Amos Oz - Robert Alter - E-Book

Amos Oz E-Book

Robert Alter

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Beschreibung

Amos Oz (1939-2018) gilt als einer der prägenden und prominentesten Autoren Israels. Sein Name und sein Werk wurden zum Inbegriff moderner hebräischer Literatur in aller Welt.

Geboren als Amos Klausner, wuchs Amos Oz in Jerusalem auf. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war einer der Gründer der Friedensbewegung Schalom Achschaw (Peace now). In Deutschland war er ein vielgefragter Gast. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014 ausgezeichnet. Sein bekanntestes Buch Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.

Einfühlsam schildert Robert Alter, Literaturwissenschaftler und ein profunder Kenner des Werks von Amos Oz, den Lebensweg seines langjährigen Freundes, dessen Verhältnis zu seiner Familie, das Leben im Kibbuz und Oz‘ Entwicklung als Autor und Friedensaktivist im Kampf für ein pluralistisches Israel. In dieser ersten Biografie entsteht ein empathisches Lebensbild des großen Autors.

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Seitenzahl: 280

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Cover

Titel

Robert Alter

Amos Oz

Autor Friedensaktivist Ikone

Aus dem Englischen von Ursula Kömen

Impressum

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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Amos Oz.Writer, Activist, Icon bei Yale University Press, New Haven andLondon

eBook Jüdischer Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe im Jüdischen Verlag

© der deutschsprachigen Ausgabe Jüdischer Verlag GmbH,Berlin, 2024Copyright © 2023 by Robert Alter

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfoto: Steve Pyke/Getty Images

eISBN 978-3-633-78089-1

www.suhrkamp.de

Widmung

Für Carol,

die dieses Buch so gern gelesen hätte,

in ewig liebevoller Erinnerung.

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Dank

Vorwort zur deutschen Ausgabe

An meine Leserinnen und Leser

Kapitel 1. Kindheit

Kapitel 2. Kibbuz, Liebe, Armee

Kapitel 3. Der Schriftsteller

Kapitel 4. Freunde, Familie und öffentliche Auftritte

Kapitel 5. Der Aktivist

Kapitel 6. Bilanz

Epilog

Internetlinks

Personenregister

Informationen zum Buch

Dank

Nily Oz stellte mir eine große Fülle hilfreicher biographischer Informationen zur Verfügung. Dank meiner Freundschaft mit Amos pflegte ich auch zu ihr über viele Jahre eine herzliche Beziehung. Die Idee für die Biographie – die meine war, nicht ihre – entstand während eines Telefongesprächs, das Nily und ich einige Monate nach Amos' Tod führten. Ich erklärte, dass es sich dabei jedoch nicht um eine »autorisierte« Biographie handeln könnte, dass ich mich nicht verpflichten würde, ihr oder ihrer Tochter Fania während des Schreibprozesses Teile daraus vorzulegen, und sie stimmte dem unverzüglich und großzügig zu. Angesichts unserer persönlichen Verbindung fühlte ich mich an einigen Punkten beim Schreiben veranlasst, ein gewisses Maß an Diskretion zu wahren. Dennoch habe ich so offen über Amos' Leben gesprochen, dass ein oder zwei Bemerkungen oder Bewertungen für die Familie Oz unangenehm sein könnten. Zu einem relativ späten Zeitpunkt des Schreibens war Fania so freundlich, wichtige Informationen mit mir zu teilen, die mir dabei halfen, einige Lücken in der Erzählung zu schließen.

Steve Zipperstein und Anita Shapira, die Mitherausgeber der Buchreihe »Yale Jewish Lives« lasen das Manuskript und ich danke ihnen für ihre hilfreichen Vorschläge, die ich ganz überwiegend übernommen habe. Die andere Leserin des Manuskripts war meine liebe Freundin Nitza Ben-Dov, die Amos gut kannte und auch eine seiner scharfsinnigsten Rezensentinnen war. Sie wies mich auf einige relevante Quellen hin, und ihre Anregungen zu dem, was ich bereits geschrieben hatte, waren stets hoch willkommen.

Robert Alter

Vorwort zur deutschen Ausgabe

In Deutschland hat Amos Oz eine besonders intensive Wirkung entfaltet: Tausende von Menschen strömten über die Jahre zu seinen Lesungen, ob in Frankfurt am Main, in Berlin, in Dresden, Hamburg oder Worms. Amos Oz begeisterte sein Publikum, und das Publikum dankte es ihm mit Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit. Er gewann vor allem junge Leserinnen und Leser. Sein Buch Im Lande Israel machte viele mit einem ihnen bis dahin unbekannten Land vertraut. Nachdem er im Oktober 1992 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hatte, machte er sich auf zu einer Lesereise in die neuen Bundesländer und besuchte Leipzig, Dresden, Chemnitz und andere Städte. 2005 verlieh ihm die Stadt Frankfurt am Main den Goethe-Preis, in Chemnitz nahm er den Stefan-Heym-Preis entgegen, um nur diese beiden Auszeichnungen zu nennen. Die Verbreitung seines Werkes verdankt sich wesentlich der Arbeit seiner beiden Übersetzerinnen, Ruth Achlama und Mirjam Pressler, und der Freundschaft zu seinem Verleger Siegfried Unseld und zu Ulla Unseld-Berkéwicz.

