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1969 als Resultat einer Wette entstanden, taucht in Perecs wohl außergewöhnlichstem Werk »La Disparition« kein einziges Mal der Buchstabe E auf. Der Roman zeigt, was mit Sprache möglich ist, wenn nicht mehr der Autor erzählt, sondern – durch das Korsett einer strengen Regel – die Sprache selbst. Ausgehend vom verfügbaren Wortmaterial hat sich die Geschichte, haben sich die Personen und die Handlung zu entwickeln.
Zwischen Revolutionskomödie, Rätseln, die auf Rätsel folgen, und turbulenter Kriminal parodie schimmern Gewaltexzesse und der nackte Terror hervor. Doch der Terror, der hier herrscht, hat Methode, und zwar linguistische Methode, indem er durch Sprach manipulation entsteht. Und so manifestiert sich das allmähliche, fast ausnahmslos grau same Verschwinden einer ganzen Sippe im verschwundenen Buchstaben.
»Anton Voyls Fortgang«, die deutsche Übersetzung von Eugen Helmlé, ist ein Abenteuer, das kaum seinesgleichen kennt. Die Schwierigkeit des Originals, das Sprachkorsett, wird dem Übersetzer zur Zwangsjacke, so Helmlé in seinem unbedingt lesenswerten Nachwort: »Er kann nicht mehr die Sprache selbst erzählen lassen, denn dann wäre sein Text keine Übersetzung mehr... dabei hat der Übersetzer nicht nur einen Kiesel im Mund, sondern gleich einen ganzen Pflasterstein.«
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Seitenzahl: 435
Roman
Herausgegeben und übersetzt von Eugen Helmlé
Nachbemerkung zur Neuauflage von Ralph Schock
diaphanes
broschur
LA DISPARITION
Un corps noir tranchant un flamant au vol bas un bruit fuit au sol (qu’avant son parcours lourd dorait un son crissant au grain d’air) il court portant son sang plus loin son charbon qui bat
Si nul n’allait brillant sur lui pas à pas dur cil aujourd’hui plomb au fil du bras gourd Si tombait nu grillon dans l’hors vu au sourd mouvant baîllon du gris hasard sans compas
l’alpha signal inconstant du vrai diffus qui saurait (saissisant (un doux soir confus ainsi on croit voir un pont à son galop)
un non qu’à ton stylo tu donnas brûlant) qu’ici on dit (par un trait manquant plus clos) l’art toujours su du chant-combat (noir pour blanc)
J. ROUBAUD
Kardinal, Rabbi und Admiral, als Führungstrio null und nichtig und darum völlig abhängig vom Ami-Trust, tat durch Rundfunk und Plakatanschlag kund, daß Nahrungsnot und damit Tod aufs Volk zukommt. Zunächst tat man das als Falschinformation ab. Das ist Propagandagift, sagt man. Doch bald schon ward spürbar, was man ursprünglich nicht glaubt. Das Volk griff zu Stock und zu Dolch. »Gib uns das täglich Brot«, hallts durchs Land, und »pfui auf das Patronat, auf Ordnung, Macht und Staat«. Konspiration ward ganz normal, Komplott üblich. Nachts sah man kaum noch Uniform. Angst hält Soldat und Polizist im Haus. In Mâcon griff man das Administrationslokal an. In Rocamadour gabs Mundraub sogar am Tag: man fand dort Thunfisch, Milch und Schokobonbons im Kilopack, Waggons voll Mais, obwohl schon richtig faulig. Im Rathaus von Nancy sahs schlimm aus, fünfundzwanzig Mann schob man dort aufs Schafott, vom Amtsrat bis zum Stadtvorstand, und, ruckzuck, ab war ihr Kopf. Dann kam das Mittagsblatt dran, da allzu autoritätshörig. Antipropaganda warf man ihm vor und Opposition zum Volk, darum brannt das Ding bald licht und loh. Ringsum griff man Docks an, Bootshaus und Munitionsmagazin.
