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Die ideale Umwelt für den menschlichen Körper ist ein mildes Klima am Meer. Doch die meisten Menschen leben unter anderen Bedingungen. Oder setzen sich extremen Umwelten aus, steigen auf Berge, tauchen, fliegen ins Weltall - und überleben dabei Belastungen, die lange unmenschlich waren. Hanns-Christian Gunga untersucht die Auswirkungen von Hitze und Kälte, aber auch von Schichtarbeit und Langstreckenflügen auf den Körper. Er macht deutlich, dass der Anpassung des Menschen an veränderte Umwelten enge physiologische und psychologische Grenzen gesetzt sind; gleichzeitig verändert sich das Klima. Daraus entsteht ein biologischer, aber auch ein politischer Konflikt: Der menschliche Körper passt immer weniger in unseren Lebensraum. x
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Seitenzahl: 186
Hanns-Christian Gunga
Am Tag zu heiß und nachts zu hell
Was unser Körper kann – und warum er heute überfordert ist
Mit Illustrationen von Mona Leinung und Johanna Willke
Die ideale Umwelt für den menschlichen Körper ist ein mildes, ausgeglichenes Klima am Meer. Doch die meisten Menschen leben heute unter gänzlich anderen Umweltbedingungen: in überfüllten, lärmenden, zunehmend heißen Städten, südlich der Sahara, in Arabien oder Asien. Andere – insbesondere aus den Industrieländern – setzen sich willentlich extremen körperlichen Belastungen aus. Sie steigen auf Berge, sie tauchen Apnoe, sie fliegen ins Weltall, springen von Klippen oder aus der Stratosphäre. Doch wie viel hält der Körper aus? Wo sind die Grenzen?
Hanns-Christian Gunga erklärt, wie weit sich der Mensch aus evolutionsbiologischer Sicht an unterschiedliche Umwelten anpassen kann. Er beschreibt anhand von Fallbeispielen, was der menschliche Körper kann, was nicht und welchen Risiken er in der Zukunft ausgesetzt ist. Er erläutert die Grenzen des menschlichen Lebensraums und untersucht die Auswirkungen moderner Umweltbedingungen wie beispielsweise Schichtarbeit, Vereinsamung oder Überbevölkerung auf den Körper.
Das Buch macht deutlich, dass der Anpassung des Menschen an extreme Umwelten auf der Erde – und erst recht im All – enge physiologische und psychologische Grenzen gesetzt sind. Daraus entsteht ein biologischer, aber auch ein dramatischer gesellschaftspolitischer Konflikt, der durch den globalen Klimawandel noch beschleunigt wird.
Hanns-Christian Gunga, geboren 1954, lehrt und forscht als Universitätsprofessor für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Charité in Berlin. Der Mediziner, Geologe und Paläontologe ist stellvertretender Direktor des Instituts für Physiologie. Er hat als Wissenschaftler zahlreiche Forschungsreisen nach Nord- und Südamerika, Asien, Afrika und in die Antarktis unternommen und verschiedene internationale Raumfahrtmissionen begleitet.
2018 war das wärmste Jahr im Temperaturdurchschnitt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Im Mittel lagen die Lufttemperaturen circa zwei Grad Celsius über den Temperaturen, die in den vergangenen 50 Jahren in Deutschland gemessen wurden. Die Landwirtschaft wies drastische Einbußen auf, und Waldbrände hielten in ganz Deutschland die Bevölkerung in Atem. Und auch dieser Sommer war europaweit von extremer Hitze geprägt. Im Juni hatten wir den heißesten je für diesen Monat aufgezeichneten Tag.Bilder von ausgetrockneten Flüssen und schrumpfenden Gletscherzungen in den Hochgebirgen Europas verstärken den Eindruck einer dramatischen Entwicklung. Das gute Wetter macht viele misstrauisch. Kein Wunder also, dass diese klimatischen Jahrhundertereignisse das Bewusstsein für die Folgen eines Klimawandels geschärft haben; dass das Thema nun die gesellschaftliche Debatte und auch die Politik bestimmt.
