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Er war der erste Transsexuelle zu Jesu Zeiten, ein Showstar, der eine astrophysikalische Hymne auf unsere Galaxis sang, ein Ritter der Kokosnuss, der schrullige Diener von Phileas Fogg und vieles mehr. Aber vor allem war er der halbnackte Kerl mit dem besten Galgenhumor aller Zeiten, der am Kreuz hängend einen Chor von Leidensgenossen dazu aufforderte, immer das Gute im Leben zu sehen: "Always Look On The Bright Side Of Life". Eric Idle, ein Sechstel der legendären Comedy-Truppe Monty Python, machte sich ausgerechnet mit einem Song über den Tod unsterblich. Es ist ein passendes Lebensmotto für den noch zu Kriegszeiten geborenen Briten, dessen Vater tragisch bei der Heimkehr aus dem Feld bei einem Verkehrsunfall starb, was dazu führte, dass Idle schon im zarten Alter von sieben Jahren in einem Internat landete. Sarkastisch und mit genau dem Sprachwitz, den man von einem Python erwarten kann, schildert Idle nicht nur diese frühen, traumatischen Jahre, sondern auch die Zusammenarbeit mit seinen späteren Kollegen, die auch nicht immer ganz reibungslos verlief. Vor allem ist dieser Rückblick aber eines: ein großartiges Dokument der Popkultur der Siebziger und Achtziger. Ob Musiker oder Filmstars, Idle kennt oder kannte sie alle, von John Belushi über Paul Simon bis natürlich zu den Beatles - und niemand weiß so gut wie er, wie man eine Anekdote richtig erzählt. Doch es gibt auch stille, bewegende Momente in diesem Buch: Vor allem Idles intime, einfühlsame Schilderung der letzten Tage seines Freundes George Harrison geht ans Herz, gerade, weil der schwarze Humor, der die beiden verband, auch hier nicht ausgespart bleibt. Und kurz vor Schluss dreht der musikalischste Python mit seinem jüngsten Erfolg noch einmal mächtig auf: Das Musical Spamalot, das er auf der Basis des Python-Klassikers Die Ritter der Kokosnuss schrieb, wurde ein Riesenerfolg, der auch auf den deutschen Musical- und Theaterbühnen von Fans und Presse frenetisch gefeiert wurde. Always Look On The Bright Side Of Life ist eine furios erzählte Autobiografie und ein Stück Popgeschichte - da bleibt kein Auge trocken.
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Seitenzahl: 465
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Eric Idle
Always look on the bright side of life
Eine Art Autobiografie
Aus dem Englischen von Uli Twelker
www.hannibal-verlag.de
ZITAT
Das Leben hat ein simples Gesicht,
Erst weilst du hier, dann wieder nicht.
IMPRESSUM
Der Autor: Eric Idle
Deutsche Erstausgabe 2018
Titel der Originalausgabe:
„Always Look On The Bright Side of Life“ (ISBN 978 0 451 49646 1)
von Crown Archetype, einem Imprint der Crown Publishing Group, einer Division von Penguin Random House LLC, New York.
© 2018 by Rutland California Weekend, Inc.
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Buchcover und Foto Buchvorderseite:
Design: Michael Morris (in-house)
Kelch: Lord_Kuernyus/Stock/Getty Images
Wolke: Wallace Garrison/Photographer’s Choice/Getty Images
Coverfoto: AF archive/ Alamy Stock Photo
Übersetzung: Uli Twelker
Lektorat und Korrektorat: Dr. Matthias Auer
© 2018 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
www.hannibal-verlag.de
ISBN 978-3-85445-658-2
Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-657-5
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INHALT
WIDMUNG
EINE ENTSCHULDIGUNG
ZITAT
1 KREUZIGUNG?
2 A SCAR IS BORN – GESTRESSTE EMPFÄNGNIS
3 VERDAMMTER GLÜCKSPILZ
4 SHOWBUSINESS!
5 WIEDERSEHEN MIT GATESHEAD
6 THE ARTFUL NUDGER: DER KNIFF MIT DEM KNUFFEN
7 UND NUN ZU ETWAS EIN KLEIN WENIG KOMPLETT ANDEREM
8 WOHIN DES WEGES, KANADA?
9 HERE COMES THE SON – DEM GÜLD’NEN SOHNE
10 DIE SCHEIDUNGSFEE
11 LIEBESLEBEN
12 DAS WUNDER DES BRIAN
13 DAS BRITISCHE IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK
14 EIN WIRKLICH BÖSER BUBE
15 DIE BOLLYWOOD-FALLE
16 THE MEANING OF WIFE – DER SINN DES WEIBES
17 KINO – HALB SÜNDE, HALB EINLAUF
BILDSTRECKE
18 WIEDERSEHEN MIT BRIGHT SIDE
19 DIE SUCHE NACH EINEM MUSICAL
20 DÜNNE WEISSE DAVID BOWIES
21 MACH DICH DAVON!
22 GUT BEIM DINIEREN
23 DIE WIEDERVEREINIGUNG DER PYTHONS?
24 GEORGE
25 DIE LEUCHTENDE SEITE DES BROADWAY
26 TONY-TUNTE UND TONY-FEE
27 DIVA LAS VEGAS
28 DIE BRIGHT SIDE WIRD NOCH BRIGHTER
29 WER ZULETZT LACHT
30 DER SPRINT DES LEBENS
31 ENDLICH WIEDERVEREINT … ZUM ALLERERSTEN MAL
32 BREXIT – DURCH DEN GESCHENKELADEN
UND ZU GUTER LETZT …
FOTONACHWEISE
DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN
WIDMUNG
Für Tania, Carey und Lily.
EINE ENTSCHULDIGUNG
Graham Chapman hat einmal gesagt: „Das Leben ist ein bisschen wie ein Boot in der Karibik. Es ist schon ganz gut, wenn man eins hat.“ Ich habe diese Reise am Puls des Lebens nun fünfundsiebzig Jahre lang mitgemacht und besitze noch immer keins, aber andererseits schrieb ich „Life’s a piece of shit, when you look at it“ – „Das Leben ist ganz schöner Mist, wenn du’s genau besiehst.“ Gleichzeitig habe ich aber alle ermahnt, auf die Sonnenseite des Lebens zu schauen – eine Zeile, die mindestens so alt ist wie Coleridge, wie ich kürzlich herausfand. Dieses Buch ist zum Teil die Geschichte jenes Songs und zum Teil die eines Jungen, der zu mir mutierte – wenn Sie wollen, handelt es sich dabei also um die Memoiren eines gescheiterten Pessimisten. Ich bleibe nach wie vor unverbesserlich optimistisch, selbst angesichts der bedrohlichen Klimaerwärmung, die mich etwas weniger berührt als persönliche Abkühlung. Und so habe ich meine Erinnerungen aufgeschrieben, ehe ich alles vergesse und die Schweinsneurose Ham-nesia bekomme, die man sich einfängt, wenn man ein alter Schauspieler ist.
Natürlich habe ich Fehler, aber davon werden Sie hier nichts lesen. Meine Mängel habe ich wegpoliert. Das ist doch der ganze Sinn einer Autobiografie. Sie ist ein klarer Fall für die Verteidigung. Aber ich gebe zu, dass ich nicht perfekt bin. Ich habe britische Zähne. Die sind wie britische Politik: Sie gehen in alle Richtungen gleichzeitig.
Über sich selbst zu schreiben, das ist eine merkwürdige Mischung aus Therapie und Lap Dance. Also, hier ist mein eigener, mickriger Beitrag zum Promi-Memoiren-Schatz. Auf Anraten meines Anwalts lasse ich die blamablen Details weg und auf Anraten meiner Frau die versauten Sachen. Aber wie bei meiner Karriere so üblich, werden Sie sich noch wünschen, weniger erhalten zu haben.
Wenn das hier nicht genau so ist, wie es sich zugetragen hat, so hätte es aber mit Sicherheit so passiert sein sollen.
ZITAT
„Schau stets auf die Sonnenseite …“
Samuel Taylor Coleridge
1 KREUZIGUNG?
Es ist Oktober 1978. Ich bin im Begriff, gekreuzigt zu werden. In Tunesien hänge ich in zehn Metern Höhe an einem Kreuz und singe „Always Look on the Bright Side of Life“. Unter mir – in einem höhlenartigen, fünfzehn Meter tiefen aus dem Erdboden gebuddelten Hof – fegt eine Araberin ihren Vorgarten. Sie schaut nie rauf. Wir sind seit drei Tagen hier. Es ist die letzte Szene in Monty Python’s Life of Brian(Das Leben des Brian), und mein Song hallt quer durch die Wüste von weit entfernten Hügeln wider. John Cleese hat die Grippe erwischt. Der Rest der Pythons scheint ganz gut drauf zu sein. Dreiundzwanzig von uns hängen an Kreuzen, und es gibt nur drei Leitern. Wenn du also pinkeln musst, bedeutet das eine elend lange Wartezeit. Ich vermute mal, falls das die einzige Sorge beim Gekreuzigt-Werden ist, hat man im Großen und Ganzen noch Glück gehabt.
