14,99 €
Bei dieser Gameshow überlebt nur, wer das beste Versteck findet ... für alle Fans von »Squid Game«! Die Challenge: eine Woche lang in einem verlassenen Freizeitpark versteckt bleiben, ohne gefunden zu werden. Der Gewinn: genug Geld, um sein Leben zum Besseren zu verändern. Obwohl alle Teilnehmenden unbedingt gewinnen wollen, ist sich Mack sicher, dass sie siegen kann. Im Verstecktbleiben ist sie ein Profi: Das ist der Grund, warum sie noch lebt und ihre Familie nicht. Doch als die anderen nach und nach verschwinden, wird Mack klar, dass mit dieser Gameshow etwas nicht stimmt. Vielleicht ist der einzige Weg, ihrer aller Leben zu retten, aus den Verstecken zu kommen und gemeinsam zu kämpfen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Entdecke die Welt der Piper Fantasy!
www.Piper-Fantasy.de
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Amazement Park« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Kerstin Fricke
© Kiersten Brazier 2022
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Hide« bei Del Rey, New York, 2022
© Piper Verlag GmbH, München 2023
Redaktion: Catherine Beck
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Scott Biel
Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Cover & Impressum
Widmung
Der Amazement Park wurde …
Man braucht Geld …
Vierzehn Teilnehmer …
Vierzehn müde Augenpaare …
Tag eins
Mack überprüft noch einmal …
Tag zwei
Mack wird schon …
Tag drei
Atrius bricht noch vor …
Tag vier
Es ist die Spinne, …
5. Juli 1925
10. Juli 1925
13. Juli 1925
14. Juli 1925
15. Juli 1925
16. Juli 1925
17. Juli 1925
18. Juli 1925
22. Juli 1925
25. Juli 1925
30. Juli 1925
15. August 1925
21. Juli 1925
15. Juli 1926
15. Juli 1930
15. Juli 1932
22. Juli 1932
22. Juli 1939
Ian schaltet die Taschenlampe …
Tag fünf
Der Scheinwerfer ist …
1. Juli 1946
22. Juli 1946
15. Juli 1947
23. Mai 1948
22. Juli 1953
22. Juli 1974
1. Juli 1981
22. Juli 1981
22. Juli 1988
22. Juli 1995
1. Februar 2000
1. Januar 2002
22. Juli 2002
22. Juli 2009
12. Juli 2016
10. Juli 2023
Die Dämmerung senkt …
Tag 6
Die Sonne geht
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
An die jüngsten Generationen, denen wir die Aufgabe übertragen haben, uns alle zu retten:
Diese Last hätte nicht auf euren Schultern landen sollen. Es tut mir so leid.
Der Amazement Park wurde 1953 eröffnet.
»Verliert euch im Spaß!«, warben die Poster, und genau so war es: Menschenmengen strömten morgens durch die Tore und taumelten erst wieder heraus, als die Sonne bereits untergegangen war und die Scheinwerfer am Ausgang sie hinausgeleiteten. Es gab keine Karten und keine Übersichtspläne. Dieser Park sollte einen verschlucken. Das Gelände war dicht bewachsen, die Bäume ragten hoch in den Himmel. In Formen geschnittene Hecken säumten jede Mauer und jeden Pfad und ließen alles nur noch wundersamer wirken. Achterbahnen, Schaukeln, Karussells, Spiele, diverse Attraktionen, die zum Lachen oder Gruseln einluden – doch das Haus in der Mitte war stets wegen Renovierung geschlossen.
Der Park hatte von Mitte Mai bis Anfang September geöffnet. Nur Weiße stand in den ersten Jahren auf den Schildern, wurde jedoch nur noch angedeutet, als man so etwas nicht mehr offiziell sagen durfte. Alle sieben Jahre konnte man den Park eine Woche lang kostenfrei besuchen. Die Tore standen weit offen, und die Sommerwanderarbeiter und entfernten Verwandten der wohlhabenden Stadtbewohner, die normalerweise zu arm waren, um sich etwas leisten zu können, das allein der Unterhaltung diente, strömten staunend herbei. Es gab keine Ticketverkäufe, keine Zutrittsbegrenzungen, nur einen herrlich vollen Park.
1974 beschloss ein bedeutender Geschäftsmann aus dem Hinterland, den Park während der kostenfreien Woche zu besuchen. Er kam nicht auf Einladung, dachte jedoch darüber nach, zu investieren, da einem seiner entfernten Verwandten der Park gehörte. Nun wollte er sich die Attraktionen zum ersten Mal mit eigenen Augen ansehen und reiste mit seiner Frau und den beiden Kindern an, um dort Urlaub zu machen.
Seine fünfjährige Tochter verschwand spurlos.
Einer der Saisonarbeiter wurde bezichtigt, sie ermordet zu haben, und verhaftet, aber die negative Publicity hinterließ einen Makel, der sich nicht mehr tilgen ließ. Daraufhin wurde der Amazement Park geschlossen.
Irgendwann wuchs ebenso Gras über die Gerüchte, wie die Natur nach und nach Gebäude, Fahrgeschäfte und Achterbahnen überwucherte. Was nicht zerfiel, verrostete, was nicht rostete, verbog sich, und was sich nicht verbog, sackte unter dem Gewicht des Efeus und aufgrund der ausbleibenden Wartung in sich zusammen.
Irgendwo in der Nähe des Zentrums – wo das Haus stand, das immer geschlossen war und zu dem aufgrund des seltsamen Grundrisses des Parks nur wenige Besucher gelangten – hatte sich ein Schuh in den unteren Ästen verhakt. Da niemand den Baum schnitt, wuchs er immer höher, bis sich der Schuh auf Augenhöhe befand.
Er bestand aus Kunstleder, das im Laufe der Zeit unter dem Wetter litt, ausblich und Risse bekam. Der Schuh hatte die perfekte Größe für den Fuß eines fünfjährigen Kindes.
Man braucht Geld, um Geld zu verdienen, hatte ihr Dad immer gesagt.
Außerdem hatte er mal gesagt Komm raus, komm raus, wo immer du bist und dabei das Messer an der Wand entlanggezogen, als sollte das Geräusch die letzten keuchenden Atemzüge ihrer Schwester untermalen. Möglicherweise hatte sich Mack das Keuchen aber auch nur eingebildet. Wer konnte das jetzt noch sagen?
Sie auf jeden Fall nicht, und selbst wenn, hätte sie es nicht getan.
Auch im Augenblick sagt sie nichts, sondern sitzt der Managerin schweigend gegenüber. Das Meeting ist obligatorisch, eine Bedingung für den Aufenthalt in der Obdachlosenunterkunft, obwohl sie schon seit einigen Monaten hier ist und das hier ihr erstes Mal ist.
»Jetzt kommen Sie schon, Mackenzie. Helfen Sie mir, Ihnen zu helfen.« Das Lächeln der Frau sieht ebenso aufgemalt aus wie die Schatten ihrer Wangenknochen und ihre Augenbrauen und ist ebenso kunstvoll. Trotz Macks Schweigen verändert sich ihre Miene kein bisschen. Das ist beeindruckend. Übt sie das zu Hause in ihrem dunklen, stillen Schlafzimmer, indem sie immer wieder die Mundwinkel hochzieht und dabei darauf achtet, dass die Augen unbeteiligt bleiben?
