vom Herd zur Spüle zu kommen, und Laurie fügte entrüstet hinzu, das wäre ja wohl noch schöner, wenn er und die Mädchen in der Küche essen müssten, das Baby aber ins Esszimmer dürfte.

Nach dem Abendessen bekam Laurie Besuch von einem Freund und sah mit ihm fern, sodass mein Mann und ich uns ins Arbeitszimmer setzen mussten. Jannie kam rein, um im Arbeitszimmer zu lesen, weil die Jungs sie freundlich darum gebeten hatten, sie in Ruhe ihren Western sehen zu lassen; Sally hatte oben schon Licht aus und wollte schlafen, Jannie konnte also nicht im Bett lesen, und im Esszimmer war das Licht zum Lesen zu schlecht. Zu dritt im Arbeitszimmer musste einer von uns auf dem harten Stuhl sitzen, sodass ich dachte, ich könnte genauso gut ein bisschen stopfen und Jannie den Sessel mit der Leselampe überlassen. Ich holte meinen Nähkorb, der, wie ich feststellte, voller Walnüsse war, die die Kinder mit nach Hause gebracht hatten. Sie hatten nicht gewusst, wohin so lange mit den Walnüssen, bis wir beschlossen hätten, was wir mit ihnen machen würden, also hatten sie sie in meinen Nähkorb getan, der schon ziemlich voll mit Socken war. Als ich später nach oben ging, um nach dem Baby zu sehen, fiel mir auf, als sähe ich es zum ersten Mal, dass zu beiden Seiten der Treppe Sachen lagen – Bücher, Pullis, Puppen, Packungen mit Stiften –, die vorübergehend dort abgelegt und dann liegen gelassen worden waren, weil es keinen anderen Ort für sie gab. Als ich wieder nach unten kam, ging ich ins Arbeitszimmer und stellte mich vor meinen Mann, bis er sein Buch sinken ließ und mich ansah.

»Wir haben zu viel Zeug«, sagte ich zu ihm. »Puppen und Hockeyschläger und Winterkleidung und Walnüsse.«

»Mir war doch so, als läge mehr rum als gewöhnlich«, sagte er.

»In diesem Haus ist kein Platz mehr«, sagte ich. »Es passt nichts mehr rein. Gar nichts.«

Jannie hob den Kopf. »Ninki bekommt wieder Junge«, sagte sie.

»Aber nicht hier«, sagte ich. »Hier ist nicht mal mehr das kleinste –«

»Letztes Mal hat sie sie auf dem grünen Sessel im Wohnzimmer bekommen.«

»Als ich vor ein paar Minuten vorbeikam, lagen vier oder fünf Jacken auf dem Sessel und ein Stapel Bücher aus der Bücherei«, sagte ich.

»Fangt schon mal an, die Leute zu fragen, ob sie Katzenjunge haben wollen«, sagte mein Mann. Er nahm sein Buch wieder auf. »Bringt die Bücher zurück in die Bücherei«, fügte er hinzu mit der Haltung eines Mannes, der ein unbedeutendes häusliches Problem gelöst hat.

»Wir brauchen ein größeres Haus«, sagte ich.

»Sei nicht albern«, sagte mein Mann weiterlesend. »Es gibt kein größeres Haus.«

»Ein neues Haus?«, fragte Jannie. »Krieg ich dann ein eigenes Zimmer?«

Als ich am nächsten Vormittag einkaufen ging, sagte der Lebensmittelhändler, er habe gehört, wir überlegten umzuziehen. Wir lebten ja nun schon eine ganze Weile im alten Fielding-Haus, sagte er; vielleicht wollten wir jetzt etwas kaufen? Rein zufällig habe er gehört, dass Mrs. Wilbur das große Haus oben an der Main Street verkaufen wolle. Für uns wäre es doch gut, oben an der Main Street zu leben, dann könnten die Kinder zu Fuß zur Schule gehen, und wir wären mitten im Schulbezirk, sodass Sally in den Kindergarten gehen könnte. Da ich ja mit dem Auto unterwegs sei, sagte er, könnte ich doch gleich mal die Main Street hochfahren und mir das große Haus von außen ansehen. »Sie erkennen es an den Torpfosten«, sagte der Lebensmittelhändler.

Als ich in die Post kam, sagte der Schalterbeamte, er habe gehört, wir überlegten umzuziehen. Er fand, in dem Fall sollten wir erwägen, näher an die Innenstadt zu ziehen. Dann könnten wir unsere Briefe aus dem Postfach in der Post abholen, statt warten zu müssen, bis Mr. Mortimer zu uns rauskam. Insbesondere seit Mr. Mortimers Wagen ins Schleudern geraten und in den Graben gefahren war und sie keine Ersatzteile dafür bekommen hatten, weil er so alt war, sagte der Postangestellte, müsse es doch sehr lästig für uns sein, unsere Post immer erst gegen drei, vier Uhr nachmittags zu bekommen. Ob ich eigentlich wüsste, dass Millie Wilbur überlege, das große Haus zu verkaufen? Das oben an der Straße mit den Torpfosten? Kostet doch nichts, es sich mal anzusehen.

Mr. Cunningham an der Tankstelle sagte, er habe gehört, wir überlegten umzuziehen, und das große weiße Haus mit den Torpfosten wäre doch ein guter Kauf, wenn man Millie Wilbur ein bisschen runterhandelte.

Mit dem Gefühl, von etwas getrieben zu werden, das stärker war als ich, fuhr ich langsam die Main Street entlang. Das Haus mit den Torpfosten war unverwechselbar, vor allem, weil der linke Pfosten in einem spitzen Winkel in die Auffahrt ragte. Ich sah Ahornbäume, eine große Wiese und eine Scheune, die ungefähr so groß war wie das Haus. Fast sah ich schon unsere Kinder über den Rasen rennen, in den Bäumen schaukeln, in der Scheune spielen. Was ich nicht sah, war die ausgetretene Eingangstreppe und die abblätternde Farbe.

Als ich den Hügel hinunter und auf unser Haus zufuhr, wirkte es klein und vollgestopft. Ich brachte die Einkäufe rein und stellte sie auf den Küchentisch, und dann ging ich ins Arbeitszimmer, um mit meinem Mann zu reden.

»Wie ich höre, überlegen wir umzuziehen«, sagte ich.

»Tun wir nicht«, sagte er.

»Millie Wilbur will das große alte Haus mit den Torpfosten verkaufen.«

»Wir haben kein Interesse. Das kannst du Millie Wilbur sagen.«

»Das Haus hat bestimmt zwanzig Zimmer. Und eine Scheune. Bäume. Zwei Torpfosten.«

»Wer auch immer es kauft, wird dann ja viel Platz haben. Ich arbeite gerade«, sagte mein Mann.

