Androiden 11: Die Krone des Seins - Marie Erikson - E-Book

Androiden 11: Die Krone des Seins E-Book

Marie Erikson

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 2084 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung, mehr als dreitausendsechshundert Jahre in der Zukunft. Fast ein Jahr lang herrschte in der Milchstraße Krieg gegen Roboter, die Welten der Galaxis überfallen hatten. Perry Rhodan gelang es, Wissen über die Hintergründe der Invasion zu erfahren und die Roboter zu befrieden. Der Frieden war jedoch nicht von langer Dauer. Ausgerechnet der neue Verteidigungsminister der Liga Freier Galaktiker, der sich als Held im Kampf gegen die Roboter hervorgetan hat, war gegen einen Waffenstillstand. Weil Nagmum Kane den Kampf fortführen wollte, griff eine weitere unbekannte Macht ein – in Gestalt gewaltiger schwarzer Raumschiffe. Die sogenannten Molochiden, die nahezu unbesiegbar sind, fordern die Auslieferung Kanes. Die Lage eskaliert, spätestens als die Molochiden den Mond des Planeten Chentap stehlen, der das seltene PEW-Metall enthält. Dieses Metall wäre in der Lage, die Molochiden endgültig unbesiegbar zu machen. Nagmum Kane, der die größte Militärmacht der Milchstraße befehligt, will das mit aller Gewalt verhindern. Perry Rhodan versucht, zwischen den verhärteten Fronten zu vermitteln und ist gezwungen, seine nächsten Schritte sehr sorgfältig zu planen. Eine wichtige Rolle spielt dabei DIE KRONE DES SEINS ...

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Nr. 11

Die Krone des Seins

Im flüssigen Metall – der Terraner muss Größe beweisen

Marie Erikson

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Perry Rhodan

2. Marlynn Kane

3. Totenstrand

4. Onkel Nagmum

5. Perry Rhodan

6. Junia Ryksdottir

7. Perry Rhodan

8. Marlynn Kane

9. Perry Rhodan

10. Marlynn Kane

11. Perry Rhodan

12. Junia Ryksdottir

13. Perry Rhodan

14. Marlynn Kane

Impressum

Wir schreiben das Jahr 2084 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung, mehr als dreitausendsechshundert Jahre in der Zukunft. Fast ein Jahr lang herrschte in der Milchstraße Krieg gegen Roboter, die Welten der Galaxis überfallen hatten. Perry Rhodan gelang es, Wissen über die Hintergründe der Invasion zu erfahren und die Roboter zu befrieden.

Der Frieden war jedoch nicht von langer Dauer. Ausgerechnet der neue Verteidigungsminister der Liga Freier Galaktiker, der sich als Held im Kampf gegen die Roboter hervorgetan hat, war gegen einen Waffenstillstand. Weil Nagmum Kane den Kampf fortführen wollte, griff eine weitere unbekannte Macht ein – in Gestalt gewaltiger schwarzer Raumschiffe. Die sogenannten Molochiden, die nahezu unbesiegbar sind, fordern die Auslieferung Kanes.

Die Lage eskaliert, spätestens als die Molochiden den Mond des Planeten Chentap stehlen, der das seltene PEW-Metall enthält. Dieses Metall wäre in der Lage, die Molochiden endgültig unbesiegbar zu machen. Nagmum Kane, der die größte Militärmacht der Milchstraße befehligt, will das mit aller Gewalt verhindern. Perry Rhodan versucht, zwischen den verhärteten Fronten zu vermitteln und ist gezwungen, seine nächsten Schritte sehr sorgfältig zu planen. Eine wichtige Rolle spielt dabei DIE KRONE DES SEINS ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Sein Ziel ist, den Chenno den Tod zu retten.

Nagmum Kane – Sein Ziel ist die Vernichtung allen intelligenten künstlichen Lebens.

Marlynn Kane, Johann Aspra, Junia Ryksdottir und Kor Chappal – Ihr Ziel ist, genau das zu verhindern.

Lilja Ryksdottir – Ihr Ziel ist der Molochide, der den Mond stahl.

1.

