Als gäbe es die Liebe - Andreas Vierk - E-Book

Als gäbe es die Liebe E-Book

Andreas Vierk

0,0

Beschreibung

Andreas Vierk, geboren 1963, hat seine Gedichte selbst aus 30 Jahren und sieben Büchern ausgewählt. Er schreibt und atmet in Berlin.

Das E-Book Als gäbe es die Liebe wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Gedichte, Sonette, Liebe, Mystik, spirituell

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 70

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Inschriften

An den Menschen

Einer von uns

Marie de France

Leonardo

Der Ozean Tshangyang

Für Friedrich Hölderlin und Annette von Droste-Hülshoff

Für Paul Gauguin

Für T.S. Eliot

Revue Perdue 1916

Vom Aufbegehren der Farben

Das Lied vom Wasser

Aus Athen

Johannisfeuer Oden an die Einsamkeit

Am Thunersee

Blaue Nacht

Erwachen

Hohenschönhausen, am Stadtrand

Carnica

Sonnensaiten

La Corrida

Spanisches Lied

Stier aus dem Meer

Iberisches

Libelle

Italienische Impression

Heimatlos

Obdachlos

Die weiße Amsel

Trambahn

Auf der Hallig

Poetik

An meine Gedichte

Spätsommerabend

Neinstedt, Ostharz

Auf Rügen

Polare Vision

Kein Ort, nirgends

Oden an die Einsamkeit

Traumspiegel

Ideenmahd

Morgen am Kai

Mystische Implosion

Wir sind nur Hauch

Geysir

Fuga vom Glanz, vom Kuckuck und vom Kolibri

Bericht aus Frankistan

Aus Pommern

Aus Russland

Am Vogelsee

Der Schimmel

Im Granit

Im Süden Frankreichs

Aus Byzanz

Das Mittelmeer

Gibraltar - ein Traum

Der Panamakanal

Vier Nächte

Requiem für einen Zungenkuss Jenseitsbrücke

Requiem für einen Zungenkuss

Aus Thrakien

Kailash

Ich habe Gott gesehen

Inschriften

An den Menschen

…und als du gingst, verlor die Welt ihr Grau,

fing wieder an, auf einem Bein zu stehen

und ließ den Geist durch ihr Gefieder wehen

und spreizte Nerven in den Morgentau.

Die Kelche wurden wieder Kostbarkeiten,

der Globus – leichter ohne dein Gewicht –

verlor sich ganz in Renaissance und Licht,

die Schleiereule träumte sich ins Gleiten.

In Bienen schmolz ein Lied in viele Welten

mit ihren staunenden, grazilen Köpfen

und großem, goldumspülten Kinderblick.

Auch dein Erwachen ließ sie wieder gelten.

Ich sah dich Wasser aus dir selber schöpfen.

In einem Hauch erfüllst du dein Geschick.

Einer von uns

Er steht allein, ihn fressen Schattenhunde

und ihn verätzt ein Blutzypressenwald.

Und selbst das Echo geht an ihm zugrunde:

denn „Was du tun willst, das tue bald.“

Er träufelt Mandelgift in unsre Adern,

singt in Orangenbäumen seine Klage.

Sein Zweifeln wird in uns zur Menschheitsfrage,

damit wir mit den Spiegelbildern hadern.

Er steht allein. Ist wie ein Kind zerbrechlich.

Traurige Augen sterben hin wie Dochte.

Ein Beutel Münzen zittert in der Hand.

Und wenn jemals die Seele in ihm pochte

– der Höchste, unbewegt und unaussprechlich –,

er ließ sie sinken in den Wüstensand.

Marie de France

Du schrittest aus, als gäbe es die Liebe:

ein weißer Bug aus Schaum im Sommerklee,

ein Schlafbrokat, ein Segel überm See,

Sekundenschlag, der gerne ewig bliebe.

