Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften) - Jakob Michael Reinhold Lenz - E-Book

Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften) E-Book

Jakob Michael Reinhold Lenz

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Beschreibung

Dieses eBook: "Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Anmerkungen übers Theater ist ein Werk von Jakob Michael Reinhold Lenz, das in mehreren Schreibphasen entstand und 1774 zusammen mit einer Übertragung von Shakespeares Komödie Love's Labour's Lost unter dem Titel Amor vincit omnia erstmals gedruckt wurde. Die Anmerkungen übers Theater gehören der Epoche des Sturm und Drang an. Neben Goethes Vortrag Zum Schäkespears Tag (1771) und dem Shakespeare Aufsatz Herders (1773) gehört das Werk zu den wichtigsten Dokumenten der Shakespeare-Verehrung des Sturm und Drang. Lenz trug seine Anmerkungen übers Theater vor der Straßburger Société de Philosophie et de Belles- Lettres vor, in der er während seines Straßburger Aufenthalts Mitglied war. Die Anmerkungen sind stilistisch ebenso gemischt wie gedanklich. Neben längeren Passagen im nüchternem rational argumentieren Stil, sind andere wieder verfasst in eingeworfenen Fragen, abgebrochenen Sätzen oder Ausrufe. Aber das war der neue Stil des Sturm und Drang und sollte die Gesellschaft provozieren. Lenz trägt in diesem Werk seine Thesen assoziativ vor. Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) war ein deutscher Schriftsteller des Sturm und Drang. Inhalt: Anmerkungen übers Theater Amor vincit omnia Über die Veränderung des Theaters im Shakespear Das Hochburger Schloß Verteidigung des Herrn W. gegen die Wolken Shakespears Geist

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Jakob Michael Reinhold Lenz

Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften)

Shakespeare-Arbeiten und Shakespeare-Übersetzungen: Über die Veränderung des Theaters im Shakespear + Das Hochburger Schloß + Verteidigung des Herrn W. gegen die Wolken + Shakespears Geist
e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4480-8

Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen übers Theater
Amor vincit omnia
Über die Veränderung des Theaters im Shakespear
Das Hochburger Schloß
Verteidigung des Herrn W. gegen die Wolken
Coriolan
Shakespears Geist

Anmerkungen übers Theater

Inhaltsverzeichnis

Diese Schrift ward zwei Jahre vor Erscheinung der Deutschen Art und Kunst1 und des Götz von Berlichingen in einer Gesellschaft guter Freunde vorgelesen. Da noch manches für die heutige Belliteratur drin sein möchte, das jene beiden Schriften nicht ganz überflüssig gemacht, so teilen wir sie – wenn nicht anders als das erste ungehemmte Räsonnement eines unpartei'schen Dilettanten – unsern Lesern rhapsodienweis mit.

