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Pulsmesser am Handgelenk, Blutzuckermessen über die Kontaktlinse und bald Früherkennung von Herzinfarkten durch intelligente Unterwäsche? Das ist keine Zukunftsmusik mehr. Genauso wenig wie Organe und Körperteile aus dem 3-D-Drucker oder individuelle Krebstherapien, die auf weltweiten Erfahrungen basieren. Das Ziel ist klar: Mehr Menschen sollen länger gesund bleiben. Professor Jörg Debatin, Dr. Markus Müschenich und Jens Spahn beschreiben in ihrem Buch die ganz praktische Seite der medizinischen Revolution, deren Beginn wir gerade erleben. Lesen Sie, wie der Arzt der Zukunft arbeitet, welche Rolle der Datenschutz spielt und was das für Sie als Patienten bedeutet.
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Seitenzahl: 116
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Jens Spahn / Markus Müschenich / Jörg F. Debatin
App vom Arzt
Bessere Gesundheit
durch digitale Medizin
Ein besonderer Dank für die Mitarbeit an diesem Buch gilt Prof. Dr. med. Mathias Goyen.
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
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E-Book-Konvertierung: Daniel Förster
Gesundheit, Krankendaten und digitale Vernetzung, diese Mischung erzeugt regelmäßig einen reflexhaften Aufschrei. Was eigentlich passiert genau mit meinen persönlichen Daten? Wer hat darin Einsicht? Und: Wird die Krankenkasse meinen Tarif nach meinen genetischen Krankheitsrisiken berechnen? Verständliche Vorbehalte vermischen sich mit einer allgemeinen Skepsis gegenüber dem Austausch und Nutzen von Daten, deren gesetzgewordener Ausdruck das restriktive deutsche Datenschutzrecht ist. Das ist in seiner jetzigen Form ein echter Innovationskiller, der den Fortschritt in der Medizin behindert.
Datenschutz ist was für Gesunde. Denn niemand im Gesundheitswesen profitiert mehr von einem effizienten Austausch der Daten als der kranke Patient. Wir wollen daher in diesem Buch bewusst die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen in den Blick nehmen, freilich ohne die Risiken zu ignorieren. Erst wenn wir jenseits der oftmals vorgeschobenen Datenschutzreflexe die Möglichkeiten und Chancen angemessen ausleuchten, ergibt sich das ganze Bild. Dann können wir entscheiden, wie viel und welchen Schutz von Daten wir in welchen Bereichen wollen und welche Maßnahmen wir ergreifen sollten, um Sicherheit zu gewährleisten, beispielsweise um Hackerangriffe abzuwehren. Denn es geht um hochsensible persönliche Daten. Um es vorwegzunehmen: Die Antwort kann aus unserer Sicht nicht lauten, dass wir die Arbeit mit und den Austausch von Daten im Gesundheitswesen völlig ausschließen. Es geht um eine kluge Balance.
Gesundheit stützt sich schon lange nicht mehr nur auf das Wissen und die Erfahrung des Arztes. Die Zeiten des »Halbgotts in Weiß« sind vorbei. Im Zeitalter der digitalen Medizin geht es darum, Gesundheit zu erhalten und auf den Einzelnen zugeschnittene Therapien anzuwenden. Auch Sie selbst kümmern sich ja um Ihre Gesundheit. Ernährung, Wellnessangebote und seelische Entspannung – wir sind uns sicher, dass Sie schon öfter darüber nachgedacht haben, wie Sie sich frischer, jünger und gesünder fühlen können.