Thomas Sparr

An meine Leserinnen und Leser

Manche Biographen bezeichnen die Person, um die es geht, mit nur dem Vornamen, um den Anschein von Vertrautheit zu erwecken. Mein Fall liegt etwas anders. Es hätte sich unnatürlich angefühlt, Vor- und Nachnamen zu verwenden, schließlich waren wir ein halbes Jahrhundert lang Freunde gewesen: Ich redete ihn stets mit Amos an, und er nannte mich, da wir Hebräisch miteinander sprachen, bei meinem hebräischen Namen, Uri. Hin und wieder spreche ich im Text trotzdem von Amos Oz, und zwar dann, wenn mir der öffentliche Blick auf ihn als Person als bestimmend erscheint. Dort, wo es um ihn als Kind geht, ist er Amos Klausner, die Namensänderung nahm er erst später vor.

Es gibt keine Anmerkungen in dieser Biographie, und das aus einem ganz einfachen Grund: Viele Details stammen aus meinen Gesprächen mit seiner Witwe, Nily Oz, die mich sehr großzügig unterstützt hat, sowie mit anderen Personen, die ihn gut kannten. Auch mein eigener Austausch mit ihm war mir eine Quelle. Hinzu kommt, dass die publizierten biographischen Quellen alle auf Hebräisch sind und somit für Leserinnen und Leser außerhalb Israels einen eher geringen Nutzen gehabt hätten. Ferner gibt es Unmengen von Rezensionen seiner Romane und Erzählungen, in Hebräisch und anderen Sprachen, doch diese sind überwiegend literarischer und nicht biographischer Natur; sie beschäftigen sich mit seinem Stil, den Handlungen, Erzählstrukturen, wiederkehrenden Motiven usw., so dass sie für das Schreiben über sein Leben nicht relevant waren.

Ich möchte noch anmerken, dass ich bei meiner Betrachtung der Romane und Erzählungen stets die hebräischen Originaltexte konsultiert habe. Zum einen war es mir wichtig, auf die hebräische Syntax und Wortwahl eingehen zu können. Zum anderen gehen professionelle Übersetzer und Übersetzerinnen bei literarischen Übersetzungen mitunter sinnvollerweise etwas freier vor, um einen flüssigen Text hervorzubringen, auch Kürzungen kann es geben. Für die Herausarbeitung der biographischen Bezüge habe ich mich deshalb stets auf die hebräische Originalfassung bezogen. (Anm. d. Übers.: Im vorliegenden Buch wird aus den jeweiligen publizierten deutschen Textfassungen zitiert.)

Kapitel 1

Kindheit

Die zahlreichen Leserinnen und Leser weltweit von Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, das in circa fünfundvierzig Sprachen übersetzt wurde, werden sich fragen, was über Amos Oz' Kindheit noch gesagt werden könnte, das nicht bereits eindringlich in diesem seinem wohl besten Buch geschildert wurde. Schließlich vermittelt Eine Geschichte ein unvergessliches Bild von der Zweizimmer-Erdgeschosswohnung im Jerusalemer Stadtteil Kerem Avraham, wo Amos in den 1940er Jahren aufwuchs, vom Viertel selbst und seiner so heterogenen Bevölkerung (heute ist es ein überwiegend von Ultraorthodoxen geprägtes Wohnviertel): Einwanderer aus verschiedenen Regionen Europas, viele von ihnen durch und durch säkular, einige wenige religiöse Juden, Revolutionäre, Anarchisten, leidenschaftliche militante zionistische Nationalisten, Scharen von aufstrebenden Schriftstellern unterschiedlicher Couleur, schrille intellektuelle Debattierer, unermüdliche Kämpfer für den einen oder anderen unerreichbaren Traum. Das Buch vermittelt auch einen Eindruck vom Aussehen und von der Atmosphäre der Straßen, in denen der junge Amos Klausner spielte, durch die er streifte: den heruntergekommenen Wohnungen, Hinterhöfen und mit Steinen übersäten Gärten, der Enge des Zusammenlebens auf wenig Raum und unter ärmlichen Bedingungen, die nicht selten an das Existenzminimum grenzten. Auch erfahren wir viel über die Schulausbildung des jungen Amos, anfangs in einer kleinen Privatklasse, die ihn im Alter von zehn Jahren unter die Fittiche der frommen Zelda Schneurson führte. Sie stammte aus einer berühmten chassidischen Familie, war eine ganz und gar unkonventionelle Lehrerin und wurde später weithin als eine der originellsten hebräischen Dichterinnen ihrer Zeit gewürdigt.