Es hat schon etwas Abschreckendes, wenn man zur Arbeit kommt und ein Kreuz mit seinem Namen vorfindet. Schon klar, die haben keine echten Nägel benutzt, und wir hatten auch Fahrradsitze, auf denen wir hocken konnten. Aber drei Tage da oben in der Unterhose zu hängen und in die Wüste zu starren, das bringt einen schon ins Grübeln. Vielleicht sollte jeder einmal für ein paar Tage gekreuzigt werden – das ermöglicht einem einfach einen guten Blick auf das Leben an sich. Besonders wenn du einen Song bringst, den du selbst geschrieben hast, und der auch noch eine Anspielung auf dein eigenes Ableben enthält:
Just remember that the last laugh is on you … – Denk dran: Wer zuletzt lacht …
Und glauben Sie ja nicht, dass mir die Ironie entgangen war. Ich habe schon immer gewusst, dass dieses letzte Kichern auf meine Kosten irgendwo in der Zukunft liegt. Ich hoffe nur, dass genug Leute aufkreuzen.
Der Song sollte ironisch wirken, erwies sich dann aber als ikonisch. Also ich meine, ganz ehrlich, man kann in Sachen Zukunft kaum schlechter drauf sein, als wenn man gerade gekreuzigt wird. Aber die Leute fingen an, das Ding in realen Kriegen und in wirklicher Gefahr zu singen. Es hat wohl irgendwie einen Nerv getroffen, und jetzt singen sie es überall. Beerdigungen inklusive. Besonders bei Beerdigungen. Es ist der Song Nummer eins bei den britischen Bestattungen.
Ich hänge also oben am Kreuz in Tunesien und singe es gerade das erste Mal für Graham Chapman. Wie zur Hölle bin ich hierher gekommen?
2 A SCAR IS BORN – GESTRESSTE EMPFÄNGNIS
Durch einen irren Zufall bin ich an meinem Geburtstag geboren. Am selben Ort wie meine Mutter, Harton Hospital, South Shields, County Durham, nur zum Glück nicht zur gleichen Zeit. Ich wurde einfach als Eric Idle geboren. Einen zweiten Namen konnten wir uns zu der Zeit gar nicht leisten. Es herrschte schließlich Krieg. Zur Zeit meiner Geburt versuchte Hitler mich zu töten, aber zum Glück traf er daneben. Das Knappste, wie er mir auf die Pelle rückte, gehört zu meinen frühesten Erinnerungen: ein Wellington-Bomber krachte in Flammen auf einen Acker neben meinem Kindergarten.
„Keine Sorge“, sagten die Schwestern, als sie uns reinmanövrierten.
Mit Sicherheit die furchterregendsten Worte, die du jemals zu hören bekommst. Dann fand ich dank meiner Mutter die Wahrheit heraus: „Der amerikanische Pilot hat auf dem Acker nach einer Notlande-Möglichkeit gesucht. Er hat die spielenden Kinder gesehen und ist abgedreht, hat das Flugzeug mit Absicht nach unten gerissen“, erklärte sie.
Ich habe die Amerikaner immer gemocht. Das sind tapfere Kerle.
Also, Adolf, nah dran, aber kein Hauptgewinn.
Falls man das Leben wirklich fast am meisten schätzen lernt, wenn man eine unglückliche Kindheit erlebt, dann hatte ich von Anfang an Glück. Wie wäre es hiermit in Sachen Ironie des Schicksals: Mein Vater wurde getötet, als er per Anhalter aus dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Hause wollte.
Er war seit 1941 in der Royal Air Force gewesen – auf dem gefährlichsten Posten eines Wellington-Bombers, dem des hinteren Funk-Kanoniers. Dem entkam er ohne einen Kratzer. Und doch kam er sieben Monate nach Ende des Krieges um, als er zu Weihnachten nach Hause trampte. Sie warteten darauf, ausgemustert zu werden, und wurden aufgefordert, die Hand rauszuhalten, weil die Züge wegen der Ferien voll waren und jeder ja für die Jungs in Uniform anhalten würde. Er wurde dann auf der Ladefläche eines Lasters samt Stahlladung mitgenommen. Etwas außerhalb von Darlington wich ein Wagen dem Gegenverkehr aus, und der Truck kam von der Straße ab. Die Stahlladung verschob sich – und zerquetschte meinen Vater. Er starb Heiligabend im Krankenhaus – mit meiner Mutter an seiner Seite. Ich war fast drei. Man sieht schon, dass Weihnachten bei uns zuhause nie so der ganz große Spaß war. Ich frage mich, ob ich deshalb Fuck Christmas geschrieben habe?
Nach meiner Geburt war mein Vater nur selten zuhause. So sind Kriege nun mal. In der peniblen Handschrift meines Vaters entdeckte ich die Worte Spam Exit – Raus mit ’ner Billig-Medaille, in seinem winzigen RAF-Tagebuch von 1945. Außerdem entdeckte ich ein paar Hinweise auf mich. Für den 7. Juli lautete der rührende Eintrag: „Erics erstes Planschen & Strandausflug.“
Das Grab meines Vaters befindet sich auf einem RAF-Friedhof. Sie sind alle in Gestalt akkurat aufgereihter Gedenkplatten angetreten. Auf ewig in Habacht-Stellung: Name, Dienstgrad, Ordnungsnummer, Todestag: 24. Dezember 1945. Darüber die lateinischen Worte des RAF-Mottos: „Per ardua ad astra.“ Durch harte Arbeit zu den Sternen. Das könnte auch die Parole der Menschheit beim Eintritt in das Weltraumzeitalter sein. Oder die eines jungen Mannes, der ins Showgeschäft strebt.
Meine Mutter verlor sich eine Zeitlang in Depressionen, und ich wuchs bei meiner Oma in Swinton in Lancashire auf. Ihr Mann, ein Zahnarzt, den ich Pop nannte, ging mit mir in Manchester in den Belle-Vue-Zirkus. Dort stellte sich erstaunlicherweise heraus, dass wir zum Zirkus-Adel gehörten. Mein Großvater war Henry Bertrand – während der 1880er Jahre ein berühmter Ringmeister, Zirkusdirektor und Manager. Ich bin noch immer im Besitz seines Briefpapiers, samt seinem imponierenden Bild mit Frack und weißem Binder, das verkündet, er sei Planungsmanager für Roby’s Midget Minstrels – Zwergen-Minnesänger. Erst später wurde mir dann klar, dass ich auch in einem Zirkus gelandet war: und dazu noch in einem fliegenden.
Als ich vor Kurzem etwas über ihn recherchierte, fand ich erstaunt heraus, dass er sein Leben als Comedian begonnen hatte. Ist das nicht ein wenig zu viel des Zufalls? In meinem Roman The Road to Mars(Die Reise zum Mars) habe ich dargelegt, dass dies den Beweis eines Comedy-Gens darstellt. Das war als Witz gemeint, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.
Egal, für mich als Kind war es spannend, im Belle-Vue-Zirkus hinter die Bühne mitgenommen zu werden, um die furchteinflößenden Clowns kennenzulernen. Die waren gegenüber Pop als einem der Bertrands sehr respektvoll und begegneten mir ebenfalls extrem freundlich. Pop nahm mich auch zu den verschiedensten Varieté-Shows im Manchester Hippodrome mit, wo ich die besten britischen Music-Hall-Comedians erlebte: Morecambe and Wise, Robb Wilton, Jimmy Edwards, Arthur Askey, Norman Evans, Mrs. Shufflewick, Norman Wisdom und die Crazy Gang. Das Unvergesslichste an den Varieté-Shows waren die tableaux vivants: Bei denen war die Bühne randvoll mit wunderschönen Mädchen, die dort still saßen oder standen: splitternackt. Dies war das erste Mal, dass ich eine unbekleidete Frau sah – und plötzlich waren da gleich vierundzwanzig von der Sorte. Man nannte das hier „Eine Winter-Szenerie“. Es fiel künstlicher Schnee, während die Damen mit nichts weiter als diskret platzierter Drapierung posierten. Das Orchester spielte auf, und jemand rezitierte ein blödes kleines Gedicht, während die Mädels einfach nur dasaßen. Sie durften sich nicht bewegen. Zu jener Zeit war es illegal, nackt auf der Bühne herumzulaufen. Wenn sie sich rührten, hätten sie verhaftet werden können. Blieben sie jedoch regungslos, war es in Ordnung, und alle klatschten Beifall. Ich kann mich entsinnen, dass ich dachte: Das ist toll, und seitdem bin ich immer ein absoluter Freund nackter Ladys gewesen. Dies ist also mein Background in Sachen Showgeschäft: Zirkusse, Clowns, Comedians und nackte Ladys.