M.H.2

Nec minimum meruere decus, vestigia graeca Ausi deserere – Horat.3

Der Vorwurf einiger Anmerkungen, die ich für Sie auf dem Herzen habe, soll das Theater sein. Der Wert des Schauspiels ist in unsern Zeiten zu entschieden, als daß ich nötig hätte, wegen dieser Wahl captationem benevolentiae vorauszuschicken, wegen der Art meines Vortrags aber muß ich Sie freilich komplimentieren, da meine gegenwärtige Verfassung und andere zufällige Ursachen mir nicht erlauben, so weit mich über meinen Gegenstand auszubreiten, so tief hineinzudringen, als ich gern wollte. Ich zimmere in meiner Einbildung ein ungeheures Theater, auf dem die berühmtesten Schauspieler alter und neuer Zeiten nun vor unserm Auge vorbeiziehen sollen. Da werden Sie also sehen die großen Meisterstücke Griechenlands von ebenso großen Meistern in der Aktion vorgestellt, wenn wir dem Aulus Gellius4 glauben wollen und andern. Sie werden, wenn Sie belieben, im zweiten Departement gewahr werden die Trauerspiele des Ovids und Seneca, die Lustspiele des Plautus und Terenz und den großen Komödianten Roscius,5 dessen der berühmte Herr Cicero selbst mit vieler Achtung erwähnt. Werden sehen die drei Schauspieler, die sich in eine Rolle teilen, die Larven, die uns Herr du Bos6 so ausführlich beschreibt, den ganzen furchtbaren Apparatus, und dennoch den alten Römern müssen Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß die wesentliche Einrichtung ihrer Bühne und ihr Parterre, das will's Gott aus nichts weniger als der Nation bestand, diese scheinbaren Ausschweifungen von der Natur notwendig machten. Daß aber die Alten ihre Stücke mehr abgesungen als rezitiert, scheint mir aus dem du Bos sehr wahrscheinlich, da es sich so ganz natürlich aus dem Ursprung des Schauspiels erklären läßt, als welches anfangs nichts mehr gewesen zu sein scheint, als ein Lobgesang auf den Vater Bacchus von verschiedenen Personen zumal gesungen. Auch würden eines so ungeheuren Parterre unruhige Zuhörer wenig Erbauung gefunden haben, wenn die Akteurs ihren Prinzessinnen zärtliche Sachen vorgelispelt und vorgeschluchst, die sie unter den Masken selbst kaum gehört, wiewohl auch heutiges Tags sich zuzutragen pflegt, geschweige. Doch lassen wir das lateinische Departement, Sie werden im Italienischen Helden ohne Mannheit und dergleichen, da aber Orpheus den dreiköpfigten Cerberus selbst durch den Klang seiner Leier dahin gebracht, daß er nicht hat mucksen dürfen, sollte ein Sänger oder Sängerin nicht den grimmigsten Kunstrichter? Ich öffne also das vierte Departement, und da erscheint – ach schöne Spielewerk! da erscheinen die fürchterlichsten Helden des Altertums, der rasende Oedip,7 in jeder Hand ein Auge, und ein großes Gefolge griechischer Imperatoren, römischer Bürgermeister, Könige und Kaiser, sauber frisiert in Haarbeutel und seidenen Strümpfen, unterhalten ihre Madonnen, deren Reifröcke und weiße Schnupftücher jedem Christenmenschen das Herz brechen müssen, in den galantesten Ausdrücken von der Heftigkeit ihrer Flammen, daß sie sterben, ganz gewiß und unausbleiblich den Geist aufgeben, sich genötigt sehen, falls diese nicht. Ich darf mich hier nicht lange erst besinnen, was für Meister für diese Bühne gearbeitet, große Akteurs auf derselben erschienen, es würde mir beschwerlicher werden, Ihnen die Liste von beiden vorzulegen, als es dem guten Vater Homer mag geworden sein, die griechischen und trojanischen Offiziere herzubeten. Man darf nur die vielen Journäle, Merkure, Ästhetiken mit Pröbchen gespickt – und was die Schauspieler betrifft, so ist der feine Geschmack ihnen überall schon zur andern Natur geworden, über und unter der sie wie in einem andern Klima würden ersticken müssen. In diesem Departement ist Amor Selbstherrscher, alles atmet, seufzt, weint, blutet, ihn und den Lichtputzer ausgenommen ist noch kein Akteur jemals hinter die Kulisse getreten, ohne sich auf dem Theater verliebt zu haben. Laßt uns nun noch die fünfte Kammer besehen, die von dieser die umgekehrte Seite war, obschon es den erleuchteten Zeiten gelungen, auch bis dahin durchzudringen und der höllischen Barbarei zu steuren, die die Dichter vor und unter der Königin Elisabeth daselbst ausgebreitet. Diese Herren hatten sich nicht entblödet, die Natur mutterfadennackt auszuziehen und dem keusch- und züchtigen Publikum darzustellen wie sie Gott erschaffen hat. Auch der häßliche Garrick8 hört allmählich auf, mit seinem Götzen Shakespear Wohlstand, Geschmack und Moralität, den drei Grazien des gesellschaftlichen Lebens, den Krieg anzukündigen. Nun und gleich bei lüpfe ich den Vorhang und zeige Ihnen – ja was? ein wunderbares Gemenge alles dessen, was wir bisher gesehen und erwogen haben, und das zu einem Punkt der Vollkommenheit getrieben, den kein unbewaffnetes Auge mehr entdecken kann. Deutsche Sophokles, deutsche Plautus, deutsche Shakespears, deutsche Franzosen, deutsche Metastasio, Pietro Metastasio (1698–1782), italienischer Dichter, zeitweilig Hofdichter in Wien, bekannt durch seine Opernlibretti. kurz alles was Sie wollen, durch kritische Augengläser angesehen und oft in einer Person vereinigt? Was wollen wir mehr. Wie das alles so durcheinander geht, Cluvers9 orbis antiquus mit der neueren Heraldik, und der Ton im Ganzen so wenig deutsch, so kritisch bebend, geraten schön – wer Ohren hat zu hören, der klatsche, das Volk ist verflucht.

