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Anton entdeckt eine Tages auf dem Dachboden ein altes Bild von einem Segelschiff auf tosender See. 'Was für ein Abenteuer', denkt er sich, 'kann man wohl auf so einem Schiff erleben?' Gegen den Willen seiner Mutter hängt er das Bild über seinem Bett auf. Zwischen Einschlafen und Wachsein findet sich Anton plötzlich auf einem Segelschiff wieder, das durch die Welt zwischen Himmel und Erde schwebt. Hier präsentiert sich dem staunenden Anton ein unendliches Luftmeer von farbigen Wolken. Auf dem Schiff begegnet Anton der Besatzung: Cassiodor, einer 300 Millionen Jahre alten Kakerlake und Kapitän des Schiffes, Waldtraut, der Windsbraut, einem zarten Wesen mit ziemlich solidem Wikingerhelm, Kurt, einem ewig schlecht gelaunten blauen Nilpferd mit viel zu kleinen Flügeln, Argos, dem Papagei mit zwei abstehenden Augen und der besonderen Eigenschaft, den Hals mehrfach um sich selbst drehen zu können, und schließlich einem nach Staubsauger aussehenden Fraginator mit lieblicher Frauenstimme. Anton erfährt, dass sich zwischen Himmel und Erde das gesammelte Wissen der Menschheit befindet. Die farbigen Wolken sind ihre Gedanken, Träume, Ängste und Geschichten. Doch es droht große Gefahr! Wissen und Bildung sind die Feinde der Gewaltigen der Erde. Sie wollen das Wissen der Menschheit zerstören, um die absolute Kontrolle zu erlangen. Doch die guten Kräfte haben sich mobilisiert! Die Besatzung um Cassiodor hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch Fragen das Wissen aufzuspüren, zu fangen und für die Menschheit haltbar zu machen. Doch ihnen sind die Fragen ausgegangen und ohne Fragen kann man keine Antworten und damit auch kein Wissen finden. Dafür brauchen sie Anton, als Kind, um Frage zu stellen. Um Nacht für Nacht die ersehnten Abenteuer erleben zu können, macht er sich tagsüber auf die Suche nach den richtigen Fragen, die in seiner Welt keiner mehr hören will.
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Seitenzahl: 153
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Eine Geschichte in drei Abenteuern
vonNici Mommsen
mit Bildern vonBooBoo Tannenbaum
für Lotte und Oskar
ANTONS 1.
ABENTEUER,
das mit einer unglaublichen Entdeckung beginnen wird
In Antons Zimmer
Etwas ganz Neues
Eine geheimnisvolle Kiste
Das neue alte Bild
Anton allein zu Hause
Seltsame Begegnungen
Noch seltsamere Begegnungen
Eine gute Frage
Die Welt zwischen Himmel und Erde
Wie das Wissen haltbar wird
Ein neues Buch
Ein neuer Morgen
Eine unglaubliche Entdeckung
ANTONS 2. ABENTEUER, mit einer unglaublichen Begegnung im Mittelteil
Was heißt Sokrates?
Später bei Herrn Blume
Bei Anton zuhause
Abends in Antons Zimmer
Zwischen Himmel und Erde – Im 124. Stundenwinkel
Am Ende des fast vergessenen Wissens
In einer anderen Welt, zu einer anderen Zeit
Zurück zum Schiff
Alles nur geträumt?
Neue Gefahren
Der nächste Morgen
ANTONS 3.ABENTEUER, das mit einer unglaublichen Entdeckung am Ende erst richtig beginnen wird
Der Fechtkurs und eine neue Freundin
Auf der Suche nach der blauen Feder
In Antons Zimmer – Abends
Zwischen Himmel und Erde – Im 85. Stundenwinkel
In der alten mittleren Wolkenebene
Im Wald
Der weiße böse Bücherwurm
Wieder zurück in Antons Zimmer – Nächster Morgen
Der Brunch
Eines schönen Nachmittags hatte Anton auf einmal etwas ganz Ungewöhnliches:
Er hatte Zeit.
Anton Müllerstett war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt, hatte blondes verwuscheltes Haar und für sein Alter war er etwas kleiner als andere Kinder.
Er hatte alle seine Hausaufgaben erledigt, er hatte sein Zimmer ordentlich aufgeräumt, er hatte die Vokabeln für den Chinesischkurs gelernt und nun dachte er darüber nach, was er jetzt machen sollte.
Niemand war da, der ihm neue Aufgaben stellte oder ihm sagte, was er tun sollte. Seine Mutter war beim Friseur und die Haushälterin, Frau Srwzribzkaaa, deren Namen Anton nicht aussprechen konnte, weshalb er sie für sich immer Frau Schritzedingsda nannte, hatte ihren freien Tag.
