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Wir schreiben das Jahr 2084 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung, mehr als dreitausendsechshundert Jahre in der Zukunft. Fast ein Jahr lang herrschte in der Milchstraße Krieg gegen Roboter, die aus unbekannten Gründen Welten der Galaxis überfallen hatten, die dortigen Einwohner vertrieben oder töteten. Perry Rhodan gelang es, im Lauf einer langen Odyssee Wissen über die Hintergründe der Invasion zu erfahren und ein Mittel zu erlangen, die Roboter zu befrieden. Der Frieden war jedoch nicht von langer Dauer. Ausgerechnet der normonische Admiralregent Nagmum Kane, der sich als Held im Kampf gegen die Roboter hervorgetan hat, ist gegen einen Waffenstillstand. Weil er den Kampf fortführen will, greift eine weitere unbekannte Macht ein – in Gestalt gewaltiger schwarzer Raumschiffe, die Auslieferung Kanes fordern. Dabei handelt es sich um die Molochiden. Aber wer sind sie, und warum greifen sie so unvermittelt ein? Die Chance, mehr darüber zu erfahren, ergibt sich, als ein Molochide den Planeten Kaimaer in Geiselhaft nimmt. Der Mausbiber Gucky beschließt, den Planeten zu retten – und muss eine Abwägung treffen zwischen der Planetenbevölkerung und dem WERT EINES LEBENS ...
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 9
Der Wert eines Lebens
Ein Molochide stellt ein Ultimatum – Gucky bemüht sich um Rettung
Marie Erikson
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Ist der Ruf erst ...
2. Es wird dunkel
3. Frieden?
4. Auf Torpedos hämmern
5. Verhandlungen mit Salum-III
6. Kaimaers Retter
7. Unehrliche Verhandlungen
8. Am Boden zerstört
9. Nicht ohne meinen Sohn
10. Es war einmal
11. Aus Sicht eines Liebenden
12. Kein herzliches Willkommen
13. Frankensteins Braut
14. Alle bis auf einen
15. Das Ende des Happy Ends
Impressum
Wir schreiben das Jahr 2084 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung, mehr als dreitausendsechshundert Jahre in der Zukunft. Fast ein Jahr lang herrschte in der Milchstraße Krieg gegen Roboter, die aus unbekannten Gründen Welten der Galaxis überfallen hatten, die dortigen Einwohner vertrieben oder töteten. Perry Rhodan gelang es, im Lauf einer langen Odyssee Wissen über die Hintergründe der Invasion zu erfahren und ein Mittel zu erlangen, die Roboter zu befrieden.
Der Frieden war jedoch nicht von langer Dauer. Ausgerechnet der normonische Admiralregent Nagmum Kane, der sich als Held im Kampf gegen die Roboter hervorgetan hat, ist gegen einen Waffenstillstand. Weil er den Kampf fortführen will, greift eine weitere unbekannte Macht ein – in Gestalt gewaltiger schwarzer Raumschiffe, die Auslieferung Kanes fordern.
Dabei handelt es sich um die Molochiden. Aber wer sind sie, und warum greifen sie so unvermittelt ein? Die Chance, mehr darüber zu erfahren, ergibt sich, als ein Molochide den Planeten Kaimaer in Geiselhaft nimmt. Der Mausbiber Gucky beschließt, den Planeten zu retten – und muss eine Abwägung treffen zwischen der Planetenbevölkerung und dem WERT EINES LEBENS ...
Gucky – Der Mausbiber rettet die Waldwelt.
Aurelia Bina – Die Posmi verschlägt es in die Kristallwelt.
Sonaj Kevro – Für ihn ist ein Junge eine ganze Welt.
Perry Rhodan
1.
Ist der Ruf erst ...
Aurelia Bina, 13. August 2084 NGZ
Ist der Ruf erst ruiniert..., dachte Aurelia Bina, während sie durchs All flog. Von einer Agentin zu einer Entführerin in unter einer Woche.
Sie näherte sich in der getarnten Space-Jet FEYNMAN dem Flaggschiff von Admiralregent Nagmum Kane. Das Raumschiff stand mit seinem Geleitschutz derzeit nahe Nosmo, der Hauptwelt der Föderation Normon.
