Staatsanwalt sucht Polizist - N. Schwalbe - E-Book

Staatsanwalt sucht Polizist E-Book

N. Schwalbe

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Beschreibung

Marten, 29, ist Staatsanwalt und bis über beide Ohren in Nico, 29, Polizist, verliebt. Es könnte alles so schön und unkompliziert sein, wäre da nicht eine Tatsache, die die beiden Turteltauben zu Königskindern macht: Nico ist mit einer Frau liiert. Auf Anraten seiner besten Freunde Julia, 35, verheiratet, und Jürgen, 56, Richter, schwul, lässt Marten nicht locker und versucht, Nico zu bezirzen. Mit Erfolg!Doch das Liebesglück währt nicht lange, denn Nico möchte vor seinem dreißigsten Geburtstag unbedingt noch eines: Vater werden!Also schlägt sich Marten wieder als Single durchs Leben und versucht, seine große Liebe zu vergessen. Doch der Markt gibt kaum passable Männer her und schon gar keine, die es mit Nico aufnehmen könnten. Marten beginnt eine Karriere als Fernsehstaatsanwalt und trifft auf den Kameramann Steven. Doch die Beziehung soll nicht lange halten, denn plötzlich steht Nico wieder vor der Tür und setzt alles daran, Marten zurückzugewinnen.Marten ist überglücklich, als er mit Nico endlich zusammen sein kann, doch dann trifft er den scheinbar unscheinbaren Thorsten, ebenfalls Polizist, und plötzlich steht seine frisch reparierte Welt Kopf.

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N. Schwalbe

Himmelstürmer Verlag, part of Production House GmbH,

Kirchenweg 12, 20099 Hamburg

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected], Herbst 2009

E-book: Herbst 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

Coverfoto: © http://www.bussmann-design.de

Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus. 

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

Printausgabe: ISBN 978-3-940818-34-8

Kapitel 1

„Oh  Mann, ich habe echt keine Ahnung, welcher Name besser klingt. Wieso muss ich entscheiden, wie unser Familienname lauten soll? Lass uns ‘ne Münze werfen!“ Gedankenverloren starrte ich meinem Verlobten hinterher. Sein knackiger Arsch wackelte vor meiner Nase herum, während er in seinem Rucksack nach dem Portemonnaie suchte. Beim Anblick seiner blauen Hose musste ich unwillkürlich grinsen. Sie erinnerte mich an eine meiner ersten Gerichtsverhandlungen als Staatsanwalt.

*

„Herr Kruse …? Herr Staatsanwalt, können Sie mich hören?“ Warum mussten diese neuen Uniformen eigentlich so unverschämt gut aussehen? Egal, welcher Typ Mann in ihnen steckte, in der dunkelblauen Polizeiuniform sahen einfach alle unwiderstehlich sexy aus. Genau wie dieses Exemplar direkt vor meiner Nase. Wie hieß der Designer doch gleich? Verflixt nochmal, ich komm nicht drauf. Zu dumm aber auch, dass mein Superheld wieder vor die Tür geschickt wird. Der Richter will zuerst die Augenzeugin vernehmen.

„Äh, ja …wir können anfangen …“ ich hatte keine Ahnung, was Richter Gotthardt mich gefragt hatte, aber ich lehnte mich erst einmal entspannt zurück und wartete ab, bis er die Personalien unserer einzigen Augenzeugin festgestellt hatte. Dann sah er mich auffordernd an.

„Herr Staatsanwalt? ... Hallo, Herr Kruse …Sie sind heute irgendwie nicht anwesend, habe ich das Gefühl! Haben Sie Fragen an die Zeugin?“

Richter Gotthardt starrte mich immer noch an. Ich war mit meinen Gedanken bereits bei einem äußerst romantischen Techtelmechtel im nächsten Lokal um die Ecke. Ich musste unbedingt in der Akte nach seinem Namen gucken, damit ich auch wusste, wie ich ihn in meinen Träumen ansprechen sollte.

Was wollte Richter Gotthardt von mir wissen? Gott, ich musste mich wieder auf das Verhör konzentrieren.

„Äh …“, nervös raffte ich meine drei Blätter aus der Handakte zusammen, „also, äh … können Sie beschreiben, was der Täter zur Tatzeit anhatte?“

Ich hoffte sehr, dass sie noch keine Täterbeschreibung abgegeben hatte, denn ich hatte, entgegen meiner sonst so aufmerksamen Arbeitshaltung nicht ein Wort von ihrer Schilderung mitbekommen. Leise seufzend riss ich mich zusammen und hörte der Zeugin etwas aufmerksamer zu, wobei ich gelegentlich ein paar Herzen und Blumen auf meinen Schmierzettel malte, um die Zeit zu vertreiben. Eine geschlagene Stunde später quatschte diese unappetitlich dicke Frau immer noch und mein süßer Polizist wartete vor der Tür, anstatt mich mit seinem Anblick zu entzücken und seine Aussage zu machen. Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits halb vier. Das sah nach Vertagung aus. Na gut, beruhigte ich mich, dann sehe ich ihn wenigstens nächste Woche wieder. Auch nicht schlecht, so würde ich genügend Zeit haben, um mir eine Strategie auszudenken, wie ich ihn ansprechen konnte, ohne mich zu blamieren. Ich hatte zwar keinen Ring am Finger gesehen, aber ich wusste weder, ob er liiert, noch, ob er überhaupt an Männern interessiert war.