Perry Rhodan

Auftrag der Ahnen

»Perry Rhodan wird unseren Mond zurückbringen!«

Rhodan stand kniehoch in einem grünen Nebel im Nirgendwo, umringt von Millionen geisterhafter Krötengestalten, den konservierten Bewusstseinen früherer Chenno-Generationen. Die Toten sprachen zu ihm. Ganz normal ... auf Chentap.

Denn durch das PEW-Metall von Chentaps Mond Tycell gelang es den Chenno, die Bewusstseine ihrer Ahnen dauerhaft zu konservieren. Seit sie das wussten, hatte sich ein regelrechter Totenkult auf Chentap entwickelt. Dem Tod war der Stachel genommen – er war somit nur ein Übergang.

Der nun bald versperrt sein würde. Denn die Speicherkapazität von PEW-Metall war begrenzt, und neues hätte es nur auf Tycell gegeben. Der Mond aber war von den Molochiden gestohlen worden.

PEW war der Grund, warum es Rhodan überhaupt möglich war, mit den Ahnen zu sprechen. Das seltene Material vermochte Bewusstseinsinhalte parabegabter Lebewesen zu speichern, in einer Form mentalen Lebens nach dem Tod. Auf Chentap fand sich eine Sonderform, die offenbar jedes Bewusstsein aufnehmen konnte, wenn im Moment des Todes mentaler Kontakt bestand.

Chenno konnten diesen durch körperliche Nähe herstellen. Rhodan benötigte ein Hilfsmittel. Er rückte die Krone zurecht, die Kavon, der Hohepriester der Chenno, für ihn gefertigt hatte – selbstverständlich aus PEW. Es war eine verkleinerte Kopie jener Krone, die Kavon selbst trug.

Ohne Tycell würde es auf Chentap bald die ersten dauerhaft Toten geben. Die ersten Chenno, die nicht in die Nekropole eingehen würden. Rhodans Aufgabe war deshalb eindeutig. Er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um den Chenno ihren Mond und damit ihren Frieden zurückzubringen. Nicht nur auf dem Planeten, sondern über den Tod hinaus.

Die Frage war nur: Wo war Tycell? Und wie holte man einen Mond von dort zurück, wohin auch immer die Molochiden ihn gebracht hatten?

Der Nebel waberte um Rhodans Beine und kräuselte sich. Unruhe entstand, die Chenno wisperten sich etwas zu. Schließlich schwebten sie zur Seite und bildeten eine Gasse in ihrer Mitte. Alle Köpfe wandten sich dem Ende dieses Weges zu. Rhodan kniff die Augen zusammen, doch er sah nichts als Finsternis.

Zunächst. Dann glomm ein grüner Schimmer auf. Erst schwach, aber in der Intensität schnell zunehmend. Bis er schließlich für einige Sekunden so hell strahlte, dass Rhodan die Hand heben musste, um seine Augen zu schützen. Die Ahnen erzeugten ein gurgelndes Geräusch, bei dem ihre Bartelschleier erzitterten. Die Lichtquelle blendete nicht mehr. Nebelschwaden legten sich um sie, spannen das Licht ein und verdichteten sich, bis schließlich eine Form sichtbar wurde.

Rhodan schnappte nach Luft. Er erkannte den neu geformten Nebel-Chenno sofort: Kavon. Zuletzt hatte er ihn gesehen, als Kavon ihm angeboten hatte, die Kopie der Krone zu tragen. Da war der Hohepriester bereits schwer verletzt gewesen.

Die Krone, mehr als ein Schmuckstück, hatte Rhodan in diese Nebelwelt versetzt – das Reich der toten Chenno, gespeichert im PEW.

Kavon setzte sich lautlos in Bewegung und kam durch den für ihn bereiteten Gang auf Rhodan zu. Die Ahnen gurgelten weiter und neigten ehrfürchtig ihre Oberkörper, während Kavon an ihnen vorbeischwebte. Sein Inneres leuchtete durch die ihn formenden Nebelschwaden.

