Annemone Apfelstroh - Wolfram Hänel - E-Book

Annemone Apfelstroh E-Book

Wolfram Hänel

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Beschreibung

Annemone Apfelstroh wohnt mit ihrem Vater, einer Ziege und einem Kater in einem abgelegenen Tal am Rand der Welt. An die Mutter kann es sich kaum erinnern, sie verschwand vor langer Zeit. Als Annemone eines Tages verbotenerweise die Töpferscheibe des Vaters in Gang setzt, beginnt eine Reise durch Raum und Zeit – und die Suche nach der Mutter.  Ein märchenhaftes Abenteuer voller überraschender Wendungen: Herausgefordert von Karin Müller begaben sich mitten in der Corona-Krise zehn Autor*innen auf eine Reise ins Ungewisse, von der sie selbst nicht wussten, wohin sie führen würde. Von Autor*in zu Autor*in Kapitel für Kapitel weitergesponnen, entstand auf diesem Weg eine kunterbunte Geschichte. Die digitale Ausgabe von »Annemone Apfelstroh« ist ausschließlich als Fixed Format verfügbar und eignet sich deshalb nur für Tablets und Smartphone-Apps.

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Ein Abenteuer nach dem anderen
von
Karin Müller • Rüdiger Bertram
Sven Gerhardt • Wolfram Hänel • Nikola Huppertz
Anja Janotta • Juma Kliebenstein • Dagmar H. Mueller
Alice Pantermüller • Chantal Schreiber
Mit Illustrationen von Florentine Prechtel
Inhalt
Vorwort: Wie dieses Buch entstand 7
1. Kapitel: Wind kommt auf im kleinen Tal – Karin Müller 9
2. Kapitel: Die Ziege Madonna – Wolfram Hänel 18
3. Kapitel: Tanzende Kobolde – Rüdiger Bertram 25
4. Kapitel: Ein Junge mit blauen Haaren –
Alice Pantermüller 31
5. Kapitel: Schreck in der Werkstatt – Juma Kliebenstein 38
6. Kapitel: Auf der Suche – Chantal Schreiber 44
7. Kapitel: Himbeermarmelade, Reiswaffeln und
Marshmallow Fluff – Nikola Huppertz 50
8. Kapitel: Was weiß Lufthansi? – Sven Gerhardt 58
9. Kapitel: Das seltsame Häuschen – Anja Janotta 62
10. Kapitel: Grün und Rot, Rot und Grün –
Dagmar H. Mueller 69

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11. Kapitel: Was nicht passieren darf – Dagmar H. Mueller 76
12. Kapitel: Knapp verfehlt – Anja Janotta 86
13. Kapitel: Schillernde Erinnerungen – Sven Gerhardt 92
14. Kapitel: Ein Wort und eine Zahl – Nikola Huppertz 97
15. Kapitel: Der Kopf ist klein, das Herz ist weit –
Chantal Schreiber 104
16. Kapitel: Das Buch der Geheimen Dinge –
Juma Kliebenstein 116
17. Kapitel: Krebs, Lavendel, Koriander – Alice Pantermüller 121
18. Kapitel: Ein Koriander-Kuss – Rüdiger Bertram 130
19. Kapitel: Gedanken wie wilde Bienen – Wolfram Hänel 135
20. Kapitel: Himbeersoße und das Kleingedruckte –
Karin Müller 143