Bald danach, so ausfällig ward das Volk, griff man sogar Muslims aus Nordafrika an und natürlich Buchsbaums und Abrahams und was sonst noch jüdisch war. So kams zum Pogrom in Drancy, in Livry-Gargan, in Saint-Paul, in Villacoublay, in Clignancourt. Dann folgt Abschlachtung von Nachbarn, nur so zum Spaß. Tollwütig spuckt man ins Antlitz vom Kaplan, wo vorm Trottoir ’m C. R. S.-Major Absolution gibt. ’n Hans Lustig macht ihm durch Jataganschlag ’n Garaus.
Kaltblütig bringt man fürn Stück Wurst Oma und Opa um, fürn Stück Brot ’n Cousin, ’n Nachbarn für Obst, ’n Quidam gar für Kaviar.
Anfang April, nachts, von Sonntag auf Montag, folgt Dynamitanschlag auf Dynamitanschlag, fünfundzwanzig an Zahl. Dann flog man Luftangriff um Luftangriff auf ’n Turm von Orly. Kurz darauf stand das Alhambra in Brand, das Institut Français raucht, das Hospital Saint-Louis flammt auf. Vom Parc Montsouris bis zur Nation schauts wüst aus, Wand um Wand fällt um und wird zu Staub.
Im Palais Bourbon hat Opposition, giftig und scharfzüngig, nur noch Hohn und Spott übrig fürn Machtapparat, wo daran zwar Anstoß nimmt, doch sonst nichts tun kann, auch nichts tun will und fahl und fickrig Situation und so hinnimmt. Am Quai d’Orsay bringt man Ordonnanz um Ordonnanz um, sag und tipp achtundzwanzig Mann. In Latour-Maubourg schlägt man Hollands Konsul tot. Anchovis nämlich stahl das Aas, drum war man auf ihn spitz. In Wagram schlug man Graf Koks bis aufs Blut, war Graf Koks doch so unvorsichtig und töricht, Armut und Not als unaristokratisch abzutun. Am Raspail nahm sich Jung-Wiking mit Blondhaar Armbrust zur Brust und schoß grundlos auf Mann und Frau, so ihm nicht paßt.
Korporal Brun ward plötzlich hungrig und durstig und stahl Most und Pudding. Dann knallt Korporal Brun das Bataillon ab, vom Major bis zum Soldat Arsch, und da Burns so großartig killt, Barrasausbildung bringt das halt mit sich, macht ihn Vox Populi zum Großadmiral, doch tat ihm das nicht gut, da das Schicksal bald schon zu- und ihn totschlug. Hauptmann X gönnt ihm nämlich das Hochhinaus nicht und killt ihn kurz darauf tückisch und bösartig.
’n Witzbold, doch man fand das gar nicht so witzig, goß am Tor Saint-Martin Napalm aus, worauf Panik ausbrach. Auch in Lyon wars schlimm, Tod kam dort Tag und Nacht durch Skorbut, Typhus und Durchfall.
Aus Blödsinn, da’s sonst nicht Grund noch Motiv dazu gab, schloß Amtmann Vavin, im Kopf nicht ganz dicht, Bars, Bistros, Kinos und Dancings. Darauf griff Durst um sich. Frühling wars nämlich, Anfang Mai, doch wahnsinnig warm schon; plötzlich ging ’n Autobus in Brand, so hitzig wars, und fünf von acht Mann traf das, wozu man manchmal Solarstich sagt.
Bald darauf hob man das Sportas, das das Volk kurzfristig in Bann schlug, aufs Schild. Man macht ihn zum König und nannt ihn hinfort nicht Attila III., was das Sportas sich wünscht, man zwang ihm Fantomas XVIII. auf. Das paßt ihm ganz und gar nicht. Man schlägt ihn darum von Hand tot und macht nun so ’n Hansdampf zum Fantomas XXIII. Man gibt ihm Strick, Thron, Gold und Platin und trägt ihn im Triumph zum Palais-Royal. Doch dort kam Fantomas nicht an. Mord harrt auf ihn. ’n Schlagtot ruft: »Stirb, du Tyrann! Zu mir, Ravillac!«, und schon ists zu spät. Dolchdurchbohrt fällt Fantomas um. Man wirft ihn sofort ins Grabloch. Acht Tag darauf kommts zur Grabschändung, doch das Warum kam nicht raus.