Stellen Sie sich vor, Sie wachen nachts auf und fühlen sich unwohl, haben vielleicht krampfartige Bauchschmerzen oder plötzliches Herzrasen. Die wenigsten von uns schlafen einfach beruhigt weiter mit dem Gedanken, dass es schon noch reichen wird, sich morgen drum zu kümmern. Die meisten werden wohl eher nervös wach liegen und der Möglichkeit entgegenfiebern, endlich einen ärztlichen Rat einholen zu können. Und sei es nur, damit der einen beruhigt, weil es schlimmer scheint, als es ist. Und das umso mehr, wenn Sie bereits vorbelastet sind, etwa mit Bluthochdruck, einem Schlaganfall oder Diabetes. Das werden in unserer älter werdenden Gesellschaft eher immer mehr Menschen sein. Welch ein Segen wäre es da für Sie, für Ihren ruhigen Schlaf und auch Ihren Partner oder Ihre Partnerin, wenn Sie die Symptome einfach in eine App eingeben könnten, die Ihre Krankengeschichte kennt und mit den akuten Beschwerden abgleicht und Ihnen so in Sekundenschnelle entweder akute Maßnahmen empfiehlt oder Sie direkt per App mit einem Arzt verbindet, der Ihnen sofort zuhört. Wohlgemerkt: Das ist keine Zukunftsmusik, sondern heute schon möglich.
Wussten Sie, dass eine korrekte ärztliche Diagnose zu 70 Prozent davon abhängt, was Sie Ihrem Arzt über sich erzählen? Da kommt es also einerseits darauf an, wie gut Sie sich erinnern können an Symptome, an frühere Beschwerden oder Untersuchungen. Und darauf, wie gut Sie in der Lage sind, all das auch noch in die richtigen Worte zu fassen. Andererseits hängt die Qualität der Kommunikation maßgeblich von der Zeit ab, die der Arzt hat, um Ihnen tatsächlich zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen. Wenn der Arzt mit einem Klick auf einen Blick wüsste, welche medizinische Vorgeschichte Sie haben, welche Medikamente Sie nehmen oder woran Ihre Eltern gestorben sind, bliebe ihm mehr Zeit für die wirklich wichtigen Fragen. 50 bis 70 Prozent der Arztbesuche drehen sich im Kern um einfache Rückfragen des Patienten, die im Grunde genauso gut per kurzer Online-Sprechstunde über Smartphone oder Computer abgewickelt werden könnten. Wie viel leerer wären dann die Wartezimmer, wie viel weniger Stress gäbe es bei Praxishelfern und Patienten! Die Ärzte könnten sich in ihrer Praxis auf die wirklich wichtigen Fragen konzentrieren. Und nebenbei wäre wohl auch das Problem des Fachärztemangels zumindest deutlich reduziert. Ein Gewinn für alle also.
Und das waren bis jetzt nur wenige, einfache Beispiele. Da geht noch viel mehr. Wenn nun aber die Vorstellung etwa Ihrer Krankenkasse als gefräßige Datenkrake in Ihrem Kopf herumgeistert, dann fragen Sie mal bei Ihrer Kasse nach, was die derzeit wirklich so über Sie und Ihren Gesundheitszustand weiß – oder besser nicht weiß. Denn Sie werden erstaunt sein, wie wenig das ist. Denn schon heute dürfen die wenigen verfügbaren Daten nur anonymisiert verwendet werden. Rufen Sie Ihre Kasse mal an und testen es: Sie werden verblüfft sein.
Wir verlangen Ihnen mit diesem Buch etwas ab: Wir betonen die Chancen und wollen Ihre Bedenken beiseiteschieben. Wir laden Sie ein, mit uns die Möglichkeiten der datenbasierten digitalen Medizin zu erkunden. Träumen Sie mit uns. Von mehr Lebensqualität, besserer Gesundheit bis ins hohe Alter und einem sinnvolleren Einsatz Ihrer hart erarbeiteten Krankenkassenbeiträge.
