Das verhexte Einhorn - Karin Kaiser - E-Book

Das verhexte Einhorn E-Book

Karin Kaiser

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Beschreibung

"Er ist nicht tot!" Verzweifelt hämmert Jenny gegen die Rinde der majestätischen alten Eiche im Garten ihres Elternhauses. "Nein, Jenny, ich bin am Leben, aber nicht so wie du mich kennst", raunt da plötzlich eine Stimme in ihr Ohr. Wütend türmt Jenny aus der Praxis des Psychotherapeuten ihrer Mutter, der ihr nahebringen will, dass ihr Vater tot sei. Aber tief in ihrem Herzen ist sie fest überzeugt, dass er noch lebt. Irgendwo. Auf ihrer Flucht gerät sie in einen urtümlich anmutenden Wald mit riesigen Bäumen und trifft auf das verhexte Einhorn Obsidian. Jenny beginnt zu ahnen, warum ihr Vater vor seinem Verschwinden magische Fabelwesen malte. Voller Zuversicht begibt sie sich mit ihrem neuen Freund auf eine abenteuerliche und oft gefährliche Reise nach ihrem Vater ...

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Karin Kaiser

Das verhexte Einhorn

Schwarze Magie im Einhornwald

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Jennys Schmerz

Obsidian

Im Totenreich

Begegnung mit Charis

Amalfina

Im Schloss des Steinernen Schwertes

Frieden im Einhornwald

Wiedersehen

Impressum

Prolog

Die Luft war eis­kalt und feucht, der Schnee der letz­ten Ta­ge war in­zwi­schen ganz ver­schwun­den. Ne­bel­schwa­den zo­gen durch den Wald, leg­ten sich wie ein schüt­zen­der Schal um die Bäu­me und die Sta­tue ei­nes Ein­horns, die mit­ten im Wald stand. Nie­mand wuss­te, wie sie hier­her­ge­kom­men war, ob sie das Werk ei­nes ver­rück­ten Künst­lers war oder wa­rum sie aus­ge­rech­net hier im Wald auf­ge­stellt war. Aber das Ein­horn war meis­ter­haft ge­ar­bei­tet, der me­lan­cho­li­sche Aus­druck in sei­nen Augen, das ge­dreh­te Horn auf sei­ner Stirn, so­gar je­des ein­zel­ne Haar sei­ner vol­len, lan­gen Mäh­ne war fein her­aus­ge­ar­bei­tet, sein Körper war edel und kraft­voll und dies alles ließ es sehr lebens­echt wir­ken. Viele Wan­de­rer, die sich an die­se Stel­le des Wal­des ver­irr­ten, blie­ben ste­hen und be­wun­der­ten das herr­li­che Tier, Men­schen mit klei­nen Kin­dern setz­ten die­se so­gar auf sei­nen Rü­cken und mach­ten Fotos. Doch als die Men­schen wie­der den Wald ver­lie­ßen, kam ein tie­fes Seuf­zen aus der Keh­le des Ein­horns und nur die klei­nen Tie­re des Wal­des hör­ten das Seuf­zen, manch­mal hör­ten sie auch ein ver­zwei­fel­tes Wei­nen, doch auch sie ver­weil­ten nur kurz, stau­nend über das selt­sa­me Ge­räusch, das aus der Stein­fi­gur er­klang. Denn die­ses Ein­horn war nur äu­ßer­lich ei­ne Sta­tue. Un­ter der Stein­schicht schlug ein Herz, das noch viel schwe­rer war als die­se elen­de stau­bi­ge Last aus Stein auf sei­nem Körper. Einst hat­te die­ses Tier auch ei­nen Na­men ge­habt, Ob­si­di­an. So hat­te man ihn ge­nannt, als er we­der ein Ein­horn noch ei­ne Stein­sta­tue ge­we­sen war. Einst war er ein Jun­ge ge­we­sen, mit bern­stein­far­be­nen Augen und Haaren, die so schwarz waren wie Ob­si­di­an, dem liebs­ten Edel­stein sei­ner Mutter. Wie­der schlich sich ein tie­fes Seuf­zen aus der mäch­ti­gen Brust des Ein­horns. Wie groß sei­ne Sehn­sucht war, sich end­lich be­we­gen zu kön­nen, end­lich wie­der ein Mensch zu sein! So viele Men­schen hat­te er ver­sucht zu ru­fen, da­mit sie ihm hal­fen, aber nie­mand hör­te sein Fle­hen, bis jetzt war noch kein Mensch vor­beige­kom­men, der emp­find­sam ge­nug war, um ein stein­er­nes Ein­horn zu hö­ren. Da­bei war er auf ein Men­schen­kind an­ge­wie­sen, denn nur die Trä­nen ei­nes Men­schen mit ei­nem rei­nen Her­zen konn­ten die­se Stein­schicht wegs­pren­gen.