Am wichtigsten aber: Das Buch zeichnet detaillierte Porträts von Amos Klausners Mutter und Vater, Fania Mussman Klausner und Jehuda Arie Klausner. Sein Vater wurde 1910 in Odessa geboren, das zu dieser Zeit ein pulsierendes und buntes Zentrum jüdischen Lebens war, in dem hebräische und jiddische Literatur florierten. Heute liegt die Stadt in der Ukraine, damals gehörte sie zum russischen Kaiserreich. In seinem Elternhaus wurde Hebräisch gesprochen. Als er elf Jahre alt war, zog die Familie, auf der Flucht vor den Bolschewiki, die die Ukraine überfallen hatten, nach Wilna, wo er zunächst das hebräische Gymnasium besuchte und sich später an der dortigen Universität einschrieb. Im Jahr 1933 wanderte er nach Palästina aus, in der Absicht, dort eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Obwohl er nur den Bachelor-Abschluss hatte, war er sehr beschlagen in der hebräischen Literatur und beherrschte mindestens sechzehn Sprachen – alte und moderne. Jehuda lernte Fania, Amos' Mutter, in den späten 1930er Jahren kennen, als beide an der Hebräischen Universität studierten. Eine attraktive junge Frau, zwei Jahre jünger als er, die in Rowno – damals in Polen, heute Riwne in der Ukraine – aufgewachsen war und dort eine hebräischsprachige Schule besucht hatte, die zum Netzwerk der Tarbut-Schulen gehörte (der hebräische Name bedeutet »Kultur«), an denen der Unterricht in allen Fächern auf Hebräisch abgehalten wurde. Tarbut-Schulen wurden in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in osteuropäischen Ländern außerhalb der Sowjetunion errichtet. Das Haus, in dem Fania heranwuchs, war ein stattliches Gebäude – ihr Vater war ein wohlhabender Besitzer einer Mühle. Anfang der 1930er Jahre ging das Geschäft Konkurs, woraufhin Fania die Universität in Prag, an der sie ihr Studium begonnen hatte, verlassen musste und 1934 nach Palästina auswanderte, ein Jahr später als ihre Eltern und ihre ältere Schwester (die jüngere Schwester folgte 1938). Sprachlich war sie also mit ihrem Bildungshintergrund durch das hebräische Gymnasium bestens vorbereitet, als sie nach Palästina kam. In so ziemlich jeder anderen Hinsicht kam sie völlig unvorbereitet in die raue und ungewohnte neue Umgebung.

Fania und Arie passten nicht zueinander (sie nannte ihn Arie und nicht Jehuda). Er liebte Bücher, war ein unerbittlicher Pedant, redete pausenlos, um seine soziale Unbeholfenheit wortreich zu überspielen, gab aus Nervosität immer wieder schlechte Witze zum Besten und blickte durch kleine runde Brillengläser auf die Welt, die das, was man als gutes Aussehen hätte bezeichnen können, streberhaft erscheinen ließen. Sie, die romantische, melancholische Gedichte und Belletristik in einem halben Dutzend Sprachen las, war auf eine andere Art literarisch. Mit ihrer Neigung zum ausgedehnten, oft grüblerischen Schweigen forderte sie Aufmerksamkeit ein, wenn sie sprach, war einfühlsam, wirkte auf andere in ihrer Anmut und Schönheit faszinierend. Später jedoch litt sie an schweren Depressionen, die schließlich in eine Psychose abglitten. Wir werden noch Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, warum zwei so unterschiedliche Menschen sich voneinander angezogen gefühlt haben könnten.

Die erste Frage, die man an Amos Oz' Bericht über seine frühe Kindheit in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis stellen sollte, ist die, um welche Art Buch es sich dabei handelt. Er selbst schwankte in dieser Frage in den vielen Vorträgen und Interviews, die er darüber in Israel und vielen anderen Ländern gab. Er betrachte es nicht als einen Roman, sagte er, schließlich sei die erzählte Geschichte in seiner tatsächlichen Erfahrung und der seiner Familie verankert, sowohl in Palästina/Israel als auch, mit Blick auf die vorangegangenen Generationen, in Europa. Doch in mindestens einem Fernsehinterview bezeichnete er das Buch gleich mehrfach als Roman, und das ist auch die Bezeichnung, die eine seiner scharfsinnigsten israelischen Rezensentinnen, Nitza Ben-Dov, favorisiert. Festhalten können wir, dass er sich romanhafter Methoden bediente, um der im Wesentlichen faktischen Erzählung über seine Kindheit und seine Familie Gestalt zu geben. Das beinhaltete, wie er selbst in einem seiner Vorträge über das Buch ausführte, Dialoge zu erfinden für Situationen, bei denen er nicht anwesend gewesen sein konnte, zum Beispiel in seiner Schilderung der Beziehung der Großeltern Klausner, die in Jerusalem lebten. Zudem muss ein Romanautor stets selektiv vorgehen, wenn er die Geschichte seiner Charaktere erzählt, und das trifft auch auf Eine Geschichte von Liebe und Finsternis zu. Ich werde einige Aspekte seiner Familiengeschichte nennen, die er entschied nicht aufzunehmen. Eine romanhafte Ausformung einer Erzählung ist nie eine bloße Auflistung aufeinanderfolgender Details – es ist eben nicht nur eine verdammte Sache nach der anderen, wie John Gardner es einst ausdrückte. Vielmehr bedeutet es, durch die Art der Präsentation sämtliche Details mit einer schöpferischen Kohärenz zu prägen; die Bilder, durch die sie sichtbar werden, die Verbindungen, die zwischen einem Element der Erzählung und einem anderen liegen, zu finden. Und eine solche Präsentation ist in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis ganz deutlich erkennbar.

