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LADA DRAGWYLA HAT KEINE VERBÜNDETEN. KEINE KRONE. SIE HAT NUR SICH SELBST. Nachdem es ihr nicht gelungen ist, den walachischen Thron zu erobern, will Lada jeden zur Rechenschaft ziehen, der es wagt, sich ihr in den Weg zu stellen. An der Spitze ihrer Männer stürmt sie das Land, doch rohe Gewalt wird Lada nicht ans Ziel bringen. Und wenn sie an Mehmed denkt, den aufsässigen osmanischen Sultan, vermag das ihr dorniges Herz nur wenig zu besänftigen. Ihr bleibt keine Zeit, sich zu fragen, ob er noch an sie denkt oder sie vielleicht sogar liebt. Sie hat ihn verlassen, bevor er sie verlassen konnte. Lada braucht nun die Unterstützung ihres jüngeren Bruders Radu, doch Mehmed hat ihn nach Konstantinopel geschickt – und das nicht in diplomatischer Mission. Der Sultan will die Stadt unter seine Kontrolle bringen, und Radu fungiert als Spion hinter den feindlichen Linien. Als Lada ihn zum ersten Mal in ihrem Leben um Hilfe bittet, lehnt er ab, was seine Schwester vor die dunkelste aller Entscheidungen stellt. Hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zu seinem Glauben, zu den Osmanen und zu Mehmed, weiß Radu, dass er Lada nichts schuldet. Doch sollte sie sterben, würde er sich das niemals verzeihen. Aber sollte er in Konstantinopel scheitern, würde es ihm Mehmed jemals verzeihen? Die Geschwister Dracul müssen nun entscheiden, was sie bereit sind zu opfern, um ihr Schicksal zu erfüllen. Reiche werden fallen, Throne gewonnen ... und Seelen zerstört.
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Seitenzahl: 619
AUSSERDEM BEI PANINI ERHÄLTLICH
KIERSTEN WHITE: DIE EROBERER-TRILOGIE
Band 1: DAS DUNKLE IN MIR
ISBN 978-3-8332-4483-4
Band 2: MEIN IST DIE MACHT
ISBN 978-3-8332-4569-5
Band 3: WIR SIND DIE FLAMME
Ab April 2025 erhältlich
Erhältlich im Buchhandel
Ins Deutsche übertragen von Helga Parmiter
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Text copyright © 2024 by Kiersten White. All Rights Reserved.
Jacket art copyright © 2024 by Sam Weber.
Map art copyright © 2024 Isaac Stewart.
Titel der Englischen Originalausgabe: »Now I Rise« by Kiersten White, published 2017 in the US by Delacorte Press, an imprint of Random House Children’s Books, a division of Random House LLC, New York.
Deutsche Ausgabe 2024 Panini Verlags GmbH, Schloßstr. 76, 70176 Stuttgart.
Alle Rechte vorbehalten.
Geschäftsführer: Hermann Paul
Head of Editorial: Jo Löffler
Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])
Presse & PR: Steffen Volkmer
Übersetzung: Helga Parmiter
Lektorat: Katharina Altreuther
Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart
Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln
YDWHITE002E
ISBN 978-3-7569-9958-3
Gedruckte Ausgabe:
1. Auflage, Oktober2024,ISBN 978-3-8332-4569-5
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Für Christina, die nie Zeit haben wird, dieses Buch zu lesen, die mir aber die Zeit geschenkt hat, es zu schreiben.
1
Januar 1453
Die Hölle war ein Fest.
Zumindest war sich Radu sicher, dass es in der Hölle – was auch immer man sich darunter vorstellen mochte – so zugehen würde wie auf diesem Fest.
Musik lag wie ein Parfum in der Luft, genug für einen süßen Hauch, aber nicht aufdringlich. Gruppen von Musikern waren über die ganze Insel verstreut; man konnte sie zwischen dem zähen Grün, das die Wintermonate überstanden hatte, erahnen. Obwohl es die Hauptmahlzeit erst später gab, schwebten Diener mit Tabletts, die wie Seerosenblätter geformt waren, durch die Menschenmenge. Und auf beiden Seiten der Insel floss der Tunca-Fluss gemächlich vorüber.
Ganz gleich, was er sonst noch gewesen sein mochte, Murad – Mehmeds verstorbener Vater und Radus einstiger Wohltäter – hatte nicht mit Luxus gegeizt. Der Haremskomplex, den er auf der Insel errichtet hatte, wurde seit seinem Tod zwar nicht mehr genutzt, hatte jedoch nichts von seinem Glanz eingebüßt. Die Fliesen glänzten. Die behauenen Steine der Mauern versprachen Luxus und Frieden. Die Springbrunnen plätscherten in fröhlicher Eintracht mit dem angrenzenden Fluss.
Radu wanderte zwischen Gebäuden entlang, die wie geometrische Gärten bemalt waren, sein Weg so vorbestimmt wie der Lauf des Flusses. Er wusste, dass es vergeblich war, wusste, dass er sich dadurch nicht besser fühlen würde, aber er suchte trotzdem.
Und dort, neben dem Badehaus. Radu wurde von ihm angezogen wie ein Blatt, das sich in der Strömung des Flusses dreht. Mehmed trug seine inzwischen meist tiefvioletten Gewänder und einen schwungvoll gewickelten goldenen Turban. Eine juwelenbesetzte Kette hielt einen Umhang um seine breiten Schultern. Radu versuchte, sich an Mehmeds volle Lippen zu erinnern, die sich zu einem Lächeln verzogen, an seine Augenbrauen, die sich eher vor Freude als vor Spott hoben. Die beiden jungen Männer, die endlich nicht länger wuchsen, waren gleich groß und schlank. Aber in letzter Zeit fühlte sich Radu klein, wenn Mehmed ihn ansah. Selbst damit hätte er sich heute zufriedengegeben. Aber Mehmed schaute nicht in seine Richtung, immun gegen die Verbindung, der Radu sich nicht entziehen konnte.
»Wahrhaft prächtig«, sagte Halil Wesir zu Mehmed, die Hände in die Hüften gestemmt, während er an dem neuen Badehauskomplex emporschaute. In den letzten Monaten waren drei miteinander verbundene Gebäude mit Kuppeldächern, die an Moscheen erinnerten, hinzugefügt worden. Sie waren die ersten Neubauten, die einen Vorgeschmack auf Mehmeds große Palastanlage boten. Sie würde alles übertreffen, was sein Vater je gebaut hatte – alles, was überhaupt jemals gebaut worden war. Zur Feier dieser Investition in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches hatte Mehmed alle wichtigen Leute eingeladen.
Botschafter aus verschiedenen europäischen Ländern mischten sich zwanglos unter die osmanische Elite. Mehmed stand abseits, aber er lächelte freigiebig und machte großzügige Versprechungen über zukünftige Feste in seinem Palast. Zu seinen üblichen Begleitern gesellten sich Ishak Pascha, einer seiner mächtigsten Sipahi, Kumal Pascha, Radus Schwager, und – wie immer – wie ein bitterer Geschmack, den man nicht schlucken konnte, Halil Wesir.
Radu hasste es, an seinen alten Feind Halil Pascha als Halil Wesir zu denken. Noch mehr hasste er es, dass es sein eigener Plan gewesen war, eine Vertrauens- und Machtposition mit Halil zu besetzen, um ihn besser im Auge behalten zu können. Vielleicht hatte Lada recht gehabt. Vielleicht hätten sie ihn töten sollen. Dann wäre alles einfacher oder zumindest angenehmer. Der Platz an Mehmeds Seite sollte seiner sein.
Als hätte er Radus giftigen Neid gespürt, sah Halil Wesir ihn an und sein Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. »Radu der Schöne«, sagte er. Radu runzelte die Stirn. Er hatte diesen Titel seit dem Ende der Kämpfe in Albanien nicht mehr gehört, in deren Verlauf Skanderbeg, ihr Feind, ihn geprägt hatte. Mehmed sah zu ihm herüber und wandte sich wieder ab, sobald sich ihre Blicke trafen. Wie ein Schmetterling, der auf einer Blume landet und feststellt, dass sie ihm fehlt.
»Sag mir«, tönte Halil, immer noch mit diesem fiesen Lächeln auf seinem bärtigen Gesicht, »weiß deine hübsche Frau, dass dies noch kein funktionierender Harem ist? Ich fürchte, sie macht sich falsche Hoffnungen, in ihn einzutreten.«
Die Männer um Halil herum kicherten. Kumal runzelte die Stirn, dann öffnete er den Mund. Radu schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Kumal wandte den Blick traurig ab. Mehmed ging nicht auf die Beleidigung ein – die Andeutung, dass Radus Frau in Mehmeds Harem eintreten würde, um sich von Radu scheiden zu lassen –, aber er tat auch nichts, um ihr zu widersprechen.
»Meine Frau ist nicht …«
Eine sanfte Hand legte sich auf Radus Arm. Er drehte sich um und sah Nazira. Nazira, die eigentlich nicht hier sein sollte. »Seine Frau ist nicht erfreut, wenn jemand anders seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.« Unter ihrem durchsichtigen Schleier war ihr Lächeln noch heller als die Wintersonne. Sie trug die Farben des Frühlings. Trotzdem fröstelte Radu, als er sie ansah. Was hatte sie vor?
Nazira wandte Radu von den Männern ab und führte ihn einen Weg hinunter, der mit mehr Seide geschmückt war, als die meisten Menschen je in ihrem Leben sehen würden. Es war extravagant, übertrieben und absurd, wie alles an dieser Festlichkeit. Das Spiegelbild eines Sultans, der zu jung und zu dumm war, um an etwas anderes zu denken als an den Schein und sein eigenes Vergnügen.
