An Halloween öffnen sich die Weltentore - Karin Kaiser - E-Book

An Halloween öffnen sich die Weltentore E-Book

Karin Kaiser

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Beschreibung

Eigentlich wollte Ria Halloween zusammen mit ihrer Clique im angesagtesten Club ihrer Stadt feiern. Leider ist der Abend der völlige Reinfall, denn sie erwischt ihren Freund mit einem anderen Mädchen. Enttäuscht und verletzt flieht sie aus dem Lokal. Als sie zufällig ihre Cousine Miriam trifft, lässt sie sich doch überreden, diesen besonderen Abend zu genießen. Auf dem Weg zu Miriams Lieblingsclub finden die beiden ein geheimnisvolles, grün leuchtendes Amulett, das sie direkt in die Time Machine katapultiert - einen ganz besonderen Club mit sehr außergewöhnlichen Gästen ...

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Karin Kaiser

An Halloween öffnen sich die Weltentore

Geschichten aus dem Schattenland

Inhaltsverzeichnis

Interessante Begegnung

Düstere Gedanken

Enttäuschung

Stürmische Landung in einer anderen Welt

Lucian

Körperliche Kapriolen und ein böser Verdacht

Sehnsucht und Grauen

Angriff

Besuch im Elysion

Erlösung

Impressum

Interessante Begegnung

Es war ein grauer nebliger Herbsttag und draußen nieselte es schon seit Stunden. Genau das richtige Wetter, um seine Depressionen zu pflegen. So mies wie heute hatte Ria sich schon lange nicht mehr gefühlt. Zum gefühlten tausendsten Mal nahm sie das Handy in die Hand. Noch immer zeigte das Gerät keine Nachricht von Simon. Seit vielen Monaten hatte sie ihn aus der Ferne angehimmelt und sich sogar in seine Clique geschmeichelt, nur um in seiner Nähe zu sein. Ria konnte die Mädchen aus der Clique nicht leiden, ständig hatten diese nur ihr Aussehen und derzeitige oder zukünftige Liebesabenteuer im Kopf und man konnte mit ihnen kein vernünftiges Gespräch anfangen, ohne dass dies in endlosem Gegacker endete. Die Typen waren arrogant bis zum Geht-nicht-mehr und behandelten die Mädchen wie die dümmsten Hühner. Aber Ria hatte immer schöngetan und böse Bemerkungen hinuntergeschluckt, die rosarote Brille aufgesetzt und gehofft, dass Simon sie endlich richtig sah. Vor ein paar Wochen wurde er auf sie aufmerksam geworden und sie schwebte auf tausend rosa Wölkchen. Simon war der erklärte Schwarm vieler Mädchen an Rias Schule. Er sah verdammt gut aus: Groß, sportlich, mit einem modisch frisierten Blondschopf, unter dessen schwarz gefärbten Pony-Strähnen braun-grüne Augen selbstbewusst blitzten. Die Clique hatte sich in ihrem Lieblingsclub »Blue Lagoon« verabredet. Es war hoch hergegangen, die Bacardi-Cola floss in Strömen und irgendwann gegen Mitternacht landeten sie in seinem Bett. Um drei Uhr in der Nacht war sie nach Hause gekommen und hatte noch gebebt von der Leidenschaft von vor zwei Stunden. Rias Lippen hatten noch von seinen Küssen gebrannt und noch immer hatte sie seine heißen Hände auf ihrer Haut gefühlt. Am nächsten Tag war dann die Ernüchterung gekommen. Niemand hatte daran gedacht, zu verhüten, und entsprechend groß war Rias Angst gewesen, schwanger zu sein. Noch schlimmer war, dass Simon sich nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. Rias Tage kamen zwar nach einer Woche, aber jedes Mal meldete sich nur die Mailbox seines Handys, wenn sie anrief. Sie brauchte jetzt unbedingt Klarheit.