Diese nicht endenden Sonnentage haben uns vor Augen geführt, dass auch der Mensch mit seiner Physiologie für höhere Umgebungstemperaturen nicht geschaffen ist. Vielen ist es im Sommer in Deutschland schlicht zu heiß – und erst recht in Frankreich, wo in Gallargues-le-Montueux mit 45,9 Grad Celsius am 28. Juni 2019 nach Angaben des französischen Wetterdiensts die höchste Temperatur im Land seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen wurde. Und wenn schon in Nordeuropa vor allem ältere Menschen wegen der Hitze Hilfe bei Ärzten suchen oder in die Notaufnahmen eingeliefert werden mussten, wird deutlich, dass die bisher scheinbar geringen Klimaveränderungen in anderen Regionen der Welt noch viel katastrophalere Auswirkungen haben werden. In Afrika, südlich der Sahara, wo 320 Millionen Menschen leben, sind die Temperaturen in den Sommermonaten schon heute im Grenzbereich dessen, was ein Mensch ertragen kann. Insbesondere dann, wenn er gleichzeitig schwere körperliche Arbeit in einer heißen und feuchten Umgebung verrichtet. Unter diesen Umweltbedingungen steigt die physische Belastung exponentiell und überfordert selbst eine an die Verhältnisse angepasste Bevölkerung. Die Menschen in dieser Region werden gezwungen sein, entweder ihre Arbeitszeit am Tag merklich zu verkürzen oder physische Arbeiten in die frühen Morgen- oder Abendstunden zu verlegen – was in Afrikas Subsistenzwirtschaft kein Überleben sichern kann. Damit ist leicht nachvollziehbar, welche Auswirkungen ein Klimawandel auf die Ernährungssituation, auf die gesellschaftlichen Systeme und die daraus resultierenden Migrationsbewegungen haben wird: Der Klimawandel verkleinert den Lebensraum des Menschen – weil er den menschlichen Körper überfordert.
Doch das Klima stellt bei weitem nicht die einzige Überforderung dar. In den Metropolen dieser Welt, wo seit 2008 erstmals mehr Menschen leben als auf dem Land, wirken räumliche Enge und allgegenwärtiges Licht unseren natürlichen Bedürfnissen entgegen. Schichtarbeit und Flugreisen über mehrere Zeitzonen hinweg bringen unseren Rhythmus durcheinander. Die Auflösung familiärer Strukturen führt zu sozialer Vereinsamung. Gleichzeitig suchen wir selbst die körperliche Überforderung: Wir tauchen in die Tiefe, steigen auf Berge und veranstalten eine Fußball-WM in Katar, wo es viel zu heiß ist für ein solches Sportturnier. Wir essen zu viel und hungern danach, wir nehmen Drogen und bringen unseren Körper so aus dem Takt, wir optimieren und tätowieren ihn, und statt zu schlafen, schauen wir auf Bildschirme: Unser Körper muss sich immer auch den veränderten sozialen Umwelten anpassen.
All diesen Formen körperlicher Leistungsfähigkeit, aber eben auch der Überforderung unseres Körpers wird in dem vorliegenden Buch nachgegangen, einschließlich der Frage, ob wir, wenn es zu ungemütlich auf der Erde werden sollte, körperlich in der Lage wären, auf einem anderen Planeten wie dem Mars weiterzuleben.
Die Grenzen des Körpers sind die Grenzen des Menschen – und dieses Buch handelt von Menschen in physischen und psychischen Extremsituationen. Die Physiologie ist die Wissenschaft und die Lehre vom Leben, von den normalen Lebensvorgängen und insbesondere von den physikalischen Funktionen des Organismus. Letztere werden unter anderem durch Umwelteinflüsse wie Temperatur, Druck und Schwerkraft beeinflusst. Hinzu kommt, dass es besonders in Extremsituationen entscheidend sein kann, wie eine Belastung empfunden wird. So wird eine physiologische Fragestellung gleichermaßen zu einer psychologischen: Wie wirkt sich Einsamkeit, das Alleinsein, physiologisch auf den Menschen aus?