»Was tust du hier?«, flüsterte Radu eindringlich.
»Mach eine Bootsfahrt mit mir.«
»Das geht nicht! Ich muss …«
»Halil Wesirs Spott ertragen? Versuchen, Mehmeds Gunst zurückzugewinnen? Radu, was ist passiert?« Nazira zog ihn in den Schatten eines der Gebäude. Für Beobachter sah es so aus, als würde er sich einen Moment mit seiner schönen Frau stehlen.
Er knirschte mit den Zähnen und richtete seinen Blick auf die Wand über ihrem Kopf. »Ich habe zu tun.«
»Dann sag mir, was. Du schreibst uns nicht, du besuchst uns nie. Ich musste von Kumal erfahren, dass du dich mit Mehmed zerstritten hast. Was ist passiert? Hast du … Weiß er es?« Ihre dunklen Augen waren bedeutungsschwer, das Gewicht war zu viel für Radu.
»Nein! Natürlich nicht. Ich … Es ist viel komplizierter als das.« Er wandte sich ab, aber sie packte sein Handgelenk.
»Zu deinem Glück bin ich sehr klug und verstehe auch die kompliziertesten Dinge. Also, erzähl es mir.«
Radu fuhr mit den Fingern seiner freien Hand an den Rändern seines Turbans entlang und zerrte daran. Nazira streckte die Hand aus und nahm seine Finger in die ihren. Ihr scharfer Blick wurde weicher. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Das musst du nicht.«
»Ich mache mir keine Sorgen, weil ich es muss. Ich mache mir Sorgen, weil du mir wichtig bist. Ich möchte, dass du glücklich bist. Und ich glaube nicht, dass Edirne für dich Glück bedeutet.« Sie betonte Edirne und machte deutlich, dass sie nicht von der Hauptstadt sprach, sondern davon, was – oder besser gesagt, wer – in dieser Hauptstadt war.
»Nazira«, zischte Radu, »ich kann jetzt nicht darüber reden.« Er wünschte fast, er könnte es. Er wollte unbedingt mit jemandem sprechen, mit wem auch immer, aber bei diesem Problem konnte ihm niemand helfen. Radu fragte sich manchmal, was Lazar ihm darüber hätte sagen können – wenn sie jemals offen darüber gesprochen hätten –, was es für einen Mann bedeutete, einen anderen zu lieben. Lazar war alles andere als diskret gewesen, was seine Offenheit in Bezug auf etwas … mehr … mit Radu anging. Und Radu hatte Lazars Loyalität und Freundschaft mit einem Messer belohnt. Jetzt hatte er niemanden, mit dem er reden und dem er diese drängenden Fragen stellen konnte. Es war falsch, nicht wahr, dass er auf diese Weise liebte?
Aber wenn Radu Nazira und Fatima ansah, empfand er nichts anderes als Freude, dass sie sich gefunden hatten. Ihre Liebe war so rein und wahrhaftig wie keine andere, die er je beobachtet hatte. Bei solchen Gedanken drehte sich sein Verstand so sehr im Kreis, dass nicht einmal das Gebet ihn beruhigen konnte.
Radu sah auf Naziras Hände hinab, die auf seinen lagen. »Der Palast mag nicht mein Glück sein. Aber ich kann nirgendwo anders danach suchen.« Nazira ließ ihn mit einem Seufzer los. »Kommst du mit mir zurück? Verbringst du etwas Zeit zu Hause? Fatima vermisst dich. Es würde dir guttun, etwas Abstand zu gewinnen.«
»Es gibt zu viel zu tun.«
»Zu viel zu tanzen? Zu viele Feste?« Ihre Stimme war neckend, aber in ihren Augen fehlte der Funke der Aufrichtigkeit. Ihre Worte versetzten ihm einen Stich.
»Du weißt, dass ich mehr bin als das.«
»Das tue ich. Ich mache mir nur Sorgen, dass du es vergessen könntest. Du musst dir das nicht antun.«
»Ich tue es mir nicht an oder für mich. Ich … Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt.« Radu beobachtete, wie ein Mann in Marineuniform – ein gestärkter Umhang, ein engerer, kleinerer Turban als bei den gewöhnlichen Soldaten und eine Schärpe in den Farben Mehmeds – an ihm vorbeiging. In seiner Begleitung war einer von Halil Wesirs Vertrauten.
»Was?« Nazira folgte Radus Blick.
»Ich muss mit diesem Mann sprechen. Ohne dass es jemand anders hören kann. Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin.«
Sie war plötzlich aufgeregt. »Wirklich? Ist er …« Sie hob anzüglich die Augenbrauen.
»Nein! Nein. Ich muss nur mit ihm sprechen. Unter vier Augen.«
Naziras Lächeln verwandelte sich in ein nachdenkliches Stirnrunzeln. »Darf man euch zusammen sehen?«
»Ja, aber es darf nicht so aussehen, als würden wir uns absichtlich treffen oder etwas Wichtiges besprechen. Ich hatte gehofft, einen ruhigen Moment zu finden, aber hier sind so viele Leute. Seit er in der Hauptstadt ist, war er nicht mehr allein. Dafür hat Halil Wesir gesorgt.«
»Deine Teilnahme an dem Fest ist komplizierter, als ich dachte.«
Radu biss die Zähne zusammen. »Viel komplizierter.«
»Du kannst dich glücklich schätzen, dass du so gut geheiratet hast.« Nazira legte ihm eine Hand auf den Arm und steuerte ihn auf den Gehweg. »Erzähl mir von ihm.«
»Sein Name ist Suleiman und er ist der frisch beförderte Admiral der Marine.«
Nazira lachte. »Das wird einfach sein.«
Sie tanzte mühelos von Gruppe zu Gruppe, mit einem verschämten Lächeln und einem Gruß an alle. Radu hielt sich in letzter Zeit eher am Rande dieser Festivitäten auf, ganz im Gegensatz zu früher, als er ein strahlender Mittelpunkt gewesen war. Aber mit Nazira an seinem Arm waren mehr Leute bereit, für ein kurzes Gespräch stehen zu bleiben. Er reckte den Hals, um einen Blick auf Suleiman zu erhaschen, und Nazira kniff ihn fest in den Arm.
»Geduld«, flüsterte sie.
Nach einigen weiteren Stopps, um mit dem Onkel des besten Freundes ihres verstorbenen Vaters, dem Cousin von Kumals verstorbener Frau und einer Reihe anderer Personen zu plaudern, die Nazira ungeachtet ihrer Stellung in der osmanischen Gesellschaftshierarchie mit Freude und Ehrerbietung behandelte, stießen sie direkt mit Suleiman zusammen. Irgendwie hatte Nazira es geschafft, sich so zu drehen und zu gehen, dass Radu den Mann umstieß.
»Oh!«, quietschte Nazira und schlug ihre Hände vor ihren verschleierten Mund. »Es tut mir so leid!«
Radu reichte dem Mann die Hand, um ihm aufzuhelfen. Sie waren sich noch nie begegnet, aber Suleimans Blick blieb an der goldenen Anstecknadel in Form eines Bootes an Radus Mantel hängen. »Bitte verzeiht mir.«
»Natürlich.« Suleiman verbeugte sich. »Ich bin Suleiman Baltoghlu.«
Radu verbeugte sich ebenfalls. »Radu.«
»Radu?« Suleiman hielt erwartungsvoll inne.
»Einfach Radu.« Radus Lächeln war angespannt. Lada hatte ihn unter dem Deckmantel der Familie Draculesti zurückgelassen. Aber Radu hatte den Namen seines Vaters abgelegt. Er würde ihn nicht wieder annehmen, niemals. »Das ist meine Frau, Nazira.«
Suleiman nahm ihre Hand und verbeugte sich noch tiefer. »In Edirne sind die Ehefrauen hübscher als in Bursa.«
Nazira strahlte. »Das liegt daran, dass der Wind in den Hafenstädten zu stark bläst. Die armen Frauen dort müssen ihre ganze Kraft aufwenden, um sich aufrecht zu halten. Da bleibt keine Zeit, um schön zu sein.« Suleiman lachte, ein lauter Tonausbruch, der Aufmerksamkeit erregte. Aber die Aufmerksamkeit war auf ihn und Nazira gerichtet, nicht auf ihn und Radu.
»Sagt mir, was macht Ihr in Bursa?«, fragte sie.
»Ich bin Admiral.«
»Boote! Oh, ich liebe Boote. Seht, habt Ihr das gesehen?« Nazira deutete auf die Ansammlung zierlicher Boote, die auf dem Fluss dümpelten. Sie waren in fantasievollen Formen geschnitzt. Eines hatte einen Bug, der wie ein Froschkopf aussah, und an den Enden der Ruder waren Schwimmhäute eingeschnitzt. Ein anderes sah aus wie eine Kriegsgaleere, mit winzigen dekorativen Rudern, die an beiden Seiten herausragten. »Radu hat Angst, dass er es nicht zurück ans Ufer schafft, wenn wir mit einem Boot hinausfahren. Aber wenn wir einen Admiral bei uns hätten …« Nazira sah durch ihre dichten Wimpern zu Suleiman auf.
»Ich stehe gern zu Diensten.« Suleiman folgte ihnen zum Dock und half Nazira in ein Boot, das wie ein Reiher geschnitzt war. Ein Kopf auf einem schlanken Hals wies den Weg nach vorn und zu beiden Seiten erstreckten sich seidene Flügel. Der Schwanz war ein Baldachin, der sich als Sonnenschutz über die Passagiere wölbte, obwohl es nicht warm genug war, um ihn zu benötigen.