Rias Blick fiel auf ihren Wecker. Verdammt! Schon zwei Uhr. Heute musste sie doch arbeiten. Seit ein paar Monaten jobbte sie einmal die Woche in diesem Laden, der ausgefallenen Schmuck und andere Kuriositäten verkaufte. Die Besitzerin war zwar eine ältere Dame, passte aber so gar nicht in das konventionelle Schema, das die Gesellschaft so von alten Menschen vor Augen hatte. Sie war ein großer Steampunk-Fan und zog sich entsprechend an, was hervorragend zu ihrer schillernden Persönlichkeit passte. Ihr weißes Haar trug sie stets in einem unordentlichen Knoten. Irgendwie fühlte Ria sich bei Viola an eine Hexe erinnert. Violas Augen hatten eine sehr seltene violette Farbe und schienen im Halbdunkel des Ladens richtiggehend zu leuchten. Viola war zwar durchgeknallt, aber der liebste Mensch, den sie sich vorstellen konnte. Sie nahm für Ria den Platz ihrer Großmutter ein, die sie schon früh verloren hatte. Dass sie Viola kannte, hatte sie ihrer Cousine Miriam zu verdanken. Miriam hatte sich ihrer „kleinen“ Cousine angenommen, als sie mit ihrer Mutter nach der Scheidung von ihrem Vater zu Miriams Familie gezogen war. Dort hatten sie die kleine Souterrain-Wohnung in deren Haus bezogen. Damals war Ria dreizehn Jahre alt, schüchtern und unsicher. Miriam war fünfzehn und hatte sich sehr gefreut, nun eine Art Schwester zu haben. Eines Tages hatte sie ihre Cousine in Violas Laden mitgenommen. Ria war begeistert gewesen, was Viola so alles verkaufte. Auch ihr Laden wirkte so verwunschen und magisch, als sei er aus einer anderen Welt in die Realität katapultiert worden. Sie waren so oft bei Viola im Laden gewesen, dass sie immer wieder ins Gespräch gekommen waren und irgendwann trafen sie sich einmal die Woche zum Tee und Reden. Seit ein paar Monaten nun jobbte Ria bei ihr und hatte es bisher keine einzige Sekunde bereut. Viola zahlte gut und ihre junge Angestellte hatte immer wieder die Gelegenheit, ungewöhnliche Menschen kennenzulernen.

Nach einem halbstündigen Marsch durch den Regen stand Ria vor dem Laden. Er war in einem hübschen kleinen Fachwerkhaus untergebracht, das aussah, als hätte es sich nachträglich zwischen die zwei größeren Häuser gequetscht. Im Schaufenster lag Schmuck aus, der in verschiedenen Farben leuchtete, Lampen mit ausgefallenen Schirmen und viktorianisch anmutende Kleidung. Alles war sehr ansprechend arrangiert. Eine altmodische Klingel zeigte an, dass Ria eintrat. Im Laden herrschte ein angenehmes Halbdunkel, das nur mit wenig warmem Licht ausgeleuchtet war. Der echte Schmuck lag in zwei Vitrinen an der Wand und der Modeschmuck war auf einem schwarz gedeckten Tisch ausgelegt. Auf einem weiteren Verkaufstisch lagen Jacken, Blusen, Hosen und Röcke. In einem Regal an anderen Wand standen Lampen, altmodische Kaffeemühlen und andere Antiquitäten. Komisch, das Viola nicht sofort kam. Plötzlich vernahm sie Stimmen im Hinterzimmer. Die Ladenbesitzerin hatte wohl Besuch. Es war Ria zwar peinlich zu stören, aber sie musste ja Bescheid geben, dass sie hier war. Sie ging zum Hinterzimmer, wo die Tür nur angelehnt war. Bevor sie klopfte, blickte sie neugierig durch den Spalt. Viola war nicht zu sehen, dafür hatte Ria volle Sicht auf deren Gegenüber. Und das war eine Augenweide: ein junger Mann etwas über zwanzig mit fantastischen grünen Augen und pechschwarzem Haar, dass sich bis weit in seinen Nacken ringelte. Sein Gesicht war blass wie Alabaster, zwar männlich, aber dennoch feingeschnitten und sensibel. Er trug schwarze Kleidung im viktorianischen Stil, die seinen schlanken Körper vorteilhaft betonte. Er beugte sich über einen reichverzierten Holzkasten, sodass sie nicht erkennen konnte, was darin war.

»Nun, ist es, was du dir vorgestellt hast, Lucian?«, erklang nun Violas Altstimme. ‹‹

Der Angesprochene lächelte. Dieses Lächeln war so überirdisch schön, dass es Ria schwindlig wurde, und sie errötete wider Willen.

Der Mann verschloss den Kasten wieder.