1948, als ich fünf Jahre alt war, nahm mich meine Oma immer zu drei Filmen pro Tag mit. Ich hatte noch nie zuvor Spielfilme gesehen und war sofort wie gebannt. Wir sahen uns Joan of Arc (Johanna von Orleans) an, The Glass Mountain(Echo der Liebe) und einen Marx-Brothers-Film, einen Streifen nach dem anderen. Vierundzwanzig nackte Ladys auf einen Schlag – und dann drei Movies pro Tag. Kann man schon ahnen, welchen Kurs mein Leben nehmen sollte? Wir waren die Prä-TV-Generation. Wir sind mit dem Radio aufgewachsen, haben spannenden Serien gelauscht wie Journey into Space (Reise ins Weltall), Dick Barton SpecialAgent! und total witzigen Comedians wie Al Read:
„Kannst du Gas riechen, oder war ich das?“
Dann natürlich die unvergleichliche Goon Show: eine BBC Radio Comedy mit Peter Sellers, Spike Milligan und Harry Secombe.
Mein erstes Fernseh-Erlebnis war die Krönung von Königin Elizabeth II, 1953. Meine Schule hatte einen winzigen 8-Zoll-Schwarz-Weiß-Apparat besorgt, und wir saßen um den herum und betrachteten Leute, wie sie beim Ansingen von „Vivat Regina!“ in lustigen Kostümen hin und her liefen. Man schenkte uns massenhaft Krönungs-Spielzeug, Becher, goldene Kutschen und Papierkronen. Und an jenem Morgen verkündete die BBC im Radio, dass wir den Everest bezwungen hätten. Nun ja, einem Neuseeländer und einem tibetanischen Sherpa war das gelungen, aber es galt eben als eine britische Expedition.
Im Jahre 1948, als ich fünf Jahre alt war, schickte mich meine Mutter zum ersten Mal zur Schule. Sie arbeitete inzwischen als Krankenschwester in Cheshire. Es ging zur St. George’s School in Wallasey, einem kleinen Städtchen am Meer. Von Liverpool aus liegt es nur eine Fähre über den Mersey entfernt. Eines Tages wurde ich zuhause vermisst. Ich hatte einen Jungen namens George kennengelernt – beim Spielen in The Red Noses, den Sanddünen bei New Brighton. Die waren ein beliebtes Ausflugsziel für Liverpooler, und wir trafen uns immer mit Kindern von der anderen Seite des Mersey-Flusses. George und ich hatten den ganzen lieben langen Tag gespielt und völlig den Sinn für die Zeit verloren. Viele Jahre später, als ich George Harrison kennenlernte, hatte ich dieses intensive Gefühl, dass wir uns schon mal begegnet waren. Und ich habe mich oft gefragt, ob er der Junge war, der mit mir an jenem Tag geschwänzt hatte. Ich schätze, das werde ich wohl nie herauskriegen, aber als ich schließlich zuhause ankam, rastete meine Mutter total aus. Es war schwierig für sie, mit einem heranwachsenden Sohn und einem Vollzeitjob klarzukommen, und dass ich einfach so verschwunden war, jagte ihr einen gehörigen Schreck ein. Daher akzeptierte sie ein Angebot des RAF-Wohltätigkeits-Fonds The Benevolent Fund: Sie steckte mich im Alter von sieben Jahren in die Royal School Wolverhampton, die gerade erst ihren Namen The Royal Orphanage –Königliches Waisenhaus also – in den neuen geändert hatte. Der Krieg hatte dieser viktorianischen Institution Auftrieb gegeben, aber dem Sog der Ironie kann man nicht entkommen. Wir wurden zu einer Schule geschickt, für die die RAF zahlte – und wuchsen mit Jungs auf, die allesamt ihren Vater im Krieg verloren hatten. Wir nannten sie The Ophny, als Kurzform für Orphanage.
Während meiner ersten Nacht in der Schule fand ich mich in einem Schlafsaal voller weinender Jungen wieder. Ich nahm mir vor, da nicht mit einzustimmen. Wozu sollte das gut sein? Früh an jenem Tage hatte mich meine Mutter dort schlicht abgeladen, worauf sie einfach wegfuhr und verschwand. Sie sagte nicht Tschüs, sie machte sich einfach aus dem Staub. Später meinte sie dann: „Nun ja, ich wollte kein Aufsehen. Du warst so schön beim Spielen, also dachte ich, am besten ziehe ich mich zurück und vermeide eine Szene.“ Eine typische Mutter des Nordens eben. Eine Szene vermeiden, das steht über allem. Ich habe noch immer Albträume, in denen ich zurück im Ophny bin. Das war schon zu jener Zeit äußerst finster, und im Nachhinein furchtbar. Ich war dort, seit ich sieben war, bis es mir im Alter von neunzehn Jahren gelang zu entkommen. Für ein heranwachsendes Kind war es ein von körperlichem Missbrauch, Schikanen und Strenge bestimmtes Milieu. Die Quartale liefen über nicht enden wollende vierzehn Wochen. Im Alter von sieben schienen sie mir unendlich. Zwölf Jahre? Da kriegt man ja für Mord weniger.
In der Grundschule peitschte mir Miss McCartney ihr hölzernes Lineal quer über die Hand, weil ich ein Mathe-Problem nicht verstand. Erstaunlicherweise blieb ich in Mathe schlecht. Im Alter von elf Jahren ging ich nervös in die Sekundarstufe über. Mobbing war an der Tagesordnung. Die stubenältesten Präfekte durften uns mit ihren Slippers schlagen. Die Hausvorsteher, Masters genannt, konnten uns mit dem Stock prügeln. Für schwere Straftaten, wie etwa Kichern bei den Hausaufgaben, konnte man für „Sechs von den Besten“ zum Direktor geschickt werden. Einmal wurde ich aufgrund „stiller Anmaßung“ zur Prügelstrafe beordert. Hatte nicht mal was gesagt. Ich meine, was für eine Chance hast du da noch? Die Oberschule hatte einen hundert Meter langen Schlafsaal, und während der Nacht patrouillierten die Stubenältesten hin und her. Wenn sie jemanden nach dem Lichtausmachen quatschen hörten und keiner es gewesen sein wollte, mussten alle aus der Koje kommen und sich über ihre Betten beugen. Dann schritten sie die Reihe ab und prügelten den ganzen Saal durch. Und es war eiskalt. Ich fror, bis ich neunzehn war. Kein Wunder, dass ich nach Kalifornien gezogen bin.
Aber das Unglück dauert eben nie ewig. Es gab durchaus Glücksmomente. Süffisantes Lachen, wenn sie einem beim Prügeln auch noch sagten: „Es ist zu deinem eigenen Besten.“
„Ach ja? Und warum biete ich dir das nicht an?“
Ich war ziemlich witzig in der Schule, und Humor ist eine gute Waffe gegen Schikanen. Es ist schwierig, einen kleineren Jungen zu schlagen, wenn man am Lachen ist. Ich gewöhnte mich daran, mit Jungs-Cliquen umzugehen und unter schwierigen Bedingungen mein Leben auf die Reihe zu kriegen. Der perfekte Trainingslauf für einen Python.
Ich spürte noch lange eine Bitterkeit hinsichtlich meiner Schulzeit. Inzwischen glaube ich jedoch, dass ich dort alles gelernt habe, was ich brauchte, um im Leben klarzukommen. Es ist schon ein grausamer Scherz, wenn man in ein englisches Internat gesteckt und dann auch noch Idle genannt wird – also, hey: faul, träge, eitel. Unbrauchbar. Nutzlos. Mister Leerlauf. Aber es trainiert einen auch, mit Beleidigungen fertig zu werden, und ich hatte schon immer einen Stapel schlagfertiger Asse im Ärmel. Als ich mal in einer britischen Fernsehshow nach der Herkunft meines Namens gefragt wurde, spekulierte ich, er stamme aus Yorkshire und gehe auf den Leerlauf-Mechanismus der Woll-Webstühle zurück. Als ich zuhause ankam, erwartete mich eine Nachricht von George Harrison: „Hör doch auf. Du stammst ganz einfach aus einer langen Ahnenreihe von faulen Säcken.“ Später habe ich dann herausgefunden, dass sein Ursprung im altenglischen Wort Idel liegt, was so viel heißt wie „ungenutzter Boden“ oder „ein Stück Abfall.“
Hm. „Ein Stück Abfall.“ Da musste ich mir schon Schlimmeres anhören …
Im Alter von elf Jahren schenkte mir meine Oma eine Reiseschreibmaschine, und ich begann, Geschichten zu verfassen: The Mystery of the Missing Skull (Das Geheimnis des verlorenen Totenkopfes), eine Boudicca-Story aus Britannien in römischer Zeit, und endlose Kriegsabenteuer über heroische Royal-Air-Force-Männer. Ich habe mich schon immer für Wörter und Worte interessiert, denn in solch einem sterilen Umfeld muss man sich schon sein eigenes Vergnügen schaffen – und seinen eigenen Geist erforschen. Lesen war und ist meine beste Flucht aus dem Alltag. Mich begeisterte außerdem das Puppenspiel mit Schnurmarionetten, Sketche schreiben und lustige Stimmen wiedergeben. Mich hinter Charakteren zu verstecken oder meine Späße auf Kosten der Masters zu treiben. Wir waren sehr subversiv und erzielten wahre Lachsalven. Ich spielte in einem Schul-Musical mit, Toad of Toad Hall (Der Wind in den Weiden), in dem ich die Zweite Feldmaus spielte. Das Angebot, die Erste Feldmaus zu spielen, habe ich glatt abgelehnt, als ich herausfand, dass die Zweite Feldmaus mehr Text hat.