Richter Gotthardt zog wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. „Ich habe keine weiteren Fragen an die Zeugin, danke, Euer Ehren.“ Stirnrunzelnd legte Richter Gotthardt seine Unterlagen beiseite.

Ich glaube, heute erledigte ich meinen Job als Staatsdiener alles andere als gewissenhaft.

„Gut, Herr Kruse. Hat der Herr Verteidiger noch Fragen?“ Schwerfällig erhob sich mein Gegenüber.

„Ja, habe ich. Um wie viel Uhr waren Sie in der besagten Straße, Frau Schlichting? Das habe ich vorhin leider nicht genau verstanden.“

Die Zeugin rubbelte sich nachdenklich über ihre Steckdosennase. „Ich glaube, so um drei Uhr.“

„Und Sie sind sich sicher, dass Sie den Angeklagten am besagten Ort gesehen haben?“

Ängstlich schaute sich Miss Piggy um. Der Angeklagte erwiderte ihren Blick mit finsterer Miene. Die langen, strähnigen Haare fielen auf sein ausgeleiertes T-Shirt, während seine Hände auf der kaputtgerissenen Cordhose zu Fäusten geballt lagen.

„Äh, ja“, piepste Frau Schlichting und verzog ängstlich das Gesicht. Sie fühlte sich sichtbar unwohl zwischen dem Richter, dem Verteidiger und dem finster dreinschauenden Angeklagten.

„Keine weiteren Fragen“, stellte der Verteidiger fest und setzte sich.

Richter Gotthardt stellte fest, dass es für weitere Zeugenvernehmungen zu spät war und erklärte die Verhandlung für vertagt.

Ich sammelte meine Blätter ein, legte sie fein säuberlich in die Handakte und zog mir die schwarze Robe aus.

Als ich fünf Minuten später auf den Flur hinaustrat, war mein süßer Polizist leider schon weg. Richter Gotthardt hatte ihn bereits entlassen. Enttäuscht machte ich mich auf den Heimweg.

Nun hieß es noch eine ganze Woche abwarten und ein langes Wochenende im Kreise der Familie überstehen. Meine Schwester feierte ihren zweiunddreißigsten Geburtstag und die ganze Familie war eingeladen. Eigentlich besuchte ich meine Eltern gerne, aber zu Katjas Geburtstag sollten auch etliche Tanten und Onkel kommen, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Ich wusste genau, was mir blühte.

„Ach, Marten, mein Junge. Du bist aber groß geworden. Wo ist denn deine Frau? Hast du gar keine Kinder?“

Wie gruselig! Ich entschied mich, meine Akten mit nach Hause zu nehmen und Feierabend zu machen, ohne noch im Büro vorbeizuschauen. Für heute hatte ich genug getan. Außerdem würde ich mich sowieso nicht mehr konzentrieren können. Unvermittelt blieb ich stehen. Mir fiel ein, was ich während der Verhandlung eigentlich nachschlagen wollte.

„He, was soll das? Kannst du nicht aufpassen, Mann?“

Ein großer, bulliger Mann war in mich hineingeprallt und hatte mir dabei fast die Tasche aus der Hand geschlagen.

Ärgerlich schaute ich ihn an. Was musste der Typ auch so dicht auflaufen? Kopfschüttelnd entfernte er sich, während ich meine Tasche öffnete und die Handakte herauszog. Nervös blätterte ich sie durch, bis ich endlich auf den Polizeibericht stieß, auf dem sein Name stehen musste. Nico Krohninger …hm. Nett! Ich blickte auf. Nico hieß er also. Ich verstaute die Akte und lief zur nächsten U-Bahnstation. Eine halbe Stunde später war ich zu Hause und machte mir erst einmal einen heißen Cappuccino und eine Kleinigkeit zu essen.

*

Bereits um zwei Uhr am darauffolgenden Tag saß ich im Zug nach Wilhelmshaven, um meine Familie zu besuchen. Meine Freude hielt sich in Grenzen bei dem Gedanken, dass ich mir wieder anhören durfte, wie schade es doch sei, dass ich niemanden mitgebracht hatte, wo doch meine große Schwester Katja bereits einen Ehemann und zwei entzückende Kinder vorweisen konnte. Und jedes Mal rang ich mir ein schwaches Lächeln ab und vertröstete meine Eltern. Ich war halt ein vielbeschäftigter Mann. Dass es nicht so einfach war,denRichtigen zu finden, verschwieg ich.