Das Telefon klingelte, und als ich abnahm, meldete sich eine Dame, die sich als Mrs. Ferrier vorstellte. Sie hatte gehört, wir überlegten umzuziehen. Ich sagte, das stimme gar nicht, und sie sagte, ach so, gut, ihr Mann sei nämlich gerade in unsere Stadt versetzt worden, und sie suchten verzweifelt nach einem Haus. Ich sagte, wir würden nicht umziehen, und sie sagte, sie seien bereit, so ziemlich jedes Haus zu nehmen, wann sie sich unser Haus denn mal ansehen könne? Denn, sagte sie, derzeit lebten sie bei ihrer Cousine, die drei Kinder habe, und sie sei langsam so verzweifelt, dass ihr wirklich egal sei, was sie fänden, solange sie ein Dach über dem Kopf hätten. Ich sagte, es sei unser Dach, und so solle es auch bleiben, und sie sagte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie morgen mal vorbeikäme? Ich sagte Nein, und sie sagte, dann gegen drei, danke und auf Wiederhören.

Ich hatte immer noch dieses spezielle Gefühl der Unausweichlichkeit, dasselbe Gefühl, wie wenn ich versuche, das Auto auf einem vereisten Hügel zum Stehen zu bringen. Ehe ich es wieder in die Küche schaffte, klingelte das Telefon noch drei Mal. Als Erstes war ein Makler dran, der gehört hatte, dass ich mich für das große alte Haus mit den Torpfosten interessiere. Er sei sicher, dass mir das Haus von innen noch besser gefallen werde als von außen. Der zweite Anrufer war Mr. Gore von der Bank, der fand, ehe wir das Geschäft abschlössen, sollten wir uns mit dem Prinzip Hypothek vertraut machen; er sagte, er würde mir und meinem Mann am Abend einen Besuch abstatten. Der dritte Anruf kam von Mr. Fielding, unserem Vermieter, der gehört hatte, dass wir überlegten umzuziehen.

Ich mied das Arbeitszimmer, weil ich wusste, dass mein Mann fragen würde, wer am Telefon gewesen sei. Ich ging in die Küche, um meine Einkäufe auszupacken und Gemüseeintopf zum Mittagessen zu machen, und beschloss, zum Abendessen Kartoffelauflauf zu machen, denn dann hätte mein Mann den Bauch glücklich voller Kartoffelauflauf, wenn Mr. Gore von der Bank käme.

Als Jannie an diesem Nachmittag aus der Schule kam, sagte sie, ihre Lehrerin habe in die Klassenzeitung geschrieben, dass Jannies Mommy und Daddy ein neues Haus kaufen würden und Jannie nicht mehr mit dem Bus, sondern zu Fuß in die Schule kommen würde. Ein Mädchen namens Carole lebte direkt neben dem großen weißen Haus mit den Torpfosten, und Carole kam jeden Tag auf ihrem Schulweg an dem großen weißen Haus vorbei, und Carole sagte, es sei ein sehr schönes Haus, allerdings seien die Leute, die darin lebten, gemein und verteilten an Halloween keine Süßigkeiten. Laurie kam spät nach Hause, weil er mit dem Rad in die Schule gefahren war und auf dem Rückweg einen Umweg gemacht hatte, um sich das neue Haus anzusehen. Er berichtete, es sehe ganz gut aus, und er habe eine sehr nette Dame kennengelernt, die ihm von der Veranda aus ganz viele Fragen gestellt habe. Das wiederholte er beim Abendessen noch mal für seinen Vater, obwohl ich angestrengt versuchte, ihn davon abzuhalten, und sein Vater sah von seinem Kartoffelauflauf auf und sagte, was denn um Himmels willen für Fragen? Laurie sagte, ach, wie viele Möbel wir hätten und so und wann wir denn umziehen wollten, und Laurie fügte hinzu, er habe zu der Dame gesagt, eine Menge Möbel und sehr bald. Mein Mann nahm noch etwas Kartoffelauflauf und forderte mich milde auf, die Kinder davor zu warnen, mit Fremden so alberne Gespräche zu führen, denn so bildeten sich Gerüchte, und Gerüchte seien schwer zu stoppen, wenn sie einmal in der Welt wären.

Obwohl ich später zu meinem Mann sagte, ich hielte es für reinen Zufall, trafen Mr. Gore von der Bank und der Makler gemeinsam ein. Ich führte sie ins Arbeitszimmer, schloss die Tür, schickte Jannie mit ihrem Buch in unser Schlafzimmer, stellte den Fernseher ganz leise und ging das Geschirr vom Abendessen abwaschen.

Das war, soweit ich weiß, der erste Schritt, so kam es dazu, dass wir ein großes weißes Haus mit zwei Torpfosten kauften. Nach ungefähr einer Stunde kam mein Mann aus dem Arbeitszimmer, um den Humidor mit den Zigarren zu holen, und kurz darauf kam er an die Tür des Arbeitszimmers und fragte, ob ich noch etwas Eis bringen könne. Ich fürchtete, es würde aufdringlich wirken, wenn ich ins Arbeitszimmer schneite, während die Männer sich noch unterhielten, deshalb blieb ich rücksichtsvoll in der Küche und putzte sämtliche Regale in der Speisekammer, in Gedanken beim Besuch von Mrs. Ferrier am folgenden Tag. Als ich hörte, wie die Haustür geschlossen wurde, wartete ich ein paar Minuten, um dann schüchtern ins Arbeitszimmer zu gehen.

»Besuch wieder weg?«, fragte ich durch den Rauch hindurch.

»Yep«, sagte mein Mann.

»Irgendwas Neues?«, fragte ich.

»Tja, ich weiß nicht«, sagte mein Mann. »Meinst du was Bestimmtes?«

Ich zählte bis zehn. »Ich dachte, ihr hättet vielleicht über das Haus geredet«, sagte ich.

»Über welches Haus?«, fragte mein Mann.

»Ich dachte«, sagte ich vorsichtig, »Mr. Gore und der Makler –«

»Bill«, sagte mein Mann, »anständiger Kerl.«

»Ich dachte, ihr hättet vielleicht über die Möglichkeit gesprochen, dass wir Mrs. Millie Wilbur ihr Haus abkaufen. Es ist ein großes weißes Haus oben an der Main Street, hinter dem Bahnhof. Es hat zwei Torpfosten, der linke ist ziemlich schief.«

»Schief«, sagte mein Mann anerkennend. Er überlegte. »Auf der falschen Seite der Gleise«, ergänzte er. »Davon hat er gar nichts gesagt.«

»Tatsächlich ist es auf der richtigen Seite«, sagte ich. »Ich meine, da, wo die anderen großen schönen alten Häuser auch stehen. Eigentlich sind wir hier auf der falschen Seite der Gleise.«

»Kommt drauf an, auf welcher Seite man nicht ist«, sagte mein Mann scharf. »Na ja.« Er nickte und griff nach seinem Buch.

»Was ist denn jetzt mit dem Haus?«

»Mit welchem Haus?«

»Ich gehe schlafen«, sagte ich.