»Das ist herrlich!« Nazira seufzte glücklich und beugte sich vor, um eine Hand durchs Wasser gleiten zu lassen. Radu war nicht ganz so erfreut – er hasste Boote –, aber er und Nazira lächelten sich verstohlen zu. Sie hatte die Aufgabe für ihn erledigt.
Suleiman nahm die Ruder, während sich Radu vorsichtig in das Heck des kleinen Bootes setzte.
»Ich werde sehr viel plappern und mit den Händen wedeln«, sagte Nazira, während sie sich vom Ufer und allen neugierigen Ohren entfernten. »Ich werde sogar die ganze Zeit reden und ihr beide werdet nicht zu Wort kommen.«
Sie setzte ihr einseitiges Gespräch fort – ein stummes Gespräch. Ihr Kopf wippte auf und ab, sie lachte und ihre Hände unterstrichen imaginäre Sätze. Jeder Zuschauer würde sehen, wie sie Suleiman unterhielt, während Radu sein Bestes tat, um gegen seine Übelkeit anzukämpfen.
»Wie schnell kannst du die neuen Galeeren bauen?«, murmelte Radu und umklammerte die Seiten des Bootes.
Suleiman zuckte mit den Schultern, als würde er versuchen, sie für das Rudern zu lockern. »Wir können so schnell Schiffe bauen, wie er sie finanzieren kann.«
»Niemand darf wissen, wie viele Schiffe wir wirklich haben.«
»Wir werden ein paar Galeeren in Bursa bauen, damit es so aussieht, als würde ich etwas tun. Der Rest wird im Geheimen gebaut, in einer privaten Werft auf den Dardanellen. Aber ich brauche immer noch Männer. Wir können alle Schiffe der Welt haben, aber ohne ausgebildete Seeleute sind sie so nützlich wie das Boot, in dem wir jetzt sind.«
»Wie können wir so viele Männer heimlich ausbilden?« Es würde jemandem auffallen, wenn sie Leute für eine Kriegsflotte rekrutierten. Ein paar neue Boote könnten auf eine törichte Laune eines unreifen Sultans zurückgeführt werden. Eine Armada mitsamt den Männern, die sie segeln sollten, war eine ganz andere Sache.
»Gib mir die Mittel, um griechische Seeleute anzuheuern, und er bekommt von mir die beste Marine der Welt«, sagte Suleiman.
»So wird es geschehen.« Radu beugte sich über die Bordwand und konnte gerade noch verhindern, dass er sich übergab.
Suleiman lachte über eine neue Pantomime von Nazira. »Was immer du tust, behalte sie in deiner Nähe. Sie ist wirklich ein Schatz.«
Dieses Mal war Naziras Lachen echt. »Das bin ich.«
Radu brauchte keine Erleichterung vorzutäuschen, als Suleiman die Umrundung der Insel beendete und zurück zum Dock ruderte.
Er taumelte aus dem Boot und war dankbar für das feste Holz unter seinen Füßen.
»Euer Mann hat einen schwachen Magen«, sagte Suleiman, als er Nazira aus dem Boot half.
»Ja. Zum Glück ist er so gut aussehend.« Nazira tätschelte Radus Wange und winkte Suleiman dann anmutig zu. »Unsere Marine ist in den besten Händen!«
Suleiman lachte verschmitzt. »Meine kleinen Vogelschiffe werden der Schrecken der Meere sein!« Er verbeugte sich theatralisch und schritt davon.
»Danke«, sagte Radu und ließ sich von Nazira zurück durch das Fest und in eine abgelegene Ecke führen. Sie setzten sich auf eine Bank, mit dem Rücken zur Wand des Badehauses. »Das war brillant.«
»Ja, das bin ich. Und jetzt sag mir, was hier wirklich los ist.«
»Ich bin … Wir sind … Das ist sehr geheim.«
Nazira verdrehte verärgert die Augen.
»Ich helfe Mehmed bei seinen Plänen, Konstantinopel einzunehmen. Wir müssen im Geheimen arbeiten, damit Halil Pascha …« Radu hielt inne und verzog das Gesicht. Halils neuer Titel hatte für ihn schon immer einen bitteren Beigeschmack gehabt. Warum hatte er nur darauf bestanden, Halil vom Pascha zum Wesir zu erheben? »Damit er unsere Pläne nicht rechtzeitig entdeckt, um sie zu sabotieren. Wir wissen, dass er immer noch mit Kaiser Konstantin im Bunde ist. Mein Ausschluss aus Mehmeds innerem Kreis war beabsichtigt. Ich muss unbedeutend erscheinen, denn so kann ich Dinge organisieren, um die Mehmed sich nicht kümmern kann, wie zum Beispiel die Flotte. Alles, was wir in der Öffentlichkeit tun, soll von seinen wahren Zielen ablenken. Selbst dieses Fest ist eine Farce, um zu zeigen, dass Mehmed leichtfertig ist und sich nur um Edirne kümmert. Warum sollte er so viel Geld in einen Palast investieren, wenn er beabsichtigt, sein Kapital anderswo zu machen?«
»Aber wenn alles, was ihr tut, geheim ist, kannst du dann nicht all das tun und trotzdem einer seiner Berater sein?«
»Meine Handlungen würden zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn ich ständig an der Seite von Mehmed wäre.«
»Nicht, wenn allgemein bekannt wäre, dass du nur sein Freund bist. Sultane können enge Freunde haben, die nicht unbedingt wichtig, sondern nur hochgeschätzt sind.« Nazira blickte zu Boden, ihre Miene schmerzerfüllt, aber entschlossen. »Fragst du dich nie, ob vielleicht … Mehmed mehr versteht, als du denkst? Und diese Trennung nicht so sehr eine Strategie als vielmehr eine Gefälligkeit ist?«
Radu stand so schnell auf, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. »Nein.«
»Er ist kein Narr. Wenn ich an einem Abend sehen konnte, was du fühlst, hat er gewiss in all den Jahren, die ihr zusammen verbracht habt, dasselbe gesehen.«
Radu hob eine Hand und wünschte, er könnte Nazira dazu bringen, ihre Worte zu verschlucken, sodass sie nie gesprochen worden wären. Wenn Mehmed wirklich verstand, was er fühlte, dann … Es war zu viel, um darüber nachzudenken. Es gab zu viele Fragen, auf die es keine Antworten gab, die Radu gefielen.
»Vielleicht war es klug von deiner Schwester, fortzugehen. Sie hat erkannt, dass ein Sultan ihr niemals geben kann, was sie braucht.«
Mehmeds Plan hatte Hand und Fuß. Das war der einzige Weg. Deshalb hatte Mehmed ihn auch eingeschlagen. »Ich bleibe, denn mein Leben ist hier«, sagte Radu. »Lada ist gegangen, weil sie den Thron wollte, und sie hat ihn bekommen.«
Manchmal fragte er sich, was geschehen wäre, wenn er Lada letztes Jahr nicht dazu gedrängt hätte, sie zu verlassen. Denn auch das hatte er sich ausgesucht. Er hatte sich entschieden, ihr genau das zu sagen, was sie hören musste, um Mehmed und Radu zu verlassen. Es war ein dunkler, verzweifelter Zug gewesen. Ein Schritt, von dem er dachte, er würde ihn Mehmed näher bringen. Radu unterdrückte ein bitteres Lachen.
Er hatte Lada weggestoßen, und sie war in die Walachei und zu Ruhm geritten. Zu allem, was sie je gewollt hatte, ohne auch nur einen Blick für den Mann übrig zu haben, den sie angeblich liebte. Oder für ihren erbärmlichen Bruder. Trotz all seiner vermeintlichen Klugheit konnte Radu für sich nicht das gleiche glückliche Ende herbeiführen, zu dem er seine Schwester überlistet hatte.
Wenn Lada noch hier wäre, wäre dieser Plan der erzwungenen Distanz dann auch sein Leben? Oder hätte Lada einen anderen Weg gefunden, Halil zu unterwandern? Einen Weg, bei dem Radu seine Freundschaft mit Mehmed hätte behalten können? Einen Weg, bei dem Radu nicht jede Nacht allein war und sich fragte, wann seine Zukunft so sein würde, wie er sie sich erhoffte? Und was er sich überhaupt erhoffte?
Die Hoffnung war ein Pfeil, der sein Herz immer wieder durchbohrte.
Ungeachtet der Pläne hätte Mehmed es so machen können, wie Nazira es sagte. Er hätte eine Ausrede finden können, damit er und Radu von Angesicht zu Angesicht hätten sprechen können, anstatt über heimliche, versteckte Botschaften. Es gab viele Dinge, die Mehmed tun konnte, aber nicht tat und wahrscheinlich auch nie tun würde. Wenn Radu sich näher mit diesen Dingen beschäftigte, würde er sicher verrückt werden.
Er wich Naziras Blick aus. »Es ist gut. Alles ist so, wie es immer war und wie es immer sein wird. Sobald wir Konstantinopel eingenommen haben, werde ich wieder an seiner Seite sein. Als sein Freund.« Radus Stimme schwankte bei dem letzten Wort und verriet ihn.
»Wird das reichen?«, fragte sie.
»Das muss es.« Radu versuchte zu lächeln, aber es war sinnlos, Nazira täuschen zu wollen. Stattdessen beugte er sich vor und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn. »Grüß Fatima von mir. Ich habe noch zu tun.«
Nazira stand auf und hielt seinen Ellbogen fest. »Nicht ohne mich. Du brauchst einen Verbündeten.«
Radu seufzte. Da hatte sie recht. Er war so einsam, so verloren gewesen.
