Die Soldaten - Jakob Michael Reinhold Lenz - E-Book

Die Soldaten E-Book

Jakob Michael Reinhold Lenz

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Soldaten sind Außenseiter in einer friedlichen Gesellschaft. Und wenn Krieg herrscht, sind sie es noch viel mehr. Weil ihr Leben immer auf dem Spiel steht, müssen sie es in vollen Zügen auskosten – ohne Rücksicht auf Verluste. Marie Wesener, hübsche Kaufmannstochter, freut sich, dass der schneidige Offizier Desportes mit ihr flirtet. Denken tut sie sich dabei nichts. Aber das ist ein Fehler …

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Jakob Michael Reinhold Lenz

Die Soldaten

Eine Komödie

Drama/en

FISCHER E-Books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Inhalt

PersonenErster AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneSechste SzeneZweiter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneDritter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneSechste SzeneSiebente SzeneAchte SzeneNeunte SzeneZehnte SzeneVierter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneSechste SzeneSiebente SzeneAchte SzeneNeunte SzeneZehnte SzeneEilfte SzeneFünfter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte und letzte SzeneDie Schlussszene in der ersten FassungFünfte und letzte SzeneAnhangEditorische NotizDaten zu Leben und WerkJakob Michael Reinhold Lenz, ›Die Soldaten‹Jakob Michael Reinhold Lenz

Personen

WESENER, ein Galanteriehändler in Lille

FRAU WESENER, seine Frau

MARIE, CHARLOTTE, ihre Töchter

STOLZIUS, Tuchhandler in Armentieres

SEINE MUTTER

DESPORTES, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten

DER GRAF VON SPANNHEIM, sein Obrister

PIRZEL, ein Hauptmann

EISENHARDT, Feldprediger

HAUDY, Officier

RAMMLER, Officier

MARY, Officier

DIE GRÄFIN DE LA ROCHE

IHR SOHN

FRAU BISCHOF

IHRE COUSINE und andere

 

Der Schauplatz ist im französischen Flandern.

Erster Akt

Erste Szene

In Lille. Marie. Charlotte.

MARIE (mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend)

Schwester, weißt du nicht, wie schreibt man Madame, M a ma, t a m m tamm, m e me.

CHARLOTTE (sitzt und spinnt)

So ’st recht.

MARIE

Hör, ich will dir vorlesen, ob’s so angeht, wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist’s so recht arriviert, a r ar, r i e w wiert?

CHARLOTTE

So ’st recht.

MARIE

»Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur imstand zu sein« – ist so recht?

CHARLOTTE

So lies doch, bis der Verstand aus ist.

MARIE

»Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wiederzuerstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Continuation.«

CHARLOTTE

Bitten wir um fernere.

MARIE

Lass doch sein, was fällst du mir in die Rede.

CHARLOTTE

Wir bitten um fernere Continuation.

MARIE

Ei, was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so. (Macht alles geschwind wieder zu, und will den Brief versiegeln.)

CHARLOTTE

Nu, so les’ Sie doch aus.

MARIE

Das Übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein, als der Papa; letzthin sagte der Papa auch, es wäre nicht höflich, wenn man immer wir schriebe, und ich und so dergleichen. (Siegelt zu.) Da Steffen (gibt ihm Geld) tragt den Brief auf die Post.

CHARLOTTE

Sie wollt mir den Schluss nicht vorlesen, gewiss hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.

MARIE

Das geht dich nichts an.

CHARLOTTE

Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja ebenso gut schreiben können, als du, aber ich habe dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.

MARIE

Hör, Lotte, lass mich zufrieden mit dem Stolzius, ich sag dir’s, doch ich geh gleich herunter, und klag’s dem Papa.

CHARLOTTE

Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch, dass du verliebt in ihn bist, und dass du’s nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.

MARIE

Lotte. (Fängt an zu weinen und läuft herunter.)

Zweite Szene

In Armentieres. Stolzius und seine Mutter.

STOLZIUS (mit verbundenem Kopf)

Mir ist nicht wohl, Mutter!

MUTTER (steht eine Weile und sieht ihn an)

Nu, ich glaube, Ihm steckt das verzweifelte Mädel im Kopf, darum tut er Ihm so weh. Seit sie weggereist ist, hat Er keine vergnügte Stunde mehr.

STOLZIUS

Aus Ernst, Mutter, mir ist nicht recht.