Nachdem ich also fertig bin und Ihnen, so gut ich konnte, die Bühne aller Zeiten und Völker in aller Geschwindigkeit zusammengenagelt, so erlauben Sie mir, m. H. Sie beim Arm zu zupfen und mittlerweile das übrige Parterre mit offnem Mund und gläsernen Augen als Katzen nach dem Taubenschlage zu den Logen hinaufglurt, Ihnen eine müßige Stunde mit Anmerkungen über Theater, über Schauspieler und Schauspiel anzufüllen. Sie werden mir als einem Fremden nicht übelnehmen, daß ich mit einer gewissen Freiheit von den Dingen rede und meine Worte –

Mit Ihrer Erlaubnis werde ich also ein wenig weit ausholen, weil ich solches zu meinem Endzweck – meinem Endzweck? Was meinen Sie aber wohl, das der sei? Es gibt Personen, die ebenso geneigt sind was Neues zu sagen und das einmal Gesagte mit allen Kräften Leibes und der Seele zu verteidigen, als der gröbere Teil des Publikums, der dazu geschaffen ist, ewig Auditorium zu sein, geneigt ist, was Neues zu hören. Da ich hier aber kein solches Publikum – so untersteh ich mich nicht, Ihnen den letzten Endzweck dieser Anmerkungen, das Ziel meiner Parteigänger anzuzeigen. Vielleicht werden Sie, wenn Sie mit mir fortgeritten sind, von selbst drauf stoßen und alsdenn –

Wir alle sind Freunde der Dichtkunst, und das menschliche Geschlecht scheint auf allen bewohnten Flecken dieses Planeten einen gewissen angebornen Sinn für diese Sprache der Götter zu haben. Was sie nun so reizend mache, daß zu allen Zeiten – scheint meinem Bedünken nach nichts anders als die Nachahmung der Natur, das heißt aller der Dinge, die wir um uns herum sehen, hören etcetera, die durch die fünf Tore unsrer Seele in dieselbe hineindringen, und nach Maßgabe des Raums stärkere oder schwächere Besatzung von Begriffen hineinlegen, die denn anfangen in dieser Stadt zu leben und zu weben, sich zueinander gesellen, unter gewisse Hauptbegriffe stellen, oder auch zeitlebens ohne Anführer, Kommando und Ordnung herumschwärmen, wie solches Bunyan10 in seinem heiligen Kriege gar schön beschrieben hat. Wie besoffene Soldaten oft auf ihrem Posten einschlafen, zu unrechter Zeit wieder aufwachen etcetera, wie man denn Beispiele davon in allen vier Weltteilen antrifft. Doch bald geb ich selbst ein solches ab – ich finde mich wieder zurecht, ich machte die Anmerkung, das Wesen der Poesie sei Nachahmung und was dies für Reiz für uns habe – Wir sind, m. H. oder wollen wenigstens sein, die erste Sprosse auf der Leiter der freihandelnden selbstständigen Geschöpfe, und da wir eine Welt hie da um uns sehen, die der Beweis eines unendlich freihandelnden Wesens ist, so ist der erste Trieb, den wir in unserer Seele fühlen, die Begierde 's ihm nachzutun; da aber die Welt keine Brücken hat, und wir uns schon mit den Dingen, die da sind, begnügen müssen, fühlen wir wenigstens Zuwachs unsrer Existenz, Glückseligkeit, ihm nachzuäffen, seine Schöpfung ins Kleine zu schaffen. Obschon ich nun wegen dieses Grundtriebes nicht nötig hätte mich auf eine Autorität zu berufen, so will ich doch nach der einmal eingeführten Weise mich auf die Worte eines großen Kunstrichters mit einem Bart lehnen, eines Kunstrichters, der in meinen Anmerkungen noch manchmal ins Gewehr treten wird. Aristoteles im vierten Buch seiner Poetik: »Es scheint, daß überhaupt zwei natürliche Ursachen zur Poesie Gelegenheit gegeben. Denn es ist dem Menschen von Kindesbeinen an eigen, nachzuahmen. Und in diesem Stück liegt sein Unterscheidungszeichen von den Tieren. Der Mensch ist ein Tier, das vorzüglich geschickt ist, nachzuahmen.« Ein Glück, daß er vorzüglich sagt, denn was würde sonst aus den Affen werden?