Ich entwickelte mich zum „Folkie“, spielte in einem Trio Mundharmonika. Mit den Sinfield-Brüdern an Banjo und Gitarre machten wir hauptsächlich Blues. Es kam mir schon immer merkwürdig vor, wie sehr wir uns mit dem Kampf der Schwarzen im Süden der USA identifizierten – wenn man bedenkt, dass wir äußerst weiße Jungs in einem englischen Internat waren, Tausende von Meilen vom tiefen Süden entfernt. Ihre Songs wurden jedoch auch zu unseren Protestsongs, und wir legten los und sangen zu Sonny Terry und Brownie McGhee. Wir spürten, dass wir unterdrückt wurden, und ich nehme an, dass die Seele und der Geist dieser Musik unseren Empfindungen sehr nahe kamen.
Dann erschien der Rock’n’Roll auf der Bildfläche. Elvis hat uns das Leben gerettet. Er schien direkt für uns zu singen. Mit vierzehn wollte ich sehnlichst Gitarre spielen. Mit fünfzehn war es dann so weit.
Elvis war schon erstaunlich. Wir himmelten ihn an. Das erste Mal hörten wir ihn, als er im Sommer 1957 aus jeder Jukebox im Butlins Holiday Camp in Skegness Heartbreak Hotel sang – dazu schnippten Teddy Boys mit den Fingern, und die Mädels swingten zu dieser unheimlichen Stimme: „Well since my baby left me …“ Bei Schulbeginn drückten wir uns aufgeregt um die Internats-Glotze herum, um herauszufinden, ob die Zeitungen recht hatten: Zeigten die Kameras ihn von der Hüfte abwärts nicht mehr? Er tanzte, er swingte, er schwang diese Hüften, und wir hörten das Kreischen der Mädels. Aber unterhalb der Gürtellinie wurde im Fernsehen nichts gezeigt. Vielleicht lag es an der Hose. Elvis blieb während meiner kompletten Schulzeit unser Idol, und wir lauschten ihm unter der Bettdecke mit unseren Transistorradios. Als er dann später zur Army ging, hing das wie ein Nebel über uns. Es schien, als hätten die gewonnen. Die hatten ihm die Haare geschnitten und ihn nach Deutschland ausgeflogen. Dann starb auch noch Buddy Holly. Es war alles zu viel.
Im Ophny mussten wir vom elften Lebensjahr an jeden Montagnachmittag so tun, als wären wir in der Army. Es war Pflicht, der CCF (der Combined Cadet Force) beizutreten: Wir sind elf Jahre alt, finden uns draußen auf dem Sportplatz in Armeestiefeln wieder. Marschieren in kratzigen Uniformen auf dem Hof hin und her und lassen uns von Profi-Feldwebeln der Walsall-Kaserne anbrüllen. Was zum Teufel ist da los? Das Gurtband der Gamaschen zwickt mich bis heute, und ich rieche diese Blanco-Politur, mit der wir sie in Khaki anmalten. Beim Stiefelwienern und Messingputzen waren wir nicht nur für unsere eigenen Uniformen zuständig, sondern auch für den Senior Boy, denn während unseres ersten Schuljahres waren wir alle fags – Diener. Im britischen Internats-Sprech ist ein fag der Erste-Schuljahr-Sklave für den Stubenältesten. Er macht ihm den Toast, putzt seine Schuhe und erledigt Botengänge für ihn. „Charakterbildung“ ist, glaube, ich der Ausdruck dafür. Im Alter von vierzehn beherrschte ich nicht nur den Waffen-Drill und wusste ziemlich präzise mit einem Kaliber .303 Lee-Enfield-Gewehr zu schießen. Ich konnte auch ein Bren-Sturmgewehr blind auseinandernehmen. Sie luden uns dann in voller Montur irgendwo in den walisischen Bergen ab und sagten Tschüs. Wenn man Glück hatte, stolperte man nach sechs Stunden in ein Militärcamp in Nord-Wales, nur mit einem Kompass und einem Stück Käse ausgerüstet. Äußerst nützlich für die allgemeine Lebenserfahrung. Und mit Sicherheit hat mich das für die Python-Filme gerüstet …
Also klar, das war schon hart. Aber wir haben uns gewehrt. Haben unser eigenes Nachtleben organisiert. Unter unserem Dach gab es eine Mädchenschule. Wir sahen die Mädels immer in der Kapelle, weil Kirchgang zwei Mal pro Tag Pflicht war. Aber die waren auf ihrer Seite der Kanzel und wir auf unserer. Als mit Hormonen vollgepumpte Teenager versuchten wir natürlich, ihnen während der langen und unendlich öden Psalmen Botschaften zukommen zu lassen. Währenddessen war Gott gerade grausam zu den Kindern Israels. Was sagten wir doch über die Kinder Israels? „Wann werden die jemals erwachsen?“
Ich meldete mich freiwillig für die Stelle des Postjungen. Jeden Nachmittag sammelte ich die offizielle Post ein und brachte sie runter zum Briefkasten in der Penn Road. Ich kam durch die hinteren Tore der Jungenschule raus, bog nach links und ging die fünfzig Meter zum hinteren Tor der Mädchenschule, wo stets eine Traube junger Weiblichkeit abhing. Dort pflegte ich den Austausch von Höflichkeiten und heimlichen Liebesbriefen, die nicht für den öffentlichen Briefkasten bestimmt waren. Da standen kryptische Akronyme drauf, wie etwa SWALK (Kuss-versiegelt: „Sealed With A Loving Kiss“) und BURMA („Be Undressed Ready My Angel“ – Halte dich entkleidet bereit, mein Engel). Bei meiner Rückkehr fand ich dann hastig gekritzelte Antworten vor. Durch Hilfsbereitschaft und Flirten hatte ich bald eine Freundin ganz für mich.
In dem langen Schlafraum nächtigten wir nach Nummern sortiert. In der Reihenfolge hätten sie uns wohl auch scheißen lassen, wenn es ihnen möglich gewesen wäre. Meine Nummer war 63, und neben mir lag nach dem Zufallsprinzip die 64, Halls Junior. Ein wunderbar subversiver Kerl, der zum Glück in meiner Klasse war. Wir hatten uns angewöhnt, aus den hinteren Gärten hinaus zum Weinladen zu schleichen und flaschenweise Mitchells und Butlers Old-English-Stout-Bier zu kaufen sowie Caerphilly-Käse. All dies wurde dann nach dem „Licht-aus“-Kommando in der behaglichen Wärme des Metallofens der Wanderhütte verköstigt. Dort trafen sich die Pfadfinder tagsüber, während wir uns dort bei Nacht entspannten und Tabak der Sorte Balkan Sobranie in Tonpfeifen rauchten – oder Baby-Bottom-Tabak (Marke Kinderpopo) durch langstielige Rosenholz-Kirchenvorsteher-Pfeifen. In jenem Stadium legten Halls Junior und ich noch eine Schippe drauf. Es wurde uns klar, dass die Mädchenschule natürlich furchtbar verboten war, aber eben auch verdammt nah: Es gab keine richtigen Türen zwischen den Haupteingängen der Jungen- und der Mädchenschule. Alles, was wir tun mussten, war, fünfzig Meter Dunkelheit aushalten, schon waren wir da. Zum Glück hatte uns das Kadettenkorps ja beigebracht, wie man nachts geräuschlos umherschlich. Also gingen wir auf Erkundungstour, und es lief perfekt: Niemand war so früh am Morgen auf den Beinen. Derart ermutigt, enterten wir die Treppe zum Mädchenschlafraum und schritten zum Date mit unseren jeweiligen Liebschaften. Wir führten sie zur Wanderhütte, wo wir dann eine Flasche mit süßem Martini genossen und ein bisschen Babycham, einen billigen Birnen-Schampus.
Diese Mitternachts-Meetings liefen eine ganze Zeitlang, bis sich das dann schließlich herumsprach und auch andere Jungs anfingen, diese aufregende Chance zu nutzen. Am Ende war es nicht mal ungewöhnlich, dass man nachts von einem Mädchen aufgeweckt wurde, mit der Frage, wo Soundso denn schlafe. Am Ende war dieses heimliche Nachtleben der Schule so ausgefuchst, dass wir den Schlüssel zum Swimming Pool klauten und kopierten – dabei handelte es sich um ein stinkendes grünes, dampfendes Höllenloch. Wenn du mit den Mädels schwimmen wolltest, musstest du nur nach den Hausaufgaben deinen Namen auf einer Liste eintragen. Du wurdest dann geweckt und mit einer Taschenlampe durch die byzantinischen Korridore geführt – zum Pool hinunter, wo schon eine kleine Schar von Mädels in Morgenmänteln auf dich wartete.
