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Weil ihr Mann wieder einmal in seiner Arbeit feststeckt, fährt Inga mit ihrer Freundin in den Urlaub. Am Strand von Dubai verliebt sie sich Hals über Kopf in den charmanten Architekten Paul, der in den Emiraten lebt. Alle Brücken abbrechen und mit Paul neu anfangen oder zurück in ihr altes Leben? Doch der Zwiespalt zwischen den beiden Männern ist bald Ingas kleinstes Problem, denn das Schicksal kann manchmal ein mieses Arschloch sein.
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Seitenzahl: 421
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Prolog
Epilog
Über die Autorin
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Die Paartherapeutin saß Inga mit überschlagenen Beinen gegenüber, ein Klemmbrett mit einem Notizblock auf dem Schoß. Obwohl Inga protestiert hatte, dass zu einem Paar ja logischerweise zwei gehörten, hatte sie darauf bestanden, zuerst mit Inga allein sprechen zu wollen. Erst einmal jeder allein, dann erst beide gemeinsam, hatte die Therapeutin erklärt. Jetzt sah sie Inga durch die leicht spiegelnden Gläser ihrer Brille aufmerksam an.
„Dann erzählen Sie doch mal aus Ihrer Sicht“, begann sie in freundlichem Ton. „Was führt Sie denn zu mir?“
Inga holte tief Luft. „Ich möchte meine Ehe retten.“
Die Therapeutin nickte verständnisvoll. „Wie lange sind Sie schon verheiratet?“
„Seit dem 27. August 2005“, antwortete Inga ohne Zögern. Das Datum ihrer Hochzeit gehörte zu den festen Eckpunkten ihres Lebens, auch wenn ihre Ehe infrage stand.
Die Therapeutin notierte etwas. Dann schaute sie Inga wieder direkt an. „Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag Ihrer Hochzeit?“
Auf Ingas Gesicht breitete sich unwillkürlich ein Lächeln aus. „Sehr gute. Es war ein wunderschöner Tag. Tom und ich hatten uns sehr darauf gefreut und es war dann auch genauso, wie wir es uns erhofft hatten.“
Wieder notierte die Therapeutin etwas auf dem Notizblock. „Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Ehe gegangen?“
„Ich dachte, es wäre eine Entscheidung für das ganze Leben“, sagte Inga ernst. „Mir war klar, dass ich mit diesem Mann den Rest meines Lebens zusammen sein will. Ich habe nicht daran gezweifelt, dass wir das schaffen.“
Die Miene ihres Gegenübers spiegelte Anteilnahme. „Und was ist dann passiert?“
Inga atmete hörbar aus. Es fiel ihr immer noch schwer, über die Dinge zu sprechen, die in den letzten Monaten passiert waren und die schwer auf ihrer Seele lasteten. Sie beschloss, mit den eindeutigen Fakten zu beginnen und sich dann weiter voran zu hangeln. „Ich habe meinen Mann betrogen“, sagte sie.
„Wenn Sie von Betrug sprechen, waren dann Gefühle im Spiel, zwischen diesem anderen Mann und Ihnen?“
Inga antwortete kaum hörbar: „Ja.“
„Sie waren also verliebt. Wie ist Ihr Verhältnis zu dem anderen Mann heute?“
„Das ist vorbei.“ Sie spürte, wie ungeweinte Tränen in ihren Augen brannten. „Endgültig.“
Die Therapeutin ging über ihre Antwort hinweg. Sie notierte sich Stichpunkte und stellte dann ihre nächste Frage. Es tat Inga gut, dass sie nicht kommentierte und auch nicht beurteilte. Vorwürfe machte sie sich schon selbst genug.
„Wie sind Ihre Gefühle Ihrem Mann gegenüber jetzt?“
Inga seufzte. „Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber ich glaube, ich habe im Grunde nie aufgehört, ihn zu lieben. Irgendwie. Trotz allem.“
Die Therapeutin nickte, so als würde sie es doch verstehen. Auch wenn Inga selbst nicht begreifen konnte, was da über ihr Leben gekommen war.
Die Therapeutin wechselte abrupt das Thema: „Haben Sie und Ihr Mann Kinder?“
„Nein“, antwortete Inga wahrheitsgemäß. „Es ist nicht direkt so, dass wir nie welche wollten. Aber irgendwie passte ein Baby dann nicht in unser Leben. Wir hatten beide unsere Berufe, keiner von uns hätte zurückstecken wollen. Und irgendwann war es dann zu spät. Ich bin bald Mitte vierzig, jetzt möchte ich auch nicht noch einmal von vorne anfangen.“
„Sind Ihr Mann und Sie sich in diesem Punkt einig?“
Inga nickte. „Es war wohl nie ein großer Kinderwunsch da, bei keinem von uns beiden.“
Wieder nickte die Therapeutin und wartete mit ihrer nächsten Frage, bis sie mit ihren Notizen fertig und wieder bereit war, Inga ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen. „Wie steht Ihr Mann zu Ihrer außerehelichen Beziehung? Kann er Ihnen verzeihen, was passiert ist?“
Inga rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Jetzt näherten sie sich dem Punkt, an dem es schwierig wurde. Schmerzhaft. Bis hierher war ihre Geschichte eine von vielen. Bedauerlich, aber auch wenig spektakulär.
Zaghaft antwortete sie: „Er hat mir längst verziehen. Das ist nicht das Problem.“
Zum ersten Mal ging die Therapeutin auf das ein, was Inga gesagt hatte. „Wenn Sie sich einig darin sind, dass Sie Ihre Ehe aufrechterhalten wollen, ist das doch ein guter Anfang. Dann werden wir sicher auch einen Weg finden, wie Sie sich wieder ganz aufeinander einlassen können und das Vertrauen zwischen Ihnen wieder wächst.“ Sie lächelte aufmunternd.
Doch Inga musste sie enttäuschen. „Deshalb sind wir nicht gekommen …“
Es war Brittas Idee gewesen. Die Freundinnen lebten zwar in entfernten Städten und hatten jede ihr eigenes berufliches und privates Umfeld, doch ihre Freundschaft hatte die Jahre trotzdem überdauert. Tom hatte sofort zugestimmt, ja, Inga sogar zugeredet, die Reise mit Britta zu machen. Er hatte ein neues Projekt, das ihn die nächsten Monate stark vereinnahmen würde. An Urlaub war erst einmal nicht zu denken. Also war es abgemacht.
Britta buchte das Hotel und die Flüge. Eine Woche Dubai!
Sie wollten sich in München treffen. Inga kam von Frankfurt und Britta aus Lausanne, gemeinsam bestiegen sie in der bayerischen Landeshauptstadt die Emirates-Maschine nach Dubai.
„Freust du dich auf eine Woche Sonne, Strand und Meer?“, fragte Britta gut gelaunt, als sie ihren Gurt festzurrte.
Inga stöberte in der Klapptasche vor ihrem Sitz und förderte die Sicherheitsanweisungen, eine Spucktüte und das Bordprogramm zutage. „Und ob!“, erwiderte sie. „Und außerdem auf einen Hauch von tausendundeiner Nacht.“
Britta winkte die Stewardess heran, kaum dass die Anschnallzeichen erloschen waren. „Zwei Sekt bitte für uns.“
„Mädelstrip“, erläuterte Inga entschuldigend.
Die Stewardess lachte. „Sehr gern, die Damen.“
Als sie sich durch die Reihen entfernte, fragte Inga Britta: „Dürfen die überhaupt Alkohol ausschenken? Ist doch eine islamische Fluggesellschaft, oder?“
„Wir reisen doch nicht nach Mekka. Das ist Dubai!“
Inga lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück und sah aus dem Fenster. Die Stewardess kam zurück und servierte ihnen zwei Gläser Sekt. Es fühlte sich bereits jetzt nach Urlaub an.
„Stört es Tom, dass du ohne ihn wegfliegst?“, fragte Britta unvermittelt.