Dann taucht noch ’n König auf, fränkisch natürlich, ’n Hospodar, ’n Maharadscha, zwo Romuli, acht Alarichs, fünf Atatürks, acht Mata Haris, ’n Gajus Gracchus, ’n Fabius Maximus Rullianus, ’n Danton, ’n Saint-Just, ’n Pompidou, ’n Johnson (Lyndon B.), Adolfs zuhauf, zwo Mussolinis, fünf Caroli Magni, ’n Washington, ’n Otto, wo sofort Habsburgs Haß auf sich zog, Dschingis-Khan alias Timur Ling, wo, Mordlust im Blick, kollaborationslos zwölf Pasionarias killt, zwanzig Maos, achtundzwanzig Marx’ (’n Chico, zwo Karls, fünf Grouchos, zwanzig Harpos).
Zum Volkswohl schafft Marat kurz darauf das Bad ab, doch Charlot Corday traf ihn auch so und murkst ihn im Waschtopf ab.
Macht war somit durch Abschaffung und Auslöschung unmöglich: zwo Tag darauf schoß man mit Tanks vom Quai d’Anjou aus aufs Dach vom Turm Sull-Morland, wo Magistrat und Administration Zuflucht fand. ’n Amtsrat ging bis hinauf aufs Dach, winkt mit’m Tuch, das grau und farblos war, und tat durchs Mikrophon kund, daß man schlicht und schmucklos abdankt, und bot dann, für sich, sofort Kollaboration an. Doch das nützt ihm nichts, man tat, was schon in Planung war, man griff mit Sturmtanks an, rücksichtlos, und da gabs nicht Mahnung noch Ultimatum. Was nun das Giftgas anging, das Garnisonskommandant Tolpatsch, wo Vollmacht hat, ranschafft, so war das völlig nutzlos und so töricht als nichts zuvor, zumal dadurch Situation und Umstand katastrophal ward.
Kurzum, schlimm sahs nun aus. Man schlug dich kurz und winzig für nichts und nochmals nichts. Man sagt Grüß Gott zu dir, und schon hängst du am Baum. Man tritt zum Angriff an auf Autobus und Taxis, auf Postauto und Schlafwaggon, auf Trambahn und Fahrrad. Man stürmt das Hospital, schlägt k.o., was schon todkrank, und schoß ’m Armab vorn Latz. Gut fünfmal schlug man Christus ans Kruzifix. Natürlich war Christus falsch, doch was tuts. ’n Saufbold warf man in Alkohol, ’n Drogist in Formol, ’n Motorradfan in Gasöl, wozu man auch Disl sagt, falls man orthographisch nicht ganz auf Draht ist.
Dann schnappt man sich ’n Bambino und kochts im Dampfpott, ’n Ungar, wo auf Hindu-Art dran glaubt, ’n Advokat, wo man Bär und Wolf zum Fraß vorwirft, ’n Mönch, wo man so rannimmt, daß das Mannsbild Blut schwitzt, Daktylos, wo man ins Gas schickt, Clowns, Strichmädis, Mussipontins, Mylords, ’n Koksmann, ’n Syndikalist, ’n Maat, ’n Landwirt, ’n Typograph und so fort und so fort.
Man raubt, brandschatzt, notzüchtigt. Doch damit hat sichs noch nicht: Mord und Totschlag, Lug und Trug sind normal. Nachbarn mißtraut man, Haß wird zur Lust.
Anton Voyl hat Schlaf nötig, doch Anton kommt nicht an und macht Licht. Auf Antons Uhr ists null Uhr zwanzig. Anton ächzt laut, wälzt sich mal so rum, mal so rum – Antons Schlafcouch ist hart –, stützt sich dann auf, griff sich ’n Roman, schlug ihn auf und las; doch lang ging das nicht gut, da Anton vom Inhalt absolut nichts schnallt und ständig auf ’n Wort stößt, wovon ihm Sinn und Signifikation total unklar ist.
Also klappt Anton das Buch zu und ging ins Bad; dort macht Anton das Handtuch naß und fährt sich damit gründlich durchs Antlitz, und auch Antons Hals kommt dran.
Antons Puls schlug zu stark. Ihm war warm. Anton macht das Wandloch mit Glas davor auf und schaut durch Nacht und Wind zum Mond hinauf. Warm wars, doch nicht zu warm. Vom Vorort drang kaum hörbar Lärm zu ihm rauf. Vom Kirchturm schlugs – dumpf und matt – zwomal und dann noch mal. Auf’m Kanal Saint-Martin fuhr sanft das Sandschiff dahin und pfiff schrill.