Es ist schon irre, dass wir nie erwischt wurden. Der Grund war natürlich, dass die Stubenältesten beteiligt waren – dadurch natürlich total kompromittiert. Ganz schön schwierig, andere Jungs auffliegen zu lassen, wenn man selbst eine süße Begleitung im Bett hat. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie oft all dies zu vollem Verkehr führte. Ich glaube, ein großer Teil lief auf das hinaus, was man in jenen Tagen „heavy petting“ nannte. Denn abgesehen von all diesen Gelegenheiten schrieb ich mich als Jungfrau in Cambridge ein. Wenn ich es auch im Gegensatz zu Isaac Newton nicht dabei belassen habe …
Was schlechtes Benehmen anging, so wurde ich irgendwann sehr gut im Ophny: hinterhältig und anti-autoritär. Es war wie eine Kombination von Kommiss und Knast, wo du lernst, dich anzupassen und deinen Kumpels zu vertrauen. Meine Klasse war eine hochorganisierte kriminelle Vereinigung. Bis zur Mittleren „O-Level“-Reife haben wir nie ein normales Examen abgesessen, weil wir immer die Prüfungsunterlagen klauten. Einige Jungs waren verdammt gut im Schlösser-Knacken, oder sie haben einfach die Rückwände der Schränke abgeschraubt, in denen die Lehrer ihre Fragebögen lagerten. Dann schrieben sie die Antworten über Nacht auf gestohlenes Examenspapier, schmuggelten das unter ihren Pullis rein und tauschten es aus. Erst bei diesem O-Level-Examen fand ich heraus, dass ich vergleichsweise clever sein musste, weil nämlich die meisten der anderen Jungs nach den Sommerferien schlicht nicht wiederkamen. Die waren alle durchgefallen. Es war das erste echte Examen, das ich jemals ablegte.
Ich glaube, nur acht von uns kehrten zurück. Es gab Gerüchte, einige seien schon im Knast …
Wir hatten ziemlich sumpfige Sportplätze, und im Fußball war ich nicht so toll. Statt mich also für die verpflichtenden Spiele umzuziehen, setzte ich eines Donnerstagnachmittags meine Schulmütze auf, marschierte zum Haupteingang hinaus in die City von Wolverhampton und sah mir einen Kinofilm an. Das machte ich bald regelmäßig jeden Donnerstagnachmittag – schlenderte frech am Arbeitszimmer des Direktors vorbei, und niemand hat mich je erwischt. Denn wenn du deine hellrote Schulmütze trägst und den Haupteingang benutzt, bist du ja eindeutig auf einer Schulmission, oder? Und so lernte ich schon recht früh: Wenn du dreist genug bist, stellt dir keiner dumme Fragen. Hätte ich mich hinausgeschlichen, wäre ich wahrscheinlich erwischt worden. Nun ja, in meinem vorletzten Jahr wurde ich dann erwischt. Ich war ein Senior-Präfekt, also ein Stubenältester, und überwachte gerade die Hausaufgaben, als der Direktor nach mir schickte und mich dann fragte: „Nun, Idle, hat Ihnen denn der Film heute Nachmittag gefallen?“
„Nein, nicht wirklich, Sir, der war nicht so besonders“, sagte ich, um ihn zu ärgern.
Man hatte mich beobachtet und verpetzt, wie ich einen Film ab 18 gesehen hatte: Butterfield 8 (Telefon Butterfield 8) mit Elizabeth Taylor. Also bekam ich natürlich Prügel – „Sechs von den Besten“ –, und am nächsten Morgen schleppten sie mich vor die ganze Schulversammlung, damit der Direktor mich wegen dieses furchtbaren Verbrechens an den Pranger stellen konnte. Idle war in der Stadt erwischt worden, wie er sich einen Erwachsenenfilm anschaute! Nun, eine bessere Promo hätte ich mir gar nicht wünschen können. Plötzlich war ich der Held. Die ganze Schule liebte mich! Ich wurde in aller Öffentlichkeit ans Ende der Aula geschickt und war kein Stubenältester mehr, und die Kids schlugen mir auf den Rücken und hielten die Daumen hoch. Es war hervorragend. Zum Ende des Schuljahres verließ der Direktor dann die Schule – mit der überraschenden Empfehlung, ich solle zum Schülersprecher ernannt werden. Vielleicht mochte er einfach Elizabeth Taylor. Vielleicht mochte er mich. Vielleicht wollte er auch seinem Nachfolger eins auswischen.
Im ersten Vierteljahr meines letzten Schuljahres organisierte mir mein toller Ex-RAF-Geschichtslehrer Mr. Fry die Bewerbung an seinem alten Cambridge College, Pembroke. Ich nahm einen Harry-Potter-Zug mit Dampflok zu den Fens in Ostengland und wurde in puncto Englischstudium interviewt, durch einen Ökonomen, den Dekan und einen arabischen Studenten. Erstaunlicherweise boten sie mir einen Studienplatz an, wenn ich innerhalb eines Jahres das kleine Latinum schaffen würde. Ein Kinderspiel.
Da ich nun plötzlich – und irrerweise – zum Schülersprecher geworden war, bestand die Schule darauf, dass ich auch Leiter der Combined Cadet Force werden sollte, wonach mir so gar nicht der Sinn stand. Gegen Ende von sechs Jahren Militärtraining hatten sie den Fehler gemacht, uns auf einen Zivilverteidigungs-Kurs zu schicken. Dort wurde genau demonstriert, was passiert, wenn eine Atombombe hochgeht. Das Resultat war, dass ich zum glühenden Pazifisten wurde. Während der Osterferien (1962) nahm ich am Aldermaston-Marsch teil, der jährlichen Anti-Atom-Demo des CND, der Kampagne für nukleare Abrüstung. Wir marschierten von Aldermaston in Hampshire zum Hyde Park, über eine Entfernung von 80 Kilometern, hinter riesigen Transparenten und unter Absingen von Protestsongs. We shall overcome – Wir schaffen das. Taten wir aber nicht. Stattdessen zelteten wir über Nacht in Reading und marschierten dann stolz nach London rein. Mein Freund Alan Sinfield, der dunkelhaarige, finstere, Poesie lesende Gitarrist unseres Folktrios, war mittlerweile an der London University. Wir waren verdammt links und sehr engagiert, und es war toll. Als ich zur Schule zurückkehrte, nahm mich der neue Pater beiseite und meinte: „Du bist ein Heuchler, Idle. Bist der Boss der CCF-Kadetten und beim Aldermaston-Marsch mitgelaufen.“ Worauf ich sagte: „Nun, ich trete zurück“, und er meinte: „Dir wird aber nicht gestattet, zurückzutreten.“ Also nahm ich bei der Parade zwar das Salutieren ab, drehte mich dann aber zur falschen Seite, was die Profi-Feldwebel verärgern sollte. Anschließend verdrückte ich mich zum Lesen. Ich weigerte mich dann, zum Ende des Jahres ins Militärcamp zu gehen. Sie konnten mich allerdings nicht rauswerfen, weil ich schon gegangen war. In Cambridge hatte man mich ja bereits akzeptiert, ich war beim Aldermaston-Marsch dabei und nahm nichts von ihrem ganzen Combined-Cadet-Force-Scheiß ernst.
Dann änderte sich mein gesamtes Leben.
Das, was mich für immer veränderte, war Comedy. Meine Offenbarung begann bei Beyond The Fringe (Jenseits des Randes/der Avantgarde). Anfang 1963 wohnte ich bei meinem Freund Alan Sinfield in Nord-London, und wir sahen uns möglichst jedes Theaterstück an. Es war die Ära der Dramatiker, die man The Angry Young Men nannte: die zornigen jungen Männer, nach Look Back In Anger (Blick zurück im Zorn),dem bahnbrechenden Stück von John Osbourne, das wir im Royal Court Theatre erlebten. Für diese neue, ausverkaufte Revue von vier jungen Männern aus Oxbridge – also Oxford und Cambridge – am Fortune Theatre konnten wir nur Stehplätze bekommen. Das war aber auch besser so, denn es hätte mich nie und nimmer auf dem Stuhl gehalten. Ich kugelte mich kreischend vor Lachen an der Wand entlang. So heftig hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gelacht. Ich hatte keinen Schimmer, dass man so witzig sein konnte und dass man über den Premierminister und den Krieg und die Königsfamilie lachen konnte. Über alles, was ich heimlich hasste, machten die sich lustig – und waren dabei absolut geistreich. Sie waren jung, smart und gefährlich witzig. Das war Zorn, aber er wurde zum Lachen verwendet. Ich kaufte mir sofort die Platte und lernte alles auswendig. Alan Bennetts Vikar-Monolog, Peter Cooks Premierminister-Rede, Jonathan Millers skurrile Monologe. Und dann machten wir uns auf den Weg und erlebten Dudley Moore am Jazzpiano in der Oxford Street. Beyond The Fringe war eine erstaunliche Show. Von diesem Moment an konnte ich mir ein Leben ohne Comedy nicht mehr vorstellen.
3 VERDAMMTER GLÜCKSPILZ
Nach zwölf Jahren im Untergrund als Larve in Wolverhampton nun für drei Jahre als Schmetterling in Cambridge aufzutauchen, das machte mich wirklich zu einem verdammten Glückspilz. Und hat Napoleon nicht schon gesagt, dass Glück zu haben wichtiger sei als Spaß zu haben? (Nein, hat er nicht, oder?) Jedenfalls habe ich Comedy dann zunächst an der Cambridge University gemacht, fast durch Zufall. Es war mit Sicherheit ein Glücksfall, dass ich mich im Pembroke College wiederfand, denn erst kurz zuvor war der großartige Peter Cook dort gewesen, und die Leute zitierten ihn immer noch.