Inga nippte an ihrem Sekt. „Nein, ich denke nicht. Er ist, glaub ich, ganz froh, dass du mich unterhältst. Es wäre jetzt eh wieder Saure-Gurken-Zeit bei uns. Wenn er ein neues Projekt hat, ist er so in seiner Arbeit drin, da nimmt er mich kaum wahr.“
„Das ist aber auch nicht der Hit für eure Ehe, oder? Wie oft kommt das vor?“ Britta riss die kleine Tüte mit Knabbereien auf, die die Stewardess ihnen zum Sekt gereicht hatte. Es war eine Studentenfuttermischung. Britta kippte sie in der Vertiefung auf ihrem Klapptischchen aus und begann die Rosinen auszusortieren.
„Ach, ich kenn das ja. Er ist neben mir auch mit seiner Arbeit verheiratet. Das war schon immer so“, winkte Inga ab.
Britta zuckte die Schultern. Sie arrangierte die Nüsschen zu einem Häufchen und schob die Rosinen auf der anderen Seite zusammen. Dann steckte sie sich die erste Nuss in den Mund.
Inga langte zu Brittas Arrangement hinüber und bediente sich an den aussortierten Rosinen. Es waren die liebgewonnenen Routinen einer langen Freundschaft.
„Und du?“, fragte sie. „Kannst du denn einfach so von deiner Arbeit weg?“
Auch Britta war ein Workaholic. Als Human Resources Managerin in der Zentrale einer großen, renommierten Hotelkette kannte sie eigentlich keinen Feierabend, geschweige denn Urlaub.
„Mein Chef hat mir deutlich gemacht, dass er mir dieses Jahr keinen Urlaub ausbezahlen wird. Ich solle mich endlich erholen, meint er“, erwiderte Britta achselzuckend und begann nun, die Nüsse nach Sorten zu trennen.
„Da hab ich ja Glück gehabt“, stellte Inga fest. „Warum hast du uns eigentlich keines von euren Hotels gebucht?“
„Ich will nicht auch noch im Urlaub Leute um mich herumhaben, die ich eingestellt habe. Außerdem sind wir quasi in einem Hotel von uns. Das Ajman Hotel gehörte früher zu unsrer Kette. Seit einigen Jahren wird es aber jetzt von einheimischen Hoteliers betrieben. Renoviert haben sie es auch. Also ich glaube, du wirst auf jeden Fall begeistert sein.“
„Das hab ich auch nie bezweifelt“, beeilte Inga sich, zu versichern.
Britta vertrieb sich die Zeit mit einem Film des Board-Programms, Inga begann lieber mit dem Roman, den sie sich für die Reise gekauft hatte. Zwischendurch unterbrach sie die Stewardess, die ihnen das Essen servierte.
„Was darf ich Ihnen noch zum Trinken anbieten?“, fragte sie beflissen.
Britta bestellte einen Tomatensaft und Inga eine Cola. Als die Stewardess ihren Servicewagen weitergeschoben hatte, sagte Inga spöttisch: „Du musst aber nicht jedes Klischee von Deutschen im Urlaub bedienen. Oder trinkst du etwa zu Hause auch Tomatensaft?“
Britta warf ihr einen gespielt abschätzigen Blick zu. „Dazu gibt es wissenschaftliche Studien“, behauptete sie. „In zehntausend Kilometern Höhe schmeckt der Saft ganz anders als auf dem Erdboden. Das hat auch mit dem Luftdruck zu tun. Außerdem ist ein gut gesalzter Tomatensaft mehr wie ein kleiner Snack und nicht nur ein Getränk. Deshalb halte ich an dieser liebgewonnenen Tradition fest. Tausende Flugreisende, die auf ihren Flügen zum Tomatensaft greifen, können einfach nicht irren.“
Inga grinste. Sie löste vorsichtig die Aluabdeckung von ihrem Hühnchen-Curry. Obwohl sich der Caterer der Fluggesellschaft wirklich Mühe gegeben hatte und das Curry sogar einigermaßen genießbar war, sah es in seiner in drei Kammern unterteilten Styroporverpackung nicht besonders ansprechend aus. Inga kratzte die kleine Portion Reis aus der einen Vertiefung hinüber in die größere, die mit einer gelblichen Masse aus Hühnchen- und Gemüseteilen gefüllt war. Britta hatte ein Lammgericht. Sie ließ sich vom Anblick ihrer Mahlzeit nicht irritieren und hatte bereits die Hälfte davon aufgegessen, während Inga noch mit dem Mischen beschäftigt war.
„Jetzt erzähl aber mal“, forderte sie mit vollem Mund. „Wie geht es dir und Tom denn so? Seid ihr glücklich?“
Inga verzog das Gesicht. „Wie kommst du denn jetzt darauf? Ja. Na ja, was heißt schon glücklich. Es ist wohl in keiner langfristigen Beziehung so, dass man jeden Morgen berstend vor Glück aus dem Bett springt, oder? Ich denke, wir sind ganz zufrieden.“
„Und das reicht dir?“, bohrte Britta nach.
„Ja. Also ich wüsste jedenfalls nicht, was ich anderes wollen sollte. Wir haben viele Gemeinsamkeiten, verbringen unsere Zeit gern miteinander, kommen aber auch gut alleine klar. Wir glucken nicht aufeinander. Das würde ich auch nicht wollen. Deshalb kann ich ohne schlechtes Gewissen mit dir eine Woche nach Dubai fliegen.“
„Und der Sex?“, fragte Britta unverblümt.
„Jetzt hör aber mal auf!“, beschwerte Inga sich und drohte ihrer Freundin spielerisch mit der Plastikgabel.
„Warum? Das ist doch ein guter Gradmesser für die Funktionstüchtigkeit einer Beziehung, oder etwa nicht?“
Inga bemühte sich, eine verärgerte Miene aufzusetzen. „Ich diskutiere doch hier nicht mein Sexleben mit dir!“
„Und warum nicht? Schämst du dich deswegen? Also ich habe, was das betrifft, keine Geheimnisse vor dir. Ich habe guten Sex, gelegentlich. Aber es könnte durchaus mehr sein. Als Langzeitsingle genießt man gewisse Vorteile, die das Beziehungsleben nicht bietet, das sag ich ganz offen heraus. Aber es gibt doch Durststrecken.“
„Tja“, warf Inga ein. „Die gibt es im Eheleben auch, man stelle sich nur vor.“
Es hatte ein paar längere Beziehungen in Brittas Leben gegeben und auch ein paar richtig fiese Phasen von Liebeskummer. Seit vielen Jahren nun aber lebte sie ihr Singledasein aus und gefiel sich selbst in der Rolle des männermordenden Vamps. Da Inga schon so lange mit Tom liiert war, waren die Freundinnen sich nie in die Quere gekommen. Sie ließen die jeweils andere in ihrem Lebensentwurf glücklich sein, ohne ihr den eigenen aufzuzwingen. Vielleicht das eigentliche Erfolgsgeheimnis ihrer langen Freundschaft, die trotz der räumlichen Distanz nun schon so viele Jahre Bestand hatte.
Britta sah sie ernst an. „Das bezweifle ich gar nicht. Trotzdem frage ich mich manchmal, wo die Auslastung wohl tendenziell besser ist: In einer Beziehung, wo man zwar nur die bekannte Hausmannskost bekommt, dafür aber quasi als Flatrate, oder als Single auf dem freien Markt, auf dem grundsätzlich alles Denkbare verfügbar ist, aber frau es sich halt erst jedes Mal mühsam erschließen muss.“
Inga konnte nicht anders, als zu kichern. „Wieso versuchst du es nicht zur Abwechslung mit einem festen Lover? Vielleicht ist das ja der Schlüssel zum Glück. Du hast ihn, immer wenn du ihn brauchst, aber wenn er dich doch langweilt, kannst du ihn jederzeit austauschen.“
„Lach nicht“, protestierte Britta. „Das hab ich alles schon versucht. Aber ganz ehrlich: Es ist nicht so, dass angeblich immer nur Frauen was Festes wollen. Da gibt’s auch Kerle, denen das ‚Heirate mich!’ schon auf die Stirn tätowiert ist. Und die wird man verdammt schwer wieder los, wenn sie sich erst einmal auf dich eingeschossen haben! Nee, nee, da ist mir so eine einmalige, unverbindliche Sache unbedingt lieber.“
„Wobei ich das mit diesen One-Night-Stands ja auch nicht ganz verstehe. Ich würde doch in einem Restaurant auch nicht das Gericht auswählen, von dem ich vorher schon weiß, dass ich es garantiert kein zweites Mal essen möchte.“
Jetzt wieherte Britta vor Vergnügen. Die tief verschleierte Dame in der Sitzreihe schräg vor ihnen warf ihr einen indignierten Blick zu. Inga unterdrückte das Bedürfnis, lauthals in Brittas Gelächter einzustimmen und hoffte, dass die Umsitzenden kein Deutsch verstanden, was angesichts dessen, dass sie von München aus gestartet waren, auch in der Maschine einer arabischen Airline nicht allzu wahrscheinlich war.
