Apollo - N. Schwalbe - E-Book

Apollo E-Book

N. Schwalbe

0,0

Beschreibung

Weil Jupiters Sohn 'Apollo' die Liebe nicht ernst nimmt, wird er vom Berg des Olymp verbannt. Dreitausend Jahre lang schlägt sich der Göttersohn durch verschiedene Epochen der Menschheit, bis er im Jahre 2019 als Luke Kanton auf Stella Morgenstern trifft, deren geschnitzte Götterfiguren er als Fotograf ablichten soll. Stella Morgenstern - Tochter der Aphrodite und einem Menschen - ist eine Halbgöttin. Sie wird als Kind von Jupiter auf die Erde geschickt, um viele Jahre später als junge Frau seinem Sohn Apollo in Sachen Liebe etwas auf die Sprünge zu helfen. Da Jupiter das Warten schließlich satt hat, stellt er beiden ein Ultimatum: Bis zum nächsten Vollmond müssen sich die beiden ihre Liebe gestehen und sich entscheiden, wo sie leben wollen, als Sterbliche bei den Menschen oder als unsterbliche Götter auf dem Berg des Olymp. Eine erotische Liebeskomödie mit etwas göttlicher Phantasie ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 284

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Die Holztrulla

Der Auftrag

Die Begegnung

Die Einladung

Der Kuss

Die Nacht der Verführung

Süß wie Zitronensorbet

Plötzlich Adler

Zurück auf dem Berg des Olymp

Wahre Liebe?

Göttliche Verführung.

Götterzorn

Im Haifischbecken

Witwe Krummbein

Die Verwandlung.

Das Versprechen

Auf in den Kampf

Die Entscheidung

Die Vermählung

Prolog

Langsam fuhr seine Hand über ihren Innenschenkel. Genüsslich beugte er sich vor, um seine Lippen den körperlichen Freuden der Lust hinzugeben, als ihn eine barsche Stimme aus seiner Trance riss.

»Apollo! Du Nichtsnutz! Es wird Zeit, dass du dir endlich ein Weib zur Frau nimmst und mir kleine Götterenkel schenkst! Stattdessen verheizt du eine liebreizende Anwärterin nach der nächsten.«

Apollo verdrehte die Augen, bevor er sich zu seinem Vater umdrehte. »Vater, hast du nicht irgendeine Geliebte zu verführen, statt meine Spielchen als freier Göttersohn zu stören?« Fast ein wenig aufmüpfig schaute er zu Jupiter auf.

Deren Augenbrauen wanderten erst in die Höhe, dann senkten sie sich gleichzeitig mit dem Gewitter, das er losließ. »Du wagst es, so mit deinem Vater zu sprechen? Und das vor den Augen einer bildschönen Nacktheit?«

Apollo zuckte kaum merklich zusammen - und rechnete nicht mit dem, was nun folgte.

»Bevor ich mich vergesse und dich als Flammengestalt verschlinge, verbanne ich dich lieber! Geh hinfort und komm erst wieder zurück, wenn du die wahre Liebe gefunden hast!« Jupiter schwang seinen Arm. Blitze zuckten vom grauschwarzen Himmel. Donner folgte seinen Worten und Apollo verschwand mit dem nächsten Blinzeln vom Berg des Olymp.

Die Holztrulla

Sterben war ätzend.

Nichtsterben war allerdings auch kein Vergnügen.

Luke Kanton hatte bereits Tausende Kriege durchlebt, diverse Hungersnöte überstanden, unzählige Male Sex gehabt, über dreihundert Kinder gezeugt und mehr als siebzig Frauen geheiratet - und alle hatte er sterben sehen.

Seine ›große Liebe‹ war nie dabei gewesen.

Hier hatte Luke Jupiter, seinen alten Herrn, in Verdacht.

Sicherlich hatte der Himmelsvater ihm als Göttersohn Apollo Steine in den Weg gelegt, um ihm die Aufgabe, die ›wahre Liebe‹ zu finden, zu erschweren.

Luke war mittlerweile 3030 Menschenjahre alt. Sein Alter sah man ihm nicht an, denn er war ein Göttersohn, genau genommen der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit sowie der Weissagung und der Künste - und damit unsterblich. Auch seinen Götterstatus sah man ihm nicht an. Er sah vielmehr aus wie ein typischer dreißigjähriger Mann im 21. Jahrhundert: Jung, sportlich und verdammt gut durchtrainiert.

»Luke, schwing deinen Hintern hier herüber!«, rief Anne Müller, Journalistin beim ›Blattsalat‹, »wir haben einen Auftrag.«

Luke warf einen letzten Blick in den Spiegel und genoss noch einmal den Anblick seines brünetten Haarschopfes.

Um der Menschheit, die den Alterungsprozess gewohnt war, nicht aufzufallen, färbte er sich seit seiner Verbannung vor dreitausend Jahren vom Berg des Olymp regelmäßig die Haare. Alle sechzig Jahre, also jeweils zwanzig Jahre nach seinen jeweiligen Eheschließungen, waren seine Haare künstlich grau. Falten zauberte er sich mithilfe einer speziellen Creme ins Gesicht. Diese Paste hatte er einst vom großen Zauberer Merlin bekommen und sie war wahrlich zauberhaft, denn deren Wirkung hielt etwa vierzig Jahre an. Aber jetzt ging ihm langsam die Puste aus - und die Creme war so gut wie aufgebraucht.

Er hatte schon so gut wie an jedem Ort dieser menschlich besiedelten Erde gelebt. Seine letzte Ehefrau hatte er vor drei Jahren in Chicago begraben und es sich nun in Übersee neu eingerichtet.