Anton stand etwas verloren in seinem aufgeräumten Zimmer und überlegte, was er jetzt Vernünftiges tun sollte. Er sah sich seine Spielsachen an, die nach einem ausgeklügelten System seiner Mutter sortiert waren. Darunter war auch ein Baukasten mit einem Piratenschiff, das seit Weihnachten darauf wartete, ausgepackt und aufgebaut zu werden.
‚Wenn ich jetzt damit anfange‘, dachte Anton, ‚werde ich bestimmt nicht fertig, bevor Mami kommt. Dann muss ich ja alles wieder aufräumen!‘
Und dazu hatte er gar keine Lust.
Also setzte er sich an seinen Schreibtisch und schaute lange aus dem Fenster.
Das Gesicht auf seine Hände gestützt, beobachtete er die vorbeiziehenden Wolken. Er betrachtete ihr Spiel und erkannte in ihnen seltsame Gestalten. Drachen, Gummibärchen, Meerjungfrauen, riesige Gesichter – und er fragte sich, wie es wohl da oben sein mochte im Himmel, ob es da wohl noch mehr gab? Noch mehr Gestalten oder gar Welten?
Lautes Türenknallen weckte Anton aus seinen Gedanken.
Schnell lief er in den Flur, um seine Mutter zu begrüßen und ihr zu berichten, dass er alles ordentlich erledigt habe. Doch als er im Flur ankam, war da niemand.
Anton drehte sich erschrocken um. Aus der Wand ragte eine geöffnete Tür, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Neugierig, aber auch etwas ängstlich ging er auf die Tür zu. Sie sah genauso aus wie die Flurwand. Sie hatte dieselbe Tapete, sodass sie praktisch unsichtbar war, wenn man sie schloss. Anton schaute hindurch. Dort befand sich eine einfache Holztreppe.
Unschlüssig starrte Anton auf die Stufen, die nach oben führten, an einen Ort, den er nicht kannte und der ihn neugierig machte.
Aber er hatte auch Angst. Angst vor seiner Mutter, die jeden Moment nach
Hause kommen und ihn erwischen konnte.
Eine geheime Tür war bestimmt verboten!
Seine Mutter wurde immer fuchsteufelswild, wenn er zum Beispiel ohne Erlaubnis in ihr Schlafzimmer lief oder ohne zu fragen etwas aus dem Kühlschrank holte. Um die Wutausbrüche seiner Mutter zu vermeiden, hatte er sich angewöhnt, sich in seinem aufgeräumten Zimmer aufzuhalten, wenn sie nach Hause kam.
Anton spielte mit der Tür. Mal öffnete er sie ganz weit, dann schloss er sie wieder bis auf einen kleinen Spalt. Ein Lichtschein fiel auf die Treppe und wies verheißungsvoll den Weg in eine neue, unentdeckte Welt.
‚Und wenn ich nur ganz, ganz kurz hochschaue? Das merkt doch niemand!‘
Leise und flink huschte er die Treppen hoch, aber nur bis sein Kopf oben weit genug in den Raum ragte, um festzustellen, dass es sich um einen Dachboden handelte.
Dort befanden sich viele alte Möbel und Unmengen von Umzugskartons. Weiter hinten im Dachboden war es dunkel und Anton konnte nicht erkennen, was da noch herumstand. Er wollte schon weiter nach oben klettern, als Das Telefon hallte laut durch den Flur. Anton polterte schnell die Treppen herunter.
Vor dem zweiten Klingeln nahm er den Hörer ab.
„Äh, hallo, hier ist, äh, der Anschluss von Müllerstett, und hier spricht, äh, Anton Müllerstett.“
„Um Gottes Willen, Anton, was ist denn das für ein Rumgestottere? Und puste nicht so laut in den Hörer! Ich habe dir tausend Mal gesagt, dass man nicht Hallo, sondern Guten Tag am Telefon sagt! Du musst dir immer vorstellen, dass ein wichtiger Kunde von mir anruft!“
„Hallo Mami, tut mir leid! Das nächste Mal mache ich es besser!“
„Das will ich auch hoffen! Hör gut zu, ich brauche noch etwas länger hier, Sergio konnte mich erst später be...“
Während seine Mutter die unerfreulichen Details ihrer Friseurverzögerungsgeschichte ausführte, fiel Antons Blick auf die versteckte Tür, die langsam wieder aufging.