Schnell wechselte sie das Thema. „Müssen wir eigentlich beim Aussteigen auch so ein Tuch umbinden?“
Britta schüttelte verständnislos den Kopf. „Hast du mal einen Reiseführer bemüht, bevor du eingewilligt hast, mit mir nach Dubai zu fliegen? Das ist nicht der Iran, meine Liebe. Das mag zwar vordergründig ein islamisches Land sein und sie haben da auch einen Scheich und all sowas, aber ansonsten ist Dubai eher wie Las Vegas in noch gigantischer! Es gibt da nichts, was es nicht gibt. Und westliche Touristen, die Miniröcke und Bikini tragen, entlocken da keinem mehr einen schiefen Blick. Du wirst schon sehen. Das ist ganz anders, als du dir das vielleicht vorstellst.“
„Ich weiß nur, dass sie künstliche Inseln aufgeschüttet haben und dass es eine Halle gibt, in der man mitten in der Wüste Ski fahren kann“, erwiderte Inga, um nicht als völlig unvorbereitet dazustehen.
„Das ist wahr. Außerdem das höchste Gebäude der Welt, das sagenumwobene Burj al Arab, irgendwann mal zum luxuriösesten Hotel der Welt gekürt, und ich glaube, das erste Untersee-Restaurant. Wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob das wirklich realisiert wurde.“
„Ich bin auf jeden Fall gespannt“, fasste Inga zusammen. „Ich war noch nie in einem muslimischen Land. Egal, ob jetzt westlich orientiert oder nicht. Ich bin gespannt auf die Kultur. Und für dich muss das doch schon allein aus beruflichem Interesse spannend sein, oder?“
„Ist es“, bestätigte Britta. „Ich war auch schon mal dort, um mir Hotels anzusehen. Man kann da von den Golfstaaten unbedingt lernen. Service und Dienstleistung haben die auf eine ganz neue Stufe gestellt, das kennst du von uns zu Hause so sicher nicht.“
„Servicewüste Deutschland, sag ich da bloß …“
Britta nickte. Sie tupfte sich affektiert die Lippen mit der dünnen Papierserviette, die den Emirates-Schriftzug trug, und stapelte Plastikbesteck, Verpackungsmüll und Serviette auf das Tablett. „Aber dieses Mal bin ich nicht aus dienstlichen Gründen da. Ich werde mich für Hotels allenfalls dahingehend interessieren, ob sie einen kühlen Drink anbieten und man in ihren Restaurants fürstlich dinieren kann.“
„Ich stell es mir schwierig vor, sich von dem professionellen Blick zu lösen, wenn man im Urlaub ist. Bist du nicht ständig versucht, Fehler zu finden und zu reklamieren?“, fragte Inga.
„Ja, ich kenne Hotelleute, die können einfach nicht abschalten. Wenn die im Restaurant essen, dann dirigieren sie den Service, lassen Besteck und Gläser zurückgehen, weil sie angeblich schlecht poliert sind, und mäkeln an allem und jedem herum. Das ist sehr mühsam. Ich sehe das eher gelassen. Wenn ich nicht im Dienst bin, dann bin ich viel großzügiger, weil ich weiß, was für einen Stress die Bedienung wahrscheinlich hat. Ich hab zu meiner Studentenzeit auch gekellnert, das ist noch nicht so lange her, dass ich vergessen hätte, wie es ist, wenn man alle Tisch besetzt hat und in der Küche steht der Pass voller Teller, die ausgetragen werden sollen. Du brauchst also keine Angst zu haben, ich werde nicht die strenge Hotel-Managerin rauskehren!“
Sie erreichten den Flughafen von Dubai kurz vor Mitternacht, Ortszeit. Schon im Flieger hatten sie ihre Uhren um zwei Stunden nach vorn gestellt. Ihre Maschine hatte eine Außenposition, und als die Türen geöffnet wurden, schritten sie über eine Treppe nach unten. Trockene, warme Luft umfing sie. Inga fühlte, wie die Hitze vom Asphalt hochstieg, der wahrscheinlich den ganzen Tag von der Sonne beschienen worden war. In kurzer Entfernung sahen sie das langgezogene, gewölbte Gebäude des Flughafens. Mehrere Maschinen standen zum Be- und Entladen entlang des Terminals in Parkposition. Auch noch tief in der Nacht herrschte hier geschäftige Betriebsamkeit.
Ein Bus rollte heran. Er hielt vor dem gelandeten Flugzeug aus München und wartete mit weit geöffneten Türen auf seine Fahrgäste. Inga und Britta ließen sich mit dem Strom der Aussteigenden zum Bus schieben. Sie ergatterten zwei Stehplätze ziemlich in der Mitte des Busses und wurden von den nachrückenden Reisenden gleich ans Fenster geschoben. Inga umklammerte ihre Handtasche mit beiden Armen. Fremdländische Gespräche rauschten von allen Seiten an ihre Ohren. Die meisten ihrer Mitreisenden hatten ihre Handys gezückt und vom Flugmodus befreit. Einige telefonierten lautstark, andere verschickten Nachrichten an ihre Lieben, dass sie gelandet waren. Inga überlegte, dass sie das auch tun sollte. Doch die Meldung hatte Zeit, bis sie im Hotel waren. Tom würde vermutlich ohnehin bis tief in die Nacht wach sein und arbeiten. In Frankfurt war es erst zehn Uhr.
Als der Bus am Terminal hielt, wurden sie alle kurz gegeneinandergepresst. Dann öffneten sich die automatischen Bustüren wieder und entließen die dicht an dicht gedrängten Menschen ins Freie. Wieder wurde Inga von der drückenden Hitze draußen überrascht. Der Bus war klimatisiert gewesen.
Über Rolltreppen und lange Rollfelder gelangten sie zur Gepäckausgabe. Die Architektur des Flughafens war auffallend großzügig und es war bemerkenswert sauber. Der glatte Marmorboden spiegelte die Deckenbeleuchtung. Britta und Inga reihten sich in die Schlange an der Passkontrolle ein. Der uniformierte und schwer bewaffnete Grenzpolizist warf nur einen flüchtigen Blick auf ihre deutschen Reisepässe, dann winkte er die beiden Frauen durch. Sie mussten ihr Handgepäck, Schuhe, Gürtel und den Inhalt ihrer Hosentaschen auf das Band legen, dann konnten sie durch die Sicherheitsschleuse treten. Die beiden Polizisten, die diesen Vorgang überwachten, schenkten ihnen ebenfalls kaum Aufmerksamkeit. Inga ging gerade durch den Kopf, dass sie in einem muslimischen Staat im Mittleren Osten mehr Aufhebens um die Sicherheit erwartet hätte, als sie an einem weiteren Schalter vorübergingen, vor dem zwei Polizisten gerade eine indisch aussehende Familien nötigten, sich bis auf die Unterhosen auszuziehen.
„Die messen hier aber deutlich mit zweierlei Maß“, murmelte Inga Britta zu, die gerade noch den korrekten Sitz ihrer Gürtelschnalle überprüfte.
„Was?“, fragte sie.