Als Kavon vor ihm stoppte, deutete Rhodan eine Verbeugung an. »Mein Beileid zu deinem Tod.«

»Ich bin nicht tot. Nur mein Körper ist es.« Kavon breitete die Arme aus und zeigte mit seinen Tentakelfingern auf jene, denen es ergangen war wie ihm. »Ich bin unter Freunden. Unter denen, die mir beigestanden haben, als ich die Stimme des Seins war. Es gibt keinen Grund für dein Bedauern.«

Das gurgelnde Geräusch verstummte. Einzelne Chenno lösten sich aus der Masse, schwebten auf Kavon zu, klopften ihm auf die Schulter oder umarmten ihn. Immer mehr kamen dazu, und bald schon war er umringt.

»Dafür haben wir noch genug Zeit«, sagte er. »Ich muss noch etwas Wichtiges erledigen.«

Kavon griff in sich hinein und zog die Quelle des Leuchtens aus seinem Nebelkörper. Er reichte Rhodan seine Krone mit dem grünen Stein. In dem schummrigen Licht sah sie aus wie die echte Krone, fühlte sich aber unerwartet leicht an.

»Wir brauchen eine neue Stimme des Seins. Und du hast einen würdigen Nachfolger vorgeschlagen.«

»Ich?« Rhodan zog die Augenbrauen hoch.

»Du sagtest, ich solle Auquun zu einem vollwertigen Priester ernennen. Er habe mit dir den Weltraum bereist, er habe Wunder in unendlicher Ferne gesehen und am eigenen Leib erfahren, und er würde länger leben als jeder Chenno vor ihm.«

Die Verstorbenen tuschelten aufgeregt, doch Kavon ließ sich davon nicht beirren. »Er wiederum hat dich als Wesen von unendlichem Alter und Weisheit bezeichnet und ... als seinen Freund. Damit ist Auquun der erste Chenno, der jemanden aus einem fremden Volk seinen Freund genannt hat. Das alles zusammengenommen macht ihn zu einem würdigen Nachfolger. Er ist mutig, neugierig, aufgeschlossen und hat immer zum Wohl aller Chenno gehandelt. Damit hat er sich als würdig erwiesen, die Krone zu tragen. Und nach allem, was er gesagt hat, bist du wiederum würdig, ihm die Krone zu überreichen.«

Rhodan war ergriffen. »Ich glaube, du hast eine gute Entscheidung getroffen. Auquun wird dem Amt alle Ehre ...«

In der Finsternis um sie herum glommen Lichter auf. Kleine Kugeln, die Nebelschwaden anzogen. Erst zwei, dann fünf, zehn, schließlich mehr als ein Dutzend.

Sie schaffen es auf Chentap nicht mehr, die Chenno von der Selbsttötung abzuhalten, dachte Rhodan entsetzt. Er war bereits Zeuge der ersten Selbsttötungswelle der Chenno nach der Entführung des Mondes gewesen. Ohne den Mond gibt es nur noch einen begrenzten Vorrat an PEW-Metall, und alle wollen ihrem Bewusstsein unbedingt noch einen Platz bei den Ahnen sichern.

Kavon war zu demselben Schluss gekommen. »Sie beenden weiter ihr körperliches Leben, um noch einen Platz zu ergattern! Du musst zurück und sie aufhalten! Mach dein Versprechen wahr.«

Andere verstorbene Chenno erhoben ebenfalls ihre Stimmen.

»Bring uns den Mond zurück.«

»Beende das Sterben!«

»Rette meinen Sohn! Es ist noch nicht seine Zeit!«

Wie Schneeflocken trudelten weitere Lichtkugeln ein. Rhodan riss sich die Krone vom Kopf, durch dessen Stein er die Ahnenwelt hatte betreten können, und nach einem Blinzeln war er zurück in der Nekropole.

Auquun hatte sich um den leblosen Körper Kavons gekümmert und ihn so würdevoll wie möglich platziert. Mit ausgebreitetem Gewand und auf der Brust gekreuzten Armen lag Kavon da. Auf seinem Haupt trug er die Krone mit leuchtendem Stein, das prachtvolle Pendant zu der verkleinerten Kopie, die Rhodan getragen hatte. Auquun kauerte mit gesenktem Kopf neben dem Verstorbenen und schien in ein Gebet vertieft.