»Ach, übrigens«, sagte er, als ich die Tür des Arbeitszimmers öffnete. »Noch mal zu diesem Haus. Da leben siebzehn Leute.«

»Was?«

»Siebzehn« sagte er mit fester Stimme. »Vier Wohnungen. Vorne eine unten, vorne eine oben, hinten eine unten, hinten eine oben, vorne eine unten, vorne eine –«

Ich machte den Mund zu. »Du meinst«, sagte ich kurze Zeit später, »in dem Haus sind vier Wohnungen? Vier Küchen? Vier Bäder? Vier –«

»Vorne eine unten, vorne eine oben, hinten eine –«

»Vier Telefone?«

»Hinten eine unten.«

Als ich mir am nächsten Vormittag zusammen mit dem Makler das Haus ansah, erfuhr ich Genaueres. Es gehörte mehr als ein Hektar Land dazu, wir könnten also eines Tages einen Swimmingpool haben oder einen Tennisplatz oder einen Minigolfplatz oder einen Garten. Die Scheune hatte zwei Stockwerke und bot sich für ein Sommertheater an oder für beliebig viele Squaredance-Tänzer. Das Haus war vor ungefähr sechs Jahren in vier Wohnungen aufgeteilt worden, was sich durch die Entfernung der Hartfaserplatten rückgängig machen ließ. (Mein Mann und ich kamen zu spät auf die Idee, dass wir unsere vier Kinder und ihre Besitztümer jeweils in eine Wohnung hätten stecken und die Unterteilungen intakt lassen sollen.) Zu den Torpfosten gehörte kein Tor. Es gab vier getrennte Eingänge und, wie der Makler mir versicherte, vier Küchen, vier Bäder, vier Telefone und in der Scheune Platz für vier Garagen.

Der Makler hatte Schlüssel von zwei Wohnungen, und wir betraten vorsichtig die vordere unten, klopften gegen die Hartfaserplatten, hinter denen sich die hintere unten verbarg, und staunten über die Tapete, auf der grüne Urnen und Lorbeerblätter zu sehen waren. Wir gingen raus durch die Eingangstür der vorderen Wohnung unten und um die Ecke und durch die Eingangstür der unteren Wohnung hinten, wo uns ein kleiner Hund so entschieden anbellte, dass wir uns die Zimmer nur sehr flüchtig ansahen. Die dortige Tapete zeigte lila Rhododendren mit vielen Blättern. Wir gingen wieder nach draußen und um eine weitere Ecke des Hauses bis zu der Treppe, die zur oberen Wohnung hinten führte. Wir kamen nicht rein, erhaschten durch Halsrecken aber einen Blick auf die Tapete, die offenbar orange war mit schwarzen Vögeln. Dann gingen wir um noch eine Ecke des Hauses und gelangten zum Eingang der oberen Wohnung vorne, der Haupthaustür des Hauses, allerdings kamen wir nicht rein und konnten die Tapete nur erraten; später entdeckte ich, dass es ein mehrfarbiges geometrisches Muster war.

Wir stiegen gerade ins Auto des Maklers, als die Dame, die in der vorderen Wohnung unten lebte, nach Hause kam und uns einlud, mit reinzukommen. Sie sei beim Packen, sagte sie. Seit sechs Monaten dränge sie ihren Mann, damit sie nach Schenectady zögen, wo ihre Schwester lebte, und die Nachricht, dass das Haus verkauft werden könnte, hatte gereicht, ihm den letzten Schubs zu geben. Ich fragte sie, ob sie die Wohnung selbst eingerichtet und beispielsweise die Tapete ausgesucht habe, und sie sagte, ganz sicher nicht, und einer der Hauptgründe für den Umzug sei die Tapete, die ihr langsam auf die Nerven gehe, von der hinteren Wohnung unten gar nicht zu reden, sie halte zwar eigentlich nichts von Tratsch, denn wenn Leute erst mal anfingen, über ihre Nachbarn zu reden, wisse man nicht mehr, woran man sei, aber sie wisse mit Sicherheit, dass die aus der hinteren Wohnung unten seit dem Herbst ihre Miete nicht mehr gezahlt hätten, und die aus der oberen Wohnung hinten kämen mit niemandem aus, und sie wäre kein bisschen überrascht, wenn die sich trennen würden, so, wie sie ihn anfauchte. In der vorderen Wohnung oben lebten sehr nette Leute, sie habe noch nie jemanden schlecht über sie reden hören, allerdings müsse sie schon sagen, wenn es neben dieser höllischen Tapete noch etwas gebe, das sie vertreibe, dann deren Radio, das den ganzen Tag laufe. Außerdem seien sie wegen der Wäscheleine so unfreundlich, sie traue ihnen durchaus zu, sie durchgeschnitten zu haben an dem Tag, an dem ihre Wäsche runtergefallen sei.

Wir traten nickend den Rückzug an und stiegen wieder ins Auto des Maklers. Im Wegfahren sah ich mich nach dem Haus um, das gigantisch wirkte; neben der Scheune befand sich etwas, das stark nach einem Erdbeerfeld aussah.

Als Mrs. Ferrier eine Minute vor drei durch unsere Tür trat, war mir sofort klar, dass wir keine Freundinnen werden würden. Sie blieb einfach direkt hinter der Tür stehen und sah sich um. Sie betrachtete den nur halb geschlossenen Flurschrank, das Treibgut zu beiden Seiten der Treppenstufen und die Tapete mit den Kohlrosen, die wir neun Jahre zuvor zusammen mit Mr. Fielding ausgesucht hatten. Sie schloss einen Moment lang die Augen und ging dann mit mir im Gefolge ins Wohnzimmer, wo die Büchereibücher immer noch auf dem grünen Sessel lagen und jemand eine Jacke über den Fernseher gehängt hatte. »Schön groß, das Zimmer, wenn man es aufräumt«, sagte Mrs. Ferrier. Im Esszimmer klopfte sie nachdenklich auf den Tisch, vielleicht auf der Suche nach Termiten, und zog einen Vorhang beiseite, um zu sehen, ob man von diesem Zimmer auf die Straße sah, mit einem Seitenblick auf die staubige Fensterbank. Im Arbeitszimmer nickte sie meinem Mann zu, drehte sich einmal komplett im Kreis und merkte dann an, dass wir den Platz in unserem Haus nicht gut zu nutzen schienen. »Dieses Zimmer könnte so viel größer sein«, sagte sie, »wenn Sie die ganzen Bücher rausräumten.«

Mrs. Ferrier fand, das Elternschlafzimmer müsse nach Westen zeigen, in die kleineren Zimmer warf sie kaum einen Blick. »Sie wären natürlich viel größer«, sagte ich zu ihr, »wenn wir die Betten rausräumten.«

Mrs. Ferrier fixierte mich mit kühlem Blick. »Wenn Sie die Betten rausräumten, wo würden Sie dann schlafen?«, wollte sie wissen, und ich folgte ihr kleinlaut nach unten.