»Genau das Richtige als Halloween-Dekoration. Ich weiß gar nicht, wo du all diese Schätze auftreibst, Viola.«

»Betriebsgeheimnis.«

Ria wollte sich schon ankündigen, als sie sah, was in dem Kasten war: ein riesiger Pflock aus dunklem Holz. Plötzlich sank ihr Herz in ihre Hose. Wie aus dem Nichts bildeten sich dunkle Schwaden um den Kopf des jungen Mannes. Eine Aura? In Schwarz? Aber sie strahlte nichts Böses aus; im Gegenteil, es war tiefe Trauer, Schuld und Depression, die Ria herauslas. Seit wann konnte sie so etwas? Der junge Mann sah auf und ihre Blicke trafen sich für Sekundenbruchteile. Ria hätte am liebsten geweint, als sie den Schmerz in seinen wunderbaren grünen Augen sah. In ihrem Kopf formte sich ein Gedanke: was immer du Schlimmes vorhast, tu es nicht! Der Schmerz verschwand wie eine Geistererscheinung und er lächelte, während er den Kasten schloss.

»Ich glaube, du hast noch weiteren Besuch bekommen, Viola«, sagte er und blinzelte Ria schelmisch zu. So gefiel er ihr deutlich besser. Viola beugte sich vor und erkannte Ria.

»Oh, du bist schon da, Ria?«

In diesem Moment läutete es wieder.

»Ich geh schon. Bleib ruhig sitzen, Viola.«

Als sie sich umdrehte und nach vorne hastete, sah sie, dass es nur Violas schwarze Katze Mimi war, die sich mal wieder selbst hereingelassen hatte. Mit einem Lachen nahm Ria das Tier hoch, das sofort sein Köpfchen an ihrem Kinn rieb. Ihre gelblichen Augen leuchteten geheimnisvoll auf, als sie anfing zu schnurren.

»Du kleines Teufelchen, du weißt genau, wie du es machen musst«, sagte Ria und streichelte Mimi zwischen den Ohren, bevor sie sie wieder absetzte. Als sie am Schmuck-Verkaufstisch vorbei zur Kasse wollte, stach ein Stück besonders in Rias Augen und sie blieb stehen. Es war ein Kreuz aus Silber, das reich mit Bernstein verziert war. Es war wunderschön. Aber was tat es zwischen all dem Modeschmuck? Ria nahm das Teil an sich und ging damit zur Kasse. Gerade als sie sich dahinter postierte, kamen Viola und ihr Besuch aus dem Hinterzimmer.

»Endlich hast du auf mich gehört und hast dir Hilfe geholt«, meinte Lucian mit einem Lächeln und schenkte Ria einen sehr ausführlichen, anerkennenden Blick. So ziemlich anders als Simon.

»Ria und ihre Cousine Miriam gehören schon fast zum Inventar«, antwortete Viola und betrachtete Ria mit einem großmütterlich-liebevollen Blick.

»Und seit ein paar Monaten arbeite ich hier, damit ich mir auch die richtig schönen Sachen leisten kann«, meinte Ria mit einem Lächeln und warf Viola einen schelmischen Blick zu.

»So wie dieses Kreuz hier?«, fragte Lucian und wies auf das Schmuckstück neben der Kasse.

»Das gefällt mir schon. Aber es war nur versehentlich beim Modeschmuck gelegen.«

»An deiner Stelle würde ich es kaufen. Es passt so gut zu deinen Augen«, sagte Lucian und lächelte. Mensch, seine Augen waren so grün, dass man darin versinken konnte!

Viola kassierte Lucian ab und legte den Kasten vorsichtig in eine Tasche aus Leinen.

»Du kannst dich gerne öfter hier sehen lassen, Lucian.«

Viola kam hinter der Kasse hervor und umarmte den jungen Mann herzlich.

»Wenn ich es einrichten kann, gerne. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Ria«, antwortete Lucian und gab Ria die Hand. Seine Hand fühlte sich so kalt an wie Eis, aber trotzdem wurde es ihr heiß und sie hatte das Gefühl, er behielt ihre Hand viel länger in seiner als gewöhnlich. Als wolle er ihre Wärme in sich aufnehmen. Dann verließ er den Laden, nicht ohne Ria noch einmal zuzulächeln.

»Na, du hast ja gleich Eindruck auf ihn gemacht. So wie er dich angesehen hat, hätte er gerne mal an dir genascht«, sagte Viola trocken und warf Ria einen herausfordernden Blick aus violetten Augen zu. Postwendend schoss die Hitze wieder in ihren Körper.