Obwohl er hier jetzt schon wieder knapp drei Jahre lang lebte, hatte er es allerdings noch immer nicht geschafft, sich eine neue Frau zu angeln.

Das war auch gar nicht so einfach, denn die deutschen Frauen im 21. Jahrhundert waren verdammt anspruchsvoll. Es reichte nicht aus, sie mit einem Wimpernschlag aufreizend darauf aufmerksam zu machen, dass man sie begatten und vielleicht sogar ehelichen wollte. Es reichte auch nicht aus, ihnen Lebensmittel darzubieten oder ihnen mit Blumen den Hof zu machen. Sie fuhren nicht einmal mehr auf seinen wirklich stählernen Körper ab.

Deutsche Frauen im 21. Jahrhundert waren ›E-MAN-ZIPIERT‹. Sie standen auf eigenen Beinen, lebten lieber unabhängig von irgendeinem Kerl, gingen arbeiten - teilweise in echten Männerjobs - und besetzten erstaunlicherweise sogar Führungspositionen. Sie waren nicht mehr einzig und allein für Küche und Nachwuchs zuständig, wie er es vom Berg des Olymp und auch vielen Orten der Erde her kannte.

Luke bekam schnell spitz, dass man als Mann auch lieber keinen Versuch unternahm, Frauen wieder in diese Rolle hineinzudrängen. Denn wenn man Pech hatte, wurde man von einem ganzen aufmüpfigen Schwarm von Frauen zur Hölle gejagt.

Auch Anne Müller, seine Kollegin bei der Zeitung, für die er seit einem Jahr arbeitete, war nicht zu durchschauen.

»Auf wen wartest du, Luke? Wie lange willst du dich noch im Spiegel bewundern? Pack deine Kamera ein! Wir müssen los«, fuhr sie ihn an und verdrehte genervt die Augen.

Luke lebte zwar lange genug bei den Menschen, um das Geheimnis der Weiblichkeit entlüftet zu haben, aber bis heute waren ihm einige Frauen ein Buch mit sieben Siegeln, und die gut ausgebildeten, selbstbewussten, deutschen Frauen erst recht.

Er hatte nur eins über die Jahre hinweg festgestellt: Frauen waren von Geburt an in der Lage zu lieben, während Männer doch eher die berechnenden Pragmatiker waren.

Frauen waren um ein Vielfaches einfühlsamer und gingen seltener mit der Holzhammermethode vor - außer natürlich seine Kollegin, die gar nichts anderes zu kennen schien, als mit der Brechstange Türen aufzustoßen statt mit Diplomatie.

Und noch eins war ihm in letzter Zeit aufgefallen: Als Mann sorgte man besser dafür, dass man auch seine weibliche Seite aus dem Käfig ließ und sich damit ETWAS emotionaler zeigte, als das bisher der Fall gewesen war.

Ernsthaft, war man der Weiblichkeit als Mann in den letzten Jahrhunderten überlegen gewesen, so musste man heutzutage umso mehr aufpassen, dass man die Damen gut behandelte, um nicht ganz schnell vom Thron gestoßen zu werden. Frauen waren nicht mehr vom männlichen Geschlecht abhängig, weder finanziell noch emotional.

Und der verlogene Haufen von Kirchenvertretern, der über die Jahrhunderte hinweg - zum Teil auf brutalste Weise - dafür gesorgt hatte, dass die Frauen das Nachsehen hatten, hatte auch nichts mehr zu sagen. Denn es gab nur noch wenige Kirchenanhänger und die Kirche selbst hatte längst keine Macht mehr.

Trotzdem hatte er in der deutschen Hafenstadt nur schwierige Frauen getroffen, die sich bestens darauf verstanden, ihre emotionale Seite gut zu verstecken.

Sicherlich steckte sein Vater dahinter, der dafür sorgte, dass ihm nur die komplizierten Frauen über den Weg liefen, denn er hatte es mit einer Menge kräfteverschleißender, weiblicher Geschöpfe zu tun.

Zuzutrauen wäre es dem großen Jupiter!

Luke hatte sich jedoch fest vorgenommen, das Geheimnis der Weiblichkeit mit der nächsten Frau zu lüften und mit ihr auch endlich seine wahre Liebe zu finden.

Hier spielte er natürlich NICHT auf Anne an, die man auch als Sklaventreiberin hätte durchgehen lassen können.

»Luke, hopp-hopp! Du wirst nicht schöner, wenn du bummelst und in den Spiegel starrst!«

Er war es leid, wieder eine Gattin zu suchen und den zigsten Sprössling zu zeugen und alle wieder gehen sehen zu müssen.

DAS hielt auf Dauer nicht einmal ein Göttersohn aus!

Außerdem war er es leid, der Liebe hinterherzujagen wie ein armer Jäger dem Wild. Er war es leid, Kriege zu überleben, während alles um ihn herum krepierte wie ein Insekt. Nicht einmal Pest und Cholera hatten ihm etwas anhaben können. Er erfreute sich bester Gesundheit und war so unsterblich, wie man nur unsterblich sein konnte.

Anne blickte ihn prüfend an. »Willst du hier Wurzeln schlagen? Oder bist du ein Göttersohn, den man mit der Sänfte aus der Redaktion tragen muss?«

»Nein, nein, ich komme ja schon«, erwiderte Luke und hoffte, Anne würde nicht bemerken, dass er bei ihren Worten errötet war.

