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Lenz' "Anmerkungen übers Theater"? die 1774 erstmals veröffentlicht wurden, markieren einen Umbruch in der Geschichte des deutschen Dramas: Unter dem Einfluss Shakespeares entwickelte Lenz einen völlig neuen Dramentypus. Diese neue unmodernisierte und umfangreich kommentierte Studienausgabe des Textes bietet neben den Anmerkungen weitere, außerordentlich einflussreiche theoretische Werke von Lenz über Shakespeare und zusätzlich zwei seiner Beispielübersetzungen.
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Seitenzahl: 216
Jakob Michael Reinhold Lenz
Anmerkungen übers Theater
Shakespeare-Arbeiten und Shakespeare-Übersetzungen
Studienausgabe
Herausgegeben von Hans-Günther Schwarz
Reclam
2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960419-0
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019135-4
www.reclam.de
Anmerkungen übers Theater
Amor vincit omnia
Über die Veränderung des Theaters im Shakespear
Das Hochburger Schloß
Vertheidigung des Herrn W. gegen die Wolken [Auszug]
Coriolan [Auszug]
Shakespears Geist
Anhang
Zur Textgestalt
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
Diese Schrift ward zwey Jahre vor Erscheinung der deutschen Art und Kunst und des Götz von Berlichingen in einer Gesellschaft guter Freunde vorgelesen. Da noch manches für die heutige Bellitteratur drinn seyn möchte, das jene beyden Schriften nicht ganz überflüssig gemacht, so theilen wir sie – wenn nicht anders als das erste ungehemmte Räsonnement eines unpartheyischen Dilettanten – unsern Lesern Rhapsodienweis mit.
M. H.
Nec minimum meruere decus, vestigia grecaAusi deserere – Horat.
Der Vorwurf einiger Anmerkungen, die ich für Sie auf dem Herzen habe, soll das Theater seyn. Der Werth des Schauspiels ist in unsern Zeiten zu entschieden, als daß ich nöthig hätte, wegen dieser Wahl captationem benevolentiae vorauszuschicken, wegen der Art meines Vortrags aber muß ich Sie freylich komplimentiren, da meine gegenwärtige Verfassung und andere zufällige Ursachen mir nicht erlauben, so weit mich über meinen Gegenstand auszubreiten, so tief hineinzudringen, als ich gern wollte. Ich zimmere in meiner Einbildung ein ungeheures Theater, auf dem die berühmtesten Schauspieler alter und neuer Zeiten nun vor unserm Auge vorbeyziehen sollen. Da werden Sie also sehen die grossen Meisterstücke Griechenlands von eben so grossen Meistern in der Aktion vorgestellt, wenn wir dem Aulus Gellius glauben wollen und andern. Sie werden, wenn Sie belieben, im zweyten Departement [10] gewahr werden die Trauerspiele des Ovids und Seneka, die Lustspiele des Plautus und Terenz und den grossen Komödianten Roscius, dessen der berühmte Herr Cicero selbst mit vieler Achtung erwähnt. Werden sehen die drey Schauspieler, die sich in eine Rolle theilen, die Larven, die uns Herr du Bos so ausführlich beschreibt, den ganzen furchtbaren Apparatus, und dennoch den alten Römern müssen Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß die wesentliche Einrichtung ihrer Bühne und ihr Parterre, das wills Gott aus nichts weniger als der Nation bestand, diese scheinbaren Ausschweifungen von der Natur nothwendig machten. Daß aber die Alten ihre Stücke mehr abgesungen als recitirt, scheint mir aus dem du Bos sehr wahrscheinlich, da es sich so ganz natürlich aus dem Ursprung des Schauspiels erklären läßt, als welches anfangs nichts mehr gewesen zu seyn