Rhodan sah in seine Hand. Was Kavon ihm in der Welt der Ahnen überreicht und dort wie die echte Krone gewirkt hatte, war auf Chentap nur eine Nachbildung aus Nebel, der leicht glomm, als würde er fluoreszieren. Auquun sah auf, als Rhodan die Nebel-Kopie auf die wahre Krone des Seins setzte. Sofort drang der Nebel in den heiligen Schmuck ein, und die beiden verschmolzen miteinander.

»Ich habe mit den Ahnen gesprochen.« Rhodan räusperte sich unbehaglich. Eine Krönung verlangte eine gewisse Würde. Würde wiederum verlangte Zeit. Und die hatten sie nicht. Weil jede Sekunde Chenno starben. »Ich wünschte, ich könnte diesem Moment die Feierlichkeit verleihen, die ihm gebührt, aber wir müssen uns beeilen. Die Selbsttötungen haben wieder begonnen.«

Auquun erhob sich und wandte sich bereits Richtung Ausgang. »Kann das, was du vorhast, nicht bis später warten? Wir müssen die Chenno stoppen.«

»Richtig. Und am ehesten werden sie auf die neue Stimme des Seins hören.«

»Haben sie dir die Empfehlung ausgesprochen?« Alle vier Augenfalten Auquuns weiteten sich. »Wenn die Stimme des Seins es nicht mit dem letzten Atemzug schafft, den Nachfolger zu bestimmen, sagen die Ahnen es sonst nur einem der Priester.«

»Das mag sein. Aber in diesem Fall ist es anders.« Rhodan erachtete es für angemessen, auf ein Knie zu sinken, um mit Auquun auf Augenhöhe zu sein. »Du bist es. Und aus meiner Sicht hätten die Ahnen keine bessere Wahl treffen können.«

Dann setzte er Auquun die Krone auf.

Dieser bewegte sich ein paar Sekunden lang nicht, schien starr vor Überraschung.

Rhodan erhob sich wieder. »Ich wünschte, wir könnten den Moment mehr zelebrieren und ihn auskosten. Aber ...«

»Aber oben stirbt mein Volk. Wir müssen uns beeilen.«

2.

Marlynn Kane

Nachts

Die Nacht macht alle Gedanken grau, hatte Marlynn Kanes Mutter ihr als Kind immer gesagt und sanft über den Kopf gestreichelt.

Marlynn wälzte sich auf ihrer Liege hin und her. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von damals, aber sie konnte immer noch nicht schlafen, so lange in ihrem Kopf die Gedanken rotierten.

Früher hatte sie um ihren Vater gebangt. Als Korvettenkapitän war er ständig unterwegs gewesen und hätte im Einsatz jeden Tag sterben können. Weil sie aus einer Flottenfamilie stammte, hätte man von ihr erwartet, dass sie in diesem Fall ebenfalls eine Offizierskarriere einschlug. Bei den Kanes kam die Familie immer an erster Stelle. Es sei denn, es ging um die Flotte. Also hatte sie Nacht um Nacht wach gelegen und sich Sorgen um ihren Vater gemacht – und Sorgen um sich selbst.

Erst als sie erwachsen war, hatte sie erkannt, dass ihre Mutter in diesen Nächten wahrscheinlich aus den gleichen Gründen nicht in den Schlaf gefunden und an ihrem Bett gewacht hatte.

Später hatte Marlynn eine Karriere gewählt, die für die Familie Kane gerade noch so akzeptabel war, dass Marlynn weiter zu Familienfesten eingeladen wurde: Exobiologin bei der Explorerflotte. Der Offizierslaufbahn war sie damit entkommen. Aber nicht dem Krieg. Und sie war sein Opfer geworden.

Nicht körperlich. Aber seelisch. Sie hatte das verloren, was ihr im Leben das Wichtigste gewesen war. Kor Chappal. Oder besser, ihre Liebesbeziehung zu ihm. Und sie wusste nicht, mit wem sie darüber reden sollte. Denn die Auseinandersetzungen zunächst zwischen den Menschen und den Androgyn-Robotern, dann die mit den Molochiden forderten so viele Opfer auf so unterschiedlichen Ebenen, dass Liebeskummer dagegen harmlos wirkte. Kindisch.