Er wollte das nicht von ihr verlangen. Aber andererseits hatte er auch nicht darum gebeten. Sie war einfach aufgetaucht und hatte ihm gesagt, wie die Dinge laufen würden. Das war ihr Markenzeichen, nahm er an. Und er war dankbar dafür. »Ich danke dir.«
Gemeinsam gingen sie zu dem Fest zurück, und es fühlte sich weniger wie die Hölle und mehr wie ein Spiel an. Nazira grüßte absichtlich die Leute, die am wenigsten mit Radu sprechen würden, jetzt, wo er in Ungnade gefallen war. Sie tat es, um sie zu ärgern, und er bewunderte sie dafür. Es war herrlich zu beobachten, wie diejenigen, die einst um seine Gunst buhlten und ihn dann mieden, sich bei ihrem Versuch, höflich zu sein, wanden. Radu amüsierte sich tatsächlich. Und er hatte gute Nachrichten für Mehmed, was eine Ausrede dafür war, sich in seine Gemächer zu schleichen, um eine Nachricht zu hinterlassen.
Er lachte, als er sich umdrehte und den Geistern seiner Vergangenheit gegenüberstand.
Aron und Andrej Danesti. Die Rivalen seiner Kindheit. Erinnerungen an Fäuste im Wald, die nur durch Ladas Grausamkeit gestoppt wurden. Radu hatte ihnen allein nichts entgegenzusetzen gehabt. Aber er hatte einen anderen Weg gefunden. Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, waren sie in der Öffentlichkeit wegen Diebstahls ausgepeitscht worden. Er hatte ihnen eine Falle gestellt, um sich für ihre Grausamkeit zu rächen.
Die Zeit hatte sie in die Höhe schießen lassen und sie umgeformt. Aron war dünn und wirkte kränklich. Sein Schnurrbart und sein Bart waren schütter und lückenhaft. Andrej, breitschultrig und gesund, hatte sich besser gehalten, obwohl in seinem Gesichtsausdruck etwas Wachsames lag, das vor Radus Winkelzug nicht dort gewesen war. Radu fühlte einen kurzen Anflug von Schuld, dass seine Handlungen das Gesicht eines anderen auf diese Weise gezeichnet hatten. Aron lächelte, und Radu sah etwas in den Augen des Mannes, das er als Kind nie gesehen hatte: Freundlichkeit.
Doch anscheinend hatte der Zahn der Zeit mehr an Radu genagt als an seinen Danesti-Feinden. Das oder sein Turban und seine Ottomanenkleidung tarnten ihn vollkommen. In ihrem Lächeln – Andrejs zurückhaltend, Arons freundlich – lag kein Funke des Erkennens.
Nazira stellte sich fröhlich vor. Radu widerstand dem Drang, sie vor ihnen zu schützen. Sicherlich waren sie nicht mehr dieselben Tyrannen, die sie in ihrer Kindheit gewesen waren. »Woher kommt ihr?«, fragte sie.
»Aus der Walachei«, lautete Andrejs Antwort. »Wir sind hier mit unserem Vater, dem Fürsten.«
Ein Geräusch wie das Rauschen des Windes erfüllte Radus Ohren.
Nazira strahlte. »Oh, was für ein Zufall! Mein Mann ist …« Radu zerrte sie am Arm. »Entschuldigt uns, wir müssen gehen.« Er eilte so schnell davon, dass Nazira rennen musste, um Schritt zu halten. Kaum war er um eine Ecke gebogen, lehnte Radu sich an die Wand, übermannt. Ihr Vater. Ein Danesti. Der walachische Fürst. Was bedeutete, dass Lada nicht auf dem Thron saß.
Und wenn sie hier waren, um ihre Aufwartung zu machen, wusste Mehmed, dass Lada nicht auf dem Thron saß.
Was wusste Mehmed noch? Welche anderen Geheimnisse verbarg er vor Radu?
Doch ausnahmsweise drehte sich die größte Frage nicht um Mehmed. In all diesen Monaten hatte Radu Lada nie geschrieben, weil sie ihm nie geschrieben hatte. Und weil er sie dafür hasste, dass sie bekam, was sie wollte, und ihn wie immer mit nichts zurückließ.
Aber offenbar hatte er sich geirrt.
Wo war Lada?
2
Februar 1453
Es dauerte nur drei bis zur Unkenntlichkeit zertrümmerte Finger, bis der Möchtegern-Attentäter den Namen von Ladas Feind herausschrie.
»Tja.« Nicolae hob seine Augenbrauen, die einst durchgängig gewesen waren, nun aber von einer bösartigen Narbe geteilt wurden, die mit der Zeit nicht mehr verblassen wollte. Er wandte sich ab, als Bogdan die Kehle des jungen Mannes aufschlitzte. Die Wärme des Lebens, die den Körper verließ, dampfte leicht in der kalten Winterluft. »Das ist enttäuschend.«
»Dass uns der Gouverneur von Kronstadt verraten hat?«, fragte Bogdan.
»Nein, dass die Qualität der Attentäter so tief gesunken ist.«
Lada wusste, dass Nicolae die Situation mit Humor erträglich machen wollte – er mochte keine Hinrichtungen –, aber seine Worte trafen sie tief. Es war sicherlich ein Schlag, dass der Gouverneur von Kronstadt ihren Tod wollte. Er hatte ihr Hilfe versprochen, was ihr das erste Fünkchen Hoffnung seit Monaten gegeben hatte.
Jetzt hatte sie keine mehr. Kronstadt war die letzte der siebenbürgischen Städte, in der sie versucht hatte, einen Verbündeten zu finden. Keine der adligen walachischen Bojarenfamilien antwortete auf ihre Briefe. Siebenbürgen mit seinen befestigten, zwischen der Walachei und Ungarn eingezwängten Bergstädten war stark walachisch geprägt. Aber Lada erkannte nun, dass die herrschende Klasse der Sachsen und Ungarn ihr Volk wie Spreu behandelte und sie selbst für wertlos hielt.
Aber fast noch schlimmer als der Verlust ihrer letzten Chance auf einen Verbündeten war, dass dies alles war, was sie für sie übrighatten: einen unterernährten, schlecht ausgebildeten Attentäter, der dem Kindesalter kaum entwachsen war.
Das war alles, was ihr an Furcht zugemutet wurde, alles, was sie an Respekt verdiente. Bogdan stieß die Leiche über den Rand der kleinen Schlucht, die ihr Lager begrenzte. Wie damals, als sie noch Kinder waren, musste er nie darum gebeten werden, ihren Dreck wegzumachen. Er wischte sich das Blut von den Fingern, dann zog er sich die schlecht sitzenden Handschuhe wieder an. Er trug einen unförmigen Hut, den er tief über die wie Kruggriffe abstehenden Ohren gezogen hatte, um sie zu verbergen.
Er war breit und stark geworden. Er kämpfte nicht auffällig, aber brutal effizient. Lada hatte ihn in Aktion gesehen und musste sich die bewundernden Worte verkneifen, die ihr über die Lippen kommen wollten. Außerdem war er penibel sauber – eine Eigenschaft, auf die die Ottomanen großen Wert legten und die sich nicht alle ihrer Männer bewahrt hatten. Bogdan roch immer frisch wie die Kiefern, unter denen sie sich versteckten. Alles an ihm erinnerte Lada an zu Hause.
Ihre anderen Männer hatten sich in Gruppen zwischen den dichten Bäumen verstreut und hockten an ihren Feuern. Sie waren so unförmig wie Bogdans Hut, ihre einst makellose Janitscharenkleidung hatten sie längst abgelegt. Sie waren auf dreißig Mann geschrumpft – zwölf hatten sie verloren, als sie bei dem Versuch, die Donau zu überqueren, auf eine unerwartete Streitmacht des walachischen Danesti-Fürsten getroffen waren; acht weitere hatten sie in den Monaten verloren, die sie seitdem damit verbracht hatten, sich zu verstecken, zu fliehen und verzweifelt Verbündete zu suchen.
»Glaubst du, dass Brasov mit dem Danesti-Fürsten oder mit den Ungarn gemeinsame Sache macht?«, fragte Nicolae.
»Spielt das eine Rolle?«, schnauzte Lada. Alle Seiten waren gegen sie. Sie lächelten ihr ins Gesicht und versprachen Hilfe. Dann schickten sie Meuchelmörder in der Dunkelheit.
Sie hatte in Mehmeds Namen weit überlegenere Attentäter besiegt. Ein schwacher Trost. Und noch schlimmer war, dass sie diesen Trost nur fand, wenn sie sich an ihre Zeit mit Mehmed erinnerte. Es schien, als wäre alles, worauf sie mit Stolz blicken konnte, passiert, als sie mit ihm zusammen war. War sie also so viel schwächer geworden, weil sie den Menschen, der sie an seiner Seite gewesen war, hinter sich gelassen hatte?
Lada senkte den Kopf und rieb sich den ständig verspannten Nacken. Seit ihrem misslungenen Versuch, den Thron zu besteigen, hatte sie weder an Mehmed noch an Radu geschrieben noch eine Nachricht von ihnen erhalten. Es war zu demütigend, ihr Scheitern vor ihnen zu offenbaren und zu ahnen, was sie sagen würden. Mehmed würde sie zur Rückkehr auffordern. Radu würde sie trösten – aber sie bezweifelte, dass er sie mit offenen Armen willkommen heißen würde.