Die Managerin faltet die Hände, ihre Fingernägel sind dunkelrot lackiert. »Ich werde ganz ehrlich zu Ihnen sein. Hier wird sich demnächst einiges ändern. Ich glaube daran, dass wir jenen helfen können, die bereit sind, sich selbst zu helfen. In diesen Unterkünften herrscht Stillstand – es gibt keine Hoffnung, keinen Fortschritt. Wie sollen wir in einer Gesellschaft ohne Fortschritt leben können?«
Ihre Stimme klingt lebhaft, aber weder die ausgedrückten Gefühle noch das Lächeln erreichen ihre Augen. Sie sind ausdruckslos. Als wären sie hinter irgendetwas verborgen. Mack spürt eine seltsame Verbundenheit mit dieser Frau, zusammen mit einer instinktiven Vorsicht. Allerdings ist sie anderer Meinung. Der Sinn dieser Unterkunft ist nicht etwa Fortschritt, sondern dass die Menschen eine Unterkunft haben.
»Ich habe mir Ihre Akte angesehen.« Die Frau deutet auf einen unbeschrifteten Aktenordner auf dem Tisch.
Mack vermutet, dass er leer ist. Sie hofft es jedenfalls.
»Sie sind hier gelandet, weil Sie Pech hatten. Das verstehe ich. Sie hatten kein soziales Sicherheitsnetz, das Sie auffangen konnte. Ein paar Monate ohne Job, Sie konnten keine Miete mehr zahlen, und es ist sehr schwer, aus diesem Loch wieder rauszukommen. Aber Sie müssen Ihr Leben in den Griff bekommen. Tun Sie etwas für die Menschheit. Dazu brauchen Sie nur ein bisschen Glück.«
»Glück wäre, wenn es in den Spendenboxen öfter Tampons gäbe.« Macks Stimme klingt leise und trocken, weil sie sie so selten benutzt.
Die Frau merkt auf, in ihren Augen funkelt es triumphierend. Mack hätte den Mund halten sollen. Schon hält die Frau einen Briefumschlag hoch. »Zufälligerweise kam das Glück per Post. Was Sie daraus machen, liegt ganz bei Ihnen. Im Augenblick ist es eher eine Gelegenheit. Und ich würde behaupten, dass sie perfekt auf Sie zugeschnitten ist.«
Mack hat in ihrem ganzen Leben noch nichts Perfektes erlebt. Perfekt kommt ihr vor wie ein Fremdwort, steif und unangenehm. Aber vielleicht ist es ja ein Job. Ein bisschen Geld, um sich wieder vorzeigbar zu machen, und dann hätte sie wirklich eine Chance. Solange sie nicht nachhaken. Oder zu genau hinsehen. Dann könnte es funktionieren.
Sie nimmt den Zettel, den ihr die Frau über den Schreibtisch zuschiebt. Das Papier ist dick. Es fühlt sich teuer an. Auf einmal ist sich Mack ihrer Hände bewusst – ihrer abgekauten Fingernägel, der glänzenden verbrannten Handflächen, der zerfetzten Nagelhäute. Wenn sie den Zettel loslässt, bleibt dann ein Fleck zurück? An diesem Tiefpunkt ihres Lebens ist es gar nicht so leicht, sich wegen irgendetwas zu schämen, doch dieser Gedanke setzt ihr zu.
Sie macht sich solche Sorgen darüber, einen Fingerabdruck zu hinterlassen – einen, der bei diesem imaginären Vorstellungsgespräch gegen sie verwendet werden kann –, dass sie einige Sekunden braucht, um zu verarbeiten, was sie da liest.
»Ist das ein Witz?«, flüstert sie.
Das Lächeln der Frau verblasst nicht. »Mir ist bewusst, dass es wie einer klingt, aber ich kann Ihnen versichern, dass das Angebot echt ist.«
»Wer hat Ihnen davon erzählt?«
Endlich entspannt die Frau ihre Wangenmuskeln und zieht die Augenbrauen zusammen. »Wie meinen Sie das? Wer hat mir wovon erzählt? Dass dies ein seriöses Angebot ist?«
Von mir, denkt Mack. Wer hat Ihnen von mir erzählt? Aber die Verwirrung der Frau kann nicht gespielt sein. Oder doch? Wenn sie sich ein Gesicht aufmalen kann, dann vielleicht auch Gefühle? Mack lässt den Brief sinken. Es bleiben keine Fingerabdrücke auf dem Papier zurück. Doch die Worte hinterlassen Flecken in ihrem Kopf.
»Warum zeigen Sie das mir?« Mack weiß, wie verloren und verängstigt sie klingt, aber das lässt sich nun mal nicht ändern. »Wieso ausgerechnet mir?«
Die Frau lacht auf, nur ganz kurz und abschätzig. »Ich weiß selbst, wie albern das klingt. Das ›Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein‹-Versteckspielturnier. Das ist ein Kinderspiel, um Himmels willen. Aber dadurch könnten Sie fünfzigtausend Dollar gewinnen, Mackenzie. Mit so viel Geld lässt sich in der Welt einiges bewegen. Sie sind jung. Sie sind intelligent. Sie sind keine Diebin und auch nicht drogenabhängig. Eigentlich dürften Sie gar nicht hier sein.«
Niemand sollte hier sein, und doch sind sie es alle.
Die Frau beugt sich angespannt vor. »Es wird vom Sportunternehmen Eck Extreme Sports durchgeführt. Ich kann ein gutes Wort für Sie einlegen, damit Sie auf die Teilnehmerliste kommen. Es gibt natürlich keine Garantie dafür, dass Sie gewinnen, aber … ich denke, Sie haben das Zeug dazu. Dabei geht es letzten Endes vor allem um Ausdauer. Außerdem machen Sie auf mich den Eindruck, als könnten Sie sich sehr gut verstecken.«
Macks Stuhlbeine schaben über den Boden, was sie beide erschreckt. Aber Mack kann sich jetzt nicht in diesem Raum aufhalten, kann nicht nachdenken, nicht, wenn man sie so ansieht. Nicht, wenn sie wahrgenommen wird. Die Frau weiß rein gar nichts über Macks Vergangenheit, trotzdem scheint sie irgendetwas zu wissen.
»Kann ich darüber nachdenken«, erwidert Mack. Es ist keine Frage.
»Selbstverständlich. Sagen Sie mir einfach bis morgen Bescheid. Wenn Sie nicht mitmachen möchten, findet sich garantiert jemand anderes. Das ist sehr viel Geld, Mackenzie, noch dazu für ein albernes Spiel!« Abermals lacht die Frau. »Ich würde ja selbst daran teilnehmen, aber ich halte nicht mal zwanzig Minuten aus, ohne dass ich pinkeln muss.« Sie wartet darauf, dass Mack in ihr Lachen einstimmt.
Als Mack durch die Tür hinaushuscht, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben, wartet sie noch immer.