scheint, als ein Lobgesang auf den Vater Bachus von verschiedenen Personen zumal gesungen. Auch würden eines so ungeheuren Parterre unruhige Zuhörer wenig Erbauung gefunden haben, wenn die Akteurs ihren Prinzessinnen zärtliche Sachen vorgelispelt und vorgeschluchst, die sie unter den Masken selbst kaum gehört, wiewohl auch heutiges Tags sich zuzutragen pflegt, geschweige. Doch lassen wir das lateinische Departement, Sie werden im Italienischen, Helden ohne Mannheit und dergleichen, da aber Orpheus den dreyköpfigten Cerberus selbst durch den Klang seiner Leyer dahin gebracht, daß er nicht hat muksen dürfen, sollte ein Sänger oder Sängerin nicht den grimmigsten Kunstrichter? Ich öfne also das vierte Departement, und da erscheint – ach schöne Spielewerk! da erscheinen die fürchterlichsten Helden des Alterthums, der rasende Oedip, in jeder Hand ein Auge und [11] ein grosses Gefolge griechischer Imperatoren, römischer Bürgermeister, Könige und Kayser, sauber frisirt in Haarbeutel und seidenen Strümpfen, unterhalten ihre Madonnen, deren Reifröcke und weisse Schnupftücher jedem Christenmenschen das Herz brechen müssen, in den galantesten Ausdrücken von der Heftigkeit ihrer Flammen, daß sie sterben, ganz gewiß und unausbleiblich den Geist aufgeben, sich genöthigt sehen, falls diese nicht. Ich darf mich hier nicht lange erst besinnen, was für Meister für diese Bühne gearbeitet, grosse Akteurs auf derselben erschienen, es würde mir beschwerlicher werden, Ihnen die Liste von beyden vorzulegen, als es dem guten Vater Homer mag geworden seyn, die griechischen und trojanischen Officiere herzubethen. Man darf nur die vielen Journäle, Merkure, Ästhetiken mit Pröbchen gespickt – und was die Schauspieler betrift, so ist der feine Geschmack ihnen überall schon zur andern Natur geworden, über und unter der sie wie in einem andern Clima würden ersticken müssen. In diesem Departement ist Amor Selbstherrscher, alles athmet, seufzt, weint, blutet, ihn und den Lichtputzer ausgenommen ist noch kein Akteur jemals hinter die Coulisse getreten, ohne sich auf dem Theater verliebt zu haben. Laßt uns nun noch die fünfte Kammer besehen, die von dieser die umgekehrte Seite war, obschon es den erleuchteten Zeiten gelungen, auch bis dahin durchzudringen und der höllischen Barbarey zu steuren, die die Dichter vor und unter der Königin Elisabeth daselbst ausgebreitet. Diese Herren hatten sich nicht entblödet, die Natur mutterfadennackt auszuziehen und dem keusch- und züchtigen Publikum darzustellen wie sie Gott erschaffen hat. Auch der häßliche Gärrick hört allmählich auf, mit seinem Götzen [12] Shakespear Wohlstand, Gelüschmack und Moralität, den drey Grazien des gesellschaftlichen Lebens, den Krieg anzukündigen. Nun und gleich bey lüpfe ich den Vorhang und zeige Ihnen – ja was? ein wunderbares Gemenge alles dessen, was wir bisher gesehen und erwogen haben, und das zu einem Punkt der Vollkommenheit getrieben, den kein unbewafnetes Auge mehr entdecken kann. Deutsche Sophokles, deutsche Plautus, deutsche Shakespears, deutsche Franzosen, deutsche Metastasio, kurz alles was Sie wollen, durch kritische Augengläser angesehen und oft in einer Person vereinigt? Was wollen wir mehr. Wie das alles so durcheinander geht, Cluvers orbis antiquus mit der neueren Heraldik, und der Thon im Ganzen so wenig deutsch, so kritisch bebend, gerathen schön – wer Ohren hat zu hören, der klatsche, das Volk ist verflucht.