Der Verband sah beeindruckend aus.
Bina musste unerkannt an acht normonischen 1600-Meter-Superschlachtschiffen, diversen leichteren Einheiten wie 1000-Meter-Schlachtschiffen und 600-Meter-Schlachtkreuzern sowie einem ganzen Haufen Schwerer und Leichter Kreuzer vorbeinavigieren, um ihr Ziel zu erreichen: den Schlachtkreuzer MARGELION.
Um Nagmum Kane zu entführen.
Und es würde ihr ein Vergnügen bereiten.
Sie nutzte ihre Fähigkeiten als technisches Wesen und errechnete den Weg, bei dem sie die wenigsten der Geleitraumschiffe passieren müsste. Je weniger Hindernisse, desto geringer war die Entdeckungsgefahr. Sie näherte sich ihrem Ziel in einem weiten Bogen, statt einfach direkt darauf zuzusteuern.
Noch einmal scannte sie die Flotte. Bei zwei Schweren Kreuzern bemerkte sie einen ungewöhnlich großen Abstand. Genau genommen war die Strecke zwischen ihnen doppelt so groß wie der mittlere Abstand zwischen allen anderen, plus der Länge eines Leichten Kreuzers. Wahrscheinlich hatte dort ein ebensolcher gestanden, aber sich für eine Reparatur zurück zu einem der Superschlachtschiffe begeben.
Bina war es recht. Sie schaltete alle Systeme der FEYNMAN aus, um unnötige Energieemissionen zu vermeiden. Nur den Tarnschirm ließ sie aktiviert, alles andere brauchte sie nicht. Insbesondere keine Lebenserhaltungssysteme. Sie driftete auf die leere Position zwischen den Kreuzern zu.
Dort angekommen, schlug ein Teil ihrer Systeme Alarm. Schließlich war sie ab diesem Zeitpunkt von feindlichen Schiffen umzingelt.
In einer perfekten Welt hätte sich zufällig zum rechten Zeitpunkt ein Hangar der MARGELION geöffnet, in den Bina mit der getarnten Jet hätte einfliegen und landen können. Leider war diese Welt nicht perfekt.
Sie driftete weiter. Auf dem Rumpf der MARGELION zu landen, hätte sicher Alarm ausgelöst. Also ließ sie das Schiff treiben, bis es nur noch wenige Kilometer vom Ziel entfernt war, und brachte es dann mit minimalem Energieeinsatz zum relativen Stillstand.
Nun kam der heikle Part. Sie musste warten, bis sich ein Zugang zum Schiff öffnete. Aber wenn sie die Systeme der FEYNMAN schnell wieder hochfuhr und zum Ziel steuerte, würden das die Sensoren der MARGELION mit Sicherheit wahrnehmen. Somit war das keine Option.
Zügig entkoppelte sie sich von der Jetsteuerung und kletterte durch die Bodenluke auf die Unterseite des Kleinraumschiffs. Ihre passiven Ortungssysteme liefen auf Hochtouren. In jeder Sekunde sammelte sie mehrere Zehntausend Informationen aus ihrer Umgebung und analysierte sie. Alles stellte sich genauso dar wie vorausberechnet.
Mit der gesamten Kraft ihres Exoskeletts stieß sie sich ab und versteifte sich. So konnte sie ohne den Einsatz des Antigravs wie ein abgeschossener Pfeil zur MARGELION gelangen.
Sie hatte herausgefunden, dass Kane und Albus Foreman in Kontakt standen. Der Journalist Foreman hatte die Berechtigung, Kane auf dessen Flaggschiff zu besuchen, und verfügte über entsprechende Codes und Autorisierungen. Genau diese hatte Bina kopiert, um sich Zugang zu Kanes Schiff zu verschaffen.
Die Einzelheiten würden sich ergeben müssen, wenn sie im Schiff war. Sie begab sich ungern schlecht informiert in einen Einsatz. Aber Marlynn Kane hatte sie nicht erreichen können – die einzige Person, die sie nach den Schwachstellen ihres Onkels Nagmum hätte befragen können.