Eine weitere relevante Frage ist die, warum er sich gerade zu diesem Zeitpunkt seines Lebens entschied, dieses Buch zu schreiben. Wie wir sehen werden, hatte er fast fünf Jahrzehnte über die Psychose seiner Mutter und insbesondere ihren Selbstmord, der eindrücklich und schmerzhaft am Ende von Eine Geschichte beschrieben wird, weitgehend geschwiegen. Mit einer flüchtigen Ausnahme: In einem kurzen Text aus dem Jahr 1975, »Eine autobiographische Notiz«, der drei Jahre später in dem Essayband In diesem kräftigen blauen Licht erschien (Titel der englischen Übersetzung von 1995: Under this Blazing Light), gestattete er sich diese beiden Sätze: »Aber Fania, meine Mutter, ertrug ihr Leben nicht und beging 1952 aus all ihrer Enttäuschung oder Sehnsucht Selbstmord. Nichts war gelungen.« Diese kargen Worte, die hier schlaglichtartig aufblitzen, geschrieben vier Jahre bevor er endlich mit seiner Frau, Nily, über den Tod seiner Mutter sprach, legen nahe, dass er mit sich rang, über das entsetzliche Ereignis öffentlich zu sprechen, sich aber sofort wieder zurücknahm, weil es zu schmerzhaft war. Vielleicht ließ er diese wenigen Worte der Offenbarung zu, weil der kurze Abriss über sein Leben in ein biographisches Lexikon von Schriftstellern aufgenommen werden sollte, das in New York veröffentlicht werden und somit vermutlich in Israel keine größere Beachtung finden würde. Erst mit über sechzig Jahren unternahm er den drastischen Schritt, sich dem Trauma, das ihn unvermindert verfolgte, zu stellen. Ich werde in einem späteren Kapitel darauf eingehen, was ihn schließlich zu dieser essenziellen Wendung bewogen haben mochte.

Aber was ist eigentlich das zentrale Thema in Eine Geschichte? In einem Vortrag führte Amos aus, es sei tatsächlich in der Hauptsache die Geschichte seiner Familie. Das ist im Großen und Ganzen zutreffend, aber ich denke, man muss der Familiengeschichte eine weitere Ebene hinzufügen. Viele Leserinnen und Leser, insbesondere in Israel, erkannten zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung im Jahr 2002, dass die zentrale Enthüllung des Buches in der schonungslosen Darstellung – erzählt in fesselnder Romanform – des Selbstmords der Mutter lag, als Amos zwölfeinhalb Jahre alt war. Wenngleich dieses schreckliche Ereignis in der israelischen Leserschaft weithin bekannt war, die auch durchaus wahrgenommen hatte, dass einige Handlungen in seinen Geschichten und Romanen fiktionale Transponierungen des Selbstmords seiner Mutter waren, brachte es Amos viele Jahre nicht über sich, darüber zu sprechen. Die Erkenntnis, dass er auch mit seiner Frau bis 1979 kein einziges Wort darüber verlor, neunzehn Jahre nach dem Beginn einer sehr innigen und vertrauten Ehe, ist geradezu schockierend. Das erste Mal, dass er dem Selbstmord in einem seiner Bücher etwas mehr Raum gab, wenn auch episodisch, war in Allein das Meer, einem experimentellen Roman in Versform mit einigen autobiographischen Anklängen, der nur drei Jahre vor Eine Geschichte von Liebe und Finsternis erschien. Erst jetzt, kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag, näherte er sich schriftstellerisch der Konfrontation mit dem traumatisierenden Akt, der all die Jahre so schwer auf seiner Seele gelastet hatte. Eine wirklich kathartische Wirkung sollte diese Konfrontation jedoch nicht haben. Wie wir sehen werden, verspürte er bis an sein Lebensende diesen tiefen Schmerz, den ihm das plötzliche Verlassenwerden von seiner Mutter, so empfand er es, zugefügt hatte.

Es wäre jedoch ein Fehler, zu glauben, der Selbstmord der Mutter sei der »wahre« Inhalt des Buches. Ein anschauliches Beispiel für diesen Fehlschluss ist ein Artikel des hebräischen Autors Rubi Namdar in einer Ausgabe des Jewish Review of Books von 2020. Namdar ist ein kluger und literarisch sensibler Schriftsteller, aber ich glaube, er ist einem gewissen Missverständnis über Eine Geschichteaufgesessen. Eine kurze Analyse, warum er irrte, kann uns zu einem besseren Verständnis führen, was für eine Art Bericht über sein Leben Amos Oz so kunstvoll in diesem Buch ausgearbeitet hat. Namdar behauptet, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis sei – in seinen Augen untypisch für Oz' Bücher, die sonst in ihrem Handlungsaufbau straff konstruiert seien – ausschweifend, repetitiv und voller irrelevanter Details, die vom eigentlichen Thema, dem Selbstmord der Mutter, ablenkten. Anschließend rätselt Namdar darüber, wie das Buch eine solche Popularität gewinnen konnte, und gelangt schließlich zu der wenig überzeugenden Erklärung, es spreche eine gewisse Jerusalem-Nostalgie zum Ende der britischen Mandatszeit und bei Staatsgründung an. Dass das Buch bei Millionen Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt Anklang fand, die sehr offensichtlich keine solch nostalgischen Gefühle hegten, thematisiert er nicht.