»Also«, sagte sie, wieder an der Haustür, »wie schnell können Sie raus?«

»Du meine Güte«, sagte ich, »ich habe keine Ahnung, ob –«

»Mehr als zwei, drei Wochen dürften Sie zum Packen eigentlich nicht brauchen. Das meiste von dem Zeug werden Sie ja wahrscheinlich wegschmeißen; aber sehen Sie zu, dass es auch jemand abtransportiert; ich will nicht, dass sich dann alles hinter dem Haus stapelt oder so. Ich komme nächste Woche noch mal vorbei, um für die Vorhänge Maß zu nehmen. Das kleine Zimmer oben an der Treppe muss vergrößert werden. Sagen wir, Sie brauchen einen Monat, um auszuziehen – dann schicken wir am ersten Mai den Tischler.«

»Ich glaube kaum –«

Sie lächelte mich an, wodurch ich sie kein bisschen mehr mochte. »Ich dachte, es hätte Ihnen schon jemand erzählt«, sagte sie. »Vor meiner Heirat war ich eine Fielding. Ich habe meiner Familie gesagt, es sei doch eine Schande, dass der alte Familiensitz in den Händen von Fremden verfalle; wir sind es der Stadt schuldig, dass hier Fieldings leben. Wir kommen also wieder nach Hause.« Sie seufzte nostalgisch, und ich löste meine verkrampften Finger vom Treppengeländer und sagte, so ruhig ich konnte, ich sei sicher, die Dorfbewohner würden einen Freudentanz aufführen, wenn sie hörten, dass die Fieldings zurückkämen. »Auf Wiedersehen«, fügte ich entschieden hinzu und öffnete die Haustür. »Dann sehen wir uns in ein paar Tagen«, sagte Mrs. Ferrier, und natürlich schubste ich sie nicht die Vordertreppe hinunter.

Schließlich kauften wir das große weiße Haus, einfach indem wir ein Stück Papier unterschrieben. Mr. Gore und Mr. Andrews von der Bank besorgten die Transaktion durch ein nahezu unsichtbares Manöver mit Zahlen auf einer Lochkarte. Als mein Mann fragte, ob wir das Geld direkt wieder leihen und das Haus als Sicherheit einsetzen könnten, lachten alle.

An jenem Nachmittag machte ich beim Lebensmittelhändler halt, um ihm zu erzählen, dass wir das große weiße Haus mit den Torpfosten gekauft hatten, und er erzählte mir die Geschichte von jemandem, den er kannte, der zwanzig Jahre lang Mieter gewesen war und Geld zurückgelegt hatte, sodass er nach zwanzig Jahren zwanzigtausend Dollar auf der Bank hatte, mit denen er ein altes Haus kaufte, das er renovieren wollte, und jetzt, sechs Monate später, hatte er fünftausend Dollar Schulden. Ich fragte ihn, ob er Mrs. Ferrier kennen würde, und er sagte, sie sei ein paarmal im Laden gewesen. »Sie schlägt nach den Birminghams«, sagte er, »aus East Hoosick, wo der alte Delmar Fielding das jüngste Birmingham-Mädchen geheiratet hat, so kamen die Fieldings zu Geld.« Ich sagte, ich wünschte, die Birminghams wären in East Hoosick geblieben, und er sagte, das hätten sich schon viele gewünscht, seit das älteste Birmingham-Mädchen in die Prohibitionspartei eingetreten sei und überall Reden halte.

Er gab mir zehn Kartons, und ich ging nach Hause und begann halbherzig, Sachen hineinzutun. Ich nahm sämtliche Überschuhe und Schlittschuhe und Footballhelme aus dem Flurschrank und tat sie in einen Karton und stellte den Karton in den Flur neben die Haustür. Ich räumte das ganze Zeug von der Treppe und tat es in einen anderen Karton, den ich im Flur neben den ersten Karton stellte. Als ich mich gerade fragte, was in den dritten Karton kommen sollte, unterbrach mich Jannie mit der Nachricht, dass Ninki auf dem gemütlichen Stuhl im Arbeitszimmer gerade ihre Jungen bekommen habe und mein Mann auf dem anderen gemütlichen Stuhl sitze und wissen wolle, was zu tun sei. Ich schickte Jannie mit der Mitteilung, er solle einfach weiterlesen, zurück, legte ein sauberes Staubtuch auf den Boden des dritten Kartons und ging zu Ninki und ihren Jungen, als ich erneut unterbrochen wurde, weil der Makler anrief. Ob wir mit unserer Familie auch erst mal nur in die vordere Wohnung unten ziehen könnten, wollte er wissen. Denn die vordere unten werde frei, die Leute in der hinteren Wohnung oben und der vorderen oben bestünden jedoch auf mindestens zwei Monaten Frist, ehe sie auszögen, und die in der unteren Wohnung hinten, die benachrichtigt worden seien, dass sie die ausstehende Miete vollständig zu bezahlen hätten, weigerten sich, überhaupt auszuziehen. Wir könnten zwar schon die Trennwände entfernen und die Tapete auswechseln, nachdem wir eingezogen seien, es werde jedoch mindestens zwei Monate dauern, bis wir Anspruch auf irgendwas anmelden könnten, das über die vordere Wohnung unten hinausging. Ich hatte kaum den Hörer aufgelegt, als Mrs. Ferrier anrief, um mitzuteilen, dass sie die Dinge, nun da wir ja ein anderes Haus gekauft hätten, ein bisschen vorantreibe, ihre Cousine sei nämlich langsam etwas gereizt, weil sie sie alle ständig um sich hatte, der Tischler und der Maler kämen deshalb bereits am zwanzigsten April, ob wir das Haus bis dahin bitte geräumt hätten.

Ninkis Junge waren alle schwarz, nur eins hatte vier weiße Pfoten. Ich ging auf die hintere Veranda und stellte den Karton mit den Kätzchen dort ab, dann ging ich wieder ins Arbeitszimmer und sagte zu meinem Mann, dass ich vorhätte, direkt nach dem Abendessen zu Bett zu gehen und einen Krimi zu lesen; falls noch jemand anriefe, könne ja er rangehen. Als ich hörte, wie Mr. Mortimers Wagen unseren Briefkasten streifte, stand ich ohne jede Begeisterung auf, um die Post reinzuholen. Es waren drei Rechnungen und ein Brief von meiner Mutter, die schrieb, eine liebe alte Freundin habe vor, den Sommer in Europa zu verbringen, und es nicht geschafft, ihr Ferienhaus zu vermieten. Ob wir Interesse hätten, es solange zu leihen? Es sei vollständig möbliert, in einem hübschen Städtchen in den Bergen siebzig Meilen von unserem Wohnort entfernt und verfüge über eine neue Waschmaschine, einen Geschirrspüler, einen Handmixer und eine Tiefkühltruhe.