„Na, guck doch mal.“ Inga gestikulierte verstohlen in Richtung des zweiten Kontrollpostens. „Der musste seine Hose ausziehen!“
„Vielleicht hat er Nieten dran, die beim Durchgehen anschlagen würden“, mutmaßte Britta, ohne die Szene genauer zu betrachten. „Komm, wir müssen da lang.“
Inga folgte Britta, beobachtete aber trotzdem aus den Augenwinkeln noch, wie die indische Frau hinter dem Paravent hervorkam, hinter dem sie sich ausgezogen und durchleuchten hatte lassen. Sie drapierte das bunte Tuch wieder über ihre Schultern, das farblich exakt zu der Tunika und der engen Hose passte, die sie trug. Dann scheuchte sie drei Kinder unterschiedlichen Alters zusammen und händigte ihnen ihre Rucksäcke und Taschen aus. Wie potentielle Terroristen sah die Familie nicht aus, fand Inga.
„Kommst du jetzt?“, fragte Britta unterdessen ungeduldig.
Inga richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Sie erreichten die Gepäckausgabe, wo an langen Bändern Reisende auf ihre Koffer warteten. Britta hatte mit raschem Blick sofort die richtige Schlange entdeckt und schob Inga nun vor sich her.
„Stell du dich mal hier in Position, ich hol uns so einen Wagen für die Koffer“, bestimmte Britta.
Das Band, vor dem Inga stand, lief bereits. Gerade plumpsten die ersten Gepäckstücke darauf. Die Wartenden versperrten ihr die Sicht auf einen Großteil des Förderbands. Inga versuchte einen Blick auf die herannahenden Koffer zu erhaschen. Schließlich entdeckte sie ihren Koffer auf dem Band. Sie drängelte sich zwischen zwei anderen Mitreisenden durch, bekam den Griff zu fassen und hievte das Monstrum dann vom Band herunter. Tom hatte sie gewarnt, dass sie für eine siebentägige Reise viel zu viel eingepackt hätte und sie sich über den schweren Koffer ärgern würde, wenn sie ihn quer durch den ganzen Flughafen schleifen musste. Damit hatte er nicht ganz unrecht gehabt. Immerhin hatte der Koffer Räder und sie konnte ihn hinter sich herziehen. Suchend sah sie sich nach Britta um. Dann entdeckte sie die Freundin fröhlich winkend am anderen Ende des Förderbands. Sie hatte nicht nur einen Gepäckwagen ergattert, sondern auch bereits ihren nicht minder voluminösen Koffer und das Kosmetikköfferchen aufgeladen. Nun kam sie Inga entgegen und half ihr mit ihrem Koffer.
Draußen außerhalb der Sicherheitszone wartete bereits ein Taxifahrer mit einem Pappschild in der Hand, auf dem ihrer beider Namen standen. Britta hatte nichts dem Zufall überlassen. Inga begann sich zu entspannen.
Es war taghell auf Dubais Straßen, Autos hupten, dazwischen wuselten Menschen. New York war ja angeblich die Metropole, die niemals schlief. Dubai aber hielt ganz offensichtlich auch nicht viel von Nachtruhe.
Der Fahrer übernahm den Kofferwagen von Britta und schob ihn voran zu seinem Taxi. Während er das Gepäck in den Kofferraum hievte, machten es sich Britta und Inga auf dem Rücksitz seiner Limousine bequem. Als er auf der Fahrerseite einstieg, nannte ihm Britta das Hotel.
„Ah, Ajman“, sagte er. „Outside city. No city hotel.”
„I know”, erwiderte Britta.
Der Fahrer zuckte die Achseln und ließ den Motor an. Sofort pustete es Inga aus den Lüftungsschlitzen eiskalt entgegen. Nach der Hitze der arabischen Sommernacht empfand sie die künstliche Kälte auf der Haut als unangenehm. Sie drehte die Lüftung zu.
„Machen die hier alle so“, erklärte Britta, die sie beobachtet hatte. „Unfassbar, wie die ihre Autos und Häuser runterkühlen. Pass auf, da hast du dir schneller eine Erkältung weggeholt, als du gucken kannst. Draußen vierzig Grad im Schatten und in der Mall sechszehn eiskalte Grad.“
„Ist vielleicht so ein Statusding“, überlegte Inga laut. „In so einer Gegend ist reich, wer sich Kälte leisten kann.“
„Kann schon sein.“
„Was hat der Fahrer gemeint? Unser Hotel liegt gar nicht direkt in Dubai?“, wechselte Inga das Thema.
„Nein, tut es nicht. Ajman ist ein eigenes Emirat. Aber du wirst sehen, das ist nur ein Katzensprung. Da draußen haben wir einen herrlichen Strand, der nur uns gehört, und mit dem Taxi sind wir in Nullkommanichts mitten in Dubai, wenn wir das wollen“, erklärte Britta.
Fasziniert beobachtete Inga durch das Fenster die vorbeifliegende Megametropole.
Trotz der vorgerückten Stunde bezogen Britta und Inga nur ganz kurz das ihnen zugewiesene Zimmer und fanden sich danach an der Bar ein. Nach deutscher Zeit fühlten sie sich noch nicht müde. Das Hotel verfügte über eine Sportsbar und eine Lounge, Letztere blieb sogar bis drei Uhr morgens geöffnet, wenn der Rest der Gastronomie bereits längst geschlossen hatte. Sie entschieden sich dafür, in die Lounge zu schauen.
„Wir stoßen jetzt erst einmal an“, entschied Britta.
Sie waren nicht die letzten Gäste an diesem Abend. An der Bar saßen zwei Herren in der typischen Landestracht: das Dishdasha genannte knöchellange weiße Hemd ohne Kragen, dazu Ghutra und Agal, ein weißes Kopftuch, gehalten durch eine schwarze Kordel. Britta hatte Inga auch über die hiesige Männermode aufgeklärt, nachdem sie befunden hatte, dass Inga sich zu wenig über Dubai und seine Gepflogenheiten informiert hatte. An einer der locker über den Raum verteilten Sitzgruppen saßen zwei westlich gekleidete Männer, von denen zumindest einer auch eindeutig europäisch aussah. Alle vier Anwesenden und der Barkeeper hinter der Theke hoben die Köpfe und folgten Britta und Inga mit ihren Blicken zu einem der kleinen runden Tische mit bequemen Sesseln darum.
„Das ist ja gruselig“, flüsterte Inga Britta zu. „Dürfen Frauen hier nicht einfach in eine Bar gehen?“
„Doch, klar“, wischte Britta ihre Bedenken beiseite. „Die sehen halt vielleicht nicht so oft so offensichtlich attraktive Damen. Ihre eigenen sind ja immer eingewickelt.“
Inga griff nach der Getränkekarte und verschanzte sich dahinter. Als sie vorsichtig über die Kante linste, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass sich die beiden Männerduos wieder ihren eigenen Gesprächen zugewandt hatten, lediglich der Barkeeper bedachte sie weiterhin mit seiner Aufmerksamkeit. Er hatte das Glas, das er eben poliert hatte, abgestellt und kam nun um seinen Tresen herum auf sie zu.
„Two glasses of champagne, please“, bestellte Britta, ohne Inga zu fragen.
„Yes, Ma’am. Your room number?”
Britta nannte ihm ihre Zimmernummer. Der Hotelangestellte verschwand wieder hinter seinem Tresen.
„Jetzt erst einmal ein Gläschen Blubberwasser, dacht ich.“ Britta grinste. „Und dann gucken wir mal, was der Abend noch bringt.“
Inga registrierte, dass Britta an ihr vorbeischaute und zwinkerte. Sie fuhr herum und sah gerade noch, wie der europäisch aussehende Mann in ihre Richtung lächelte.
„Sag mal, flirtest du schon wieder?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Du bist noch keine Stunde im Hotel und hast schon wieder deine Fühler ausgestreckt.“
„Lass mich doch!“
Der Fremde winkte den Kellner zu sich. Dann bedeutete er ihm etwas, wobei beide sich zu Britta und Inga umdrehten.
„Na toll“, grummelte Inga. „Das hast du jetzt davon. Wahrscheinlich werfen sie uns jetzt hinaus. Das macht man halt in so einem Land nicht, fremden Männern zuzwinkern.“
„Unsinn“, widersprach Britta. Sie lehnte sich genüsslich zurück und schlug aufreizend ihre langen Beine übereinander.