Trotz dieser Ausgangslage hatte Bina ein Gelingen als möglich errechnet. Und da sie im Nachhinein keine nervigen Einsatzberichte anfertigen musste, gab ihr das einen sehr viel größeren Handlungsspielraum, als sie ihn als Stellvertretende TLD-Direktorin gehabt hatte.
Ist der Ruf erst ruiniert...
Bis vor Kurzem war sie die Stellvertreterin von Dan Takahashi gewesen, dem Direktor des Terranischen Liga-Dienstes. Doch man hatte sie reingelegt, und Takahashi hatte sie ihres Amtes enthoben. Bis auf Weiteres sei sie nicht mehr für den TLD tätig, hatte er ihr gesagt. Die Begründung war lachhaft, geradezu absurd: Er habe erhebliche Zweifel an ihrem Urteilsvermögen.
Ein Mensch mit all seinen irrationalen Emotionen warf ihr, einer positronisch-semitronischen Entität, mangelndes Urteilsvermögen vor!
Takahashi wusste natürlich, dass sich unter Binas terranischer Körperhülle eine Hochleistungsmaschine verbarg. Sie konnte größte Datenmengen in kürzester Zeit analysieren, verarbeiten und emotionsbereinigte, sachlich fundierte Ergebnisse liefern. Alles, was er nicht konnte. Und dennoch war sie ihren Job los. Der TLD hatte sogar versucht, sie zu verhaften. Sie war in den Augen ihrer früheren Kollegen eine flüchtige Verräterin.
Der Rauswurf hatte auch Vorteile. Als hätte sie eine schlecht sitzende Körperhülle abgestreift, konnte sie seitdem außerhalb der Regeln agieren. Und so vielleicht doch noch erreichen, was vorerst durch die Intrige vereitelt worden war: dass die von ihr gesammelten und vorgelegten Beweise gesichtet wurden. Dass die galaktische Öffentlichkeit endlich ernst nahm, dass Admiral Nagmum Kane nicht nur eine Gefahr für kybernetische Lebensformen darstellte, sondern außerdem die organische Bevölkerung der Föderation Normon für seinen politischen Aufstieg opferte.
Bis dahin würde sie verhindern, dass Kane weiteren Schaden anrichtete.
Sie erreichte den Rumpf der MARGELION – keine Sekunde zu früh.
Mit einem Ruck setzte sich die ganze Flotte in Bewegung. Bina verankerte sich magnetisch und sah sich um. Gab es Anhaltspunkte, warum die Flotte so plötzlich gestartet war? Nein.
Was immer der Auslöser gewesen sein mochte, am vernünftigsten war es, erst einmal bei ihrem Plan zu bleiben.
Eine Verschnaufpause brauchte sie nicht. Halb zog sie sich mit den Armen, halb drückte sie sich mit den Beinen zu der nächstgelegenen Hangarschleuse. Noch immer fehlte ein Kreuzer in der Formation, der sicherlich schnellstmöglich ersetzt werden würde. Die Chancen standen also gut, dass man sie bald einließ.
2.
Es wird dunkel
Sonaj, 13. August 2084 NGZ
Keine Nachricht von Matthal. Sonaj Kevro hielt die Funkstille kaum aus. Der Sechzehnjährige kauerte in der Sitzschale und wippte unablässig mit den Beinen.
»Ich habe keinen Platz mehr für Bäume!« Tascha kratzte sich am Kopf.
Die Vierjährige wohnte mit ihrer Familie gegenüber von Sonaj, und er passte manchmal auf sie auf. Sie beide hatten als Einzelkinder das Privileg, das in den Wohnungen vorgesehene Kinderzimmer nicht mit anderen teilen zu müssen. Er musste nur an seine Schulfreundin Karsin mit ihren vier Geschwistern denken.
Seine Mutter hätte gern mehr Kinder gehabt, das wusste Sonaj. Aber nach dem Tod seines Vaters hatte sie sich nicht mehr neu gebunden und keine anderen Wege gewählt, schwanger zu werden.