Sie fragte sich auch, wie nahe die beiden sich in ihrer Abwesenheit gekommen waren. Aber das war nicht wichtig. Sie hatte sich entschieden, sie als einen Akt der Stärke zu verlassen. Sie würde niemals aus Schwäche zu ihnen zurückkehren. Sie hatte geglaubt – mit ihren Männern, mit ihrer Befreiung von Mehmed, mit all ihren Jahren der Erfahrung und Stärke –, der Thron stünde ihr zu. Sie hatte geglaubt, sie wäre genug.
Sie wusste jetzt, dass nichts, was sie tun konnte, jemals genug sein würde. Es sei denn, sie könnte sich einen Penis wachsen lassen, was unwahrscheinlich schien. Und auch nicht besonders wünschenswert.
Allerdings wäre er dabei hilfreich, die Notdurft zu verrichten, wenn man sich ständig in den Wäldern versteckte. Mitten in der Nacht die Blase zu entleeren, war ein eiskaltes, unbequemes Unterfangen.
Was blieb ihr dann noch? Sie hatte keine Verbündeten. Sie hatte keinen Thron. Sie hatte keinen Mehmed und keinen Radu. Sie hatte nur diese schlauen Männer, die scharfen Messer und die klaren Träume und keine Möglichkeit, sie zu nutzen.
Petru lehnte an einem winterlich kahlen Baum in der Nähe. Im letzten Jahr war er dicker und ruhiger geworden. Alle Spuren des Jungen, der er gewesen war, als er sich Lada anschloss, waren verschwunden. Eins seiner Ohren war verstümmelt worden, und er trug sein Haar länger, um es zu verdecken. Er hatte auch aufgehört, sich zu rasieren, wie die meisten ihrer Männer. Ihre Gesichter waren nicht mehr die nackten Visagen, die auf ihre Stellung als Janitscharen hingewiesen hatten. Sie waren frei. Aber sie waren auch orientierungslos, was Lada zunehmend beunruhigte. Wenn dreißig Männer, die zum Kämpfen und Töten ausgebildet waren, nichts hatten, wofür sie kämpfen und töten konnten, was sollte sie dann noch an sie binden?
Sie zog einen Zweig aus dem Feuer. Er war ein brennendes Zeichen, das ihre Augen mit seinem Licht versengte. Sie spürte mehr, als dass sie es sah, wie sich die Aufmerksamkeit ihrer Männer auf sie richtete. Es fühlte sich nicht wie eine Last an, sondern ließ sie noch aufrechter stehen. Die Männer brauchten etwas zu tun.
Und Lada musste etwas brennen sehen.
»Also«, sagte sie und wirbelte den Flammenstab träge durch die Luft, »ich denke, wir sollten unsere Grüße nach Transsilvanien schicken.«
Es ist leichter, etwas zu zerstören als etwas zu bauen, hatte ihr Kindermädchen immer gesagt, wenn Lada alle Blüten von den Obstbäumen pflückte, aber leere Felder sorgen für hungrige Bäuche.
Als Kind hatte Lada nie begriffen, was ihr Kindermädchen meinte. Aber jetzt glaubte sie, es zu verstehen. Zumindest den Teil, dass Zerstören einfacher ist als Aufbauen. All die Zeit, die sie damit verbracht hatte, Briefe zu schreiben oder vor unbedeutenden Adligen zu stehen und zu versuchen, Allianzen zu schmieden, war vergeudet gewesen. Das letzte Jahr war ein einziger Kampf gewesen. Kampf, um Treffen zu arrangieren; Kampf, damit man in ihr mehr als nur ein Mädchen sah, das Soldat spielt; Kampf auf der Suche nach den richtigen Wegen, um in einem System zu funktionieren, das ihr immer fremd gewesen war.
Sie waren näher an Hermannstadt als an Kronstadt. Um der Effizienz willen beschloss Lada, dort zuerst anzuhalten. Es ging schneller, Hunderte von Schafen aus Hermannstadt in den eisigen Teich zu treiben und dort zu ertränken, als von einem Diener die Mitteilung zu erhalten, dass der Gouverneur sich nicht mit ihr treffen würde. Die walachischen Hirten, die zweifelsohne für ihr Versagen bei der Rettung der Schafe getötet werden würden, wurden stillschweigend in ihre Gesellschaft aufgenommen.
So zogen Lada und ihre Männer durch die schlummernde, ungeschützte Außenstadt von Hermannstadt und fügten nichts und niemandem Schaden zu. Vor ihnen erhoben sich die Mauern der inneren Stadt, wo nur siebenbürgische Adlige – niemals Walachen – schlafen durften. Sie stellte sich vor, wie sie tief träumten, verwöhnt und geschützt vom Schweiß walachischer Stirnen.
Sie hatten weder die Zeit noch die Zahl, um einen Angriff auf das Innere von Hermannstadt zu starten. Und sie waren nicht hier, um zu erobern. Sie waren hier, um zu zerstören. Mit jeder Salve flammender Pfeile, die im hohen Bogen über die Mauern und in das Gewirr der Dächer flogen, wurde Ladas Lächeln heller und dunkler zugleich.
Einige Tage später warteten sie vor Kronstadt auf den Sonnenuntergang. Die Stadt lag in einem von tiefgrünem Bewuchs umgebenen Tal. Entlang der inneren Stadtmauern standen in Abständen Türme, die jeweils von einer anderen Gilde unterhalten wurden. Die Planung einer Belagerung wäre eine Herausforderung.
Aber wie bei Hermannstadt wollten sie auch diese Stadt nicht behalten. Sie wollten sie lediglich bestrafen.
In der Dämmerung kehrte Nicolae von einer Erkundungstour zurück. »Entsetzen verbreitet sich schneller als jedes Feuer. Gerüchte sind überall. Du hast Hermannstadt eingenommen, du führst zehntausend osmanische Soldaten, du bist die auserwählte Dienerin des Teufels.«
»Warum muss ich immer die Dienerin eines Mannes sein?«, verlangte Lada zu wissen. »Wenn überhaupt, dann sollte ich die Partnerin des Teufels sein, nicht seine Dienerin.«
Bogdan machte ein finsteres Gesicht und bekreuzigte sich. Er klammerte sich immer noch an eine verquere Version der Religion, mit der sie aufgewachsen waren. Seine Mutter – Ladas und Radus Kindermädchen – hatte das Christentum wie einen Schalter betätigt und ihnen die Geschichten um die Ohren gehauen, die ihr gerade in den Kram passten. In der Regel waren das Geschichten über unartige Kinder, die von Bären gefressen wurden. Lada und Radu waren mit Bogdan und seiner Mutter auch in die Kirche gegangen, aber Lada erinnerte sich nur an sehr wenig von diesen unendlichen, erstickenden Stunden.
Bogdan musste seine Religion während all seiner Jahre bei den Osmanen mit sich getragen haben. Janitscharen wurden zum Islam konvertiert. Es gab keine anderen Möglichkeiten. Der Rest ihrer Männer hatte den Islam abgelegt wie ihre Janitscharenmützen, aber sie hatten ihn nicht durch etwas anderes ersetzt. Der Glaube ihrer Kindheit war ihnen abtrainiert worden.
Lada fragte sich, was es Bogdan gekostet hatte, trotz so vieler Widerstände am Christentum festzuhalten. Andererseits war er schon immer stur gewesen, sowohl was Groll als auch was Loyalität betraf. Für Letzteres war sie dankbar, denn seine Loyalität ihr gegenüber war in jungen Jahren in den grünen Wäldern und grauen Steinen ihrer Kindheit in der Walachei gepflanzt worden. Bevor er ihr von den Osmanen weggenommen worden war.
Impulsiv streckte sie die Hand aus und zupfte an einem seiner Ohren, wie sie es getan hatte, als sie noch Kinder waren. Ein unerwartetes Lächeln erblühte auf seinen kantigen Zügen, und plötzlich war sie wieder mit ihm in der Vergangenheit, quälte Radu, plünderte die Küchen, besiegelte ihre Verbindung mit Blut auf schmutzigen Handflächen. Bogdan war ihre Kindheit. Bogdan war die Walachei. Sie hatte ihn wieder. Der Rest würde sich finden.
»Wenn du für den Teufel arbeitest, kannst du ihm dann sagen, er soll uns bezahlen? Unsere Geldbeutel sind leer.« Matei hielt zur Veranschaulichung einen schlaffen Lederbeutel hoch. Lada erschrak und wandte sich von Bogdan und der Wärme in ihrer Brust ab. Matei war einer ihrer ursprünglichen Janitscharen, ihrer ältesten und vertrautesten Männer. Sie waren ihr in Amasya gefolgt, als sie ihnen nichts zu bieten hatte. Und sie folgten ihr immer noch, mit demselben Ergebnis.
Matei war sogar noch älter als Stefan und verfügte über unschätzbare, jahrelange Erfahrung. Nicht viele Janitscharen erreichten sein Alter. Als sie an der Grenze überrascht worden waren, hatte Matei einen Pfeil, der für Lada bestimmt war, mit seiner Seite abgefangen. Er war ergraut und abgemagert, mit einem stets hungrigen Blick. Dieser Blick war während ihres Aufenthalts in der Bergwildnis von Siebenbürgen noch hungriger geworden. Lada schätzte diesen Hunger bei ihren Männern. Er veranlasste sie dazu, ihr zu folgen. Aber er würde sie auch vertreiben, wenn sie nicht bald etwas mehr tat. Sie musste Matei auf ihrer Seite behalten. Sie brauchte sein Schwert und – weniger greifbar, aber genauso wichtig – seinen Respekt. Bogdan hatte sie auf jeden Fall. Ihre anderen Männer wollte sie unbedingt behalten.