Mein Vater wartete bereits am Bahnhof auf mich.

„Hallo, mein Sohn! Wie war die Fahrt?“ Er umarmte mich und klopfte mir auf die Schultern.

„Hallo Papa! Ruhig, wie immer. Ich habe ja immer zu tun, wie du weißt.“

Das war natürlich glattweg gelogen. Ich war so unkonzentriert, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Der bloße Gedanke an Nico hinterließ ein flaues Gefühl in meinem Magen, als hätte ich eine Achterbahnfahrt hinter mir und dazu noch ein Glas Wein zu viel getrunken. Also hatte ich meine Akten lieber gleich zu Hause gelassen und war mit einer kleinen Reisetasche und meinem MP3-Player bewaffnet losgefahren. Auf so einer Bahnfahrt konnte man seinen Träumen hervorragend freien Lauf lassen.

„Ach, Marten! Du arbeitest zu viel. Du solltest mal wiederausspannen und jemanden kennenlernen. Sieh dir deine Schwester an…“

Ich stöhnte innerlich auf. Jetzt kamdieLeier wieder.

„Ich weiß, Papa. Katja ist verheiratet, hat zwei süße Kinder und ein großes Haus. Demnächst kauft sie sich noch einen Hund und für die Kinder ein Meerschweinchen. Ach, Papa, ich bin halt nicht wie Katja. Außerdem bin ich ja noch jung ...“

Mein Vater nahm mir die kleine Reisetasche ab, als sei ich sechs Jahre alt.

„Papa, du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich bin neunundzwanzig Jahre alt, habe einen Beruf, der mir viel Spaß macht und irgendwann treffe ich auch den Richtigen …Und die Tasche kann ich übrigens auch alleine tragen.“

Mein Vater winkte ab und ging voraus. Für ihn werde ich wahrscheinlich immer noch der kleine Marten sein, wenn ich schon ergraut bin und am Stock laufe. Achselzuckend folgte ich ihm.

Wir stiegen in seinen neuen Audi A9 und fuhren zum Haus meiner Eltern. Meine Mutter freute sich riesig, mich zu sehen und ließ mich gar nicht wieder los.

„Ach, mein Schatz! Du kommst viel zu selten nach Hause. Du siehst gar nicht gut aus … du bist so blass! Bestimmt arbeitest du zu viel …“

Ich grinste meine Mutter an. „Wäre es dir lieber, ich wäre arbeitslos und hätte viel Zeit zum Vögeln?“

Meine Mutter schnappte nach Luft und drehte sich empört weg. Das Thema Sex war tabu im Hause Kruse. Mein Vater tat so, als hätte er nichts gehört und verließ den Flur.

„Hallo, Bruderherz! Da bist du ja.“ Meine Schwester kam aus dem Wohnzimmer und gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Hi, Katja! Alles okay?“

Katja lachte und warf ihren langen Pferdeschwanz über die Schulter. „Klar. Alles im Lot. Die Kinder sind gesund und fressen mir bald die Haare vom Kopf. Ich wäre wohl auch mal besser in den Staatsdienst gegangen. Als Anwältin mit zwei Kindern an der Backe und wenig Berufserfahrung kriegst du ja kaum einen Job. Von der Bezahlung rede ich besser erst gar nicht.“ Katja winkte lässig ab und ging in die Küche, um den Kuchen zu holen.

Ich begab mich ins Wohnzimmer und begrüßte meinen vierjährigen Neffen Jonas und seine zweijährige Schwester Josefine. Um den Kaffeetisch zu erreichen, musste ich die beiden an meiner nagelneuen Stoffhose mit zerren. Wie gut, dass Hugo so stabile Hosen schneidern ließ.

„Jonas, Fine, lasst Onkel Marten los, hört ihr!“ Mein Schwager gab mir schwungvoll die Hand, ließ sie aber ziemlich schnell wieder los.

Er war zwar immer nett und höflich zu mir, aber er erweckte regelmäßig den Eindruck, als hätte ich eine besonders ansteckende Krankheit, dabei war ich einfach nur schwul. Aber Thomas war vor vier Jahren der Einzige gewesen, der mit meinem Outing am Weihnachtsfest nicht viel anfangen konnte. Zugegeben, meine Eltern waren auch nicht gerade begeistert gewesen, aber ich glaube, mittlerweile haben sie sich damit abgefunden. Julia, eine sehr gute Freundin und ehemalige Kommilitonin von mir, sah das glücklicherweise etwas lockerer. Die Glückliche war mittlerweile mit einem Polizisten verheiratet und hatte das Volk um vier weitere Menschen bereichert. Übrigens bezaubernde Kinder. Als ich ihr verkündete, dass ich eigentlich mehr auf Männer stand, hatte sie kurz geschluckt, ihr Bedauern ausgesprochen und mir versichert, dass sei doch besser, als drogenabhängig oder kriminell zu sein. Nun gut, so konnte man die Sache natürlich auch betrachten.