Wir hatten keine Waschmaschine, keinen Geschirrspüler, keinen Handmixer und keine Tiefkühltruhe. Ich las den Brief noch einmal und las ihn dann zweimal meinem Mann vor und dann noch mal beim Abendessen. Ich schickte meiner Mutter am selben Abend ein Telegramm, schlug am nächsten Vormittag im Telefonbuch »Lager und Transport« nach und nahm mit Mr. Cobb Kontakt auf, der sich unser Problem anhörte, vollstes Verständnis hatte und sagte, er sei genau der Richtige, um alles für uns zu regeln. Er kam am Nachmittag zu uns und ging mit mir von Zimmer zu Zimmer; er machte ein paar Witzchen über »Leute, die gar nicht wissen, was sie alles haben, bis sie es zusammenpacken müssen« und »Hat bestimmt ’n ganzes Weilchen gedauert, das alles anzusammeln« und »Komisch, dass die meisten Leute keinen Begriff von Kubikmetern haben, der Durchschnittsmensch weiß, wie lang ein Meter ist, und meistens weiß er auch, was ein Quadratmeter ist, vom Teppichkaufen und so, aber die meisten haben keinen Begriff von einem Kubikmeter«. Das traf so sehr auf mich zu, dass ich nur nicken konnte und sagte, es sei eine Schande, diese Unwissenheit breiter Bevölkerungsschichten. Mr. Cobb war ein sehr aufmerksamer Mensch; als er mit seiner Besichtigung fertig war – während der mir bewusst wurde, wie viel Zeug genau wir in der Garage und auf den Dachböden hatten und wie viele Schaukeln und Wippen und Schlitten die Kinder draußen angesammelt hatten –, setzte er sich mit meinem Mann und mir ins Arbeitszimmer und sprach die ganze Situation mit uns durch.

Geld war, wie sich herausstellte, das Hauptproblem beim Einlagern von Möbeln, und das zweitgrößte Problem waren die Kubikmeter. Das Konzept von Kubikmetern wurde vertraulich besprochen, das Thema Geld rasch und mitfühlend hinter sich gebracht, und Mr. Cobb erzählte meinem Mann, dass der Durchschnittsmensch zwar mit Metern und Quadratmetern vertraut sei, aber nicht mit Kubikmetern. Dann merkte Mr. Cobb an, dass wir ja sehr viel einzulagern hätten, und mein Mann und ich sagten, ach, so viel auch wieder nicht, wenn man es in Kubikmetern betrachte; die meisten Sachen, die wir hatten, waren, wie wir anmerkten, schließlich flach, Bücher zum Beispiel. Mr. Cobb lächelte ansatzweise und sagte, gut, nehmen Sie mal zehntausend Bücher – die Anzahl Bücher, die wir geschätzt hatten – und stapeln Sie die, also, das ergibt schon einige Kubikmeter. Ich machte die gewitzte Bemerkung, dass hingegen Teppiche, die man flach aufeinanderlege, fast gar keine Kubikmeter ergäben, und Mr. Cobb sagte, also, mit Teppichen, das sei komisch. Teppiche, sagte er traurig, ließen sich gar nicht einlagern, es sei denn, sie seien frisch gereinigt und zusammengerollt, wodurch sie, und bei diesen Worten spreizte er seine Hände weit auseinander, wiederum zu Kubikmetern würden. Mr. Cobbs ganze Funktion schien darin zu bestehen – abgesehen davon, dass er mir Feuer gab und respektvoll schwieg, wenn mein Mann etwas sagte –, Gegenstände, die in Quadratmetern zu existieren schienen, in Kubikmeter umzurechnen – Teppiche mussten zusammengerollt werden, Bücher mussten in Kisten gepackt werden, Bilder mussten mit Kartonpappe verpackt werden. Außerdem machte er den hilfreichen Vorschlag, dass wir so viel Zeug wie möglich in anderes Zeug hineinpackten. Dann tätigte er seine letzte Umrechnung – schönes flaches Geld in Kubikmeter Lagerraum –, informierte uns freundlich, dass natürlich im Voraus zu zahlen sei, und weg war er.

Aber wir mussten es schließlich machen. Wenn man mit vier Kindern und Kleidung und Spielzeug und fünf Katzen und einem Hund und einer Babykarre und einer Münzsammlung und zwei Schreibmaschinen und einem Picknickkorb im Auto reist, ist nicht mehr viel Platz für Möbel. Das geliehene Haus hatte so viele Betten und Teller und Stühle und Tische, wie wir brauchten, und alles war in sehr viel besserem Zustand als das, was wir zurückgelassen hatten, und da wir vorhatten, nur bis Mitte August zu bleiben und umzuziehen, bevor die Schule wieder losging, gingen wir kühn davon aus, keine dicken Jacken oder elektrischen Eisenbahnen oder Wärmflaschen zu brauchen, obwohl es, wie sich zeigte, im ersten Monat in dem geliehenen Haus jeden Tag regnete.

Es gelang mir praktisch sofort, den Geschirrspüler loszuwerden, indem ich ihm eins der mitgebrachten Weingläser zu fressen gab, von dem dann nur noch der Stiel übrig war, und dann schaffte ich es, die Kaffeekanne in die Waschmaschine zu entleeren, sodass ich noch Kaffeesatz aus den Oberteilen der Kinder puhlte, als Mr. Cobbs Quittung über die Einlagerung zusammen mit der Rechnung eintraf (im Voraus zu bezahlen, wie Mr. Cobb in seinem Anschreiben drängelte) und mein Mann wutentbrannt in die Küche platzte. »Was in Gottes Namen ist ein Sackleinenpodest, und warum lagern wir es ein?«

Ich überlegte. »Wahrscheinlich der Kratzbaum der Katzen«, sagte ich. »Den konnten wir ja schlecht mitnehmen, oder?«

»Ist dir klar«, sagte mein Mann und wedelte mit den Unterlagen vor meiner Nase herum, »dass wir auch eine leere Getränkekiste eingelagert haben? Drei Planen? Eine Keksdose?«

»Die Keksdose wollte ich eigentlich Tante Sadie zurückschicken«, sagte ich. »Sie hatte uns doch diese Schokoladen–«

»Sechs Papierkörbe«, sagte mein Mann. »Schneeschaufeln.«

Was wir nicht identifizierten, konnten, wie sich zeigte, die Kinder zuordnen; nicht weiter schwierig war Gegenstand 295: Radio-Fernseh-Schrank, oder die Reihe von acht Gegenständen mit den Nummern 68: Teppich, 69: Teppich, 70: Teppich und so weiter. Nummer 17: Große grüne Kommode b & z, verschmutzt – b & z hieß, wie sich herausstellte, beschädigt und zerkratzt – dabei handelte es sich um das Pennsylvania-Dutch-Möbel, das uns Freunde aus der Antiquitätenbranche zur Hochzeit geschenkt hatten. Was für Mr. Cobb und seine Komplizen beschädigt, zerkratzt und verschmutzt war, hatte für uns die edle Patina des Antiken. Für Mr. Cobb war allerdings nichts, was uns gehörte, in besonders gutem Zustand; seine Abkürzungen für schlechter Zustand (s.Z.), beschädigt und zerkratzt, mottenzerfressen (m.z.), verschmutzt, rostig, abgenutzt, verschlissen, wackelig, angeschlagen und verbeult tauchten praktisch hinter jedem einzelnen Gegenstand auf. Doppelbettmatratze Brandloch weckte lebhafte Erinnerungen an den Morgen, an dem ich mit der Zigarette in der Hand noch mal eingeschlafen war, Mexikanischer Stuhl angeknackst erinnerte uns daran, wie mein Mann versucht hatte, an das oberste Brett des Schranks heranzukommen. Dreirad s.Z. sprach für sich, allerdings war es das kleine Nachbarsmädchen gewesen, das die Speichen eingetreten hatte.