Den Kapiteln sind unterschiedliche Beispiele von Extremerfahrungen vorangestellt, die sich mit dem Leben und Überleben in einer spezifischen extremen Umwelt beschäftigen. Das kann die Arktis sein, der Weltraum, die Wüste, das Meer oder andere lebensfeindliche Umgebungen. Mit ihrer Hilfe werden die physiologischen Grundlagen des Körpers beschrieben. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Soll es auch nicht sein. Mein Buch soll neugierig machen und zeigen, wie eigentümlich das Leben ist und wie eigentümlich es gerade unter Extrembedingungen verlaufen kann.
Am 18. März 1943 tauft die Crew des 514. Bombergeschwaders der United States Army Air Forces ihren B-24D Liberator Bomber auf den Namen Lady Be Good – nach dem gleichnamigen Musical von Ira und George Gershwin. Ort des Geschehens: die Flugbasis in Soluch nahe Benghazi in Libyen. Wenige Tage darauf, am Nachmittag des 4. April, startet die Crew zu ihrem ersten Einsatz in Richtung Neapel. An Bord sind Pilot William Hutton, Copilot Robert Toner, Navigator Dp Hays, Bomberschütze John Woravka, Flugingenieur Harold Ripslinger, Funker Robert LaMotte und die Schützen Guy Shelley, Vernon Moore und Samuel Adams. Die Witterungsverhältnisse sind jedoch so widrig, dass die Crew kurz vor dem Ziel umkehren muss. Sie wirft die Bomben über dem Mittelmeer ab und fliegt zur Basis zurück. Das Unwetter erschwert die Navigation. Funker LaMotte versucht mehrmals, Kontakt zur Basis aufzunehmen. Vergeblich. Warum, bleibt unklar. Die Maschine fliegt in der Nacht über den Stützpunkt Soluch hinweg in die Libysche Wüste. Als die Tankreserven zur Neige gehen, beschließt die Crew, ihren Bomber aufzugeben. Um zwei Uhr nachts legen die Männer ihre Fallschirme an und landen unverletzt am Boden, nur von Woravka fehlt jede Spur. Zu diesem Zeitpunkt ist die Maschine bereits 650 Kilometer über ihr Ziel hinausgeflogen. 25 Kilometer weiter stürzt das Flugzeug führerlos in den Sand der Wüste. Die Air Base vermutet den Absturz der Maschine über dem Mittelmeer und sucht dort ohne Erfolg. 1958, fünfzehn Jahre später, sichtet ein Geologen-Team bei einem Erkundungsflug über Libyen Spuren und Wrackreste in der Sandwüste von Calanscio. Doch erst ein Jahr darauf wird die Fundstelle untersucht: Es ist die vermisste Lady Be Good. Das Untersuchungsteam stößt auf ein voll funktionsfähiges Bugrad und auf ein Maschinengewehr Kaliber 50, das bei Betätigung des Abzugs prompt losfeuert. Außerdem auf Fallschirme, ein intaktes Funkgerät, Wasserbehälter und eine halbvolle Kanne mit Kaffee. Einige Monate später entdeckt ein Ölsuchtrupp etwa 130 Kilometer nördlich der Absturzstelle sechs Leichname im Wüstensand: Es sind die sterblichen Überreste von Hutton, Toner, Hays, Ripslinger, LaMotte, Shelley und Adams. Woravkas Leichnam wird später an anderer Stelle gefunden, offenbar hatte sich sein Fallschirm nicht vollständig geöffnet. Beim Copiloten Toner und beim Flugingenieur Ripslinger findet der Suchtrupp handgeschriebene Tagebücher, die detailliert Aufschluss geben über die letzten acht Tage der Crew und ihren verzweifelten Überlebenskampf in einer extremen Umgebung – der Wüste.