„Junge, zieh doch deine Jacke aus. Ist doch viel zu warm hier.“ Meine Mutter zerrte an meiner Jacke und machte Anstalten, mir beim Ausziehen zu helfen.

„Mama! Danke, aber ich kann mich schon alleine ausziehen. Würdest du bitte aufhören, an mir herumzuziehen!“

Gerlinde Kruse, geborene Meienreich, von mir allerdings Mama genannt, stand mit hängenden Schultern vor mir und sah mir beim Ausziehen zu. Sie stand so verloren da, dass ich sie kurz umarmte und dann meiner Schwester in die Küche folgte. Unterwegs hängte ich meine Jacke an die Garderobe.

„So, Marten, nun schieß aber mal los! Du hast doch bestimmt jemanden kennengelernt. Das sehe ich dir an der Nasenspitze an.“ Meine Schwester blickte mir prüfend in die Augen. Ich grinste verlegen und stibitzte mir einen Kuchenkrümel von der Kuchenplatte.

„Ach, nö! Wie kommst du denn darauf?“

„Du hast dann so ein ganz bestimmtes Glitzern in den Augen. Ich kenne das. Es kommt mir vor, als sei ich in meinem vorherigen Leben frisch verliebt gewesen, dabei bin ich erst acht Jahre mit Thomas zusammen.“ Katja zuckte mit den Schultern und bediente sich ebenfalls von dem Kuchen.

„Was soll das nun wieder heißen? Ich dachte, alte Liebe rostet nicht. Du kennst doch Thomas schon seit der Schule.“

„Das ist es ja! Wir kennen uns schon aus Kindertagen. Ich hätte so gerne mal eine aufregende Abwechslung.“

„Warum probierst du dann nicht mal ‘ne Frau aus? Ich habe gehört, das ist der neueste Kick.“ Unverschämt griente ich meine Schwester an.

Entsetzt erwiderte sie meinen Blick. „Na also, ich weiß nicht, Marten. Ich glaube, ich bin anders gestrickt als du. Ich dachte eigentlich auch eher an irgendeinen rassigen Italiener oder von mir aus auch einen Griechen.“

„Du würdest niemals fremdgehen, Schwesterchen.“

„Stimmt!“, lachte Katja auf, „aber vorstellen kann ich es mir. Gedanklicher Ehebruch ist ja zum Glück nicht strafbar.“

„Praktizierter auch nicht. Das solltest du als Anwältin eigentlich wissen.“

„Weiß ich auch.“ Spielerisch kniff mir meine Schwester in die Wange.

Ich verdrehte die Augen. Das hatte sie früher immer schon gemacht und mich damit in den Wahnsinn getrieben.

„Ach, sieh mal einer an. Guck mal, die haben den Kinderschänder von letzter Woche gekriegt.“ Meine Schwester zeigte erstaunt auf den kleinen Küchenfernseher, den meine Mutter sich vor zwei Jahren zu Weihnachten gewünscht hatte, weil sie immer so viel in der Küche zu tun hatte und Ablenkung brauchte. Aber das war doch …

„Nico!“, rief ich überrascht aus und stürmte zum Bildschirm, um meinen Schwarm besser sehen zu können. Er war es tatsächlich. Zusammen mit seinem Kollegen, einem bulligen Riesen, führte er eine männliche Gestalt ab, die einen schwarzen Kapuzenpulli über den Kopf und das Gesicht gezogen hatte.

„So ein feiges Schwein!“, schimpfte Katja und stemmte sich entrüstet die Hände in die Hüften. „Erst vergreift er sich an demJungen und bringt ihn um und dann versteckt er sich vor den Kameras. Den sollten sie auf den Marktplatz stellen und ich wette mit dir, da gibt es einige, die gerne den ersten Stein werfen.“

„Katja!“ Meine Mutter hatte die Küche betreten und Katjas letzte Worte mitbekommen. „Wie redest du denn, Kind?“

„Ach Mama! Du würdest genauso denken, wenn eines deiner Kinder oder Enkelkinder betroffen wäre …“

„Wieso, wovon redet ihr?“ Gerlinde Kruse schnappte sich die frisch geschlagene Sahne von der Arbeitsplatte und ließ einen großen Löffel in die Schüssel gleiten.

„Von dem Kinderschänder aus Bremen, Mama“, antwortete ich.

„Ja, das ist wirklich eine schlimme Sache. Aber heute wollen wir uns nicht mit solchen Geschichten belasten. Katja, du hast Geburtstag, deine Tanten und Onkel warten im Wohnzimmer auf den Kuchen, kommt also mit und lasst uns etwas feiern.“ Entschlossen schob meine Mutter ihre Tochter nach draußen.