Lada hielt ihren Blick auf die Stadtmauern unter ihnen gerichtet und beobachtete Lichter, die wie kleine Leuchtfeuer auftauchten. »Wenn deine Arbeit getan ist, Matei, nimm dir, was immer du willst.«
Brasov hatte seine Tore verriegelt und ließ nach Einbruch der Dunkelheit niemanden mehr hinein. Matei und Petru führten jeweils fünf Männer an, um im Schutz der Dunkelheit die Mauern zu erklimmen. Nachdem sie gewartet hatten, bis sie am Ziel waren, zündete Lada einen abgestorbenen, knochentrockenen Baum an seinem Fuß an. Er begrüßte die Flammen hungrig und zog sie so schnell nach oben, dass Lada und ihre Männer vor der Hitze fliehen mussten.
Die Fundamente der beiden Türme am gegenüberliegenden Ende der Stadt wurden von hell loderndem Feuer eingehüllt. Lada beobachtete, wie panische Wachen oben auf dem Turm, der ihr am nächsten war, umherrannten und über den Rand spähten. »Seid ihr Walachen?«, rief sie in ihrer Muttersprache.
Einer von ihnen schoss einen Pfeil ab. Lada drehte sich zur Seite, und der Pfeil prallte an dem Kettenhemd ab, das sie trug. Bogdan schoss einen Gegenpfeil ab und der Mann kippte lautlos über den Rand des Turms.
»Bist du verletzt?«, fragte Bogdan verzweifelt, während seine großen Hände nach einer Wunde … um ihre Brüste herum suchten.
»Bogdan!« Sie schlug seine Hände weg. »Wenn ich es wäre, wäre es sicher keine Wunde, die du versorgen müsstest!«
»Du brauchst also eine Frau?«, fragte er und sah sich um, als würde auf magische Weise eine erscheinen.
»Mir geht es gut!«
Ein anderer Mann schwenkte ein Stück Stoff über dem Rand des Turms. »Ja, wir sind Walachen«, rief er mit brüchiger Stimme.
Lada überlegte. »Lasst uns rein und ihr dürft abhauen. Oder ihr könnt euch uns anschließen.«
Sie zählte ihre Herzschläge. Es dauerte nur zehn, bis sich die Tür des Turms öffnete und sieben Männer heraustraten. Drei schlichen leise davon und verschwanden zwischen den Bäumen. Vier blieben. Sie ging an ihnen vorbei und stieg die Treppe zur Turmspitze hinauf. Sie war kreisförmig und hatte ein dickes Steingeländer, über das sie sich beugte, um die Stadt zu betrachten.
Innerhalb der Mauern breitete sich die Panik bereits wie eine Krankheit aus. Die Menschen strömten auf die Straßen, Frauen schrien und Männer riefen Anweisungen. Es herrschte Chaos.
Es war perfekt.
Drei Tage später zeichneten verstreute Rauchreste noch immer Ladas Zorn in den Himmel über der zerstörten Stadt. Sie und ihre Männer hatten dreist in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen, berauscht von Ruß und Rache, beseelt von dem Wissen, dass jeder Mann in der Stadt damit beschäftigt war, zu retten, was nicht bereits verloren war. Sie waren auch mehr als nur ein bisschen berauscht von dem Karren voller Wein, den Matei irgendwie mitgebracht hatte.
Da glitt Stefan herein, still und anonym wie ein Schatten. Auch er war von Anfang an bei Lada. Er war immer der beste Beschaffer von Informationen gewesen: ein leeres und unscheinbares Gesicht, das ihn zu einer halb vergessenen Erinnerung machte, selbst wenn er vor jemandem stand. Eines Tages, dachte Lada, würde der Welt bewusst werden, dass sie – Lada – einen Attentäter wie ihn verdiente.
»Was gibt es Neues aus Tergowiste?«, fragte sie. Ihre Kehle war immer noch rau vom Einatmen des vielen Rauchs, aber ihre Heiserkeit konnte ihre Aufregung nicht verbergen. »Habt ihr den Fürsten getötet?«
»Er war nicht da.«
Lada machte ein finsteres Gesicht, denn die Hoffnung, ihren Männern den Tod ihres Rivalen zu verkünden, hatte sich zerschlagen. Sein Tod hätte zwar nicht bedeutet, dass der Thron ihr gehörte – er hatte zwei Erben in ihrem Alter, und sie brauchte immer noch die verdammten Bojaren, um ihren Anspruch als Fürstin zu untermauern –, aber es wäre befriedigend gewesen. »Warum bist du dann zurückgekehrt?«
»Weil er in Edirne ist. Auf Einladung von Mehmed.«
Obwohl Lada wusste, dass ihr inneres Feuer bei dieser Information zu weiß glühender Wut hätte auflodern müssen, wurde sie stattdessen von kalter, bitterer Asche erfüllt. Ihr Stolz hatte es ihr nicht erlaubt, Mehmed um Hilfe zu bitten. Aber die ganze Zeit über hatte sie ihn fest in ihrem Herzen gehalten, weil sie wusste, dass Mehmed und Radu irgendwo da draußen noch an sie glaubten.
Und selbst das wurde ihr jetzt genommen.
3
Januar
Mehmed hatte keinen Brief in der Topfpflanze hinterlassen, in der sie Nachrichten austauschten. Radu nahm immer den Geheimgang – denselben, durch den Lada in der Nacht des Verrats von Ilyas und Lazar gelaufen war. Und Radu wünschte sich immer, dass Mehmed dieses Mal in der Kammer warten würde, in der Radu und Lada ihm das Leben gerettet hatten. Aber Mehmed war nie da. Radu lebte für die wenigen kurzen Sätze, die er in Mehmeds Gesellschaft verbrachte. Seine Augen verschlangen die aggressiven Zeilen von Mehmeds Schrift und verweilten bei den wenigen geschwungenen Schnörkeln. Sie unterschrieben oder adressierten die Botschaften nie. Radu hätte gerne seinen eigenen Namen in Mehmeds Handschrift gesehen, nur einmal.
Aber heute war die Blumenerde so leer wie Radus Leben. Mehmed musste klar sein, dass Radu von dem Danesti-Fürsten wusste. Eigentlich war Radu nicht zu diesem Fest eingeladen worden – das Treffen mit Suleiman war ein verzweifelter Plan in letzter Minute gewesen –, aber Mehmed hatte ihn gesehen. Und so blieb Radu also sitzen, anstatt seine Nachricht über die Marine zu hinterlassen und sich dann davonzuschleichen und zu warten, bis Mehmed sich entschied, die Angelegenheit von Ladas Schicksal anzusprechen. Er hoffte, dass …
Nun, er wusste nicht mehr, worauf er hoffen sollte. Er saß nur da und wartete.
Als die Sonne unterging, versuchte Radu, nicht an die Schrecken dieses Raums zu denken, aber Lada hatte sich so in seinem Kopf festgesetzt, dass er an nichts anderes denken konnte. Er war sich so sicher gewesen, sie würde den walachischen Thron besteigen, dass er die Möglichkeit, sie könne scheitern, nicht in Betracht gezogen hatte. Seine Schwester scheiterte nicht. War sie überhaupt noch am Leben? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Mehmed ihm die Nachricht vom Tod seiner Schwester vorenthalten würde.
Aber Mehmed hatte das Wissen vom Tod ihres Vaters und ihres Bruders vor Lada geheim gehalten. Wer konnte schon sagen, dass er nicht dasselbe bei Radu tat? Und wenn er es tat, was bedeutete das? Dass er versuchte, Radu zu schützen? Oder dass er versuchte, ihn auf ihre Ziele mit Konstantinopel zu fokussieren, und fürchtete, was diese Nachricht bewirken würde? Oder dass Ladas Tod Mehmed so wenig interessierte, dass er sich nicht einmal die Zeit genommen hatte, die Information weiterzugeben?
Nein, die letzte Möglichkeit konnte Radu nicht glauben.
Unfähig, einen friedlichen Gedanken zu fassen, wandte sich Radu dem einzigen Trost in seinem Leben zu. Er betete und verlor sich in den Worten und der Bewegung. Was auch immer sonst geschah, bereits geschehen war oder geschehen würde, er hatte Gott. Er hatte das Gebet.
Als er fertig war, hatte sich ein Schleier des Friedens über sein gequältes Gemüt gelegt. Radu zog ihn fest um sich, öffnete die Tür und ging in die zentrale Halle von Mehmeds weitläufigen Wohngemächern. Er konnte nichts tun, um die Vergangenheit zu ändern. Er konnte nur das tun, was er für die Zukunft für richtig hielt. Und dazu brauchte er mehr Informationen.
Alle Zimmer waren dunkel. Radu fand einen Stuhl in der Ecke von Mehmeds Schlafgemach. Er vermied es, auf das Bett zu schauen, das seinen Schleier des Friedens zu zerreißen drohte.
Einige Zeit später kam ein Mädchen in Radus Alter herein, zündete die Lampen an und schlich sich dann leise wieder hinaus. Radu war so still, dass sie ihn nicht bemerkte.
Das tat Mehmed auch nicht, als er schließlich hereinkam. Das gleiche Mädchen folgte ihm. Radu hätte Angst gehabt, etwas zu sehen, was er nicht sehen wollte, aber das Mädchen trug die schlichte Kleidung einer Dienerin, nicht die Seidenstoffe und Tücher einer Konkubine oder einer Ehefrau. Mehmed streckte seine Arme aus, und sie zog ihm vorsichtig eine luxuriöse Schicht nach der anderen aus. Radu wusste, dass er wegschauen sollte.