Inga registrierte es mit noch mehr Unbehagen. „Dein Rock ist auch zu kurz.“
„Jetzt hör aber auf“, versetzte Britta. „Wir sind hier im Urlaub. Wir sind zahlende Hotelgäste genauso wie diese Herren, vermutlich. Niemand hat etwas Unschickliches getan. Jetzt lass uns unseren Champagner genießen, wenn er kommt. Vielleicht vergeht dir dann deine Miesepetrigkeit.“
Der Kellner kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem gleich vier Gläser mit prickelndem Inhalt standen.
„Two glasses of champagner for you”, sagte er und stellte zwei der Gläser ab. „And two glasses more on invitation of the two gentlemen over there.”
Er positionierte die beiden zusätzlichen Gläser neben den ersten.
„Thank you so much“, flötete Britta, nahm eines der ihr zugewiesenen Gläser auf und hob es in Richtung der beiden Gönner.
Inga fühlte sich nun tatsächlich wie die Spaßbremse vom Dienst. Sie beeilte sich, ebenfalls ein Glas zu heben und den beiden Unbekannten zuzuprosten. Diese revanchierten sich mit ihren Biergläsern.
„Bist du jetzt beruhigt?“, fragte Britta, nachdem sie das erste Glas zur Hälfte geleert hatte.
Inga nippte an ihrem Champagner. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie jedes harmlose Urlaubsvergnügen missbilligte.
„Der eine sieht doch ganz schnuckelig aus“, verkündete Britta und musterte die beiden Herren ungeniert.
Inga warf noch einen verstohlenen Blick zum anderen Tisch. „Welchen von den beiden meinst du denn?“
„Na, der Süße, mit den blonden Haaren und dem Poloshirt.“ Weil sie erneut so lange hinübergeschaut hatte, war der Besagte wieder aufmerksam geworden und grinste zu ihnen herüber.
„Und ein süßes Grinsen hat er“, stellte Britta fest.
„Woah, echt“, echauffierte Inga sich. „Du hast nichts anderes als irgendwelche Kerle im Kopf. Weißt du, wie man das nennt? Mannstoll. Jawohl.“
Britta lachte schallend, sodass sich auch die beiden Einheimischen am Bartresen wieder zu ihnen umwandten.
„Scht“, machte Inga. „Ist doch wahr.“
„Gar nicht“, widersprach Britta. „Du hast nur vor lauter Verheiratetsein vergessen, wie man flirtet. Komm schon, es ist doch nichts dabei.“
Plötzlich stand, für Inga unvermittelt, weil sie ihm bewusst keine weitere Beachtung mehr geschenkt hatte, der fremde Champagnerspender an ihrem Tisch.
„Sorry to interrupt, ladies. Might I ask if you are interested to join my friend and me at our table?”, fragte er in formvollendetem Englisch, aber mit deutlichem Akzent.
„You may ask. Oder auch: Sehr gerne, der Herr“, gab Britta frech zurück, ohne Inga auch nur anzusehen.
Der Fremde stutzte. „Sie sind Deutsche?“, fragte er auf Deutsch.
„Hört man doch recht deutlich, nicht?“ Britta grinste. „Sie wohl auch?“
„Fast. Aus Österreich. A Weaner, wann’s genehm is.” Er lachte.
„Ach, da sind wir ja alle vertreten. Meine Freundin hier kommt aus Frankfurt, ich wohne und arbeite in Lausanne, in der Schweiz.“
„Sehr erfreut. Küss die Hand, Madame.“ Er deutete einen Diener an. „Mein Name ist übrigens Paul. Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Britta“, erwiderte Britta, nahm die dargebotene Hand und schüttelte sie.
„Inga“, beeilte Inga sich zu sagen und schüttelte ihm ebenfalls die Hand.
„Nun, Britta und Inga, kommen Sie?“ Er wies hinüber zu dem Tisch, an dem sein Freund saß und etwas verloren wirkte.
Britta erhob sich sofort und griff nach ihren beiden Gläsern, die ihr von Paul sofort abgenommen wurden. Notgedrungen stand auch Inga auf und folgte den beiden an den anderen Tisch. Da seine Hände mit Brittas Gläsern gefüllt waren, trug Inga ihre selbst.
Drei Sessel standen bereits am Tisch. Paul rückte seinen Sessel näher zu dem seines Freundes und zog vom Nebentisch noch einen vierten heran. „Bitteschön.“
Britta ließ sich gegenüber von Paul nieder, Inga blieb der freie Sessel neben dem Wiener.
„Mein Freund hier heißt Mahmud“, stellte Paul den anderen Mann vor.
„Kommen Sie auch aus Wien, Mahmud?“, übte Britta Konversation.
„Nein“, antwortete der Angesprochene und der Akzent ließ erahnen, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war. „Ich bin im Oman geboren und lebe seit fünfzehn Jahren in den Emiraten.“
„Und Sie sprechen astreines Deutsch“, stellte Britta anerkennend fest. „Wie kommt’s?“
Mahmud antwortete: „Ich habe in Berlin studiert.“
„Mahmud und ich sind Arbeitskollegen“, stellte Paul klar. „Wir arbeiten beide für eine internationale Immobilienfirma. Ich bin Architekt und begleite hier gerade ein Bauprojekt. Mahmud ist der Bauleiter.“
Die beiden Männer und Britta unterhielten sich eine Weile über ihre jeweiligen Jobs. Britta machte Staat mit ihrer Position im Management einer renommierten Hotelkette, die beide Herren natürlich kannten. Dabei zog sie alle Register. Sie lachte, warf kokett das Haar zurück und setzte ihre makellosen Beine in Szene. Inga gönnte ihr das Vergnügen. Sie selbst hielt sich aus dem Gespräch weitgehend heraus und widmete sich ihrem Champagner. Sie verspürte keine Lust, mit ihrer Freundin in Wettstreit zu treten. Langsam machte sich doch Müdigkeit bei ihr breit.
Irgendwann verwickelte Mahmud Britta in eine Diskussion über Hotelneubauten und Paul wandte sich Inga zu. „Und Sie? Was machen Sie beruflich?“, fragte er.
„Ich bin im Finanzwesen“, antwortete Inga.
„Das liegt ja nahe, in Frankfurt.“ Paul hatte sich offensichtlich ihren Wohnort gemerkt. „Für wen arbeiten Sie genau?“
„Keine Bank“, erwiderte sie widerwillig. Sie verspürte kein Bedürfnis, ihre berufliche Situation mit einem Wildfremden zu erörtern. Seit einer Weile hing sie auf einer Stufe der Karriereleiter fest und war mehrmals bei Beförderungen übergangen worden. Eigentlich trug sie sich schon seit Längerem mit der Überlegung, den beruflichen Neuanfang zu wagen. Doch das wollte sie nicht mit einer Urlaubsbekanntschaft, die sie gerade kennengelernt hatte, diskutieren. „Ein Wirtschaftsunternehmen. Genau genommen eine größere Unternehmensberatung.“
„Interessant“, gab Paul von sich. Er hatte sich in seinem Sessel so gedreht, dass er ihr den Oberkörper zuwandte, dadurch entstand eine Art Schneise zwischen dem Gespräch von Mahmud und Britta, sowie ihm und Inga.
Es kam ihr so vor, als werfe Britta ihr beredte Blicke zu, weil sie eigentlich ein Auge auf den schnuckeligen Architekten geworfen hatte, der sich nun ganz Inga widmete.
„Weniger interessant, als es sich vielleicht anhört, ehrlich gesagt“, gestand Inga und fügte an, um Britta wieder mit ins Gespräch zu holen: „Die mit der spannenden Arbeit ist meine Freundin hier.“
„Zweifelsohne. Sie hat uns ja vorher schon ein wenig teilhaben lassen“, sagte Paul und bedachte Britta mit einem Lächeln.
Inga lehnte sich wieder in ihrem Sessel zurück.