Er überlegte, ob er rüber zu sich gehen sollte. Nur hätte er dann gar keine Ablenkung mehr von dem Gedankenwirbel gehabt, der immer nur um Matthal kreiste.
Langsam lehnte er sich nach vorne. »Was hast du denn gebaut?«
Tascha zeigte auf die Platte, auf der sie Bausteine verteilt hatte. Daneben standen die dazugehörigen Figuren, zu Familien gruppiert. »Das da sind Häuser. Aber jetzt passen gar keine Bäume und Pflanzen mehr dazwischen.«
»Richtig, weil du für jede Familie ein einzelnes Haus gebaut hast. Das ist Platzverschwendung.« Er zupfte die Blöcke von der Platte und stapelte sie übereinander. »Du musst es so machen. Wie bei uns. Wenn viele Menschen in einem hohen Haus leben, ist rundherum viel Platz für die Natur.«
Sonaj sah aus den bodentiefen Glassitfenstern. Ihr Wohnturm war umgeben von dichtem Mischwald. Nur schemenhaft konnte er das Gebirge im Hintergrund ausmachen, das die Oberfläche Kaimaers wie eine wulstige Narbe durchzog. Rechts wurde der Wald von einem See unterbrochen, bei dem man bis auf den Boden sehen konnte.
Sonaj kannte Kaimaer nur so: halb blau vom Ozean und halb grün vom Wald. Aber aus dem Schulunterricht wusste er, dass der Planet früher ausgesehen hatte, wie Tascha es auf ihrer Platte gebaut hatte. Unzählige Straßen und Häuser, manches nur für eine einzige Familie. Es hatte eine Hauptstadt gegeben und viele weitere Städte. Und die waren untereinander verbunden gewesen. Alles Eingriffe in die Umwelt.
Sonaj fand es gut, dass die Stadt den Wohntürmen gewichen war. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass die Standorte so gewählt waren, weil jeder Turm einen ehemaligen Stadtteil von Outset City repräsentierte, genau gesagt einen der früheren Vororte.
Sonajs Blick wanderte weiter. Etwa zwei Kilometer weiter links stand der nächste Wohnturm. Ein Grund, weshalb er so gern Zeit bei Tascha verbrachte. Weil in dem Turm Matthal wohnte und man ihn nur von ihrer Seite sehen konnte, aber nicht von der, auf der sich sein Zimmer befand.
Sonaj schüttelte den Kopf, um die Gedanken an Matthal zu vertreiben. »Siehst du? Wenn du es so baust, passen alle deine Figuren in diesen einen Turm. Und du hast genug Platz, um Bäume zu pflanzen.«
Tascha klatschte begeistert in die Hände. »Wohnen bei uns auch so viele?« Sie zeigte auf die 15 Figuren neben ihrer Spielplatte.
»Nein.« Sonaj schmunzelte. »Bei uns wohnen fünfundzwanzigtausend. Und alle Wohntürme von Kaimaer zusammengenommen, sind es vierhundertneunzig Millionen.«
Tascha runzelte die Stirn. Sie sah so ernst drein, wie es nur strenge Erwachsene oder sehr kleine Kinder können. »Gut, dass die nicht alle bei uns im Zimmer schlafen.«
»Da hast du recht.« Das erste Mal seit dem Gespräch vor drei Tagen verzog Sonaj seinen Mund zu so etwas wie einem Lachen.
Erneut wanderte sein Blick aus dem Fenster. Wieder sah er dort nichts anderes als den weiten, blauen Himmel, den grünen Wald und den silbernen Wohnturm von Matthal.
*
Drei Tage zuvor
Sonaj und Matthal hatten sich in ihrem Baumhaus getroffen. Das war ihr geheimer Ort. Sie hatten es selbst zusammengebaut, nachdem sie den perfekten Standort dafür gefunden hatten.