Widerwillig löste ich mich vom Fernseher und trabte hinterher. Ich ließ die blöden Sprüche meiner beiden Tanten und Onkel über mich ergehen und lächelte stumm. Dann setzte ich mich zwischen Jonas und Fine an den gedeckten Kaffeetisch.

„So, Marten. Du bist jetzt also Staatsanwalt“, fing Onkel Gerd an und strich sich über seinen dicken Bauch.

Seine Frau Gertrud schlug ihm gegen den Oberarm. „Ach, Gerd! Das weißt du doch…“

„Ja, ja …aber irgendwie muss ich doch anfangen, oder?“

Grimmig wandte sich Gerd von seiner Frau ab. „Und wie siehst du die Sache mit dem Kinderschänder? Diese ganzen schwulen Säcke …“

„Also, Gerd, wirklich!“, unterbrach ihn seine Frau erneut.

Unwirsch schob Gerd die Hand seiner Gattin beiseite. „Nee, lass nur! Diese Schwuchteln sind doch alle gleich! Sie vergreifen sich an kleinen Kindern und als wäre das nicht schon schlimm genug, bringen sie sie anschließend auch noch um.“ Gerd nahm seine Serviette und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war so aufgebracht, dass er innerhalb seiner kurzen Ansprache hochrot und patschnass geschwitzt war. „Also, Junge! Was sagst du dazu?“

Ich hatte gerade von meinem Marmorkuchen abgebissen und versuchte, mit gequältem Gesichtsausdruck, den trockenen Bissen hinunter zu schlucken.

Mitleidig reichte meine Mutter mir die Sahne, die ich dankend auf den Teller klatschte. Damit Onkel Gerd nicht glaubte, ich wolle mich vor einer Antwort drücken, fuchtelte ich schon mal geschäftig mit den Händen in der Luft herum und warf dabei Fines Saftglas um.

Meine Mutter sprang nervös auf und flitzte in die Küche. Sie kam mit ein paar Küchentüchern beladen zurück und entfernte die Schweinerei.

Meine Eltern, Katja und ihr Mann Thomas wussten natürlich, dass ich auch zu den eben so betitelten Schwuchteln gehörte und die Luft war so zum Zerreißen gespannt, dass ich aufstand und das Fenster öffnete, bevor ich zu einer Antwort ansetzte.

„Onkel Gerd“, begann ich und holte erst einmal tief Luft, „zuerst einmal sind Schwule nicht gleichbedeutend mit Pädophilen. Ich kenne keinen einzigen Mann, der auf Kinder steht und zweitens …“

„Ja, Marten“, unterbrach mich nun Tante Klarissa, die Schwester meines Vaters, „was kennst du denn für Männer? Etwa … diese … diese … Schw… na ja, ihr wisst schon, was ich meine…Ich meine, in deiner Position als Staatsanwalt!“

Alle starrten mich an, als wäre ich nackt zum Kaffeetrinken erschienen. Unsicher schaute ich zu meiner Mutter. Ich glaube kaum, dass es ihr recht wäre, wenn ich ausgerechnet jetzt beichtete, dass ich selbst schwul war.

„Ich sage nur Wowereit und Ole von Beust. Beides schwule Männer in gehobenen Positionen, sie sind immerhin Bürgermeister von Großstädten“, warf meine Schwester ein.

„Mama, was ist schwul?“ Mit großen Kinderaugen sah Jonas meine Schwester an und zog an ihrer Hand.

Katja öffnete den Mund, um ihm zu antworten, aber es kam nichts heraus. Ich fühlte mich gerade wie ein Außerirdischer mit einer ganz besonders seltenen Krankheit. Nur statt in der Mondklinik war ich auf dem falschen Planeten gelandet. Ich meine, wir schrieben das Jahr 2008, Homosexualität war gesellschaftlich anerkannt, oder etwa nicht? Na gut, wenn ich ehrlich war, konnte man sich seit den Siebzigern zwar mit einem anderen Mann an der Hand auf die Straße trauen, ohne ausgepeitschtzu werden, aber wirklich anerkannt war Homosexualität nicht. Mein Onkel gab das beste Beispiel ab.

„Also, was ist, Marten?“, hakte nun Georg, Klarissas Mann, nach.

„Nun lasst doch mal den Jungen in Ruhe“, schimpfte meine Mutter und fummelte nervös an ihrer Kaffeetasse herum.

„Ist schon gut, Mama“, versuchte ich sie zu beruhigen. „In meinem Beruf kenne ich natürlich alle möglichen Leute, auch Schwule und Lesben. In Hamburg ist das nichts Außergewöhnliches! Homosexualität ist kein Verbrechen, der Missbrauch von Kindern schon. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, Onkel Gerd! Es gibt sogar Gerüchte, dass die Hamburger Polizei überflutet ist mit homosexuellen Beamten.“

„Also nee, echt, Marten! Was erzählst du da für einen Quatsch. Das lass niemanden hören. Das könnte dich sonst deinen Job kosten.“ Onkel Georg griff stirnrunzelnd nach seiner Kaffeetasse. Vielleicht war es besser, das Thema zu wechseln.