„Dann sind Sie beide auf Urlaub hier“, stellte Paul fest. „Kennen Sie Dubai denn schon? Oder ist es Ihr erster Aufenthalt?“
„Ich hatte hier schon beruflich zu tun“, nahm Britta den Ball sofort wieder auf. „Wir betreiben zwei relativ neue Hotels in Dubai und eine Residence. Beim Opening des einen, das sich auf der künstlichen Palm Insel befindet, war ich vor Ort und habe vor allem die Personalauswahl begleitet.“
„Das Hotel kenne ich“, erwiderte Mahmud. „Die Architektur ist sehr gelungen. Es erinnert an einen Maharadschapalast aus dem 18. Jahrhundert.“
Britta wirkte so stolz, als habe sie das Hotel mit ihren eigenen Händen erbaut. „Ja, nicht? Ich finde auch. Eines der schönsten Häuser, die wir haben. Wobei wir viele sehr hübsche Häuser in der Kette haben. Jedes ist einzigartig. Und jedes spiegelt auch die Region, in der es steht, wider. Es gibt ja Hotelketten, da sieht jedes Haus gleich aus. Du gehst abends ins Bett und morgens weißt du gar nicht, bin ich jetzt in Singapur, oder New York, oder wo bin ich eigentlich?“
Ohne es zu wollen, sah sich Inga wieder genötigt, mit Paul ein separates Gespräch anzufangen, da Mahmud Britta in eine Diskussion über das Für und Wider von einheitlicher Hotelarchitektur verwickelte.
„Sie kennen Dubai noch gar nicht?“, fragte er.
„Nein. Wir sind erst heute Abend angekommen.“
„Haben Sie schon Pläne für die nächsten Tage? Was möchten Sie gerne sehen?“
Inga zögerte mit ihrer Antwort. Sie wollte nicht, dass er sich genötigt sah, den Reiseleiter für sie zu spielen. Britta hatte die ganze Reise geplant, Inga hatte sich selbst wenig Gedanken darüber gemacht, was sie alles unternehmen wollte. Schließlich gab sie zur Antwort: „Einen genauen Plan haben wir nicht. Ich denke, wir lassen uns einfach treiben und sehen, wo es uns hinführt.“
Paul lächelte. „Das ist natürlich auch ein völlig legitimes Herangehen an einen Erholungsurlaub. Der Strand hier am Hotel ist traumhaft. Übrigens besteht auch die Möglichkeit, über die im Hotel untergebrachte Tauchschule Ausflüge zu machen. Die Unterwasserwelt des Arabischen Golfes ist sehr sehenswert.“
„Ich kann nicht tauchen“, gestand Inga.
„Macht ja nichts. Sie könnten es lernen, oder einfach nur schnorcheln. Oder lehnen Sie Wassersport grundsätzlich ab?“ Das Blitzen in seinen Augen verriet, dass er versuchte, sie zu necken.
Inga ging nicht darauf ein. „Vielleicht sollten wir uns das überlegen. Allerdings hatte ich tatsächlich eher an die Sehenswürdigkeiten auf dem Festland gedacht.“
Paul antwortete, wieder ernst: „Davon gibt es auch genügend. Darf ich vorschlagen, dass Sie und Ihre Freundin sich morgen erst einmal am Pool und am Strand akklimatisieren und wir Sie am Dienstag zu einer Creek-Rundfahrt abholen? Ich denke, Mahmud kann Ihnen ein paar Insider-Einblicke geben, die man als Dubai-Tourist normalerweise nicht zu sehen bekommt.“
Britta hatte offensichtlich mit einem Ohr ihre Unterhaltung verfolgt, denn sie mischte sich sofort begeistert ein. „Oh, das ist wirklich lieb! Wir nehmen das Angebot sehr gerne an. Nicht wahr, Inga?“ Dabei signalisierte sie Inga mittels Blicken und ihren Augenbrauen, dass sie ein ebenso begeistertes Ja von ihr erwartete.
Ergeben nickte Inga. „Sehr gerne.“
Paul winkte dem Kellner.
„Dann erlauben Sie, dass ich mich um die Rechnung kümmere. Es ist spät und ich bin schon seit halb sechs auf den Beinen.“
„Haben Sie denn überhaupt Zeit, für uns die Reiseführer zu spielen? Sie sind ja nicht zu Ihrem Vergnügen hier. Müssen Sie nicht arbeiten?“, sprach Inga aus, was ihr eben durch den Kopf gegangen war. Von Britta fing sie sich dafür einen warnenden Blick ein.
Doch Paul winkte ab. „Das geht schon in Ordnung. Mit dem ersten Bauabschnitt sind wir heute fertig geworden. Es wird einige Tage dauern, bis es weitergeht. Wir warten noch auf Material, das erst angeliefert werden muss. Unser Arbeitgeber ist relativ flexibel, was unsere Arbeitszeiten betrifft. Wichtiger als die Stundenanzahl ist es ihm, dass die Aufträge vertragsgemäß erfüllt werden.“
„Dann passt das ja“, stellte Britta fest und wischte damit Ingas Bedenken beiseite.
Der Kellner trat an den Tisch, und Paul übernahm die Rechnung, ohne Britta, Inga oder Mahmud auch nur einen Blick darauf werfen zu lassen. Als das erledigt war, wandte er sich wieder an seine neuen Bekanntschaften: „Wann dürfen wir am Dienstag denn zur Abholung bereitstehen? Wäre Ihnen neun Uhr zu früh? Wir sollten zeitig aufbrechen, damit wir noch etwas vom Tag haben.“
Britta strahlte. „Überhaupt nicht! Wir sind ja nicht zum Schlafen nach Dubai gekommen. Neun Uhr passt perfekt.“
Inga dachte, dass gegen Ausschlafen im Urlaub auch nichts sprach, hielt sich aber wohlweislich zurück. Sie wollte Britta in ihrer Euphorie nicht bremsen, außerdem war eine Stadttour mit Ortskundigen sicherlich spannend.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, kehrten Britta und Inga auf ihr Zimmer zurück. Inzwischen merkte Inga, dass die Müdigkeit sich doch ganz schön breitgemacht hatte. Sie beließ es bei einem raschen Zähneputzen und schlüpfte dann in das kurze Nachthemd.
Britta rumorte noch länger im Bad herum, hatte jedoch die Badtür offengelassen, um mit Inga die Ereignisse des Abends bereden zu können.
Inga hatte die Vorhänge zugezogen und lag schon auf ihrer Seite des großen Doppelbettes.
„… wirklich sehr charmant, oder? Und dass sie uns mit auf diese Tour nehmen wollen am Dienstag, das ist doch außerordentlich nett, nicht?“, scholl Brittas fröhliche Stimme aus dem Bad zu ihr heraus. Von Müdigkeit war ihr nichts anzumerken.
„Mhm“, bestätigte Inga.
„Und was für ein Zufall, dass er Europäer ist! Und dann ausgerechnet Österreicher. Das passt doch wirklich wie die Faust aufs Auge, findest du nicht?“, plapperte Britta weiter. „Na ja, so, wie er aussah, dachte ich mir schon, dass er kein Einheimischer sein kann. Obwohl dieser Mahmud ja auch nicht unbedingt wie ein Emirati aussieht. Diese langen Hemden finde ich ja seltsam. Also irgendwie könnte ich einen Mann nicht ernstnehmen, der mir im Nachthemd gegenübersteht.“ Britta lachte gackernd.
„Das ist eben ihre Tracht. Mahmud trägt vermutlich westliche Kleidung, weil er auch für eine internationale Firma arbeitet und viel Kontakt zu Ausländern hat. Wie zum Beispiel Paul“, gab Inga schläfrig zu bedenken.
„Gib’s zu, du fandest diesen Paul auch toll! Ein wirklich attraktiver Mann und er hat einen irre interessanten Job.“ Britta kam aus dem Bad. Sie trug ein enganliegendes Seidenhemdchen mit Spitzenbesatz und Shorts aus demselben Stoff. Sie sah aus, als hätte sie sich den süßen Paul gleich noch für ein Schäferstündchen eingeladen.
Inga rollte sich auf den Rücken und blinzelte zu ihrer Freundin hinüber, die mit wippenden Bewegungen die Matratze testete.
„Hast du noch mehr vor heute?“, fragte sie mit Blick auf Brittas Aufzug.