Alles in der Unterkunft wurde so gestaltet, dass man ständig daran erinnert wird, dass einem nichts gehört. Es gibt keine Spinde. Keine Nischen. Keine Schränke. Keine Schlafzimmer. In einem nichtssagenden eckigen Raum, dessen Decke so hoch ist, dass in den Dachbalken ein Vogel nistet, stehen Pritschen. Auf jeder liegt die gleiche kratzige Decke auf dem gleichen weißen Bettlaken. Die Reihen zwischen den Pritschen müssen stets sauber gehalten werden. Niemand darf zwei Nächte hintereinander auf derselben Pritsche schlafen. Alles, was nicht um neun Uhr früh weggeräumt ist, wird konfisziert und rausgeworfen, daher dürfen sie ihre wenigen Habseligkeiten nicht einmal auf der Pritsche, die nicht die ihre ist, aufbewahren.
Wenn alle Pritschen besetzt sind, ist Mack so gut wie unsichtbar. Sie ist klein. Sie ist ruhig. Aber nun fühlt es sich an, als wäre ein Scheinwerfer auf sie gerichtet. Alle anderen sind längst aufgebrochen. Einige gehen der Arbeit nach, die sie gefunden haben. Manche sitzen draußen auf dem Bürgersteig, bis man sie um 16 Uhr wieder reinlässt. Was der Rest macht, weiß keiner so genau. Mack fragt nicht. Mack erzählt auch nichts, denn sie geht an einen Ort, von dem die anderen nichts erfahren sollen.
Verborgen hinter einer halbhohen Wand, umgeben vom erstickenden Geruch verbrennenden Staubs zischt und rumpelt ein alter Wasserboiler. Sie hat ständig glänzende Verbrennungen an den Händen, weil sie auf den heißen Boiler klettert und sich zwischen den Wänden nach oben stemmt.
Dem Vogel in den Dachbalken hat sie den Namen Bert gegeben. Er baut sich dort oben aus allem, was er findet, Abfall und sogar Haare, ein Nest. Aber wofür baut er es? Wie soll er einen Partner finden und Eier legen? Wird er nicht für immer allein dort oben leben, sicher und geschützt im staubigen Halbdunkel? Mack liegt den ganzen Tag auf dem Bauch, drei Dachbalken neben Bert, und existiert einfach nur. Sie ist so geduldig und leer wie das Nest. Und sobald es 16 Uhr ist, klettert sie wieder runter und schließt sich der müden Menge an, um sich eine Pritsche zu sichern, die nie die ihre sein wird.
Dort oben an ihrem Platz neben dem Vogel kann sie denken; da ist sie sicher und verborgen. Aber sie hat bis morgen Zeit, um sich zu entscheiden. Vielleicht denkt sie bis dahin einfach gar nicht.
Sie bleibt wie angewurzelt stehen.
Alle Pritschen wurden abgezogen. Auch die, auf der sie letzte Nacht geschlafen hat. Die, auf der noch ihr Bündel lag, das sie nicht mit zu der obligatorischen Besprechung nehmen durfte. Aus Sicherheitsgründen.
Ihr Bündel ist weg, und somit besitzt sie nur noch das, was sie am Leibe trägt. Jetzt kann sie nicht mal mehr ihre Kleidung waschen, ohne nackt vor dem Waschbecken stehen zu müssen. In welcher öffentlichen Toilette wird man ihr das schon erlauben? Man wird sie bemerken. Man wird sie sehen.
Sie weiß, dass sie die Frauen, die für die Unterkunft verantwortlich sind, gar nicht erst bitten muss, ihr das Bündel zurückzugeben. Sie werden es nicht tun und sie nur als Unruhestifterin bezeichnen. Ihre Zeit hier ist zu Ende. Weniger als das bisschen Sicherheit, das sie bisher hatte, erträgt sie nicht. Sie weiß, wie das ist und was es einen kostet.
Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein. Aber manchmal reicht versteckt sein einfach nicht.
Im Büro sitzt das Lächeln der blonden Frau noch immer wie angegossen, als hätte sie nur auf Macks Rückkehr gewartet. Als hätte sie damit gerechnet.
»Okay«, flüstert Mack. »Ich mach’s.« Komm raus, komm raus, wo immer du bist, trällert er in ihrem Kopf.
Doch das wird sie nicht tun. Sie wird gewinnen.
Schließlich hängt ihr Leben diesmal nicht davon ab.
Vierzehn Teilnehmer. Sieben Tage. Die Liste steht. Sämtliche Vorbereitungen für die Lieferungen in den Park sind getroffen – Lebensmittel, Benzin für den Generator, Decken und Pritschen und was sonst noch alles benötigt wird. Vorräte für das Team außerhalb des Parks stehen bereit. Handy-Störsender. Filme und Bücher für die lange Wartezeit. Hochdruckreiniger für das unausweichliche Ende.
Die Liste wird zusammen mit den Fotos verteilt. Jeder soll sie sich einprägen. Nur wenige tun es. Die Teilnehmer werden nebeneinander an die Wand von Ray’s Diner geheftet. Niemand soll auf den Gewinner wetten – das ist strikt gegen die Regeln –, aber das hält sie nicht davon ab, eine Rangliste zu erstellen, Voraussagen zu treffen, einen Favoriten auszuwählen. Die Teilnehmer lassen sich in zwei Gruppen aufteilen.
Eine besteht aus den Ehrgeizigen:
Die Fitness-Influencerin
Der Graffitikünstler
Die YouTuberin mit eigener Prank-Show
Der App-Entwickler/Housesitter
Die Schmuckdesignerin/Hundeausführerin
Der begeisterte CrossFit-Trainer
Die Schauspielerin mit heftigen Lebensmittelallergien
Die anderen wirken eher festgefahren:
Der Schriftsteller mit starkem Menschenhass
Der Junge, der gleichzeitig verbannt und verloren ist
Der freundlichste Tankwart in Pocatello, Idaho
Die Veteranin
Der Solaranlagenverkäufer
Die ewige Praktikantin
Und Mack, die ein Niemand ist, wenn es nach ihr geht
Siebzehn Stunden in drei verschiedenen Bussen und zu guter Letzt in einem Minivan, und irgendwann wird Mack mitten im Nirgendwo abgesetzt. Sie fragt sich manchmal, was anonymer ist: eine Großstadt mit so vielen Menschen, dass keiner mehr den anderen wahrnimmt, oder ein leerer Landstrich, in dem niemand lebt. Als sie aus dem Van in eine Staubwolke tritt und von niemandem empfangen wird, tippt sie eher auf Ersteres. Sie kann gefühlt kilometerweit sehen, und zwar in jede Richtung, in die die Straße führt. Was wiederum bedeutet, dass man sie ebenfalls sehen kann.
Wird man ihr wohl ein Busticket spendieren, wenn sie nicht gewinnt? Oder sitzt sie dann hier fest? Sie hat nicht die leiseste Ahnung, wo hier überhaupt ist oder in welchem Staat sie sich gerade befindet. Es ist auf eine wilde Art und Weise grün, und sie sieht hohe Bäume und hört das Summen von Insekten. Das Land wirkt flach, doch weiter als bis zu den Bäumen kann sie nicht sehen.