Bei den seltsameren Gegenständen schauten wir uns heimlich an und fragten uns, in welche abgelegenen Verstecke da eingedrungen, welche verborgene Rumpelkammer da entdeckt worden war. Zum Beispiel der Feuerrost (allerdings r.), an den sich niemand von uns erinnern konnte; hatte Mr. Cobb auf unseren Namen irgendein unvergleichliches Stück Metall eingelagert, das dem alten Mr. Fielding gehörte, oder hatte er es in fehlgeleitetem Eifer entschlossen vom Ofen gerissen, oder hatten wir in längst vergangener Zeit womöglich tatsächlich Hand in Hand unseren ersten Feuerrost gekauft, vielleicht in der Hoffnung, eines Tages einen ganzen Kamin drum herum zu bauen? An den Klappspiegel für Frisiertisch b&z erinnerte ich mich; er stammte von einem Frisiertisch, den meine Schwiegermutter uns zusammen mit einer Ladung anderer Möbel vermacht hatte, nachdem sie von einem Haus in eine Wohnung umgezogen war; der Frisiertisch war längst auseinandergefallen und entsorgt, und der Spiegel hatte seit Jahren in der Ecke eines Dachbodens gelegen. In Kubikmetern unvergleichlich für Mr. Cobb. Runder grüner Tisch mit Eisengestell s.Z. gab uns allen Rätsel auf, aber bei Stuhl ohne Kissen instabil rettete uns Laurie, der nach langem Nachdenken meinte, es handele sich um den Stuhl in einer Kellerecke neben der Werkbank, den er und sein Vater gelegentlich als Sägebock benutzten, wodurch er mit ziemlicher Sicherheit instabil geworden war.

Wir besaßen ein altes Grammofon aus Metall, wie wir feststellten, und ein mysteriöses Ding, das als Kasten a.b.s.Z.Z. auftauchte, und irgendwann konnten wir uns einen Großteil davon erklären (abgenutzt, beschädigt, schlechter Zustand), und nur das eine Z war noch offen; da es sich wohl um den Koffer handelte, in den mein Mann seinen Aktenschrank entleert hatte, einigten wir uns darauf, dass das zweite Z für Zeug stand oder für Zeitmaschine.

Während die langen Sommertage vergingen, wurde die Liste Teil unseres Lebens wie die in der Küche vor sich hin grummelnde Waschmaschine oder die Kühltruhe, die im Keller ständig Eis am Stiel produzierte. »Kleiner runder Tisch b & z«, schmetterte ich Laurie fröhlich entgegen, und er musste nur kurz überlegen, ehe er antwortete: »Mädchenzimmer, Ecke beim Fenster.« »147, Feueranzünder«, kam dann von meinem Mann, und wenn es niemand erriet (hinterste Kellerecke an der Wand), wanderte wieder ein Penny in die Dose für Mr. Cobb. E.z. Tisch gab uns Rätsel auf, bis uns klar wurde, dass es sich nicht um einen eingedellten und zerkratzten Tisch handelte, sondern um unseren alten Esszimmertisch; Päckchen Metallscheiben s.Z. war nicht etwa ein Beutel mit griechischen Münzen, den mein Mann übersehen hatte, es waren die kleinen Platten für unsere altmodische Spieluhr, allerdings ist mir schleierhaft, woher Mr. Cobb wissen wollte, dass sie in schlechtem Zustand sind. Für die Nummern 166, 167 und 168 bekam Mr. Cobb jeweils drei Cent, einzeln aufgeführt als geschm. Sessel s.Z., geschm. Sessel ohne Armlehne s.Z. und geschm. Sessel s.Z., weil wir uns zwar alle deutlich an Sessel ohne Lehnen erinnerten, aber nicht an welche, die der hartgesottene Mr. Cobb für geschmackvoll hätte halten können. Die Nummern 154, 155, 156 und 157 regten meinen Mann auf. »4 Lattenroste gebündelt«, sagte er ratlos. »5 Lattenroste gebündelt, 4 Lattenroste gebündelt, 3 Lattenroste gebündelt – diesen Leuten ist doch einfach nicht zu trauen; hätten wir einfach 16 Lattenroste gebündelt … was wir für Geld gespart hätten.«

»Aber guck mal«, bat ich ihn, »guck mal, Nummer 285, Hälfte eines runden Beistelltisches – da haben wir, glaube ich, Geld gespart.«

»Rote Stiefel schwarze Box«, murmelte mein Mann.

»Meine roten Stiefel?«, fragte Sally.

»Meine schwarze Box?«, fragte Jannie.

»Meine rote Box mit Stiefelschwärze?«, fragte Laurie.

»Die Boxstiefel?«, fragte ich.

»Sie ist eingedrückt«, sagte mein Mann mit Blick auf die Liste. »Wahrscheinlich von einem weiteren Lattenrostbündel, das sie sich nicht getraut haben aufzulisten.«

Ein Lieblingstrick von Mr. Cobb war die verwirrende Abkürzung I.u., Inhalt unbekannt. Kleine Spieluhr I.u., Reisetasche I.u., Teppichkehrer mit Stiel I.u., Karton I.u., Karton I.u, Karton I.u, Flacher Karton I.u. (Für Flacher Karton Inhalt unbekannt verdiente sich Mr. Cobb einen weiteren Penny.) Küchenofen I.u. (Wahrscheinlich die Überreste unseres Thanksgiving-Truthahns.) Elektrisches Baseballspiel I.u. Besonders schön war es, nach den Nummern 68 bis 74 (Teppich, Teppich, Teppich, Teppich, Teppich, Teppich, Teppich) zu lesen, dass ein weiterer von ihnen – Nummer 191 – ein einheimischer Teppich war.

Als die mit Abstand spannendste Stelle erwiesen sich Nummer 133 bis 137 – Roter Sonnenschirm, Schwert, Schwert, Schwert, Kleine Flagge. Wahrscheinlich stammten sie aus demselben Kostümfundus wie Nummer 19 (Speer) und 20 (Peitsche), die uns nostalgisch in der Vorstellung schwelgen ließen, wie sich die ganze Familie, bewaffnet mit unseren Schwertern, Speeren, unserer Peitsche und unserem roten Sonnenschirm, Mrs. Ferrier vom Leibe hielt und dann die Kleine Flagge schwenkte. Jedenfalls waren wir alle froh, dass die schwarze Hutkiste (204) und der Wischmopp (382) unversehrt waren, ebenso wie das Paar abgefahrene Autoreifen (158) und natürlich die überzählige Schublade (370). Wobei die Schublade eigentlich gar nicht überzählig war, nur verschwand der Tisch, zu dem sie gehörte, ständig.