Das Gebirge endete an dem See, der ziemlich genau ein gleichschenkliges Dreieck mit ihren beiden Wohntürmen bildete. Unter dem letzten Berggipfel hatten sie eine Felsspalte entdeckt, die vom See aus gesehen von Bäumen mit ganzjährig dichten Kronen verborgen wurde. Aus dem Baumhaus heraus hatten sie aber eine atemberaubende Aussicht auf das Wasser und den Wald. Als hätte die Natur sie eingeladen, war das Gestein so beschaffen, dass die Vorsprünge wie Treppenstufen wirkten. Nur das letzte Stück mussten sie ein wenig klettern.
Vor dem Aufstieg legten sie jedes Mal ihre Komarmbänder ab und banden sie an einen Baum in der Nähe des Sees. Sonajs Mutter und Matthals Eltern stellten keine Fragen, weil sie dachten, die beiden seien schwimmen. Das Baumhaus blieb unentdeckt, ihr Zufluchtsort.
Als Kinder hatten sie im selben Wohnturm gewohnt. Die beste Zeit in Sonajs Leben. Als seine Mutter jedoch Präsidentin geworden war, mussten sie umziehen. Bisher konnten sie einen Antigravschacht benutzen, um sich zu sehen, doch nun mussten sich die beiden Jungen aufwendig verabreden.
Ihre Eltern duldeten es, ermutigten aber beide immer wieder dazu, sich Freunde im eigenen Block zu suchen.
»Warum musst du immer raus? Es ist doch alles vor Ort! Supermärkte, Sportfelder, Holokinos. Wie wäre es denn, wenn du Franci mal einlädst? Die sitzt in der Schule doch neben dir.«
Zwei Probleme zum Preis von einem.
Die meisten Bewohner verließen ihren eigenen Wohnturm tatsächlich nie. Die frische Luft wurde über das Filtersystem in alle Bereiche des Turms gepumpt. Den Wald sah man deshalb lieber nur von oben aus dem Fenster, und das kalte Seewasser war wenig verlockend, weil jeweils im 27. Stock ein wohltemperiertes Becken zur Verfügung stand. Sonaj gab dennoch vor, dass ihm das Schwimmen draußen mehr Spaß bereite. Dadurch verschleierte er, wie oft er und Matthal sich trafen.
Einmal hatte sich Sonaj sogar in den See gewagt, war aber nur bis zu den Oberschenkeln gekommen, bevor er schlotternd zurück ans Ufer gelaufen war. Lachend hatte ihn Matthal an sich gezogen, warm und trocken gerubbelt. »Ich hab's dir doch gesagt!«
Sonaj war in das Lachen mit eingefallen. Das tat er immer. Matthals Lachen war zu ansteckend. »Ich wusste ja nicht, dass es so kalt ist!«
Ihre Gesichter waren sich ganz nah gewesen. Und ganz Kaimaer hatte für einen Moment stillgestanden.
»Ich denke ... ich sollte mich mal wieder anziehen.«
»Ja, ist wohl besser.« Matthal hatte sich verlegen durch das Haar gestrichen. »Sonst musst du noch in Stock Drei und erklären, wie du dich erkälten konntest.«
»Warst du wieder draußen im Dreck?«, hatte Sonaj die Krankenschwester nachgeäfft. »Das passiert nur draußen im Dreck. Drinnen erkältet man sich nicht ...«
Im Laufe der Jahre hatte es von solchen Beinahemomenten unzählige gegeben. Und das war Problem zwei: Franci war nett, aber sie war nicht Matthal. Sie hatte nicht seine hellblauen Augen wie das Wasser des Sees, sein schwarzes Haar wie der Himmel in einer Neumondnacht, seine Grübchen, sein ausgeprägtes Kinn, seine breiten Schultern, starken Arme, sein Lächeln, seinen Geruch – nichts. Niemand hatte das.
An dem Tag des Gesprächs saßen sie aneinander gelehnt im Baumhaus und beobachteten das Glitzern der Sonnenstrahlen auf dem See. Der Wind rauschte durch die Blätter, als Matthal sagte: »Meine Eltern wollen, dass ich mich mit Janice verabrede.«
»Das ist ja witzig. Meine Mama liegt mir immer in den Ohren, dass ich mich mit Franci verabreden soll. Aber da habe ich gar keinen Bock drauf. Warum sollte ich auch ...?«
»Ich mach's.«
»Wie bitte?« Sonaj fühlte sich, als hätte Matthal ihm in den Magen geboxt. »Was meinst du damit?«
Matthal wich seinem Blick aus. »Ich meine, dass ich mich mit ihr treffe. Sie wohnt bei uns im Turm. Es ist einfacher.«
»Wie, einfacher?«
Matthal schwieg.