Marie! Ein Gral ist deine Buntglasstirn,

ein Brusttuch dein Gesang aus hellem Zwirn,

ein Vogelzwitschern nahe der Forelle,

und Topasschauer deine Seelenwelle.

In Apfelbäumen weht der Lai d’amour.

Frei und entschleiert glänzt Maria nur

in tausend und in einer fernen Feige.

Du flötest auf den Lippen von uns allen,

wirst mit uns steigen oder mit uns fallen.

Wir schäumen mit dir in die Blütenzweige.

Leonardo

Sahst du in Sturz und Bogenflug die Krähen

im dunklen Schwarm um Abendkuppeln branden,

als wollten sie auf deiner Schulter landen,

um schließlich in der Ferne zu verwehen?

So stürzen – blieb uns nicht der Atem aus? –

auch wir in leere Taumelgalaxien,

als würde uns ihr Strudel zu sich ziehn,

um an der Flanke eines Kirchenbaus,

die Kurve böenauf zu korrigieren.

Dies war dein Traum – und unter Flugmaschinen

brennt ein Gedanke auf und wird zu Staub.

Und dann, im Abendduft der Apfelsinen,

der sich vermischt mit dem gesunknen Laub,

beginnst du ein Sonett zu deklamieren.

Der Ozean Tshangyang

Er wurde in versteinter Zeit geboren

und in ihm wohnte der für uns einst starb,

an dem der Dinge Truggesicht verdarb

und dem kein Wesen jemals ging verloren.

So wurde ihm sein Kinderhaupt geschoren,

dem Bodhisattva der Barmherzigkeit,

dem Wächter an den Pforten unsrer Zeit:

in jeglichem Atom liegt er vergoren.

Und wieder – wie zuvor zur Zeitenwende –

war er den Staatenlenkern nur im Weg,

den Priestern nutzlos, Dichter, Trinker, Wind.

Jenseits von Tibet griffen unsre Hände

ihn wie er harrte auf des Flusses Steg.

Er strauchelt in uns, die wir Steine sind.

Für Friedrich Hölderlin und Annette von Droste-Hülshoff

Zwei Türme sind. Zwei Flammen flackern trübe

im blauen Neckar und im Bodensee.

Der schwarze Pegasus mutiert zum Reh.

Zwei Wasserkreise sind. Zwei Fieberschübe.

Zerbrechlich sind die weißen Handgelenke,

die Fingerknöchel, die im Licht ertrinken.

Der Atem selber muss ins Wasser sinken.

Der Tod, gefiedert, beugt sich in die Tränke.

Nur Stumme sind sich selber unverstanden

und wollen Vers und Lied in Irrsinn spiegeln.

Zerrüttung dreht sich in den Sarabanden

und muss zum Ausritt Flammeneber striegeln.

Die Haut verbrennt in Markt und Stadien,

und nur der Blick glänzt in Arkadien.

Für Paul Gauguin

Als du vorbei gingst in der Kluft der Küsten,

da wollten alle Farben explodieren,

und meine Augen wollten sich verlieren,

obwohl sie doch nach Innen sinken müssten,

weil alle Menschen auserkoren sind,

die Sinne in den Samt der Nacht zu lenken,

sich selbst an ihre Seele zu verschenken,

ihr Augenweiß in sie zu senken, blind.

Was kann die Liebe tun, als ohne Ziel

in Papageienfischen zu ertrinken,

dahin zu treiben durch die Sternkorallen,

sich hinzugeben dem verrückten Spiel,

anstatt in eine Wirklichkeit zu sinken

und einsam in den Mittelpunkt zu fallen?

Für T.S. Eliot

Im Wald, die Niederkunft von Mrs. Jones:

Die Kulleraugen im Druidentempel

gewannen Dasein vom Beamtenstempel.

Im dichten Laubwald blühten Babyphons.

Wir waren blöd in unsrer Pyramide

und trachteten nach schwarzen Staatskarossen,

dieweil die wilden Orchideen sprossen,

lachten uns Därme voller Herbizide.