Sie schwang leicht hin und her, als wollte sie ihm sagen:
„Komm Anton, du hast noch ein wenig Zeit, komm und sieh dich ein wenig um!“
Da platzte die Stimme seiner Mutter dazwischen:
„... mach dir ein Brot, aber krümel bloß nicht rum! Frau Schritze, oh Gott, wenn ich nur den Namen richtig aussprechen könnte, hat heute frei und ich habe nun wirklich keine Zeit, hinter dir herzuräumen! Also bis später, Anton!“ „Bis später, Mami!“
Anton legte auf, den Blick fest auf die Tür gerichtet.
Nun, da er wusste, dass seine Mutter noch eine ganze Weile weg bleiben würde, ging Anton entschlossen auf die Tür zu und rannte immer zwei Stufen auf einmal nehmend auf den Dachboden. Oben angekommen, sah er sich langsam um.
Er inspizierte die alten Möbel, darunter auch Sessel und Sofas. Schwungvoll hüpfte er darauf herum und freute sich am aufwirbelnden Staub, der aufgeregt im Sonnenlicht tanzte.
„Kein Wunder, dass Mami diese Möbel nicht mehr mag!“
Seine Mutter mochte keine alten Sachen. Sie war Interiöör-Beraterin. Das Wort konnte Anton kaum aussprechen. Sie richtete anderen Leuten die Wohnungen ein. Natürlich nur mit den neuesten und schicksten Möbeln, wie in den Magazinen, von denen Mami so viele hatte und in denen sie stundenlang lesen konnte.
Anton öffnete neugierig die Umzugskartons. Neben altem Geschirr, das ganz verschnörkelt war, und schwarz angelaufenem Besteck, entdeckte er lauter andere Dinge, auf deren Nutzen er sich keinen Reim machen konnte. Ganz hinten, in der hintersten Ecke, erblickte Anton eine riesige alte Kiste. Sie war nicht wie die anderen aus Pappe, sondern mit dickem, schwerem Leder beschlagen. So eine Kiste hatte Anton noch nie gesehen! Er wollte unbedingt wissen, was da drin war. Er krabbelte über die vielen Umzugskartons, bis er sie erreichte.
Breite Riemen umgaben sie, die vorne mit zwei großen Schnallen zusammengehalten wurden. Er machte sich sogleich daran, die Schnallen zu öffnen. Langsam hob Anton den Deckel, der mit einem lauten Knarzen nach hinten fiel. Staub wirbelte auf.
Anton rubbelte sich kurz die Nase und widmete sich sofort dem Inhalt der Kiste. Darin befanden sich einige seltsame Gegenstände, die Anton noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie sahen aus wie Messgeräte. Dann entdeckte er ein altes Fernrohr. Er blickte durch das dickere Ende und sah alles auf einmal ganz weit weg. Er drehte das Fernrohr um und schaute durch das dünnere Ende, nun war alles ganz, ganz nah und riesengroß.
„Interessant“, murmelte Anton.
Er legte das Fernrohr wieder weg und inspizierte den restlichen Inhalt der
Kiste. Ganz unten auf dem Boden lag etwas, das in Leinen eingewickelt war. Vorsichtig nahm Anton alles andere heraus, um an das Paket heranzukommen. Er entfernte das Leinen und hielt ein altes Ölbild in der Hand. Darauf war ein Segelschiff zu erkennen, das auf dem aufgewühlten, wilden Meer um sein Überleben zu kämpfen schien. Die Segel flatterten heftig im Wind. Die Gischt spritzte viele Meter über das Schiff, und doch strahlte es eine Sicherheit aus, als ob es mit Leichtigkeit die Wellen bezwingen könnte. Anton war fasziniert von der Wildheit und der Stärke, die von dem Bild ausgingen.
Mit dem Finger strich er über die getrocknete Ölfarbe und tastete die Linien des Schiffs ab.
„Auf so einem Schiff würde ich auch gerne mal sein!“
Er stellte sich vor, wie es wohl damals gewesen sein musste, als Kapitän über die Meere zu fahren und viele wilde Abenteuer zu erleben. Das war bestimmt viel aufregender, als das Leben jetzt und hier. Ohne darüber nachzudenken, was wohl seine Mutter dazu sagen würde, holte Anton sich Hammer und Nagel und hängte das Bild über seinem Bett auf. Stolz betrachtete er sein Werk und freute sich darüber, so ein schönes Bild zu besitzen.
„Das Bild ist scheußlich, Anton! Ich verstehe nicht, warum du es behalten willst. Es passt da gar nicht hin. Eigentlich passt es zu gar nichts. Außerdem hängt es schief!“
Anton funkelte seine Mutter böse an. In seinem gestreiften Schlafanzug, der ihm noch ein bisschen zu groß war, reckte er seiner Mutter den Brustkorb entgegen und stemmte sich die Fäuste in die Seiten. Mit seinen zehn Jahren machte er eine ganz neue Erfahrung: Zum ersten Mal lehnte er sich gegen seine Mutter auf!