Aber das tat er nicht.
Als Mehmed nur noch seine Unterwäsche trug, legte die Dienerin sein Gewand beiseite und zog ihm ein mit Koranversen bemaltes Nachthemd über den Kopf. Dann verbeugte sie sich und verließ den Raum. Als sich die Tür hinter ihr schloss, war der Sultan wie weggeblasen. All die Dunkelheit und Angst, die sich in Radus Herz eingenistet hatten, verschwanden zusammen mit dem Sultan. Da war Mehmed. Sein Mehmed, nicht der Fremde, der auf dem Thron saß.
Mehmed rieb sich den Nacken und seufzte. Dann setzte er sich auf die Bettkante und wickelte seinen voluminösen Turban ab. Sein Haar war länger, als Radu es je gesehen hatte. Es kräuselte sich bis zu den Schultern und war in dem gedämpften Licht schwarz, obwohl Radu wusste, dass es in der Sonne kastanienfarben schimmern würde. Radu wusste nicht, wie es sich anfühlen würde, es zu berühren, aber er wollte es unbedingt.
»Ist meine Schwester tot?«, fragte Radu.
Mehmed wurde steif, eine Hand wanderte zu seiner Hüfte, wo sich normalerweise sein Dolch befand. Dann entspannte er sich und die Schultern sanken nach unten.
»Du solltest nicht hier sein«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Du solltest dich nicht mit dem Danesti-Fürsten der Walachei treffen, ohne mir zu sagen, was passiert ist.«
Mehmed seufzte und rieb sich erneut den Nacken. »Sie ist nicht tot.«
Unerwartete Tränen stiegen Radu in die Augen, als er erleichtert aufatmete – erleichtert darüber, dass Lada nicht tot war und dass seine unmittelbare Reaktion nicht aus Enttäuschung bestand. Er war also noch nicht so böse, dass er seiner Schwester das Leben missgönnte. Lediglich ihren Platz in Mehmeds Zuneigung.
»Was ist passiert? Ich dachte, du hättest ihr den Thron gegeben.«
»Das habe ich. Offenbar war die Walachei anderer Meinung.«
»Und dennoch unterstützt du ihren Rivalen?«
Mehmed hob hilflos die Hände. Er hielt sein Gesicht immer noch von Radu abgewandt. Radu sehnte sich danach, sein Gesicht, seinen Ausdruck zu sehen. Aber er konnte die Distanz zwischen ihnen nicht überwinden. Nach so langer Zeit traute er sich nicht mehr, Mehmed nahe zu sein.
»Was kann ich tun? Du weißt, dass ich alle meine Grenzen sichern muss. Ich kann keinen Krieg an zwei Fronten führen. Wenn wir Konstantinopel einnehmen wollen, brauchen wir überall sonst Frieden. Ungarn stellt eine Bedrohung dar und Hunyadi bedrängt mich bei jeder Gelegenheit. Ich kann es mir nicht leisten, ein Gebiet in Europa zu verlieren, und ich kann dort keinen Krieg beginnen, ohne einen Kreuzzug zu riskieren. Der Fürst von Danesti hat all meine Bedingungen akzeptiert.«
Das ergab Sinn. Es war eine perfekte Erklärung. Und doch …
Mehmed sah ihn immer noch nicht an. »Ist das alles? Oder hältst du Lada vom Thron fern, in der Hoffnung, dass sie nach ihrem Scheitern hierher zurückkehrt?« Radus ganze Frustration und Einsamkeit des letzten Jahres kroch aus seiner Kehle, und seine Worte waren mit Anschuldigungen gespickt.
Mehmed lachte, dunkler als die Nacht, die gegen den Balkon drückte. »Siehst du sie hier? Hast du auch nur einmal von ihr gehört? Wenn sie um Hilfe gebeten hätte, Radu, dann hätte ich sie ihr geschickt. Auf ein Wort von ihr wäre ich in den Krieg gezogen. Aber sie hat uns verlassen. Sie hat uns abgewiesen, und ich will verdammt sein, wenn ich ihr ohne Einladung folge.«
Auch hier ergab die Erklärung einen Sinn. Aber keine der Informationen fühlte sich an, als hätte man sie wie ein Geheimnis zurückhalten müssen. »Wie lange weißt du schon, dass Lada nicht auf dem Thron ist?«
Mehmed brummte nur unverbindlich auf die Frage. »Ist das wichtig?«
»Mir ist es wichtig. Sie ist meine Schwester. Warum solltest du mir Informationen über sie vorenthalten?«
Schließlich, endlich wandte Mehmed sich zu ihm um. Im schummrigen Licht der Lampe wurde sein Gesicht scharf im Profil abgebildet, Nase und Wangenknochen waren golden, die Lippen schimmerten, dann neigten sie sich wieder zurück in die Dunkelheit. »Vielleicht hatte ich Angst.«
»Wovor?«
»Angst, dass du, wenn du wüsstest, dass bei ihr nicht alles glattläuft, gehen und ihr helfen würdest.«
Radu lachte schockiert auf. »Was glaubst du, wie ich ihr helfen könnte?«
Mehmed neigte den Kopf zur Seite, sein Gesicht lag zur Hälfte im Schatten, zur anderen im Licht. »Fragst du das ernsthaft?«
Radu richtete seinen Blick auf den Boden und fühlte sich äußerst unwohl. Er sehnte sich nach einer Antwort und fürchtete sie. Was, wenn Mehmed keine Gründe einfielen, die nicht nach mehr als leeren Worten klangen?
»Ich war schon immer besser mit Pfeil und Bogen.« Radu lächelte verschmitzt.
»Lada braucht keinen perfekt gezielten Pfeil. Sie braucht ein perfekt gezieltes Lächeln. Perfekt gezielte Worte. Perfekt gezielte Manieren.«
Radu wagte es endlich, wieder aufzublicken. »Sie hat in diesen Dingen immer daneben gezielt.«
»Und du liegst immer im Ziel. Werte das, was du kannst, nicht ab, nur weil es nicht das ist, was Lada besonders gut kann. Ihr beide seid ein ausgewogenes Paar.« Mehmed starrte ins Leere, den Blick nicht mehr auf Radu gerichtet. »Oder ihr wart es zumindest.«
In diesem Moment wusste Radu, dass Mehmed nicht ihn sah, sondern die Abwesenheit seiner Schwester. »Du solltest keine Geheimnisse vor mir haben«, sagte er.
Mehmed richtete seinen Blick wieder scharf auf ihn. »Wie bitte?«
»Wenn man Dinge geheim hält, verleiht man ihnen mehr Macht, mehr Gewicht. Ich nahm das Schlimmste an, als ich deinen Betrug entdeckte. Ich war bereit, das Risiko einzugehen, dass unsere Freundschaft aufgedeckt wird, nur um mit dir zu reden. Sei in Zukunft offen zu mir.« Radu hielt inne, denn er wusste, dass er mit Mehmed als Freund und nicht als Sultan gesprochen hatte. In der Vergangenheit hätte er das nicht bemerkt. Aber jetzt – jetzt war da eine Distanz. Und er fragte sich, ob aus der vermeintlichen Distanz vielleicht mehr geworden war. Aus Angst vor diesem unbekannten Element zwischen ihnen fügte er ein leises »Bitte« hinzu.
»Und du bist mir gegenüber in allen Dingen offen?« Da war etwas in Mehmeds Stimme, ein subtiler, neckischer Tonfall, der Radu auf eine andere Weise erschreckte. Fragte Mehmed das, wonach er zu fragen schien?
»Du weißt, dass ich nur für dich arbeite und …«
Mehmed zerstreute den Schrecken mit einem hochgezogenen Mundwinkel. »Ich weiß. Und ich war töricht, an deiner Loyalität unserer Sache gegenüber zu zweifeln. Aber du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich dich aus Egoismus nur für mich haben wollte.«
»Nein«, krächzte Radu, dessen Mund plötzlich trocken war. »Natürlich nicht.« Aber die Worte, die seinen Mund verlassen wollten, waren: »Ich gehöre dir. Für immer.« Er schluckte sie mühsam hinunter.
Mehmed rutschte auf dem Bett hin und her. »Hast du heute Abend noch etwas vor?«
Radus Herz klopfte so laut, dass er sich fragte, ob Mehmed es hörte. »Was? Was meinst du?«
Mehmed gestikulierte in Richtung der Tür. »Hast du eine Idee, wie du dich unbemerkt hinausschleichen kannst?«
Der Schweiß, der auf Radus Körper ausgebrochen war, wurde kalt und erstickend. Er war ein Narr. »Nein.«
»Ich werde hinausgehen und dafür sorgen, dass mir alle Wachen in den ersten Vorraum folgen. Dann solltest du in den Gang schlüpfen können.« Mehmed stand auf und Radu folgte ihm. Zu nah. Er stieß mit dem anderen Mann zusammen.
Mehmed hielt inne, dann drehte er sich um und umarmte Radu. »Es ist schön, dich wiederzusehen, mein Freund.«
»Ja«, flüsterte Radu. Und dann war Mehmed weg.
Auf seinem Schreibtisch wartete ein Brief von Nazira auf ihn. Sie schrieb, dass sie und Fatima in der Stadt in dem bescheidenen Haus wohnen würden, das Kumal dort unterhielt. Und sie ließ Radu wissen, dass er regelmäßig mit ihnen essen würde.