Luke wollte ENDLICH zurück auf den Berg des Olymp, dem Schlaraffenland eines jeden Gottes. Er wollte seine Thronfolge antreten, das Götterleben genießen und seinem Göttervater Jupiter ins Gesicht sagen, dass er ihn zu Unrecht verbannt hatte. Er wollte ihm zeigen, dass er ein Mann geworden war, ein ECHTER Göttersohn, der es würdig war, auf dem Berg des Olymp zu leben.

»Hast du heute Schneckenfutter gefrühstückt, Luke? Meine Güte, wenn du deine Sachen noch langsamer einpackst, dann bewegst du dich im Rückwärtsgang.« Anne schnaufte ungeduldig. »Es ist kein Wunder, dass du keine Freundin hast. Du bist total verträumt.«

»Es war eben noch nicht die Richtige dabei«, erwiderte Luke gelassen.

Bei den Göttern - wie auch bei den Menschen - war es schon immer üblich gewesen, die eine oder andere Liebschaft auszuprobieren, bevor man sich fest band. Warum sich sein Herr Vater damals also so aufgeregt hatte, war ihm nach all der Zeit immer noch ein Rätsel.

Die wahre Liebe würde sich schon irgendwie einstellen, hatte er in jungen Jahren gedacht. Aber das war in der Tat überhaupt nicht so einfach, wie er in den letzten dreitausend Jahren hatte feststellen müssen.

Entweder man liebte mit brennendem Feuer, welches einen zu verglühen drohte, oder man tat es eben nicht. Alles andere war halbherzig und hatte mit wahrer Liebe nichts zu tun. Und sein Feuer war bisher leider eher ein Flämmchen gewesen oder ganz ausgeblieben. Vielleicht war es auch schlichtweg nicht möglich, sich als Gott ernsthaft in einen Menschen zu verlieben. Wobei sein Vater diese Theorie mit seinen vielen Liebschaften sofort entkräften könnte.

Heutzutage - und hierzulande - war es allerdings unfassbar schwer, an Frauen heranzukommen, schwerer, als sich in eine Eule zu verwandeln.

Und das war Luke zumindest früher sehr gut gelungen.

Jupiter hatte natürlich nie Schwierigkeiten gehabt, die Gestalt eines anderen Wesens anzunehmen. Er war wohl einer der talentiertesten Gestaltenwandler durch und durch.

Europa hatte Jupiter in der Gestalt eines Stieres entführt, Leda hatte er sich in der Gestalt eines Schwanes genähert.

Aber auch der Satyr, der Adler oder eine eindrucksvolle Flammengestalt waren leichte Figuren für seinen Vater gewesen. Sein Glanzstück der Verwandlung hatte Jupiter allerdings in der Gestalt von Goldregen gezeigt - aber das waren andere Geschichten.

Luke war da nicht ganz so talentiert wie sein Vater. Er konnte sich lediglich in eine Eule verwandeln. Und mittlerweile gelang ihm selbst das kaum noch. So langsam kam ihm der Gedanke, dass ihm das Leben als 3030 Jahre alter, unsterblicher ›Mensch‹ allmählich die göttlichen Kräfte raubte.

Manchmal vermisste er es allerdings, sich des nachts in eine Eule verwandeln und einfach in die Freiheit fliegen zu können. Aber die Rückverwandlung fiel ihm von mal zu mal schwerer, also unterließ er es lieber, um nicht mit einem halben Federkleid auf Arbeit erscheinen zu müssen.

»Luke, du bist ein Mann und Männer brauchen Sex. Darum ist es umso erstaunlicher, dass du mit gar keiner Frau auszugehen scheinst, oder bist du vom anderen Ufer?«

Fragend blickte seine Kollegin ihn an.

Luke rümpfte die Nase. »Vom anderen Ufer?«

»Ja, stehst du auf Männer?«

»Nein«, rief er lachend aus, »ich liebe die Liebe, aber bitte mit einer Frau.«

Zugegeben, er war auch nach dreitausend Jahren unter den Menschen noch ein großer Freund der körperlichen Liebe - mit einer Frau.

Aber um das herauszufinden, hätte es nicht eines Bannes bedurft. Dessen war er sich auch so bewusst - ohne Bann.

Sex war allerdings auch bei den Menschen nicht alles.

Man konnte nur schwer davon leben.

Das hatte er vor allem im Mittelalter allzu schmerzlich am eigenen Leib erfahren, denn er hatte schon so manches mal hungern müssen, immer in dem Wissen, dass ihn das niemals umbringen würde.

Er wusste nicht, wie viele verschiedene Berufe er auf der Erde schon verrichtet hatte, um zu überleben.

Kein Job hatte es dabei je vermocht, ihn zu begeistern.

Die meisten dienten lediglich dazu, sein Weib und seine Sprösslinge zu ernähren.

Sie waren reines Pflichtprogramm.

Wenn er ehrlich war, hätte er durchaus Vergnügen daran gefunden, sich in die Arbeit der körperlich Liebenden einzureihen, aber wer wollte schon ein geächteter ›Hurenbock‹ sein, wie die Menschen abwertend zu einem ›Gigolo‹ sagten, der die körperliche Liebe für Geld verkaufte?

Und wer wollte schon seinen heiligen Körper an irgendwelche dahergelaufenen, liebeshungrigen, armen Schweine verkaufen, denen man vielleicht nicht einmal Sympathie entgegenbringen konnte?

Er nicht.

Also kam auch dieser Berufszweig für ihn nicht infrage.

Das 21. Jahrhundert im Reich der Menschen war wahrlich eine merkwürdige Zeit, in der Sex ohnehin kaum noch eine Rolle zu spielen schien. Die Leute schienen dafür ernsthaft keine Zeit mehr zu haben. Oder sie wollten sich damit nicht beschäftigen, weil Zeit Geld war. Vielleicht waren auch alle so prüde, dass sie sich HEIMLICH in ihrem Schlafzimmer eine vergnügliche Stunde bereiteten.