Fania Klausners Selbstmord ist in der Tat die erschütternde Klimax in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, aber das bedeutet nicht, dass seine Evokation der eigentliche Sinn des Buches ist. Amos Oz hat das auch selbst nie behauptet. Die von ihm häufig gegebene Erklärung, das Buch sei die Geschichte seiner Familie, bedarf einer gewissen Modifikation. Eine Geschichte ist die Geschichte der Herausbildung des schriftstellerischen Ichs, das in die Familie eingebunden ist und aus ihr hervorgeht. Die langen Passagen etwa über das Aufwachsen der Mutter in Rowno, die die Familiengeschichte um mehrere Generationen zurückführt, sind bedeutsam, um aufzuzeigen, wer sie war und wie sie einen unauslöschlichen Eindruck bei ihrem Sohn hinterließ, weit über das Trauma des Augenblicks hinaus, als sie in einer verregneten Nacht in der Tel Aviver Wohnung ihrer Schwester ihrem neununddreißigjährigen Leben ein Ende setzte. Es ist das Handwerk eines Romanautors, die Zusammenhänge in der erzählten Geschichte herauszuarbeiten – nicht nur eine verdammte Sache nach der anderen aufzulisten –, und Eine Geschichte folgt den vielen Pfaden, auf denen ein kleiner Junge beginnt, seine Identität zu entwickeln, und zwar vor dem Hintergrund der Herkunft seiner Eltern und seiner beiden Großelternpaare mit ihren unterschiedlichen Familien, in ihren jeweiligen osteuropäischen Umgebungen. All das ist wichtig für Amos Oz' Selbstdarstellung als Mensch mit einer Berufung zum Schriftsteller, die in dem Augenblick entstand, als er das Alphabet und das Lesen erlernte.

Ein Wort zur bemerkenswerten Vielfalt der Tonlagen und Stimmungen in den verschiedenen Episoden des Buches: Ein Leben, auch eines, das von einer Tragödie gezeichnet ist, kann trotzdem lustige, angenehme und erfüllende Aspekte umfassen, unbeholfene und amüsante Missgeschicke, aufregende Entdeckungen – all dies finden wir in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, und das ist auch der Grund für die so bereichernde Lektüre. Der Selbstmord am Ende des Buches wirft zwar einen dunklen Schatten auf vieles vorher Erzählte, ist aber nicht sein letzter Sinn. Auf dem Schutzumschlag der hebräischen Originalausgabe ist ein Gemälde aus Picassos blauer Periode, Die Tragödie, zu sehen, das eine Mutter, einen Vater und ihren kleinen Sohn zeigt, die Köpfe in Trauer geneigt, in düsteren Blautönen gehalten, die ins Grau übergehen. Doch in der Widmung des Exemplars, das Amos mir schickte, schrieb er: »Die Geschichte wurde in Tagen der Dunkelheit geschrieben, aber sie versucht, in der Dunkelheit einige Funken Licht zu finden.« Diese Funken sind wichtig, sie müssen gemeinsam mit der Dunkelheit berücksichtigt werden.

Ich möchte mit einer düsteren Metapher beginnen, die Amos im zweiten Absatz des Buches einführt und zu der er später mehrfach zurückkehrt; sie hat eine weitreichende Bedeutung dafür, wie er auf sein Leben schaut und wohin es führen würde. Die ersten Seiten von Eine Geschichte enthalten eine Beschreibung der Wohnung in Kerem Avraham, in der er die ersten vierzehn Jahre seines Lebens verbrachte. Es war eine Wohnung mit nur einem Schlafzimmer, und das gehörte ihm. In dem anderen Zimmer, das als Wohn-, Ess-, Arbeitszimmer sowie als Bibliothek diente, stand ein Schlafsofa, das den Raum ausfüllte, wenn es nachts ausgezogen wurde. Die gesamte Wohnung, so schätzt er, hatte weniger als 30 Quadratmeter. »Ein dunkler, schmaler, niedriger, etwas verwinkelter Flur, ähnlich einem Fluchttunnel aus dem Gefängnis, verband die winzige Küche, den engen Bad- und Toilettenraum und die beiden kleinen Zimmer miteinander. Eine schwache Birne, im eisernen Käfig gefangen, beleuchtete diesen Flur selbst tagsüber nur dürftig. […] Durch vergitterte Fensterchen spähten Küche und Bad in einen kleinen, von hohen Mauern umgebenen Gefängnishof […].« Bemerkenswert an dieser Beschreibung ist die bildliche Darstellung der Klausner-Wohnung als Gefängnis. Alles in diesem beengten Raum ist eingesperrt, eingeschlossen. Noch die schwache Glühbirne ist »im eisernen Käfig gefangen«. Der Flur gleicht einem »Fluchttunnel«, obwohl es nicht so scheint, als ob es jemandem gelingen könnte, aus der Wohnung auszubrechen. Der Hof, auf den man durch ein schmales Fenster spähen kann, ist ein »Gefängnishof«, umgeben von hohen Mauern, die eine Flucht nur umso unwahrscheinlicher erscheinen lassen. Der Ort, an dem Amos Klausner aufwuchs, wird also als Stätte klaustrophober Einkerkerung imaginiert. Es wird sein Lebensprojekt werden, daraus zu entkommen – mithilfe des Lesens, mithilfe des Kibbuz, mithilfe einer Karriere als Schriftsteller, der seine Worte und Visionen einem riesigen Lesepublikum, in Israel und darüber hinaus, nahebringen wird, einer Karriere, die schließlich den Autor selbst durch den Ruhm seiner Bücher um die Welt trägt.