Ich habe eine große Hochachtung für den Aristoteles, obwohl nicht für seinen Bart, den ich allenfalls mit Peter Ramus,11 dem jedoch der Mutwill übel bekommen ist – Aber da er hier von zwo Quellen redet, aus denen die landüberschwemmende Poesie ihren Ursprung genommen und gleichwohl nur auf die eine mit seinem kleinen krummen Finger deutet, die andere aber unterm Bart behält (obwohl ich Ihnen auch nicht dafür stehe, da ich aufrichtig zu reden, ihn noch nicht ganz durchgelesen) so ist mir ein Gedanke entstanden, der um Erlaubnis bittet, ans Tageslicht zu kommen, denn einen Gedanken bei sich zu behalten und eine glühende Kohle in der Hand –

Erst aber noch eine Autorität. Der berühmte weltberühmte Herr Sterne,12 der sich wohl nichts weniger als Nachahmer vermutet, und weil er das in seine siebente Bitte zu setzen vergessen, deswegen vom Himmel damit scheint vorzüglich gestraft worden zu sein, in seinem Leben und Meinungen sagt im vierzigsten Kapitel: »Die Gabe zu vernünfteln und Syllogismen zu machen, im Menschen – denn die höhern Klassen der Wesen, als die Engel und Geister, wie man mir gesagt hat, tun das durch Anschauen.«

Es ist nur der Unterschied, daß diese zweite Autorität dem, was ich sagen will, vorangeht, und also nach schuldiger Dankbarkeit an den Pfauenschwanz, dem ich diese Feder entwandt, fang und hebe ich also an.

Unsere Seele ist ein Ding, dessen Wirkungen wie die des Körpers sukzessiv sind, eine nach der andern. Woher das komme, das ist – soviel ist gewiß, daß unsere Seele von ganzem Herzen wünscht, weder sukzessiv zu erkennen, noch zu wollen. Wir möchten mit einem Blick durch die innerste Natur aller Wesen dringen, mit einer Empfindung alle Wonne, die in der Natur ist, aufnehmen und mit uns vereinigen. Fragen Sie sich, m. H. wenn Sie mir nicht glauben wollen. Woher die Unruhe, wenn Sie hie und da eine Seite der Erkenntnis beklapst haben, das zitternde Verlangen, das Ganze mit Ihrem Verstande zu umfassen, die lähmende Furcht, wenn Sie zur andern Seite übergehn, werden Sie die erste wieder aus dem Gedächtnis verlieren. Ebenso bei jedem Genuß, woher dieser Sturm, das All zu erfassen, der Überdruß, wenn Ihrer keichenden Sehnsucht kein neuer Gegenstand übrigzubleiben scheint – die Welt wird für Sie arm und Sie schwärmen nach Brücken. Den zitterlichtesten Strahl möcht Ihr Heißhunger bis in die Milchstraße verfolgen, und blendete das erzürnte Schicksal Sie, wie Milton13 würden Sie sich in Chaos und Nacht Welten wähnen, deren Zugang im Reich der Wirklichkeiten Ihnen versperrt ist.