Dies war Toners letzte Eintragung. Vermutlich verstirbt er noch am selben Tag. Ripslinger, Moore und Shelley, die die Gruppe verlassen hatten, um Hilfe zu suchen, ergeht es ähnlich. Am Samstag, den 10. April, notiert Ripslinger noch: «Ganzen Tag und Nacht gewandert. Schlage vor, Guy, Moore und ich machen alleine weiter.» Am achten Tag auch hier die letzte Eintragung: «Palm-Sonntag. Versuchen noch immer, aus den Sanddünen herauszukommen und Wasser zu finden.» Ripslingers sterbliche Überreste werden 34 Kilometer vom letzten Lagerplatz dieser Gruppe entfernt gefunden, Shelleys 44 Kilometer davon. Dass die Suchtrupps die Leichname überhaupt finden konnten, hatte einen Grund: Die Männer hatten ihre Marschroute mit Kleidungsstücken und Gegenständen markiert. Sie formierten mit Hilfe ihrer Stiefel einen Pfeil und beschwerten die Stiefel mit Steinen. So lagen diese auch 17 Jahre später noch an ihrem Platz. Die detaillierte Beschreibung ihres körperlichen und geistigen Niedergangs macht die Geschichte der Besatzung der Lady Be Good zu einer eindrucksvollen Fallstudie über die Auswirkung extremer Temperaturen auf den menschlichen Körper. Und sie wirft die Frage auf, ob die Crew hätte überleben können, wenn sie sich vielleicht anders verhalten hätte. Wo liegen die Grenzen des Wasserverlustes, die ein Mensch ertragen kann? Hatten die Flieger, vollkommen unvorbereitet auf die Lage, in der sie sich wiederfanden, überhaupt eine Chance?
Die Grenzen der thermischen Belastung des Menschen werden vor allem durch zwei Faktoren bestimmt, die physikalischen Mechanismen des Wärmeaustausches und die Temperaturregulation des Menschen. Die wiederum ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel zeitgleich ablaufender physiologischer Veränderungen im Herz-Kreislauf-System, im Flüssigkeitshaushalt und in der Regulation der Körpertemperatur. Kurz gesagt funktioniert der Mensch nur bei einer Körperkerntemperatur zwischen 36 und 37,5 Grad Celsius optimal. Nicht viel Spielraum, keine zwei Grad, wenn man bedenkt, dass der absolute Nullpunkt bei –273,15 Grad Celsius liegt und im Universum bis zu viele Millionen Grad Celsius herrschen können. Die Aufgabe, die Körpertemperatur in diesem engen Bereich zu halten, hat der Hypothalamus, eine evolutionär sehr alte Region des Gehirns. Er sorgt dafür, dass ein Gleichgewicht zwischen Zufuhr von Wärme, Wärmebildung im Stoffwechsel und Wärmeabgabe besteht. Erst diese konstante Körpertemperatur ermöglicht es anderen wichtigen Systemen, wie zum Beispiel dem Herz-Kreislauf-System, ihre zentralen Aufgaben wahrzunehmen. Bereits bei einem Anstieg der Körpertemperatur auf 38 Grad Celsius leidet die Leistungsfähigkeit des Gehirns.