Ein weiterer Aspekt gilt für jedes autobiographische Schreiben: Inwieweit sind die Rückblicke eines Autors auf seine frühen Erfahrungen wirklich ein akkurates Register? Reflektieren sie nicht vielmehr die retrospektive Sicht des erwachsenen Schriftstellers? Dies mit Bestimmtheit zu ermitteln, ist natürlich niemals möglich. Als Amos aufwuchs, mag er seine Umgebung tatsächlich als Gefängnis empfunden haben, doch es könnte auch eine Rückprojektion aus der Sicht des Mannes in seinen Sechzigern sein, der schon lange nicht mehr in Kerem Avraham lebte, sondern sich in der großen weiten Welt aufhielt. Kinder akzeptieren die Bedingungen ihrer unmittelbaren Umgebung häufig als gegeben – ein Kind, das in einem ärmlichen Haushalt aufwächst, nimmt diese Armut nicht unbedingt wahr, solange ausreichend Essen auf dem Tisch steht. Ich gehe davon aus, dass sich der retrospektive Blickwinkel bis zu einem gewissen Grad mit den realen Gefühlen des Kindes aus den 1940er Jahren aus dieser Erzählung vermengt, so dass wir – beim Lesen über dieses Leben – mit Vorsicht an die Sache herangehen sollten.

Diese vermeintlichen Abschweifungen von der »eigentlichen« Geschichte des Selbstmords der Mutter bereichern die Erzählung nicht nur mit einer willkommenen Vielfalt, sie spielen auch eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung jenes Bewusstseins, das das Bewusstsein des Schriftstellers sein wird. Zur Erläuterung möchte ich folgendes Beispiel geben: Eine ganz besonders unterhaltsame Episode ist die Darstellung von Arie Klausners Onkel, Joseph Klausner. Alle zwei oder drei Wochen machten Amos und seine Eltern sich samstags zu Fuß – öffentliche Verkehrsmittel fuhren nicht am Schabbat, und ein Taxi konnten sie sich nicht leisten – auf den fast zweistündigen Fußweg von ihrer kleinen Wohnung zu dem großzügigen, von einem Garten umgebenen Haus von Onkel Joseph nach Talpiot im nordöstlichen Teil des jüdischen Viertels von Jerusalem.

Joseph Klausner war damals eine bedeutende Persönlichkeit. In seinem 1921 erschienenen Buch Jesus von Nazareth (Neuauflage 2021), das große Aufmerksamkeit erregte und vieles aus der späteren Forschung vorwegnahm, plädierte er für einen authentisch jüdischen Charakter des Propheten von Nazareth. Viele verunglimpften ihn daraufhin als Ketzer und Verräter, doch das Buch löste auch begeisterte Reaktionen aus und wurde in nicht wenige Sprachen übertragen. (Ich frage mich, ob es Amos indirekt bei seinem letzten Roman, Judas, beeinflusst hat, in dem Judas wohlwollend dargestellt wird, als Person, die fest und inbrünstig daran glaubte, dass Jesus der Messias ist. Und schließlich ermöglichte erst Judas' Verrat die Botschaft Jesu von der Erlösung. Auch Klausner hatte sich für eine Rehabilitation der Figur des Judas ausgesprochen.) Joseph Klausner war in den 1920er Jahren als erster Professor für moderne hebräische Literatur an die gerade erst gegründete Hebräische Universität berufen worden. Er hatte sich als ehemaliger Herausgeber der wichtigsten hebräischen literarischen Zeitschrift Europas, Haschiloah, die in Odessa erschien, einen gewissen Anspruch auf diese Stelle erworben. Doch trotz seiner außerordentlichen Belesenheit gab es Zweifel an seiner Seriosität als Wissenschaftler. Bevor er auf den Lehrstuhl berufen wurde, bat die Universität den bedeutenden rabbinischen Gelehrten Louis Ginzberg in New York um eine Stellungnahme, einen Mann von beeindruckendem Intellekt. Ginzberg antwortete, Klausner sei Journalist und kein Wissenschaftler, er würde von einer Berufung abraten.

Aber wie Amos' Darstellung lebhaft verdeutlicht, war Klausner ein Mann mit einem gewaltigen Ego. An Samstagabenden nahmen Amos und seine Eltern gemeinsam mit anderen Gästen am Esszimmertisch Platz, allesamt handverlesene Bewunderer, und Klausner referierte mit seiner piepsigen Stimme über eine Vielzahl von Themen. Politisch rechts stehende Zionisten, wie es alle Klausners waren, verstanden diese Ergüsse als vernichtende Anprangerungen der sozialistischen Zionisten, die Klausner als Handlanger Moskaus und feige Verräter der nationalen Sache betrachtete. Sein Lieblingsthema jedoch war sein eigenes Schaffen. Seiner Ansicht nach hatte es nie die grandiose Anerkennung erfahren, die es verdiente, und so wetterte er gegen seine Kritiker. Manchmal sprach er auch über einen neuen Artikel, an dem er gerade schrieb und von dem er glaubte, er werde sämtliche etablierte Vorstellungen vom Kopf auf die Füße stellen und die intellektuelle Welt in ihren Grundfesten erschüttern. Auch haderte er damit, dass man ihm einen Lehrstuhl für Literatur und nicht für Geschichte angeboten hatte, vielleicht hatte er auch insgeheim erwartet, für beide Disziplinen berufen zu werden. Heute ist er in Vergessenheit geraten und war es an der Wende zum einundzwanzigsten Jahrhundert bereits seit Jahrzehnten, seine Schriften haben kein bleibendes geistiges Erbe hinterlassen. Sein Neffe Arie jedoch bewunderte ihn und träumte davon, das akademische Erbe seines Onkels anzutreten. Doch dazu kam es nicht, und so endete Arie als untergeordneter Bibliothekar in der Nationalbibliothek. Joseph Klausner zog es nicht in Betracht, ihm zu einer Anstellung in der Universität zu verhelfen, da er fürchtete, er könnte der Vetternwirtschaft bezichtigt werden.