»Ach, ich glaube, er wollte nur freundlich sein.«

»Du solltest dein Licht nicht so sehr unter den Scheffel stellen. Hast du eigentlich in der Zwischenzeit von deinem Freund gehört?«

»Nein. Und das nervt nicht schlecht.«

»Verbuche ihn unter Erfahrungen.«

»Du willst mich doch nur mit deinem Lucian verkuppeln.«

»Warum nicht?«

»Du scheinst ihn schon lange zu kennen.«

»Allerdings.«

»Dieser Typ ist irgendwie nicht von dieser Welt«, erwiderte Ria nachdenklich.

»Ja, er ist etwas ganz Besonderes.«

Ein geheimnisvoller Glanz trat in Violas Augen, als sie dies sagte. Doch es gab keine weitere Erklärung und Ria hatte keine Lust, weiter zu bohren.

»Ich habe etwas gesehen, was mich etwas beunruhigt hat.«

Ria schilderte kurz ihre Beobachtung mit den schwarzen Schwaden.

»Ist das eine Aura?«

Viola lächelte.

»Nicht ganz. So wie es aussieht, hast du ganz feine Antennen für Trauer und Depression. Lucian hat in der Vergangenheit viel Schmerz ertragen müssen.«

»Meinst du, er will sich etwas antun?«

»Kann ich mir nicht vorstellen. Es kann sicher sein, dass ihn öfter depressive Stimmungen überfallen, aber er ist eine starke Persönlichkeit. Da musst du dir keine Sorgen machen. So, ich glaube, jetzt sollten wir mal ein wenig arbeiten. Getratscht haben wir genug.«

Kurz nach Lucians Besuch strömten die Leute geradezu in den Laden. Plötzlich schien jedem eingefallen zu sein, dass ja Halloween vor der Tür stand. Ria atmete auf, als sie um sechs Uhr am Abend die Ladentür schließen konnte. Es dauerte noch eine dreiviertel Stunde, bis sie aufgeräumt und die Kasse gemacht hatten. Ria nahm das silberne Kreuz, das noch immer neben der Kasse lag. Sie konnte nicht widerstehen, noch einmal sanft über das Silber und die wunderschönen Bernsteine zu streichen. Warum leuchteten diese plötzlich warm auf? Ria zuckte die Schultern. Vielleicht war einfach das Licht eines vorbeifahrenden Autos auf die Steine gefallen …

»Puh, heute war so viel los wie schon lange nicht mehr«, meinte Viola zufrieden, als sie aus ihrem Hinterzimmer kam, wo sie die heutigen Bar-Einnahmen im Tresor verstaut hatte. Ria schrak aus ihren Gedanken auf und blickte Viola an. Sie wirkte müde, aber ihre Augen glänzten. Ria wurde es ganz warm ums Herz, als sie sah wie sehr ihre Chefin ihren Job liebte.

»Ich räume noch schnell das Kreuz weg und dann bin ich weg«, sagte Ria.

»Behalte das Kreuz, Ria. Für die Überstunden«, meinte Viola mit einem warmen Lächeln.

»Aber Viola … das ist fast hundert Euro wert! Ich kann das nicht annehmen.«

Viola lächelte fein, wobei ein Kranz kleiner Fältchen um ihre Augen erschien. Der Blick in ihren violetten Augen war einmal mehr hexenhaft geheimnisvoll.

»Ich habe gesehen, wie die Steine aufgeleuchtet haben, als du das Kreuz in die Hand genommen hast. Es will zu dir. Dagegen bin ich machtlos.«

»Willst du damit sagen, dass das Teil magisch ist?«

»Oft wohnt ein wenig Magie in ganz profanen Dingen. Steck es schon ein und dann mach, dass du nach Hause kommst, bevor es wieder regnet.«

»Du bist so ein Schatz, Viola!«, rief Ria und umarmte Viola stürmisch.«

Vor ihrer Haustür kramte Ria in ihren Jackentaschen. Verdammt, sie hatte schon wieder den Schlüssel vergessen! Sie klingelte. Und ihr blieb der Mund offenstehen, als sie ihre Mutter in der Tür stehen sah. Diese hatte ihre dunkelblonden Locken nach hinten frisiert, auf ihren Augenlidern lag hellgrüner Lidschatten, und auf ihren vollen Lippen ein dunkelroter Lippenstift. Sie trug ein schwarzes Kleid, das ihre immer noch schlanke Figur vorteilhaft betonte.

»Wow, du siehst toll aus, Mama! Hast du was vor?«

Diese lächelte und sofort erschienen rund um ihre Augen die winzigen Lachfältchen, die Ria so an ihr liebte. Sie sah richtig glücklich aus.