Wir wünschen uns, dass Ihnen dieses Buch hilft, Vorbehalte abzubauen und die Chancen der digitalen Medizin zu entdecken. Wir glauben an eine kluge Balance von Datenschutz, Datensicherheit und den enormen Möglichkeiten eines besser vernetzten Gesundheitswesens. Eine Debatte darüber kann nur derjenige kompetent führen, der nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen kennt. Wir jedenfalls bleiben dabei – Datenschutz ist was für Gesunde. Denn nur die können es sich leisten, wenn das Gesundheitswesen hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Jens Spahn, Markus Müschenich, Jörg Debatin
September 2016
Das Smartphone ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Egal, ob erst seit kurzer Zeit dabei oder ob mit dem Display in der Hand groß geworden – Sie gehören zu den 49 Prozent der Bevölkerung, die regelmäßig ein Smartphone nutzen. Und damit sind Sie im Grunde rund um die Uhr mit dem Internet verbunden. Sie nutzen Nachrichtendienste, um Freunden zu texten, informieren sich über die neuesten Nachrichten, checken Ihre E-Mails, posten Urlaubsfotos oder Kuriositäten aus dem Büroalltag auf Facebook oder verabreden sich mal eben schnell mit Freunden oder Kollegen über WhatsApp. In der Bahn zeigen Sie dem Zugbegleiter auf Ihrem Smartphone Ihr elektronisches Ticket, am Flughafen nutzen Sie die elektronische Bordkarte zum Reiseantritt. Und die ganz Versierten überweisen noch eben die ausstehende Rechnung über das kleine Ding in der Hosentasche.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen nutzt Bonusprogramme. Gegen die Preisgabe der Einkaufsdaten erhält man Vorteile, z. B. in Form von Sonderangeboten oder Prämien.
Wahrscheinlich nehmen Sie auch an einem der unausweichlichen Bonusprogramme teil. Ob Rewe, Bahn, Payback oder Miles & More, überall winken Vergünstigungen und besserer Service im Gegenzug für – ja, wofür eigentlich? Im Gegenzug dafür, dass Sie Ihre Daten zur Verfügung stellen. Sie bezahlen all diese Dienstleistungen mit Informationen über sich. Diese Unternehmen wissen, wo Sie sich aufhalten, sie kennen Ihre Vorlieben und Ihr Einkaufsverhalten, schneidern Ihnen individuelle Angebote: So passen sie ihr Warensortiment und ihre Werbung ständig an die Bedürfnisse ihrer Kunden an. Oder sie verkaufen ihren Werbekunden ihr Wissen über uns. Mit diesen passgenauen, auf uns Kunden individuell zugeschnittenen Angeboten wollen alle Beteiligten ihre Verkaufschancen erhöhen, was sonst?
Aber verbessern sie damit nicht auch aus unserer Sicht als Kunden das Angebot und erleichtern unser Leben? Es spart Zeit und Nerven, wenn ich schneller finde, was ich eigentlich suche. Und wenn der Supermarkt sein Sortiment tatsächlich auch nach meinen Bedürfnissen erweitert, etwa indem meine bevorzugte Sorte Pastatomaten vorrätig ist, dann erspart mir das den Weg in andere Geschäfte, zu denen ich sonst nur für diesen einen Artikel extra fahren würde – wertvolle Zeit, die sinnvoller eingesetzt ist mit der Familie, einem guten Buch oder einem Museumsbesuch. Das stete Bestreben der Unternehmen, bei denen ich kaufe, mehr über mich und meine Vorlieben zu erfahren, ihr unstillbarer Datenhunger, verbessert so am Ende das Angebot für mich und macht mein Leben komfortabler. Ein guter Deal? Für die meisten scheinbar ja, denn sie schlagen ja sprichwörtlich ein.
Zugegeben, das alles ist vielleicht eine eher amerikanische Sichtweise auf die Dinge. Aber Hand aufs Herz: Wie oft bestellen Sie bei Amazon, Zalando, Otto oder der Online-Apotheke? Wie oft am Tag suchen Sie bei Google schnell die Informationen, die Sie gerade brauchen? Haben Sie schon einmal einen Musiktitel bei iTunes oder einem anderen Musikdienst gekauft? Oder nutzen Sie Netflix & Co., um die neuesten Serien zu schauen? Wollten Sie sich dem ständigen Austausch und Sammeln Ihrer Daten entziehen, müssten Sie so ziemlich auf all das verzichten. Das Leben wäre ohne Zweifel mühsamer, komplizierter und wahrscheinlich auch teurer. Wie viele DVDs, CDs, Lexika und Bücher müssten wir kaufen und zu Hause stehen haben, um offline aus der gleichen Fülle an Songs, Filmen und Informationen schöpfen zu können?
