Anna Berblinger - Herbert Friedmann - E-Book

Anna Berblinger E-Book

Herbert Friedmann

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Beschreibung

Albrecht Ludwig Berblinger, besser bekannt als Schneider von Ulm, versuchte 1811 mit seiner selbstgebauten Flugmaschine über die Donau zu fliegen. Nach seinem misslungenen Versuch verließ Berblinger für einige Zeit Ulm. Hier und über 200 Jahre später beginnt Herbert Friedmanns Novelle. Anna Berblinger, die vierzigjährige Frau des Schneiders, wird zu einer Talkshow eingeladen. Das Fernsehstudio ist leer. Sie breitet ihr Leben aus. Ihr Monolog übers Fliegen wird zu einer bitter-komischen Bestandsaufnahme ihres bisherigen verwarteten Lebens und ist gleichzeitig der Ansatz für einen Neuanfang im Offenen …

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Seitenzahl: 30

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Herbert Friedmann

Anna Berblinger

Ein Monolog übers Fliegen Novelle

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Bin ich verkehrt?

Impressum neobooks

Kapitel 1

Herbert Friedmann

Anna Berblinger

Bin ich verkehrt?

Sieht so aus, als ob ich verkehrt wäre, verkehrt in einer verkehrten Welt. Wahrscheinlich habe ich mich verlaufen. Wie im richtigen Leben. Da habe ich mich auch irgendwann verlaufen. Immer im Kreis, bis ich nicht mehr laufen konnte. Da bin ich halt stehengeblieben. Und das Leben ist an mir vorbeigelaufen.

„Vierter Stock, dann rechts den Gang entlang“, hat der Pförtner gesagt. „Dann die zweite Tür links.“

Oder umgekehrt? Hab ich mich verhört? Links den Gang entlang, dann die zweite Tür rechts? Stimmt. Raum 111 A, genau wie der Pförtner es gesagt hat. Es ist halt, wie es immer ist, ich bin zu früh, über eine Stunde. Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss essen, was übrigbleibt… Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige… Mutters Spruchweisheiten. Die überpünktliche Anna Berblinger, die immer und überall vor der Zeit erscheint. Dann heißt es warten, geduldig warten, ohne zu mucken. Einfach nur die Zeit absitzen und sich fügen, bis man endlich an der Reihe ist, bis man auch einmal den Mund aufmachen darf. Ehe man sich versieht, hat man das halbe Leben verwartet. Im Warten erschöpft, so geht es einem. Das Leben wird zu einem Wartesaal, kahl und kalt und nach Katzenpisse stinkend, mittendrin wartet die Anna Berblinger. Man hockt blöde rum, sucht nach Fixpunkten zum Anstarren, Vergangenes, schwarzweiße Bilder im Irgendwo der Kindheit. Zurück zum Ausgangspunkt, während man dem Ende entgegenwartet.

Warten aufs Schrillen einer Sirene, auf ein Erdbeben, ein Feuerwerk, auf einen klitzekleinen Ruck, der das Warten endlich beendet. Ich habe mit der Zeit vergessen, worauf ich warte. Es ist mir verlorengegangen. Erst gehen die Träume verloren, als gäbe es eine unsichtbare Traumgrenze: Halt! Traumgrenze erreicht! Aufhören zu träumen! Das Ich-stehe-mit-beiden-Beinen-im-Leben-Alter ist erreicht. Erst gehen die Träume verloren, dann verlierst du dich selbst in der Du-musst-die-Dinge-realistisch-sehen-Wüste.

Verloren und ausgedorrt. Man findet sich nicht mehr, keinen Anfang und ein Ende ist zugleich nah und schrecklich fern.

Als Teenager habe ich jeden Tag auf ein Wunder gewartet. Auf ein einzigartiges Ereignis, das mit einem Schlag alles in mir verändern müsste. Ein Wunder, das ins Offene führt. So habe ich die Zeit verlebt und verwartet. Die Wunder sind ausgeblieben, bis man sich über gar nichts mehr wundert und ein kleinkariertes Leben lebt. Wie ausgestopft in einem Museum, zur Besichtigung freigegeben, als wäre man einzigartig., im Warten wie im Leben.

Vor fünf Jahren habe ich es mir zum ersten Mal gewünscht, den Großmutterwunsch, einschlafen und nicht mehr aufwachen. Es gibt keinen schöneren Tod, hat die Großmutter behauptet, als ob sie das Sterben schon x-mal ausprobiert hätte. Ich will nicht länger warten. Warten macht dumm! Wie dumm habe ich mich schon gewartet. Immer zu früh, gleich bei der Geburt, damals vor fünfzig Jahren konnte ich es nicht abwarten, ins Leben zu kommen, zwei Monate vor der Zeit. Zur Strafe haben sie mich in einen Brutkasten gezwängt, reingebrütet wurde ich in das Leben. Du warst lebensneugierig, hat die Mutter gesagt. Immer zu früh, immer den richtigen Augenblick verpasst, bis es zu spät war.