Andere wiederum - meistens Menschen älteren Semesters - veranstalteten ganze Orgien und warben sogar damit.

Luke konnte diesem Massensex jedoch nichts abgewinnen. Vielleicht war er da doch mehr Göttersohn, als er dachte, denn sein Vater war, man sollte es kaum glauben, trotz seines donnernden Temperaments ein sehr liebevoller Mann, der die Liebe UND den Sex liebte. Wenn er sich in eine Frau verliebt hatte, dann tat er auch alles, um ihr Herz zu erobern. Er hätte seine Frau NIEMALS geteilt, eher sämtliche Konkurrenten im Schlangentümpel versenkt.

Seit drei Jahren lebte Luke also im, zugegeben, sehr kalten und oft auch nassen Ort namens ›Hamburg‹.

»Es ist Berufsverkehr. Wir werden also ein Stückchen brauchen, bis wir da sind. Wenn der Herr sich also endlich mal aufraffen könnte, sich ETWAS schneller zu bewegen, wäre ich dir sehr zum Dank verpflichtet«, drängelte Anne weiter.

»Wenn ich die Hälfte meiner Ausrüstung vergesse und nicht ordentlich arbeiten kann, war die Fahrt zum Termin umsonst. Also lasse mich bitte in Ruhe meine Sachen packen, Frau Ungeduld!« Seufzend legte Luke die Ersatzakkus seiner Kamera in die Tasche.

Früher, also als er zuletzt im Norden dieses Kontinents gewesen war, hatten hier die Kelten gehaust. Die Stadt hatte es noch nicht gegeben und die Bewohner waren damals, weiß Jupiter, NICHT zimperlich gewesen.

Sie erlaubten keine Fremden in ihren Reihen, schon gar keine Schönlinge, die ihnen die Frauen ausspannten.

Sein Glück war es lediglich gewesen, dass er dem Sohn des Anführers bei einem Angriff der Wikinger das Leben gerettet hatte. Das hatte ihn zu einem von ihnen gemacht und ihn zum Bleiben berechtigt.

Nun war hier an dem einst so naturbelassenen Ort eine riesige Stadt entsprungen. Es gab Häuser über Häuser und jede Menge fahrbare Untersätze. Und natürlich gab es hier auch Menschen in Hülle und Fülle - fast wie in einem Ameisenstaat. Und in genau dieser Stadt lebte er in einem möblierten Zimmer zur Untermiete.

Anfangs hatte er eine Hilfsarbeit nach der nächsten annehmen müssen, um sich über Wasser zu halten. Irgendwann war er jedoch dahinter gekommen, dass die meisten Menschen dieses Jahrhunderts großen Wert auf gute Manieren, Köpfchen und technisches Know-How legten.

Zunächst widerstrebte es ihm, seinen Kopf statt seines Körpers einzusetzen, aber mittlerweile gefiel ihm die Arbeit als Fotograf. Er schoss Bilder von Menschen, über die andere Geschichten schrieben.

Ja, man sollte es kaum glauben, mittlerweile SCHRIEBEN und LASEN die Menschen unabhängig von ihrem Stand und Vermögen!

Dabei schrieben sie in diesem Teil der runden Erdkugel schon viele Jahrhunderte auf Papier, aber nie zuvor war Papier so billig gewesen. Und das Verrückteste war, sie schrieben nicht nur auf Papier, sondern auch in modernen Kästen namens ›Computer‹, die alles Geschriebene zusätzlich noch auf Papier ausspucken konnten. Und mithilfe dieser Computer konnte man mit jedem Menschen überall auf der Erde kommunizieren, wenn derjenige ebenfalls so einen Kasten hatte.

Geschichten und Bücher gab es nun in kleinen, schicken Mobilgeräten, mit denen sich Menschen kommunikativ austauschten - verbal per ›Sprachnachricht‹ oder per ›Textnachricht‹. Diese Dinger nannten sie hier in der deutschen Hafenstadt ›Handy‹.

Eine sehr neumodische Erfindung, wie Luke fand.

Auf dem Olymp hatte es weder Strom, noch Telefone gegeben und sie hatten sich trotzdem verständigen können.

Wenn sie Nachrichten verschicken wollten, nutzten sie einfach Eulen oder Sklaven.

Aber Menschen hielten heutzutage nicht mehr viel von offiziellen Sklaven - oder vom Federvieh, welches im Mittelalter durch die Kirchentrottel fast gänzlich ausgerottet worden war, weil Eulen angeblich Boten des Teufels waren. Verständlicherweise hielt sich das Federvieh seitdem fern von den Menschen.

Vor wenigen Monaten fand Luke sich also als ›freier‹ Fotograf bei verschiedenen Zeitungen wieder. Sein Hauptauftraggeber war eine Zeitung mit dem merkwürdigen Namen ›Blattsalat‹. Das war eine Zeitung, die sowohl die reine Wahrheit als auch blumige Unwahrheiten auf Papier druckte und kostenlos unter den Leuten verteilte.

Der oberste Befehlshaber des Blattes, der sogenannte ›Chefredakteur‹, änderte gerne mal das eine oder andere geschriebene Wort zu Gunsten seiner Meinung ab. Das fand Luke schon ein bisschen merkwürdig, aber ihm konnte das letztendlich egal sein, denn er bekam sein Geld für die Bilder, die er schoss, egal ob im Blatt Wahrheiten oder Lügen abgedruckt wurden.

»Jetzt regnet es auch noch«, stöhnte Anne.