„Ich? Wieso?“
„Na, das heiße Teilchen sieht mir nicht nach Freundinnenurlaub aus“, stichelte Inga.
Britta strich mit der flachen Hand über den schimmernden Stoff, der sich wie eine zweite Haut an ihren durchaus sehenswerten Körper schmiegte. „Wer kann, der kann …“
Sie ließ sich lasziv auf das Bett sinken und schlug kess die Augenlider auf. „Man kann ja nie wissen. Heute liegen wir noch brav nebeneinander im Bett, aber schon morgen kann das alles ganz anders sein. Vielleicht hat der hübsche Paul ja noch Platz in seinem Bettchen für eine von uns. Oder stehst du mehr auf Mahmud?“
Inga warf mit einem der kleinen Kissen, die zur Zierde auf der Tagesdecke gelegen hatten, nach Britta und drehte sich von ihr weg zur Fensterfront. „So haben wir nicht gewettet! Du schläfst die nächsten sieben Nächte schön brav hier neben mir. Ich fahr doch nicht mit dir in Urlaub, damit du dich hier mit irgendwelchen Männerbekanntschaften vergnügst und ich guck in die Röhre.“
„Sag ich ja auch nicht! Einer für dich, einer für mich. Passt doch wunderbar. Wir müssen uns nur noch einigen, wer wen bekommt.“ Britta lachte wieder ihr vom Champagner aufgeheiztes Lachen.
„Das hast du wohl nicht allein zu entscheiden“, befand Inga. „Vielleicht interessiert der gute Paul sich gar nicht für dich. Und Mahmud könnte verheiratet sein, wer weiß? Hast du danach gefragt?“
Britta warf Inga das Kissen zurück. „Und wenn schon? Dürfen die nicht sowieso mehrere Frauen haben hier?“
Inga drehte sich wieder zu Britta herum und stützte sich auf einen Ellbogen. „Heiraten, ja. Mit jeder x-beliebigen ins Bett steigen, dürfen sie ganz sicher nicht. Pech gehabt.“
Britta streckte Inga die Zunge raus, doch in ihren Augen blitzte der Schalk. „Dann nehm ich doch den Paul. Sorry, aber mit Heiraten und so weiter, das ist dann dein Metier.“
„Nur, dass ich bereits verheiratet bin. Und umgekehrt ist das meines Wissens nirgends zulässig, eine Frau und mehrere Männer.“
Inga behielt die tadelnde Miene aufrecht, doch im Endeffekt konnte sie Britta nie lange böse sein. Sie war eben so, wie sie war.
Am anderen Morgen weckte der helle Sonnenschein die Freundinnen früher als geplant. Britta zog sich das Kissen über den Kopf und vergrub sich noch einmal tief im Bett. Inga hingegen schwang sich aus der Horizontalen und tapste über den kalten Marmorboden hinüber zum Bad. Sie gönnte sich eine ausgiebige Dusche und entschied sich dann, im Handtuch vor ihrem Koffer stehend, gleich den Bikini statt Unterwäsche anzuziehen. Sie hatte vor, den größten Teil des Tages am Hotelpool und am Strand zu verbringen, genauso, wie Paul am Vorabend vorgeschlagen hatte.
Wieso kam ihr jetzt eigentlich wieder dieser Paul in den Sinn?
Inga schob die Balkontür auf und trat ins Freie. Die Sonne brannte bereits heiß auf ihrer Haut, obwohl noch früher Morgen war. Sie lehnte sich über die Brüstung und betrachtete das Panorama, das sich ihr bot. Die Balkone gingen alle auf die Poolanlage hinaus. Zwischen Palmen und kleinen Hecken standen Liegen, von denen bereits einige mit Handtüchern und Badesachen belegt waren. Im kristallklaren Blau des Pools zogen zwei Damen ihre morgendlichen Runden. Ein Hotelangestellter in weißer Montur spritzte mit einem Schlauch den gepflasterten Weg sauber, der zur Poolbar führte. Die Rollläden des kleinen Kiosks waren noch verschlossen. Daneben stapelten sich weitere Liegen, die erst später aufgestellt werden würden, wenn mehr Gäste ihren Platz am Pool beanspruchten. Inga hörte Geschirr klappern. Frühstücksduft wehte zu ihr herauf.
Wenn sie sich weit über das Geländer lehnte, konnte sie die letzte Reihe der Außenbestuhlung des Speiseraums sehen. Dort saß ein Pärchen und frühstückte in der Morgensonne.
Hinter den Palmen und den Liegestühlen ging die Gartenanlage des Hotels nahtlos in den Strand über. Der Sand lag gleichmäßig und weiß da. Parallele Furchen ließen vermuten, dass eine Maschine den Strandabschnitt glattgezogen hatte, während die Gäste noch geschlafen hatten. Die Brandung rollte mit kleinen, sich überschlagenden Brechern heran. Dahinter lag ruhig und nahezu glatt der Ozean. Bis zu der feinen Linie, die das Blau des Meeres vom helleren Blau des wolkenlosen Himmels trennte, gab es nichts, woran sich das Auge hätte hängen können. Kein Schiff, kein Fels, nicht einmal eine kleine Boje.
Dass nur wenige Kilometer entfernt von hier die geschäftige Stadt lag, von der Inga beim Durchqueren den Eindruck gewonnen hatte, dass sie niemals ruhte, war schwer vorstellbar. Dieser Strand und das Hotel hätten auch meilenweit weg von jeglicher Zivilisation auf einer einsamen Insel mitten im Paradies liegen können.
Morgen sollten sie den Kontrast zu Gesicht bekommen. Inga dachte schon wieder an den österreichischen Architekten und seinen Begleiter. Irgendwie freute sie sich auf den geplanten Ausflug mit den beiden. Wenn nur Britta nicht wieder so dick auftrug. Aber vielleicht hatte der charmante Paul ja doch ein Auge auf sie geworfen. Inga gestand ihrer Freundin neidlos zu, dass sie bei Männern immer gut ankam. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es schon einmal einen Mann gegeben hätte, der Britta gefallen hatte und dem sie am Ende nicht hatte gefährlich werden können. Im Gegenteil: Häufig war es eher so, dass sie sich gegen aufdringliche Verehrer zur Wehr setzen musste. Aber weder Paul noch Mahmud hatten gestern Abend die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. So wirkten die beiden auch nicht auf Inga.
Paul war vielleicht der Verwegenere von ihnen. Gut möglich, dass er sich auf mehr als einen Flirt mit der schönen Britta einlassen würde. Obwohl, so eindeutig geflirtet hatte er eigentlich auch wieder nicht.
Mahmud jedenfalls verwarf Inga im Geiste als potentielle Urlaubsliebe für Britta gleich wieder. Der gebürtige Omani war höflich interessiert gewesen, mehr aber sicher nicht. Außerdem wirkte er zu ruhig und introvertiert für die quirlige Britta. Nein, dann schon eher Paul.
„Schön hier, was?“
Inga fuhr erschrocken zusammen. Sie hatte Britta nicht kommen hören. Doch die Freundin war hinter sie getreten und stützte den Kopf auf Ingas Schulter. Ihr Körper fühlte sich warm auf Ingas Haut an. Brittas kinnlange Haare fielen ihr wirr ins Gesicht. Noch immer trug sie den aufreizenden Pyjama. Sie hatte wohl gerade eben beschlossen, doch das Bett zu verlassen.
„Willst du dich nicht anziehen?“, fragte Inga. „Es gibt schon Frühstück.“
„Und du?“, fragte Britta zurück. „Gehst du im Bikini?“
Inga sah an sich herunter. Sie hatte das Anziehen unterbrochen, um einen Blick vom Balkon zu werfen und war dann so in der Betrachtung versunken, dass sie ganz vergessen hatte, was sie zuvor getan hatte. „Nein, besser nicht.“ Inga grinste.
„Was willst du heute machen?“
„Weiß nicht“, gab Inga zurück. „Und du?“
„Ich hätte Lust, so wie ich bin, in dieses unglaublich blaue Meer zu springen“, gestand Britta.