Sei­ne Ge­dan­ken schweif­ten zurück zum Ein­horn­wald, in dem so viele ma­gi­sche We­sen un­ter dem Schutz von Cha­ris leb­ten. Cha­ris war ein schloh­wei­ßes Ein­horn, mit ei­nem kunst­voll ge­dreh­ten, dia­mant­enen Horn auf der Stirn, das in der Son­ne bläu­lich schim­mer­te, ih­re Augen waren von ei­nem wun­der­ba­ren, tie­fen Blau und vol­ler Lie­be und Gü­te, ihr Körper war fein und zier­lich, aber den­noch wohn­te so viel Kraft in ihr. Doch ihr Land war in Ge­fahr, denn Amal­fi­na, ei­ne He­xe mit ei­nem mäch­ti­gen Zau­ber­schwert, mach­te Cha­ris die Macht strei­tig. Heiß schoss der Zorn in Ob­si­di­ans Herz. Er kann­te Amal­fi­na, denn sie war sei­ne Schwes­ter ge­we­sen. Und sei­ne Ge­dan­ken dran­gen vor in frü­he­re Er­in­ne­run­gen. Ja, Amal­fi­na war sei­ne Schwes­ter ge­we­sen, ein hüb­sches Mäd­chen mit blon­dem Haar, wun­der­schö­nen hel­len Augen und ei­nem freund­li­chen We­sen. Einst hat­ten sie sich nach dem Tod ih­rer Eltern auf den Weg in die näch­ste Stadt ge­macht, um dort zu ent­fern­ten Ver­wand­ten zu ge­hen und die­se zu bit­ten, sie auf­zu­neh­men. Was für ei­ne elend lan­ge Wan­de­rung das ge­we­sen war! Und dann hat­ten sie sich in die­sem Wald ver­irrt, wo Cha­ris sie dann ge­fun­den hat­te. Sie hat­te die wei­nen­den Kin­der ge­trös­tet und hat­te sie in ihr Reich ge­führt. Dort kann­te sie ein kin­der­lo­ses El­fen­paar, das sich Ob­si­di­ans und Amal­fi­nas an­nahm und den bei­den Kin­dern ei­ne Heimat und Ge­bor­gen­heit gab. Wäh­rend Ob­si­di­an sich schnell an das Le­ben in die­ser Welt ge­wöhn­te, in der es im­mer­zu Früh­ling war, blieb Amal­fi­na sehr emp­find­sam und in sich ge­kehrt, es fiel ihr sehr schwer, sich um­zu­ge­wöh­nen. Viel zu sehr ver­miss­te sie die ge­lieb­ten Eltern. Ja, und dann hat­ten sie die­sen ver­häng­nis­vol­len Aus­flug ge­macht. Sie waren weit in den Wald vor­ge­drun­gen, bis zu ei­ner gro­ßen Höh­le. Die Pflege­el­tern hat­ten sie ge­warnt, nicht dort­hin zu ge­hen und auf kei­nen Fall die Höh­le zu be­tre­ten, denn die­se sei das Tor zum To­ten­reich. Ob­si­di­an hat­te ver­geb­lich ver­sucht, Amal­fi­na ab­zu­hal­ten, die­se Höh­le zu be­tre­ten. Viel zu be­ses­sen war sie von der Idee ge­we­sen, dort die Eltern wie­der zu se­hen. Als sei­ne Schwes­ter hat­te sie die Höh­le be­tre­ten und als ei­ne kalt­her­zi­ge He­xe war sie wie­der her­aus ge­kom­men, ein rie­si­ges Schwert aus Stein in ih­rer Hand hal­tend. Und mit die­sem Schwert hat­te ein bö­ser Zau­ber von ihr Be­sitz er­grif­fen. Als er Amal­fi­na das Schwert hat­te ent­rei­ßen wol­len, hat­te sie ihn in ein schwar­zes Ein­horn ver­zau­bert. Und dann hat­te ei­ne Schre­ckens­herr­schaft be­gon­nen. Amal­fi­na hat­te sich mit dem Schwert im Düs­ter­wald ver­schanzt und dort ih­re Macht aus­ge­baut. Und je­den, der ihr nicht fol­gen woll­te, hat­te sie in Stein ver­wan­delt. Ob­si­di­an war so ver­zwei­felt ge­we­sen, dass er so­gar in der Men­schen­welt je­man­den ge­sucht hat­te, der Amal­fi­na von die­sem Schwert be­frei­en konn­te.