MUTTER

Nu, wenn du mir gute Worte gibst, so will ich dir das Herz wohl leichter machen. (Zieht einen Brief heraus.)

STOLZIUS (springt auf)

Sie hat Euch geschrieben?

MUTTER

Da, kannst du’s lesen. (Stolzius reißt ihn ihr aus der Hand, und verschlingt den Brief mit den Augen.) Aber hör, der Obriste will das Tuch ausgemessen haben für die Regimenter.

STOLZIUS

Lasst mich den Brief beantworten, Mutter.

MUTTER

Hans Narr, ich rede vom Tuch, das der Obrist bestellt hat für die Regimenter. Kommt denn –

Dritte Szene

In Lille. Marie. Desportes.

DESPORTES

Was macht Sie denn da, meine göttliche Mademoiselle?

MARIE (die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr)

O nichts, nichts, gnädiger Herr – (Lächelnd.) Ich schreib gar zu gern.

DESPORTES

Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.

MARIE

O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.

DESPORTES

Alles, was von einer solchen Hand kommt, muss schön sein.

MARIE

O Herr Baron, hören Sie auf, ich weiß doch, dass das alles nur Komplimenten sein.

DESPORTES (kniend)

Ich schwöre Ihnen, dass ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeners gesehen habe, als Sie sind.

MARIE (strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen)

Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.

DESPORTES

Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch, wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft habe, und jetzt riskiere, dass, wenn man erfährt, dass ich nicht bei meinen Eltern bin, wie ich vorgab, man mich in Prison wirft, wenn ich wiederkomme, ist das falsch, nur um das Glück zu haben, Sie zu sehen, Vollkommenste?

MARIE (wieder auf ihre Arbeit sehend)

Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren, wo man weder schön noch hässlich ist.

Wesener tritt herein.

WESENER

Ei, sieh doch! gehorsamer Diener, Herr Baron, wie kommt’s denn, dass wir wieder einmal die Ehre haben. (Umarmt ihn.)

DESPORTES

Ich bin nur auf einige Wochen hier, einen meiner Verwandten zu besuchen, der von Brüssel angekommen ist.

WESENER

Ich bin nicht zu Hause gewesen, werden verzeihen, mein Mariel wird Sie ennuyiert haben; wie befinden sich denn die werten Eltern, werden die Tabatieren doch erhalten haben –

DESPORTES

Ohne Zweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen, wir werden auch noch eine Rechnung miteinander haben, Vaterchen.

WESENER

O das hat gute Wege, es ist ja nicht das erste Mal. Die gnädige Frau sind letzten Winter nicht zu unserm Karneval herabgekommen.

DESPORTES

Sie befindet sich etwas unpass – Waren viel Bälle?

WESENER

So, so, es ließ sich noch halten – Sie wissen, ich komme auf keinen, und meine Töchter noch weniger.

DESPORTES

Aber ist denn das auch erlaubt, Herr Wesener, dass Sie Ihren Töchtern alles Vergnügen so versagen, wie können sie dabei gesund bleiben?

WESENER

O wenn sie arbeiten, werden sie schon gesund bleiben. Meinem Mariel fehlt doch, Gott sei Dank, nichts, und sie hat immer rote Backen.

MARIE

Ja, das lässt sich der Papa nicht ausreden, und ich krieg doch so bisweilen so eng um das Herz, dass ich nicht weiß, wo ich vor Angst in der Stube bleiben soll.

DESPORTES

Sehn Sie, Sie gönnen Ihrer Mademoiselle Tochter kein Vergnügen, und das wird noch einmal Ursach sein, dass sie melancholisch werden wird.

WESENER

Ei was, sie hat Vergnügen genug mit ihren Kameradinnen, wenn sie zusammen sind, hört man sein eigen Wort nicht.

DESPORTES

Erlauben Sie mir, dass ich die Ehre haben kann, Ihre Mademoiselle Tochter einmal in die Komödie zu führen. Man gibt heut ein ganz neues Stück.

MARIE

Ach Papa!

WESENER

Nein – Nein, durchaus nicht, Herr Baron! Nehmen Sie mir’s nicht ungnädig, davon kein Wort mehr. Meine Tochter ist nicht gewohnt, in die Komödie zu gehen, das würde nur Gerede bei den Nachbarn geben, und mit einem jungen Herrn von den Milizen dazu.