»Kann ich das Kleid für ein Musical anziehen oder ist das zu schick?«

»Ein Musical?«

Rias Mutter rollte die Augen.

»Meine liebe Schwester hatte die spontane Idee, zu „Tanz der Vampire“ zu gehen. Ich hoffe, Christian kann die Praxis noch rechtzeitig schließen.«

Ein verliebter Ausdruck erschien auf dem Gesicht von Rias Mutter. Christian war der erste Mann, der nach der Scheidung von ihrem Vater vor fünf Jahren, das Herz ihrer Mutter hatte erobern können. Vor drei Jahren hatte sie ihn kennengelernt, auf einer Geburtstagsfeier ihres Schwagers, zu der dieser seine Arztkollegen aus dem Krankenhaus eingeladen hatte. Und mit ihm schien sie den großen Wurf gelandet zu haben. Sie strahlte aus allen Knopflöchern vor Glück. Christian war nicht nur nett, sondern sah auch noch sehr gut aus mit seinem gepflegten, dunkelbraunen Haar, dessen Spitzen ihm hinten in den Kragen reichten und seinen dunklen, fast schwarzen Augen. Sein Lächeln und sein ganzes restliches Aussehen waren äußerst ansprechend und er war nur sehr selten schlecht drauf. Vor einem Jahr waren Ria und ihre Mutter zu ihm gezogen und das Zusammenleben verlief außerordentlich gut. Auch hatte er nie darauf gepocht, die Stelle des Vaters bei ihr einzunehmen. Er war mehr ein guter väterlicher Freund für Ria, wofür sie ihm sehr dankbar war. Und ihre Mutter war so glücklich und verliebt, dass ihre Tochter beinahe neidisch wurde.

Ria spürte einen prüfenden Blick auf sich und blickte auf.

»Du siehst nicht gerade glücklich aus«, sagte Rias Mutter besorgt.

Ria seufzte und schielte wieder auf das Handy auf ihrem Tisch.

»Simon hat sich immer noch nicht gemeldet. Ich habe es schon zigmal versucht, aber er geht nicht ans Telefon. Das nervt mich vielleicht.«

»Anscheinend nimmt er eure Freundschaft nicht so ernst wie du«, tastete Rias Mutter sich vorsichtig vor.

»Das glaube ich auch«, murmelte Ria.

»Bevor ich es vergesse: Miriam hat heute angerufen. Willst du dich mal mit ihr treffen?«

»Sie ist schon zurück aus England? Sie war doch erst ein halbes Jahr dort.«

»Hat mit ihrem Freund wohl nicht geklappt. Seit vorgestern ist sie zurück.«

Dann saßen sie ja beide im gleichen Boot. Auf einmal hatte Ria gar keine Lust mehr darauf, Simon die Augen auszukratzen.

»Wenn das so ist ... ich ruf sie mal kurz an.«

Miriam war schon nach dem zweiten Klingeln am Apparat. Sofort war die alte Chemie zwischen den beiden da und sie beschlossen, sich am Abend in ihrer Lieblingskneipe “Michas Place” zu treffen. Hoffentlich war Mama noch da. Ria hatte keine Lust, heute ein zweites Mal in den Regen zu kommen.

»Mama?«, rief sie aus ihrem Zimmer hinunter.

»Ja?«

»Wann fahrt ihr denn los?«

»In zehn Minuten.«

»Könnt ihr mich in der Stadt absetzen? Ich muss nur noch kurz ins Bad.«

»Wenn du in zehn Minuten fertig bist.«

»Locker. Hab eh keine Lust, mich aufzubrezeln.«

Ria ging ins Bad. Dort betrachtete sie sich eingehend im Spiegel. Ein schmales, blasses Gesicht blickte sie müde an. Ria löste das Haarband und ließ ihre dunkelbraunen Haare über ihre Schultern fallen. Zum Schminken hatte sie keine Lust. Wozu auch? Ria putzte sich rasch die Zähne, fuhr mit der Bürste durch ihre Haare und war fertig. Sollte sie noch etwas anderes anziehen? Nein, die schwarze Bluse über der Blue Jeans tat es auch. Für die Kneipe war sie hübsch genug.

Christian fuhr Ria sogar bis vor die Tür von „Michas Place“.

