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Theodor Fontane zählte zu den großen Vorbildern Thomas Manns, mit dem er sich in besonderem Maße identifizierte. Seine Bewunderung hat Mann wiederholt zum Ausdruck gebracht; das bedeutendste Beispiel dafür ist sein umfangreicher Essay ›Der alte Fontane‹ von 1910. Auch für diese Rezension zu einem von Conrad Wandrey bei C. H. Beck herausgegebenen Fontane-Buch dürfte seine Hauptmotivation das Thema und weniger das Buch selbst gewesen sein. Der Text existiert in zwei Fassungen: Die vorliegende Version wurde von Mann selbst überarbeitet und 1922 im Rahmen von ›Rede und Antwort‹ veröffentlicht. Für den Erstabdruck in der Weihnachtsausgabe des Berliner Tageblatts von 1919 (am 30. Dezember desselben Jahres wäre Fontane hundert Jahre alt geworden) hatte die Redaktion eigenmächtig Kürzungen vorgenommen, mit denen Mann alles andere als zufrieden war.
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Seitenzahl: 22
Thomas Mann
Anzeige eines Fontane-Buches
Essay/s
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In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Sollten wir, ohne es recht zu wissen und ungeachtet sonst mißfälligster Umstände, in eine Epoche des guten deutschen Buches eingetreten sein? Ich meine des Buches im engeren Sinn und zum Unterschied von der »schönen« Literatur, der Prosaerzählung, die sehr zurücktritt. Man mache einen Überschlag: Gundolfs Goethe, Ernst Bertrams noch nicht genug bewunderte Nietzsche-Variationen, Spenglers intellektualer Roman vom Untergang des Abendlandes, Graf Keyserlings philosophische Weltreise, die Krisis der europäischen Kultur von Pannwitz – wie wäre es, wenn wir zugäben, daß das anfängt, nach Blüte auszusehen? Wobei es noch darauf ankäme, eine Familienähnlichkeit und Grundverwandtschaft all dieser Bücher und weiterer, etwa noch anzuführender, untereinander nachzuweisen, eine Verwandtschaft, die sich kaum in der Gemeinsamkeit eines Niveaus erschöpft, das als altmodisch- und bewahrend-deutsch am knappsten zu kennzeichnen wäre. Man ist zu fragen versucht: woher der deutsche Geist heute das völlig ungedemütigte und unerschütterte Machtgefühl, die superiore Würde und Strenge der Überschau, des Ordnens und Wertens nimmt, die ihm in diesen Werken natürlich scheint und eine vollkommene Unberührtheit seines Zentrums von peripherer Verelendung und Verpöbelung bekundet. Wo wäre Deutschland heute – wo, wenn nicht hier, in diesen Büchern? Und, Gott stehe uns bei, wir hatten kein anderes im Sinn, als wir, mühselig und verworren, den deutschen Geist gegen das Nein der Fremden zu behaupten uns kindlich verbunden hielten.
Ist es Vorliebe für seinen Gegenstand, was mich in Versuchung führt, das Buch von Conrad Wandrey, »Theodor Fon{262}tane«, in so vornehme Nachbarschaft zu bringen? Zum mindesten ist es sein Gegenstand nicht, der mich daran hindern müßte. Der junge Literarhistoriker, der es schrieb, begann mit einer Monographie über Stephan George, – von dem feierlichsten der Geister also wandte er sich zu dem, der »mangelnden Sinn für Feierlichkeit« einen schicksalbildenden Grundzug seines Wesens nannte. Aber der positiv-sittliche Sinn und Wert dieses Mangels für die bürgerlichen Jahrzehnte, deren Angehöriger und Gestalter Fontane war, ist heute erkannt, – am schönsten von einer Frau, Helene Herrmann, deren Studie über »Effi Briest« Wandrey in seinem Buche anführt, und die über Fontanes Verhältnis zum Heroischen und zur Größe gesagt hat: »Diese Selbstbewachung, dies Leisewerden aus Ehrfurcht vor der Wirklichkeit und aus Scheu vor der lügnerischen Phrase und angemaßter Pomposität ist uns heute kein letzter Wert mehr, aber als eine abwartende und vorläufige Haltung ein beträchtlicher Zwischenwert in unserer ethischen Skala … Das sichere Stilgefühl für die eigene Natur, das grenzbewußte Nichtmehrseinwollen als man ist, das aber auch ganz und gar in jedem Zuge verwirklicht – diese Noblesse einer wissenden und leidenden Zurückhaltung ist in sich ein lebendiger Wert.«