Auffällig an diesem Porträt ist, dass sein Großneffe Amos wertende Kommentare sorgsam vermeidet und sich auf die lebendige Schilderung von Joseph Klausners Verhalten beschränkt. Hier kommt zur Anwendung, was die emphatische Imagination des Schriftstellers für alle seine Charaktere letztlich ausmacht. Am Ende des umfassenden Berichts über die samstäglichen Ego-Orgien seines Onkels gibt Amos die folgende kurze, aber pointierte Zusammenfassung: »Er war ein gutherziger Mann, egoistisch und verwöhnt, aber süß wie ein Baby und eingebildet wie ein Wunderkind.«

Direkt gegenüber von Joseph Klausner wohnte S. ‌J. Agnon, der bedeutendste hebräische Schriftsteller der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, der zwei Jahrzehnte nach den geschilderten Talpiot-Szenen in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen sollte. Die beiden Männer verachteten sich und sprachen nicht miteinander, doch die Feindseligkeit zwischen ihnen war asymmetrisch, denn Klausner war ein selbsternanntes Genie und Agnon tatsächlich eines. Die Gründe, warum Klausner Agnon nicht mochte, waren sowohl kultureller als auch politischer Natur. Vieles in Agnons Werk ist in jenem Mittel- und Osteuropa verortet, das Klausner hinter sich gelassen hatte. Manches dreht sich um die modernen säkularen Juden in Wien oder Deutschland, der größere Teil jedoch beschäftigt sich mit der traditionellen Welt jüdischer Frömmigkeit weiter im Osten. Agnons Anwendung eines geradezu virtuosen Hebräisch war darüber hinaus Ausdruck eines grundlegenden Widerstands gegen die Moderne; er verwendete eine Matrix der Idiome, Grammatik und Syntax der frühen Rabbiner und mischte sie mit dem Hebräisch der frommen Literatur aus früheren Zeiten. Agnon selber bezeichnete seine Sprache einmal als die Sprache »aller vergangenen und zukünftigen Generationen«. Joseph Klausner fühlte sich von Agnons Texten und seiner Sprache abgestoßen. Seit seinen Tagen als Herausgeber in Odessa war er davon überzeugt, dass die neue hebräische Literatur kraftvoll, radikal modern, schlagkräftig für die nationale Sache und befreit von der muffigen Ghettoatmosphäre und all den dicken Wälzern rabbinischer Gelehrsamkeit sein musste – Wälzer, die in der Tat die Regale von Agnons Arbeitszimmer füllten.

Nur wenige Leserinnen und Leser des Hebräischen teilten diese ablehnende Sicht auf Agnon, und auch Arie, sosehr er seinen Onkel Joseph bewunderte, würdigte Agnon als großen Schriftsteller. Und so überquerten der Neffe und seine Frau mit Amos im Schlepptau, anschließend an die nachmittäglichen Besuche bei Joseph Klausner, häufig verstohlen die Straße, um den berühmten Mann, den das Kind Amos immer als »Herr Agnon« bezeichnete, zu besuchen. Der Schriftsteller war stets erfreut, sie zu empfangen. Er behandelte die hübsche junge Mutter höflich und zuvorkommend und war dem Kind und seinem Vater stets ein freundlicher Gastgeber. (Agnon war im Umgang mit Menschen häufig schüchtern oder kritisch, nicht aber mit diesen Besuchern, und er scheint das leicht Verschlagene, das er anderen gegenüber mitunter an den Tag legte, im Zaum gehalten zu haben.) Amos' metaphorische Darstellung von Agnon ist eindrücklich und fängt etwas Wesentliches von ihm ein, als Mensch und als Schriftsteller, der subtile Ambivalenzen in seinem Werk kultivierte.

[…] jedesmal wenn Herr Agnon aufstand, um diesen oder jenen Band aus seinen Bücherregalen zu ziehen, die wie eine eng gedrängte, dunkel gekleidete, etwas abgerissene Betergemeinde wirkten, warf seine Gestalt nicht einen, sondern zwei, drei oder mehr Schatten. So hat sich mir sein Bild ins kindliche Gedächtnis eingeprägt, und so erinnere ich ihn bis heute: Ein Mann bewegt sich im Dämmerlicht, und drei oder vier Schatten bewegen sich mit ihm beim Gehen – vor ihm oder zu seiner Seite, hinter ihm, über ihm oder unter seinen Füßen.

Die Beschreibung der Schattenwürfe, die offensichtlich die Fantasie des Jungen anregten, ist nur ein kleines Beispiel für die Art und Weise, wie sich Amos' Bericht über seine Kindheitserinnerungen in eine fantasievolle Darstellung von Charakteren und Szenen des Romanciers wendet.

