Körpertausch - N. Schwalbe - E-Book

Körpertausch E-Book

N. Schwalbe

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Beschreibung

Lea Hasenfleck hat eigentlich alles zum Leben, was man braucht: Einen Ehemann, zwei gesunde Kinder, ein Haus und einen langweiligen Teilzeitjob. Trotz Hamsterrad des Lebens hat sie allerdings noch etwas ganz anderes: zu viel Speck auf den Rippen. Und obwohl sie sich dafür schämt, hat sie weder Zeit noch Disziplin, ein paar Pfunde abzutrainieren. Maja-Lena Marie hat fast alles, was sie zum Leben braucht: Einen heißen Verlobten, einen traumhaften Körper und mit ihrer Firma Modetipp ist sie einer der erfolgreichsten Online-Versandhändler der Neuzeit. Doch was passiert, wenn sich zwei so ungleiche Frauen begegnen und plötzlich den Körper tauschen? Eine romantische, ehrliche und erotische Komödie zum Thema Körperideale.

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Inhaltsverzeichnis

Dämonische Geschenke

Verarscht

Geist der Freiheit

Körpertausch

Der Schmetterling

Was für ein Polizist!

Die Liebeshöhle unterm Himmel

Generalüberholung

Holde Dünenfee

Der Frischefreund.

Der Dämon der Rache

Fehlversuch

Endlich!

Wundermittel Auszeit

Dämonische Geschenke

Wumm.

Mit einem lauten Krachen landete der Diätratgeber im Mülleimer inmitten der Gulaschsoße.

Frustriert warf Lea Hasenfleck den Mülleimerdeckel zu.

»Blöde Diät. Die hat überhaupt nichts bewirkt. Genauso wie die anderen. Im Gegenteil, ich fühle mich nach jeder Diät dicker als vorher.« Genervt öffnete sie ihre Strickjacke, die am Bauch unangenehm spannte. »Ich möchte wissen, wer diese Jacke zu heiß gewaschen hat.

In dem Ding fühle ich mich wie ein fetter Brummer in einer Zwangsjacke.«

»Das haben Diäten so an sich, Schätzchen. Und Waschmaschinen kann man einfach nicht trauen. Wusstest du das nicht?« Fragend blickte Hanna sie an.

»Nee. Bisher hatte ich immer den ›Dämon der Rache‹ in Verdacht.« Missmutig ging Lea in den Flur und stellte sich vor den mannshohen Spiegel.

Abschätzend musterte sie ihre Figur.

»Was hat DER mit deiner Waschmaschine zu tun?«, fragte Hanna, die ihr gefolgt war.

Lea grunzte.

Sie hatte im letzten Winter einfach zu viel Winterspeck angefuttert und ihre Klamotten waren eine mittlere Katastrophe.

Verwaschen, ausgeleiert oder zu eng.

Sie sollte dringend zehn bis fünfzehn Kilo abnehmen, auch wenn das an ihrem zerrupften Bauch nichts ändern würde, denn der zeigte etliche Risse, die irreparabel waren - ein Überbleibsel zweier Schwangerschaften.

Taille war kaum noch zu erkennen, stattdessen tummelte sich ein unangenehm aufdringlicher Schwimmring um ihre Hüften.

»Der ›Dämon der Rache‹ ist sauer, weil ich immer alles hinunterschlucke. Darum lässt er meine Kleidung schrumpfen«, erwiderte Lea.

Hanna lachte leise.

»Eigentlich ist das furchtbar traurig«, sagte Lea mit einem schiefen Grinsen.

So oft sie sich in den letzten Monaten vorgenommen hatte, ganz diszipliniert zu essen und Diät zu halten, so oft war sie auch an dem Versuch gescheitert.

Spätestens wenn die Familie beim Abendessen gemütlich zusammensaß und die Kinder nach Nudeln, Pizza oder Pommes schrien, konnte sie nicht an einer öden Möhre knabbern oder sich mit einem schnöden Joghurt zufriedengeben.

»Bestell dir doch was bei Modetipp«, schlug Hanna vor.

»Über die schicken Sommerkleider bei Modetipp, die wir in der Modezeitschrift gesehen haben, brauche ich gar nicht erst nachzudenken. Darin würde ich nur aussehen wie ein Nilpferd bei einem gescheiterten Modeversuch«, erwiderte Lea.

»Dann bestell dir was bei Karl! Die haben neuerdings eine XL-Linie für moppelige Frauen.«

»Bist du verrückt? Bei Karl müssen alle Kunden ab Konfektionsgröße 40 draufzahlen. Und dann auch noch XL-Klamotten! Da fühle ich mich ja noch dicker!«

»Du hast Recht! Man sollte das System von Karl gar nicht erst unterstützen. Schließlich sind die Hungerhaken schon durch ihre tolle Figur belohnt. Und wir Dicke bekommen mit den teureren großen Größen eine Zusatzstrafe aufgebrummt.«

»Siehst du, der ›Geist der Vernunft‹ hat auch dich bekehrt«, feixte Lea.

»Von wegen! Ich habe mir ein richtig teures Teil gekauft. Kauf dir doch auch mal ein schickes Designerteil! Nur für dich entworfen«, bohrte Hanna unbeirrt weiter.

»Die Designerbranche ist leider kein Deut besser. Sie produziert Kleider nur bis Konfektionsgröße 38 und straft damit jede Frau ab, die es wagt, undiszipliniert Brot, Eiskrem, Pommes und Steaks zu essen, und zwar dann, wenn man Hunger oder Appetit darauf hat und nicht dann, wenn der Diätplan es zulässt.«

»Bekannte Designer entwerfen keine Kleidung in großen Größen?«, fragte Hanna perplex.

»Nee. Außerdem gehöre ich zu den Normalsterblichen, die das nicht bezahlen könnten«, murrte Lea. »Ich habe mittlerweile eine gute 44. Damit falle ich aus der Norm, der von der Werbeindustrie und Modebranche gewollten Idealfrau.« Sie war echt angenervt von der Auswahl ihrer verbliebenen Wäschestücke.

»Erst gestern hat mir die Verkäuferin in der Kette der Billigboutiquen das schöne Sommerkleid für den schmalen Geldbeutel nicht verkaufen können, weil meine Größe ausverkauft war«, erzählte Lea. »AUS-VERKAUFT! DAS beweist jawohl, dass ich STAN-DARDmaße habe, obwohl ich NICHT dünn bin. UND dass ich mich EIGENTLICH NICHT dafür schämen musste.«

»Nee, musst du nicht. So ein Quatsch!«

Lea tat es trotzdem.

Oft lief sie durch die Straßen und hoffte, niemand würde auf ihren schwabbligen Bauch achten. Meistens zwängte sie sich dann – auch an heißen Tagen – in eine viel zu warme Jacke, um ihre überflüssigen Pfunde zu kaschieren.

Nein, dick sein, machte keinen Spaß und jeder, der das Gegenteil behauptete, war ein Lügner. Mit jedem Gramm, das sie zunahm, fühlte sie sich unwohler.

»Ob sich dicke Männer eigentlich auch so unwohl fühlen?«, überlegte Lea laut.

Hanna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wenn man sie darauf anspricht, kommen ja nur so dumme Sprüche wie ›Ein Mann ohne Bauch ist wie ein Haus ohne Balkon‹. Oder neulich meinte einer in der Kneipe ›Ein Mann ohne Bauch ist wie eine Frau ohne Titten‹.«

»Nee, oder? Woher nehmen die nur dieses Selbstbewusstsein? Unglaublich!«

»Vom ›Geist des Selbstbewusstseins‹.«

»Der olle Geist ist mir irgendwie abhanden gekommen.«

»Vielleicht ist auch alles nur schauspielerisches Talent«, mutmaßte Hanna. »Die überspielen ihre Unsicherheit einfach mit blöden Kommentaren. Mir kann kein Mann etwas vormachen. Jeder Mensch, der dick ist, hat Komplexe. Man redet sich seine Körpermassen lediglich schön. Sieh mich an! Ich bin das beste Beispiel. Ich tue auch nur so, als würde ich mein Übergewicht toll finden.« Hanna warf ihre Locken über die Schulter und wackelte kokett mit den Hüften.

