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Aufgestaute Aggressivität, Perspektivlosigkeit und Vorurteile – hier wird gesellschaftlichen Problemen der Spiegel vorgehalten
Was hat das Leben schon zu bieten?, fragen sich Hobbit, Kemal, Janin und Jessi. Die Schule ist tot langweilig und überhaupt wissen sie nichts mit sich anzufangen. Alkohol und Pöbeleien sind für die Clique willkommene Ventile, um ihrem Frust Luft zu machen. Ändern tut das aber nichts.
Als Tim mit seiner Freundin Leonie einen schönen Nachmittag am See verbringen will, trifft er dort auf Hobbit, Jessie und Co – und eine Spannung entlädt sich, die bisher nur unter der Oberfläche brodelte …
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Seitenzahl: 241
Wolfram Hänel •Eskaliert
DER AUTOR
© Jochen Lübke
Wolfram Hänel, 1956 in Fulda geboren, lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Hannover. Er arbeitete als Plakatmaler, Theaterfotograf, Werbetexter, Studienreferendar, Spiele-Erfinder und Dramaturg, bevor er 1987 zu schreiben anfing. Bislang sind über 100 Romane, Erzählungen und Bilderbücher von ihm erschienen, die in insgesamt 25 Sprachen übersetzt wurden. Für seine schriftstellerische Tätigkeit wurde er u.a. 2001 mit dem »Kurt-Morawietz-Literaturpreis« der Stadt Hannover ausgezeichnet.
Mehr über Wolfram Hänel und seine Bücher: www.haenel-buecher.de.
Von Wolfram Hänel ist bei cbt erschienen:
Störfall in Reaktor 1 (30795)
Wolfram Hänel
Eskaliert
cbt ist der Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Originalausgabe September 2012
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2012 cbt Verlag, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagbilder: Plainpicture/Harald Braun
Umschlaggestaltung: init. Büro für Gestaltung, Bielefeld
kg · Herstellung: AnG
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-08010-5
www.cbt-jugendbuch.de
Die Hauptpersonen
Die Gang:
Alex, genannt Hobbit
Jessie
Kemal
Janin
Die Boxer:
Leon
Nico
Darius, Hobbits großer Bruder
Aylin
Leonie
Tim
Moritz, Tims kleiner Bruder
Ein Pizzabote
Ort:
Irgendeine Großstadt irgendwo in Deutschland
Zeit:
Heute
LEONIE
2 Tage später
Weiße Kacheln. Glänzender Chrom. Ein unnatürliches Licht, das die Augen schmerzen lässt. In einer Kachelfuge ist ein dunkler Fleck. Getrocknetes Blut vielleicht.
Ich höre auf das Summen und Fiepen der Maschinen, die Tim am Leben erhalten. Falls das noch Leben ist. Eine Maske über Mund und Nase, die bei jedem Atemzug beschlägt. Kabel und Plastikschläuche. Monitore mit flimmernden Zackenlinien und endlosen Zahlenkolonnen. Wenn die Zacken zu einer geraden Linie werden, ist es vorbei. Alle fünf Sekunden löst sich ein Tropfen aus dem Klarsichtbeutel an dem Gestell neben dem Bett und jagt als glitzernder Ball zu der Kanüle an Tims Unterarm.
Die Aufschrift auf dem Beutel sagt mir nichts. Ich habe sie jetzt so oft gelesen, dass ich sie auswendig herunterbeten könnte, aber ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten soll.
Wie aus weiter Ferne dringen manchmal Stimmen herüber. Irgendjemand ruft etwas. Hektische Schritte. Eine Klingel, die unerbittlich schrillt und ganz sicher nichts Gutes bedeutet. Dann wieder nur die Stille, die alles zu erdrücken scheint. Und die umso schlimmer wird, je deutlicher das Brummen der Maschinen zu hören ist. Bei jedem Atemröcheln zucke ich zusammen und starre auf das Laken über seiner Brust, bis es sich wieder hebt. Und senkt. Und hebt. Und senkt. Ein Spuckefaden läuft über sein Kinn. Seine Finger sind steif, kalt und reagieren nicht auf meine Berührung.