Doch Jonas zog noch immer am Ärmel seiner Mama. „Mama!“

Thomas räusperte sich. „Jonas, das ist Erwachsenenkram und du bist jetzt still und isst deine Kekse.“

Dankbar lächelte Katja ihn an.

„Soll der Junge etwa blöd sterben? Sagt im ruhig, dass es so abartige Gesellen unter den Menschen gibt, dir ihr Ding in den Po von ihren Artgenossen stecken.“ Onkel Gerd griff nach seiner Serviette und schnäuzte sich damit die Nase. Entsetzt reichte Gerlinde ihm ein Taschentuch. Das steckte er nickend in seine graue Stoffhose, ohne es zu benutzen. Es herrschte Totenstille im Raum.

„Was sind Artgenossen, Papa?“, fragte Jonas weiter.

„Menschen, mein Schatz.“ Liebevoll strich Thomas über den Kopf seines Sohnes.

„Und welches Ding stecken sie in den Po?“

Ich erhob mich mit hochrotem Kopf und verließ den Raum. Ich wusste ja, dass meine Familie recht verstaubt war, aber einen solchen Gesprächsverlauf hatte ich nicht erwartet. Ich lief die Treppe hinauf in mein Zimmer und holte Katjas Geschenk aus der Reisetasche. Es war ein antiquarischer Kommentar für Strafrecht, den sie schon seit Jahren suchte. Ich hatte ihnirgendwann beim Stöbern in der Grindelallee an der Uni gefunden und gleich zugeschlagen. Langsam schlich ich die Treppe wieder hinunter und betrat das Wohnzimmer. Meine Mutter füllte gerade jedem ein Stück Geburtstagstorte auf den Teller und setzte sich wieder neben meinen Vater.

„Ah, da bist du ja, Junge! Musstest wohl mal für echte Männer, was?“, tönte Onkel Georg und schlug sich lachend auf die dicken Schenkel.

Ich lächelte ihn an und unterdrückte meinen inneren Impuls, ihn mit ein paar schwulen Handbewegungen zu überraschen und zu offenbaren, dass auch ich zu den Aussätzigen gehörte. Stattdessen ging ich zu Katja und legte ihr das Geschenk auf den Schoß. Dankbar nahm sie es und packte es aus. Als sie es erkannte, sprang sie überrascht auf und fiel mir um den Hals.

„Oh, Bruderherz! Wo hast du den denn gefunden? Wahnsinn! Seit Jahren suche ich schon nach diesem Kommentar.“

Ich schmunzelte, stolz über meinen Fund und trank meinen Kaffee aus. Sofort war das Gespräch wieder im Gange. Meine Mutter bemühte sich, allgemeine Themen wie Kinder, Kindergarten, Schulbildung, Blumen, Altersversorgung und ähnliches in die Runde zu werfen, und so entkam ich weiteren peinlichen Fragen und Äußerungen meiner Verwandten.

Nach dem Abendessen verabschiedeten sie sich und ich konnte mich aufatmend zurücklehnen. Katja brachte die Kinder ins Bett und kam eine halbe Stunde später wieder hinunter. Wir öffneten zwei Flaschen von dem Rotwein, den ich mitgebracht hatte und genossen die Ruhe. Meine Mutter werkelte in der Küche herum und mein Vater holte sich seine Flasche Bier aus dem Keller. Thomas leistete ihm Gesellschaft, denn ein ganzer Kerl trank natürlich Bier und keinen Wein. Egal, was ich tat, er machte es anders. Wahrscheinlich hatte er Angst, meine sexuellen Neigungen könnten sonst auf ihn überspringen. Alles in allem war der Abend aber sehr entspannt.

*

Am Samstag fuhren wir an die Nordseeküste und ließen uns den Wind um die Nase wehen. Ich sammelte mit meinem Neffen und meiner Nichte schöne Muscheln und Steine und dachte immer wieder an Nico. Ich hatte mir überlegt, ihn nach einer Probefahrt in seiner Nachtschicht zu fragen. Das war unverfänglich und vielleicht eine Möglichkeit, um mit ihm ins Gespräch zu kommen.

*

Es war Donnerstagmorgen, acht Uhr dreißig. Ich betrat das Gerichtsgebäude und sah Nico bereits im Flur stehen und warten. Er trug wieder seine Uniform und sah einfach umwerfend aus. Neben ihm stand sein Kollege. Ich grüßte die beiden und betrat den Gerichtssaal. Richter Gotthard war schon da und quatschte gerade mit der Gerichtsschreiberin. Ich packte meine Tasche auf den Tisch und zog mir die schwarze Robe über. Meine Hände zitterten ein wenig, ich war wahnsinnig nervös. Sollte ich ihn wirklich ansprechen? Ach, Mensch, Marten, deine Frage ist dermaßen unverfänglich, dass gar nichts passieren konnte. Jetzt oder nie.