»Das gelingt dir ziemlich gut.«

»Ich weiß.«

»Wusstest du, dass die italienische Mode eine andere Konfektionsberechnung hat?«, fragte Lea plötzlich.

»Schätzchen, italienische Mode probiere ich gar nicht erst an. Für die Italiener ist ja eine europäische Größe 40 gleich eine XXXL. Was müsste ich dann tragen?

Eine zehnfache XL für Blauwale?« Hanna lachte pikiert.

»Manchmal wünschte ich mir, ich könnte die Zeit einfach zurückdrehen und noch einmal dort ansetzen, wo ich noch schlank und rank war«, sagte Lea, »zu dumm, dass noch keiner Zeitmaschinen erfunden hat. Das wäre momentan die einfachste Lösung. Einfach zum Tag X beamen lassen und von da an diszipliniert leben. Und auf Genuss verzichten.«

Hanna grinste. »Ich wäre die erste Zeitreisende, glaube mir. Vorausgesetzt, ich würde in die Maschine passen.

Aber verzichtet man wirklich auf Genuss?«

»Wahrscheinlich nicht! Ach, Mann, nennen wir das Kind doch beim Namen: Ich bin einfach zu dick. Ich LIEBE das Essen. Ich kann an keinem Kuchen vorbeilaufen und Grillstände mit Currywurst sind mein Tod.«

»Blödsinn! Schau dich doch mal um! Normale Frauen von heute sind keine Hungerhaken. Sie sind eben NORMAL. Normal dünn bis normal dick und irgendwo dazwischen bist du, Lea.«

»Ich habe nicht einmal eine Schenkellücke. Diese blöde Lücke würde ich nicht einmal bekommen, wenn ich mich zu Tode hungern würde. Mein Knochenbau gibt ein solches Körperideal gar nicht her«, beschwerte sich Lea.

»Süße, ich habe es längst aufgegeben, in den Spiegel zu gucken. Diejenigen, die so dünn sind, dass sie ihre ›Schenkellücke‹ präsentieren können, hungern sich meistens mit drei Salatblättern ab oder lutschen den lieben langen Tag auf einem Bonbon herum. Unter Inkaufnahme schlechter Laune, denn Hungern macht ja bekanntlich unglücklich. Willst du wirklich zu DEN Leuten gehören?«

»Äußerlich schon.«

»Ich habe mich mit meiner Größe 48 arrangiert. Und wenn ich mein Gewicht wieder einmal nicht halten kann, kaufe ich mir einfach neue Klamotten«, winkte Hanna ab.

»Du hast Nerven! Shoppen gehen, wenn die Hose zwackt. Mein Mann würde mir was husten.«

»Ach was! Komm, lass uns shoppen gehen!«

Lea drehte sich um und schnitt eine Grimasse. »Bist du verrückt geworden? Bei den hässlichen Neonlichtern in der Umkleidekabine fühle ich mich wie ein fetter, blasser Vampir, der seinen Zenit überschritten hat. Außerdem war ich gerade erst gestern erfolglos unterwegs.«

Hanna lachte. »Du bist unmöglich. Wo ist nur dein Selbstwertgefühl geblieben?«

Lea dachte einen Augenblick darüber nach.

Ja, wo war eigentlich ihr Selbstwertgefühl hin?

»Ich schätze, das habe ich vor ein paar Jahren im Kreissaal abgegeben. Meistbietend verkauft an den ›Dämon der Kinderfreude‹.«

Hanna rümpfte die Nase.

Hanna Ebenholz war Leas beste Freundin und mit ihren 40 ½ Jahren ganze fünf Jahre älter als Lea. Sie hatte mindestens dreißig Kilo zu viel auf den Rippen - und am Hintern - und verteidigte jedes einzelne Gramm wie eine Löwin.

Hanna war kinderlos und wohl die selbstbewussteste Frau der Welt. Sie strahlte einen Frohsinn aus, der beneidenswert war. Und das Verrückteste an der ganzen Sache war, ihr lagen die Männer zu Füßen.

Zumindest die meisten.

Die wollten gar keinen Hungerhaken haben, an dem man sich beim Sex an jeder Ecke stieß. Die wollten ein korpulentes, rassiges, und vor allem humorvolles Vollweib.

Die wollten Hanna.

»Der ›Dämon der Kinderfreude‹? Was hat er dir dafür geboten?«, hakte Hanna lachend nach.

»Mutterglück.«

»Das klingt aber nicht verlockend. Ich weiß schon, warum ich kein Familienmensch geworden bin. Als Frau bist du doch der Arsch für alle und opferst dein ganzes ›Ich‹ für die Familie auf. Und was bekommst du dafür? Burnout und Falten, während die Herren der Schöpfung sogar noch mit grauen Haaren immer attraktiver werden.«

»Du meinst, Männer sind wie Wein, je reifer, desto leckerer und Frauen sind wie Weintrauben?«

»Weintrauben?«

»Ja. Je älter, desto schrumpeliger. Das muss man mögen.«

Hanna zeigte mit dem Finger auf Lea. »Genau!« Sie reichte ihrer Freundin ein blaues Shirt. »Apropos, Weintraube, probiere das an, du Träubchen in spe! Es ist mir zu klein geworden.«

Lea nahm es und hielt es sich vor den Körper. »Meinst du, die Farbe steht mir?«

»Es ist ein wunderschönes Blau. Und wenn du nicht weiterhin wie eine graue Kirchenmaus durch die Gegend laufen und von allen hippen Müttern in der Schule schief angeguckt werden willst, solltest du es anziehen«, sagte Hanna. »Gott, ich hätte vor zwanzig Jahren mit dem Rauchen anfangen sollen, dann wäre ich jetzt wenigstens schlank. Und ich habe keine Ausrede. Du hast ja wenigstens zwei Kinder«, fügte sie mit einem kritischen Blick auf die Familienbilder im Flur hinzu.

Lea zog sich das blaue Shirt über und staunte. Es saß wie angegossen und stand ihr ausgezeichnet.

»Wow! Du siehst klasse aus«, lobte Hanna. »Aber der ›Dämon der Kinderfreude‹ scheint dir doch mehr Geschenke mitgebracht zu haben als Mutterglück, Burnout und Falten.«

»Wirklich? Was denn?«

»Geweberisse in der Bikinizone.«

»Stimmt.« Missmutig kniff sich Lea in den Bauchspeck. »Einen Bikini kann ich nicht mehr tragen.«

»Kein Problem, Süße! Bikinis werden ohnehin überbewertet. Ich sage ja immer, mehr ist weniger.« Hanna lachte leise, dann wurde sie wieder ernst. »Also, das Blau steht dir ganz ausgezeichnet. Ich wusste schon, weshalb ich es dir mitgebracht habe. Du solltest öfters Blau tragen. Schmeiß deine grauen T-Shirts weg! Kauf den Mist erst gar nicht mehr!«

Lea grunzte leise. »Du wirst es kaum glauben, aber meine T-Shirts waren tatsächlich mal BUNT. Um Zeit zu sparen, habe ich sie stets mit den Sachen der Kinder gewaschen. Im Laufe der Zeit sind sie einfach grau geworden und haben vermutlich auf mich abgefärbt.«

Hanna schüttelte den Kopf. »Süße, du läufst herum wie ein weiblicher Harry Potter, der von den Weasleys mit hässlichen, grauen Sachen abgespeist wurde.«

»Ich packe sie in die Altkleidersammlung.«

»Du solltest sie wegwerfen, sonst laufen noch mehr graue Mäuse durch die Stadt.« Hanna zog einen Schokoriegel aus der Tasche und biss hungrig hinein. »Oder am besten verbrennst du sie gleich. Ich nehme dich mit in den Harz. Zum Hexentanzplatz. Die Hexen freuen sich über Zunder im Lagerfeuer.« Hanna schob Lea in Richtung Haustür. »So, und nun fahren wir in die Stadt.