„Leider war ich nur ein Einzel-Zwilling.“
„Ich würde gerne etwas wirklich Wichtiges erfinden: Feuer etwa.“
Es war schon ziemlich ungewöhnlich, dass ein Junge aus der unteren Mittelschicht akzeptiert wurde, dazu noch aus einer bescheidenen Armenschule. Aber Cambridge war im Begriff, sich zu verändern. Meine Schulausbildung wurde von der Kreisverwaltung in Warwickshire bezahlt, und meine alte Schule beteiligte sich generös mit einem anständigen Stipendium. So stand ich dann besser da als viele Privatschul-Knaben, die ihre Eltern um Bargeldspritzen angehen mussten. Als ich meine Sachen für Cambridge packte, war auch ein Kondom dabei. Das habe ich dann recht optimistisch zwei Jahre lang in meiner Brieftasche mit mir herumgetragen. Aber 1962 war Cambridge noch immer eine klösterliche Gemeinschaft. Im komplett männlichen Pembroke gab es nichts Weibliches. Frauen hatten ihre eigenen Colleges. Für Mädchen kletterte ich noch immer über Mauern. Um meine Chancen zu erhöhen, trat ich den Pembroke Players bei. Für deren Weihnachtsparty schrieb ich ein Cabaret, und meine Aufführung kam derart gut an, dass man mir empfahl, es mal bei The Pembroke Smoker zu versuchen, einer Comedy-Revue über drei Abende, die im Old Smoker unter der Wren-Bibliothek stattfand. So landete ich dann beim Casting für Tim Brooke-Taylor und Bill Oddie. Ist es nicht ein irrer Zufall, dass zwei zukünftige Goodies, Tim und Bill – die schon bald ihre eigene BBC-TV-Comedy-Serie mit Graeme Garden haben sollten –, einen zukünftigen Python vorsprechen ließen? Übrigens sollte genau jener Graeme Garden zwei Jahre Cambridge-Cabaret mit mir machen. Noch irrer war, dass sie mir für mein Debüt einen Sprechtext gaben, der von John Cleese verfasst worden war. John war nicht am Pembroke, aber er aß dort jeden Abend. Im College Smoker konnte er nicht auftreten, weil er nicht im College eingeschrieben war, aber ich schon. Und er war anwesend, als ich meine allererste Performance ablieferte – und er sah mich einen Sketch aufführen, den er für sich selbst geschrieben hatte! Er hieß BBC BC (BBC vor Christus) über biblische Nachrichten. Ich spielte einen Meteorologen:
Unten im Süden, tja, musste Ägypten kürzlich schon eine ziemlich böse Periode durchstehen. Vor 17 oder 18 Tagen waren es erst Frösche, gefolgt von Läusen, Fliegen und letzten Dienstag dann Heuschrecken. Und nun, aus Süd-Südost hereindrängend – Eiterbeulen. Die weiteren Aussichten für Ägypten: Nun, zwei oder drei Tage lang wird das Land in dichteste Dunkelheit gehüllt sein, gefolgt vom Tode aller Erstgeborenen. Tut uns leid, Ägypten.
Humphrey Barclay war ein hochtalentierter Schülersprecher aus der Edel-Privatschule Harrow. Er konnte schauspielern, Regie führen und Cartoons zeichnen. Nach der Show stellte Humphrey mich John Cleese vor, einem hochgeschossenen Mann mit schwarzem Haar und stechenden schwarzen Augen. Sie machten mir große Komplimente und ermutigten mich, für The Footlights (etwa: Die Rampenlichter) vorzusprechen. Dieser Universitäts-Revue-Club war 1883 gegründet worden, um Sketche und Comedy-Shows aufzuführen, aber ich hatte noch nie was von dem gehört. Er schien jedoch eine Menge Spaß zu machen, und einen Monat später wurden Jonathan Lynn und ich von deren Komitee hineingewählt, nachdem wir vor einem vollbesetzten Haus von Comedy-Cracks im Footlights-Clubraum abgeräumt hatten. Jonathan Lynn, ein talentierter Schauspieler, Autor und Jazz-Drummer, sollte später bei Pass The Butler (Mr. Butler) Regie führen, meinem ersten Stück im West End. Außerdem schrieb und leitete er Nuns On The Run (Nonnen auf der Flucht), einen Kinofilm mit mir und Robbie Coltrane. Der Sketch, den ich geschrieben hatte, ließ sich erstaunlich gut spielen. Dazu ein denkwürdiges Detail: In der ersten Reihe, auf ein Sofa geräkelt, lachte gemeinsam mit ein paar Senioren-Mitgliedern kein Geringerer als – Kingsley Amis – neben dem Bruder des schon bald berüchtigten Burgess. Der sollte in Kürze aus dem Lande fliehen, weil man ihn als den vielleicht extravagantesten Spion outete, den Cambridge je hervorgebracht hat. Wann immer der sich nämlich extrem betrunken in Washington befand, was praktisch allabendlich zutraf, band er jedem lautstark auf die Nase, er sei Spion für den KGB. Kein Mensch glaubte ihm.
An das Footlights-Clubleben gewöhnte ich mich im Handumdrehen. Wir hatten unsere eigene Bar, die abends um zehn öffnete und in Betrieb blieb, so lange wir wollten. Lunch wurde vor Ort bereitgehalten, und zwei Mal pro Semester gab es Smoking-Konzerte, bei denen man neues Material ausprobieren konnte. Ich lernte bald eine wertvolle Lektion. Eines Tages stieß ich auf einen Schuldirektor-Sketch, der von John geschrieben worden war. Ich las ihn und fand ihn nicht besonders amüsant. An jenem Abend brachte er ihn, und er räumte absolut ab. Er ließ die Zeit im Auditorium glatt stehen bleiben. Es hängt derart viel davon ab, wie du etwas bringst. Das war der wertvollste Aspekt bei The Footlights: die Kunst des Schreibens und Performens zu erlernen – durch Beobachten und Umsetzen. Die Jahres-Revue jener Saison, die zwei Wochen lang im Arts Theatre lief, war das Witzigste, was ich seit Beyond The Fringe gesehen hatte. Sie nannte sich A Clump of Plinths (etwa: Ein Klumpen von Sockeln) – ein typischer Cleese-Titel. John ragte sprichwörtlich mit Kopf und Schultern über ein großartiges Ensemble hinaus. Im Gegensatz zu den anderen ließ er sich nie anmerken, dass er witzig sein wollte. Er war immer total ernst, der Trockenste unter den Staubtrockenen. Ich schaute mir das voller Freude an. Die Show ging auf Tour durchs Königreich und wurde dann von Michael White übernommen. Der brachte es im West End unter dem Titel Cambridge Circus heraus. Zu jener Zeit war ein langer, schlaksiger, Pfeife schmauchender Graham Chapman zum Ensemble gestoßen. Der hatte Medizin studiert und sich bereits in Richtung St. Bart’s Hospital verabschiedet, wo er dann das Studium zum vollqualifizierten Alkoholiker aufnahm. Er wurde außerdem Arzt, wovor er uns regelmäßig warnte. „Denkt immer daran, dass Ärzte nichts weiter sind als Ex-Medizinstudenten.“ Er war sehr witzig, und auf eine sehr ernste Art skurril.
Übrigens, endlich wurde auch das Kondom benutzt – und zwar nach einer Pembroke-Party, bei der mir eine belgische Garderobenfrau zeigte, wie man das aufzieht und mich liebenswürdigerweise von der Last der Zwangskeuschheit befreite, was mir klarmachte, dass so vieles im Showbusiness mit Sex zu tun hat. Dies war eine doppelte Liebenswürdigkeit, da ich bereits die heftig Ehe-anbahnende Attacke eines entschiedenen Nordlicht-Mädels der Pädagogischen Hochschule abgewehrt hatte. Die gab ihr Terrain so zögerlich wie widerwillig frei, wobei jedes Fitzelchen Kapitulation von weiteren kompromittierenden Versprechungen meinerseits begleitet wurde. Zum Glück wurde mir klar, dass ihre Strategie Sex nur nach der Hochzeit vorsah und sie bereits plante, mich ihrer Mutter daheim in Blackpool vorzustellen. Ich floh. Nach Übersee.
Im Jahr davor war ich während des Sommers 1962 zu einer Tour mit Alan Sinfield aufgebrochen, per Anhalter durch Frankreich und Deutschland – kurz bevor wir nach Cambridge gingen. Wir trugen Rucksäcke und übernachteten in Schlafsäcken auf Feldern und in halbfertigen Baustellen-Häusern. Unser optimistisches Ziel war Wien. Mit unseren Touren hatten wir bereits ziemliches Glück gehabt, als uns an der Autobahnzufahrt knapp außerhalb von Stuttgart ein junges deutsches Paar in einem schwarzen Mercedes aufpickte.