Der ein­zi­ge Ver­trau­te, den Ob­si­di­an in der Men­schen­welt hat­te, war Da­vid, ein jun­ger Ma­ler, den er an der Gren­ze zum Men­schen­reich ken­nen­ge­lernt hat­te. Er war der er­ste Mensch ge­we­sen, der ihn als Ein­horn er­kannt hat­te. Ihm hat­te er so weit ver­traut, dass er ihn so­gar mit in Cha­ris Reich ge­nom­men hat­te und auch mit Cha­ris hat­te Da­vid sich an­ge­freun­det. Und seit sei­nem er­sten Be­such war Da­vid ein gern ge­se­he­ner Gast in der An­ders­welt. Doch Da­vid wur­de äl­ter, er fand ei­ne Frau, die er lieb­te und sie be­ka­men ein klei­nes Mäd­chen. Von da an wur­den Da­vids Be­su­che sel­te­ner. Aber den­noch hat­te er ver­sucht, Ob­si­di­an zu hel­fen. Doch sie hat­ten Amal­fi­na nicht aus­tri­cksen kön­nen. Sie sprach ei­nen Fluch über sie aus und Ob­si­di­an ver­stein­er­te. Was mit Da­vid ge­schah, wuss­te er nicht. Hat­te sie ihn ge­tö­tet? Und was war aus dem Ein­horn­wald ge­wor­den? Gab es ihn noch? So oft be­schäf­tig­ten ihn die­se Fra­gen nun, aber es war mü­ßig, sich Ge­dan­ken da­rüber zu ma­chen, er war hier fest­ge­wach­sen und konn­te sich nicht rüh­ren. Wann end­lich kam je­mand, der ihn aus die­ser Be­we­gungs­lo­sig­keit er­lös­te?

Jennys Schmerz

»Er ist nicht tot!«, rief Jen­ny wü­tend aus.

Wie ein Ra­cheen­gel stand sie vor ih­rer Mutter, die ihr eben ver­kün­det hat­te, dass sie mor­gen ei­nen Termin beim Psy­cho­thera­peu­ten hat­te, um den Tod ih­res Vaters auf­zu­ar­bei­ten. Ner­vös fuhr Jen­nys Mutter sich durch ih­re blon­den Lo­cken, ih­re blau­en Augen fla­cker­ten kurz, aber sehr schnell kehr­te ein stren­ger Blick in sie zurück.

»Jen­ni­fer, es ist schon vier Jah­re her, dass dein Vater ver­schwun­den ist. Es gibt kei­ne Hoff­nung mehr, dass er noch lebt.«

Sie ver­such­te, ver­nünf­tig und ru­hig mit Jen­ny zu spre­chen, aber das Zit­tern in ih­rer Stim­me zeig­te ihr, wie weh es ih­rer Mutter tat, da­rüber zu spre­chen. Aber Jen­ny konn­te es ein­fach nicht ak­zep­tie­ren, dass ihr Vater tot sein soll­te, je­de Fa­ser ih­res Her­zens re­bel­lier­te da­ge­gen. Es durf­te nicht sein.

»Ich glau­be erst an sei­nen Tod, wenn ich sei­ne Lei­che se­he«, ant­wort­ete Jen­ny stör­risch. Ih­re Mutter seufzte schwer.