Sie lässt sich am Straßenrand nieder und umklammert die Reisetasche mit dem Eck Extreme Sports-Aufdruck, die man ihr gegeben hat. Darin befinden sich sieben T-Shirts und vier Hosen, alle in unterschiedlichen Schwarztönen. Neu, aber trotzdem irgendwie ausgeblichen. Sie fühlen sich vertraut an.
Außerdem ist da noch eine Kulturtasche, für die Mack sehr dankbar ist. Die Müsliriegel und die Wasserflasche haben kaum die ersten der siebzehn Stunden, die sie für die Anreise benötigt hat, überlebt. Wer Hunger hat, muss was essen. Es wäre doch sinnlos gewesen, mit wenig auszukommen, wo sie doch zur Abwechslung mal den Luxus eines vollen Bauchs genießen konnte.
Nach einer Stunde steigert sich ihre Unruhe und scheint ihr den Brustkorb zuzuschnüren. Niemand ist aufgetaucht. Die Bäume ragen hinter ihr auf. Die leere Straße erstreckt sich vor ihr.
Hat das Spiel bereits angefangen? Hat sie längst verloren?
Es könnte schlimmer sein. Sie ist sehr weit von allem entfernt, was sie kennt, und hat Kleidung zum Wechseln. Zahnpasta, eine Zahnbürste, Deodorant, einen Kamm. Eine robuste Tasche. Im Grunde ist sie jetzt schon weiter als zuvor.
Das Protestieren eines oftmals misshandelten Autos dringt schon lange, bevor sie den weiteren Van sehen kann, an ihre Ohren. Sie hat resigniert. Entweder will man sie abholen – gefunden! – oder man bringt sie zum eigentlichen Spiel.
Der Wagen spuckt drei Leute aus und fährt dann einfach weiter die unendliche Straße entlang. Zwei Frauen und einen Mann. Eigentlich eher einen Jungen, schätzt Mack. Er kann nicht viel älter sein als sie, und er ist viel größer, aber etwas – seine jungenhafte Frisur, sein rundes Gesicht, das langärmlige Oberhemd, das in die schlecht sitzende marineblaue Stoffhose gestopft wurde – lässt sie vermuten, dass er von jemand anderem angezogen wurde.
Eine der Frauen scheint sich mit dem Auge einer Künstlerin fürs Detail gestylt zu haben. Sie ist ebenso Make-up und Haarprodukte wie Mensch, und Mack staunt über diese visuelle Perfektion. Es fällt ihr beinahe schwer, sie anzusehen. Die andere Frau trägt ein schwarzes Tanktop über einer ausgebeulten Cargohose und humpelt leicht, während sie von der Straße zu Mack herübergeht.
Die humpelnde Frau, deren kurz geschorene Haare ihre großen, dunklen Augen betonen, betrachtet Mack schamlos. Die schöne Frau nimmt Mack überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie starrt mit finsterer Miene auf ihr Handy und hält es noch höher, als hätte sie dann besseren Empfang. Und der Junge blickt überallhin, nur nicht zu den Frauen in seiner Nähe. Ein feiner Schweißfilm bedeckt seine Stirn, und er hat feuchte Flecken unter den Achseln. Für sie sieht er aus, als wollte er nur von hier weg.
Jemand hat noch größere Angst als Mack. Das ist beruhigend.
»Verdammte Scheiße, hier hat man wirklich keinen Empfang«, schimpft die schöne Frau schließlich und umklammert ihr Handy wie eine Art Talisman. »Aber das Licht ist ohnehin zu grell.« Zum ersten Mal sieht sie Mack an, die sich noch weiter von der Straße entfernt hat und nun fast an der Baumgrenze steht. »Haben die dir irgendwas erzählt?«
Mack schüttelt den Kopf. Als der Van sie an der Bushaltestelle eingesammelt hat, wollte der Fahrer nur wissen: »Eckstein?« Er hatte sogar nachgefragt, doch sie hatte ihm nur eine gemurmelte Antwort gegeben und dann so getan, als wäre sie eingeschlafen.
»Ava«, sagt die Frau mit dem Buzz Cut.
»Was?«, faucht die Schöne.
»Ava.«
Die Schöne wirft beide Hände in die Luft. »Was?«
Die andere Frau zieht eine Augenbraue hoch, und man sieht ihr an, dass ihr gleich der Geduldsfaden reißt. »Wir haben uns im Wagen nicht unterhalten, daher stelle ich mich jetzt vor. Ich bin Ava. Und du heißt …?«
Endlich entspannt sich die Schöne und lacht schnaubend auf. »Gott, entschuldige, aber ich werde immer so zickig, wenn ich Hunger habe. Ich heiße ebenfalls Ava, darum war ich so verwirrt.«
»Möge die beste Ava gewinnen, Ava zwei.« Als Buzz-Cut-Ava schief grinst, bekommt sie Grübchen, in denen man sich verlaufen könnte.
»Das habe ich vor.« Die schöne Ava klingt jedoch eher amüsiert als gehässig. Sie zieht sich zwischen die Bäume zurück und schießt mehrere Selfies. Buzz-Cut-Ava sieht Mack erwartungsvoll an.
»Mack.« Mack nennt ihren Namen, als wäre er ein vollständiger Satz, und hofft, dass er als solcher akzeptiert wird.
Buzz-Cut-Ava setzt sich auf den Boden, streckt lässig ein Bein aus und positioniert das andere mit den Händen. »Freut mich, dich kennenzulernen, Mack. Ich hoffe, ich werde dich finden, aber das ist nichts Persönliches.«
Dann deutete sie mit dem Kinn auf den Jungen, der die Straße überquert hat und auf der anderen Seite entschlossen den Kopf von ihnen abwendet. Er hat die Schultern hochgezogen, und seine Haltung lässt weniger auf Anspannung, sondern vielmehr auf Kapitulation schließen. Jetzt schon.
»Das ist LeGrand. Er wurde zur selben Zeit wie ich und vor Ava zwei aufgelesen. Als ich die Jacke ausgezogen habe, hat er sich so ruckartig abgewandt, dass ich schon befürchtete, er bricht sich den Hals. Der arme Junge hat schreckliche Angst vor Frauen. Das könnte ihm einen Vorteil verschaffen. Er versucht derart inständig, uns nicht ansehen zu müssen, dass er vermutlich nie aus seinem Versteck rauskommt.«
»Wahrscheinlich ist er schwul.« Die schöne Ava setzt sich neben ihre Namensvetterin auf den Boden. Die Schöne ist schlank und knochig, die andere ist kräftiger und wirkt stark. Mark bewundert den Schwung ihrer Schultern und ihre robuste Mitte und beneidet sie darum. Ihr Aussehen ist auf eine andere Art herausfordernd als das der schönen Ava, wenngleich beide Aufmerksamkeit erregen.
Macks Haare sind so kurz geschnitten, dass sie sowohl als Mann als auch als Frau durchgeht. Sie trägt übergroße T-Shirts und ausgebeulte Hosen, steckt die Hände in die Taschen, schiebt die Schultern vor und verbirgt ihre Brüste. Die beiden Avas verstecken nichts.
Mack geht davon aus, dass sie beide schlagen wird.