„Wo soll es denn hingehen?“
„Nach Wien.“
„Wie wär’s denn mit München?“
„Wunderbar.“
Es war eine tolle Tour, obwohl der Mann und seine ziemlich pummelige junge Frau nicht sehr viel redeten. Wir hielten zum Lunch an, und er bezahlte großzügig für alle.
„Ihr wollt nach Wien? Hey, warum bleiben wir nicht über Nacht in München, und ich bringe euch morgen nach Wien? Heute Abend kehren wir dann im Hofbräuhaus ein.“
„Hört sich toll an. Hey, danke.“
Er checkte uns in einer kleinen Pension in München ein. Zwei Doppelzimmer für eine Nacht. Eins für ihn und sein Mädel, eins für uns. Fabelhaft.
„Ich tanke nur gerade den Wagen auf und nehme euch dann zum Abendessen mit.“
„Okay.“
Wir waren so von unserem Riesenglück eingenommen, dass wir noch nicht mal unser Gepäck aus dem Wagen genommen hatten. Aber seine Freundin war ja bei uns, was sollte schon passieren?
Er kam nicht wieder.
Zwei Stunden vergingen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Wo zum Teufel ist der?“, wollten wir schließlich von der pummeligen Gefährtin wissen.
Die brach in Tränen aus.
Sie kannte ihn überhaupt nicht. Und sie war auch nicht seine Freundin. Er hatte sie in Pforzheim, kurz vor Stuttgart, aufgelesen, wo er dann anhielt, um uns aufzupicken.
„Was?“
„Scheiße.“
Er war also weg, mit unseren Rucksäcken und allem, was wir auf der Welt besaßen – den Pässen, Reiseschecks, der Kleidung, Unterwäsche, den Schlafsäcken, dem ganzen Kram.
Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Das Mädchen war in Tränen aufgelöst. Wir hatten kein Geld. Wir mussten mit dem schluchzenden Fräulein zur Polizei. Die machten sich dort Notizen und zuckten mit den Schultern. Wir mussten zur Britischen Botschaft. Aber es war Freitagabend, und vor Montag würden die nicht wieder aufmachen. Was konnten wir tun? Achselzucken. Das war’s mit der netten Pension. Wir hatten nur unsere Klamotten am Leib und überhaupt kein Geld. Drei Nächte lang schliefen wir im Freien, in den Parks und dem Münchner Bahnhof. Schließlich wurden uns am Montagmorgen von der Britischen Botschaft provisorische Pässe ausgestellt, und man gab uns ein wenig Bargeld, um nach Hause zu kommen. Wir trampten so zurück, wie wir gekommen waren, und erzählten unsere traurige Geschichte. All jenen Deutschen, die für uns anhielten, war unser Schicksal peinlich. Die brachten sich halb um, nett zu uns zu sein, gaben uns Essen aus und luden uns sogar in ihre Wohnungen ein. Pleite und ohne Gepäck schlichen wir uns nach England zurück. Wien haben wir nie zu sehen gekriegt. Trotzdem: „Schau immer auf die Sonnenseite des Lebens.“
Interessanterweise bekamen wir unsere Rucksäcke zurück. Es stellte sich heraus, dass der Mann ein norddeutscher Krimineller war – auf der Flucht von Hamburg aus und von der Polizei gesucht. Wir waren wahrscheinlich eine gute Tarnung für ihn. Am Ende schnappten sie ihn in Italien.
Unbeirrt von diesem ersten Abenteuer beschlossen wir im Jahr darauf, noch mal durch Deutschland zu trampen. Diesmal brachen wir aber etwas besser vorbereitet auf. Alan hatte ein paar Verwandte in Berlin, die uns ein Zimmer anboten, also trampten wir bis Nürnberg. Dort stellten wir uns auf die Tribüne des Reichsparteitagsgeländes, wo Hitler gestanden hatte, und ließen unsere Charlie-Chaplin-Imitationen vom Stapel. Weiter kamen wir nicht. Der einzige Weg nach Berlin führte durch das kommunistische Ostdeutschland, also buchten wir eine Busreise.
Wir hätten uns schon erstaunt fragen müssen, was da los war, als wir sofort aus dem Bus gezogen und von den ostdeutschen Grenzern rüde durchsucht wurden. Sie verhörten uns. Wohin unsere Reise denn gehen solle? Zwei englische Jungs, die nicht viel bei sich hatten – was interessierte die denn groß? Wir hatten drei Wochen lang keine Zeitung aufgeschlagen. Anscheinend waren wir die einzigen Menschen in ganz Deutschland, die absolut keine Ahnung hatten, dass Präsident Kennedy sich am kommenden Tag auf Staatsbesuch nach Berlin begeben sollte – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Ganz aus Versehen waren wir im Mittelpunkt der Welt gelandet.
Alans Verwandte nahmen uns warmherzig auf, und wir bekamen sogar Betten. Am nächsten Tag säumten wir mit Tausenden von Berlinern die Straßen, um die „Kavalkade“ vorbeiziehen zu sehen. Sechzehn Geheimdienst-Limousinen, gefolgt von siebzehn Presse-Limos. Schließlich tauchten sie auf: Konrad Adenauer, der westdeutsche Kanzler, und Willy Brandt, der legendäre Regierende Bürgermeister von West-Berlin (und spätere westdeutsche Kanzler). Sie standen beide im Fonds eines offenen Fahrzeugs und flankierten den lächelnden JFK. Ich kann mich noch gut an seinen Haarschopf erinnern – und weiß noch, wie überrascht ich über seine gesunde Ausstrahlung war. Die Deutschen spielten verrückt. Wir gingen nach Hause und schauten uns die berühmte „Ich bin ein Berliner“-Rede live im Fernsehen an. Innerhalb einer Stunde tauchten Flyer und Karten und Plakate mit diesem Slogan in den Straßen auf. Es sollte sich herausstellen, dass ihm weniger als vier Monate zu leben blieben.
Am folgenden Tag besuchte der ostdeutsche Regierungschef Walter Ulbricht Ost-Berlin. Am Tag danach schlüpften wir durch den Checkpoint Charlie: zu einer Tour durch das trostlose Paradies der Industriearbeiter, das so viel dazu beitrug, dankbar für die Segnungen des Westens zu sein. Bei uns konnte man sich theoretisch als Linker geben, ohne dafür leiden zu müssen. Wir fuhren an einer Reihe hässlicher Fünfziger-Jahre-Mietshäuser vorbei. In einiger Entfernung Hitlers Führerbunker. Und am Ende jeder Straße das gleiche Elend: The Wall – die Mauer.
Als wir wieder sicher in West-Berlin angelangt waren, stellten wir fest, dass die Pembroke Players in der Stadt waren – unsere Schauspieltruppe aus Cambridge. Sie brachten eine Inszenierung von Macbeth. Also gingen wir hin. Merkwürdig war, dass sie ein Telegramm für mich hatten. In Berlin? Es kam von den Footlights, von Humphrey Barclay. Cambridge Circus erwies sich im Londoner West End als ein solcher Erfolg, dass sie ihr Engagement beim Edinburgh Festival nicht wahrnehmen konnten. Also wollte Humphrey Barclay, dass ich es mit ihm und Graeme Garden aufführte. Ich sollte mich umgehend zu Proben in Cambridge einfinden!
4 SHOWBUSINESS!
Sommersemester in Cambridge. Immer die beste Saison. Die Colleges hatten geschlossen, und jede Menge Mädchen liefen dort in ihren Sommerkleidchen herum. Das exquisite Pärchen Gita und Sonny Mehta hielt Hof – in ihrer mondänen Bleibe, die voller Bücher steckte. (Er sollte später ein distinguierter Publizist bei Picador in London und bei Knopf in New York werden, sie eine angesehene Autorin.) Gleichzeitig hauste ich während der dreiwöchigen Proben des Footlights-Clubs in einem winzigen Zimmer über einem miefigen Restaurant.
Edinburgh war der Hammer. Wir kampierten alle in einer Wohnung im sechsten Stock, ohne Fahrstuhl, nur kaltes Wasser. Aber endlich war das hier Showbusiness! Im zarten Alter von zwanzig Jahren hatte ich meinen ersten Fernsehauftritt: mit Humphrey Barclay beim Festival Special des Scottish TV. Wo ich einen John-Cleese-Sketch brachte. War ja klar …
Footlights ’63 war eine Sensation, ausverkauft. Hauptsächlich, weil wir all die besten Sketche vom West-End-Erfolg der Footlights hatten. Harold Hobson von der Sunday Times meinte: „Sie ziehen so mühelos Bewunderung an wie Blumen die Sonne locken.“ Das war nett von ihm, denn am nächsten Abend brachten wir ihn fast um: Sämtliche Kulissen krachten zusammen, als sich bei der Weltpremiere von Henry Millers einzigem Theaterstück Wild About Harry (Wild About Harry – Ein Koch spielt verrückt) die Drehbühne nicht drehen mochte. Dieses legendäre Desaster hatte all diese Londoner Kritiker nach Edinburgh gelockt.