Energie tanken. Ich kenne ein paar Boutiquen, die sind echte Geheimtipps für Frauen mit unseren Proportionen. Sie sind auch nicht mit grässlichen Neonlichtern und fünf Millionen Spiegeln ausgestattet, wo man sich wie ein gefangenes Nilpferd von allen Seiten betrachten und seine Faltentiefe messen kann.«

Lea zog seufzend den Reißverschluss ihrer schwarzen Strickjacke zu und schnappte nach ihrer Handtasche.

»In Ordnung. Aber den Harz kannst du knicken. Du weißt doch, dass das nicht geht. Ich kann Johannes mit den Kindern nicht alleine lassen.«

»Warum nicht? Dein Göttergatte ruht sich ohnehin schon viel zu oft zu deinen Lasten aus. Es wird höchste Zeit, dass er mal sieht, was du hier tagtäglich leistest.«

Hanna nahm ihre Jacke und verließ gemeinsam mit Lea das Haus.

»Du brauchst mal wieder positive Energie, meine Liebe. Du hängst durch wie ein ausgedienter, nasser Sack«, schimpfte sie, während sie ihren Smart per Knopfdruck schon von weitem öffnete.

Das Auto war eigentlich viel zu klein für Hanna – oder Hanna viel zu kräftig für den Wagen – und doch bildeten die beiden ein faszinierend harmonisches Paar.

»Fahren wir mit deinem Wagen?«, fragte Lea hoffnungsvoll. Sie hatte keine Lust, die Familienkutsche aus der Garage zu holen und in der Stadt um einen Parkplatz zu kämpfen.

Hanna nickte. »Mit meiner ›Bella‹ kriegen wir wenigstens überall einen Parkplatz und müssen nicht durch die halbe Stadt laufen, um Shoppen zu gehen.«

Lea nickte seufzend. »Das passt mir ausgezeichnet.«

Sie atmete tief durch.

Energie hatte sie bitter nötig.

Sie fühlte sich ungenügend, unerfüllt und unglücklich.

Dabei konnte sie nicht einmal sagen, weshalb.

Sie war strotzend gesund.

Sie hatte eine Familie.

Ein Dach über dem Kopf.

Einen Job.

Okay, zugegeben, der Job bei Walter Lichtenstein war nicht das Gelbe vom Ei, aber sie hatte sich daran gewöhnt und zumindest ein kleines monatliches Einkommen. Als Frau war die Auswahl guter Jobs ja beschränkt und als Mutter sowieso.

»Ich würde gerne mal vollkommen entspannt durch die Welt laufen, für niemanden Verantwortung tragen müssen und mich unsagbar schön und reich fühlen. Wie ein Model. Aber ein schickes Model in Größe M.«

»Was findest du an Models? Sie sehen unnatürlich aus.« Hanna rümpfte die Nase.

»Ich rede ja auch von natürlichen Models ohne flachen Teenie-Bauch, Barbie-Taille und Lücke zwischen den Oberschenkeln.«

»Schönheit ist das, was man daraus macht, nicht das, was andere uns aufzuzwängen versuchen«, sagte Hanna und quetschte sich ächzend hinter das Lenkrad.

»Schätzchen, wir arbeiten an dir und wenn du vierzig wirst, ist dir ohnehin alles scheißegal. Glaube mir, die Lebensmitte ist am geilsten! Du bekommst diese wundervolle Leck-mich-am-Arsch-Stimmung und jeder Kerl, der dir krumm kommt, kann das Weite suchen.

Darum haben einige Männer auch Angst vor uns und suchen sich was Jüngeres. Das junge Gemüse lässt sich noch lenken.«

»Meinst du?«

»Ich weiß es! Schließlich habe ich meinen vierzigsten Geburtstag bereits überlebt. Und die Männer, die sich keine Hörner mehr abstoßen müssen und über genügend Selbstbewusstsein verfügen, die wissen Frauen mit unseren Proportionen auch zu schätzen.«

Ehrlich gesagt, bezweifelte Lea das.

Es war doch auch vollkommen unbegreiflich. Wieso wollten Männer Frauen zum Anfassen haben, wenn doch zeitgleich die Modeindustrie nur für Dürre produzierte und in jeder Werbung suggeriert wurde, dass nur dünn gleich sexy war?

Es gab keinen berühmten Modedesigner, der sexy Mode für Frauen mit Speck auf den Hüften entwarf.

Gab es schlichtweg nicht.

Und wenn sich doch einmal ein Designer in die Konfektionsgrößen 40 aufwärts verirrte, dann durfte ihr oder sein Name unter Androhung einer Vertragsstrafe NICHT genannt werden.

War das nicht irre?

Lea blickte seufzend in den kleinen Spiegel, der in der Sonnenblende angebracht war.

Man sah mittlerweile sogar ihrem Gesicht deutlich an, dass sie das Essen liebte. Und sich gerne um Sport herummogelte.

»Eigentlich ist momentan Ebbe in der Haushaltskasse«, warf Lea ein, doch Hanna winkte ab. »Bei euch ist immer Ebbe in der Haushaltskasse. Ist denn dein Mann gar nicht scharf darauf, dich mal in tollen Klamotten zu sehen?«

»Ich schätze, ihm würde gar nicht auffallen, wenn ich etwas Neues trage«, sagte Lea nachdenklich. »Meistens kaufe ich auch nur schöne Klamotten für die Kinder.

Als Mutter steckt man da oft zurück.«

Hanna schnaufte verächtlich. »Deine Kinder haben genug Klamotten. Und was willst du mit einem Mann, der dich gar nicht mehr wahrnimmt? Du musst dringend mal raus! Kleine Luftveränderung.«

Lea rutschte unruhig auf dem Sitz herum. Die Jeans war verdammt eng. Und sie war sich sicher, dass sie sie NICHT zu heiß gewaschen hatte. »Wir haben halt viel um die Ohren. Johannes arbeitet ja fast rund um die Uhr und ich bin entweder arbeiten, einkaufen oder ich versorge die Kinder. Mir bleibt einfach keine Zeit für mich.«

»Klingt wirklich erstrebenswert.« Hanna schoss vom Grundstück und fuhr in rasantem Tempo in die Innenstadt. »Dein Mann ist ein richtiges Weichei! Er ist einer der besten Programmierer weit und breit und lässt sich für einen Hungerlohn in dieser kleinen Kaschemme abspeisen. Ich wette, er könnte überall woanders das Dreifache verdienen. Mindestens.«

»Das könnte er mit Sicherheit. Aber du kennst Johannes. Er ist ein Sicherheitsmensch. Er denkt, weil er seit Millionen von Jahren in der Firma arbeitet, ist er unkündbar und damit bestens aufgehoben.«

»Tja, dann kann ich nur hoffen, dass sie deinem Yoda diesen Zahn nicht ziehen werden, bevor er zu alt ist, sich etwas Neues zu suchen. Ich finde, er sollte mal etwas riskieren!«

Lea schaute nachdenklich aus dem Fenster. Sie hatte sich immer sehnlichst eine Familie gewünscht, hatte gedacht, das sei die Erfüllung im Leben und ohne Mann und Kinder würde sie unperfekt durch die Welt laufen.