Ich lief wieder auf den Flur hinaus und sah Nico alleine dort stehen. Sein Kollege war offenbar mal austreten.

„Hallo!“ Unsicher näherte ich mich ihm. Er blickte auf und grüßte zurück.

„Moin, moin!“

„Ich wollte mal fragen, ob ich nicht mal bei ein paar Einsätzen dabei sein kann. Vielleicht in einer Nachtschicht?“

Nico, also Polizeimeister Krohninger, sah mich verwundert an. Er musste mich wirklich für verrückt halten. Ein Staatsanwalt, der Streife fahren wollte.

„Oh … ähm … soweit ich weiß, ist das gar kein Problem. Sie können zum Beispiel morgen Nacht mitfahren. Fragen Sie einfach bei der Dienststelle nach. Davidswache, PK 15. Ich bin sicher, dass das geht.“

Ich nickte zufrieden. „Super, dann rufe ich gleich heute an.“

Sein Kollege tauchte auf. Mein Mut, das Gespräch fortzusetzen, flitzte um die Ecke und ließ mich schmählich stehen. Also bedankte ich mich und ging wieder in den Gerichtssaal zurück. Das war ja gar nicht so schlecht gelaufen, aber ich hätte mich gerne länger mit ihm unterhalten.

Zehn Minuten später war die Verhandlung wieder voll im Gange und ich konnte meinen Zeugen aufrufen.

„Ich rufe Polizeimeister Nico Krohninger in den Zeugenstand.“

Die Gerichtsschreiberin sprach durch ein kleines Mikrofon und innerhalb der nächsten Sekunden wurde die Tür geöffnet. Ein Windstoß fegte meine Blätter vom Tisch, so dass ich das Hereinkommen von Nico nur mit halber Aufmerksamkeit beobachten konnte. Während ich unter dem Tisch meine Papiere einsammelte, sah ich, wie er in seiner maßgeschneiderten, dunkelblauen Uniform auf einem der beiden Stühle in der Mitte des Raumes Platz nahm. Er trug schwarze Schnürschuhe, die auf Hochglanz poliert waren. Als ich wieder auftauchte, war ich puterrot angelaufen und musste erst einmal meine Gedanken sortieren und die weiße Krawatte zurechtrücken. Vorsorglich hatte ich mir ein paar Fragen notiert, die ich beiden Polizisten stellen wollte. Ich wühlte zwischen den losen Blättern herum, bis ich meine Notizen endlich gefunden hatte. Nico sah mich dabei die ganze Zeit aufmerksam an. Gott, sein Blick ging mir durch und durch. Ich musste mich wirklich anstrengen, um mich zu konzentrieren.

„Also, … Ni … ähm“, ich hustete leicht, um meinen Versprecher zu vertuschen, „Herr Krohninger, bitte schildern Sie den Tathergang aus Ihrer Sicht. Laut Ihrer polizeilichen Aussage … also, ich meinte, laut Ihres Polizeiberichts, waren Sie und Ihr Kollege zufällig am Tatort anwesend. Ist das richtig?“

Nico nickte und begann zu erzählen. Alles, was er mir zu dem Raubüberfall sagen konnte, war kaum aussagekräftig. Er hatte den Täter nicht bei der Tatausführung gesehen, sondern erst hinterher. Ich stöhnte. Ich konnte seine Aussage kaum verwerten. Als er geendet hatte, sah mich Richter Gotthardt fragend an. Ich überflog meinen Zettel, doch meine Fragen waren alle schon beantwortet, stellte ich mit großem Bedauern fest.

„Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.“

Richter Gotthardt drehte seinen Kopf zur linken Seite.„Herr Verteidiger! Haben Sie noch Fragen an den Zeugen?“

Mein unsympathischer Anwaltskollege strich sich über den dicken Bierbauch und schüttelte den Kopf.

„Gut, Herr Krohninger, dann sind Sie entlassen. Vielen Dank für Ihre Aussage.“ Richter Gotthardt nickte Nico zu, der sich daraufhin mit einem kurzen Seitenblick auf mich erhob und den Gerichtssaal verließ.

Mir wurde das Herz ganz schwer. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass er morgen Nacht auch auf der Wache war und ich mit ihm Streife fahren konnte.