Nachdem ich also fertig bin und Ihnen so gut ich konnte, die Bühne aller Zeiten und Völker in aller Geschwindigkeit zusammengenagelt, so erlauben Sie mir, m. H. Sie beym Arm zu zupfen und mittlerweile das übrige Parterre mit ofnem Mund und gläsernen Augen als Katzen nach dem Taubenschlage zu den Logen hinaufglurt, Ihnen eine müßige Stunde mit Anmerkungen über Theater, über Schauspieler und Schauspiel anzufüllen. Sie werden mir als einem Fremden nicht übel nehmen, daß ich mit einer gewissen Freiheit von den Dingen rede und meine Worte –
Mit Ihrer Erlaubnis werde ich also ein wenig weit ausholen, weil ich solches zu meinem Entzweck – meinem Entzweck? Was meynen Sie aber wohl, das der sey? Es giebt Personen, die eben so geneigt sind was Neues zu sagen und das einmal gesagte mit allen Kräften Leibes und der Seele zu vertheidigen, als der gröbere Theil des Publikums, der [13] dazu geschaffen ist, ewig Auditorium zu seyn, geneigt ist, was Neues zu hören. Da ich hier aber kein solches Publikum – so untersteh ich mich nicht, Ihnen den letzten Entzweck dieser Anmerkungen, das Ziel meiner Partheygänger anzuzeigen. Vielleicht werden Sie, wenn Sie mit mir fortgeritten sind, von selbst drauf stossen und alsdenn –
Wir alle sind Freunde der Dichtkunst, und das menschliche Geschlecht scheint auf allen bewohnten Flecken dieses Planeten einen gewissen angebohrnen Sinn für diese Sprache der Götter zu haben. Was sie nun so reizend mache, daß zu allen Zeiten – scheint meinem Bedünken nach nichts anders als die Nachahmung der Natur, das heißt aller der Dinge, die wir um uns herum sehen, hören etcetera, die durch die fünf Thore unsrer Seele in dieselbe hineindringen, und nach Maßgabe des Raums stärkere oder schwächere Besatzung von Begriffen hineinlegen, die denn anfangen in dieser Stadt zu leben und zu weben, sich zu einander gesellen, unter gewisse Hauptbegriffe stellen, oder auch Zeitlebens ohne Anführer, Commando und Ordnung herumschwärmen, wie solches Bunian in seinem heiligen Kriege gar schön beschrieben hat. Wie besoffene Soldaten oft auf ihrem Posten einschlafen, zu unrechter Zeit wieder aufwachen etcetera, wie man denn Beyspiele davon in allen vier Welttheilen antrift. Doch bald geb ich selbst ein solches ab – ich finde mich wieder zurecht, ich machte die Anmerkung, das Wesen der Poesie sey Nachahmung und was dies für Reiz für uns habe – Wir sind, m. H. oder wollen wenigstens seyn, die erste Sprosse auf der Leiter der freyhandelnden selbstständigen Geschöpfe, und da wir eine Welt hie da um uns sehen, die der Beweiß eines unendlich freyhandelnden Wesens ist, so ist der erste Trieb, den wir [14] in unserer Seele fühlen, die Begierde ’s ihm nachzuthun; da aber die Welt keine Brücken hat, und wir uns schon mit den Dingen, die da sind, begnügen müssen, fühlen wir wenigstens Zuwachs unsrer Existenz, Glückseligkeit, ihm nachzuäffen, seine Schöpfung ins Kleine zu schaffen. Obschon ich nun wegen dieses Grundtriebes nicht nöthig hätte mich auf eine Authorität zu berufen, so will ich doch nach der einmal eingeführten Weise mich auf die Worte eines grossen Kunstrichters mit einem Bart lehnen, eines Kunstrichters, der in meinen Anmerkungen noch manchmal ins Gewehr treten wird. Aristoteles im vierten Buch seiner Poetik: »Es scheint, daß überhaupt zwey natürliche Ursachen zur Poesie Gelegenheit gegeben. Denn es ist dem Menschen von Kindesbeinen an eigen, nachzuahmen. Und in diesem Stück liegt sein Unterscheidungszeichen von den Thieren. Der Mensch ist ein Thier, das vorzüglich geschickt ist, nachzuahmen.« Ein Glück, daß er vorzüglich sagt, denn was würde sonst aus den Affen werden?