Schwankte der Baum? Sonaj wurde übel vor Schwindel. »Sie mag die einfachere Wahl sein, aber doch nicht die richtige!«
»Ich wollte das nicht zur Diskussion stellen. Ich wollte nur, dass du es weißt.« Matthals Worte waren hart, aber seine Stimme so brüchig, als müsste er Tränen unterdrücken.
»Aber wir lieben uns doch!« Sonaj war von der Situation dermaßen überrumpelt, dass er es das erste Mal ausgesprochen hatte.
Es musste wahr sein. Warum sonst hatten sie so einen Aufwand betrieben, um sich zu sehen? Warum sonst hatte es so viele Beinahemomente gegeben? Warum sonst berührten sie sich immer irgendwie, wenn sie zusammen waren?
»Bitte sprich nur für dich.« Matthals Blick war kälter als das Seewasser.
Sonaj fühlte sich wie betäubt und konnte nur regungslos zuschauen, wie Matthal das Baumhaus verließ, über den Gebirgsvorsprung hinabstieg und ging. Anschließend saß er da und sah auf den See. Nicht fähig zu weinen, nicht fähig zu schreien. Am liebsten wäre er tot gewesen.
*
13. August 2084 NGZ
In Gedanken war Sonaj die Situation Hunderte Male durchgegangen. Wie hätte er sich besser verhalten können? Hätte er einfach nicken sollen? Abwarten, wie sich das Treffen zwischen Matthal und Janice entwickelte? Hätte er kontern sollen, dass er sich dann auch mit Franci verabredete?
Aber so war ihre Beziehung nicht. Sie hatten sich nie verstellen müssen, sondern immer geradeheraus gesagt, was sie dachten und wie sie fühlten – na ja, bis auf die Tatsache, dass sie ineinander verliebt waren. Aber das war für Sonaj so offensichtlich gewesen, dass es darüber keines Gesprächs bedurft hatte.
Bitte sprich nur für dich.
Hatte er das alles so falsch eingeschätzt? Hatte er sich das alles nur eingebildet?
Nein, das konnte nicht sein. Matthal würde sich bald melden. Ganz bestimmt.
Aber was, wenn nicht? Was, wenn Sonaj mit einem Satz alles kaputt gemacht hatte?
»Geht's dir gut?« Tascha tapste heran und tupfte ihm mit einem Puppenkleid eine Träne von der Wange.
Er hatte gar nicht bemerkt, dass er weinte. So war es in den vergangenen drei Tagen oft gewesen. Er konnte nicht richtig weinen und dabei die Trauer rauslassen. Aber er versank immer wieder in dem Gedankensumpf, und wenn er daraus auftauchte, war sein Gesicht nass. »Ja, natürlich. Ich hab nur ...«
Das plötzliche Vibrieren des Bodens ersparte ihm, eine Ausrede zu finden. Die Bausteine rollten über den Teppich, und die aufgestellten Figuren kippten zur Seite.
War das ein Erdbeben? Sonaj hatte in der Schule gehört, dass das auf anderen Planeten möglich war. Auf Kaimaer aber wohl kaum. Sonst hätten sie diese riesigen Wohnanlagen hier nicht gebaut.
»Was ist das?« Tascha zeigte mit ihrer kleinen Hand auf den Wald unter ihnen.
Ein Schatten schob sich über die Baumwipfel. Es war, als würde eine dunkle Decke über den Planeten gezogen.
Er hob den Blick und sah ein riesiges Ding, das langsam über ihren Wohnturm hinweg schwebte, sich vor die Sonne schob und diese schließlich vollständig verdunkelte. Innerhalb weniger Herzschläge war aus einem schönen Sonnentag tiefschwarze Nacht geworden. Alles um sie herum war dunkel.