Sogenannte endotherme Organismen wie der Mensch haben durch einen permanent hohen Stoffwechsel eine hohe «Betriebstemperatur» und sind dadurch ständig einsatzbereit – anders als ektotherme Lebewesen wie Reptilien, deren Aktivität stark von der Umgebungstemperatur abhängt. Diese Betriebstemperatur des Menschen muss konstant bei 37 Grad Celsius gehalten werden, da Temperaturen von nur ein bis zwei Grad darüber unter anderem zur vermehrten Produktion von Sauerstoffradikalen führen, die die Zellmembranen im Körper schädigen. Geringfügige Körpertemperatursenkungen beeinträchtigen umgekehrt den Transport von Elektrolyten in die Zelle und aus ihr heraus. Das System der Temperaturregulation kann man mit einem technischen Regelkreis aus verschiedenen Gliedern vergleichen. Man kennt das von der eigenen Hausheizung. Die Regelgröße ist die Körpertemperatur, sie ist ein sich aus den lokalen Temperaturen vieler Körperstellen ergebender integrativer Wert. Bei der Hausheizung wären dies die Temperatursensoren in den verschiedenen Zimmern des Hauses. Zur Erfassung der aktuellen Körpertemperatur verfügt das Nervensystem des Menschen über zahlreiche Sensoren in der Körperschale und im Körperkern. Im vorderen Hypothalamus werden die aktuellen Temperaturen aus Körperschale und Körperkern gesammelt, zusammen verrechnet und mit dem generierten Sollwert von 37 Grad Celsius in der Schaltzentrale verglichen. Weichen Istwert und Sollwert voneinander ab, können durch das autonome Nervensystem über ableitende vegetative Nervenfasern vom Hypothalamus verschiedene Stellglieder im Regelkreis angesprochen werden. Liegt der Istwert der Körpertemperatur über dem Sollwert, werden all jene Mechanismen, die einen weiteren Anstieg der Körpertemperatur hervorrufen könnten, gedämpft: Wir hören auf zu arbeiten, wenn es draußen zu heiß wird, und legen, wie in südlichen Ländern Europas üblich, einfach eine Siesta ein. Gleichzeitig werden die Mechanismen der Wärmeabgabe verstärkt, Gefäße in der Körperschale erweitern sich, und das Schwitzen nimmt zu. Die bewussten Empfindungen, ob es einem zu warm oder zu kalt ist, werden in der Großhirnrinde etwa im sensorischen Kortex erzeugt. Dieser erhält Erregungen aus dem Körperinnern sowie der Körperschale. Die ideale Umgebungstemperatur für den Körper ist 21 Grad (angezogen) oder 28 Grad Celsius (nackt): Dann muss er am wenigsten Energie investieren, um den Wärmehaushalt zu regulieren.
Schon geringfügige Veränderungen der Körperkerntemperatur fordern den Körper unverzüglich zu Gegenmaßnahmen auf. Die hierfür zur Verfügung stehenden autonomen Mechanismen – also jene Abläufe, die wir nicht willentlich beeinflussen können – sind überschaubar: der «innere Wärmetransport» und der Wärmeaustausch mit der Umgebung. Bei Wärmebelastung werden Hautgefäße durch Botenstoffe und Nerven geöffnet. Die Durchblutung wird erhöht, und die Haut rötet sich. Bei Kälte hingegen werden die Gefäße geschlossen, die Haut ist blass, und die Wärmeverluste werden durch den Verschluss vermindert. Wichtig für die Regulierung der Körpertemperatur sind spezielle Schleusen in den Blutgefäßen, die das tiefe und oberflächliche Gefäßsystem verbinden. So funktioniert der Wärmetransport vom Körperkern – dazu gehören Leber, Nieren, Herz, Lunge und Gehirn – zur Körperschale, der Haut, zum Beispiel zu den Handinnenflächen, zu den Ohren oder Füßen: Die zunehmende innere Wärmeproduktion durch körperliche Arbeit oder sommerliche Hitze führt zu einer verstärkten Hautdurchblutung an Körperteilen, die eine relativ große Oberfläche bei geringer Masse aufweisen. Sie sind in der Lage, ihre Durchblutung besonders gut zu drosseln oder zu steigern, je nach Bedarf. Wenn man so will, sind sie die Fenster unseres Körpers. Diese Körperteile können ihre Durchblutung extrem variieren und so die abgegebenen Wärmemengen regulieren. Die Finger können hierfür ihre Durchblutung um das 600fache steigern – kein Wunder, dass man den Ring dann kaum noch vom Finger bekommt.