DESPORTES

Sie sehen, ich bin im Bürgerskleide, wer kennt mich.

WESENER

Tant pis! ein für allemal, es schickt sich mit keinem jungen Herren; und denn ist es auch noch nicht einmal zum Tisch des Herrn gewesen, und soll schon in die Komödie und die Staatsdame machen. Kurz und gut, ich erlaube es nicht, Herr Baron.

MARIE

Aber Papa, wenn den Herrn Baron nun niemand kennt?

WESENER (etwas leise)

Willstu ’s Maul halten? niemand kennt, tant pis wenn ihn niemand kennt. Werden pardonieren, Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen tun wollte, in allen andern Stücken haben zu befehlen.

DESPORTES

A propos, lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen?

WESENER

Sogleich. (Geht heraus.)

DESPORTES

Wissen Sie was, mein englisches, mein göttliches Mariel, wir wollen Ihrem Vater einen Streich spielen. Heut geht es nicht mehr an, aber übermorgen geben sie ein fürtreffliches Stück, »La chercheuse d’esprit«, und die erste Piece ist der »Deserteur« – haben Sie hier nicht eine gute Bekannte?

MARIE

Frau Weyher.

DESPORTES

Wo wohnt sie?

MARIE

Gleich hier, an der Ecke beim Brunnen.

DESPORTES

Da komm ich hin, und da kommen Sie auch hin, so gehn wir miteinander in die Komödie.

(Wesener kommt mit einer großen Schachtel Zitternadeln. Marie winkt Desportes lächelnd zu.)

WESENER

Sehen Sie, da sind zu allen Preisen – Diese zu hundert Talern, diese zu funfzig, diese zu hundertfunfzig, wie es befehlen.

DESPORTES (besieht eine nach der andern, und weist die Schachtel Marien)

Zu welcher rieten Sie mir?

(Marie lächelt, und sobald der Vater beschäftigt ist, eine herauszunehmen, winkt sie ihm zu.)

WESENER

Sehen Sie, die spielt gut, auf meine Ehr.

DESPORTES

Das ist wahr. (Hält sie Marien an den Kopf.) Sehen Sie auf so schönem Braun, was das für eine Wirkung tut. O hören Sie, Herr Wesener, sie steht Ihrer Tochter gar zu schön, wollen Sie mir die Gnade tun, und sie behalten.

WESENER (gibt sie ihm lächelnd zurück)

Ich bitte Sie, Herr Baron, das geht nicht an – meine Tochter hat noch in ihrem Leben keine Präsente von den Herren angenommen.

MARIE (die Augen fest auf ihre Arbeit geheftet)

Ich würde sie auch zudem nicht haben tragen können, sie ist zu groß für meine Frisur.

DESPORTES

So will ich sie meiner Mutter schicken. (Wickelt sie sorgfältig ein.)

WESENER (indem er die andern einschachtelt, brummt etwas heimlich zu Marien)

Zitternadel du selber, sollst in deinem Leben keine auf den Kopf bekommen, das ist kein Tragen für dich.

(Sie schweigt still und arbeitet fort.)

DESPORTES

So empfehle ich mich denn, Herr Wesener! Eh ich wegreise, machen wir richtig.

WESENER

Das hat gute Wege, Herr Baron, das hat gute Wege, sein Sie so gütig, und tun uns einmal wieder die Ehre an.

DESPORTES

Wenn Sie mir’s erlauben wollen – Adieu Jungfer Marie! (Geht ab.)

MARIE

Aber sag’ Er mir doch, Papa, wie ist Er denn auch?

WESENER

Na, hab ich dir schon wieder nicht recht gemacht. Was verstehst du doch von der Welt, dummes Keuchel.

MARIE

Er hat doch gewiss ein gutes Gemüt, der Herr Baron.

WESENER

Weil er dir ein paar Schmeicheleien und so und so – Einer ist so gut wie der andere, lehr du mich die jungen Milizen nit kennen. Da laufen sie in alle Aubergen und in alle Kaffeehäuser, und erzählen sich, und eh man sich’s versieht, wips ist ein armes Mädel in der Leute Mäuler. Ja, und mit der und der Jungfer ist’s auch nicht zum Besten bestellt, und die und die kenne ich auch, und die hätt ihn auch gern –

MARIE

Papa. (Fängt an zu weinen.)