Aber das war er nicht. Das Gefühl war existenziell, und Marlynn bezweifelte, dass der Schmerz irgendwann verging.

Das Schlimmste war, dass sie und Kor sich beide auf der FEYNMAN aufhielten. Auf dem Weg zu ihrem Onkel Nagmum Kane.

*

Es brachte nichts, Marlynn konnte einfach nicht schlafen. Deshalb stand sie auf. Aber was sollte sie tun?

In die Steuerzentrale konnte sie nicht gehen. Das Risiko, Kor dort zu treffen, war zu hoch. Außerdem brauchte sie den Schlaf, denn der nächste Tag würde anstrengend werden. Sie musste irgendwie zur Ruhe kommen.

Zunächst holte sie sich einen Kamillentee, den Johann Aspra mit an Bord gebracht hatte. Als knapp 13 Zentimeter kleiner Siganese beschwerte er sich zwar immer, dass die Großen für eine ihrer Tassen zu viel Kamille verbrauchten, aber er würde sich schon wieder einkriegen.

Mit dem wohlig dampfenden Getränk schlich Marlynn zu der kleinen Medostation. Dort würde sie etwas Ruhe finden und zur Not ein leichtes Schlafmittel. Da niemand an Bord behandelt werden musste, war sich Marlynn ziemlich sicher, dass die Station nicht genutzt wurde.

Bis sich die Tür aufschob.

Rechts stand ein Terminal, daneben waren eine Liege und ein Heiltank in die Wand eingelassen, die bei Bedarf ausgefahren werden konnten.

An einem ausgeklappten Tisch dahinter saß Kor. Marlynn erschrak. Was war mit ihm? War er krank?

Nein, er saß bloß da und löffelte etwas aus einer Schale. Zwei peinliche Sekunden sahen sie sich gegenseitig erschrocken an. Dann begannen sie beide im selben Augenblick zu reden ...

»Entschuldige bitte, ich wusste nicht ...«

»Ich war sowieso fast fertig ...«

... und verstummten fast ebenso zeitgleich wieder.

Wer sollte anfangen? Du, signalisierte sie ihm.

Die Geste war nur eines der unzähligen Beispiele dafür, wie gut die Chemie zwischen ihnen war. Wie gut sie miteinander harmonierten. Eigentlich. Seit Neuestem war ihr Schweigen unangenehm. Ein deutliches Zeichen, dass sich etwas geändert hatte. Wahrscheinlich hatte er ihr genauso aus dem Weg gehen wollen wie sie ihm.

»Ich wollte sowieso gerade los.« Kor stand auf. Ein besorgter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Geht es dir gut? Bist du krank?«

»Nein.« Das war die Antwort auf beide Fragen.

Warum glaubst du, dass ich ohne dich besser dran bin?, schrie sie ihn in Gedanken an. Warum stößt du mich von dir weg, anstatt zu versuchen, mich zu beschützen?

Dass sie lieber sterben würde, als ohne Kor zu sein, hatte sie bewiesen, als sie trotz allen Risikos die Zeitmaschine auf Wanderer genutzt hatte, um seinen vermeintlichen Tod rückgängig zu machen.

»Du kannst bleiben, wenn du willst.«

Sie konnte nicht verhindern, dass es sich eher nach einem Flehen als nach einem Angebot anhörte.

Er senkte den Kopf. Wahrscheinlich, um sie nicht ansehen zu müssen. Ihr war in jüngster Zeit häufig aufgefallen, dass er ihren Blick mied. »Mach es uns nicht noch schwerer.«

Seine Lippen öffneten sich, als wollte er etwas hinzufügen, aber dann seufzte er nur. Sie wäre bereit gewesen, ein ganzes Sonnensystem für den Satz einzutauschen, den er hinuntergeschluckt hatte.

Er drehte den Oberkörper zur Seite, als er an ihr vorbei zur Tür ging. Sie war ihm dankbar dafür. Denn jede Berührung von ihm wirkte wie ein Stromschlag.

Mach es uns nicht noch schwerer.

In diesem Satz steckte so viel. Uns. Noch. Schwerer.