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7
Wie dieses Buch entstand
Dies ist ein ganz besonderes Buch. Erzählt wird die wirklich,
wirklich seltsame Geschichte eines mutigen Mädchens, das
mit seinem Vater in einem winzigen Tal am Rande der Welt
lebt. Als Annemone Apfelstroh sich eher unfreiwillig in die
Suche nach ihrer verschwundenen Mutter stürzt, kann sie
noch nicht ahnen, in welch unglaubliches Abenteuer voller
überraschender Wendungen sie hineingezogen wird …
Dieses Buch ist aber auch deshalb etwas Besonderes, weil es
nicht nur eine*n Autor*in hat, sondern gleich eine ganze Reihe
von beliebten deutschsprachigen Kinderbuch-Autor*innen.
Es begann mitten in der Corona-Krise mit einer Idee
von Karin Müller. Von ihr zu einer Schreib-Challenge
herausgefordert, begaben sich im Frühling 2020 zehn
Schriftstellerkolleg*innen auf eine Reise ins Ungewisse, um
große und kleine Kinder auf andere Gedanken zu bringen.
Von Autor*in zu Autor*in weitergereicht und Kapitel für
Kapitel weitergesponnen, entstand auf diesem Weg eine
wilde Staffelgeschichte: fantasievoll, schräg und kunterbunt.
8
Mitten in einer Zeit des erzwungenen Rückzugs ins
Private konnten so alle etwas Gemeinsames erschaffen und
während des Lockdowns wenigstens im Kopf auf Reisen
gehen.
Das Ergebnis dieses Schreibabenteuers ist die vorliegende
märchenhafte Geschichte von Annemone Apfelstroh.
Die Autor*innen haben ihre Texte zunächst kapitelweise
als kleines Hörstück im Netz vorgelesen, sie waren und
sind auf Instagram und YouTube und auf den Webseiten
der Beteiligten zu hören. Und jetzt können wir sie in
überarbeiteter Form auch selbst lesen und uns dazu die
Illustrationen der Buchkünstlerin Florentine Prechtel
ansehen, die das Ganze opulent in Szene gesetzt hat.
Wer genau hinschaut, wird merken: Die Besonderheit
dieses Buchs spiegelt sich auch in der Ausstattung wider.
So einzigartig wie jeder Teil der Geschichte ist auch die
Typografie in diesem Buch: Jede*r Autor*in hat eine eigene
Schrift erhalten.
Viel Spaß beim Lesen und Entdecken!
9
1. Kapitel
Wind kommt auf
im kleinen Tal
Karin Müller
Das windschiefe Haus mit der knallroten Tür und den
klappernden grünen Fensterläden lag zwischen zwei Hügeln
in einer Talsenke. Wilde Pfeffersträucher rankten sich
daran empor und umrahmten den Eingang zusammen
mit einer knallgelben Sonnenblume. Das Tal war so klein,
dass es gerade mal genug Platz bot für das Haus, den
Gemüsegarten davor und den Obstgarten dahinter. Durch
eine bunte Blumenwiese voller Schmetterlinge und Bienen
schlängelte sich ein klarer Bach. Aus dem trank die Ziege,
die auch dazugehörte, am liebsten, und der Kater lag hier
gern auf einem flachen Stein und sonnte sich.
10
Man musste sich einen steilen Abhang hinuntertrauen,
um hierherzugelangen. Wer vom Weg abkam und dabei
ausrutschte, riskierte, sich sämtliche Knochen zu brechen
oder zumindest so viele blaue Flecken zu bekommen, dass
er oder sie drei Tage nicht laufen konnte. Vielleicht sogar
vier. Aber das passierte nie jemandem, denn üblicherweise
versuchte niemand, zu Fuß in das kleine Tal zu gelangen.
Warum auch? Man konnte sich viel einfacher dort
hinunterwünschen. Allerdings – wer sollte das tun und
warum?
In dem kleinen windschiefen Haus mit den klappernden
grünen Fensterläden wohnten nur Annemone Apfelstroh
und ihr Vater, und kaum jemand wusste bisher, dass es die
beiden überhaupt gab. Denn ihre Welt, in der das Wünschen
wunderbar funktionierte, erwachte gerade jetzt wieder zum