Inga folgte ihrem Blick hinaus in die Ferne.
Nur wenig später saßen Inga und Britta an einem der kleinen quadratischen Tische auf der Hotelterrasse und genossen ihr erstes Frühstück. Das Buffet ließ keine Wünsche offen. Vor allem das frische Obst und die frisch gepressten Säfte hatten es ihnen angetan.
„Unfassbar eigentlich, was die alles aufbieten“, stellte Inga zwischen zwei Melonenstücken fest. „Das wächst doch hier alles nicht.“
„Vermutlich doch, wenn man es genügend wässert. Die Mangos sind hier jedenfalls ein Gedicht. Wenn du diese Mangos probiert hast, wirst du dir daheim nie wieder eine im Supermarkt kaufen. So frisch und so saftig bekommst du sie dort nämlich nicht. Das, was wir an Südfrüchten in den Regalen liegen haben, ist doch alles halb reif vom Baum gerissen und ewig mit dem Schiff durch die Gegend gefahren worden“, gab Britta zu bedenken und schob sich ein großes Stück Mango in den Mund.
„Ma’am, excuse me. I have notice for you.” Ein Kellner mit starkem indischen Akzent war an ihren Tisch getreten.
Britta nahm das Kärtchen vom silbernen Tablett, das er ihr reichte.
„Eine Nachricht? Thank you.“ Der Kellner verließ sie wieder und Britta klappte die Karte auf. Sie trug das Logo des Hotels.
„Oha!“, stieß Britta hervor. „Na sieh mal an.“
Grinsend reichte sie die Karte an Inga weiter.
Liebe Inga, liebe Britta, vielen Dank für Ihre nette Gesellschaft. Ich freue mich auf Dienstagmorgen um neun! Paul, stand da zu lesen.
Inga ließ die Karte sinken und sah in Brittas triumphierendes Gesicht.
„Ist ja gut“, sagte sie. „Ich gebe zu, ich bin beeindruckt.“
Zwischendurch hatte Inga auch schon mal gedanklich erwogen, dass Paul und Mahmud sich vielleicht gar nicht mehr würden blicken lassen. Ein kleines Geplänkel an der Hotelbar war nicht gleich eine große Verpflichtung. Aber offenbar meinten sie es ernst mit ihrem Versprechen, ihnen die Stadt näherzubringen. Aus irgendeinem Grund löste dieser Umstand mehr Vorfreude in Inga aus, als sie erwartet hätte.
„Morgen machen wir uns einen richtig tollen Tag mit den beiden Herren“, prophezeite Britta. „Und bitte sei nicht so zugeknöpft, ja? Wir sind im Urlaub. Vergiss einfach mal, dass du verheiratet bist, okay?“
„Ich will dir ja keine Konkurrenz machen.“
„Für dich steck ich zurück, wenn es sein muss“, bot Britta großmütig an. „Wer ist mehr dein Typ? Paul oder Mahmud?“
„Keiner von beiden“, wischte Inga das Gedankenexperiment energisch vom Tisch. Sie trank ihre Kaffeetasse leer. „Wolltest du nicht ins Meer springen? Lass uns gleich an den Strand gehen, Mittag wird es vielleicht zu heiß.“
„Lenk nicht ab“, protestierte Britta und machte keinerlei Anstalten, die Frühstückstafel aufzuheben. „Paul oder Mahmud? Du musst dich schon entscheiden!“
Inga verdrehte die Augen. „Du kannst vielleicht lästig sein! Gut, dann Paul. Ich wüsste nicht, ob ich mit einer binationalen Beziehung überhaupt klarkäme. Wahrscheinlich hätte ich mit Mahmud langfristig schwer zu überbrückende, kulturelle Differenzen. Rein hypothetisch betrachtet. Zufrieden?“
Britta dachte gar nicht daran, sich schon zufrieden zu geben. „Wenn du das so siehst, ist Paul auch nichts für dich. Als Österreicher … Kulturell liegen da ja wohl auch Welten zwischen euch.“ Sie kicherte albern.
Inga fühlte sich um fünfundzwanzig Jahre zurückversetzt. So lange war es ungefähr her, dass sie das letzte Mal mit einer Freundin über Jungs geredet und sich ausgemalt hatte, was wohl wäre, wenn der eine oder der andere Interesse an ihr gezeigt hätte. Seit etwa derselben Zeit beantwortete Inga diese Fragen mit der immergleichen Antwort: Tom.
Sie dachte an ihren Mann, der jetzt sicher zu Hause vor seinem Laptop saß und irgendwelche Zahlenreihen in Datenbanken klopfte, oder etwas ähnliches. Zu Beginn eines neuen Projektes verbrachte er oft ganze Tage vor dem Bildschirm. Inga bewunderte seine Verbissenheit auf der einen Seite, auf der anderen fand sie es auch nervig, dass er dann für sie überhaupt nicht mehr ansprechbar war. Selbst wenn er nicht arbeitete, saß er häufig am Rechner. Dann spielte er irgendwelche Spiele, die in ihren Augen keinen Sinn ergaben. In diese virtuelle Welt, in die er oft abtauchte, konnte sie ihm nicht folgen. Es fehlte ihr der Zugang dazu. Inga dachte, dass der Unterschied zu einem Mann aus einem anderen Kulturkreis auch nicht viel größer sein konnte.
Sie schüttelte die Gedanken ab und forderte Britta auf: „Nun komm endlich! Wir sind doch nicht nach Dubai geflogen, um uns über irgendwelche Kerle den Kopf zu zerbrechen.“
Britta kapitulierte. „Du hast recht. Lass uns an den Strand gehen.“
Die beiden Frauen verbrachten den Vormittag am Hotelstrand. Weicher, weißer Sand lud dazu ein, die nackten Füße darin zu vergraben. Das Wasser des Arabischen Golfs war angenehm warm und rollte in trägen Wellen an den Strand, die sich erst kurz vorm Auslaufen kräuselten. Weiter draußen leuchteten die weißen Segel eines Bootes. Es war ruhig am Strand. Nur ein paar wenige andere Urlauber teilten sich mit Inga und Britta die Liegen und Sonnenschirme. Ein Hotelangestellter entfernte mit einem Rechen Algen und Treibgut aus dem Sand und hinterließ nichts als gleichmäßige Furchen.
Inga schüttelte das nasse Haar aus und wickelte sich in das gestreifte Strandhandtuch mit dem Hotellogo. Dann streckte sie sich auf der Liege aus und blinzelte in die Sonne, die inzwischen schon fast senkrecht über ihnen stand. Ihr Kopf war angenehm leer. Sie fühlte sich entspannt und ein wenig schläfrig.
Gerade als Inga die Augen zufielen, sprang Britta neben ihr plötzlich auf die Beine. Inga öffnete träge ein Auge, um zu sehen, was passiert war.
„Ich bin gleich wieder da“, murmelte Britta und verschwand eilig zwischen den Palmen in Richtung Hotel.
Inga klappte das eine Auge wieder zu, zu faul, um sich zu wundern.
Sie musste eingeschlafen sein. Als Britta zurückkehrte, war Inga kurz orientierungslos. Sie unterdrückte ein Gähnen und sah fragend zu ihrer Freundin auf, die sich vor ihrer Liege aufgebaut hatte und ihren Schatten auf sie warf.
„Ich glaube, ich muss aufs Zimmer gehen“, sagte Britta und klang dabei ungewöhnlich ernst.
Inga rappelte sich auf. „Warum? Was willst du denn auf dem Zimmer?“
„Ich muss mich hinlegen“, gab Britta zur Auskunft.
„Was hast du? Ist dir nicht gut?“ Jetzt machte sich Besorgnis in Inga breit. Das sah Britta gar nicht ähnlich.
„Ja. Irgendwie muss ich mir den Magen verdorben haben. Ich hatte gerade das Gefühl, mich zerreißt es. Ich war auf der Toilette, aber davon wird es nicht besser.“
„Ich komme mit“, bot Inga an. „Hast du was in deiner Reiseapotheke? Ich glaube, ich kann dir was geben, wenn du willst.“ Sie begann ihre Sachen zusammenzusuchen.