Ich habe eine grosse Hochachtung für den Aristoteles, obwohl nicht für seinen Bart, den ich allenfalls mit Peter Ramus, dem jedoch der Muthwill übel bekommen ist – Aber da er hier von zwo Quellen redet, aus denen die landüberschwemmende Poesie ihren Ursprung genommen und gleichwohl nur auf die eine mit seinem kleinen krummen Finger deutet, die andere aber unterm Bart behält (obwohl ich Ihnen auch nicht dafür stehe, da ich aufrichtig zu reden, ihn noch nicht ganz durchgelesen) so ist mir ein Gedanke entstanden, der um Erlaubniß bittet, ans Tageslicht zu kommen, denn einen Gedanken bey sich zu behalten und eine glühende Kohle in der Hand –
ErstabernocheineAuthorität.Derberühmte [15] weltberühmteHerrSterne,dersichwohlnichtswenigeralsNachahmervermuthet,undweilerdasinseinesiebenteBittezusetzenvergessen,deswegenvomHimmeldamitscheintvorzüglichgestraftwordenzuseyn,inseinemLebenundMeynungensagtimvierzigstenKapitel.»DieGabezuvernünftelnundSyllogismenzumachen,imMenschen–denndiehöhernKlassenderWesen,alsdieEngelundGeister,wiemanmirgesagthat,thundasdurchAnschauen.«
Es ist nur der Unterschied, daß diese zweyte Authorität dem, was ich sagen will, vorangeht, und also nach schuldiger Dankbarkeit an den Pfauenschwanz, dem ich diese Feder entwandt, fang und hebe ich also an.
Unsere Seele ist ein Ding, dessen Wirkungen wie die des Körpers successiv sind, eine nach der andern. Woher das komme, das ist – so viel ist gewiß, daß unsere Seele von ganzem Herzen wünscht, weder successiv zu erkennen, noch zu wollen. Wir möchten mit einem Blick durch die innerste Natur aller Wesen dringen, mit einer Empfindung alle Wonne, die in der Natur ist, aufnehmen und mit uns vereinigen. Fragen Sie sich, m. H. wenn Sie mir nicht glauben wollen. Woher die Unruhe, wenn Sie hie und da eine Seite der Erkenntniß beklapst haben, das zitternde Verlangen, das Ganze mit Ihrem Verstande zu umfassen, die lähmende Furcht, wenn Sie zur andern Seite übergehn, werden Sie die erste wieder aus dem Gedächtniß verlieren. Eben so bey jedem Genuß, woher dieser Sturm, das All zu erfassen, der Überdruß, wenn Ihrer keichenden Sehnsucht kein neuer Gegenstand übrig zu bleiben scheint – die Welt wird für Sie arm und Sie schwärmen nach Brücken. Den zitterlichtesten Strahl möcht Ihr Heißhunger bis in die Milchstrasse verfolgen, und blendete das erzürnte [16] Schicksal Sie, wie Milton würden Sie sich in Chaos und Nacht Welten wähnen, deren Zugang im Reich der Wirklichkeiten Ihnen versperrt ist.
Schliessen Sie die Brust zu, wo mehr als eine Adamsribbe rebellisch wird und kommen wieder hinüber mit mir in die lichten Regionen des Verstandes. Wir suchen alle gern unsere zusammengesetzte Begriffe in einfache zu reduciren und warum das? weil er sie dann schneller – und mehr zugleich umfassen kann. Aber trostlos wären wir, wenn wir darüber das Anschauen und die Gegenwart dieser Erkänntnisse verlieren sollten, und das immerwährende Bestreben, all unsere gesammleten Begriffe wieder auseinander zu wickeln und durchzuschauen, sie anschaulich und gegenwärtig zu machen, nehm’ ich als die zweyte Quelle der Poesie an.
Der Schöpfer hat unserer Seele einen Bleyklumpen angehängt, der wie die Penduln an der Uhr sie durch seine niederziehende Kraft in beständiger Bewegung erhält. Anstatt also mit den Hypochondristen auf diesen sichern Freund zu schimpfen (amicus certus in re incerta, denn was für ein Wetterhahn ist unsere Seele?) ist er, hoff’ ich, ein Kunststück des Schöpfers, all unsere Erkenntniß festzuhalten, bis sie anschaulich geworden ist.