Luke blickte aus dem Fenster.

Es regnete in Strömen.

»Bin ich froh, dass ich in der Tiefgarage parke.« Anne wackelte auffallend mit ihren viel zu üppigen Augenbrauen, die nach Lukes Geschmack einer dringenden Überholung bedurften.

Überhaupt war Anne eine recht gewöhnungsbedürftige Frau. Sie trug bunte Strickhemden, in denen sie aussah, als wollte sie sich schlafen legen. Ein paar ihrer Shirts waren so bunt gefärbt, dass man meinen konnte, sie wäre damit in einen Farbtopf gefallen. Ihre Ohrringe waren an manchen Tagen so lang und scheußlich, dass sich einem der Gedanke aufdrängte, sie wollte damit einen Stier einfangen statt eines ansehnlichen Mannes. Ihr Haar hatte abwechselnd so ziemlich alle Farben, die ein Frisör zu bieten hatte. Momentan waren sie tatsächlich blau gestreift. Sie brüllte gerne und viel herum und hielt sich für den tollsten Schreiberling der ganzen Journalistensippschaft - wovon es in der Redaktion übrigens so einige gab.

Ein paar von Annes Artikeln waren ziemlich schwer zu lesen. Sie waren wie sie selbst: VIEL zu kompliziert. Und der Mann, den sie sich irgendwann angeln würde, tat ihm jetzt schon leid.

Luke verglich ihre Arbeit gerne mit Aschenputtel, dem Märchen der Gebrüder Grimm, die er vor vielen Jahren persönlich hatte kennenlernen dürfen.

Die Texte, die Anne schrieb, waren wie das Auslesen von Linsen: Man musste sehr aufpassen, um die schlechten von den guten Textpassagen zu trennen.

Aber ihre Arbeit ging ihn natürlich nichts an.

Er musste lediglich die passenden Fotos dazu liefern.

Luke schnappte sich seine Tasche und folgte Anne auf den Flur. Sie nahmen den Fahrstuhl in die Tiefgarage und saßen innerhalb von wenigen Minuten in ihrem Auto. »Es wird auch immer schwieriger, als freie Mitarbeiterin gute Aufträge an Land zu ziehen«, schimpfte Anne vor sich hin. »Für diesen Auftrag musste ich schon fast in den Ring zum Schlammcatchen.«

Ja, von dem Wort ›frei‹ durfte man sich nicht täuschen lassen, denn es bedeutete de facto, dass man als Arbeitskraft seinen Hintern bewegen musste und viel für die Katz arbeitete, um lediglich ein paar Cents zu verdienen, die man dann auch noch versteuern musste. Die einzigen, die davon profitierten, waren die Auftraggeber.

›Frei‹ bedeutete also NICHT, dass man vogelfrei eine Stange Geld verdienen konnte. Man war quasi ›versklavter‹ als ein Festangestellter, und noch dazu wahnsinnig schlecht bezahlt - das wurde Luke schnell klar.

Die einzigen, die tatsächlich ›frei‹ waren, waren die Auftraggeber. Gefiel ihnen die Arbeit nicht, waren die ›Freien‹ den Auftrag entsprechend schnell wieder los, bekamen kein Geld und hatten umsonst gearbeitet. Kam das allzu häufig vor, war man die längste Zeit ›freier‹ Mitarbeiter gewesen.

Auch das war für Luke eine Umstellung.

Bisher hatte er für körperliche Arbeit entsprechend seinen Lohn erhalten, und das in manchen Epochen gar nicht mal so schlecht.

»Wie siehst du überhaupt aus? Warum trägst du ein T-Shirt bei dem Sauwetter?«, fragte Anne ihn mit einem pikierten Seitenblick. Sie fröstelte und zog sich ihre dicke Wolljacke enger um den Körper. Dann schaltete sie die Heizung ein.

Müde lehnte Luke sich auf dem schäbigen Sitz ihres alten, grauen Renault R5 zurück. »Mir ist nicht kalt.«

Das Auto hatte sicherlich schon bessere Zeiten gesehen, aber darauf durfte man die ehrgeizige Journalistin nicht ansprechen. Es war quasi ihr Markenzeichen!

Er hatte das einmal versucht und durfte anschließend zu Fuß zu den Einsätzen laufen. Und da heute der Himmel weinte, verkniff er sich jeglichen Kommentar.

»Wohin fahren wir?«, fragte Luke und checkte aus lauter Langeweile noch einmal seine Ausrüstung.

Die alte Spiegelreflexkamera hatte er von einem Flohmarkthändler für wenige Euros ergattert. Natürlich hatte er sie magisch etwas aufpeppen müssen. Solange er noch seine letzten göttlichen Kräfte mobilisieren konnte, tat er das auch.

»Zu so einer aufstrebenden Holztrulla«, antwortete Anne abfällig, während sie sich in den Feierabendverkehr einfädelte.

»Was ist bitte eine ›Holztrulla‹?«, hakte Luke verwundert nach.

Er war es gewohnt, dass die Menschen ihrer Zeit entsprechend eine merkwürdige Ausdrucksweise annahmen, aber er war, so Jupiter ihm beistand, noch lange nicht an die vielen Ausdrücke gewöhnt, die seine Kollegin regelmäßig vom Stapel ließ. Sie hatte ein ganzes Wörterbuch voll davon - in ihrem Kopf, wohlgemerkt.

»Das ist eine Frau, die glaubt, mit irgendwelchen hässlichen Holzgebilden den fetten Erfolgsdurchbruch haben zu können«, knurrte Anne wütend.