Schließen Sie die Brust zu, wo mehr als eine Adamsribbe rebellisch wird und kommen wieder hinüber mit mir in die lichten Regionen des Verstandes. Wir suchen alle gern unsere zusammengesetzte Begriffe in einfache zu reduzieren und warum das? weil er sie dann schneller – und mehr zugleich umfassen kann. Aber trostlos wären wir, wenn wir darüber das Anschauen und die Gegenwart dieser Erkenntnisse verlieren sollten, und das immerwährende Bestreben, all unsere gesammleten Begriffe wieder auseinanderzuwickeln und durchzuschauen, sie anschaulich und gegenwärtig zu machen, nehm ich als die zweite Quelle der Poesie an.

Der Schöpfer hat unserer Seele einen Bleiklumpen angehängt, der wie die Penduln an der Uhr sie durch seine niederziehende Kraft in beständiger Bewegung erhält. Anstatt also mit den Hypochondristen auf diesen sichern Freund zu schimpfen (amicus certus in re incerta,14 denn was für ein Wetterhahn ist unsere Seele?) ist er, hoff ich, ein Kunststück des Schöpfers, all unsere Erkenntnis festzuhalten, bis sie anschaulich geworden ist.

Die Sinne, ja die Sinne – es kommt freilich auf die spezifische Schleifung der Gläser und die spezifische Größe der Projektionstafel an, aber mit alledem, wenn die Camera obscura Ritzen hat –

So weit sind wir nun. Aber eine Erkenntnis kann vollkommen gegenwärtig und anschaulich sein – und ist deswegen doch noch nicht poetisch. Doch dies ist nicht der rechte Zipfel, an dem ich anfassen muß, um –

Wir nennen die Köpfe Genies,15 die alles, was ihnen vorkommt, gleich so durchdringen, durch und durch sehen, daß ihre Erkenntnis denselben Wert, Umfang, Klarheit hat, als ob sie durch Anschaun oder alle sieben Sinne zusammen wäre erworben worden. Legt einem solchen eine Sprache, mathematische Demonstration, verdrehten Charakter, was ihr wollt, eh ihr ausgeredt habt, sitzt das Bild in seiner Seele, mit allen seinen Verhältnissen, Licht, Schatten, Kolorit dazu.

Diese Köpfe werden nun zwar vortreffliche Weltweise was weiß ich, Zergliederer, Kritiker – alle ers – auch vortreffliche Leser von Gedichten abgeben, allein es muß noch was dazukommen, eh sie selbst welche machen, versteh mich wohl, nicht nachmachen. Die Folie, Christlicher Leser! die Folie, was Horaz vivida vis ingenii,16 und wir Begeisterung, Schöpfungskraft, Dichtungsvermögen, oder lieber gar nicht nennen. Den Gegenstand zurückzuspiegeln, das ist der Knoten, die nota diacritica17 des poetischen Genies, deren es nun freilich seit Anfang der Welt mehr als sechstausend soll gegeben haben, die aber auf Belsazers Waage vielleicht bis auf sechs, oder wie Sie wollen –

Denn – und auf dieses Denn sind Sie vielleicht schon ungeduldig, das Vermögen nachzuahmen, ist nicht das, was bei allen Tieren schon im Ansatz – nicht Mechanik – nicht Echo – – nicht was es, um Othem zu sparen, bei unsern Poeten. Der wahre Dichter verbindet nicht in seiner Einbildungskraft, wie es ihm gefällt, was die Herren die schöne Natur zu nennen belieben, was aber mit ihrer Erlaubnis nichts als die verfehlte Natur ist. Er nimmt Standpunkt – und dann muß er so verbinden . Man könnte sein Gemälde mit der Sache verwechseln und der Schöpfer sieht auf ihn hinab, wie auf die kleinen Götter, die mit seinem Funken in der Brust auf den Thronen der Erde sitzen und seinem Beispiel gemäß eine kleine Welt erhalten. Wollte sagen – was wollt ich doch sagen? –