Aufm Glas vom Wandloch gings animalisch zu: Thorax indigo, Dorn safran, so sah das Monstrum aus. Was war das? Nicht Ohrwurm noch Holzlaus, das ist schon mal klar. Das Ding kam langsam ganz nah ran, womöglich wars ’n Floh? Anton ist sich unschlüssig, tritt dann vors Bullaug, sagt sich, ich mach das Ding kaputt, holt aus zum Schlag, und schwupp, fort ist das, was womöglich ’n Floh war, und schwand dahin im Nachtraum.
Anton schlug nun fünffingrig, wohl aus Wut, aufm quadratisch Wandloch mit Glas ’n Takt zur Musik, wo in ihm war.
Dann ging Anton zum Kühlschrank, macht ihn auf, nahm Milch raus, schön kalt, trank langsam, Schluck um Schluck. Danach war Anton ruhig. Bald darauf saß Anton aufm Sofa und las flüchtig das Mittagsblatt vom Tag zuvor, raucht dann ’n Zigarillo bis zum Mundstück, das gar nicht dran war, obwohl ihm das Parfüm vom Zigarillo nicht paßt. Darauf kotzt sich Anton aus.
Anton knipst das Radio an, hört zunächst Afro-Kuba-Musik, dann ’n Boston, dann ’n Bossanova, dann ’n Tango, dann ’n Foxtrott, dann ’n Kotillon, wo man auf modisch aufmotzt. Dutronc sang Lanzmann, Barbara ’n Madrigal von Aragon, Stich-Randall was aus Aida.
Danach döst Anton kurz vor sich hin und wird plötzlich wach. Das Radio tut kund: »Und nun das Politmagazin mit Nachricht aus Stadt und Land.« Nichts gabs da, was wichtig war: in Valparaiso fünfundzwanzig Mann tot zur Inauguration von Flußkonstruktion; in Zürich macht Prinz Norodom Sihanouk publik, daß mit Washington und ihm nichts läuft und daß ihn nichts dorthin bringt; im Matignon drängt Pompidou ’n Syndikatsbund zur Bildung vom Sozial-Status-quo, womit Pompidou natürlich nicht durchkommt. In Biafra Konflikt auf Konflikt; in Conakry sprach man von Putsch. In Nagasaki tobt ’n Taifun, und auf Tristan da Cunha ist ’n Orkan, Amanda tauft man ihn sofort, im Anmarsch, worauf man das Volk im Transportflugapparat fortschafft.
Zum Abschluß dann Sport: in Roland Garros schlug Santana im Match, das fürn Daviscup zählt, Darmon mit fünf-zwo, achtzwo, zwo-fünf, zwölf-acht, acht-fünf.
Anton knipst das Radio aus, sinkt hin, will noch was tun, doch ist zu müd dazu. Dann sah Anton das Bild vor sich, das ständig auftaucht und dahinschwand, ganz nach Blickrichtung:
Manchmal ists rund, doch nicht ganz zu und läuft mit Horizontalstrich aus: sah fast aus, als wärs ’n G, das man im Mirror-Glas schaut.
Dann grau auf grau, farblos fast, taucht aus Kristalldunst das Porträt vom König auf, wo ’n Sarraß schwingt und hochmütig guckt.
Dann, ganz kurz nur, als Strich-Trio, so man will, taucht noch ’n Bild auf, approximativ und flou: Konturlos fast und schwach im Profil führt dir Imagination plötzlich trifingrig Hand vom Sardmann, wo höhnisch lacht, vors Aug.
Dann drängt sich plötzlich Figuration auf vom Drohn im Flug, wo auf schwarzfarbig Thorax fast schlohblank ’n trifach Strich trägt.