Aber nach neun Jahren als Ehefrau und Mutter fühlte sie sich manchmal wie nach einem Vampirangriff.

Wieso gab es eigentlich keinen Urlaub nur für Mütter, und zwar in einem coolen Spa und nicht in überfüllten, mit Keimen belasteten Kurhäusern?

Das Leben der meisten Mütter war einfach zu vollgepackt und energieraubend. Hinzu kam, dass es für viele auch noch langweilig war hoch Zehn.

Es passierte einfach nichts.

Zumindest nichts Spannendes oder Aufregendes jenseits von Windeln, Schule und Co.

Auch Lea führte das normale Leben einer normalen Hausfrau und Mutter, die ganz nebenbei auch noch ganz normal in Teilzeit in einem öden, normalen Büro gegen normal schlechte Entlohnung arbeiten ging.

»Weißt du, was mich wahnsinnig macht?«, warf Lea ein.

Hanna schüttelte hochkonzentriert den Kopf, dann schimpfte sie plötzlich los: »Diese überalterten Autofahrer! Die machen mich ganz KIRRE!« Grunzend drückte sie aufs Gas, aber sie war noch nicht ganz an dem Mann vorbeigefahren, als dieser ebenfalls aufs Gas drückte.

Wütend umklammerte Hanna das Lenkrad und schoss an dem Mann vorbei. »MANN, sie sollten eine zweite Führerscheinprüfung einführen! Die Autofahrer werden heutzutage VIEL zu alt.« Hanna beruhigte sich wieder und legte Lea eine Hand aufs Bein. »Entschuldige, was macht dich wahnsinnig?«

»Jeder Tag ähnelt dem anderen, ganz wie im schlechten Film. Mein Tagesablauf wiederholt sich, als würde jemand im Universum aus lauter Vergnügen immer wieder auf die Wiederholungstaste drücken.«

»Süße, das klingt verdammt nach Burnout. Du musst hier dringend raus!«

»Ich bin unabkömmlich.«

»Es würde auch deiner Ehe guttun«, beharrte Hanna.

»Meine Ehe ist soweit in Ordnung.«

»Ach ja?«

»Okay, sie ist vielleicht ein eher ruhiges Gewässer«, gab Lea zu.

Hanna räusperte sich.

»Okay, ein SEHR ruhiges Gewässer.«

Hanna rümpfte die Nase.

»Gut, vielleicht fast schon ein trüber Tümpel.«

»Liebst du deinen Mann überhaupt noch?« Hanna setzte den Blinker.

»Bestimmt. Irgendwie, irgendwo, dahinten, da vorne«, witzelte Lea.

»Im Ernst, Süße!«

»Ich glaube schon, dass ich ihn liebe. Aber irgendwie ist die Luft nach über fünfzehn Jahren auch raus. Der Sex ist mittlerweile so gewöhnlicher Einheitsbrei, dass ich lieber darauf verzichte.«

»Du brauchst Aufregung und dringend eine Kraftinsel!

Sonst brichst du eines Tages zusammen, weil du vergessen hast zu tanken«, platzte Hanna heraus.

»Ja, du hast Recht«, sagte Lea seufzend. »Ich bin gefangen in der Dauerschleife des Alltags. Früh morgens wecke ich die Kinder, scheuche sie ins Bad, treibe sie zur Eile an, trage der Familie das Frühstück hinterher und fahre sie dann durch die Gegend, um schließlich ins Büro zum nervigen Halbtags-Bürojob zu hetzen.

Und dort wartet mein Chef, der null Verständnis für Mütter hat, weshalb meine Kinder auch möglichst nie krank werden dürfen.«

»Mann, ich bin schon vom Zuhören außer Atem, Lea«, stöhnte Hanna entsetzt.

»Das ist ja noch nicht alles. Am frühen Nachmittag fahre ich dann noch EBEN SCHNELL mal zum Einkaufen, koche Essen, hole die Kinder wieder ab, wasche zwischendurch Wäsche, mache Abendessen und irgendwann abends nach der letzten Vorleserunde in Kinderzimmer Nummer Zwei falle ich vollkommen erschöpft aufs Sofa und schlafe vor dem Fernseher ein.«

»Mein Gott, von dem Pensum müsste jedem Normalsterblichen eigentlich schwindelig werden.«

»Johannes wundert sich, dass ich abends müde bin.«

»Klar. Der rührt ja auch keinen Finger! Und natürlich musst du während des ganzen Tages auch noch perfekt gestylt, aber doch möglichst unauffällig geschminkt sein, damit man dir den Stress nicht ansieht oder dich als asozial abstempelt. Schließlich erwartet die Gesellschaft, dass Frau von heute ein Allround-Genie-Modepüppchen-Roboter ist. Und immer mit einem Lächeln.

Man sollte meinen, die Emanzipation hätte Gleichberechtigung geschaffen, aber davon kann überhaupt keine Rede sein«, knurrte Hanna.

»Johannes verlangt das nicht von mir.«

»Vielleicht seid ihr auch einfach schon zu lange zusammen«, mutmaßte Hanna.

»Ja, vielleicht.«

Lea hatte Johannes vor 17 Jahren auf ihrem Abiball kennengelernt.

Acht Jahre später hatten sie geheiratet.

Ein Jahr später wurde Ben geboren, zwei Jahre später kam Sophie.

»Ich finde, wir passen ganz gut zusammen. Wir ergänzen uns. Während ich ordentlich bin, aber Putzen hasse, ist er ein Chaot, der zwar überall sein Zeug liegen lässt, aber dafür das ganze Haus mit dem kleinen Finger schrubben kann, so dass es blitzt wie ein Juwel.«

»Johannes sollte dich trotzdem mehr unterstützen. Mich wundert, dass er dir nicht öfters mal den Rücken freihält, damit du etwas für dich tun kannst. Ich meine, wann warst du das letzte Mal beim Sport?« Hanna setzte den Blinker und bog in eine kleine Seitenstraße.

»Das ist nicht Johannes‘ Schuld. Das liegt an meiner Faulheit. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich mir die Auszeit nicht nehmen kann, weil ohne mich unser Konstrukt ›Familie‹ zusammenbrechen würde wie ein Kartenhaus. «

»Aber nur, weil du Johannes zu viel abnimmst. Wenn er es gewohnt wäre, mit anzupacken, hättest du es leichter zu gehen, weil du wüsstest, dass alles auch ohne dich funktioniert.«

Lea dachte an ihren Göttergatten.

Johannes war nicht nur ihr Ehemann, er war vor allem ihr bester Kumpel.

Sie hatten in vielen Dingen dieselben Ansichten und verstanden sich im Großen und Ganzen blendend.

»Findest du ihn eigentlich noch anziehend?«, fragte Hanna unerwartet.

»Gute Frage.«

Ja, fand sie Johannes als Mann noch anziehend?

Er war einen Kopf größer als sie und schlank. Durch die Gartenarbeit, die er machte, wenn er nicht vor dem Computer arbeitete, war er zudem noch gut durchtrainiert. Er hatte blonde, lange Haare - viel zu lang für Leas Geschmack, aber da wollte sie ihm natürlich nicht reinreden - und ohne Bart sah er aus wie ein Milchbubi.

Leider rasierte er sich meistens so akribisch, als wollte er den Wettbewerb in der Babypopo-Rasur gewinnen.