Hier lassen Sie uns eine kleine Pause bis zur nächsten Stunde machen, wo ich mit Kolumbus' Schifferjungen auf den Mast klettern, und sehen will, wo es hinausgeht. Noch weiß ich's selber nicht, aber Land wittere ich schon, bewohnt und unbewohnt, ist gleichgültig. Der Parnaß hat noch viel unentdeckte Länder, und willkommen sei mir, Schiffer! der du auch überm Suchen stürbest. Opfer für der Menschen Seligkeit! Märtyrer! Heiliger!

Ich habe in dem ersten Abschnitt meines Versuchs Ihnen, m. H. meine unmaßgebliche Meinung – mir eine fertige Zunge geben, meine Gedanken geschwind und dennoch mit gehöriger Präzision – Denn ich fürchte sehr, das Jugendfeuer werde die wenige Portion Geduld auflecken, die ich in meinem Temperament finde, und die doch einem Prosaisten, und besonders einem kritischen – In der Tat, da die Kritik mehr eine Beschäftigung des Verstandes als der Einbildungskraft bleibet, so verlangt sie ein großes Maß Phlegma –

Ich habe also bei phlegmatischem Nachdenken über diese zwei Quellen gefunden, daß die letztere die Nachahmung allen schönen Künsten gemein, wie es denn auch Batt18 – die erste aber, das Anschauen allen Wissenschaften, ohne Unterschied, in gewissem Grade gemein sein sollte. Die Poesie scheint sich dadurch von allen Künsten und Wissenschaften zu unterscheiden, daß sie diese beiden Quellen vereinigt, alles scharf durchdacht, durchforscht, durchschaut – und dann in getreuer Nachahmung zum andernmal wieder hervorgebracht. Dieses gibt die Poesie der Sachen, jene des Stils. Oder umgekehrt, wie ihr wollt. Der schöne Geist kann das Ding ganz kennen, aber er kann es nicht wieder so getreu von sich geben, alle Striche seines Witzes können's nicht. Darum bleibt er immer nur schöner Geist, und in den Marmorhänden Longin,19 Home20 (wer will, schreibe seinen Namen hin) wird seine Schale nie zum Dichter hinuntersinken. Doch dies sind so Gedanken neben dem Totenkopf auf der Toilette des Denkers – laßt uns zu unserm Theater umkehren!

Und die Natur des Schauspiels zu entwickeln suchen, aus dieser Untersuchung einige Korollarien ableiten, mit guten Gründen verschanzen, und im dritten Abschnitt wider die Angriffe unsrer Gegner, das heißt, des ganzen feinern Publikums verteidigen, ob wir sie vielleicht dahin vermöchten, die Belagerung in eine Blockade zu verwandeln, weil alsdenn –

Daß das Schauspiel eine Nachahmung und folglich einen Dichter fordere, wird mir doch wohl nicht bestritten werden. Schon im gemeinen Leben (fragen wir den Pöbel, dessen Witz noch nicht so boshaft ist, Worte umzumünzen) heißt ein geschickter Nachahmer ein guter Komödiant, und wäre das Schauspiel was anders als Nachahmung, es würde seine Schauer bald verlieren. Ich getraue mich, zu behaupten, daß tierische Befriedigungen ausgenommen, es für die menschliche Natur kein einzig Vergnügen gibt, wo nicht Nachahmung mit zum Grunde läge – die Nachahmung der Gottheit mit eingerechnet usw.

Herr Aristoteles selber sagt –

Es kommt itzt darauf an, was beim Schauspiel eigentlich der Hauptgegenstand der Nachahmung: der Mensch? oder das Schicksal des Menschen? Hier liegt der Knoten, aus dem zwei so verschiedene Gewebe ihren Ursprung genommen, als die Schauspiele der Franzosen (sollen wir der Griechen sagen?) und der ältern Engländer, oder vielmehr überhaupt aller ältern nordischen Nationen sind, die nicht griechisch gesattelt waren.