»Warum bist du so wütend auf die Holztrulla? Neidisch?«

»Ich bin nicht wütend auf die Holztrulla, und neidisch schon gar nicht. Ich kann nicht schnitzen. Will ich auch nicht. Ich bin wütend auf Jörg«, konterte Anne. »Und wenn du mir noch einmal Neid vorwirfst, kannst du mit der Bahn fahren.«

»Was hat der Chefredakteur mit der Holztrulla zu tun?«, lenkte Luke sie von der Idee ab, ihn wie einen Hund auf die Straße zu jagen.

Anne fuhr dem roten VW vor ihnen fast auf die Stoßstange. »Tust du so blöd oder bist du wirklich so blöd?«, pampte sie ihren Kollegen an.

»Zügele deine Zunge!«, sagte Luke und schluckte seinen Ärger hinunter, bevor sich seine Hand selbständig machte und einen Feuerball auf sie abschleuderte.

Er war ein stolzer Göttersohn!

Niemand durfte ihn beleidigen!

Niemals und zu keiner Zeit!

Fast ein wenig erschrocken zuckte Anne zurück. »Ist ja gut!« Sie setzte den Blinker und fädelte sich in der linken Spur ein. »Natürlich hat Jörg nix mit der Holztrulla zu tun«, platzte sie schließlich ungeduldig heraus. »Der Arsch schickt mir ständig Aktfotos.«

»Von der Holztrulla?« Nun war Luke doch etwas verwirrt.

Warum redeten menschliche Frauen so wahnsinnig kompliziert? Konnte Anne nicht einfach klipp und klar sagen, was sie wollte?

Manchmal hatte er das Gefühl, Frauen fuhren verbal mit dem neumodischen Fahrstuhl in den dritten Stock, um das hinunter zu brüllen, was sie eigentlich schon im ersten Stock hätten sagen können. Und dabei verdrehten sie ihre Sätze derart, dass kein Mann sie im ersten Stock mehr verstehen konnte.

Anne rollte mit den Augen. »Nee. Natürlich nicht. Von der gibt es keine Nacktaufnahmen. Schätze ich. Dafür bist du ja schließlich zuständig.«

Luke rümpfte die Nase. »Ich glaube, du missverstehst meinen Job. Ich bin Fotograf. Ich mache Bilder von Menschen für Tageszeitungen. Bilder von angezogenen Menschen. Ich bin kein Aktfotograf, oder wie ihr Menschen das nennt.«

Anne konzentrierte sich zu sehr auf den Verkehr, daher entging ihr Lukes Anspielung auf die Menschheit.

Über sein Gesicht huschte ein Grinsen, als er daran dachte, dass er vielleicht einer wunderschönen Nacktheit begegnen könnte.

Das waren tolle Aussichten an diesem verregneten Tag!

»Ich schätze, die Holztrulla wird angezogen sein. Mach dir also keine Sorgen!«, zerstörte Anne jegliche Hoffnung.

»Gegen eine nackte Frau hätte ich nichts einzuwenden gehabt«, murmelte Luke leise.

Beim Jupiter, wie lange war es her, dass er anständigen Sex gehabt hatte? Wie lange war es her, dass er die weiblichen Rundungen überhaupt hatte erkunden dürfen?

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor.

»Ich rede von Nacktfotos aus dem Internet. Schwarze Männer mit langen Schwänzen. Frauen, die ihren Chef verführen. Jörg schickt mir solche hässlichen Fotos, die er bei Google findet, um mich anzubaggern«, unterbrach Anne seine Gedanken jäh.

Luke zuckte zusammen. »Warum schickt er dir so etwas?

Was will er von dir? Er ist doch liiert.«

»Sex«, knurrte Anne noch einen Zacken ungeduldiger.

»Er will Sex«, wiederholte sie.

»Er will Sex? Mit DIR?« Geschockt betrachtete Luke seine Kollegin. Er hätte sie nicht einmal mit so einer neumodischen Kneifzange angefasst.

»Ist das so abwegig? Ich bin immerhin erst 28.«

»Ehrlich? So jung bist du?« Merkwürdig, dachte Luke, er hätte sie mindestens zehn bis fünfzehn Jahre älter eingeschätzt. Oder lag das daran, dass sie so furchtbar alterslose Klamotten trug, ihre Haare eine Katastrophe waren und ihr Gesicht vermutlich noch nie einen Make-up Pinsel gesehen hatte?

»Warum tut er das? Er hat doch eine Ehefrau.«

»Sehe ich genau so«, sagte Anne wieder eine Spur ruhiger. »Erkläre du es mir! Warum baggern Männer Frauen an?«

»Männer haben Triebe. Sie müssen ihre Gene verteilen.

Für Nachwuchs sorgen. Aber das dann doch bitte mit SCHÖNEN Frauen. Wenn du schön wärest oder zumindest reich, würde ich ihn ja verstehen. Aber so, wie du aussiehst, kannst du froh sein, wenn du überhaupt einen Mann abbekommst«, rutschte es Luke heraus, bevor er groß über seine Worte nachdenken konnte.

Anne trat abrupt auf die Bremse und würgte dabei den Motor ab.

Voller Entsetzen blickte sie ihren Kollegen an. »Würdest du das bitte wiederholen?«

»Ernsthaft?« Ungläubig schaute Luke sie an.

Anne nickte.

Luke witterte bereits den Rauschmiss und versuchte, seine Worte etwas abzuschwächen. »Ich schätze, die Menschheit würde aussterben, wenn du die letzte Frau wärest. Du bist nicht gerade das vorzeigwürdige Paradebeispiel einer Frau. Du bist eher etwas…ungewöhnlich«, redete er sich um Kopf und Kragen.