»Er ist nicht schwul«, erklärt Buzz-Cut-Ava, zupft einen langen Grashalm aus und hält ihn sich an den Mund. Sie pustet dagegen, doch es ist kein Ton zu hören. »Wenn er so viel Angst vor der Haut einer Frau hat, dann muss er interessiert sein.« Sie lehnt sich zurück und mustert Mack mit zusammengekniffenen Augen. »Was ist deine Geschichte?« In der Art, wie sie eine kecke Augenbraue hochzieht, schwingt gleichermaßen etwas Verspieltes und Abschätzendes mit.
Keiner dieser Menschen ist Macks Freund. Sie hat keine Freunde. Und sie wird auch nie welche haben. Sie kann nett und freundlich tun und leise antworten, um Buzz-Cut-Ava zufriedenzustellen, aber sie entscheidet sich für eine andere Taktik.
»Verpiss dich«, erwidert Mack.
Die schöne Ava runzelt die Stirn und wirkt gekränkt. Die Miene von Buzz-Cut-Ava verändert sich, allerdings wirkt sie weder in die Ecke gedrängt noch wütend. »Cool.« Sie wendet sich wieder der Straße zu.
Mack zieht sich noch weiter in den Schatten zurück, wo sich ihr die beiden Avas trotz ihrer Abfuhr anschließen. Die Sonne knallt gnadenlos auf sie herab, ebenso gnadenlos wie die Insekten, die um sie herumschwirren. Nach einer oder zwei Stunden hält der nächste Van neben ihnen. Die schöne Ava läuft hin, um den Fahrer zu begrüßen, doch es ist wie beim letzten Mal: Er wurde nur angeheuert, um hier jemanden abzusetzen.
Im Laufe des Tages treffen noch drei weitere Vans ein, bis schließlich vierzehn Personen neben der Straße warten. Sie scheinen alle im selben Alter zu sein, Mitte zwanzig plus oder minus ein paar Jährchen.
Inzwischen ist Mack gelassener geworden. Bei so vielen Menschen – von denen mehrere verzweifelt versuchen, ihre Dominanz zu demonstrieren und bemerkt zu werden, indem sie laut reden und lachen – fällt sie kaum noch auf. Nur Buzz-Cut-Ava starrt sie weiterhin unverfroren an und zwinkert ihr jedes Mal zu, wenn sie dabei ertappt wird.
Als der letzte Van weggefahren ist, starren alle wartend die Straße entlang.
Fünf Stunden später hat sich die Stimmung drastisch verändert. Alle sind durchgeschwitzt. Es gibt keine andere Sitzgelegenheit als den Boden. Die Handys funktionieren nicht. Keiner hat etwas zu essen oder Wasser dabei – doch ein äußerst muskulöser Mann bietet stündlich mehr Geld für etwas zu essen. Eine der Frauen, eine Brünette, die mit ihrem strahlenden weißen Lächeln aussieht, als wäre sie einer Zahnpastawerbung entsprungen, weint. Mehrere Leute schwören, online vernichtende Bewertungen über das Erlebte zu hinterlassen. Mehrere Männer schlagen vor, weiter die Straße entlang bis zur nächsten Stadt zu gehen, doch die Furcht, den Wettbewerb dadurch zu verpassen, hält sie davon ab. Alle sind gereizt und wütend. Außer LeGrand, der auf Distanz bleibt und vollkommen verloren wirkt, Buzz-Cut-Ava, die mit ihren Armen als Kopfkissen ein Nickerchen macht, und Mack, die weiß, dass sie noch zwei volle Tage hungern kann, bevor sie nicht mehr funktionstüchtig ist. Der Ansatz eines Lächelns umspielt ihre Lippen.
Sie kann das hier gewinnen.
Als der Himmel sich langsam rot und lila zu färben beginnt wie ein blauer Fleck, trifft ein Bus ein. Entschuldigungen werden zusammen mit Wasserflaschen und Sandwiches ausgehändigt. Ihre Gastgeberin, eine Frau, die die mittleren Jahre längst hinter sich gelassen hat, einen pastellfarbenen Hosenanzug trägt und deren Haare der Schwerkraft zu trotzen scheinen, freut sich derart aufrichtig, sie zu sehen, dass man ihr den Planungsschlamassel schnell verzeiht. Ein Nachmittag, wo vom Vormittag hätte die Rede sein sollen, verschwundene E-Mails, kein Empfang, eine Litanei an Ausreden, die mit Kalorien und Flüssigkeitszufuhr verabreicht wird … Allerdings werden ihr einige Frauen wohl nie vergeben, dass sie in den Wald pinkeln mussten.
Die Frau verspricht eine baldige Erklärung. Aber sie haben noch eine lange Fahrt vor sich, und wenn sie alle vielleicht schnell, schnell, schnell in den Bus einsteigen könnten, denn es gibt noch so viel zu besprechen, so viel vorzubereiten, eine ach so aufregende Woche liegt vor ihnen!
Wasser wird heruntergestürzt, das Essen verschlungen, man macht Witze. Die Toilette im Bus wird dankbar und ausgiebig genutzt.
Alle nehmen Platz, wobei die Teilnehmer eine erste Sortierung vornehmen. LeGrand sitzt allein. Die schöne Ava nimmt Mack gar nicht mehr zur Kenntnis und konzentriert sich auf Leute ihres Niveaus. Buzz-Cut-Ava folgt Mack in die Busmitte und setzt sich neben sie, ohne zu fragen. Das ist ein Problem. Mack will unsichtbar sein, will unterschätzt werden, will verschwinden. Immerhin geht es hier um ein Versteckspiel.
Es wird Nacht. Der Bus fährt los. Vierzehn von der Hitze erschöpfte und wieder mit Flüssigkeit versorgte Leute wackeln nahezu im Einklang mit den Köpfen.
Es werden keine Instruktionen erteilt. Alle sind längst eingeschlafen.
Während sie schlafen, ein kleiner Überblick.
Die Hundemarken von Buzz-Cut-Ava fallen aus ihrem Tanktop. Eine gehört ihr. Die andere nicht. Ihr Kopf rutscht auf Macks Schulter. Macks Kopf ruht an Avas weichem Haarflaum. So viel Körperkontakt haben beide seit Jahren nicht mehr erlebt. Sie verschlafen ihn.
Die schöne Ava, das angehende Instagram-Model, hat den schönen Jaden entdeckt, den angehenden CrossFit-Studiobesitzer. Sie hat keine Sponsoren und er kein Fitnessstudio, doch beide sprudeln über vor Hoffnung und Versprechungen. Der Kopf der schönen Ava ist gegen die Fensterscheibe gesackt. Sie schnarcht und wäre entsetzt, wenn sie wüsste, dass ihr das in der Öffentlichkeit passiert ist, doch außer ihrem Fahrer und der Gastgeberin ist keiner mehr wach, um es zu hören. Der Fahrer richtet den Blick mit grimmiger Entschlossenheit auf die Straße. Die Gastgeberin schlendert durch den Gang und berührt die Stirnen der Männer und Frauen federleicht, als würde sie einen Segen verteilen.