Dieser Blick auf die Dinge geht in der deutschen Debatte rund um Datenschutz und Privatsphäre leider zu oft unter. »Meine Daten gehen niemanden etwas an« – diese Aussage mag unter heftigem Nicken reflexhafte Zustimmung ernten, hält in ihrer Absolutheit der Überprüfung in der Realität aber in den wenigsten Fällen stand. Kaum einem Menschen dürfte bewusst sein, wie anders sein Leben aussähe, würde er tatsächlich konsequent die alleinige Hoheit über seine Daten zum Maßstab seines Handelns machen. Mit einem solchen Vorhaben verhielte es sich ähnlich wie mit dem schnell gemachten Vorsatz, nur noch Lebensmittel aus regionaler Erzeugung zu konsumieren. Im Winter gäbe es Kohl, Kartoffeln und viele eingelegte, weil auf diese Weise haltbar gemachte Lebensmittel, Paprika und Orangen nur noch wenige Wochen im Jahr. Südfrüchte, Bananen, Asia-Pfanne, die Tomaten im Döner und vieles andere mehr, das wir wie selbstverständlich jederzeit verfügbar haben wollen, wäre dann vom Speiseplan gestrichen.
Alles Quatsch? Nein, dieses Beispiel verdeutlicht nur, wohin absolut gesetzte Postulate führen. Der Ausweg? Es gibt nicht wenige, die ihr alltägliches Tun einfach von den Forderungen und Ansichten trennen, die sie im Allgemeinen gern vertreten. Dieser Schizophrenie wollen wir uns aber nicht anschließen. Wie so oft ist der gesunde Mittelweg die Lösung. Es gilt, unsere Bedürfnisse als Kunde und Verbraucher in Balance zu bringen: Die nach möglichst großem Komfort und möglichst gutem Service mit der Hoheit über unsere Daten. Aber das wird nur gelingen, wenn wir endlich ein weniger verkrampftes Verhältnis zum Umgang mit dem Thema Daten entwickeln – ohne darüber die Sensibilität für das Bedürfnis nach Datenschutz und -sicherheit zu verlieren.
Warum haben eigentlich so viele digitale Unternehmen aus den USA einen nahezu uneinholbaren Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt? Amazon, Apple, Facebook, Google und Co. sind Erfolgsgeschichten. Sie sind in kurzer Zeit weltweit expandiert. Und hätten sich allesamt so aus Deutschland heraus nicht entwickeln können. Da spielen sicher viele Faktoren eine Rolle. In den USA ist es leichter, an Wagniskapital auch in größeren Summen zu kommen, Universitäten und Unternehmertum sind enger verzahnt, der von Anfang an deutlich größere Heimatmarkt bringt enorme Vorteile und grundsätzlich gibt es eine andere Mentalität in Bezug auf Gründen, Scheitern und Die-Welt-verändern-Wollen. Aber ein anderer, unverkrampfterer Umgang mit Daten ist ohne Zweifel auch einer der ganz entscheidenden Punkte.
Kurz gesagt: Unternehmen in den USA können erst einmal Berge von Daten ihrer Kunden sammeln und auf der Grundlage von Datenauswertungen nach und nach neue Geschäftsmodelle oder ein neues Produkt entwickeln. Das deutsche Datenschutzrecht schreibt dagegen vor, dass man Daten nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Kunden zu einem bestimmten, vorher definierten Zweck sammeln darf. Nur für diesen Zweck dürfen sie gespeichert und verarbeitet werden und müssen unaufgefordert wieder gelöscht werden, wenn dieser Zweck erfüllt ist. Der deutsche Ansatz mag Datenpuristen besser gefallen. Wahr ist aber auch, dass er es unseren Unternehmen unendlich viel schwerer macht, mit ihren amerikanischen Wettbewerbern mitzuhalten. Denn die deutschen Gründer und Entwickler haben ja nicht schlechtere Ideen, sie haben nur datenschutzrechtlich schon von Anfang an den schwereren Start. Und den meisten Kunden ist es am Ende egal – sie nutzen munter Facebook, Instagram, Google & Co, weil es so schön bequem ist und sie nicht ständig irgendwelche Datenschutzerklärungen akzeptieren müssen. Ihre Daten liegen dann allerdings in den USA.