Die Sinne, ja die Sinne – es kommt freilich auf die specifische Schleifung der Gläser und die specifische Grösse der Projektionstafel an, aber mit alledem, wenn die Camera obscura Ritzen hat –
So weit sind wir nun. Aber eine Erkenntniß kann vollkommen gegenwärtig und anschaulich seyn – und ist deswegen doch noch nicht poetisch. Doch dies ist nicht der rechte Zipfel, an dem ich anfassen muß, um –
[17] Wir nennen die Köpfe Genies, die alles, was ihnen vorkommt, gleich so durchdringen, durch und durch sehen, daß ihre Erkenntniß denselben Werth, Umfang, Klarheit hat, als ob sie durch Anschaun oder alle sieben Sinne zusammen wäre erworben worden. Legt einem solchen eine Sprache, mathematische Demonstration, verdrehten Karakter, was ihr wollt, eh ihr ausgeredt habt, sitzt das Bild in seiner Seele, mit allen seinen Verhältnissen, Licht, Schatten, Kolorit dazu.
Diese Köpfe werden nur zwar vortrefliche Weltweise was weiß ich, Zergliederer, Kritiker – alle ers – auch vortrefliche Leser von Gedichten abgeben, allein es muß noch was dazukommen, eh sie selbst welche machen, versteh mich wohl, nicht nachmachen. Die Folie, Christlicher Leser! die Folie, was Horatz vivida vis ingenii, und wir Begeisterung, Schöpfungskraft, Dichtungsvermögen, oder lieber gar nicht nennen. Den Gegenstand zurückzuspiegeln, das ist der Knoten, die nota diacritica des poetischen Genies, deren es nun freilich seit Anfang der Welt mehr als sechs tausend soll gegeben haben, die aber auf Belsazers Waage vielleicht bis auf sechs, oder wie Sie wollen –
Denn – und auf dieses Denn sind Sie vielleicht schon ungeduldig, das Vermögen nachzuahmen, ist nicht das, was bey allen Thieren schon im Ansatz – nicht Mechanik – nicht Echo – nicht was es, um Othem zu sparen, bey unsern Poeten. Der wahre Dichter verbindet nicht in seiner Einbildungskraft, wie es ihm gefällt, was die Herren die schöne Natur zu nennen belieben, was aber mit ihrer Erlaubniß nichts als die verfehlte Natur ist. Er nimmt Standpunkt – und dann muß er so verbinden. Man könnte sein Gemählde mit der Sache verwechseln und der Schöpfer sieht [18] auf ihn hinab, wie auf die kleinen Götter, die mit seinem Funken in der Brust auf den Thronen der Erde sitzen und seinem Beyspiel gemäß eine kleine Welt erhalten. Wollte sagen – was wollt ich doch sagen? –
Hier lassen Sie uns eine kleine Pause bis zur nächsten Stunde machen, wo ich mit Columbus Schifferjungen auf den Mast klettern, und sehen will, wo es hinausgeht. Noch weiß ichs selber nicht, aber Land wittere ich schon, bewohnt und unbewohnt, ist gleichgültig. Der Parnas hat noch viel unentdeckte Länder, und willkommen sey mir, Schiffer! der du auch überm Suchen stürbest. Opfer für der Menschen Seligkeit! Märtyrer! Heiliger!
—
Ich habe in dem ersten Abschnitt meines Versuchs Ihnen, m. H. meine unmasgebliche Meynung – – mir eine fertige Zunge geben, meine Gedanken geschwind und dennoch mit gehöriger Präcision – Denn ich fürchte sehr, das Jugendfeuer werde die wenige Portion Geduld auflecken, die ich in meinem Temperament finde, und die doch einem Prosaisten, und besonders einem kritischen – In der That, da die Kritik mehr eine Beschäftigung des Verstandes als der Einbildungskraft bleibet, so verlangt sie ein grosses Maaß Phlegma –
Ich habe also bey phlegmatischem Nachdenken über diese zwey Quellen gefunden, daß die letztere die Nachahmung allen schönen Künsten gemein, wie es denn auch Batt – Die erste aber, das Anschauen allen Wissenschaften, ohne Unterschied, in gewissem Grade gemein seyn sollte. Die Poesie scheint sich dadurch von allen Künsten und Wissenschaften zu unterscheiden, daß sie diese beyden [19] Quellen vereinigt, alles scharf durchdacht, durchforscht, durchschaut – und dann in getreuer Nachahmung zum andernmal wieder hervorgebracht. Dieses giebt die Poesie der Sachen, jene des Styls. Oder umgekehrt, wie ihr wollt. Der schöne Geist kann das Ding ganz kennen, aber er kann es nicht wieder so getreu von sich geben, alle Striche seines Witzes könnens nicht. Darum bleibt er immer nur schöner Geist, und in den Marmorhänden Longin, Home (wer will, schreibe seinen Namen hin) wird seine Schaale nie zum Dichter hinunter sinken. Doch dies sind so Gedanken neben dem Todtenkopf auf der Toilette des Denkers – laßt uns zu unserm Theater umkehren!