Dabei übersieht sie jedoch LeGrand, der ganz hinten sitzt, verloren und allein, selbst inmitten von Menschen. Das ist nicht seine Welt, und er weiß nicht, wie er darin existieren soll. Nichts, rein gar nichts ergibt Sinn. Er träumt davon, Gemüse auszugraben, seine Finger tun weh, und er buddelt tiefer, immer tiefer, und findet nichts, obwohl er weiß, dass er etwas finden müsste, dass er nach etwas suchen sollte, aber er kann nichts anderes tun, als im Dunkeln weiter im Dreck zu wühlen. Er sucht nicht nach Gemüse. Er hebt ein Grab aus, und es tut weh, und er hat Schmerzen und schreckliche Angst, weil er weiß, wessen Grab es ist.
Ian hat ein Notizbuch auf dem Schoß. Der dazugehörige Stift, das Teuerste, was er besitzt, ist auf den Boden gefallen. Er wird es jedoch erst merken, wenn er aus dem Bus ausgestiegen ist und ihn für immer verloren hat. Wie soll er ohne Stift schreiben? Zugegeben, auch mit Stift hat er noch nichts geschrieben, aber er wird fest davon überzeugt sein, dass ihn nur der verschwundene Stift vom Schreiben abhält. Er ist hier, um sich inspirieren zu lassen. Und wegen des Geldes. Ein bisschen Geld, ein bisschen Sicherheit, und schon kann er den großen amerikanischen Roman schreiben.
Brandon sieht im Schlaf freundlich aus. Die Art, wie er völlig aufrecht sitzend schlummert, als wäre er bereit, im nächsten Moment zu Diensten zu sein, falls er gebraucht würde, hat etwas Wohltuendes und Hilfsbereites. Was auch immer noch passieren mag, er hatte schon jetzt eine tolle Zeit und wird mit jedem Ergebnis zufrieden sein. Offen gesagt weiß er nicht mal, was er mit dem Geld anstellen soll, falls er gewinnen sollte. Er kann sich schlichtweg nicht vorstellen, irgendjemanden zu schlagen. Es kommt ihm unbedeutend vor, nach dem Sieg zu streben, fast schon gemein. Denn wenn er gewinnt, verlieren dreizehn andere. Für ihn ist das hier ein Abenteuer. Eine Urlaubsreise. Er hat keinen Tag mehr freigehabt, seit er mit vierzehn bei der Tankstelle eingestellt wurde. Aber jetzt wartet Grammy nicht mehr auf ihn. Seit ihrem Tod fühlt er sich ein bisschen verloren. Alles, was er sich wünscht, ist ein Abenteuer.
Sein Sitznachbar ist in sich zusammengesackt und sitzt schon seit Stunden mit wackelndem Kopf da. An seinen Händen sind noch immer Farbreste, da er an der letzten Bushaltestelle seinen Graffiti-Tag hinterlassen musste. Er ist auch bereit, dem Wettbewerb sein Zeichen aufzudrücken, und hofft darauf, hier etwas zu schaffen, das ihm zurück in die Welt folgt. Denn er wird der nächste Banksy sein. Nein. Er wird der erste Atrius sein. (Sein richtiger Name lautet Kyle, doch er hasst ihn und alles, was Kyle war und werden könnte. Dummerweise hat er Atreus jedoch falsch geschrieben, daher teilt er sich die Chance, im Internet gefunden zu werden, mit einer Krankenkasse. Was für ein Markenversagen für jemanden, der so entschlossen ist, außerhalb von Marken zu existieren.)
Christian ist mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen, insgeheim jedoch verzweifelt. Hier scheint keiner ein guter Kontakt zu sein. Seine Vorstellung, hier mögliche Geschäftsbeziehungen aufzubauen, erscheinen ihm inzwischen ebenso unrealistisch wie seine Chancen, diesen dämlichen Wettbewerb zu gewinnen. Vielleicht lernt er ja wenigstens jemanden von Eck Extreme Sports kennen. Jedes Unternehmen braucht einen guten Verkäufer. Wenn er noch mal an eine Tür klopfen und lächelnd fragen muss, ob Interesse an einer Solaranlage besteht …
YouTuberin Sydney und App-Entwickler Logan fanden im Wald sofort die richtige Wellenlänge, wie es Christian auch nur zu gern getan hätte. Sie planen bereits eine gemeinsame App, die auf Sydneys noch in den Kinderschuhen steckender Prank-Show basiert. Einen nationalen Prank-Wettbewerb. Das wird eine große Sache. Sie strahlen sogar im Schlaf und sind sich ihrer imaginären großartigen Zukunft gewiss. Abendessen mit Musk, Wohltätigkeitsveranstaltungen mit Gates, Partnerschaften mit Frye Technologies und so viele furchtbare Pranks, um das zu erreichen.
Rebecca hat sich genau ausgerechnet, wie viel es kosten wird, von Körbchengröße A auf C aufzustocken. Sie vermutet, dass C reicht. Der Agent, mit dem sie sich getroffen hat, meinte, sie hätte Potenzial, bräuchte jedoch etwas mehr Oberweite, um interessant zu sein. Sie weiß jedoch bis heute nicht, ob er von beruflichem oder privatem Interesse gesprochen hat. C ist der Buchstabe, der sie ihren Träumen näherbringt, und fünfzigtausend Dollar entsprechen ziemlich genau der Summe, die sie braucht. Sie drückt sich beim Schlafen die Handtasche voller EpiPen-Injektoren an die Brust, als wäre es eine Sicherheitsdecke.
Rosiee möchte einfach nur ein bisschen Schmuck verkaufen. Nur einmal. Nur, um zu beweisen, dass sie keine Versagerin ist, wie ihre Mutter ihr prophezeit hat. Aber als Silberschmiedin braucht man Silber, und um Silber zu kaufen, benötigt man Geld. Sie versteckt sich schon seit vier Jahren vor ihrem Ex, da kann sie sich auch problemlos eine Woche lang hier verstecken. Ihr Ohr ist derart mit Schmuck behangen, dass er gegen die Fensterscheibe klimpert, an der ihr Kopf lehnt. Der Blick der Gastgeberin wandert über die Schlange, die sich um Rosiees Handgelenk schlängelt. Wirklich hübsch. Sie hat tatsächlich Talent.
Im vorderen Teil des Busses sitzt Isabella, die ewige Praktikantin. Sie hat schon in mehr Firmen Praktika gemacht, als sie zählen kann. Jetzt will sie auch die Führungsriege von Eck kennenlernen. Sie braucht ein Gehalt. Himmel noch eins, sie braucht eine Zahnversicherung. Mit fünfzigtausend Dollar kann sie nicht mal ihren immensen Studienkredit zurückzahlen. Mit dem unfassbar teuren Abschluss hat sie bisher noch keinen Job gefunden. Sie knirscht selbst im Schlaf mit den Zähnen.
Der Bus holpert durch die Nacht wie durch einen Tunnel und trägt vierzehn verzweifelte Träumer wie in einem Kokon durch die Welt.
Vierzehn müde Augenpaare werden geöffnet. Alle glauben, sie wären aufgewacht, weil der Bus angehalten hat.