Antons Imagination ist zunächst trüb und blüht dann langsam auf. Darauf ging Anton in sich, durchforscht Wand und Vorhang vor sich, und allmählich taucht nun Kombination auf Kombination auf, fünf, acht, zwanzig, fünfundzwanzig, voll Faszination zwar, doch unwichtig, haltlos, da irrtümlich, Porträts, zwar obskur, doch worin Anton unaufhörlich Ordnung bringt und darin ’m Signal nachjagt, das klar ist, ’m Globalsignal, wovon man sofort Sinn und Signifikation schnallt; ’n Signal, das ganz und gar nach Antons Gusto ist. Doch nichts; was Anton da vor sich sah, war unvollständig, war nicht das, worauf man sich ’n Bild macht, war nur Punkt, Strich, Ansatz, fähig durchaus zur Konfiguration vom Ursprungsbild, wovons Nachahmung war, das ’s zwar in sich birgt, doch nicht zur Schau trägt, nämlich das:
’n Mann, wo tot, ’n Strolch, ’n Auto-Porträt;
’n Kalb, ’n Habicht, ’n Kuckuck im Nistloch;
’n Gichtfuß;
’n Wunsch;
das tückisch Aug vom Kolossal-Pottwal, wo Jonas Stirn bot, Kain durchdolcht, Ahab mit Faszination schlägt: Wandlung vom Vitalpunkt, wovon Publikmachung tabu war und darins um Macht und Wißtum ging und wovon Anton hofft, daß das nicht noch mal von vorn anfängt.
Anton kam in Zorn. Anblick von Wand und Vorhang macht ihn ganz krank. Anfänglich glaubt Anton, daß ausm Bildchaos ’n Punkt rausragt, woran man sich aufhängt, ’n Punkt, woran man zwofingrig rührt. Manchmal glaubt Anton: ich bin ganz nah dran, das löst sich auf, und dann war doch nichts.
Anton fuhr hartnäckig fort. Faszination packt ihn. Das war, als gäbs da in Wand und Vorhang, worauf Anton starrt, ’n Anhaltspunkt, ’n Alphapunkt, darin man Allmacht und das Infinitum vom Kosmos fänd, ’n Ursprungspunkt, so man will, woraus plötzlich ’n Totalpanorama auftaucht, ’n abgründig Loch im Nullstrahl, ’n Platz, worum Anton ’n Strich zog. Und so saß Anton da, starrt auf Vorhang und Wand, sucht ’n Durchgang und kam doch nicht hindurch …
Acht Tag lang kämpft Anton wild und hartnäckig um Lösung, hängt nur noch rum, ist schon halb blöd, starrt stur auf Vorhang und Wand, spornt unablässig ’n Imaginationsfluß an, wo auch ganz schön in ihm floß und ins Kraut schoß, schaut unaufhörlich vor sich hin, faßt Vision ins Wort, baut drum rum ’n Roman auf, und hofft, daß sich bald wohlfällig auflöst, was bis dahin unklar und obskur.
Anton rast. Ihm schnitts Luft und Atmung ab. Nicht Anhaltspunkt noch Fanal, nur Kombination auf Kombination, gut zwanzig an Zahl, doch Anton kommt da partout nicht raus, obwohl ihm natürlich schwant, daß Lösung ganz nah ist: manchmal rückts zwar fort, doch dann kommts plötzlich ran, drängt sich fast auf: bald wüßt Anton, woraufs hinausläuft (da’s im Grund ganz banal und ganz normal war …), doch kurz darauf wurds obskur, schwand dahin: da raunts nur noch flüchtig, ’n sibyllinisch Charabia, ’n Galimathias, das konfus. ’n Tag, so völlig falsch. Wirrwarr fürwahr.
Anton schläft nicht, obwohl ganz müd.
Und doch, zur Nacht haut sich Anton aufs Sofa, wozu man auch Schlafcouch sagt, nimmt zuvor Baldrian und Schlaftrunk zu sich, mal auf Opium-, mal auf Mohnbasis, säuft dann und wann auch Opiumtinktur pur, zog sich was aufs Haupt und zählt dann Schaf um Schaf.
Bald darauf schläft Anton, döst vor sich hin. Dann fährt Anton plötzlich hoch. Ihm ist kalt. Und nun taucht vor ihm das Bild auf, das ihm Tag und Nacht folgt: für kurz nur, allzu kurz, wußt Anton, was los war, sah und schnallt.
Anton sprang zur Wand, zu spät natürlich, ständig zu spät: was Anton dort sah, war nun fort, und da war nur noch Irritation und Antons Wunsch, wo fast ins Schwarz traf, da war nur noch Frustration, daß das nicht klappt.