Immer, wenn ich versuchte, mir die Dinge auf Mr. Cobbs Liste vorzustellen und an einen konkreten Aschenbecher oder ein Metronom oder einen Nachttisch oder Küchenstuhl zu denken, sah ich sie automatisch an dem Ort vor mir, an dem sie so viele Jahre lang gestanden hatten. Ich glaube, ich vergaß während dieser langen Sommertage – denn nach dem ersten Regenmonat war es die ganze Zeit heiß – allmählich, dass nicht unser altes Haus uns erwartete, und ging irgendwie davon aus, dass wir an den vertrauten Ort zurückkehren würden; mein einziges Zugeständnis an die Vorstellung von einem neuen Haus war, das innere Bild unseres alten Hauses an einen neuen Ort zu versetzen, oben an der Main Street und mit einer Scheune dahinter und Torpfosten davor. Wir bekamen einen scharf formulierten Brief von Mrs. Ferrier, die uns beschuldigte, die Garagentüren gestohlen zu haben. Ich warf den Brief weg, denn natürlich hatten wir die Garagentüren nicht gestohlen. Ich hatte eine von ihnen eines Tages etwas lädiert, als ich versuchte, mit dem Auto aus der Garage zu fahren, und wir hatten sie aus den Angeln gehoben, aber sie lehnte an Ort und Stelle am Haus, Mrs. Ferrier hätte nur die Augen aufmachen müssen.

Es war heiß, wir gingen schwimmen, und die Kinder waren braun und lebhaft, sogar Barry. Unsere Nachbarn bestanden fast nur aus Sommergästen wie uns, angenehme, zwanglose Leute; die Kinder machten auf ihre eigene Art und Weise miteinander Bekanntschaft. Weil an unserem ersten Vormittag die direkte Nachbarin, eine Mrs. Simpkins, vorbeikam und äußerst dringlich vorbrachte, es wäre für ihre Kleinen so schön, wie sie sich wiederholt ausdrückte, nebenan »so liebe, vornehme Kinderchen« zu haben, hatte ich das Gefühl, sofort unsere Freundschaft anbieten zu müssen, also lud ich die Simpkins-Kinder unbesehen zum Abendessen ein. Wir grillten im Garten Hamburger, während Mrs. Simpkins uns durch ihr Küchenfenster anstrahlte, und nach dem Essen spielte der Simpkins-Junge mit seiner Schwester und Jannie Vater, Mutter, Kind. Laurie, der sich unfreundlich weigerte, der Vater zu sein, verbrachte den Abend drinnen und starrte untröstlich den See an. »Mann«, sagte er schätzungsweise dreizehnmal, »Mann, ich wünschte, es gäbe in diesem Schuppen irgendwas zu tun.«

Als am nächsten Morgen eine Einladung an Laurie und Jannie erging, ihre Hamburger am Abend mit in den Garten der Simpkins zu bringen, weigerte sich Laurie rundheraus, und nur die Androhung, eine volle Woche nicht schwimmen gehen zu dürfen, konnte ihn umstimmen. Er kam direkt nach dem Essen wieder nach Hause und verbrachte den Abend drinnen am Fenster. »Mann«, sagte er, »wenn es hier doch irgendwas zu tun gäbe.«

Am dritten Morgen saß Laurie noch beim Frühstück, als der Simpkins-Junge aus der Hintertür trat, unter dem Arm sein Buch mit gepressten Blumen, und zielstrebig auf unser Haus zuging. Laurie raste aus der Vordertür, und ich musste seinen Abgang decken, indem ich den Simpkins-Jungen an der Hintertür aufhielt. Ich fragte, wie es Mrs. Simpkins gehe und ob das Sammeln und Pressen von Blumen nicht ein recht mühseliges Hobby sei für so heiße Tage. Ich sagte, es tue mir leid, aber Laurie sei gerade aus dem Haus gegangen und ich wisse weder, wohin, noch, wann er zurückkomme. Ich sagte, wenn er zurückkomme, würde ich ihm ganz sicher sagen, dass der kleine Simpkins-Junge nach ihm suche und wissen wolle, ob er Lust habe, einen Imbiss einzupacken und einen Spaziergang durch die Natur zu machen. Nach einer Viertelstunde machte ich dem kleinen Simpkins-Jungen die Tür vor der Nase zu und empfand starkes Mitgefühl mit Laurie.

Laurie kam erst wieder nach Hause, als wir anderen schon längst mit dem Mittagessen fertig waren. Und er hatte es eilig. Er hatte einen langen Kratzer auf der Wange, sein Hemd war zerrissen, und seine Nase hatte offensichtlich geblutet. Er sagte, nein, er habe sich nicht geprügelt, er habe ein paar Jungs kennengelernt. Einer von ihnen heiße George. Er habe sich nicht geprügelt. George habe einen Fausthandschuh, und einer von den anderen habe einen Schläger, und George wisse, wo sie einen Ball herbekämen. Sie hätten sich nicht geprügelt, und er habe auch keine Ahnung, warum ich das überhaupt dachte. Er und George und die anderen Jungs planten ein Spiel auf dem Sportplatz unten am See, und er verspreche, sich nicht mehr zu prügeln.

Nach zwei, drei weiteren unergiebigen Versuchen, Lauries Interesse für Wildblumen zu wecken, gab der Simpkins-Junge auf und spielte regelmäßig mit seiner Schwester und Jannie Puppen, Sally immer im Schlepptau. Laurie und George und Georges Freunde, die sich wie wilde Hunde im Rudel bewegten, verbrachten ihre langen Tage auf dem Sportplatz oder im Reitstall oder im See, wo sie hundert Mal ihr eigenes Gewicht verdrängten. Mein Mann und ich sagten zueinander, wir hätten die Kinder noch nie glücklicher und gesünder gesehen. Mein Mann baute am Ende unseres Gartens einen Parcours zum Hufeneisenwerfen, und wenn es abends kühler wurde, gingen er und Laurie Hufeisen werfen, und die Mädchen und ich setzten uns auf den Rasen und sahen ihnen zu, und Barry schlief lächelnd auf der kühlen verglasten Veranda. Nachdem Laurie vier Abende hintereinander jedes einzelne Spiel gewonnen hatte, beschloss mein Mann, mir das Hufeisenwerfen beizubringen, aber wie sich herausstellte, war es für mich praktisch unmöglich, es zu lernen, weil ich das Hufeisen überhaupt nur mit beiden Händen hochbekam. Nach dem Abend, an dem ich ein Hufeisen beidhändig durch die Segeltuchrückenlehne eines Gartenstuhls schleuderte, baute mein Mann einen Badmintonplatz, was sehr viel erfolgreicher verlief. Laurie lernte aus irgendeinem Grund nie Badminton spielen, und Jannie und ich mochten das Spiel beide, waren aber nicht gut genug, um jemand anders als einander zu schlagen. Mein Mann und ich spielten im Lauf des Sommers noch viel Badminton. Ich weigerte mich, wie jeden Sommer, seit ich zurückdenken kann, mir von irgendwem das Schwimmen beibringen zu lassen, und Sally und ich bauten Sandburgen, Laurie übte Kopfsprünge von der Sperrmauer, und Jannie lernte von ihrem Vater, als toter Mann auf dem Wasser zu treiben. Nach wochenlangen Bemühungen gelang es Laurie, Sally eine Art rudimentäres Hundepaddeln beizubringen. Die drei größeren Kinder und ihr Vater mieteten mehrmals ein Boot und fuhren damit auf Picknickausflüge; mich ließen sie als Strafe dafür, dass ich mich weigerte, schwimmen zu lernen, immer zurück, weil sie, wie Laurie mit ernster Miene erklärte, genug mit Jannie und Sally zu tun hätten, sollte das Boot kentern, da könnten sie mich nicht auch noch retten. Und so lagen Barry und ich während ihrer Ausflüge in der Sonne und machten ausgedehnte, wunderbare Nickerchen.