»Kann man jemanden anziehend finden, wenn man ihn seit fast zwei Jahrzehnten kontinuierlich jeden Tag vor der Nase hat?«

»Kann man nach so langer Zeit überhaupt noch verliebt sein?«, warf Hanna ein. »Wissenschaftler haben doch herausgefunden, dass sich das Gefühl der Liebe nach zwei Jahren relativiert und vom Körper nicht mehr wahrgenommen werden kann. Du bist also aus dem Schneider, Süße! Denk nicht weiter drüber nach!«

»Nun ja, zumindest kann ich mich nicht über Herzklopfen beschweren«, versuchte Lea witzig zu sein.

»Vielleicht gibt es einen Trick, verliebt zu bleiben«, sagte Hanna und setzte seufzend den Blinker. »Ich habe da ja leider keine Erfahrung. Meine Bekanntschaften bleiben oft nur für ein paar Nächte.«

»Es muss einen Trick geben«, sagte Lea nachdenklich.

»Sieh dir andere Paare an! Oder Tiere. Schwäne. Tauben. Die bleiben doch auch ein Leben lang zusammen.«

»Vielleicht haben die bombastischen Sex!«, mutmaßte Hanna.

»Möglich.«

Sie und Johannes hatten meistens gar keine Zeit oder Gelegenheit für Sex. Entweder waren die Kinder da oder sie waren abends ausgebrannt von dem Leistungspensum ihres Alltags. Da reichte die Kraft weder für ein ausgiebiges Vorspiel noch für irgendwelche Turnübungen.

»Johannes hat sich erst neulich beschwert, dass wir gar keinen Sex mehr haben.«

»Er hat ja auch gut reden! Du hast genug Sex mit dem ›Dämon des Alltags‹«, witzelte Hanna.

Lea lachte. »Warum sind Männer eigentlich in jeder Hinsicht besser gestellt?«

»Das haben sie über Jahrhunderte hinweg blutig durchgesetzt, mein Schatz«, sagte Hanna mit ernster Miene.

»Wie hat denn der ›Dämon des Alltags‹ die Zeit deines Mannes verplant?«

»Johannes Tag verläuft recht ruhig. Er steht morgens auf, bekommt seine Frühstücksbrote von mir überreicht, ein schnelles Müsli zum Start in den Tag und auf Arbeit bekommt er Mittagessen vorgesetzt. Nachmittags fährt er wieder nach Hause, legt kurz die Füße hoch, erledigt dann vielleicht noch ein paar Dinge im Haushalt oder im Garten, der Rest fällt in meinen Rollenbereich.«

»Wann sollst du da bitte Zeit oder gar Lust für körperlich anstrengende Vergnügen haben?«

Lea zuckte mit den Schultern.

Meistens war sie noch nicht einmal warmgelaufen, wenn er bereits fertig war. Das, was Johannes ›Sex‹ nannte, war eher eine einseitige, sportliche Betätigung.

Was der hochgepriesene Höhepunkt war, von dem so viele schwärmten, wusste Lea nicht. Sie war noch nie in den Genuss der Ekstase gekommen.

»Der Sex mit Johannes ist recht durchschnittlich.«

»Durchschnittlich?«

»Okay, vielleicht auch eher schlecht«, gestand Lea.

»Ein Grund mehr, dass du mal wieder etwas für dich tust. Nimm an einem der Tantra-Kurse deiner Tante teil!

Oder mach einen Vagina-Kurs! Dann kannst du es dir wenigstens selbst besorgen.« Hanna grinste, während sie einparkte.

»Oh Gott, niemals! Ich möchte gar nicht wissen, wie ich da unten aussehe.« Voller Entsetzen schüttelte Lea sich.

Hanna blickte sie pikiert an. »Süße, jede Frau sollte wissen, wie sie unten rum aussieht. Ich finde das weibliche Geschlecht im Übrigen sehr hübsch.«

»Hübsch? Nee, also wirklich nicht.«

Lea musste zugeben, dass sie vom weiblichen Geschlecht keine Ahnung hatte. Und ›hübsch‹ fand sie es schon gar nicht.

»Ich finde nicht einmal mich selbst hübsch«, gestand Lea leise.

Hanna trat auf die Bremse. »WAS?«

»Ich bin schon immer etwas zu klein gewesen, mein Haar hat ein gewöhnliches, eher hässliches Straßenköterblond und ist viel zu dünn. Wie Spaghetti hängt es mir über die Schultern. Dabei ist mein Haar aber auch das Einzige, was an mir dünn ist. Mein Bauch ist wie ein zerrissenes, faltiges Kissen, das den Waschdurchgang nicht überlebt hat und nun an Ausbeulungen leidet. Und mittlerweile brauche ich tatsächlich eine Brille zum Lesen!«

Hanna rümpfte die Nase. »Süße, denk nicht so schlecht über dich. Du bist wunderhübsch!«

»Und blind wie ein alter Maulwurf«, fügte Lea hinzu.

»Papperlapapp!«

»Meine Augenärztin meinte, ich gehöre nun zum ›alten Eisen‹ und müsse den Verlust meiner Sehkraft in Kauf nehmen.«

»Gib mir ihre Adresse! Ich duelliere sie!«

Lea grinste.

»Neulich habe ich sogar drei graue Haare entdeckt und beim Grinsen am Auge kleine Fältchen. Der ›Dämon der Kinderfreude‹ hat voll zugeschlagen. Quasi mit mir abgerechnet.«

Hanna tätschelte ihr Knie. »Wir kaufen dir ein paar schöne Sachen und dann fahren wir zum Frisör. Es wird höchste Zeit, dass wir dich etwas aufpeppen«, beruhigte Hanna sie.

»Aufpeppen? Wofür?«

»Wir holen uns dein Selbstwertgefühl vom ›Dämon der Kinderfreude‹ zurück. Soll er sich doch woanders Energie abzapfen.«

Lea schnitt eine Grimasse.

Sie glaubte nicht daran, dass ein paar Klamotten und ein Frisörbesuch ihr Selbstwertgefühl zurückbringen würden.

»Wenn du glaubst, dass dieser dämliche Dämon so einfach mit sich reden lässt, irrst du gewaltig!«

♥♥♥

Maja-Lena Maries Handy piepte.

Sie ignorierte es und brütete weiter über den Einkaufslisten.

Es piepte erneut.

Seufzend riss sich Maja-Lena von ihrer Arbeit los und blickte beiläufig auf die Uhr.

Es war bereits nach 22 Uhr.

Bin zuhause. Schatz, wann kommst du?

GuK, MikeMaja-Lena lächelte kurz. Dann tippte sie auf eine Taste und sprach: »Ich bin so gut wie unterwegs. Wärm doch schon einmal das Bett an. Gruß und Kuss zurück.«

Sie legte ihr Handy weg und beugte sich wieder über die Listen.

Im Vorzimmer saß noch immer ihre Assistentin, aber Maja-Lena hatte keine Lust, ihre Arbeit zu unterbrechen, nur um ihr zu sagen, dass sie nach Hause gehen soll.

Brigitte war ja schließlich kein Kleinkind mehr. Und in ihrem Arbeitsvertrag stand auch nicht geschrieben, dass sie exakt so lange bleiben musste, wie ihre Chefin.

Ein Klingeln riss sie eine Stunde später aus ihrer Arbeit.

Erschrocken fuhr Maja-Lena hoch und ging mit rasenden Herzklopfen an den Apparat. »Modetipp, was kann ich für Sie tun?«

»Schatz, ich warte seit einer Stunde auf dein Erscheinen. Wann kommst du endlich?«

Maja-Lena lächelte. »Wirklich? Deine Nachricht kam doch erst vor sechzig Minuten.«

Der Mann am anderen Ende grunzte.

»Mike Sörensen, meinst du, ich kann mich einfach in Lichtgeschwindigkeit nach Hause beamen?« Maja-Lena lachte leise in den Hörer.