»Du quälst dich oh­ne En­de, Jen­ny. Des­halb ha­be ich den Termin bei Herrn Mer­tens aus­ge­macht. Du musst das end­lich auf­ar­bei­ten, be­vor es dich zers­tört.«

Ent­nervt roll­te Jen­ny die Augen gen Zim­mer­de­cke.

»Hier gibt es nichts auf­zu­ar­bei­ten«, pol­ter­te sie los.

»Da­ran wird dein blö­der Thera­peut auch nichts än­dern.«

Jen­ny dreh­te sich auf dem Ab­satz um und flüch­te­te aus der Kü­che. Vor der Trep­pe, die zum er­sten Stock führ­te, blieb sie un­schlüs­sig ste­hen. In ih­rem Zim­mer her­um­sit­zen und Trüb­sal bla­sen, da­rauf hat­te sie weiß Gott kei­ne Lust. Sie lief in den Flur und griff sich ih­re Ja­cke.

»Wo­hin willst du?«, frag­te Jen­nys Mutter sie und in ih­rem Blick stand deut­lich der Är­ger über Jen­nys Ver­hal­ten.

Aber das war Jen­ny in die­sem Mo­ment egal.

»Weg«, ant­wort­ete sie kurz an­ge­bun­den und woll­te sich an ih­rer Mutter vor­bei schie­ben, aber die­se hielt sie am Hand­ge­lenk fest.

»Bit­te mach kei­nen Quatsch.« Ent­nervt roll­te Jen­ny die Augen.

»Ich muss hier raus. Du brauchst kei­ne Angst zu ha­ben, ich haue schon nicht ab.«

Sie schüt­tel­te die Hand ih­rer Mutter ab, ging ins Wohn­zim­mer und öff­ne­te die Ter­ras­sen­tür. Über den Gar­ten­weg lief sie durch den Gar­ten, der einst wie ein Park an­ge­legt war. Aber seit dem Ver­schwin­den ih­res Vaters glich er sich lang­sam, aber si­cher ei­nem Ur­wald an. Am En­de des Grund­stücks, das an den na­hen Wald grenz­te, stan­den ein paar ur­al­te Bäu­me. Jen­ny steu­er­te die gro­ße Ei­che an, ma­jes­tä­tisch die Äs­te von sich streck­te. Die­ser Baum war ihr bis­her nie auf­ge­fal­len, erst vor kur­zem hat­te sie ihn be­merkt und er war ihr so­fort ans Herz ge­wach­sen. Jen­ny klet­ter­te über die rie­si­gen, tief hän­gen­den Äs­te hin­auf, bis sie bei­nahe in der Baum­kro­ne war. Dort ließ sie sich in ei­ner gro­ßen Ast­ga­bel nie­der und drück­te ihr hei­ßes Ge­sicht ge­gen die raue Rin­de des Stam­mes.

»Er ist nicht tot!«, rief sie ver­zwei­felt und häm­mer­te mit den Fäus­ten ge­gen die un­schul­di­ge Rin­de. Wei­nen konn­te sie schon lan­ge nicht mehr. Auf ein­mal spür­te Jen­ny ei­ne lei­se, sanf­te Be­rüh­rung auf ih­rem Haar.

»Nein, ich bin am Le­ben, aber nicht so wie du mich kennst«, raun­te ei­ne lei­se Stim­me in ihr Ohr.