Bis Mitte Juli zogen wir überhaupt nicht in Betracht, uns irgendeiner herausfordernden Situation zu stellen, schon gar nicht den Strategien des US-amerikanischen Außenministeriums; obwohl wir als Familie eigentlich sehr pflichtbewusste Bürger waren. Wir hängten am Decoration Day eine Flagge raus, begingen den 4. Juli mit lautem Jubel, zahlten unsere Steuern widerwillig, aber pünktlich, sahen zu, dass unsere Kinder nicht die Schule schwänzten, gingen über die Straße, wenn grün war, nutzten den Postweg nicht zu Betrugszwecken – wir waren vernünftige, bürgerliche Leute, dabei aber unaufdringlich. Unsere aktive Teilnahme an den Regierungstätigkeiten beschränkte sich, mit Verlaub, aufs Wählen. Doch diese bräsige Haltung wurde jäh und unabwendbar zunichtegemacht, und der leichte japanische Akzent, den Sally von dem Erlebnis davontrug, blieb ihr für Monate.

Es geschah an einem schönen Sonntagnachmittag, als ich mit einem Kriminalroman auf der Veranda vor dem Haus saß. Durch die stille Luft hörte ich aus der Ferne die aufgebrachten Rufe neunjähriger Jungen, die vernünftig die Genauigkeit eines geschlagenen Balls diskutierten; Sally und Jannie spielten, strahlend vom morgendlichen Schwimmen, in der Sandkiste; Barry war gut gelaunt von seinem Vormittagsschläfchen erwacht, sang sich im Laufstall selbst etwas vor, beobachtete die Sonne und hielt einen kleinen Fuß in die Höhe. Mein Mann entspannte sich auf der Veranda neben dem Haus und driftete langsam in diesen schwerfälligen Zustand ab, der ihn oft nach dem siebten Inning einer Baseballübertragung befällt und unmerklich in ein Nickerchen vor dem Abendessen übergeht. Ich hatte gerade geduscht, mir einen Rock und eine saubere Bluse angezogen und entschieden, dass es wirklich zu heiß war, um zum Abendessen Hühnchen zu braten, und dass ich stattdessen einen schönen, kühlen Salat machen würde (Thunfisch?), als Laurie auf dem Fahrrad, das wir für den Sommer geliehen hatten, die Straße entlanggeschossen kam und wenige Zentimeter vor den Verandastufen quietschend anhielt. »Wir müssen uns bereit machen«, sagte er nach Luft schnappend und sprang übers Geländer der Veranda. »Los, beeil dich.«

»Laurie, es ist zu heiß, um so rumzurasen. Du kriegst noch einen Sonnenstich oder so; nichts ist so wichtig, dass –«

»Es kommen Leute«, sagte Laurie, »hierher. Besuch.«

Ich erhob mich sofort. »Besuch?«

»Wir müssen uns beeilen, sie sind gleich da.« Laurie rannte nach drinnen, und ich folgte ihm. »Warte mal, wer –«

»Hab mit ihnen geredet. Auf dem Platz. Sie haben gesagt, sie kommen gleich, wir müssen uns beeilen.« Er rannte auf die Treppe zu. »Ich zieh lieber ein sauberes Hemd an.«

Wenn Laurie ohne Not beschloss, ein sauberes Hemd anzuziehen, bedeutete das, dass ich auf die eine oder andere Weise sofort massiv tätig zu werden hatte. Ich bewegte mich eilig zu dem Fenster, das auf die Seitenveranda hinausging, sagte »Besuch« und hörte meinen Mann ächzen. Dann lief ich durchs Haus zur Hintertür und rief »Jannie, Sally!«, wofür ich mit einer Stimme aus der Ferne belohnt wurde. »Sauberes Hemd«, sagte ich nachdenklich und ging, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch und ins Zimmer der Mädchen, wo ich zwei fast saubere Kleider fand, schlitterte ins Zimmer der Jungs, wo Laurie gerade sein bestes Hawaiihemd zuknöpfte, schnappte mir einen von Barrys Sommereinteilern, rief »Verandastühle!« nach unten und hielt lange genug inne, um mich zu kämmen. »Wer sind denn die Leute?«, rief ich Laurie zu, und er rief aus seinem Zimmer: »Auf Amerikabesuch. Einer heißt Yashamoto, glaube ich.«

Ich erinnerte mich dunkel, gehört zu haben, dass ausländische Studenten auf Kurzbesuch in der Stadt waren, um einen Orientierungskurs über das Land zu machen, ehe sie weiterreisten und in Universitäten im ganzen Land studierten. »Wie viele sind es denn?«, rief ich Laurie zu, aber der war nach unten gegangen. Ich sollte ihnen Kaffee anbieten, überlegte ich fieberhaft, oder irgendwas typisch Amerikanisches – Hotdogs? Nein, nein, nicht an einem so heißen Nachmittag. Eiskaffee; Eiskaffee und die Donuts, die noch im Brotkasten sind, falls die Kinder sie nicht aufgegessen haben; Kekse? Ich wünschte, ich hätte noch Eiscreme; ich kann Besuchern ja kein Eis am Stiel aus dem Tiefkühler anbieten, dachte ich und sprang die letzten drei Stufen hinunter. Ich stellte gerade die elektrische Kaffeemaschine an, als Jannie und Sally durch die Hintertür kamen; ich warf ihnen ihre Kleider hin und sagte: »Besuch, Gesichter waschen.« Sie verschwanden murrend, und ich eilte zu Barry, den die Vorstellung, den Einteiler anzuziehen, amüsierte, weil er den ganzen Sommer noch nichts derart Formelles getragen hatte. Ich band Sallys Schleife, fuhr mit der Bürste einmal über jeden Kopf, hörte draußen Stimmen, leerte auf dem Weg zur Tür einen Aschenbecher, kickte meinen Krimi außer Sichtweite und öffnete die Tür. »Guten Tag«, sagte ich, nur ganz leicht außer Atem.

Sie waren zu sechst. »Guten Tag«, sagte ein Herr mit rot-weiß-blau gestreifter Krawatte, der, wie sich herausstellte, der Sprecher war. »Mein Name sei Horogai Yashamoto. Vielen Dank für Einladung in Ihr Heim.«