Radu war verärgert und erfreut zugleich. Sie brauchte sich nicht um ihn zu kümmern, aber es wäre schön, jemanden zum Reden zu haben, der nichts von ihm erwartete. Wenn er sich die perfekte Schwester vorstellte, käme Nazira dem nahe, was er für sich erschaffen würde.
Die Schuldgefühle tauchten wieder auf. Er hatte die Gedanken an Lada verdrängen können, weil er annahm, dass sie alles hatte, was sie wollte.
Jetzt wusste er es besser. Mit einem müden Seufzer zog er ein Stück Pergament und einen Federkiel hervor.
Geliebte Schwester, schrieb er. Immerhin entsprach eins dieser Worte der Wahrheit.
Drei Tage später ging Radu auf ein Gasthaus in der Nähe des Palastes zu und schwang seine Arme im Takt seiner Schritte. Eine Gruppe Pashazadas – Söhne von Paschas, die unwichtig genug waren, um ihn trotzdem willkommen zu heißen – unterhielten sich über eine fremde Frau, die versuchte, beim Sultan vorgelassen zu werden. Sie scherzten, sie wolle sich seinem Harem anschließen und habe als Ausgleich für ihr unscheinbares Gesicht einen Karren voller Kanonen mitgebracht.
Der Wagen weckte Radus Neugierde. Und seine Besorgnis. Wenn eine ausländische Frau mit Waffen in der Stadt war und versuchte, den Sultan zu treffen, wollte Radu wissen, warum. Die anderen Männer würden sie vielleicht für verrückt erklären, aber er wusste aus erster Hand, dass Frauen genauso gewalttätig sein konnten wie Männer.
Als er um eine Ecke bog, stieß Radu geradewegs mit einer Frau zusammen. Es gelang ihm, sie aufzufangen, aber ihr Bündel Pergamente fiel zu Boden. Sie fluchte laut und vehement auf Ungarisch. Radu bekam seltsamerweise Heimweh nach seinem spießigen, stotternden Lehrer, der mitten im Wald seinen Unterricht abhielt. Und dann wurde ihm klar, dass sie es sein musste. Die fremde Frau, die Mehmed kennenlernen wollte.
»Verzeiht mir«, sagte Radu, dessen Ungarisch trotz jahrelanger Vernachlässigung immer besser wurde. Er übte seine anderen Sprachen – Latein, Griechisch, Arabisch, alles, was Mehmed mit Radu an seiner Seite gelernt hatte – regelmäßig, aber Ungarisch und Walachisch hatte er nicht mehr gesprochen, seit Lada weggegangen war. »Ich war abgelenkt.« Die Frau blickte überrascht auf. Sie war jung, älter als er, aber nur ein paar Jahre. Sie trug Kleidung im europäischen Stil, robuste Röcke und Blusen, die für die Reise gedacht waren. »Ihr sprecht Ungarisch?«
»Unter anderem.« Radu reichte ihr die Pergamente. Ihre Finger waren stumpf und geschwärzt, und auf ihren Händen glänzten Narben von alten Verbrennungen.
»Ich spreche kein Türkisch. Könnt Ihr mir helfen?« Sie sagte es böse, mehr fordernd als flehend. »Niemand in dieser verdammten Stadt will mich mit dem Sultan sprechen lassen.«
Radu fühlte sich in der verdammten Stadt gut aufgehoben. »Wo sind Eure Diener? Euer Vater?«
»Ich reise allein. Und ich bin kurz davor, aus meinem Gasthaus hinausgeworfen zu werden, weil ich genau das tue. Ich kann nirgendwo bleiben.« Sie rieb sich die Stirn und macht ein finsteres Gesicht. »Diese ganze Reise war umsonst.«
»Wollt Ihr Euch dem Harem des Sultans anschließen?«
Ihr Blick der mörderischen Empörung kam so plötzlich und durchdringend, dass er an Lada erinnert wurde. Das machte ihm die Frau noch sympathischer, aber er war auch beunruhigt. Vielleicht war sie hier, um Mehmed zu töten.
»Ich würde eher in seinen Stall gehen und ihn auf meinem Rücken reiten lassen, als in seinen Harem zu gehen und ihn auf meiner Vorderseite reiten zu lassen.«
Radu spürte, wie seine Wangen brannten, und er räusperte sich. »Was braucht Ihr denn?«
»Ich habe einen Vorschlag für ihn. Ich bin zuerst nach Konstantinopel gegangen, aber auch dort wollte man mich nicht empfangen.«
»Ihr kommt aus Konstantinopel?« Wenn sie eine Attentäterin war, dann war sie dumm, das von vornherein zuzugeben.
Sie hob eine der Pergamentrollen auf. »Dieser Arsch von einem Kaiser wollte mir nicht einmal erlauben, ihm meine Arbeit zu zeigen. Er hat gelacht und sagte, selbst wenn meine Behauptungen wahr wären, könnte er sich mich nicht leisten.«
»Inwiefern?«
Schließlich lächelte sie und zeigte all ihre schönen Zähne. »Ich kann eine Kanone bauen, die groß genug ist, um die Mauern von Babylon selbst zu zerstören. Ich hätte es für den Sultan getan, wenn er mich empfangen hätte. Jetzt muss ich wohl nach Hause zurückkehren, genauso entehrt, wie mein Vater und meine Mutter es mir prophezeit haben.« Sie schüttelte verbittert den Kopf und wandte sich zum Gehen.
»Wartet! Wie heißt Ihr?«
»Urbana. Aus Siebenbürgen.«
»Ich bin Radu. Und ich glaube, wir können uns gegenseitig helfen.« Er nahm ihr das Bündel mit den Pergamenten ab. »Holt Eure Sachen und ich werde Euch meiner Frau vorstellen.«
Urbana hob eine Augenbraue. »Ich habe nicht die Absicht, irgendeinem Harem beizutreten.«
Radu unterdrückte ein Lachen. Es hätte als gemein missverstanden werden können. »Ich versichere Euch, das ist das Letzte, woran ich denke. Ich bin in Siebenbürgen geboren und weiß, was es heißt, ein Fremder in einem neuen Land zu sein. Erlaubt mir, Euch zu helfen, so wie ich mir wünschen würde, dass jemand meiner eigenen Schwester hilft.«
»Wenn Ihr etwas Ungebührliches versucht, bin ich durchaus in der Lage, Euer Haus in die Luft zu jagen.«
Dieses Mal musste Radu lachen. »Meine Schwester würde die Hilfe mit einer ähnlichen Einstellung annehmen. Kommt, ich nehme Euch mit in mein Haus. Ihr werdet meine Frau lieben.«
Mit Naziras Hilfe würde er herausfinden können, ob man Urbana trauen konnte. Wenn ja, hatte Radu den schleichenden freudigen Verdacht, dass er Mehmed einmal mehr beweisen würde, wie wertvoll er sein konnte.
4
Januar
Lada wusste, dass es strategisch nicht unbedingt sinnvoll war, Siebenbürgen für alles zu bestrafen, was im letzten Jahr schiefgelaufen war. Aber es fühlte sich besser an als alles andere und so brannte Siebenbürgen.
Lada war nicht glücklich, aber sie war beschäftigt, und das war fast dasselbe.
»Gottes Wunden«, flüsterte sie und versuchte, den Stoff fest genug um ihre Brüste zu binden, damit diese nicht an ihrem Kettenhemd scheuerten. Es war schwierig, sich in den Wäldern anzuziehen. Aber diese Regelung war bei Weitem besser als das, was der Gouverneur von Kronstadt vorgeschlagen hatte – bevor er einen Mörder auf sie ansetzte. Nachdem er zugestimmt hatte, zu sehen, welche Männer und Gelder er freisetzen konnte, um Ladas Bewerbung um den Thron zu unterstützen, hatte er ihr vorgeschlagen, bei ihm zu bleiben, anstatt dorthin zurückzugehen, »wo keine Dame hingehört.«
Sie gehörte zu ihren Männern. Auch wenn es eiskalt war. Sie fröstelte hinter der Decke, die sie aufgehängt hatte, um sich etwas Privatsphäre zu verschaffen. Beinahe hätte sie das Tuch richtig gebunden, aber ihre kalten Finger verpatzten den Knoten. Sie warf das Tuch zu Boden und kreischte vor Wut.
»Lada?«, fragte Bogdan. Er wartete auf der anderen Seite der Decke. »Brauchst du Hilfe?«
»Nicht von dir! Lass mich in Ruhe!« Nach ein paar weiteren vertrackten Minuten hatte sie endlich alles am richtigen Platz. Sie zog eine Tunika an – eine saubere, was ein Novum war – und gesellte sich wieder zu ihren Männern.
»Du brauchst Hilfe«, sagte Bogdan mit leiser Stimme, damit es niemand hörte.
»Ich brauche keine Hilfe.«
»Du bist eine Dame. Du solltest diese Dinge nicht für dich selbst tun müssen.«
Lada warf ihm einen durchdringenden, wütenden Blick zu. »Bogdan, wann war ich jemals eine Dame?«
Er erwiderte ihren wütenden Blick mit einem sanften, schüchternen Lächeln. »Du warst immer eine Dame für mich.«
»Vielleicht kennst du mich doch nicht so gut.«
Bogdan streckte eine raue Hand aus, die er mit der Handfläche nach oben hielt, um die Narbe zu zeigen, mit der sie als Kinder »geheiratet« hatten. »Ich kenne dich.«
Bevor Lada sich entscheiden konnte, wie sie reagieren – oder was sie fühlen sollte –, erregte Petru ihre Aufmerksamkeit.