Leben.
Ja, richtig gelesen! Genau jetzt, in diesem Moment, wo
du das windschiefe Haus in deiner Fantasie vor dir
siehst, da dehnte und reckte und streckte sich ihre
Welt. Sie hatte in einem Dornröschenschlaf
gelegen, außerhalb von Zeit und Raum,
aber höchstvermutlich so lange, dass
das Papier dieses Buches
noch ein ganz junges
Bäumchen von drei
12
Zentimetern war – damals, als alles anfing. Aber ich greife
vor.
Genau jetzt, da dehnten und reckten und streckten
sich Annemone, ihr Vater und die Ziege gleich mit und
gähnten. Nur der Kater blieb zusammengerollt vor dem
bullernden Ofen liegen. Katzen schlafen gern länger, und
trotzdem bekommen sie alles mit, was wichtig ist in so
einer wirklich, wirklich seltsamen Geschichte wie der von
Annemone Apfelstroh.
Weil das alles so seltsam zusammenhing, gab es hier
in dem kleinen Tal zwar wenig Platz (zwischen zwei
Buchdeckeln ist halt alles ein wenig enger), aber unendlich
viel Zeit. Und es gab keine Technik. Die hatten sie in dem
kleinen Tal ebenfalls komplett verschlafen.
Wenn sich Annemone und ihr Vater etwas mitteilen
wollten, redeten sie miteinander. Wenn sie etwas
brauchten, was sie nicht selbst herstellen konnten, ging
ihr Vater zum Markt. Wenn ihnen kalt war, nahmen
sie sich in den Arm. Sie machten ein Feuer im Kamin,
sahen gemeinsam in die Flammen und tranken heiße
Schokolade. Spätestens dann kam auch immer der Kater
mit dazu und schnurrte.
Annemones Vater töpferte die schönsten Teller, Krüge,
Becher, Vasen und Töpfe. Und ihre Mutter hatte sie
mit bunten Blumen, glitzernden Sonnenstrahlen oder
13
funkelnden Sternen bemalt – früher einmal. Es waren die
schönsten Keramiken auf der ganzen Welt (zumindest
hatte Annemone nie schönere gesehen), und im kleinen Tal
waren sie konkurrenzlos – also doch auf der ganzen Welt.
Wenn ihnen früher langweilig war, erzählten sie sich
Geschichten oder spielten miteinander. Lachten sie im
Sommer miteinander – das hatten sie früher viel getan,
und ihre Mutter konnte es am besten –, dann tanzten
abends lauter frisch herbeigelachte Glühwürmchen durch
das kleine Tal. Kicherten sie im Winter miteinander, dann
fielen dick gelachte wirbelnde Schneeflocken herunter,
mit denen man die wunderbarsten Schneemänner bauen
konnte.
Aber das war lange her. Sehr lange her sogar.
Die Mutter gab es nicht mehr. Eines Morgens, als
Annemone noch so klein war, dass die Ziege an ihren
feuerblonden Kinderzöpfen knabbern konnte, ohne sich
auf die Hinterbeine zu stellen, war sie von einem Knall
aufgewacht. Sie hatte die Augen aufgeschlagen und niesen
müssen, weil es plötzlich nach Koriander roch und nicht
nach Pfeffer. Der wuchs im Gemüsegarten vor dem Haus
neben den anderen Küchenkräutern. Also der Koriander.
Der Pfeffer auch, aber von dem musste Annemone
niemals niesen. Sie war nicht wie andere Kinder, aber ich
schweife ab. Alles war in lilafarbenen Nebel gehüllt, und als
14
Annemone im gepunkteten Nachthemd barfuß in die Stube
lief, war ihre Mutter nicht mehr da.
Die Zöpfe hatte sich Annemone schon vor einer ganzen
Weile abgeschnitten, sie trug jetzt kinnlange Strubbelfransen,
das war viel bequemer, und kein Kinderkleidchen mehr,
sondern ein Sommerkleid mit großen, praktischen Taschen.
Doch an den Geruch von Koriander und den lilafarbenen
Nebel erinnerte sie sich noch ganz genau.
Seit jenem Tag war ihr Vater immer seltsamer geworden
und so knorrig wie ein spröder alter Baum. Er ließ sich