Darauf stand Anton, so wach als ’n Individuum, das von früh bis spät schläft, vom Sofa auf, ging auf und ab, trank, sah hinaus in Nacht und Dunst, las, macht das Radio an. Manchmal zog sich Anton an, ging hinaus, läuft rum, bringt Nacht um Nacht in Bars zu, manchmal auch im Club. Dann und wann zwängt sich Anton ins Auto (doch Anton fuhr nicht gut), fuhr drauflos, dahin und dorthin, ganz nach Lust und Inspiration: nach Chantilly, nach Aulnai-sous-Bois, nach Limour und nach Raincy, nach Dourdan, nach Orly. Anton fuhr sogar mal bis nach Saint-Malo: dort bringt Anton fast fünf Tag zu, doch Schlaf kam ihn auch dort nicht an.
Anton tat, was ihm möglich war, und fand doch nicht Rast noch Schlaf. Anton schläft mal mit Schlafanzug und mal ganz nackt, mal mit Trikot und mal mit Strumpf am Fuß, mal mit Schal und mal mit Gandurah vom Spahi-Cousin. Nichts half. Anton macht das Sofa auf zwanzigfach Art. Schafft sich dann, und zahlt ’n Kapital dafür, ’n Schlafsaal an, jawohl, ’n Schlafsaal nur für sich, doch auch das nützt nichts. Dann kommt ’n Klappsofa dran, Schlafsack, Diwan, Couch, doch auch das war umsonst.
Lag Anton bloß, war ihm kalt, hat Anton ’n Plaid auf sich, war ihm warm. Manchmal schläft Anton rittlings, und manchmal sitzt Anton und schläft. Anton fragt ’n Fakir, wo ihm Dornstatt anbot, dann ’n Guru, wo ihm von Yoga-Position spricht: Anton faßt sich mitm Arm ans Haupt und packt dann linkshändig ’n Fuß.
Doch sowohl das als auch das war nutzlos. Anton kam nicht an. Zunächst glaubt Anton, daß nun Schlaf kommt, doch dann stürzt sichs auf ihn, in ihn, summt und brummt rings um ihn rum. Das drückt ihn. Das schlaucht ihn.
’n Nachbar, human und schonungsvoll, ging mit ihm zur Konsultation ins Hospital Cochin. Dort fragt man ihn zunächst mal ganz abrupt und brutal: »Hast du Moos? Zahlst du bar? Sonst hilft man dir nicht.« Anton rückt sofort das Moos raus, da Anton will, daß man ihm hilft. Darauf horcht man ihn mitm Horchapparat ab, klopft an ihm rum, röntgt ihn. Anton läßts mit sich tun. Man fragt, ob Anton litt. Das schon, sagt Anton. Und woran? Und Anton sagt, ich schlaf nicht, ich hab Schlafstörung. Nahm Anton was zu sich? Stärkungssirup? Baldrian? Ja, das tat Anton, doch das war wirkungslos. Litt Anton manchmal an Aug und Iris? Nicht daß ich wüßt, sagt Anton. Am Kinn? Möglich. Stirn? Ja. Im Hörgang? Nicht richtig, doch nachts brummts dadrin. Man fragt ihn: brummts richtig, brummts falsch? Das wußt Anton nicht.
Man schickt Anton zur Otorhinolaryngologin, als Frau ganz in Ordnung, rothaarig, wirklich toll, und das Haar ging ihr bis zum Arsch, am Aug Kontaktglas und so, nur ihr Rock war zu kurz. Frau Doktor, wo ’n Zigarillo raucht und nach Alkohol stinkt, nahm Antons Puls, horcht ihn ab, schaut ihm ins Maul, bohrt ihm im Ohr rum, stößt bis zum Tympanon vor, drückt ihm auf Larynx, Naso-Pharynx und Stirnhöhl. Frau Doktor macht das zwar ganz gut, doch daß das Aas pfiff, als ’s Anton abhorcht, das macht ihn wild.