Aber da irren sie sich. Der Bus steht schon seit Stunden hier. Während sie schliefen, kam ein halbes Dutzend Leute herein, überprüfte die Namen und Fotos und hakte sie auf einer Liste ab. Die pastellfarbene Frau schwebte erneut im Gang auf und ab und presste segnend die Finger an jede Stirn, bevor sie sich den anderen vor dem Bus anschloss. Sie besteht auf dieses Ritual, diese Formalität, und alle senken die Köpfe und schweigen eine Minute lang. Einige scharren mit den Füßen und können es kaum erwarten, wieder zu verschwinden. Manche verdrehen die Augen. Nur sehr wenige schließen in inniger Dankbarkeit die Lider. Danach sind sie fertig und verschwinden, um letzte Vorbereitungen zu treffen, ihre Posten einzunehmen oder sich bis zum nächsten Treffen in ihre Häuser einzuschließen, ehe es endlich vorbei ist.
Ohne jegliche Hinweise auf ihre Besucher regen sich die Buspassagiere. Unverzüglich werden elf Handys aus Hosen- oder Handtaschen geholt. »Kein Empfang?«, fragt Isabella und wird immer panischer. Was ist, wenn ein Jobangebot eingetrudelt ist? Wenn einer ihrer zahllosen verschickten Lebensläufe als interessant gekennzeichnet wurde? Wenn sich jemand auf LinkedIn mit ihr vernetzen möchte? Noch nie hat jemand inständiger und verzweifelter auf eine E-Mail gehofft als Isabella.
»Bei welchem Provider bist du?« Jaden schlingt die Arme um die Sitzlehne, weil er seinen Bizeps so am besten zur Geltung bringen kann. Früher hat er so etwas immer absichtlich gemacht, inzwischen ist es ihm ins Blut übergegangen. Er hat sich und seinen Körper bis zur Perfektion trainiert.
»Bei Verizon.«
»T-Mobile geht auch nicht.«
»AT & T ist auch tot«, schaltet sich die schöne Ava mit finsterer Miene ein. »Nicht mal die App von Eck Extreme Sports, die wir runterladen sollten, funktioniert. Dabei wollte ich eigentlich gleich auf Insta live gehen.«
»Und was ist mit der Verschwiegenheitserklärung?«, wirft Isabella ein.
»Ich hatte selbstverständlich nicht vor, irgendwelche Details zu erwähnen.« Die schöne Ava verzieht das Gesicht.
»Ja, das war die krasseste Verschwiegenheitserklärung, die ich je gesehen habe!«, sagt Jaden.
Die meisten anderen lachen und nicken, waren jedoch in Wirklichkeit noch nie an etwas derart Wichtigem beteiligt, dass sie eine solche Erklärung hätten unterschreiben müssen. Doch das würden sie alle niemals zugeben.
»Ich hab vier Balken«, erklärt Sydney, was ihr diverse verlangende – wenn nicht gar verzweifelte – Blicke einbringt. »Ha, verarscht!« Sie zuckt zusammen, sobald ihr die Worte über die Lippen gekommen sind. Für ihre YouTube-Show braucht sie eindeutig einen besseren Slogan. Außerdem hassen die anderen, die sich wieder auf ihre Sitze sinken lassen, sie jetzt. Selbst Logan rückt von ihr ab. So viel zu ihrer genialen App-Partnerschaft. Im grellen Morgenlicht kommt ihr das Ganze gar nicht mehr so wahrscheinlich vor.
»Hat echt keiner von euch Empfang?« Rebecca geht auf leicht wackligen Beinen durch den Gang und presst ihre Handtasche mit den EpiPen sorgsam an sich.
Alle halten ihre wertlosen Handys hoch. Rebecca bleibt neben Mack und Ava stehen, die beide kein Handy herausgeholt haben. Ava reißt die Augen weit auf, und ihr olivfarbenes Gesicht wirkt recht blass.
»Handys?«
Mack schüttelt den Kopf. Rebecca interpretiert es so, dass Mack ebenfalls keinen Empfang hat, und kommt gar nicht auf die Idee, Mack könnte kein Handy besitzen.
»Was ist mit dir?«, will Rebecca von Ava wissen. »Hast du Empfang?«
»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe«, murmelt Ava, ohne aufzublicken. Ava war bisher so ruhig und fröhlich. Dieser Sinneswandel macht Mack nervös. Rebecca geht weiter, um LeGrand zu wecken, der nur so tut, als würde er schlafen. Er hat ebenfalls kein Handy. Alle um ihn herum sind von dieser Vorstellung bis ins Mark erschüttert. Sie legen die Hände fester um ihre Geräte, die nun nichts weiter als teure Kameras sind.
Ava reibt sich über den Kopf mit den kurz geschorenen Haaren. Mack begreift, dass Ava für sie nur noch Ava und nicht mehr Buzz-Cut-Ava ist. In Macks Weltanschauung stellt sie die entscheidende Ava dar. Als Mack – noch vor Ava – aufgewacht ist, ruhte Avas Kopf auf ihrer Schulter. Das sanfte Kribbeln von Avas kurzen Haaren auf Macks Haut hat sie an einen Welpen erinnert. Ebenso erschreckender- wie bestürzenderweise war Mack ein wenig traurig, als Ava auf einmal aufwachte und sich aufsetzte.
»Hast du geschlafen?« Avas Frage klingt bedeutsamer, als sie sollte.
Mack nickt. Sie kann überall schlafen. Sie hat auch geschlafen, als er der Sache endlich ein Ende bereitet hat. Sie hat es nicht gehört. Die Polizei war schon seit Stunden vor Ort gewesen, als sie endlich aufwachte und ihr Versteck verließ. Der Schlaf war schon immer ihre Zuflucht und ihr größter Trost gewesen. Die Albträume stellen sich eher ein, wenn sie wach ist.
»Ich schlafe nicht in der Öffentlichkeit.« Ava blickt sich beunruhigt um. »Nicht in Flugzeugen, nicht in Bussen und auch an keinem anderen Ort, an dem ich nicht weiß, wer sich in meiner Nähe aufhält, und an dem ich mich nicht sicher fühle.« Sie hatte das Nickerchen am Vortag nur vorgetäuscht und während dieser Zeit die Unterhaltungen um sich herum belauscht und die Konkurrenz eingeschätzt.
Als Mack mit Avas Kopf auf ihrer Schulter aufgewacht war, hatte sie sich sicher gefühlt. Zu Unrecht? »Es war ein langer Tag«, hauchte Mack mehr, als dass sie es sagte.
»Ich bin beim Reisen schon ganze vier Tage ohne Schlaf ausgekommen.« Ava verkrampft die Kiefermuskeln und lockert sie wieder. Sie schaut in den vorderen Teil des Busses, in dem weder der Fahrer noch die Gastgeberin zu sehen ist. Dann greift sie in ihre Tasche und tastet auf dem Boden herum. »Wo ist deine Wasserflasche von gestern?«
Mack überprüft ihr Gepäck. Die Flasche ist nicht mehr da. Sie schüttelt den Kopf, und ein Teil von Avas Unruhe geht auf sie über.