Und die Natur des Schauspiels zu entwickeln suchen, aus dieser Untersuchung einige Corollarien ableiten, mit guten Gründen verschanzen, und im dritten Abschnitt wider die Angriffe unsrer Gegner, das heißt, des ganzen feinern Publikums vertheidigen, ob wir sie vielleicht dahin vermöchten, die Belagerung in eine Bloquade zu verwandeln, weil alsdenn –
Daß das Schauspiel eine Nachahmung und folglich einen Dichter fodere, wird mir doch wohl nicht bestritten werden. Schon im gemeinen Leben (fragen wir den Pöbel, dessen Witz noch nicht so boßhaft ist, Worte umzumünzen,) heißt ein geschickter Nachahmer, ein guter Komödiant, und wäre das Schauspiel was anders als Nachahmung, es würde seine Schauer bald verlieren. Ich getraue mich, zu behaupten, daß thierische Befriedigungen ausgenommen, es für die menschliche Natur kein einzig Vergnügen giebt, wo nicht Nachahmung mit zum Grunde läge – die Nachahmung der Gottheit mit eingerechnet u. s. w.
Herr Aristoteles selber sagt – –
[20] Es kommt itzt darauf an, was beym Schauspiel eigentlich der Hauptgegenstand der Nachahmung: der Mensch? oder das Schicksal des Menschen? Hier liegt der Knoten, aus dem zwey so verschiedene Gewebe ihren Ursprung genommen, als die Schauspiele der Franzosen (sollen wir der Griechen sagen?) und der ältern Engländer, oder vielmehr überhaupt aller ältern nordischen Nationen sind, die nicht griechisch gesattelt waren.
Hören Sie also die Definition des Aristoteles von der Tragödie, lassen Sie uns hernach die Dreistigkeit haben, unsere zu geben. Ein grosses Unternehmen, aber wer kann uns zwingen, Brillen zu brauchen, die nicht nach unserm Auge geschliffen sind.
Er sagt im sechsten Kapitel seiner poetischen Reitkunst: »Es ist also das Trauerspiel die Nachahmung einer Handlung, einer guten, vollkommenen und grossen Handlung, in einer angenehmen Unterredung, nach der besondern Beschaffenheit der handelnden Personen abgeändert, nicht aber in einer Erzehlung.«
Er breitet sich weiter über diese Definition aus. »Und weil das Trauerspiel die Nachahmung einer Handlung ist, die von bestimmten Personen geschiehet, welche nothwendig von verschiedener Beschaffenheit seyn müssen, sowohl in Ansehung ihrer Sitten, als Gesinnungen, so auch ihre Handlungen von verschiedener Beschaffenheit sind, so ist es natürlich, daß es zwey Ursachen der Handlungen gebe, die Gesinnungen und die Sitten, und nach Maßgabe dieser müssen die Personen alle entweder glücklich oder unglücklich werden.« Er erklärt sich hernach über diese Ausdrücke, damit er allem Mißverstande vorbeuge. Sitten sind, die Art, mit der jemand handelt. Gesinnungen [21] sind seine Gemüthsart und der Ausdruck derselben im Sprechen.« Sie sehen aus dieser Erklärung, daß wir nach unserer modernen dramaturgischen Sprache diese beyde Worte in eins zusammenfassen, übersetzen können. Charakter, der kenntliche Umriß eines Menschen auf der Bühne. Er fodert also, daß wir die Fabel des Stücks nach den Charakteren der handelnden Personen einrichten, wie er im neunten Kap. noch deutlicher sich erklärt: »der Dichter solle Begebenheiten nicht vorstellen, wie sie geschehen sind, sondern geschehen sollten.«