»Oh oh oh«, sagt Anton. »Das tut mir …«
»Pst«, macht Frau Doktor, »nur ruhig Blut, ich tu dir ja nichts.«
Dann knallt Frau Doktor mitm Minirock Voyl aufn Billardtisch, wo glatt, glanzvoll und kalt war, macht da was an’m Knopf, dort was an’m Knopf, zog ’n Vorhang zu, macht Nacht und sobalds Nacht war ’n Foto von Anton Voyls Dadrin, knipst danach das Licht an. Anton duckt sich aufm Billardtisch.
»Stopp!« kündigt Frau Doktor an, »noch ist nicht Schluß. Zunächst prüf ich mal nach, obs da ’n Hauch von Auto-Intoxikation gibt.«
Darauf schloß Frau Doktor ’n Apparat an’n Strom an, drückt Anton ’n Iridiumpunz, wo aussah, als wärs ’n Stylo, aufs Haupt, und las dann aufm Skalablatt, wo ’n Dorn mit Farbstift durch Rotorvibration auf und ab rückt, Antons Blutbild.
»Schaut ganz so aus, als wär das Schriftbild aufm Maximum«, sagt Frau Doktor, klopft am Apparat rum und kaut dazu am Zigarillo, »ich tipp auf Stirnhöhlkonstriktion, ich mach das bald auf und guck nach.«
»Auf!« fährt Voyl hoch.
»Ja, ganz richtig: ich machs auf«, sagt Frau Doktor, »sonst gibts noch ’n Krupp, womöglich gar ’n Krupp, wo falsch ist.« Frau Doktor sagt das launig, humorig fast. Voyl fragt sich, ob Frau Doktor Spaß macht: doch Frau Docs Schwarzhumor macht ihm angst. Anton holt das Sacktuch raus, spuckt Blut und ruft dann rot vor Wut:
»Du Scharlatan! Warum ging ich nicht zur Ophthalmologin?«
»Schön ruhig«, sagt Frau Doktor konziliant, »zunächst gibts Immuno-Transfusion, so fünf- bis achtmal, und dann schaut man klar.«
Frau Doktor drückt aufn Knopf, wo Laut gibt, kurz darauf taucht ihr Stift auf, wo ’n Purpurwams trägt.
»Rastignac«, sagt Frau Doktor zu ihm, »lauf sofort nach Foch, nach Saint-Louis, nach Broca, wohin du willst, ich brauch noch vor Mittag Impfstoff, und zwar anti-konglutinativ.«
Dann ruft Frau Doktor ihr Daktylo zum Diktat und spricht also zu ihr:
»Anton Voyl. Konsultation vom 8. April: Koryza banalis, Auto-Intoxikation vom Naso-Pharynx, was womöglich zur Schädigung vom Olfaktionstubus führt, Stirnhöhlkonstriktion links mit Inflammation vom Mukus, wo bis zum Kinnlapp sublingualis ausstrahlt; Larynximpfung führt womöglich zum Krupp. Darum schlag ich Stirnhöhlablation vor, sonst büßts das Stimmorgan.«
Dann spricht Frau Doktor Voyl Mut zu: zwar ist Stirnhöhlablation was, wo fast ’n Tag in Anspruch nimmt, doch sonst ist das völlig harmlos und banal. Das gabs schon am Hof von Louis XVIII. Voyl hat zur Angst nicht Grund noch Motiv: zwölf Tag, und Voyl ist zu Haus.
Voyl ging also ins Hospital. Man schafft ihn in’n Saal mit achtundzwanzig Schlafcouchs, fünfundzwanzig davon mit Inhalt, wo krank ist und sogar halbtot. Man gab ihm Tranquillantia mit Mordswirkung (Largactyl, Procalmadiol, Atarax). Früh am Tag sah Anton Voyl ’n Big Boss, wo ’n Gang macht von Saal zu Saal; mit ihm Hofstaat und Troß vom Hilfsarzt bis zum Arztstift; Big Boss trinkt Milch und spricht dazu, grinst und lacht manchmal ordinär. Dann und wann ging Big Boss bis zur Schlafstatt von’m Mann, wo todkrank war und aufm ultimo Loch pfiff, drückt ihm ’n Arm, klopft ihm aufn Brustkorb und lockt so, falls das Individuum kitzlig ist, ’n Lachanfall aus ihm raus. Doch Big Boss hat auch ständig ’n Witz parat, ’n Trostwort, falls Trost da noch was hilft, und im Sack ständig ’n Bonbon für das Kind, das klagt und stöhnt. Und mit Mamas, ganz klar, lacht Big Boss auch mal. War ’n Fall mal ganz schlimm und hoffnunglos, und das kam dann und wann durchaus vor, klärt Big Boss ’n Arztstiftstroß auf und sagt, was ihm diagnostisch dazu auffällt: Parkinson, Gicht, Charbon, Guillain-Thaon, Coma postnatal, Syphilis, Konvulsion, Palpitation, Torticolis.