Physikalisch gesehen stehen für den Wärmeaustausch mit der Umgebung vier Mechanismen zur Verfügung: Konvektion, Konduktion, Strahlung und Evaporation (Abbildung 1). Die Konvektion ist der Wärmetransport mit Hilfe eines bewegten Mediums Luft oder Wasser. Blut als bewegtes Medium im Körper übernimmt konvektiv den Wärmetransport von den Muskeln zur Haut; die vom Copiloten Toner im Tagebuch Wüste beschriebene «Kühle Brise von Nordwesten» ist genau dieser effektive konvektive Wärmetransport von Luft. Konduktion hingegen ist Wärmeleitung in einem ruhenden Medium. Die Wärme wird hier von Atom zu Atom weitergegeben. Im Körper findet der konduktive Wärmetransport im Gewebe statt. Außerhalb des Körpers dort, wo der Körper in direktem Austausch mit Oberflächen und Gegenständen ist: Wenn Sie jetzt bequem auf einer Couch liegen sollten, dann findet Konduktion dort statt, wo Sie mit Rücken und Beinen im Kontakt zum Polster sind. Unangenehmer wird es, wenn konduktiver Wärmetransport am Bügeleisen erfolgt. Dann werden große Wärmemengen von außen in kurzer Zeit der Haut zugeführt, und es kommt unweigerlich zu Verbrennungen mit Blasenbildung. Aber in der Regel ist unsere Umgebung kühler als unsere Körperoberfläche, und so können wir unsere überschüssige Wärme an die Umgebung abgeben. Die so abgeführten Wärmemengen beim ruhenden Menschen lassen sich relativ gut abschätzen. Pro Quadratmeter Hautoberfläche und pro Grad Celsius Temperaturdifferenz zwischen Haut- und Umgebungstemperatur werden circa drei Watt abgegeben. Bei einer Umgebungstemperatur von 25 Grad Celsius und einer Hauttemperatur von 33 Grad ergeben sich 24 Watt/Quadratmeter. Für die gesamte 1,7 Quadratmeter große Körperoberfläche eines Erwachsenen entspricht dies der Energie einer Glühbirne.
Der dritte Mechanismus des Wärmeaustauschs ist die Strahlung: Jeder Stoff mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt sendet elektromagnetische Strahlung einer bestimmten Wellenlänge aus. Kurze Wellenlängen werden von heißen Objekten abgestrahlt, lange Wellenlängen von kühleren (Abbildung 4). Die ausgestrahlte Wellenlänge hängt also von der Oberflächentemperatur ab. Da Menschen und Tiere im gesamten Temperaturspektrum relativ kühle Objekte sind, strahlen sie im langwelligen Bereich, dem Infrarot. Wie kann man sich die Strahlung und die Strahlungsverluste des Körpers besser verständlich machen? Vielleicht so: Legen Sie das Buch aus der Hand und führen Sie die Handinnenflächen an Ihre Wangen bis auf einen Zentimeter Abstand. Halten Sie die Hände in dieser Stellung. Sie werden bemerken: Es wird zunehmend warm. Dieses Gefühl wird dadurch hervorgerufen, dass die Luft im Raum zwischen den Handinnenflächen und den Wangen weitgehend gefangen ist. Die Hautoberflächen strahlen im Infrarotbereich und erwärmen rasch die Luft im Zwischenraum. Wärmefühler (-rezeptoren) in der Haut im Wangen- und Handbereich erfassen die Temperaturänderung. Diese Rezeptoren liegen 500 bis 1500 Mikrometer tief in der Lederhaut und sind unterschiedlich dicht über den Körper verteilt. Unter Ruhebedingungen bei 20 bis 25 Grad Celsius Umgebungstemperatur gibt der Mensch mehr als die Hälfte seiner gesamten Wärmeproduktion in Form dieser Infrarotstrahlung ab. Bei höherer Umgebungstemperatur nimmt der Anteil des Wärmeverlusts durch Strahlung kontinuierlich ab. Ist die Hauttemperatur gleich der Umgebungstemperatur, kann auf diesem Weg dem Körper keine Wärme mehr entzogen werden.