»Hey!«, ruft Ava und steht auf. »Seid ihr alle letzte Nacht eingeschlafen? Oder ist irgendjemand wach geblieben?« Alle schütteln den Kopf. »Weiß irgendwer, wo wir sind?«
»Die Frage kann ich beantworten!« Ihre Gastgeberin steigt wieder ein und strahlt sie ebenso an wie die Morgensonne.
Ava lehnt sich stirnrunzelnd zurück. »Vierzehn Menschen, und keiner ist wach geblieben.«
»Vielleicht hast du dich ja sicher gefühlt?«, flüstert Mack. Ihre Schulter ist an der Stelle, an der eben noch Avas Kopf ruhte, ganz kalt.
»Hast du dich denn sicher gefühlt?«
Mack sieht aus dem Fenster. Das hatte sie in der Tat, zumindest in den wenigen Sekunden des Aufwachens. Und zwar zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Doch das Gefühl ist jetzt verschwunden, und es beruhte auf Einseitigkeit, was sie noch trauriger macht.
»Willkommen im schönen Städtchen Asterion! Es ist in gewisser Hinsicht ein technisches Wunder«. Ihre Gastgeberin kichert in sich hinein. »Eine von Natur aus handyfreie Zone! Überall hier findet sich ein bestimmtes Mineral im Boden – früher wurde es abgebaut. Es stört die Handysignale allerdings derart stark, dass die Unternehmen kapituliert haben. Daher werden Sie für die Dauer des Wettbewerbs leider keinen Handyempfang haben.«
»Was ist mit WLAN?«, erkundigt sich Rebecca, die Schauspielerin, die sich als ihre Anführerin aufspielt.
»Wir haben einige schöne, altmodische Münztelefone. Sie können sie heute Vormittag gern benutzen, während wir letzte Vorbereitungen treffen, bevor es in den Wettkampfbereich geht. Ein Anruf kostet fünfundzwanzig Cent, aber Ferngespräche sind teurer, daher sollten Sie vermutlich lieber die Vermittlung anrufen.«
»Wer muss denn heutzutage noch fürs Telefonieren bezahlen?« Rosiee spricht aus, was alle denken, während sie an einem ihrer schweren Silberarmbänder herumspielt.
»Wieso müssen wir eine App runterladen, die wir nicht mal benutzen können?«, grummelt die schöne Ava.
Als das Wort »App« fällt, merkt Logan auf. Die App wurde von Frye Technologies entwickelt, dem bedeutenden Unternehmen aus dem Silicon Valley, mit dem er sich den Nachnamen teilt. Es ist einer der Gründe, warum er in die App-Entwicklung gehen möchte. Er spürt schon jetzt eine Verbindung dahin und glaubt, es wäre sein Schicksal, ebenso erfolgreich zu sein.
Aber die Frau winkt nur ab. »Ach! Die App. Das hatte ich ja ganz vergessen. Sie brauchen sie für den Wettbewerb, also löschen Sie sie bloß nicht. Sie sammelt Informationen, gibt Feedback, all so was. Damit kenne ich mich nicht aus. Und es tut mir leid, dass Sie hier keinen Handyempfang haben – ich weiß ja, wie sehr Sie junge Leute Ihre Handys lieben! –, aber das gehört in der Tat zu den Punkten, die uns hierher nach Asterion geführt haben. Denken Sie bitte an die Verschwiegenheitserklärungen. Eck Extreme Sports nimmt dieses Thema sehr ernst. Das Turnier befindet sich noch in der Entwicklungsphase, daher müssen sie den Informationsfluss jederzeit steuern können. Es wird sogar in Betracht gezogen, das Konzept als Realityshow zu verkaufen.«
Die Hälfte der Teilnehmer merkt auf, als wären sie Hunde, die etwas gewittert haben. Die andere Hälfte sackt in sich zusammen wie Hunde, die jahrelang misshandelt wurden.
»Aber da ist natürlich noch nichts entschieden. Wir haben uns alle Rechte gesichert. Sie werden garantiert Hunger haben. Der Star Diner ist bereit und wartet nur auf Sie. Während Sie etwas essen, bringe ich Sie hinsichtlich des heutigen Tagesplans auf den neuesten Stand.«
Mack macht sich auf ihrem Platz ganz klein. Sie hat kein Bargeld dabei.
»Ich kann dich einladen«, sagt Ava. Anscheinend nimmt Ava Mack deutlicher wahr, als ihr lieb ist.
LeGrand räuspert sich. Seine Stimme ist ungewöhnlich tief, wenn man sein Babyface bedenkt, und die Art, wie er redet, gibt zu verstehen, dass er sich seiner Stimme bewusst ist und ihretwegen schämt. »Mir wurde … äh … mir wurde gesagt, dass Essen und Trinken gestellt werden?«
»Aber selbstverständlich, mein Bester.« Der Lippenstift der Gastgeberin prangt inzwischen auf ihren Schneidezähnen, sodass ihr Lächeln blutig aussieht. »Das Frühstück geht auf uns! Und all Ihre Mahlzeiten während des Wettbewerbs werden vor Ort gestellt. Nun, wo Sie hier sind, müssen Sie sich nur noch darum kümmern, nicht gefunden zu werden.«
LeGrand ist sichtlich erleichtert. Auch Mack ist froh. Sie will nicht mit leerem Bauch in den Wettbewerb einsteigen, und sie möchte auch niemandem etwas schuldig sein. Insbesondere nicht Ava.
»Komm raus, komm raus, wo immer du bist!«, trällert einer der Männer mit schriller Stimme.
Mack dreht sich der Magen um. Möglicherweise bekommt sie doch keinen Bissen herunter.
Ein Computer. Ein winziges Apartment in einer heruntergekommenen Stadt. Niemanden, mit dem sie reden muss, und nichts, was es zu tun gibt, außer den Rest ihres Lebens rumzukriegen. Das ist alles, was sie braucht. Sie kann das hier schaffen. Sie muss es tun.
Sie steigen aus dem Bus. Die Gastgeberin drückt jedem ein zusammengeschnürtes und laminiertes Paket in die Hand. »Wie heißen Sie?«, will Rebecca von ihr wissen und rutscht noch weiter in die Rolle der Anführerin. Sie besitzt diese Qualität, diese Extraportion Charisma, die sie von den anderen abhebt. Aus diesem Grund sieht jeder genauer hin und versucht herauszufinden, ob sie wirklich hübscher ist, als sie erscheint. Sie benimmt sich jedenfalls so. Vielleicht macht das den Unterschied.
Die schöne Ava rückt näher an sie heran, entfernt sich und tritt doch wieder näher. Sie dreht sich um und stellt den Blickkontakt zu Mack her. Dann verdreht sie die Augen, als würden sie eine sarkastische Unterhaltung führen.
Mack hat keine Ahnung, was sie ihr damit vermitteln will.
Die Gastgeberin lacht über Rebeccas Frage. »Ich bin Linda! Eigentlich wollte ich mich Ihnen schon gestern Abend vorstellen, aber Sie sind alle so schnell eingeschlafen, und ich wollte Sie nicht wecken.«
Ava stößt ein leises skeptisches Geräusch aus. Mack rückt bewusst von ihr ab und näher an die Gruppe heran. LeGrand ist dort. Er starrt mit alarmierter Miene in seinen Rucksack. Mack macht ihren auf.