Zwo Tag darauf schob man Anton Voyl in ’n Raum, wo ganz blank war, und bald darauf lag Anton aufm Billardtisch. Chloroformisation. Dann drückt ihm Frau Doktor ’n Trokar ins Nasloch: durch ’n Schnitt vom Olfaktiv-Traktus kommts zur Naso-Dilatation, und das nutzt Frau Doktor natürlich sofort aus und kratzt mit Obradowitsch-Schabstahl an Stirnwand rum. Dann folgt Ausschabung mit Hornschaft, was man damals noch nicht oft tat, danach macht sich Frau Doktor rasch und burschikos an Okklusion und braucht dazu ’n Schnurlochpunz mit Öhr, das ’n Ungar zwo Monat zuvor in Schottland zur Hochform bracht. Doch damit war noch nicht Schluß: nun kams zur Stirnhöhlpunktion, und was da rauskam, war schon traurig: Frau Doktor holt da doch glatt ’n Fungus malignus raus, und frag nicht, was für ’n Format. Dann kams zum Schlußakt, zur Naht von Hautschrundung.
»Gut«, sagt Frau Doktor dann zum Schluß zum Hilfsarzt, wo schwitzt, »mir kommts so vor, als wär Oxydation und so nun völlig in Ordnung. Kurzum, mir fällt nicht auf, daß da noch Inflammation ist.«
Frau Doktor tupft Voyl vorsichtig mitm Bausch ab, näht dann noch mal mit Catgut, das ist Schnur aus Darm, macht dann Hansaplast drauf. Zur Nacht ist man zwar noch unruhig, da man ’n Trauma, auch’n Schock für möglich hält. Doch komplikationslos narbt zu, was zuvor auf war.
Acht Tag danach kann Voyl raus ausm Hospital: Voyl ging also nach Haus. Ich füg nur noch hinzu, daß Anton Voyl auch nach Tortur und Qual nicht schläft; doch dafür, und das ist durchaus positiv, litt Anton kaum noch.
Zwar litt Voyl nur noch mäßig, doch fühlt sich Voyl dafür furchtbar schwach, lag und hing von früh bis spät auf Sofas, Diwans und in Rocking-chairs rum, malt mit Buntstift unaufhörlich das Motiv vom Aubusson-Wandtuch aufn Stück Karton, ’n Motiv, das zwar sichtbar, doch unklar und schwammig ist, spricht manchmal wirr, sobald Halluzination ihn anfällt.
Anton ging durch ’n Korridor, wo wahnsinnig hoch war. Dort hing wandwärts das Buchbord aus Mahagoniholz. Und darauf Foliant an Foliant, achtundzwanzig Stück. D.h. Sollzahl war achtundzwanzig, doch wars schon Norm, daß ’n Band fort war, und zwar akkurat das Buch, wo als Inschrift »FÜNF« drauf stand. Und das fällt nicht mal auf, da nichts kundtut, daß ’n Foliant fort ist (daß z. B. auf Karton das Wort »a ghost« stand, was in Londons National Library üblich ist); sichtbarlich gabs da nicht Loch noch Lück. Hinzu kam, und das macht stutzig: anordnungsmäßig sah man gar nicht, daß das Buch nicht da war, was daran lag, daß man absichtlich vorn mit Nr. fünfundzwanzig anfing und folglich Nr. fünf fast ganz am Schluß stand, wo kaum noch ’n Aas hinkam. Nur falls du am Schwanz anfängst – nach ’m Motto, wonach man manchmal das Roß aufzäumt – und dich rückwärts von Buch zu Buch durchzählst und auch nichts davon ausläßt, dann fällt dir auf, daß Band fünf gar nicht da ist.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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