einen spitzen dünnen Schnauzbart wachsen, und den fand
Annemone genauso furchtbar wie den dünnen verkniffenen
Strich, zu dem sein Mund über Nacht geworden war. Er
sah gar nicht mehr so jung aus, wie er eigentlich war. Aber
das hätte sie ihm nie gesagt, denn er konnte ja nichts dafür.
Also für den Schnurrbart schon, aber nicht für den Mund
und den Kummer. Annemones Vater brachte die Zähne
kaum noch auseinander – es ging einfach nicht, als ob da
irgendwas im Kiefer klemmte. Gerade so eben passte noch
die Zahnbürste dazwischen, so ein Glück! Und ein Löffel
oder eine Gabel mit Kartoffelbrei zum Beispiel, wenn man
sie nicht zu voll machte.
Sie nahmen sich immer noch in den Arm, spielten, sahen in
die Flammen und tranken heiße Schokolade, vielleicht sogar
mehr als früher. Die Geschichten erzählte jetzt Annemone,
15
und ihr Vater hörte zu. Das mit dem Lachen kriegten sie
auch immer noch ganz gut hin. Ihr Vater brummte wie
ein Teddybär, wenn etwas lustig war, und dann meckerte
die Ziege. Schnee und Glühwürmchen waren wohl überall
weniger geworden, das fiel ihnen gar nicht weiter auf. Sie
hatten es gut zusammen und einander sehr lieb. Aber reden,
reden war schwierig für ihn.
Noch schwieriger war es allerdings für Annemone, ihren
Vater zu verstehen. Man brauchte schon ein bisschen
Übung. Wenn er zum Beispiel fragte: „Annemone, hast
du die Ziege schon gefüttert?“, dann klang das wie:
„Ahhhemmmuzifütttt?“ Weil das alles aber schon so ging,
seit sie klein war, hatte Annemone sich daran gewöhnt.
Eigentlich wusste sie gar nicht mehr, wie es vorher
gewesen war. Und das mit dem Koriandergeruch und dem
lilafarbenen Nebel hatte sie wahrscheinlich nur geträumt.
Manchmal hat man ja so Träume, die einem unglaublich
wirklich vorkommen. Vielleicht hatte sie schon immer nur
mit ihrem Vater und der alten Ziege in dem windschiefen
Haus gelebt?
Jeden Mittag, wenn die Sonne über die Hügel kletterte,
zog Annemones Vater seinen klappernden Leiterwagen
mit getöpferten Schüsseln und Tellern hinter sich her,
den schlüpfrigen Hügelweg hinauf. Denn man konnte
sich zwar herunterwünschen, direkt vor die knallrote Tür
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neben der riesigen Sonnenblume, aber nicht hinauf. Und
wie jeden Mittag sah ihm Annemone beim Spülen durch
das Küchenfenster über den wackelig aufgetürmten Stapel
Geschirr hinterher.
An diesem Mittag aber bemerkte Annemone ein Hüpfen
unter ihren Rippen, so als ob sich das Wetter ändern würde
oder als ob die alte Ziege Bauchweh hätte. Annemone lief
in den Obstgarten, wo die Einhörnige das Gras unter den
Bäumen knabberte. Doch die wirkte ganz zufrieden und
nicht so, als ob sie Bauchweh hätte. Annemone sah in den
Himmel hinauf. Die Wolken sahen nicht aus, als ob sie das
Wetter ändern wollten. Trotzdem lag unbestreitbar (es war
niemand zum Streiten da – noch nicht!) etwas in der Luft.
Irgendetwas … Wichtiges. Etwas ganz Wichtiges, aber
Annemone konnte es nicht sehen, sosehr sie die Augen auch
zusammenkniff. Sie konnte es auch nicht riechen. Hier
draußen roch es nach Gras und Sommer und ein kleines
bisschen nach Ziegenmist.
Annemone lief hinüber in die kleine Werkstatt. Da roch
es auch wie immer nach frisch gebranntem Ton und
nassem Lehm. Sie rannte zurück ins Haus. Drinnen roch
es ebenfalls wie immer nach Himbeermarmelade und
Lederfett. Aber dann, ganz plötzlich, nahm sie einen
neuen Geruch wahr. Es duftete so, wie wenn jemand eine
frisch gedruckte Buchseite umblättert: ein kleines bisschen