Der vierte Wärmetransportmechanismus des Menschen ist das Schwitzen (die Evaporation oder perspiratio sensibilis). Durch diese Wasserverdunstung auf der Hautoberfläche kann dem Organismus Wärme entzogen werden. Bei dem Übergang von einem flüssigen in einen gasförmigen Zustand, hier Wasserdampf, wird Energie benötigt. Bei vollständiger Verdunstung reicht eine Schweißmenge von rund 2 Gramm/Minute aus, um die gesamte beim Grundumsatz des erwachsenen Menschen entstehende Wärme abzuführen. Da der erwachsene Mensch pro Quadratmeter Körperoberfläche maximal 10 bis 15 Gramm/Minute Schweiß produzieren kann, ist die Evaporation, das Schwitzen, der zentrale Mechanismus der Wärmeabgabe. Bei schwerer körperlicher Arbeit können bis zu 90 Prozent der anfallenden Körperwärme über diesen Mechanismus an die Umgebung abgegeben werden. Die Evaporation funktioniert allerdings nur, wenn der von den Schweißdrüsen erzeugte Wasserdampfdruck größer ist als der Wasserdampfdruck in der Umgebung. Im schwül-warmen tropischen Klima oder im Dampfbad kann deshalb der Schweiß nicht verdampfen. Er sammelt sich an der Hautoberfläche und tropft einfach zu Boden. Es kommt zu keiner Kühlung durch Evaporation. Ist hingegen die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung niedrig, wie im Wüstenklima, kann der Mensch kurzfristig auch extrem hohe Lufttemperaturen und eine hohe Wärmezufuhr aushalten. Voraussetzung ist natürlich, dass der Körper über genügend Flüssigkeit verfügt.
Denn nicht nur über die Schweißdrüsen, auch über die Atmung verliert der Mensch Flüssigkeit. (Da man diese Flüssigkeitsverluste nicht merkt, bezeichnet man sie wissenschaftlich auch als perspiratio insensibilis.) Die Verluste entstehen dadurch, dass der Körper die Einatmungsluft, die in der Regel ziemlich trocken ist, mit eigenem Körperwasser in den Lungen anfeuchten muss. Das Lungengewebe muss feucht sein, um den Gasaustausch in der Lunge mit dem Blut sicherzustellen. Atmet der Mensch die angefeuchtete Atemluft aus, geht ihm Flüssigkeit verloren. Bei angenehmen Umgebungstemperaturen von 25 Grad Celsius beträgt dieser Wasserverlust über die Atmung ungefähr 20 bis 30 Milliliter pro Stunde oder immerhin 400 bis 600 Milliliter/Tag. In extremen Höhen über 5000 Meter kann für einen Bergsteiger – bedingt durch die sehr trockene Höhenluft und die gesteigerte Atmung aufgrund des Sauerstoffmangels – diese Form des Flüssigkeitsverlusts durchaus mehrere Liter pro Tag betragen und der Hauptgrund für die Austrocknung des Körpers beim Höhenaufenthalt sein.
Schwitzen ist eine geniale Erfindung in der menschlichen Evolution. Kein anderes Säugetier kann so gut schwitzen wie der Mensch. Im Schwitzen liegt vermutlich auch ein Grund, warum wir anders als unser nächster Verwandter, der Schimpanse, das ‹Haarkleid› verloren haben: Nackt lässt es sich noch besser schwitzen. Der Verlust einer dichten Körperbehaarung begann bereits vor rund 500000 Jahren. Die verbliebene Kopfbehaarung dient weiterhin als Schutz des Gehirns vor direkter Sonneneinstrahlung, während das nur noch dünne, flaumartige Körperhaar inzwischen eine andere Funktion erfüllt: Diese Härchen sind feinfühlige Sensoren für Fremdkörper oder Ungeziefer auf dem Körper. Der aufrechte Gang, ein leistungsfähiges Herz-Kreislauf-System und diese schnell aktivierbaren Schweißdrüsen, die uns vor Überhitzung schützen, sind wesentliche Errungenschaften in der Evolution des Menschen. Diese Faktoren verleihen uns einen außerordentlichen Vorteil gegenüber anderen Lebewesen: die Ausdauer. Menschen verfügen – im Allgemeinen – nicht über große Kraft in Armen und Beinen, haben keine scharfen Krallen, kein großes, gefährliches