Als Erwachsener stand er Agnon nicht sonderlich nahe, besuchte ihn jedoch gelegentlich, und später, als Professor an der Ben-Gurion-Universität, lehrte er häufig Agnons Literatur, woraus im Jahr 1997 die exzellente literaturwissenschaftliche Studie Das Schweigen des Himmels: über Samuel J. Agnon über Agnons modernes Meisterstück Gestern, Vorgestern entstand. Doch er erkannte, dass für ihn als Schriftsteller etwas gefährlich Verführerisches in Agnons kunstvoller, fein rhythmisierter, subtil archaisierender Prosa steckte, und er gestand, dass es Jahre brauchte, bis er sich davon freigekämpft hatte, sie ungewollt nachzubilden. Die Versuchung mag deshalb besonders groß für ihn gewesen sein, so erklärte er es in einem seiner Vorträge, weil die hebräische Sprache seine lebenslange Abhängigkeit war, die eine Sache, bei der er niemals Kompromisse einging. Diese Sucht begann mit dem exotischen und faszinierenden Hebräisch seiner frühen Lehrerin Zelda Schneurson und setzte sich in der religiösen Schule fort, auf die ihn seine säkularen Eltern schickten: »Mein Herz gehörte den feierlichen Wendungen, den fast vergessenen Worten, dem ungewöhnlichen Satzbau, den entlegenen Gefilden im Dickicht des Sprachwaldes, die jahrhundertelang kaum je ein menschlicher Fuß betreten hatte, der geschliffenen Schönheit der hebräischen Sprache.« Sein Hang zur stilistischen Opulenz führte ihn zu einem Schreiben, das sich von der streng reduzierten Prosa, die Agnon nach der Überschwänglichkeit seiner frühesten Romane pflegte, deutlich unterschied. Jedenfalls glaubte Amos darauf achten zu müssen, sich nicht von Agnons entschieden archaischem Hebräisch verführen zu lassen, und doch schwelgte er in den intrinsisch angelegten stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten seiner Muttersprache, wenn er manches aus früheren Schichten in seine Texte aufnahm. Das Nutzen der ausdrucksstarken Ressourcen der hebräischen Sprache ist ein Teil dessen, was Eine Geschichte von Liebe und Finsternis erzählerisch so bemerkenswert macht.

Bei aller Fülle von Details aus Amos' Kindheit, die in Eine Geschichte erzählt werden, bleibt auch einiges unerwähnt, entweder als Resultat einer gründlichen Abwägung oder weil es schlicht als verzichtbar verworfen wurde. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er vor dem Hintergrund einer Welt im Umbruch. Der Zweite Weltkrieg begann im selben Jahr, in dem er geboren wurde. Er war zu jung, um zu realisieren, dass Rommel 1942 auf Ägypten vorrückte und im Begriff stand, Palästina zu besetzen, was ein Abschlachten der jüdischen Bevölkerung nach sich gezogen hätte. Eine drohende Gefahr, die für die Juden des Landes zum Greifen nahe schien, doch durch den Sieg der britischen Streitkräfte gegen die Deutschen in El Alamein abgewendet wurde. Bevor er überhaupt lesen konnte, im Alter von vier Jahren, befasste sich Amos bereits mit dem Vormarsch und Rückzug der Armeen auf dem europäischen Kontinent, anhand von Karten, die in den Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Seine Witwe, Nily Oz, führt sogar sein lebenslanges politisches Engagement und die für ihn hohe politische Relevanz von Territorien – von zentraler Bedeutung für den anhaltenden Israel-Palästina-Konflikt – auf sein kindliches Kartenlesen zurück. Im Jischuw, dem zionistischen Gemeinwesen in Palästina, wusste man während des Krieges nur wenig über den Genozid der Nazis, und der bei Kriegsende sechsjährige Amos konnte erst einige Jahre später davon erfahren haben. Im Buch gibt es nur wenige und eher knappe Verweise auf die Schoa, den Holocaust, die jedoch sicher einen dunklen Schatten auf sein Bewusstsein warf: Er sollte erfahren, dass fast die gesamte Familie seiner Mutter, die in Rowno geblieben war, von den Nazis ermordet wurde, außerdem viele Freunde und geliebte Lehrerinnen und Lehrer von ihrer Tarbut-Schule. Amos schrieb nie einen belletristischen Text, der direkt vom Holocaust handelte, doch seine eindrückliche Erzählung Dem Tod entgegen über eine Gruppe von Kreuzrittern, die sich auf dem Weg ins Heilige Land quer durch Europa schlägt, wobei sie von der wahnhaften Besessenheit beherrscht wird, den verborgenen Juden in ihrer Mitte zu finden und zu vernichten, verlagert die Geisteshaltung und den Antrieb der modernen Massenmörder in das Mittelalter.

Das wichtigste nationale Ereignis, das den jungen Amos prägte, war die Entscheidung der UNO-Vollversammlung vom 29. November 1947, das bis dahin unter britischem Mandat stehende Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen. An diesem Abend nahmen die Klausners ihren achtjährigen Sohn mit auf die Straße, wo sich, während die Vollversammlung stattfand, zahlreiche Menschen aus der Nachbarschaft versammelten, um die Abstimmung an den Radios der wenigen, die eines besaßen, zu verfolgen. Als eine Mehrheit für die Teilung erreicht war, brach Jubel in den Straßen aus, ein unvergesslicher Moment für Amos. Doch dem Jubel folgte in den nächsten Tagen Artilleriebeschuss von der jordanischen Seite auf die jüdischen Stadtteile Jerusalems, und dieser sollte während des nun folgenden Krieges andauern.

All dies wird gebührend dokumentiert in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, aber Amos entscheidet sich dafür, die Schrecken, die er während der Angriffe empfunden haben muss, nicht zu erwähnen. Zu den täglichen Bombar