Nachdem er nun selbst zugestanden, daß der Charakter der handelnden Personen den Grund ihrer Handlungen, und also auch der Fabel des Stücks enthalte: sollt’ es uns fast wundern, daß er in eben diesem Kapitel fortfährt: »Das Wichtigste unter allen ist die Zusammensetzung der Begebenheiten. Denn das Trauerspiel ist nicht eine Nachahmung des Menschen, sondern der Handlungen, des Lebens, des Glücks oder Unglücks, denn die Glückseligkeit ist in den Handlungen gegründet, und der Entzweck des Trauerspiels ist eine Handlung, nicht eine Beschaffenheit.« Als ob die Beschaffenheit eines Menschen überhaupt vorgestellt werden könne, ohne ihn in Handlung zu setzen. Er ist dies und das, woran weiß ich es, lieber Freund, woran weißt du es, hast du ihn handeln sehen? Sey es also, daß Drama nothwendig die Handlung mit einschließt, um mir die Beschaffenheit anschaulich zu machen: ist darum Handlung der letzte Entzweck, das Principium? Er fährt fort: »Sie (die handelnden Personen) sind nach ihren Sitten von einer gewissen Beschaffenheit, nach ihren Handlungen aber glücklich oder unglücklich. Sie sollen also nicht handeln, um ihre Sitten darzustellen, sondern die Sitten[22] werden um der Handlungen willen mit eingeführt« (Aristoteles konnte nichts anders lehren, nach den Mustern, die er vor sich hatte, und deren Entstehungsart ich unten aus den Religionsmeynungen klar machen will. Eben hier ist die unsichtbare Spitze, auf der alle herrliche Gebäude des griechischen Theaters ruhen: auf der wir aber unmöglich fortbauen können) »Die Begebenheiten, die Fabel ist also der Entzweck der Tragödie, denn ohne Handlungen würde es keine Tragödie bleiben, wohl aber ohne Sitten.« Ohnmöglich können wir ihm hierinn Recht geben, so sehr er zu seiner Zeit recht gehabt haben mag. Die Erfahrung ist die ewige Atmossphäre des strengen Philosophen, sein Räsonnement kann und darf sich keinen Nagelbreit drüber erheben, so wenig als eine Bombe ausser ihrem berechneten Kreise fliegen kann. Da ein eisernes Schicksal die Handlungen der Alten bestimmte und regierte, so konnten sie als solche interessiren, ohne davon den Grund in der menschlichen Seele aufzusuchen und sichtbar zu machen. Wir aber hassen solche Handlungen, von denen wir die Ursache nicht einsehen, und nehmen keinen Theil dran. Daher sehen sich die heutigen Aristoteliker, die bloß Leidenschaften ohne Charakteren mahlen, (und die ich übrigens in ihrem anderweitigen Werth lassen will) genöthigt, eine gewisse Psychologie für alle ihre handelnde Personen anzunehmen, aus der sie darnach alle Phänomene ihrer Handlungen so geschickt und ungezwungen ableiten können und die im Grunde mit Erlaubniß dieser Herren nichts als ihre eigene Psychologie ist. Wo bleibt aber da der Dichter, Christlicher Leser! wo bleibt die Folie? Grosse Philosophen mögen diese Herren immer seyn, grosse allgemeine Menschenkenntniß, Gesetze der menschlichen [23] Seele Kenntniß, aber wo bleibt die individuelle?Wo die uneckle, immer gleich glänzende, rückspiegelnde, sie mag im Todtengräberbusen forschen oder unterm Reifrock der Königin? Was ist Grandison, der abstrahirte geträumte, gegen einen Rebhuhn, der dasteht? Für den mittelmäßigen Theil des Publikums wird Rousseau (der göttliche Rousseau selbst –) unendlichen Reiz mehr haben, wenn er die feinsten Adern der Leidenschaften seines Busens entblößt und seine Leser mit Sachen anschaulich vertraut macht, die sie alle vorhin schon dunkel fühlten, ohne Rechenschaft davon geben zu können, aber das Genie wird ihn da schätzen, wo er aus den Schlingen und Graziengewebe der feinern Welt Charaktere zu retten weiß, die nun freilich doch oft wie Simson ihre Stärke in dem Schooß der Dame lassen. Wir