»Danke fürs Mitnehmen. Ich wünsche euch viel Spaß.«

»Alles klar. Ich hoffe, du hast auch viel Spaß.«, sagte Rias Mutter. Ria stieg sie aus und schloss die hintere Autotür. Kurzes Winken, dann brausten sie davon.

Ein herrlicher Geruch nach warmen Ofenkartoffeln zog in Rias Nase, als sie die Glastür zu „Laras Place“ öffnete und einmal mehr war sie beeindruckt, wie gemütlich dieses Lokal war. Es befand sich in einem alten Fachwerk-Gebäude und hatte durch die mit schweren, dunklen Holzbalken durchzogene Decke einen besonderen Charme. Das weinrot der Wände hob sich angenehm von den dunkelbraunen Balken ab und überall hingen alte, liebevoll eingerahmte Werbeplakate, die sich mit moderneren Kunstdrucken abwechselten. In die Ecken des Raumes waren heimelige Sitzecken mit dunklen Möbeln eingepasst. Der helle Dielenboden knarzte bei jedem Schritt. Dieses Lokal gehörte der besten Freundin von Rias Tante. Lara hatte vor einigen Jahren ihren gut dotierten Job im Marketing aufgegeben, um sich ihren Traum von einem Café zu erfüllen. Und seitdem war der Laden am Brummen. Bevor Ria sich Lenas Clique angeschlossen hatte, war sie oft entweder mit ihrer Mutter oder mit Miriam dort gewesen. Ria steuerte einen kleinen Zweiertisch auf der rechten Seite neben dem mittleren Fenster an und setzte sich. Hier hatte sie sich mit Miriam verabredet; sie wollten gut essen und trinken und reden. Auf Clubs hatte keine der beiden Lust. Nach kurzer Zeit schon kam eine hübsche Frau mit langen kupferbraunen Haaren und aparten, slawisch anmutenden Gesichtszügen auf den Tisch zu. Es war Lara, die Besitzerin des Cafés. Ihre dunklen Augen blitzten erfreut auf, als sie Ria sah.

»Oh, schön, dich mal wieder zu sehen«, begrüßte sie Ria.

»Ja, es war höchste Zeit, dass ich mal wieder komme«, antwortete sie mit einem Lächeln.

»Was darf ich dir denn bringen?«

»Erst einmal eine Cola, ich warte noch auf Miriam.«

»In Ordnung.« Lara stöckelte in Richtung Bar davon. Drei Sekunden später stand eine eiskalte Cola vor Rias Nase. Sie sah kurz auf die Uhr. Halb neun. Miriam müsste demnächst kommen.

Das Knarzen der Eingangstür schreckte Ria aus ihren Gedanken. Wow, Miriam war ja richtig pünktlich. Und sie sah wirklich toll aus. Ihre Haare waren pechschwarz gefärbt und fielen glatt über ihre Schultern. Lediglich die vorderen Haarsträhnen hatte sie nach oben gesteckt, damit sie nicht blind durch die Gegend lief. Sie hatte ein enges schwarzes Shirt, darüber eine schwarze Lederjacke und eine passende Jeans an und an ihrem Hals hing ausgefallener Silberschmuck. Ihre großen grün-braunen Augen blitzten auf und ihre vollen Lippen teilten sich zu einem erfreuten Lächeln, als sie mich sah. So schnell es ihre Plateau-Sohlen erlaubten, eilte sie zu meinem Tisch.

»Hi, du bist ja super pünktlich«, begrüßte Ria die Freundin trocken.

Diese grinste sie spitzbübisch an.

»Man tut, was man kann. Du siehst toll aus«, sagte Miriam, nachdem sie Ria ausführlich betrachtet hatte.

»Ich fühle mich nur nicht so wie ich aussehe.«

In kurzer Zeit hatte Miriam Ria aus der Nase gezogen, wie ihr letztes halbes Jahr so war. Auch Miriams Leben im letzten halben Jahr war nicht so berauschend gewesen. Ihr britischer Freund Bob hatte sich leider als etwas besitzergreifend herausgestellt. Immer öfter hatte es während ihres Zusammenlebens Streit gegeben, bis Miriam die Nase voll hatte und mit ihm Schluss gemacht hatte.

»Viola geht es aber gut?«

»Im Gegensatz zu uns geht es ihr Bombe. Sie wollte mich schon mit einem ihrer Kunden verkuppeln.«

Miriam lachte hell auf.

»Kann ich mir bildhaft vorstellen. Ist er wenigstens hübsch?«

»Er sieht schon fantastisch aus.

---ENDE DER LESEPROBE---