Hören Sie also die Definition des Aristoteles von der Tragödie, lassen Sie uns hernach die Dreistigkeit haben, unsere zu geben. Ein großes Unternehmen, aber wer kann uns zwingen, Brillen zu brauchen, die nicht nach unserm Auge geschliffen sind.

Er sagt im sechsten Kapitel seiner poetischen Reitkunst: »Es ist also das Trauerspiel die Nachahmung einer Handlung, einer guten, vollkommenen und großen Handlung, in einer angenehmen Unterredung, nach der besondern Beschaffenheit der handelnden Personen abgeändert, nicht aber in einer Erzählung.«

Er breitet sich weiter über diese Definition aus. »Und weil das Trauerspiel die Nachahmung einer Handlung ist, die von bestimmten Personen geschiehet, welche notwendig von verschiedener Beschaffenheit sein müssen, sowohl in Ansehung ihrer Sitten, als Gesinnungen, so auch ihre Handlungen von verschiedener Beschaffenheit sind, so ist es natürlich, daß es zwei Ursachen der Handlungen gebe, die Gesinnungen und die Sitten, und nach Maßgabe dieser müssen die Personen alle entweder glücklich oder unglücklich werden.« Er erklärt sich hernach über diese Ausdrücke, damit er allem Mißverstande vorbeuge. »Sitten sind die Art, mit der jemand handelt. Gesinnungen sind seine Gemütsart und der Ausdruck derselben im Sprechen.« Sie sehen aus dieser Erklärung, daß wir nach unserer modernen dramaturgischen Sprache diese beide Worte in eins zusammenfassen, übersetzen können. Charakter, der kenntliche Umriß eines Menschen auf der Bühne. Er fodert also, daß wir die Fabel des Stücks nach den Charakteren der handelnden Personen einrichten, wie er im neunten Kap. noch deutlicher sich erklärt: »der Dichter solle Begebenheiten nicht vorstellen, wie sie geschehen sind, sondern geschehen sollten.«

Nachdem er nun selbst zugestanden, daß der Charakter der handelnden Personen den Grund ihrer Handlungen, und also auch der Fabel des Stücks enthalte: sollt' es uns fast wundern, daß er in eben diesem Kapitel fortfährt: »Das Wichtigste unter allen ist die Zusammensetzung der Begebenheiten. Denn das Trauerspiel ist nicht eine Nachahmung des Menschen, sondern der Handlungen, des Lebens, des Glücks oder Unglücks, denn die Glückseligkeit ist in den Handlungen gegründet, und der Endzweck des Trauerspiels ist eine Handlung, nicht eine Beschaffenheit.« Als ob die Beschaffenheit eines Menschen überhaupt vorgestellt werden könne, ohne ihn in Handlung zu setzen. Er ist dies und das, woran weiß ich es, lieber Freund, woran weißt du es, hast du ihn handeln sehen? Sei es also, daß Drama notwendig die Handlung mit einschließt, um mir die Beschaffenheit anschaulich zu machen: ist darum Handlung der letzte Endzweck, das Principium? Er fährt fort: »Sie (die handelnden Personen) sind nach ihren Sitten von einer gewissen Beschaffenheit, nach ihren Handlungen aber glücklich oder unglücklich. Sie sollen also nicht handeln, um ihre Sitten darzustellen, sondern die Sitten werden um der Handlungen willen mit eingeführt« (Aristoteles konnte nichts anders lehren, nach den Mustern, die er vor sich hatte, und deren Entstehungsart ich unten aus den Religionsmeinungen klar machen will. Eben hier ist die unsichtbare Spitze, auf der alle herrliche Gebäude des griechischen Theaters ruhen: auf der wir aber unmöglich fortbauen können) »Die Begebenheiten, die Fabel ist also der Endzweck der Tragödie, denn ohne Handlungen würde es keine Tragödie bleiben, wohl aber ohne Sitten.« Ohnmöglich können wir