*

Alles in allem war es ein frustrierender Donnerstag. Ich hatte Nico nur ganze zwanzig Minuten bewundern können und Richter Gotthardt sprach den Angeklagten frei, obwohl ich fünf Monate auf Bewährung gefordert hatte. Und wieder lief ein potentieller Räuber draußen herum. Manchmal machte mir mein Job wirklich keinen Spaß. Auf dem Nachhauseweg klingelte mein Handy. Eigentlich mochte ich diese modernen Dinger gar nicht, aber vor wenigen Monaten hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit war, mir ebenfalls eines anschaffen zu müssen, um erreichbar zu sein. Mittlerweile machte es mir sogar Spaß und ich verschickte viele SMS Nachrichten.

„Jürgen! Hi, wie geht’s dir?“

Jürgen war siebenundfünfzig, Richter und stockschwul. Er hatte noch nie mit einer Frau geschlafen, geschweige denn auch nur einen Gedanken daran verschwendet. Im Gegensatz zu mir. Ich konnte zumindest eine fast zweijährige Beziehung mit Miriam vorweisen. Allerdings machte mir die Zeit mir ihr ziemlich schnell deutlich, dass Frauen nicht zu meinen Vorlieben zählten.

„Marten, du hast hoffentlich nicht meine Geburtstagsfeier am Samstag vergessen. Ich habe ein paar Leute eingeladen. Du kommst doch, oder?“

„Klar, Jürgen. Soll ich etwas früher kommen und dir bei den Vorbereitungen helfen?“

„Das wäre echt super. Deine Freundin Julia hatte letztesMal so ein wahnsinnig leckeres Rezept für eine Salatsoße. Vielleicht kannst du sie nochmal danach fragen?“

„Mache ich. Ich bin dann um sieben Uhr bei dir, okay?“

„Schön, ich freue mich, Marten.“

„Ja, ich mich auch. Bis Samstag.“

Den Rest der öden U-Bahnfahrt verbrachte ich mit einem Grinsen im Gesicht. Jürgen war mir im Laufe der letzten Jahre ein richtig guter Freund geworden. Sexuell waren wir uns nicht näher gekommen, er stand nur auf dunkelhaarige und ich war blond. Obwohl ich zwischendurch den Eindruck hatte, dass er was von mir wollte. Er war mittlerweile so eine Art Mentor für mich. Bevor ich ihn kannte, hatte ich kaum Kontakt zu Homosexuellen. Klar, so hier und da traf ich mal einen Gleichgesinnten, aber ich bin nie richtig in die Szene eingetaucht. Und ehrlich gesagt, zähle ich mich doch eher zu denMännernunter den Schwulen und nicht zu den tuffigen Damen. Jürgen dagegen stand total auf Männer, die eigentlich mehr an affektierte Frauen erinnerten.

*

Am Samstagmorgen kam ich völlig gerädert von meiner ersten Nachschicht am PK 15 in St. Pauli. Herr im Himmel, wie steht man solche Nächte bloß durch, fragte ich mich. Ich hatte einen vierundzwanzig-Stunden-Tag hinter mir und konnte kaum noch die Augen offenhalten. Ich verschlief den ganzen Samstag und quälte mich am Abend um achtzehn Uhr aus dem Bett. Nach einer kurzen Dusche fühlte ich mich gleich wieder etwas menschlicher und rief noch schnell bei Julia an. Bereits beim zweiten Klingeln war sie dran. Wie gut war es doch, eine Freundin zu haben, die das Haus voller Kinder hatte. So konnte man sich sicher sein, dass sie zur Abendbrotzeit zu Hause erreichbar war, um die kleinen Monster abzufüttern.

„Hey Marten, was gibt’s? Was verschlägt dich am Samstagabend ans Telefon? Ich gehöre doch gar nicht zu deiner Zielgruppe.“

Julia lachte. Im Hintergrund hörte ich das Quieken von Marie, ihrer einjährigen Tochter. Sie liebte es zu telefonieren und wurde wahnsinnig, wenn sie den Hörer nicht bekam.

„Hallo Julia!“ Weiter kam ich nicht. Der Hörer wurde weitergereicht.

„Du bist jetzt auf Lautsprecher, Marten! Marie will ‚hallo‘ sagen …Sag malhallo, Schätzchen!“

Außer einem leisen „Öh … öh …“ war nichts zu hören.

„Mama, wer ist das?“ Das musste Niko sein, ihr ältester Sohn.

„Das ist Marten, Niko. Aber nun wollen wir seine Zeit nicht unnötig strapazieren. Marten hat sicherlich einen Grund, warum er am heiligen Singlesamstag anruft.“

„Was ist ein heiliger Singlesamstag, Mama?“, ertönte es aus einer anderen Ecke des Zimmers.

Toll, das war genau das, was ich von meiner verheirateten, vierfachen Mutter-Freundin hören wollte. Ich räusperte mich.

„Kannst du mich hören, Julia? Ich brauche das leckere Tomatenrezept von dir. Den Salat, den du letztes Mal gemacht hast. Weißt du, welches ich meine?“

„Klar, weiß ich das, Marten. Hast du was zum Schreiben?“