»Ja, du kannst doch auch sonst alles. So, und nun sei brav und leg den Stift beiseite! Komm nach Hause! Das Bett ist viel zu groß und leer ohne dich.«

Maja-Lena seufzte ergeben. »In Ordnung. Ich mache jetzt Feierabend. Bin in zwanzig Minuten zuhause.«

Sie warf das Handy in ihre Gucci-Handtasche, fuhr den Computer herunter und ging ins Vorzimmer. »Brigitte, du bist noch immer hier?«

Hast du gar kein Zuhause, hätte Maja-Lena fast gefragt, biss sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge.

Ihre Assistentin zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur noch etwas erledigen. Ich gehe dann jetzt auch.«

»Ja, mach das. Schönen Abend noch.«

Brigitte schnitt eine Grimasse.

Maja-Lena nickte ihr schweigend zu und verließ die große Fabrikhalle. Es war nach 22 Uhr. Ihr war sehr wohl klar, dass der Abend bereits vorbei war.

Verarscht

Als Lea am Abend mit neuer Frisur, ein paar Klamotten reicher und einige Euros ärmer ins Sofapolster sackte, stöhnte sie leise.

»Was für ein Tag!«

»Warst du heute nicht mit Hanna unterwegs? Hattet ihr keinen Spaß?« Johannes saß bereits auf der Couch und las auf seinem Tablet irgendwelche Ratgeberseiten im Internet.

»Doch, hatten wir. Ein bisschen zumindest. Ich habe so entsetzlich zugenommen, dass ich in den meisten Klamotten aussehe wie ein Nilpferd.«

»Ein hübsches Nilpferd.«

»Danke, Johannes! Das muntert mich jetzt ungemein auf.«

Johannes blickte vom Tablet auf. »Schatz, mir ist es egal, ob du drei Kilo mehr oder weniger auf deinen Hüften hast. Ich liebe dich und ich nehme dich so, wie du bist. Außerdem kam der Vergleich mit dem Nilpferd von dir, nicht von mir.«

»Warum unterstützt du mich nicht?«

Johannes schnitt eine Grimasse. »Was soll das denn jetzt heißen? Wieso unterstütze ich dich nicht?«

»Du sollst mich ermuntern, abzunehmen. Aber die letzte Diät hat überhaupt nicht geklappt. Stattdessen gaukelst du mir vor, dass ich okay bin, so wie ich bin.«

»Mich stört dein Gewicht nicht. Aber wenn es dich stört, dann brauchst du mehr Bewegung.«

»Ich finde, ich bewege mich genug«, widersprach Lea.

»Aber nicht gezielt. Wenn du abnehmen willst, musst du gezielt Sport treiben. Das hat mit Essen nicht viel zu tun. Außerdem nehmen viele Frauen im Alter zu.«

»Oh, jetzt bin ich also alt.« Lea verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

Johannes blickte wieder von seinem Tablet auf, dieses Mal reichlich genervt. »Was möchtest du jetzt von mir hören? Dass du jung und schlank bist? Das bist du nicht und das ist auch gut so. Ich mag dich so, wie du bist.

Ich brauche kein jugendliches Knochengerüst.«

»Mit weniger Speck auf den Rippen würde das Shoppen viel mehr Spaß machen.«

»Das glaube ich. Aber unser Konto ist auch so schon um einige Euros erleichtert«, bemerkte Johannes fast ein wenig vorwurfsvoll. Er musterte sie. »Neue Hose?«

»Nein.«

»Aber du trägst ein neues Oberteil?«

»Ja. Es ist von Hanna. Hat keinen Cent gekostet.«

»Habe ich gleich bemerkt.«

Was Johannes nicht bemerkte, war Leas neue Frisur.

»Du siehst müde aus«, stellte er stattdessen fest.

Lea öffnete ein Auge und blinzelte zu ihrem Mann hinüber. »Könnte daran liegen, dass ich müde bin.« Sie lächelte schwach und fühlte sich dabei wie ein erkalteter Pfannkuchen. Unbrauchbar und überflüssig.

»Geh doch mal wieder zum Fitness«, schlug Johannes vor.

Lea grunzte. »Keine Zeit. Und keine Kraft.«

Wann sie das letzte Mal beim Sport gewesen war, wusste sie nicht. Hanna fragte zwar ständig, ob sie mit ins Fitnessstudio kommen würde, aber Lea wusste beim besten Willen nicht, wann sie sich dafür noch Zeit nehmen sollte. Und Hanna hatte auch leicht reden, sie war ja Single und kinderlos.

Manchmal beneidete Lea ihre Freundin.

Hanna war frei.

Frei und ungebunden wie ein Vogel.

Lea schaltete den Fernseher an.

Frauentausch.

Was war das denn für eine komische TV-Dokureihe?

Frauentausch, dachte Lea grinsend, das wäre doch vielleicht genau das Richtige.

Einfach mal alles hinter sich lassen und in ein anderes Leben schlüpfen; sehen, wie es sich anfühlte, kinderlos, jung, schön und vogelfrei zu sein.

Lea schnalzte enttäuscht mit der Zunge. In der Sendung tauschten sie lediglich den Wohnort zweier MÜTTER untereinander aus.

Wussten die Produzenten denn nicht, dass gestresste Mütter mal eine Auszeit brauchten und nicht auch noch die verzogene Brut fremder Leute?

Lea stöhnte. So etwas konnte sie sich beim besten Willen nicht angucken.

»Du solltest dir mal eine Auszeit gönnen. Dazu gehört auch, sich nicht so einen Blödsinn im Fernsehen anzuschauen«, sagte Johannes, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er erhob sich und ging in die Küche.

Fünf Minuten später kam er zurück und stellte ihr einen Kräutertee vor die Nase.

«Oh, danke, du bist ein Schatz«, sagte Lea überrascht.

Tee war jetzt genau das Richtige.

Etwas Schokolade dazu wäre ein Traum.

»Willst du Schokolade dazu?«

»Kannst du Gedanken lesen?«, lachte Lea leise.

Johannes zuckte mit den Schultern. »Ich kenne dich gut genug, glaube ich. Ich hole dir etwas.«

Leas Blick ging zur Minibar.

Dort verstaubten die Sektflaschen und Spirituosen.

Wo waren eigentlich die guten, alten Zeiten geblieben, als Johannes ihr noch ein Glas Sekt oder Wein vor die Nase gestellt hatte, um sie beschwipst zu vernaschen?

»Lieb von dir!« Lea nippte am heißen Tee.

»Ich meine es Ernst, du solltest dir wirklich mal eine Pause gönnen«, beharrte Johannes, während er ihr eine Tafel Schokolade vor die Nase legte. »Wir brauchen dich noch. Funktionstüchtig. Und nicht kaputt.«

»Du machst Witze! Auszeit! Und wer übernimmt hier das Ruder?«

»Traust du mir das nicht zu?«

Lea musterte ihren Mann.

Er war ein guter Mann und ein toller Vater. Er versuchte, ihr zumindest die Reinigungsarbeiten im Haushalt abzunehmen und kümmerte sich super um die Kinder, wenn er mal Zeit hatte. Aber im Grunde genommen war er mehr der ›Freizeitpapa‹. Er arbeitete viel, reiste viel und war nur selten zuhause. Schließlich war er IT-Experte, wenngleich auch mit unterirdisch schlechtem Gehalt. Klar, er könnte mehr verdienen und mehr zuhause sein. Er hatte schon viele lukrative Jobangebote bekommen, aber Johannes war ein wenig bequem. Er blieb in der Firma, einfach weil er schon immer dort gearbeitet hat.

»Hm.«

»Du könntest doch deine Tante besuchen.«

»Das wäre toll.«

Ostsee!