Es riecht nach Desinfektionsmittel und irgendetwas anderem, das ich nicht einordnen kann. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Mir ist übel. Ich habe den ganzen Tag noch nichts Richtiges gegessen. Es kommt mir vor, als hätte ich schon seit Tagen nichts Richtiges mehr gegessen. Ich möchte nicht mehr hier sein. Ich möchte weit weg sein von all dem hier. Nichts mehr sehen. Nichts wissen. Das ständige Fiepen nicht mehr hören müssen, das mich sogar nachts verfolgt, wenn ich mich schlaflos hin und her wälze. Ich will nicht mehr nachdenken! Über gar nichts. Ich möchte, dass alles wieder so ist, wie es mal war. Bevor das hier passiert ist …
Die Ärzte haben gesagt, ich soll mit ihm reden. Reden würde ihm helfen. Auch wenn niemand weiß, ob irgendwas davon bei ihm ankommt. Aber was soll ich sagen? Dass ich Angst habe? Dass alles wieder gut wird? Dass er mich nicht verlassen soll. Dass ich ihn brauche. Dass wir doch noch so viel zusammen erleben wollten. Dass das jetzt unmöglich schon alles gewesen sein kann. Dass es nicht vorbei sein darf, bevor es überhaupt richtig angefangen hat …
Ich bin da, sage ich. Ich bin hier, bei dir. Du hast einen Messerstich in den Bauch bekommen. Deine Leber ist verletzt. Du hast viel, sehr viel Blut verloren. Du wärst fast verblutet. Innere Blutungen, die man nicht sieht, bevor es zu spät ist. Zum Glück hat der Stich nicht deine Aorta erwischt. Das ist deine Hauptschlagader. Ja, ich weiß inzwischen ein paar Sachen, von denen ich früher keine Ahnung hatte. Es gibt eine obere und eine untere Aorta. In deinem Fall ist die untere Aorta verletzt. Geht vom Herzen abwärts und teilt sich da in die beiden Beckenarterien. Versorgt unter anderem deine Nieren und deine Leber mit frischem Blut. Nicht gut, wenn die Aorta verletzt wird. Gar nicht gut. Wie gesagt: Glück gehabt.
Aber du hast aufgehört zu atmen. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Der Notarzt hat dich in letzter Sekunde noch zurückgeholt. Du lebst, aber du liegst im Koma. Wenn du zu lange nicht geatmet hast, dann wachst du vielleicht als Gemüse wieder auf, weil dein Gehirn nicht ausreichend Sauerstoff bekommen hat. Wenn du überhaupt jemals wieder aufwachst.
Sag doch was! Gib mir irgendein Zeichen, dass du mich hörst! Drück meine Finger. Oder wackel wenigstens mit den Zehen. Wo bist du, Tim?
Nichts.
Aber vielleicht sollte ich auch lieber etwas anderes erzählen. Irgendwas Belangloses, was Mut macht: Eine Amsel zwitschert draußen vor dem Fenster. Die Sonne scheint. Der Sommer ist noch nicht vorbei.
So was in der Art. Der Sommer hat gerade erst angefangen. Alles hat gerade erst angefangen. Komm zurück zu mir, Tim! Lass mich jetzt nicht hängen.
Ich soll dich grüßen, sage ich. Sie fragen alle nach dir, echt! Morgen will dich Jessie besuchen kommen. Erinnerst du dich an Jessie? Klar, oder? Die Freundin von diesem Typen, den sie alle nur Hobbit nennen, du weißt schon. Mit der ich mich noch am See unterhalten habe, bevor … Sie wäre auch schon heute gekommen, ich hatte echt Mühe, es ihr auszureden, aber ich wollte mit dir alleine sein.
Ohne dass ich es will, schießen mir plötzlich wieder die Tränen in die Augen. Wir sind alleine. Jeder für sich. Ich in diesem Zimmer auf der Intensivstation, und Tim im Bett vor mir, mit seiner Hand in meiner, aber doch weit weg. Irgendwo anders, wo ich ihn nicht erreichen kann.
HOBBIT
6. Juni, 7:58 Uhr
Er hat sich eben am offenen Fenster noch ein paar Lungenzüge reingepfiffen. So schnell hintereinander, dass ihm jetzt schwindlig ist. Er schnippt die halb gerauchte Kippe durch den Spalt nach draußen auf den Pausenhof. Kemal kommt wieder mal zu spät, denkt er, besser wenn ich nicht mehr länger auf ihn warte. Außerdem hat es schon zum zweiten Mal geklingelt. Nur noch schnell pinkeln, dann geh ich hoch in die Klasse.
Hobbit steht am Pissbecken, als er das deutliche Gefühl hat, dass irgendwas nicht stimmt. Dass er nicht alleine ist auf dem Jungenklo. Dass er beobachtet wird. Er erinnert sich, dass die mittlere Kabine abgeschlossen war, als er reingekommen ist. Er hat noch gedacht, dass da wieder mal irgendein Penner hockt, der kurz vorm Unterricht noch schnell eine Wurst abseilt. Aber keiner braucht dazu fünf Minuten. Und das Geräusch gerade eben passt auch nicht. Da hockt keiner auf der Kloschüssel, da läuft irgendwas anderes.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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