wollen unsern Aristoteles weiter hören: »Die Trauerspiele der meisten Neuern sind ohne Sitten, es bleiben darum ihre Verfasser immer Dichter (in unsern Zeiten durchaus nicht mehr, Handlungen und Schicksale sind erschöpft, die konventionellen Charaktere, die konventionellen Psychologien, da stehen wir und müssen immer Kohl wärmen, ich danke für die Dichter) Er führt das Beyspiel zweyer Mahler, des Zeuxes und Polyglotus. Ich will diese Stelle übergehen und meine Paradoxe nicht auf alle schöne Künste – doch einen Seitenblick – nach meiner Empfindung schätz ich den Charakteristischen, selbst den Carrikaturmahler zehnmal höher als den Idealischen, hyperbolisch gesprochen, denn es gehört zehnmal mehr dazu, eine Figur mit eben der Genauigkeit und Wahrheit darzustellen, mit der das Genie sie erkennt, als zehn Jahre an einem Ideal der Schönheit zu zirkeln, das endlich doch nur in dem Hirn des Künstlers, der es hervorgebracht, ein [24] solches ist. In der Morgenzeit der Welt wars’ was anders, Zeuxes arbeitete, um uns Kritiker und Geschmack zu bilden, Apelles’ Kohle, von einem göttlichen Feuer geleitet, schuf wie Gott um ihr selbst willen. Die Idee der Schönheit muß bey unsern Dichtern ihr ganzes Wesen durchdrungen haben – denn fort mit dem rohen Nachahmer, der nie an diesem Strahl sich gewärmet hat, auf Thespis’ Karre – aber sie muß nie ihre Hand führen oder zurückhalten, oder der Dichter wird – was er will, Witzling, Pillenversilberer, Bettwärmer, Brustzuckerbecker, nur nicht Darsteller, Dichter, Schöpfer –
Aristoteles: »Ein Zeichen für die Wahrheit des Satzes, daß die Fabel, die Ver- und Entwickelung der Begebenheiten in der Tragödie am meisten gefalle, ist, weil die, so sich an die Poesie wagen, weit eher in Ansehung der Diktion und Charaktere fürtreflich sind, als in der Zusammensetzung der Begebenheiten, wie fast an all unsern ersten Dichtern zu sehen« dies will nichts sagen. Dictione et moribus soll gar in einer Klasse nicht stehen. Es ist hier nicht die Rede von hingekleckten Charakteren, von denen all unsere bärtige und unbärtige Schulübungen so voll; wo bey einer schwimmenden ungefähren Ähnlichkeit des Zuschauers Fantasey das Beste thun muß – selbst nicht von dem famam sequere sibi conventientia finge des Horatz, noch von seinem servetur ad imum, was das Journal Encyclopediquesoutenir les Characteres nennt – es ist die Rede von Charakteren, die sich ihre Begebenheiten erschaffen, die selbstständig und unveränderlich die ganze grosse Maschine selbst drehen, ohne die Gottheiten in den Wolken anders nöthig zu haben, als wenn sie wollen zu Zuschauern, nicht von Bildern, von Marionettenpuppen – von Menschen. Ha [25] aber freilich dazu gehört Gesichtspunkt, Blick der Gottheit in die Welt, den die Alten nicht haben konnten, und wir zu unserer Schande nicht haben wollen. Er fährt fort, wie er denn nicht anders konnte: »Die Fabel also ist der Grund, (Principium) und gleichsam die Seele der Tragödie, das zweyte aber sind die Sitten. Es ist wie in der Mahlerey, wenn einer mit den schönsten Farben das Papier beschmierte, würde er lange so nicht ergetzen, als einer, der ein Bild drauf hinzeichnet (Er vergleicht also die Fabel mit der Zeichnung, die Charaktere mit dem Kolorit??) Es ist aber das Trauerspiel die Nachahmung einer Handlung, und durch diese Handlung auch der handelnden Personen« Umgekehrt wird –
Was er von den Sentiments der Diktion der Melopöie