Die­se Stim­me ge­hör­te ih­rem Vater. Sie zuck­te ge­hö­rig zu­sam­men und sah sich um. Aber es war nur ein klei­ner Ast und die paar tro­cke­nen, wel­len­för­mi­gen Eichen­blät­ter, die über ihr Haar stri­chen und sie hör­te nur den Wind, der oben sanft durch die Baum­kro­ne fuhr. Selt­sam, sie hat­te sei­ne Stim­me ganz deut­lich ge­hört. Lang­sam dreh­te sie wohl doch durch. Es war viel­leicht doch nicht ver­kehrt, zum Thera­peu­ten ih­rer Mutter zu ge­hen. Jen­ny moch­te die­sen Mann nicht, denn seit er ih­re Mutter thera­pier­te, schien die­se immer mehr an den Tod von Jen­nys Vater zu glau­ben. Ihr Blick fiel auf die wei­ße Jugend­stil-Vil­la, in dem ih­re Fa­mi­lie schon leb­te, seit sie ein ganz klei­nes Mäd­chen war. Jen­nys Vater hat­te das halb ver­fal­le­ne Haus zu ei­nem Spott­preis ge­kauft und lie­be­voll wie­der her­ge­rich­tet. Es hat­te neue brau­ne Dach­zie­geln be­kom­men, aber den al­ten pfir­sich­far­be­nen An­strich hat­te er un­ver­än­dert ge­las­sen, und so wirk­te das Haus lie­bens­wert alt­mo­disch, aber den­noch ge­pflegt. Jen­ny lieb­te die­ses ver­win­kel­te Haus mit den klei­nen Er­kern, um das sich lang­sam ein Schal aus wei­ßem Ne­bel leg­te. Drin­nen im Ge­bäu­de war alles dun­kel. Auf ein­mal über­fiel sie ein sehr schlech­tes Ge­wis­sen. Sie hät­te ih­re Mutter nicht so an­fah­ren dür­fen, wuss­te sie doch, wie sehr sie un­ter dem Ver­schwin­den ih­res Man­nes litt. Nach außen hin spiel­te die Mutter die Tap­fe­re, aber Jen­ny hör­te sie fast je­de Nacht wei­nen. Ganz hat­te Herr Dok­tor sie wohl doch nicht über­zeugen kön­nen. Zum Glück. Jen­ny klet­ter­te vom Baum her­un­ter und lief zum Haus, das schon zur Hälf­te im Ne­bel stand. Auf ein­mal fühl­te sie sich be­ob­ach­tet. Sie dreh­te mich um, aber da war nie­mand. Die Ei­che hob sich dun­kel ge­gen den Himmel ab, fast mein­te sie, im knor­ri­gen, rau­en Stamm ein Ge­sicht zu se­hen. Aber das war wohl nur der Schat­ten, der ih­ren Augen ei­nen Streich spiel­te. Als Jen­ny die Haus­tür öff­ne­te, lag der Flur schon ganz im Dun­keln.

»Ma­ma?«

Sie warf ei­nen Blick in die Kü­che, aber dort war nie­mand. Dann ging sie nach ne­ben­an in das gro­ßes Wohn­zim­mer. Dort auf der ro­ten Couch lag ih­re Mutter, die klei­ne Tisch­lam­pe ne­ben der Couch warf ein oran­ge­far­be­nes Licht auf ihr Ge­sicht. Jen­ny schlich sich hin und setz­te sich vor­sich­tig ne­ben sie, da­mit sie nicht auf­wach­te. Ihr blon­des Haar lag sanft um ih­re Schul­tern, die schwar­zen Rän­der un­ter den Augen lie­ßen sie er­schöpft aus­se­hen, ih­re Mund­win­kel hat­ten sich leicht nach un­ten ge­zo­gen und ga­ben ih­rem Ge­sicht ei­nen un­end­lich trau­ri­gen Aus­druck. Auf ein­mal tat es ihr höl­lisch leid, dass sie ih­re Mutter so an­ge­fah­ren hat­te. Zö­gernd streck­te Jen­ny die Hand aus und strich ihr ei­ne blon­de Lo­cke aus der Stirn. Seuf­zend dreh­te sie sich auf den Rü­cken und schlug die Augen auf. Sie waren rot, als hät­te sie ge­weint. Das mach­te Jen­nys Ge­wis­sen nicht viel bes­ser.

»Hal­lo Ma­ma«, sag­te sie mit be­leg­ter Stim­me.

»Hal­lo Jen­ny«, ant­wort­ete dir Mutter und rich­te­te sich gäh­nend auf, »wo warst du denn?«

»Ganz in der Nä­he, auf der Ei­che. Hab ein we­nig die Zeit ver­ges­sen. Ma­ma, es tut mir leid we­gen vor­hin. Ich wer­de mor­gen zu dem Termin ge­hen, auch wenn es viel­leicht nichts bringt. Aber Haupt­sa­che, du fühlst dich woh­ler.«

Jen­nys Mutter lä­chel­te und strich ih­rer Tochter sanft über die Wan­ge.

»Ich tue das nicht, um dich zu är­gern.

---ENDE DER LESEPROBE---