Der Cambridge Amateur Dramatic Club hatte nämlich herausgefunden, dass Henry Miller mal ein Theaterstück geschrieben hatte, das nie zur Aufführung kam. Und nichts konnte ihn davon abhalten, eine Weltpremiere dieses Stückes beim Edinburgh Festival zu präsentieren. Sie beschlossen – typisch Cambridge –, eine alte Baptistenkirche in ein modernes Theater umzuwandeln, Drehbühne inklusive. Sechs Wochen lang sägten und hämmerten extrem vollbärtige Kerle herum. Aber zum Premierenabend war klar, dass weder das Theater noch die Bühne fertig waren. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als zu verschieben. Da sie ja aus Cambridge waren, hatten sie das schon eingeplant. Sie hielten eine Pressekonferenz ab und gaben bekannt, dass ein regionales Kontrollgremium (das in Schottland Theaterstücke und öffentliche Aufführungen zensierte) „sehr geringfügige Änderungen“ verlange. Diese hätten sich aber als derart ungeheuerlich herausgestellt, dass sie es notwendig machten, zunächst Henry Miller selbst zu kontaktieren, um herauszufinden, ob der die überhaupt erlaube.
Die Kontaktaufnahme mit Henry Miller in Kalifornien verzögerte sich. Als man ihn schließlich erreichte, war der nicht nur überrascht, dass überhaupt jemand sein Stück aufführte. Er hatte außerdem keinerlei Einwände, was immer sie damit anstellen wollten. Also das war in Ordnung. Ein für Cambridge typischer perfekter Sturm im Wasserglas. Sie konnten loslegen. Schlagzeilen wurden verfasst, Tickets verkauft, und das Stück konnte am kommenden Tag aufgeführt werden. Nur passierte dies nicht. Die erste Szene lief noch sicher genug durch: Graeme Garden und ich – unter all diesen Mimen für das Stück gekapert – wechselten ein paar Worte mit einer speziell engagierten winzigen Person, während wir vorgaben, ein Apartment in San Francisco anzustreichen. Also gut, sie war weiblich und spielte jemand Männlichen. Es ist aber auch gar nicht leicht, so Kurze so kurzfristig für Amateur-Produktionen ungewollter Henry-Miller-Stücke aufzutreiben. Und Cambridge war schon immer berüchtigt für einen laxen Umgang mit Genderfragen. Und das ist auch prima so. Also, so weit, so gut – das Publikum applaudierte pflichtschuldigst. Aber der Traum vom Theater endete zur selben Zeit wie diese Szene. Die Drehbühne verweigerte die Drehung. Zwanzig Minuten vergingen. Mit Stoßen, Schieben, Wuchten und Fluchen. Egal wie viele Stoßer, Schieber, egal wie viele Wuchter und Flucher, die Bühne blieb felsenfest in ihrer Position arretiert. Die Akteure der nächsten Szene blieben felsenfest in den Kulissen. Am Ende schlingerte die Drehbühne nach einem letzten verzweifelten Wuchten. Die schweren Platten begannen zu vibrieren und krachten dann langsam wie Dominosteine runter. Die Theaterkritiker rannten alle um ihr Leben die Seitengänge hoch. Den armen Harold Hobson ließen sie in seinem Rollstuhl alleine in der ersten Reihe sitzen. Henry Millers einziges Stück war mausetot. Diese Show überlebte nur einen einzigen Abend, aber mit unserer Revue sah das völlig anders aus. Wir wurden der große Hit.
Natürlich checkten wir aus, wie sich unsere Rivalen bei der Oxford-Revue so machten. Während wir auf der Bühne aufgeweckt und locker wirkten, kamen die kühl und süffisant rüber. Außerdem hatten sie Mädels. Arschlöcher. Sie machten ein spezielles Projekt: ihre „Rejects Night“ – den „Ausschuss-Abend“ –, in den sie jene Sketche packten, die es nicht so richtig brachten. Die probierten sie dann vor Publikum aus, nach der Hauptaufführung. Das hieß, dass wir da nach unserer eigenen Vorstellung hinkonnten – und dort begegnete ich dem wunderbaren, witzigen Terry Jones. Dunkelhaarig, Pokerface, attraktiv, mit dem Aussehen des Kinostars Anthony Newley. Auch er brachte eine erstaunliche Ernsthaftigkeit in alles, was er präsentierte. Und das galt auch für das Singen eines Liedes.
Ich war Miss World von 1907 bis twenty-four …
Ich war Miss World, wunderbare belle amour …
Die Transgender-Anspielung war mir dabei keine Sekunde lang klar, aber die Tatsache, dass das Alter bedeuten sollte:
No one wants to see me, anymore
Niemand will mehr ein Date mit mir,
die beklagte ich zutiefst.
Terry sollte im folgenden Sommer die Hauptrolle in der Oxford-Revue Hang Down Your Head and Die (Häng deinen Kopf rein und stirb) im West End spielen, einer bitteren Polemik gegen die Todesstrafe. Oxford war eben immer viel ernster in allem.
Ein Jahr später begegnete mir 1964 in Edinburgh der unvergessliche Michael Palin, der beim Oxford-Ensemble zu Terry Jones gestoßen war. Das erste Mal sah ich ihn auf der Bühne, und er verschlug mir total die Sprache. Er brachte einen ausufernden Charaktermonolog über einen alten Darsteller aus dem Norden. Der kam raus, um seine fürchterliche Vorstellung mit einem entsetzlichen Song zu beginnen. Um dann festzustellen, dass neben ihm ein großes, in Geschenkpapier gewickeltes Präsent lag. Er versuchte, das zu ignorieren, schaffte es aber nicht. Mitten im Song hörte er auf, um sich das anzuschauen. Er las laut vor, was auf dem Kärtchen stand:
„Für Mikey, in Liebe von den Zuschauern.“
Er war überwältigt.
„Oh, all ihr Menschen. Ich bin gerührt. Ich bin sprachlos. Dies ist so etwas Besonderes für mich. Ich hatte schon befürchtet, mit meiner Darbietung sei es vorbei. Dass es die Leute nicht mehr interessiert. Dass ich irgendwie zu alt sei und niemand sich an mich erinnert. Aber nun dies. Von Ihnen. Dem Publikum. Das bedeutet so viel für mich. Nun, das Einzige, was ich tun kann, um mich bei Ihnen zu bedanken, ist meinen Song für Sie zu singen: „Wenn Liebe dein Herz zerbricht – in Millionen winziger Scherben …“
Mit Tränen in den Augen, kaum in der Lage, sich zu beherrschen, begann er zu singen:
Wenn Liebe dein Herz zerbricht, in Millionen winziger Scherben …
Rumms. Das Präsent explodierte.
Sein Gesichtsausdruck, als er da so still von der Bühne humpelte, war einfach brillant. Und das ist es, was Michael Palin ausmacht. Er schreibt lebensnahe Charakter-Sketche und spielt sie mit echter Emotion. Das Schreibtalent Michaels wurde mir so richtig bewusst, als ich Spamalot für die Bühne umschrieb, aus The Holy Grail (Die Ritter der Kokosnuss). Mir machte es Spaß, Mikes Schreibstil da reinzubringen, denn er lässt sich stets von seinen Charakteren leiten.
„Was? Auf einem Pferd geritten? Ihr verwendet doch Kokosnüsse. Kickt die …“
„Eines Tages, mein Junge, wird dies alles einmal dir gehören.“
„Was, die Vorhänge?“
„Nicht die Vorhänge, mein Junge.“
Auch wenn das unbewusst geschah: Bis zum September 1964 lernten sich sämtliche zukünftigen Pythons kennen – und bewundern (bis auf den amerikanischen Animateur als Joker).
5 WIEDERSEHEN MIT GATESHEAD
Ohne drohende Abschlussprüfungen war das zweite Cambridge-Jahr das reinste Vergnügen. Nach Edinburgh waren wir die großen Stars der Footlights, und wir machten sogar Gewinn. An jedem Wochenende kurvten Graeme Garden und ich in unseren Dinner-Jackets durch’s Land. Wir hatten David Gooderson im Schlepptau, jenen Kerl, der durch eine Ein-Mann-Show berühmt wurde, bei der er das Publikum zahlenmäßig übertraf, sowie Jim Beach als unseren Pianisten. Wir machten Cabaret – bei Jägerbällen, Maibällen, Debütantinnen-Bällen und sozialen Events der High Society. Aus den üblichen zwei Vorstellungen pro Wochenende nahmen wir fünfundzwanzig Pfund pro Woche für uns vier ein, also für drei Akteure und einen Pianisten. Ordentliches Geld in jenen Tagen. Woher wissen wir, dass einige Menschen durch unser ganzes Leben hindurch wieder auftauchen? Jim war unwiderstehlich. Heute managt er Monty Python. Und Queen. Jim war bei unserer Edinburgh Show Footlights ’63 der Bandleader, und er leitete viele Jahre lang die Autocrats, eine „debs’ delight“-Band (also „der Debütantinnen Pläsier“). Dort saß Peer von The Realm am Schlagzeug.
Mir war schon zu Anfang meines ersten Cambridge-Jahres klar geworden, dass ich keine Vorlesungen besuchen musste. Sie wollten unsere Meinungen