Tante Emma lebte schon seit gefühlten eintausend Jahren an der Ostsee.

Schon als Kinder hatte Lea sie zusammen mit ihrem Bruder besucht. Das waren die schönsten Sommer gewesen, an die sie sich erinnern konnte.

»Tante Emma sind die Kinder zu viel. Du weißt doch, seitdem Oma gestorben ist, gibt sie diese Tantra-Kurse und hat keinen Platz für Kinder in der Pension.«

»Dann fährst du eben ohne die Kinder. Die haben ohnehin Schule. Eine Auszeit mit Kindern ist ja vielleicht auch keine Auszeit, oder?« Johannes lächelte.

Er lächelte ehrlich und aufrichtig.

Lea zögerte.

»Ben ist Acht und Sophie ist Sechs. Die beiden sind aus dem Windelalter raus und werden es wohl überleben, wenn sie ihre Mama mal ein paar Tage nicht sehen«, bohrte Johannes weiter.

»Willst du mich loswerden?«

»Nein, eher retten.«

»Sehe ich so in Not geraten aus?«, witzelte Lea.

Johannes musterte sie. »Ja. Schau dir nur mal deine Haare an! Wann warst du das letzte Mal beim Frisör?

Verzeih mir, Liebes, aber deine Frisur sieht furchtbar aus.«

Lea schluckte.

Sie war gerade heute beim Frisör gewesen und hatte ganze sechzig Euro für den beschissenen Haarschnitt mit den lächerlichen Strähnen hingelegt. Aber dass die Frisur so schlecht war, dass Johannes nicht einmal bemerkte, dass sie beim Frisör gewesen war, war doch ein echter Reklamationsgrund, oder?

Sie sollte den Frisör verklagen!

»Ich überlege es mir. In Ordnung?«, seufzte Lea schließlich.

»Dann denke nicht zu lange darüber nach. Im Sommer muss ich für drei Monate nach China.«

»Was? Wann hattest du denn vor, mir diese Hiobsbotschaft mitzuteilen?« Lea blies die Backen auf.

Ausgerechnet in den Sommerferien, wo sie keinen Urlaub bekam, sollte sie die Kinder ALLEINE betreuen?

»Dann müssen die Kinder eben jeden Tag in den Hort gehen. Oder zu meinen Eltern. Ich kann es nicht ändern.«

»Bekommst du wenigstens mehr Geld? Auslandszuschläge? Spesen?« Lea schnappte sich verärgert ihren Teebecher. Dabei war sie so ungestüm, dass die Hälfte des heißen Getränks auf ihrem Hosenbein landete.

»Mist!«

»Nein, bekomme ich nicht. Du kennst doch meinen geizigen Chef! Am besten fährst du gleich nächste Woche, Schatz! Dann bist du erholt, wenn ich auf Geschäftsreise muss.«

»Drei Monate China und keinen Cent mehr? Ich sollte dringend mit deinem Chef reden. Der spinnt wohl!«

»Das wirst du nicht! Wie sieht das denn aus?«

So, als wenn du kein Rückgrat hast, dachte Lea verärgert und wischte sich schweigend über ihr nasses Hosenbein.

♥♥♥

»Du arbeitest zu viel«, warf Mike seiner Verlobten an den Kopf, kaum dass sie die alte Fabrikantenvilla betreten hatte.

Maja-Lena warf ihre hohen Pumps von sich und legte den Schlüssel in den Schlüsselkasten. »Ich dachte, du liegst schon im Bett?«

Mike grinste. »Da war es zu langweilig ohne dich.«

Maja-Lena lächelte müde. »Und du meinst, ich bringe mehr Schwung in die Kissen nach einem 16-Stunden-Tag?«

Mike legte den Kopf schief. »Wenn ich dir dabei helfen kann, bestimmt.« Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie nach oben ins Schlafzimmer.

Er hatte überall Kerzen aufgestellt und auf ihrem Nachtschrank einen dampfenden Becher Pfefferminztee platziert.

Erschöpft ließ sich Maja-Lena aufs Bett fallen.

»Darf ich Euch beim Ausziehen helfen, Eure Hoheit?«, witzelte Mike.

Maja-Lena nickte. »Gerne.«

Mike hatte gerade erst ihren Rock heruntergezogen, da war sie auch schon eingeschlafen.

Mike verdrehte die Augen und warf sich beleidigt aufs Bett.

Maja-Lena blinzelte. »VERARSCHT.«

Mike schoss hoch. »Du…« Er warf sich auf sie und verführte sie mit allen Künsten, die er aufbringen konnte.

♥♥♥

Das Telefon klingelte.

Lea legte das Tomatenmesser weg und nahm das Gespräch entgegen.

»Hasenfleck.«

»Dieser Name ist wirklich selten beschissen«, krächzte eine alte Frauenstimme. Ein Husten und Keuchen folgte.

»Tante Emma?«

»Wer sonst?«

»Bist du krank?«

»Mich hat die Grippe erwischt.«

»Dann brauchst du Hilfe?«

»Darauf kannst du einen lassen, meine Liebe! Wann kannst du deinen hübschen Popo zu mir schwingen?«

Lea grinste.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr Po das letzte Mal ›hübsch‹ gewesen war.

Tante Emma hatte eine leicht saloppe Ausdrucksweise, aber sie war stets offen und ehrlich und man wusste immer, woran man bei ihr war.

Lea sah sie bildhaft vor sich.

Ihre knallrot gefärbten Haare, ihre flatternden Kostüme und ihre bequemen Öko-Schuhe.

Lea nahm das Telefon und ging damit zum Kalender. In vier Wochen reiste Johannes nach China. Noch immer machte sich ein wütendes Sodbrennen in ihrer Speiseröhre breit, wenn sie daran dachte, dass er lediglich Flug und Unterkunft bezahlt bekam, aber keinerlei Spesen oder Lohnaufschläge.

Ausputz war das!

Purer Ausputz!

»Ich könnte für morgen ein Bahnticket buchen. Aber ich kann nur vier Wochen bleiben. Dann fangen die Sommerferien an und Johannes muss nach China.«

»Was will er denn bei den Gelblingen? Kriegt er wenigstens mehr Kohle für den Aufwand? Schmerzensgeld?« Wieder hustete Tante Emma.

Lea verzog das Gesicht. »Nee.«

»Das ist typisch für deinen Mann! Lässt sich ständig nur verkackeiern. Arbeitet für einen Hungerlohn und du darfst das ausbaden.« Tante Emma hustete erneut.

»Ich buche jetzt sofort ein Bahnticket, Tante Emma.

Mach dir keine Sorgen! Morgen komme ich zu dir und helfe dir in der Pension.«

»Du bist ein Schatz! Ich danke dir, meine kleine Lea!«

♥♥♥

»Schatz, du bist ja immer noch am Arbeiten. In zwei Stunden fährt der Zug.« Ungeduldig blickte Mike auf die Uhr.

Maja-Lena Marie warf ihre rotbraunen Locken über die Schulter und folgte seinem Blick stirnrunzelnd. »Ich bin noch lange nicht fertig, Schatz. Entschuldige bitte, aber zum Wochenende ist hier immer die Hölle los.«

Mike ließ sich galant in den Ledersessel fallen und inspizierte gelangweilt seine Fingernägel. »Das ist nichts Neues, Schatz. Du führst eines der beliebtesten Mode-Onlineunternehmen mit weit über eintausend Mitarbeitern. Ich kenne dich nun schon fünf Jahre lang und weiß, dass du mit deiner Arbeit verheiratet bist. Ein Wunder, dass du meinen Heiratsantrag letzte Woche überhaupt angenommen hast.«

Maja-Lena hielt inne. »Mike! Ich bin nicht mit Modetipp verhei…« Weiter kam sie nicht, denn es klopfte an die Tür ihres Büros.