„Ich finde es schön genau da, wo es jetzt hängt!” machten ihre Absätze, während sie aufgeregt in seinem Zimmer auf und ab lief, begleitet vom
ihrer goldenen Armreifen und dem Rascheln ihres seidenen Abendkleides.
Anton spannte seinen kleinen Körper noch mehr an, sodass er sich größer und stärker fühlte, um den nächsten Wutausbruch seiner Mutter zu überstehen.
Diese wunderte sich sehr. So bestimmt hatte sie ihren Sohn noch nie erlebt. Normalerweise machte er doch immer, was sie sagte? Sie spürte aber, dass es Anton mit dem Bild ernst war. Außerdem musste sie zu einem Dinner, und daher verzichtete sie auf einen weiteren Versuch, das Bild wieder dahin zu verbannen, wo es hergekommen war.
„Na schön, mein Schatz!” Dabei atmete sie tief und dramatisch aus. „Wenn es dir so gut gefällt, dann lass es eben da hängen!”
„Von wem ist das Bild, Mami?”
„Ach, das musst du Papi fragen. Von irgendeinem seiner komischen Vorfahren, glaube ich! Jetzt muss ich aber los! Bin jetzt schon viel zu spät dran!”
Sie hauchte zwei flüchtige Küsschen rechts und links neben Antons Wangen. Das machte sie immer so, um ihr Make-up nicht zu zerstören. Anton liebte den warmen Geruchsmischmasch von Parfüm, Haarspray und ihrem Körper, der seine Mutter umgab. Immer wenn sie ihm nahe kam, roch er ihn besonders intensiv, und das gab ihm ein Gefühl von Geborgenheit. Er liebte seine Mutter, so wie das alle Kinder tun. Und er war immer dankbar, wenn er ihre Zuneigung spürte. Stürmisch umarmte er sie und schlang seine Arme fest um ihre Taille und drückte sie so fest er konnte.
„Danke, dass ich das Bild behalten darf, Mami. Ich hab dich lieb!”
„Ach, Anton, ich hab dich auch lieb! Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für dich! So, jetzt muss ich aber ... Lass los, mein Schatz, du zerknitterst mir noch mein Kleid!”
Sie wuschelte Anton noch kurz durch seine Haare und löste sich aus der Umarmung.
„Gute Nacht, Anton! Schlaf jetzt! Morgen ist wieder ein anstrengender Tag!”
Licht aus, Haustür auf,
zu.
Stille.
Dunkelheit.
Nur das Licht des Mondes erhellte das Zimmer. Anton saß noch immer regungslos auf seinem Bett und konnte sein Glück kaum fassen. Langsam rutschte er an die Stelle, an der er das Bild aufgehängt hatte. Der Mondschein gab dem Gemälde nochmal eine besondere Note. Es war, als wenn nun zwei Monde dem Schiff leuchten würden: der Mond auf dem Bild und der echte Mond. Anton gefiel die Idee, dass der Mond auf dem Bild ja auch der Mond war, der gerade in sein Zimmer schien. Er betrachtete das Bild genauer, besonders die Art und Weise, wie genau die Wellen gemalt waren, faszinierte ihn. Es war fast so, als ob er sie hören konnte. Das Meeresrauschen und die heutige Aufregung machten Anton auf einmal sehr, sehr müde. Seine Augenlider wurden schwerer und schwerer. Anton kämpfte dagegen an. Er wollte sich doch noch weiter das Bild ansehen! Aber der Schlaf ließ sich nicht so leicht abschütteln. Müde kippte Anton zur Seite und die Augen fielen ihm langsam zu.
„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor. Hach! Wie schön!“
Irgendwas war anders! Als Anton die Augen wieder öffnete, dachte er, er wäre nur kurz eingenickt. Doch er sah nicht mehr auf das Bild. Vielmehr schaute jemand auf ihn herab. Zwei riesige Augen, umrahmt von dicken Brillengläsern, starrten ihn an. Mit offenem Mund blickte Anton in das Gesicht eines riesigen Insekts. Es war mindestens einen Kopf größer als er. Aufrecht stand es auf seinen zwei Hinterbeinen vor ihm. Die restlichen vier Beine endeten in weißen Handschuhen. In einem der Händepaare entdeckte Anton ein aufgeschlagenes Buch. Auf dem Buchdeckel erkannte er den Namen Goethe und Faust stand da auch noch.
„Na, das hilft uns jetzt auch nicht weiter!“, sinnierte das Was-auch-immer-Wesen.