»Hast du einen Knall? Wie redest du eigentlich mit mir?

Ich bin doch nicht HÄSSLICH!« Brüskiert blitzte Anne ihn an - was sie nicht gerade schöner machte.

Luke betrachtete sie ehrlich und aufmerksam. »Um ehrlich zu sein, doch.«

Anne holte tief Luft.

Schnell hob Luke seine Hände. »Aber natürlich liegt Schönheit im Auge des Betrachters. Und wahre Schönheit kommt ja, wie wir alle wissen, von innen. Vielleicht findet der passende Mann ja bei dir die wahre Schönheit, wenn er lange genug sucht.«

»Raus!«

Luke saß wie vom Donner gerührt auf dem Beifahrersitz und rührte sich nicht. Der Regen prasselte noch immer hart gegen das Autodach.

»RAUS!«, brüllte Anne ein zweites Mal.

Luke schluckte.

Das letzte Mal, als man ihn verbannt hatte, war vor exakt dreitausend Jahren gewesen.

Was hatte er, beim Jupiter, denn dieses Mal bloß angestellt? Er hatte ihr nur die Wahrheit gesagt und ihr damit einen Gefallen getan. Das war für sie doch eher als Chance zu betrachten, etwas an ihrem Äußeren zu ändern. Andere waren vermutlich nicht so mutig, darum sah sie auch so aus, wie sie aussah, und war noch immer Single.

»Hätte ich dich anlügen sollen? So, wie alle Menschen, die du kennst?«, fragte Luke schließlich. »Wie du bereits sagtest, bist du immerhin schon 28 Jahre alt. Du hast noch immer keinen Mann. Nicht einmal einen Freund. Und das liegt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit daran, dass du dich hässlicher machst, als du bist. Du färbst deine Haare in den geschmacklosesten Farben; du trägst diese fruchtbar langen Ohrringe; deine Kleidung ist wie aus einem Haufen abgetragener, abgewetzter, bunter Reststoffmischungen zusammengenäht und dein Gesicht ist so farblos wie eine traurige Schaufensterpuppe, bei der sie vergessen haben, sie anzumalen. Wenn du nicht bald etwas aus dir machst, wirst du als einsame Greisin enden. Wie meine Vermieterin, Witwe Krummbein. Zeig mir den Mann, der so eine scheußliche Gestalt wie dich beglücken will! Ich würde dich nicht einmal im Dunkeln verführen wollen.«

Anne holte erneut tief Luft und heulte schließlich so unvermittelt los, dass Luke ganz unsicher wurde.

Wie ein gebrochener Staudamm purzelten die Tränen über Annes Wangen und rissen tatsächlich ein paar Wimperntuschenreste mit sich - bis eben war Luke nicht einmal bewusst gewesen, dass sie überhaupt angemalt war!

»Ich finde, es gibt genug verlogene Menschen auf diesem Erdball, die anderen nicht die Wahrheit sagen«, sagte Luke tonlos. »Und ich finde, du hast die Wahrheit verdient, damit du endlich mal was aus dir machen kannst.

Denn du bist klug und manchmal kannst du sogar nett sein.«

Plötzlich musste Anne lachen. Kopfschüttelnd startete sie den Motor wieder und lachte vor sich hin, während die ungeduldigen Autofahrer hinter ihnen bereits hupten.

»Ja, ja, ich fahr ja schon!« Sie schluckte. »Es gibt Dinge, lieber Luke, die sollte man einer Frau niemals an den Kopf werfen«, sagte sie, noch immer kichernd. Schniefend wischte sie sich die Tränen ab.

»Und das betrifft ihr Aussehen«, schlussfolgerte Luke.

Anne nickte. »Nicht nur das. Sage einer Frau niemals, dass sie hässlich ist oder gar schlecht im Bett. Oder dass sie einen zu dicken Körper hat…«

»Warum nicht? Eine Frau, die etwas mehr auf den Rippen hat, ist doch beim Sex viel besser anzupacken. Im Mittelalter wussten das die Herren der Schöpfung noch zu schätzen. Warum sollte man sich als Mann mit Knochengerüsten abgeben, die auseinanderbrechen, sobald man etwas härter zustößt? Was ist das für ein kranker Schlankheitswahn? Es reicht doch, wenn wir Männer schlank und durchtrainiert sind.«

Anne rümpfte die Nase. »Meinst du das ernst?«

»Natürlich! Im Mittelalter war es groß in Mode, dass Frauen, die etwas auf sich hielten, auch entsprechend gut genährt waren. Die Sportlichkeit ließ allerdings zwischen den Jahrhunderten auch beim Mann etwas zu wünschen übrig. Aber das hat sich ja, Athene sei Dank, in den letzten Jahren geändert.«

»Toll, dann hätte ich auch im Mittelalter keinen Mann abgekriegt. So dünn wie ich bin.«

»Stimmt«, pflichtete Luke ihr bei, zog bei ihrem merkwürdigen Seitenblick jedoch gleich den Kopf ein. »Du bist viel zu dünn, um ehrlich zu sein. Du solltest mehr essen!«

»Ich mag mich zufälligerweise so dünn.«

»Gut. Vielleicht erbarmt sich ja ein Mann und heiratet dich trotz deiner Knochen. Aber du solltest nicht zu lange warten. Männer heiraten ungerne Frauen mit grauen Haaren.«

Anne blies die Backen auf. »Mein lieber Scholli! Heute gibst du mir aber Breitseite, was? Hast du irgendein Wahrheitsserum getrunken? Oder habe ich dich mit irgendeiner Bemerkung verletzt, dass du es mir heimzahlen willst?«

»Nein, nicht, dass ich wüsste. Es ist alles in bester Ordnung. Du solltest dich freuen, dass sich Jörg für einen Seitensprung mit dir interessiert. Eine Affäre ist schließlich besser, als gar kein Sex.«

»Luke! Du bist unmöglich!«

»Ich sagte nur, dass du dich glücklich schätzen kannst, dass tatsächlich ein Mann in deinem Bett landen will.«

»Puh! Na, heute ist es nur gut, dass ICH die Holztrulla interviewe und nicht du! Am besten hältst du gleich vor Ort die Klappe. Sonst vergraulst du auch noch unsere Kundschaft.«

»Gut. Wenn du das wünscht.« Luke lächelte.