»Herein!«

Eine junge Frau in schwarzer Hose und weißem Hemd mit Krawatte betrat den Raum. »Maja-Lena, der Scheich ist soeben eingetroffen.«

Stocksteif richtete Maja-Lena sich auf. »Mist! Den hatte ich total vergessen.«

Mike rollte mit den Augen. »Du hast JETZT noch ein Meeting? Etwa mit Scheich Abdul Emdala? Maja! Die arabische Delegation wirst du doch nicht vor Mitternacht los! Die erwarten, dass du mit ihnen ESSEN gehst. Die wollen Kultur, Genuss und Lifestyle. Ich dachte, wir fahren über das Wochenende zu meiner Familie. Seit Monaten rede ich davon und du hast mir hoch und heilig versichert, dass wir…«

Ein Mann um die vierzig in einem knöchellangen weißen Thawb und kurzer Kopfbedeckung betrat den Raum. Hinter ihm folgten gut zehn Männer in ähnlicher Kleidung, nur mit unterschiedlich farbigen Gürteln.

Mike sprang vom Sessel auf und wischte sich die Hände an seiner Anzughose ab. Gequält lächelnd blickte er auf die Gäste, die sich alle in Maja-Lenas etwa vierzig Quadratmeter großes Chefbüro hineindrängelten.

Maja-Lena ging mit ausgestreckter Hand auf den Scheich zu. »Yawmun sa ĩd, Syd Emdala. Salem aleikum.«

Der Scheich verbeugte sich leicht, dann ergriff er Maja-Lenas Hand. » Wa Aleikum salam. Liebe Maja, Sie sind wie immer eine Augenweide.« Er küsste ihre Hand und schaute ihr dabei tief in die Augen.

Maja-Lena lächelte verlegen und wartete geduldig, bis er ihre Hand freigab. Sie blickte demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Sie sind pünktlich wie die Maurer.«

Abdul Emdala lachte leise und zwinkerte ihr zu. »Natürlich. Der Einladung einer so schönen Frau hat einen Mann zu beflügeln. Es ist mir eine besondere Ehre, Sie endlich wieder zu sehen. Sie müssen mich wirklich in Dubai besuchen kommen.«

Maja-Lena lächelte höflich zurück. »Natürlich. Wir werden einen Termin finden.«

Mike räusperte sich und alle Augenpaare richteten sich auf ihn.

»Ihr Sekretär?«, fragte Abdul Emdala.

Missmutig verzog Mike das Gesicht.

Maja-Lena lenkte schnell ein und sprang an seine Seite.

»Darf ich Ihnen meinen Verlobten vorstellen? Das ist Mike Sörensen. Er ist Pilot bei der Lufthansa.«

Im ersten Augenblick sah der Scheich nicht sonderlich erfreut aus, aber dann hatte er sich wieder im Griff. Mit ausgestreckter Hand trat er auf Mike zu. »Es ist mir eine Ehre, den Mann kennenzulernen, der nicht nur die schönste Frau der Welt in seinen Hafen locken konnte, sondern auch Verantwortung für Hunderte von Flugpassagieren übernimmt, um sie sicher an ihren Zielort zu bringen. Piloten sind unverzichtbar für eine florierende Wirtschaft.«

Mike schluckte und schüttelte seinem Kontrahenten höflich lächelnd die Hand.

Der Scheich grinste breit. »Bei so einer schönen Frau müssen Sie sich daran gewöhnen, dass die ganze Welt sie besitzen will. Meine Avancen hat sie leider stets höflich, aber bestimmt zurückgewiesen. Auch mein Vermögen von zwei Milliarden Dollar konnte sie nicht davon überzeugen, dass ich der Richtige für sie bin. Sie sind also ein glücklicher Mann, Mr Sörensen.« Der Scheich verbeugte sich, um Mike seine Unterwürfigkeit zu zeigen.

Mike legte einen Arm um Maja-Lenas Schultern und drückte sie besitzergreifend an sich. »Vielen Dank, Mr Emdala!«

Maja-Lena lächelte, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Sie hasste es, wenn Mike das tat. Und sie hasste es, wenn Mike sich aufspielte, als hätte er sie ›geangelt‹.

Maja-Lena war eine starke, selbstbewusste Frau, der niemand etwas vormachen konnte. Im Beruf wie in der Liebe ging sie über Leichen und jemand, der nicht in ihr Konzept passte, wurde eiskalt aussortiert.

Sie war ein sehr disziplinierter Mensch und jeder, der von der ihr akzeptierten Norm abwich, wurde von ihr gar nicht erst beachtet.

War einfach nicht existent.

Maja-Lena war sehr schlank, extrem sportlich und konnte trotzdem reichlich, aber nicht unkontrolliert essen, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen.

Sie hatte tief rotbraune, lange Haare, die sich in großzügigen Locken über ihre Schultern bis zur Hüfte kräuselten und ihre Wespentaille betonten.

»Abdul«, sprach sie den Scheich beim Vornamen an, »Sie wären gleich meine zweite Wahl. Aber leider ist Ihnen mein Verlobter zuvor gekommen.« Maja-Lena lächelte und als sie Mikes fragenden Blick spürte, zog sich ihr Mund nur noch zu einem breiteren Lächeln auf.

Der Scheich nahm Maja-Lenas Hand und küsste sie erneut. »Sollte er Ihnen das Herz brechen, werde ich ihn um einen Kopf erleichtern und auf ihr Angebot zurückkommen.«

Mike zuckte kaum merklich zurück.

Maja-Lena neigte den Kopf. »Vielen Dank, Abdul.

Wollen wir jetzt zum Geschäft kommen? Ich habe im Konferenzsaal einige wenige bescheidene Speisen auffahren lassen und hoffe, Ihnen diesen Snack vor dem Abendessen noch reichen zu dürfen.«

Mike öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Maja-Lena befreite sich eiskalt von seinem Griff und ging zur Tür. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen!«

Der Scheich nickte. »Es ist mir eine Ehre.«

Sein Lächeln erstarb und er wies sein Gefolge per Handzeichen an, ihm zu folgen.

Als die Delegation das Büro verlassen hatte, stürmte Mike zu Brigitte und hielt sie am Arm fest. »Brigitte, wie ist der heutige Ablauf geplant? In zwei Stunden fährt unser Zug gen Norden.«

Brigitte warf einen kurzen Blick auf ihre Notizen, obwohl sie alle Daten im Kopf hatte. »Meeting um 11 Uhr mit anschließender Stadtführung. Um 18 Uhr Abendessen im Hilton und im Anschluss eine Vorstellung im Deutschen Opernhaus…« Maja-Lenas Assistentin holte tief Luft, um fortzufahren, doch Mike brachte sie mit einer Geste zum Schweigen.

»Hat Maja denn vergessen, dass sie heute mit mir zu meinen Eltern fahren wollte? Steht der Termin im Kalender?«

»Moment.« Brigitte lief zu ihrem Schreibtisch im Vorraum und schlug ihren Terminkalender auf. Als sie aufblickte, lächelte sie beruhigend. »Der Termin ist als Kurzurlaub notiert. Maja-Lena wird jetzt noch das Meeting leiten, dann übergibt sie die Delegation vertrauensvoll in Joshuas Hände. Unser Marketingleiter hat sich extra auf dieses Wochenende vorbereitet.«

Mike stand der Schweiß deutlich auf der Stirn geschrieben. Ausatmend wischte er ihn sich ab. »Gott, dann kann ich sie gleich in Empfang nehmen und das Weite suchen?«

»Sozusagen.« Brigitte nickte.