Wir harren sehnsuchtsvoll, zurück zu kehren

auf eigenen und fremden Stiefelspuren

und schmelzen scheinbar fort und wurzelhin.

Wir wünschen nur, uns selber zu verzehren,

in unsren Kiefern weiße Tastaturen,

Krawatten, Kragen, Stricke unterm Kinn.

Revue Perdue 1916

Für Hugo Ball und Emmy Hennings

Die Putzfrau wischt die blauen Lichter fort,

die roten aus den Ritzen der Kulissen,

und schüttelt Lieder aus den Sofakissen

und aus den Lampenschirmen Wort um Wort.

Das Wasserherz im fernen Dunkelstern

gebiert sich unter meinem Schlüsselbein.

Ein Ozean will meine Seele sein,

in deinem Schoß ein Mandarinenkern.

Der Ziegenbock bespringt die Tänzerin –

im Regen, Zürich, Cabaret Voltaire –

im Trommelschlag ertauben ihre Ohren.

Ihr Dasein zischt berauscht im Widersinn

der Erde fern, im Mondkorallenmeer.

Sie träumt sich tot mit mir und ganz verloren.

Vom Aufbegehren der Farben

Für Paul Klee, Gunta Stölzl, Marc Chagall, Hans Arp, Hannah Höch und Wieland Herzfelde in der Weimarer Republik

Flamingos fliegen in den Nebelwäldern

und goldne Karpfen sitzen auf den Ästen.

Die Erde will sich wälzen, will sich mästen

an Reispapier und roten Feuermeldern.

In Cocktailshakern wird die Fledermaus

vom jähen Kesselpaukenschlag erwachen

und Glanzfasane über Schädeln lachen.

Die Zukunft schnürt ihr Bündel, zieht hinaus,

wird auf Traktoren ihren Tag verschlafen

und eine Erde träumen, die noch nicht

verzweifelt ihren eignen Hunger frisst.

Und in den Kränen überm grauen Hafen

sehnt sich der Morgen nach antikem Licht,

das nur der Hauch der nackten Venus ist.

Das Lied vom Wasser

Für László Jávor und Rezsö Seress

Nichts existiert, nichts Materielles, nichts.

Und alles Leben ist nur eine Seele,

das Paradies, das Licht des Weltgerichts

und Asche quälen eines Sängers Kehle.

Du bist das Wasser, das sich selber wiegt

zu deinem Lied, in deinen eignen Armen,

das durchs Ertrinken eines Sängers zieht

und ihn ins Lied zwingt und in dein Erbarmen.

Er schläft auf dir und träumt dich weltverloren.

Nichts existiert, nichts Materielles, nichts

das sterblich ist, wird in den Tag geboren

und nur die Seele wiegt im Schoß des Lichts.

Aus Athen

Für Aischylos, Sophokles, Euripides, Agathon, Giorgos Seferis, Jannis Ritsos und Odysseas Elytis, zerrieben zwischen den Worten

Dies ist die Zeit. Die große Zeit des Sterbens.

Auf jeder Schulter murren leise Käuze,

auf allen Wirbeln brennen kleine Kreuze.

Wir wurden müd des Rauschs und Silbenkerbens.

Und kaum gezeugt, sind wir dem Tod geweiht.

Man sät uns zwischen weißen Steinen aus.

Das Schweigen baut im Marmorschutt ein Haus.

Wir schlucken Kalk und Staub. Dies ist die Zeit,

die wasserklare Stunde der Gewalt,

des bangen Wartens und der Siebenschläfer,

Karossenschrott der alten VW-Käfer.

Jetzt rieseln Steine über den Asphalt.

Der Horizont verhält. Wir sind entsetzt.

Dort hinten naht die Zeit. Nicht später. Jetzt.

Johannisfeuer Oden an die Einsamkeit

DER SOMMER IST GROß!

Verschenke ihn an Bettler

mit offener Hand.

Das Sein ist größer als du,