Er redete ohnehin nicht gerne so viel mit den Menschen vor Ort.

Wenige Minuten später erreichten sie den Schauplatz des Einsatzes: die Werkstatt der sogenannten ›Holztrulla‹.

Anne parkte den Wagen in einem kleinen Innenhof und stieg aus. Der Regen hatte aufgehört und so kamen sie trockenen Weges vom Auto zum Haus.

Ehrfürchtig bestaunte Luke die vielen, aufwendig aus Holz hergestellten Statuen, die den Innenhof zierten.

Vor einer blieb er stehen.

Sie zeigte seinen Vater.

Bei seinem Anblick war es ihm, als hätte er Jupiter erst gestern gesehen. »Beim Jupiter, er sieht aus wie echt!«, entfuhr es ihm.

»Dankeschön!«

Luke wirbelte herum und stand vor dem wohl schönsten Geschöpf, das das Universum je erschaffen haben mochte.

Ihre langen, dunkelbraunen Locken flossen über ihre zarten Schultern und wiesen dezent darauf hin, dass dieses weibliche Exemplar mit wohlgeformten Brüsten ausgestattet war, die jedem Mann das Herz höher schlagen ließen.

Unauffällig glitt sein Blick an ihr hinunter.

Sie hatte eine geschwungene Taille und einen starken Hintern. Gebärfreudig, hätte sein Vater gesagt. Genau richtig, um seine Gene zu verteilen. Ihre blauen Augen waren von sehr langen, dunkeln Wimpern umgeben und schwangen ihm den Duft von frischen Früchten entgegen. Sie war perfekt - wie ein Abbild von Aphrodite, der Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde.

»Stella Morgenstern?«, platzte Anne in den magischen Moment.

Die Wohlgestalt vor ihnen lächelte, wandte ihren Blick aber nicht von Luke ab. Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Richtig. So heiße ich. Dann sind Sie sicherlich die beiden Journalisten vom ›Blattsalat‹?«

»Er nicht«, knurrte Anne und deutete auf Luke. »Er ist bloß der Fotograf, dem man nicht zu nahe kommen sollte, weil er einem die Wahrheit unverblümt auf die Nase bindet.«

»Echt?« Interessiert musterte Stella Morgenstern den Fotografen. »Was denken Sie denn über meine Arbeit?«, fragte sie leise.

»Sie ist phantastisch«, erwiderte Luke, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Er machte sich augenblicklich größer, als er war, streckte seine Brust heraus und versuchte so, sein Gegenüber vor Anne abzuschirmen.

»Luke, wenn du so freundlich wärest…« Anne versuchte sich zwischen sie zu drängeln.

Luke ignorierte Annes Versuche und starrte der Künstlerin weiterhin ins Gesicht.

»Und was genau gefällt Ihnen an meiner Arbeit?«, bohrte die hübsche, kleine Göttin weiter.

»Sie ist erstaunlich präzise. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden getroffen, der meinen…Jupiter so exakt nachgebildet hat«, antwortete Luke.

Stella grinste. Dabei zog sich ihr Kussmund weit auseinander. Ihre Augen leuchteten stolz.

»Luke?«

Luke wollte nicht reagieren.

Warum nur war Anne so begriffsstutzig?

Der Moment war einfach zu einzigartig, um ihn sich von diesem missglückten Fall von Weiblichkeit verderben zu lassen. Er ignorierte Annes Unterbrechungsversuche also geflissentlich.

»Fotograf sind Sie?« Stella streckte ihre Hand aus. Luke ergriff sie nickend und widmete sich wieder ihren wunderschönen Augen, ihrem Spiegel zur Seele.

»Ja, er ist Fotograf. Das sagte ich doch bereits. Und es hat ihm offenbar die Sprache verschlagen, obwohl er sonst so ehrlich und direkt ist«, klärte Anne Stella auf. Sie hüpfte hoch, um ihm über die Schulter zu gucken, doch Luke drehte seiner Kollegin einfach den Rücken zu.

Stella lächelte. »Ich mag ehrliche und direkte Menschen.

Da weiß man immer, woran man ist. Hat der Herr Fotograf denn auch einen Nachnamen?« Sie riss sich von seinem Anblick - und seiner Hand - los und schaute Anne zum ersten Mal an.

»Er heißt Luke Kanton.«

Stella warf Luke einen koketten Blick zu, bei dem er sie noch vor dreitausend Jahren sofort auf sein göttliches Territorium eingeladen hätte, um sie mit seinen Verführungskünsten zu beglücken.

Aber leider waren sie hier nicht auf dem Berg der Götter und leider klebte Anne wie eine lästige Stubenfliege an ihnen.

»Er ist nur der Fotograf«, wiederholte Anne überflüssigerweise, als wäre ihr Kollege eine stinkende Schmeißfliege.

»Vielleicht könntest du aufhören, mich zu denunzieren?«, warf er Anne freundlich lächelnd an den Kopf.

Anne zuckte gleichgültig mit den Schultern.