Er litt also ebenfalls. Vielleicht so arg, um seinen Entschluss zu überdenken?

Nein. Solche Gedanken musste sie sich verbieten. Sie würden unweigerlich zu einer Enttäuschung führen. Marlynn entschied, dass sie direkt nach dem Schlafmittel suchen würde. Schlaf war besser als das.

Sie stellte ihre Teetasse neben die Schale, die Kor vergessen hatte. Darin schwammen nosmonische Klöße in dunkler Soße. Ihr Leibgericht seit ihrer Kindheit.

Marlynn konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie stand vor einer Schale Klöße und weinte.

Weil Kor offensichtlich noch Gefühle für sie hatte, selbst wenn er sie unterdrückte. Weil sie mit niemandem darüber reden konnte.

Jedenfalls nicht mit Kor. Der würde nur die Hoffnung zerstören. Jedenfalls das letzte bisschen, an das sie sich klammerte.

»Der einzige Vorteil im Gefängnis war, dass ich da meine Ruhe hatte.«

»Aspra?« Marlynn fuhr herum. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Die Antigravplattform, auf der sich der Siganese für gewöhnlich fortbewegte, machte keine Geräusche. Und selbst wenn er gelaufen wäre ... Aspra war im Vergleich zu ihr so winzig, seine Schritte so leicht, dass sie auch das nicht gehört hätte.

Der Siganese schnupperte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und dass man mir meinen Tee nicht weggetrunken hat.«

»Du hattest Kamillentee im Gefängnis?«

»Nun, ich ...« Aspra ließ die Arme sinken. »Was machst du überhaupt hier?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen. Ist Junia vielleicht noch irgendwo versteckt?« Marlynn nickte in Richtung des ausgefahrenen Heiltanks. »Hast du das Heilgel da etwa rausgepumpt?«

Aspra zwirbelte die Enden seines Schnurrbarts. »Okay, okay. Ja, ich habe es mir in dem Heiltank gemütlich gemacht, weil mir meine Koje seit dem Gefängnis zu klein vorkommt. Zufrieden?«

Sie verstand ihn. Nicht, dass sie je im Gefängnis gesessen hätte. Aber auf Chentap hatten sie zu viert einen Monat lang zusammengepfercht in einem Shift ausgeharrt, nur um dann von den Chenno in einen stillgelegten Seitenarm ihrer Unterwasser-Röhrenbahn einquartiert zu werden. Ihr war diese Space-Jet, mit der sie unterwegs waren, genau wie ihm nicht groß genug. Zumal es zu wenige Möglichkeiten gab, Kor aus dem Weg zu gehen.

Aspra fixierte sie mit seinem Blick. »Und was ist mit dir? Den schmatzenden Chappal konnte ich ignorieren. Aber so ein Rumgeschluchze ...«

Für andere hätte Aspra hochnäsig wie immer geklungen. Aber Marlynn arbeitete so lange mit ihm zusammen, dass sie einen Unterton hörte. Eine warme Nuance in seinem sonst so arroganten Tonfall. War das etwa Mitgefühl?

Aspra kratzte sich am Hinterkopf.

»Also nicht, dass du das falsch verstehst. Mich interessieren deine Probleme eigentlich nicht. Ich meine nur, seit wir Aurelia als Teamchefin verloren haben, ist unsere Mission nicht gerade einfacher geworden. Noch mehr Ausfälle können wir uns nicht leisten. Und schon gar nicht dich.«

Witzbold, dachte Marlynn. Ich will ja nichts lieber, als mich auszuruhen. Wer konnte denn ahnen, dass die Medostation das neue soziale Zentrum an Bord ist?

Aurelia Bina hatte Marlynns Onkel Nagmum Kane entführen wollen. Die Posmi hatte sich dann aber vom Terranischen Liga-Dienst festnehmen lassen, der in ihr eine Verräterin sah – um Junia, Kor, Aspra und Marlynn zu retten und ihnen die Flucht zu ermöglichen.

Die Entführung, die mit Aurelia als erfahrener Einsatzagentin und Posmi möglich gewirkt hatte, schien ohne sie für das Team eine Nummer zu groß zu sein.